Private Altersvorsorge: Von einem toten Pferd, das man weiter pampert bis zu unattraktiven Riester-Sparern, denen gekündigt wird

Die Riester-Rente ist eine vom Staat durch Zulagen sowie Möglichkeiten des Sonderausgabenabzugs in Höhe von mehreren Milliarden Euro jährlich aus Steuermitteln geförderte, privat finanzierte Rente in Deutschland. Sie wurde im Zuge des rentenpolitischen Paradigmenwechsels der damaligen rot-grünen Bundesregierung Anfang des neuen Jahrtausends  eingeführt und soll (auf freiwilliger Basis) die (zwangsweise für alle) durch Kürzung der umlagefinanzierten gesetzlichen Rentenversicherung gerissenen Sicherungslücken kompensieren. In den vergangenen Jahren sind durch immer wiederkehrende kritische Berichterstattung über Sinn und Unsinn der Riester-Rente die Akzeptanz und Resonanzboden geschrumpft worden. Und seit der Finanzkrise und der seitdem anhaltenden Niedrig-, Null- und Negativzinspolitik der EZB wird zunehmend deutlicher erkennbar, dass das kein besonders attraktives Geschäft mehr ist – selbst für viele Versicherer und Banken, die bislang und immer noch an der staatlichen Subventionierung ihrer Produkte über Abschluss- und Vertriebskosten ordentlich verdient haben. Und das bei überschaubaren Sicherheiten für die Riester-Kunden. So verlangt beispielsweise das  Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetz, dessen Anforderungen die Riester-Verträge erfüllen müssen, dass zu Beginn der Auszahlungsphase mindestens die Summe der eingezahlten Beiträge (Eigenleistung + staatliche Zulage) garantiert werden muss. Nun wird das Geld zu einem späteren Zeitpunkt, der bei jüngeren Sparern Jahrzehnte später sein kann, auch weniger wert sein, so dass die Kaufkraft der garantierten Leistungen unterhalb der zuvor entrichteten Beiträge liegen wird.

Das Geschäft der Finanzindustrie mit dieser aus Steuermitteln gepamperten Altersvorsorge-Variante ist merklich eingebrochen und bei vielen Menschen ist angekommen, dass das hochproblematische Produkte sind. Man erkennt das nicht nur, wenn man einen Blick wirft auf die Statistik der Zahl der Riester-Verträge insgesamt, die offensichtlich den Sättigungspunkt erreicht hat und zum Sinkflug ansetzt, sondern auch bei Berücksichtigung der Tatsache, dass selbst nach offiziellen Schätzungen des BMAS (mindestens) ein Fünftel aller Riester-Verträge „ruhend“ gestellt, also die Sparer zahlen keine Beiträge mehr ein.

Man kann der Politik wahrlich nicht vorwerfen, dass sie keine Anstrengungen unternimmt, um den schleichenden Tod der Riester-Rente zu stoppen: Man dopt das totgesagte Pferd, natürlich wieder mit Steuermitteln und weiteren Anreizen zur Aufhübschung des Produkts, zuletzt geschehen durch das „Betriebsrentenstärkungsgesetz“ der sozialdemokratischen Arbeitsministerin Andrea Nahles (vgl. dazu den Beitrag Die halbierte Betriebsrentenreform, eine „kommunikative Herausforderung“ gegenüber den Arbeitnehmern und das von vielen totgesagte Pferd Riester wird erneut gedopt vom 3. Juni 2017):

  • Die staatliche Förderung für die  Riester-Rente steigt. Die Grundzulage wurde von 154  Euro im Jahr  auf 175 Euro angehoben.
  • Von weitreichender Bedeutung ist diese Komponente: Betriebliche und private Riester-Renten werden künftig nicht mehr voll auf die Grundsicherung im Alter (Mindestrente auf Niveau von Hartz-IV) und bei Erwerbsminderung angerechnet.  Künftig können die Betroffenen aus diesen Renten bis zu 202 Euro monatlich anrechnungsfrei behalten. Der Betrag wird mit den Regelsätzen dynamisiert. Das ist ein massiver Eingriff in die bisherige Architektur mit einer expliziten Besserstellung (nur) der Riester-Renten gegenüber allen anderen Einkommensarten (vgl. dazu ausführlicher den Beitrag Solche und andere Rentner. Zur partikularen Privilegierung der kapitalgedeckten Altersvorsorge in der Grundsicherung und den damit verbundenen offenen Fragen vom 10. Juni 2017).

Aber allen staatlichen Wiederbelebungsversuchen zum Trotz – nicht nur auf der Nachfrageseite gibt es Ernüchterung, Enttäuschung und Rückzug, das gleiche wird auch von der Angebotsseite berichtet: Mehrere Versicherer stellen Riester-Neugeschäft ein, so ist beispielsweise ein Artikel das überschrieben: »Sieben Versicherer nahmen demnach zum 1. Januar 2017 Riester-Verträge ganz oder teilweise aus dem Programm. Anderen Gesellschaften haben ihr maximales Eintrittsalter herabgesetzt, so dass ältere Sparer keinen Vertrag mehr erhalten.«

Aber auch hier gibt es offensichtlich noch Steigerungspotenzial: Privatbank kündigt Riester-Verträge, berichtet das Wirtschaftsmagazin Capital. Man kann das durchaus als Tabubruch und Vorstoßversuch in eine neue Dimension der Abwicklung schlecht gewordener Risiken verstehen: »Eigentlich sind Riester-Verträge unkündbar. Die Hamburger Privatbank Donner & Reuschel kündigt trotzdem. Zwei Bundesministerien wollen notfalls dagegen vorgehen.«

Sowohl das Bundesarbeitsministerium wie auch das Bundesfinanzministerium erklärten, »Versicherungen und Banken dürften Riester-Policen nur unter äußerst strengen Bedingungen kündigen. Notfalls müsse der Gesetzgeber einschreiten.« Wie stellt sich der Sachverhalt dar?

Die »Hamburger Privatbank Donner & Reuschel, eine Tochter des Versicherungskonzerns Signal Iduna, (hat) in den vergangenen Monaten gut 130 Kunden mit einem Riester-Sparplan nahegelegt, in eine andere Riester-Versicherung des Iduna-Konzerns zu wechseln. Kunden, die dieses Angebot ablehnten, kündigte die Bank außerordentlich. Es dürfte das erste Mal überhaupt sein, dass ein Riester-Anbieter versucht, solche Verträge zu beenden. Wegen der hohen staatlichen Zuschüsse und der besonderen Vorsorgefunktion von Riester-Renten hatte der Gesetzgeber solche Kündigungen komplett ausschließen wollen.«

Und wie begründet der Anbieter seinen eigentlich nicht zulässigen Schritt? Er hat offensichtlich in das BGB geschaut und meint, mit dem § 313 BGB einen Hebel gefunden zu haben, um die offensichtlich unliebsam gewordenen Kunden loswerden zu können. Im Absatz 1 dieses Paragrafen findet man diesen Hinweis:

»Haben sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert und hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, so kann Anpassung des Vertrags verlangt werden, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.«

Absatz 3 ermöglicht dann den Rücktritt bzw. die Kündigung, wenn eine Anpassung nicht möglich ist.

Und was sind im Fall der Signal Iduna-Tochter die geforderten „schwerwiegend veränderten Umstände“? Man glaubt es nicht: Donner & Reuschel konnte die alten Verträge nach eigenen Angaben nicht weiterführen, weil die IT des Geldhauses umgestellt worden ist. Bei den Kündigungen beruft sich die Bank deshalb auf eine „Störung der Geschäftsgrundlage“, kann man dem Capital-Artikel entnehmen.

Diese „Begründung“ muss man als putzig bezeichnen. „Wenn Donner & Reuschel damit durchkommt, könnten andere Riester-Anbieter das Vorgehen kopieren und sich einfach auf eine neue IT berufen, um Kunden zu kündigen“, wird Benjamin Wick vom Marktwächter Finanzen der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg in dem Artikel zitiert. Und was sagen die Ministerien?

»Arbeits- und Finanzministerium erklärten in einer gemeinsamen Stellungnahme, für eine außerordentliche Kündigung reiche es nicht, sich auf eine IT-Umstellung zu berufen. „Sollte dies von der Rechtsprechung anders gesehen werden, müssten die entsprechenden gesetzlichen Regelungen gegebenenfalls ergänzt werden“, teilen die Ministerien mit.«

In dem Artikel gibt es aber den Hinweis auf die eigentliche „Störung der Geschäftsgrundlage“ aus Sicht der Bank: »Wegen der anhaltend niedrigen Zinsen sind Riester-Verträge für Finanzhäuser derzeit besonders unattraktiv.«

So ist das. Denn eine schwerwiegende Veränderung der Umstände, unter denen die Verträge geschlossen wurden, kann man aus Sicht der Anbieter wenn, dann beim Zins erkennen. Die Problemgemengelage äußerst niedriger Marktzinsen für die erforderlichen sicheren Anlagen, den anfallenden Kosten und das verbunden mit der Beitragsgarantie besteht für alle Anbieter und das (zunehmend) seit Jahren. Bislang hat das nicht dazu geführt, dass die Anbieter Verträge kündigen, aber das kann sich ändern, wenn die Dammbruch-Aktion der Privatbank erfolgreich wäre.

Dabei werden die Sparer bereits seit längerem schon massiv getroffen von einseitigen Anpassungsmaßnahmen der Anbieter an die veränderte Zinslandschaft. Dazu beispielsweise der Beitrag Die Renten sind nicht sicher von Herbert Fromme: »Anbieter kürzen immer öfter ihre Zusagen oder sogar laufende Renten. An die hohen Vertriebskosten gehen die Versicherer dagegen nur zögernd heran.«
Er illustriert das am Beispiel des Frank G. aus München, Kunde bei der Allianz Lebensversicherung. Man müsse den Rentenfaktor senken, teilt ihm sein Versicherungsunternehmen mit.

Der Rentenfaktor »bestimmt, wie hoch die Privatrente von Frank G. einst ausfallen wird. Pro 10.000 Euro angespartem Geld zu Beginn der Rentenauszahlung sind das künftig 38 Euro, nicht mehr 44 Euro im Monat. Wenn G. insgesamt 100.000 Euro angespart hat, bis er in Rente geht, zahlt die Allianz ihm garantiert 380 Euro im Monat. Bis Ende 2016 gingen Versicherer und Kunde noch von 440 Euro aus. Dazu kommt möglicherweise noch eine Überschussbeteiligung, die aber nicht garantiert ist und immer seltener wird.«

Seine zukünftige Privatrente wird um fast 14 Prozent gekürzt – und dass das überhaupt möglich ist, sei ihm bei Vertragsabschluss nicht klar gewesen. So geht es vielen anderen sicher auch. Und wenn jetzt der eine oder andere einwenden möchte, dass das eben ein bedauerlicher Einzelfall sei, dann lohnt es sich, weiterzulesen:

»Hunderttausende von Kunden der Lebensversicherer erhalten solche und ähnliche Schreiben. Meistens geht es dabei um die Absenkung künftiger Privatrentenansprüche. Die Generali geht noch einen Schritt weiter. Sie kürzt ab dem 2. Halbjahr 2017 bei 27 000 Kunden die laufenden Renten.«

Die Lebensversicherer argumentieren mit den niedrigen Zinsen und das kann man durchaus nachvollziehen. Fromme schaut weiter und kritisiert: »Aber sie wären glaubwürdiger, wenn sie auch ihr Geschäftsgebaren anpassen würden. Immer noch tun viele Versicherer so, als ob die niedrigen Zinsen nur dann wichtig sind, wenn es um die Ansprüche der Kunden geht. Beim eigenen Vertriebsaufwand tun sie wenig.« 2016 gaben die Gesellschaften sieben Milliarden Euro für Vertriebskosten aus, das meiste davon für Provisionen. Aufgebracht werden diese Mittel allein von den Kunden.

»Die private Lebens- und Rentenversicherung ist für die Altersvorsorge gerade angesichts niedriger Zinsen viel zu teuer. 2016 haben die Kunden 86,6 Milliarden Euro an Beiträgen gezahlt. Davon gehen acht Prozent für die Vertriebskosten drauf, stehen also nicht für die Altersversorgung zur Verfügung.«

In der Gesamtschau wird das ganze Gebäude der privaten Altersvorsorge immer löchriger – vor allem für die Kunden und der Grad der Unkalkulierbarkeit nimmt stetig zu. Keine wirklich überzeugenden Argumente für eine Stärkung der Bedeutung der privaten Altersvorsorge im Konzert der unterschiedlichen Alterssicherungskomponenten. Natürlich ist es naheliegend, hier ein Systemproblem zu identifizieren, das im Kontext der politisch bewusst gerissenen Sicherungslücken in der tragenden Säule der umlagefinanzierten gesetzlichen Rentenversicherung zu diskutieren wäre. Aber selbst in der Großen Koalition mit einer sozialdemokratischen Bundesrentenministerin, die zwischenzeitlich zur Oppositionsführerin im neuen Bundestag mutiert ist, wurde die Kapitaldeckung im Alterssicherungssystem beispielsweise mit der Reform der betrieblichen Altersvorsorge und der Infusionen in das Gefäßsystem der Riester-Rente weiter vorangetrieben – nicht nur, aber auch, um den Versicherungen, Banken und anderen Finanzakteuren neue Einnahmequellen zu erschließen. Das gehört dann eben auch systematisch diskutiert und kritisiert.

Und an die Adresse derjenigen, die sich mit Blick auf die Null- und Negativzinsen baldige Erlösung erhoffen von der EZB, sei hier aus der Pressemitteilung vom 26.10.2017 der Herren des Geldes über die weitere Ausgestaltung der Geldpolitik der Zentralbank im noch laufenden und im kommenden Jahr zitiert:

»The interest rate on the main refinancing operations and the interest rates on the marginal lending facility and the deposit facility will remain unchanged at 0.00%, 0.25% and -0.40% respectively. The Governing Council continues to expect the key ECB interest rates to remain at their present levels for an extended period of time.«

Eine „extended period of time“ kann in diesem Kontext sehr lange dauern.

Eine „Studie“ vom „Renten-Professor“ sagt … und viele schreiben kommentarlos ab. Eine lohnende Investition für kostenloses Product Placement

Unternehmen geben viel Geld aus für mehr oder meistens weniger bis gar nicht wirksame Werbung für ihre Produkte. Sie schalten Anzeigen, malträtieren die Zuschauer vor allem im Privatfernsehen mit Werbebotschaften, die zur Zwangs-Pinkelpause führen oder lassen die Briefkästen der Bundesbürger mit so vielen Prospekten fluten, dass ganze Schülerjahrgänge ein zusätzliches Einkommen erwirtschaften können und zugleich (vielleicht der einzige nennenswerte positive Aspekt, der aber noch gar nicht erforscht wurde) viel an der frischen Luft und in Bewegung sind, wenn sie die Dinger austragen und verteilen müssen.

Dabei geht es auch ganz anders – man kann ein gleichsam kostenloses Product Placement in vielen Medien bekommen, für das man lediglich eine überschaubare, aber offensichtlich extrem effektive Kostenstelle für auf dem Markt vorhandene und abrufbare „Wissenschaftssöldner“ kalkulatorisch in Rechnung stellen muss. Und das alles für Produkte, die mittlerweile einen – nun ja – mehr als zweifelhaften Ruf haben, die sich zunehmend als Ladenhüter erweisen, weil die Käufer erkannt haben, dass hier nur eine Seite ein Geschäft macht. Also die Verkäufer, in diesem Fall die Banken, Versicherungen, der finanzindustrielle Komplex, der den Menschen Produkte andrehen will, die ihnen helfen sollen, im Alter finanziell über die Runden zu kommen. Da muss man, um den Absatz anzukurbeln, einen „Resonanzboden“ bei den Zurückhaltung übenden potenziellen Käufern schaffen – und bei den risikoaversen Deutschen bekommt man das am besten hin, wenn man die Angst-Karte spielt und ihnen zugleich die „Lösung“ des Problems „kostenlos“ mitliefert.

Das Skript ist schnell geschrieben – man bedient sich einer erstaunlicherweise, aber offensichtlich immer noch funktionierenden Masche: Man beauftragt einen „Wissenschaftler“ damit, eine „Studie“ zu erstellen, die besagt, dass es ganz schlimm werden wird beispielsweise mit der Renten-Lücke in der Zukunft, vor allem für die vielen, die heute noch voller Kraft und Saft sind und die volle Brieftaschen haben, aus denen sie unbedingt einige Scheine abzweigen sollten, um dem so sicher wie das Amen in der Kirche auf uns zukommende monetäre Desaster im Alter zu entkommen.

Gesagt, geschrieben und umgesetzt: Das Ergebnis lässt sich sehen: »Zu wenig Geld im Alter: Die gesetzliche Rente wird nicht reichen. Den heute Jungen werden nach dem Arbeitsleben viele Hundert Euro fehlen – jeden Monat. Wie viel, das hat ein Professor ausgerechnet.« Schreibt nicht irgendjemand, sondern das Handelsblatt unter dieser Überschrift: Generation Rentenlücke. Und wenn das ein leibhaftiger Professor ausgerechnet hat, muss das per definitionem ja auch stimmen. Um wen es sich dabei handelt? Das Handelsblatt bezeichnet die illustre Figur des Bernd Raffelhüschen als „Vorsorgeexperten“. Das hört sich für meisten gutgläubigen Bundesbürger an wie ein seriöser Urologe, der bei Männern über 50 nach dem Rechten schaut.

Und was der Herr Experte so berechnet haben soll, wird auch von anderen Medien sofort aufgegriffen und unter das nach Jahren der Desavouierung der umlagefinanzierten Rente entsprechend weichgekochtes Volk gebracht: Jungen droht Rentenlücke – private Versorgung unerlässlich, so beispielsweise mehr als kompakt die zentrale Botschaft der „Studie“ auf den Punkt bringende Allgemeine Zeitung aus Mainz. Die Rente der jungen Generation wird nicht reichen, so Focus Online, die an anderer Stelle das nachlegen: Renten-Professor mahnt: Generation unter 35 ist nicht abgesichert. Selbst die ehrenwerte Zeit Online sekundiert: Gesetzliche Rente reicht für junge Menschen laut Studie nicht aus. Und schiebt sicherheitshalber gleich nach, damit man nicht alle Hoffnungen fahren lässt und in Depressionen versinkt: »Wer heute jünger als 35 ist, sollte laut einer Studie auch privat fürs Alter vorsorgen.« Allerdings muss man diesem Medium zugute halten, dass sie schon das Geschmäckle, um das noch verniedlichend zu bezeichnen, erkennen, denn der nächste Satz geht so: »Der Auftraggeber der Studie bietet solche Vorsorgeprodukte selbst an.«

Um was geht es hier? Es geht um den Vorsorgeatlas Deutschland 2017, der vom „Forschungszentrum Generationenverträge“ an der Universität Freiburg unter Leitung des bereits angesprochenen Bernd Raffelhüschen erstellt und von der Union Investment herausgegeben wurde.

Die Union Investment ist die Investmentgesellschaft der DZ Bank und Teil der genossenschaftlichen FinanzGruppe. Der Vertrieb der Publikumsfonds geschieht zum einen über die Volks- und Raiffeisenbanken, zum anderen über den Außendienst der Bausparkasse Schwäbisch Hall. Die Union Investment Gruppe verwaltet 309,6 Milliarden Euro (Stand: 30.6.2017). Mit einem Anteil von 14,3 Prozent gehört Union Investment zu den größten Fondsgesellschaften in Deutschland.

Was sind jetzt die Hauptaussagen im „Vorsorgeatlas“? Dazu hören wir die Union Investment selbst in einer Pressemitteilung: Die gesetzliche Rente bleibt „auch in den nächsten Jahrzehnten ein sicherer und stabiler Grundpfeiler ihrer Altersvorsorge“. Behauptet man da. Und wird konkreter: Aus der gesetzlichen Rente »erhalten die Versicherten im Durchschnitt eine monatliche Rente von 1.070 Euro, was einer Ersatzquote von rund 48 Prozent ihres letzten Bruttoeinkommens entspricht. Zwar sind zur Sicherung des Lebensstandards im Alter mindestens 60 Prozent nötig. Wer jedoch zusätzlich vorsorgt – sowohl staatlich gefördert als auch privat – kann seinen Lebensstandard im Alter sichern und in Kombination mit der gesetzlichen Rente insgesamt rund 83 Prozent des letzten Einkommens erzielen.«

Und dann wird es noch konkreter – offensichtlich können Raffelhüschen & Co. bis weit über das Jahr 2030 hinaus die Rente ausrechnen: »Während die 50- bis 65-Jährigen mit einer Ersatzquote von 64,1 Prozent alleine mit der GRV ihren Lebensstandard sichern können, kommen die 20- bis 34-Jährigen auf lediglich 38,6 Prozent. Sie benötigen daher etwa 800 Euro zusätzlich pro Monat und müssen aktiv werden.«

Aber Union Investment sei Dank besteht ja das deutsche Alterssicherungssystem aus drei Schichten und die gesetzliche Rente ist nur eine davon. Ganz besonders herzliche Worte findet man mit Hilfe der beauftragten Wissenschaftler für die zweite Schicht, die vor allem aus Riester-Rentenverträgen besteht (nur der Pingeligkeit halber soll hier gleich darauf hingewiesen werden, dass die Union Investment da dicke im Geschäft ist): »Mit den aktuellen Sparraten erhalten sie im Rentenalter durchschnittlich 290 Euro im Monat. Damit können sie die GRV um 10,6 Prozent des Einkommens ergänzen. Die heute 20- bis 35-Jährigen kommen mit ihrem Riester-Vertrag sogar auf einen Wert von 14,1 Prozent. Im Schnitt sind dies monatlich 392 Euro.«

Der muss wirklich gut rechnen können, der „Renten-Professor“, dass er den heute 20-35-Järhigen sagen kann, was sie auf Euro und Cent aus ihren Riester-Verträgen bekommen werden.

Und so geht es weiter – über die betriebliche Altersversorgung (das jüngst von der Großen Koalition unter Federführung von Andrea Nahles (SPD) verabschiedete Betriebsrentenstärkungsgesetz wird vom Vorstandsvorsitzenden der Union Investment nicht wirklich überraschend in höchsten Tönen gelobt) und das privaten Sparen in der dritten Schicht könne man ohne Probleme die „Versorgungslücke“ durch die zu niedrige gesetzliche Rente schließen.

Selbst eine angeblich so seriöse Tageszeitung wie die FAZ gibt sich dafür her, eins zu eins die angeblichen Gewissheiten in einem redaktionellen Artikel einfach nur abzuschreiben: Wie wappne ich mich fürs Alter?, so fragt Martin Hock sicher stellvertretend für viele Leser in der Online-Ausgabe der FAZ. Und bedient sich hemmungslos an dem Waschzettel der Auftraggeber der „Studie“. Man vergleiche einfach den Artikel einfach mit der bereits zitierten Pressemitteilung der Union Investment zum „Vorsorgeatlas“. Aber für eine angeblich seriöse Tageszeitung skandalös ist der Tatbestand, dass es zum einen keine kritische bzw. wenigstens informierende Aufklärung darüber gibt, wer hier der Auftraggeber ist und vor allem, dass der natürlich profitieren würde, wenn nun alle, vor allem jüngere Jahrgänge, die noch viele Jahre einzahlen müssten, begeistert in die Produkte der kapitalgedeckten Altersvorsorge investieren. Und zum anderen gibt es – wie in vielen anderen Artikeln auch – keinerlei kritisch-aufklärerischen Hintergrundinformationen zu der überaus schillernden Person des „Renten-Professors“ Raffelhüschen.

Norbert Häring hat sich gerade über den Umgang der FAZ mit dieser „Studie“ offensichtlich richtig aufgeregt und diesen Blog-Beitrag veröffentlicht: Was ist nur in die FAZ gefahren? Eine völlig berechtigte Frage, denn »die altehrwürdige FAZ diesmal daraus machte, ist so weit unterhalb jeglichen journalistischen Standards und des gesunden Menschenverstands«, dass er zur Tatstur greifen musste. Dabei bezieht er sich auf diesen in der Print-Ausgabe am 11.10.2017 veröffentlichten Artikel: „Zusammenspiel aus Gesetzlich und Privat funktioniert“ (S. 23, auf der Titelseite des Finanzteils der Zeitung). Schon die Überschrift verdeutlicht, wohin die Reise geht. Das Zusammenspiel funktioniert. Und der Autor schiebt gleich ein weiteres Diktum hinterher:

»In der Rentendiskussion wollen manche Akteure der Öffentlichkeit weismachen, das bestehende System führe direkt in die Altersarmut. Ein nüchterner Blick auf die Zahlen zeigt hingegen: Für die jüngeren Menschen sinkt das Rentenniveau zwar deutlich, aber durch ihre Ansprüche aus betrieblicher und privater Altersvorsorge können sie das kompensieren.«

Geht doch, so die Botschaft. Norbert Häring ist außer sich, denn über dem Artikel auf der Titelseite des Finanzteils stand nirgendwo „Anzeige“ oder „sponsored by Union Investment“:

»Welcher Journalist, der etwas auf sich hält, macht sich in einem Nachrichtenstück derart offen parteiisch mit der Sache eines gewinnorientierten Marktteilnehmers gemein, übernimmt die Analyse eines Dritten unkritisch und behauptet dann auch noch wider besseres Wissen ausdrücklich, die genannten Zahlen und ihre interessengeleitete Interpretation stellten Tatsachen dar und seien einem „nüchternen“, mithin objektiven Blick entsprungen.«

Und Häring findet mehr in dem Artikel:

„In Kooperation mit Union Investment“ habe Raffelhüschen den Atlas erstellt, lässt die FAZ wissen. Warum dieser vernebelnde Euphemismus für „im Auftrag und bezahlt von …“?

Und zur Weißglut treiben kann einen mit Häring dieses Zitat aus dem Artikel, wo Hans Joachim Reinke, Vorstandsvorsitzender der Union Asset Management Holding, mit den Worten erwähnt wird:

»Wer einen vollständigen Systemwechsel fordere, verkenne die wissenschaftlichen Fakten. Mit Ansprüchen aus der ersten und zweiten Schicht gelinge es nahezu jedem Bundesbürger, den Lebensstandard zu sichern.«

Spätestens hier hätte dem Schreiberling auffallen müssen, dass das nicht einmal die Auftragsstudie selbst behauptet, denn nach den „Berechnungen“ von Raffelhüschen & Co. kann damit »nur jenes  privilegierte Viertel der erwerbstätigen Bevölkerung (rechnen), das neben Ansprüchen aus der gesetzlichen Rente auch noch solche aus Riester Renten und/oder (das wird nicht ganz klar) betrieblicher Altersvorsorge erworben und darüber hinaus noch nennenswert Geld- und Immobilienvermögen angespart haben wird«, so Häring in seiner zutreffenden Kommentierung.

Selbst auf einschlägigen Finanzseiten macht man sich wenigstens lustig über den pseudowissenschaftlichen Kram, der uns da in der FAZ als Wahrheit verkauft wird, so beispielsweise Manfred Gburek in seinem Artikel Das Märchen von der Eier legenden Geld-Wollmilchsau: Es schreibt vom „umtriebigen“ Freiburger Professor Bernd Raffelhüschen, der vom Deutschen Derivate Verband jüngst zum „Popstar“ seines Fachs erklärt worden ist.

»Union Investment, ein Unternehmen der Genossenschaftsinstitute, beauftragt einen Professor, die kommende Rentenlücke in Zahlen zu fassen – und schon ergibt sich bis hinter dem Komma, dass die 20- bis 34-Jährigen im Rentenalter nur über 38,6 Prozent ihres vorherigen Einkommens verfügen werden. Bei so viel Schein-Präzision mag man schmunzeln.«

Man kann das auch gelinde gesagt für Humbug halten, was man den folgenden Aufzählungen entnehmen kann:

»Die Lebenszeit ist längst nicht die einzige Vorsorge-Unbekannte; Versicherungsmathematiker mit ihren Sterbetafeln wissen ein Lied davon zu singen. Hinzu kommen zum Beispiel noch die folgenden eher persönlichen Faktoren: unterschiedliche finanzielle Ausgangsbasis, also Vermögen sowie laufende Einnahmen und Ausgaben, Familienstand und seine Entwicklung im Lauf mehrerer Jahrzehnte, Gesundheit und Krankheiten, Risiken aller Art, speziell Klumpenrisiken mit Immobilien und Kursrisiken mit Aktien oder Anleihen, Gehalt, alternativ Gewinneinkünfte, Steuern, Spar- und Konsumverhalten, Emotionen, Spekulation und nicht zuletzt das Aufschieben von Entscheidungen in Sachen Geld bis zur Ignoranz des Themas Vorsorge.

Zu diesen persönlichen Faktoren gesellen sich externe, wie etwa: Konjunktur, Zinsen, Geldwertschwund, staatliche Misswirtschaft und Verschuldung, Unternehmenspleiten, unzureichender Anlegerschutz, Auf und Ab an den Börsen, unnütze Finanzprodukte und falsche Beratung.

In der Schule haben wir gelernt, dass Gleichungen mit mehreren Unbekannten nur bedingt bis gar nicht lösbar sind. Und ausgerechnet bei den hier aufgeführten, sich im Zeitverlauf immer wieder ändernden Variablen soll das möglich sein? Natürlich ist es nicht möglich.«
Schon damit wäre alles gesagt. Wieder einmal eine Variante der „junk science“, mit der man an vielen Stellen konfrontiert wird.«

Abschließend sei jedem verantwortungsvollen Journalisten empfohlen, beispielsweise nur einen Blick in den Wikipedia-Eintrag den „Renten-Professor“ betreffend zu werfen: Die Nebentätigkeiten Raffelhüschens in der Versicherungswirtschaft haben wiederholt zu Kritik geführt, da er als Wissenschaftler die kapitalgedeckte private Altersvorsorge propagiert. So ist Raffelhüschen Mitglied im Aufsichtsrat der ERGO Versicherungsgruppe sowie der Volksbank Freiburg. Des Weiteren ist er als wissenschaftlicher Berater für die Victoria Versicherung AG in Düsseldorf tätig. Er ist außerdem Mitglied des Vorstands der Stiftung Marktwirtschaft, wo er seit 2006 regelmäßig die Generationenbilanz herausbringt. Darüber hinaus ist er als Botschafter der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft tätig. Raffelhüschen ist Beiratsmitglied der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen. Raffelhüschen betätigt sich auch als Vortragsreisender für die private Versicherungswirtschaft … Seit August 2007 ist Raffelhüschen Mitglied des Kuratoriums der Augustinum Gruppe, welche dem Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche angehört.«

Bereits im Jahr 2011 wurde auf den NachDenkSeiten dieser Bericht veröffentlicht: Ein Abend mit Bernd Raffelhüschen, Versicherungsvertreter mit Professorentitel – leibhaftig und in voller Länge. Alles seit langem bekannt.

Auch und gerade, weil es vor dem Hintergrund des Blog-Beitrags sehr weh tun mag: Hier werden gerne Wetten angenommen, wer Mitglied einer von der Bundeskanzlerin im Wahlprogramm der Union – vor dem Hintergrund der Behauptung, bis 2030 sei mit dem Rentensystem in Deutschland alles in Ordnung – in Aussicht gestellten „Rentenreformkommission“, die sich Gedanken machen soll über die Zeit danach, werden wird. Also Wetten darauf, dass der Name Bernd Raffelhüschen auf der Liste stehen wird, wenn es zu der Kommission kommen sollte. Erfahrungen mit solchen Kommissionen hat er: Von 2002 bis 2003 war er Mitglied der „Rürup-Kommission“ zur Zukunft der sozialen Sicherungssysteme.

Solche und andere Rentner. Zur partikularen Privilegierung der kapitalgedeckten Altersvorsorge in der Grundsicherung und den damit verbundenen offenen Fragen

Nein, es soll hier gar nicht um das in den letzten parlamentarischen Zügen der großen Koalition verabschiedete Betriebsrentenstärkungsgesetz insgesamt gehen – vgl. dazu bereits den Beitrag Die halbierte Betriebsrentenreform, eine „kommunikative Herausforderung“ gegenüber den Arbeitnehmern und das von vielen totgesagte Pferd Riester wird erneut gedopt vom 3. Juni 2017. Und es soll also hier auch gar nicht erneut hervorgehoben werden, dass diese „Reform“ wieder einmal eine ist, die vor allem den Versicherungsunternehmen und den Betrieben hilft, weiterhin „Betriebsrenten“ zu verkaufen, die gar keine sind, weil sie auf dem Weg der Entgeltumwandlung von den Arbeitnehmern selbst finanziert werden (müssen).

Nein, in diesem Beitrag soll es um einen scheinbaren Nebenaspekt der gesetzgeberischen Änderungen gehen, der allerdings bei genauerem Hinschauen einige systematische Grundsatzfragen aufwirft. Denn im Kontext des Betriebsrentenstärkungsgesetzes wurde auch das SGB XII hinsichtlich der Grundsicherung für Ältere geändert. Dazu schreibt Johannes Steffen in seiner Übersicht über das neuen Gesetz: »Bei der Hilfe zum Lebensunterhalt sowie der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ist ein Betrag von 100 Euro monatlich aus einer zusätzlichen Altersvorsorge zuzüglich 30 vom Hundert des diesen Betrag übersteigenden Einkommens aus einer zusätzlichen Altersvorsorge abzusetzen, höchstens jedoch 50 Prozent der Regelbedarfsstufe 1 (2017: 204,50 Euro). Zur zusätzlichen Altersvorsorge rechnen bis zum Lebensende und ohne Kapitalwahlrecht monatlich zu zahlende bAV-, private Riester- oder Rürup-Renten unabhängig von einer etwaigen staatlichen Förderung sowie Rentenbeträge, die aus Zeiten einer freiwilligen Versicherung oder einer Versicherungspflicht auf Antrag in der GRV resultieren.« Alles klar?

Man hat also einen neuen Einkommensfreibetrag in das SGB XII eingeführt. Und der ist wahrlich nicht unproblematisch. Der Grundgedanke ist simpel: Wer über eine betriebliche Altersvorsorge oder privat beispielsweise über eine Riester-Rente vorgesorgt hat, der soll im Alter, wenn die gesetzliche Rente unter dem Grundsicherungsbedarf liegt und bei Inanspruchnahme der Leistungen aus dem SGB XII alle anderen Einkommen angerechnet werden (müssen), dahingehend besser gestellt werden, dass 100 bis derzeit 204,50 Euro aus dieser Quelle nicht angerechnet werden.

Astrid Wallrabenstein hat eine Professur für Öffentliches Recht mit Schwerpunkt Sozialrecht an der Universität Frankfurt am Main und ist Geschäftsführende Direktorin des Instituts für europäische Gesundheitspolitik und Sozialrecht (ineges). Sie hat sich in der Fachzeitschrift „Soziale Sicherheit“ im Heft 4/2017 mit diesem Beitrag zu Wort gemeldet: „Freibeträge für Betriebs- und Riester-Renten bei der Grundsicherung: Ungewollter Einstieg in steuerfinanzierte Grundrente?“
Sie hat bereits im Vorfeld der gesetzgeberischen Absenkung dieser Neuregelung deutlich kritische Worte gefunden:

»Interessant und problematisch ist dabei die Privilegierung bestimmter zusätzlicher Altersvorsorge gegenüber der gesetzlichen Rente. Der Gesetzentwurf erklärt dies damit, dass sich freiwillige Altersvorsorge »in jedem Fall« lohnen soll. Da man zur Altersvorsorge im Rahmen der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) ohnehin verpflichtet sei, bedürfe es bei ihr keines solchen Anreizes. Anders ausgedrückt: Die Vorsorge in der GRV lohnt sich für bestimmte Personen zwar nicht, aber da sie dazu gezwungen sind, ändert die Einsicht in die (subjektive) Sinnlosigkeit nichts und es besteht kein politischer Handlungsbedarf.«

Ihr Hauptargument gegen die Neuregelung entwickelt sie an einem Fallbeispiel:

»Einer folgt der aktuellen gesetzlichen Intention und akzeptiert GRV-Versicherungspflicht. Er verzichtet auf die Möglichkeit, sich gegen die gesetzliche Rente zu entscheiden, und zahlt aus seinem geringen Arbeitslohn seinen Beitrag. Der andere optiert gegen die gesetzliche Rente, behält dadurch etwas mehr vom Lohn und nutzt diesen Spielraum für eine private Riesterrente.

Im Rentenalter steht der zweite Minijobber besser da. Seine private Rente gilt als freiwillig und bleibt daher bei der Grundsicherung (weitgehend) anrechnungsfrei, während der erste angeblich ohnehin sparen musste und daher im Alter nicht mehr als die Grundsicherung verdient … Für beide setzt der Gesetzgeber unterschiedliche Nudges – »Stupser«, die sie nicht zwingen, aber leiten und ihr Verhalten steuern sollen. Der Stupser für die gesetzliche Rente kostet den Staat praktisch nichts, weder in der Ansparphase noch bei der Auszahlung … Die Stupser für die private bzw. über den Betrieb abgewickelte kapitalgedeckte Vorsorge kostet den Staat jahrzehntelange Zuschüsse in der Ansparphase und zusätzlich jahrzehntelange Subventionen in der Auszahlungsphase.«
Darin erkennt Wallrabenstein eine systematisches Problem, das noch eine Menge Ärger bereiten kann – und zwar als verfassungsrechtliches Problem:

»Die Privilegierung des geringfügig Beschäftigten mit Riesterrente gegenüber dem mit gesetzlicher Rente ist eine Ungleichbehandlung, die nach Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz ohne sachlichen Grund verboten ist.«

Und was folgt daraus? »Entweder müssten auch Minijobber mit gesetzlichen Renten Freibeträge in der Grundsicherung erhalten, was weitere Gleichbehandlungsbegehren anderer gesetzlicher Rentner nach sich ziehen würde. Oder das Bundesverfassungsgericht müsste die Privilegierung für verfassungswidrig erklären und dem Gesetzgeber eine gleichheitsgerechte Neuregelung aufgeben. Konsequenterweise müsste der Gesetzgeber deshalb entweder die Privilegierung der Betriebs- und Riesterrenten wieder abschaffen.«

Der Gesetzgeber könnte natürlich auch hingehen und die gesetzliche Rente der Betriebs- und Riesterrente gleichstellen. »Das bedeutet aber nichts anderes als eine (kleine) steuerfinanzierte Grundrente für den ganz überwiegenden Teil der Bevölkerung. Die aktuell geplante Änderung muss daher – gewollt oder nicht – als Einstieg in einen grundlegenden Systemwechsel der Grundsicherung gesehen werden«, so Wallrabenstein in ihrem Artikel.

An dieser Stelle kann und muss dann wieder die Bewertung des Rentenexperten Johannes Steffen herangezogen werden, der schon vor längerem ausgeführt hat:

»Bei der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung handelt es sich um ein subsidiäres Sicherungssystem (Fürsorge), das unabhängig von den Ursachen (Kausalität) einer Notsituation sowie ohne das Erfordernis irgendwelcher Vorleistungen (wie etwa Beitragszahlungen in der Sozialversicherung) Hilfebedürftigkeit im Einzelfall beseitigen will (Finalprinzip). Bevor die Grundsicherung (aufstockende) Leistungen erbringt, kann und muss sie daher im Gegenzug verlangen, dass Hilfesuchende zunächst ihre eigenen Kräfte und Mittel einsetzen, um Hilfebedürftigkeit zu vermeiden, zu vermindern oder zu beseitigen. Dies betrifft bei Älteren und voll Erwerbsgeminderten vor allem den Einsatz grundsätzlich sämtlicher Einkünfte und zumutbar verwertbarer Vermögensteile (Anrechnung). Der voraussetzungslosen Bedarfsdeckung auf der einen Seite entspricht also die Bedürftigkeitsprüfung auf der anderen Seite …

Einkommensfreibeträge in der Fürsorge führen allerdings c. p. zu einem (evtl. deutlichen) Anstieg des leistungsberechtigten Personenkreises, damit zu steigenden öffentlichen Ausgaben und statistisch schließlich auch noch zu einem höheren Ausweis der Grundsicherungsquote …

Davon abgesehen ginge mit einer Privilegierung von Alterseinkommen aus betrieblicher bzw. privater Vorsorge ein tragender Grundsatz der Fürsorge über Bord: Die ausnahmslos final orientierte und von Vorleistungen unabhängige Leistungsbemessung. Ergebnis wäre eine »vorleistungsabhängige Fürsorge«. Mit der Privilegierung ausgewählter, vorleistungsbasierter Einkommen (-steile) in der Grundsicherung käme es wieder – wie in den historischen Anfängen der (staatlichen) Fürsorge – zu einer (sozial- / gesellschaftspolitischen) Unterscheidung zwischen bzw. Separierung in »würdige« und »unwürdige« (Alters-) Arme.«

Die halbierte Betriebsrentenreform, eine „kommunikative Herausforderung“ gegenüber den Arbeitnehmern und das von vielen totgesagte Pferd Riester wird erneut gedopt

Fangen wir mal ganz simpel an: Wenn man die Menschen fragen würde, was denn eine Betriebsrente ist, wie wird wohl die Antwort in den meisten Fällen ausfallen? Na klar, es handelt sich um eine zusätzliche Rente, die der Arbeitnehmer von seinem Betrieb bekommt. Als eine Leistung, die an die Arbeit in dem Unternehmen gebunden ist. Und die vom Arbeitgeber kommt. Der zahlt mir eine Betriebsrente. Soweit die Theorie oder der naive Glaube an die einfachen Zusammenhänge – wobei das durchaus mal so war, früher, wo wahrlich nicht alles besser, manches hingegen einfacher und korrekter war. Die »Betriebsrente hat ein entscheidendes Merkmal: Der Arbeitgeber sagt seinem Arbeitnehmer eine Rente zu und steht dafür gerade, dass sie später fließt.« Das kann man diesem Artikel entnehmen – also doch. Oder? Man muss weiterlesen: »Das heißt aber nicht, dass der Arbeitgeber die Rente auch bezahlt. Neben der arbeitgeberfinanzierten Betriebsrente gibt es arbeitnehmerfinanzierte Spielarten. Durch sogenannte Entgeltumwandlung wird dann ein Teil des Bruttolohns direkt als Beitrag zur Betriebsrente abgezweigt«, steht da. Moment, wird der eine oder andere an dieser Stelle einwenden, das würde ja bedeuten, dass der Arbeitnehmer seine Betriebsrente selbst finanziert, aus seinem eigenen Lohn? Ja, so ist das. 

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Die Rente soll gesamtkonzeptionell verbessert werden. Aber welche Rente? Und der großen Koalition geht die Puste aus beim Anblick der wirklich großen Baustellen im Alterssicherungssystem

Am Abend des 24. November 2016 haben die Spitzen der großen Koalition in Berlin über das für sie angesichts des anstehenden Wahlkampfs sicher mehr als leidige Renten-Thema gekreißt und herausgekommen ist – nicht wirklich überraschend – eine rentenpolitische Maus der Gemeinsamkeiten. Beim abendlichen Treffen wurden Maßnahmen vereinbart, die (noch) umgesetzt werden sollen in der laufenden Legislaturperiode und teilweise schon auf den gesetzgeberischen Weg gebracht worden sind: Zum einen der Ausbau der Betriebsrenten (Sozialpartnermodell und Steuerzuschuss für Geringverdiener, dazu liegt mit dem Betriebsrentenstärkungsgesetz bereits ein Entwurf vor). Es geht um die Stärkung der (hoch umstrittenen) Kapitaldeckung innerhalb des Alterssicherungssystems. Entsprechend soll es auch Anpassungen geben bei der Förderung der Riester-Rente. Hier ist vereinbart worden, im Rahmen des Betriebsrentenstärkungsgesetzes die Grundzulage der Riester-Förderung anzuheben, also die Förderung aus Steuermitteln auszubauen sowie die Doppelverbeitragung bei betrieblichen Riester-Verträgen aufzuheben. Hinzu kommt eine geplante Privilegierung der privaten Altersvorsorge im Sinne der Gewährung von Freibeträgen, falls man auf Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung angewiesen sein sollte. Und sonst? Vereinbart wurde eine Verlängerung der Zurechnungszeit bei Erwerbsminderungsrenten von heute 62 auf 65 Jahre. Und schlussendlich soll es eine Angleichung der Renten in Ost und West geben – in sieben Schritte bis 2025. Das war’s. Und das Rentenniveau? Und die Bekämpfung der Altersarmut?

Durchaus konsequent sind dann solche Schlagzeilen: Arbeitgeber loben Rentenkompromiss: „Es ist bemerkenswert, wie die große Koalition dem Populismus trotzt und versucht, Ruhe in das komplizierte Thema Rente zu bringen“, wird Gesamtmetall-Hauptgeschäftsführer Oliver Zander zitiert. Ausdrücklich begrüßte Gesamtmetall die Pläne zur Stärkung der Betriebsrenten. „Ein konstruktives, gründliches, aber zügiges Gesetzgebungsverfahren ist dabei unser Wunsch.“

Und die Verbesserungen wenigstens für die Erwerbsminderungsrentner? Da muss man dann wieder genauer hinschauen: Sie sollen im Zeitraum zwischen 2018 und 2024 erfolgen. Die bestehenden Abschläge bleiben unverändert. Um das hier in aller Deutlichkeit hervorzuheben: Die geplante Verbesserung bei der Zurechnungszeit im Sinne einer Ausweitung auf 65 Jahre gilt nur für Neuzugänge in die Erwerbsminderungsrente, nicht für die Bestandsfälle, also analog dem Vorgehen bei der letzten Verbesserung 2014: »Weitere Verbesserungen sollen für erwerbsgeminderte Menschen erreicht werden, indem die Zurechnungszeit für Erwerbsminderungsrenten für zukünftige Rentenzugänge um weitere drei Jahre auf das 65. Lebensjahr verlängert wird« (BMAS 2016: 35).

Ein ähnliches Muster bei der Angleichung der Renten in Ost und West. Ministerin Nahles wollte diese ursprünglich in zwei Schritten und schneller erreichen, der nun gefundene Kompromiss aber zieht den Angleichungsprozess wie Kaugummi in die Länge. Die Angleichung soll 2025 erreicht sein und der Prozess dahin – in nunmehr sieben Einzelschritten – soll erst 2018 beginnen. Zeit kaufen, nennt man das dann wohl.

Vor diesem Hintergrund muss man den Auftritt der Bundessozialministerin Andrea Nahles (SPD) vor der Bundespressekonferenz am 25. November 2016 sehen (hier als Video), am Tag nach dem großkoalitionären Abendtermin. Sie hat ihr Gesamtkonzept zur Alterssicherung vorgestellt, wobei das „ihr Konzept“ hervorgehoben werden muss, denn wichtige Bausteine des Konzepts bestehen aus ihren Vorschlägen, die aber gerade nicht konsentiert sind innerhalb der Koalition.
Und man muss dem Konzept der Ministerin eines lassen – es adressiert anders als die sehr klein portionierten Beschlüsse der Koalition eine, wenn nicht die zentrale Frage der rentenpolitischen Diskussion: das Rentenniveau, das sich seit Jahren auf einer Rutschbahn nach unten befindet (vgl. dazu ausführlicher den Beitrag Das große Durcheinander um Rentenniveau, Niveau der Renten, Rente als Wahlkampfthema. Und eine rechnerische Gewissheit mit fatalen Folgen vom 8. Oktober 2016 sowie der Beitrag vom 1. November 2016: Das Rentenreformdiskussionskarussell dreht sich. Die Umrisse der Folgen einer hilflos-konfusen Rentenpolitik werden erkennbar).

Zentraler Baustein des Gesamtkonzepts ist die Konkretisierung dessen, was sie schon seit längerem als „doppelte Haltelinie“ bezeichnet.

  1. Sie schlägt vor, dass das absinkende Rentenniveau stabilisiert werden soll und zwar auf einem Niveau von 46 Prozent. Das wird nach den bisherigen Vorausberechnungen 2026 erreicht. Dann würde es weiter absinken, nach 2030 gibt es sogar keine gesetzliche Sicherung nach unten mehr und es könnte 2045 bei 41,7 Prozent ankommen. Wenn man nicht gegensteuert. Bei der Präsentation der Gesamtkonzeption hat sie – wohl mit Blick auf die Gewerkschaften und andere Kräfte – eine „Ziellinie“ von 48 Prozent beim Rentenniveau genannt (also dem derzeitigen Niveau), die aber eher als „Wunschlinie, an die ich selbst nicht glaube“ rübergekommen ist
  2. Die zweite Haltelinie bezieht sich auf den Beitragssatz, hier plädiert Nahles in ihrem Konzept für eine Begrenzung, die über die bislang schon festgeschriebenen 22 Prozent bis 2030 hinausreicht. Konkret spricht sie von maximal 25 Prozent im Jahr 2045. 

Nun ist allein schon aus logischen Gründen klar, dass es eine solche „doppelte Begrenzung“ (zum einen der mit der Rentenniveauabsenkung verbundenen Rentenkürzungen, wie aber auch der aus den Beiträgen generierten Finanzmittel durch eine Begrenzung des Anstiegs der Beitragssätze) nicht geht, wenn man die notwendigerweise sich öffnende Schere zwischen (geringeren) Einnahmen und (höheren) Ausgaben nicht auf anderem Weg wieder schließen kann.

Genau das soll ein weiterer Baustein ihres Konzepts leisten. Sie schlägt einen steuerfinanzierten „Demografiezuschuss“ vor. Konkret nennt sie ein Volumen von 1,5 Prozent der Rentenausgaben ab 2030 (das wären 4,5 Mrd. Euro), ansteigend auf 2,5 Prozent ab 2040 (7,7, Mrd. Euro).
Fazit: Die für die Zukunft anvisierte Stabilisierung eines weiter absinkenden Rentenniveaus soll dann vor allem aus der Steuerschatulle gestemmt werden, um die Beitragszahler nicht zu stark zu belasten.

Die Kosten für die „doppelte Haltelinie“ würden sich – so die Ministerin – übrigens halbieren, wenn ein weiterer Schritt gemacht wird, der in ihrem Konzept enthalten ist: die Einbeziehung der Selbständigen, die über keine ausreichende Alterssicherung verfügen. Auf der Pressekonferenz nannte die Ministerin hier die Zahl von drei Millionen, die sukzessive unter das Dach der Gesetzlichen Rentenversicherung geholt werden sollen. Die angesprochene Entlastung auf der Kostenseite kommt daher, dass die erst einmal über längere Zeit Einzahler sind, bevor die Inanspruchnahme der Leistungen kommt. Allerdings sind die Zahlen sehr umstritten. Vor kurzem meldete sich das DIW mit einigen Zahlen zu Wort: „Die meisten Selbständigen betreiben Altersvorsorge oder haben Vermögen, aber etwa 700.000 sorgen nicht genügend für das Alter vor“, so ist die Pressemitteilung des DIW überschrieben. »Mehr als die Hälfte der Selbständigen in Deutschland ist nicht bei einer obligatorischen Rentenkasse (gesetzliche Rentenversicherung oder berufsständische Versorgungswerke) versichert. Das bedeutet aber nicht, dass der Großteil finanziell unzureichend auf den Ruhestand vorbereitet ist. Denn mehr als die Hälfte der nicht obligatorisch versicherten Selbständigen hat eine Kapitallebensversicherung oder eine private Rentenversicherung. Vor allem ist aber oft Immobilien- sowie Anlagevermögen vorhanden.« Und weiter erfahren wir: »Insgesamt haben mindestens zwölf Prozent aller Selbständigen noch nicht hinreichend für das Alter vorgesorgt, denn sie Zahlen weder in die gesetzliche Rentenkasse oder in eine private Versicherung ein, noch haben sie ein größeres Vermögen (von 100.000 Euro). Wenn man die Messlatte für das Vermögen auf 250.000 Euro legt, gilt dies sogar für 16 Prozent ­aller Selbständigen, bei den Solo-Selbständigen sind es fast 20 Prozent. Alles in allem sieht DIW-Forscher Karl Brenke bei den Selbständigen nicht die Gefahr einer massenhaften Altersarmut – aber eine beachtliche Minderheit könnte später auf den Bezug der Grundsicherung im Alter angewiesen sein.« Ausführlicher dazu: Karl Brenke (2016): Die allermeisten Selbständigen betreiben Altersvorsorge oder haben Vermögen, in: DIW Wochenbericht Nr. 45/2016).

Apropos Grundsicherung und Altersarmut: Wie sieht es aus bei der ursprünglich im Koalitionsvertrag vereinbarten „solidarischen Lebensleistungsrente“? Die ist offensichtlich mittlerweile beerdigt worden, aber in dem Konzept von Nahles findet sich ein Nachfolger. Sie schlägt eine neue „Gesetzliche Solidarrente“ vor. Was muss man sich darunter vorstellen?

»Handlungsbedarf besteht … in den Fällen, in denen trotz langjähriger Beschäftigung und Zahlung von Rentenversicherungsbeiträgen im Alter Leistungen der Grundsicherung in Anspruch genommen werden müssen. Nach langjähriger Beitragszahlung zu einem obligatorischen Alterssicherungssystem im Alter wirtschaftlich ebenso dazustehen wie ohne diese Beitragszahlung, wird als unangemessen empfunden und unterminiert auf Dauer die Legitimation der gesetzlichen Rentenversicherung. Eine Anhebung des Sicherungsniveaus kann zwar in Einzelfällen dazu führen, Bedürftigkeit für Geringverdiener zu vermeiden. Je geringer die Vorleistung an Beiträgen jedoch ist, umso weniger wirksam ist eine Niveauanhebung gemessen an dem Ziel, für Geringverdiener eine eigenständige Alterssicherung unabhängig von Grundsicherungsleistungen zu erreichen … Mit der Solidarrente soll die Lebensleistung insbesondere von Geringverdienern und Menschen, die Angehörige gepflegt oder Kinder erzogen haben, honoriert werden und ein regelmäßiges Alterseinkommen oberhalb des regionalen Grundsicherungsbedarfs gesichert werden. Dafür soll die aus eigener Beitragszahlung erworbene Rente um einen Zuschlag so erhöht werden, dass der Rentenzahlbetrag 10 % über dem regionalen durchschnittlichen Grundsicherungsbedarf liegt. Die Solidarrente soll dafür als neue Leistung außerhalb des Renten- und Sozialhilferechts angelegt werden. Für die Verwaltung soll auf bestehende Leistungsträger zurückgegriffen werden. Auf diese Weise werden Brüche im bestehenden Versicherungssystem vermieden.« (BMAS 2016: 33 f.)

Wer kann diese Solidarrente nach Nahles bekommen, wenn es sie denn geben würde? Menschen, die einstens 35 Jahre, ab 2023 dann 40 Jahre lang Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt haben. Es soll eine „vereinfachte Einkommensprüfung“ geben, denn grundsätzlich ist Einkommen anzurechnen, aber man will bei dieser neuen Leistung abweichen von dem, was wir aus der bedürftigkeitsabhängigen Grundsicherung nach SGB XII kennen. Offensichtlich soll da ein neues Mischwesen aus „Nicht mehr nur“-Versicherungs- sowie „Auch, aber privilegierter“-Fürsorgeleistung geschaffen werden:

»Das Einkommen von Partnern soll bis zum 1,5-fachen der Pfändungsfreigrenze von der Anrechnung freigestellt werden, dies entspricht rund 1.600 Euro. Anders als bei der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung wird keine Bedürftigkeitsprüfung stattfinden, das heißt Vermögen wird nicht von der Einkommensanrechnung erfasst. Es wird eine vereinfachte Einkommensprüfung erfolgen, die beispielsweise auf der letzten Steuererklärung basiert.

Das anzurechnende Einkommen wird einmalig zu Beginn festgestellt und ist dann für die gesamte Bezugszeit maßgeblich, sofern keine wesentlichen Veränderungen eintreten. Eine regelmäßige und wiederholte Bedürftigkeitsprüfung unter Offenlegung aller Einkommensverhältnisse, wie sie für den Erhalt von Grundsicherungsleistungen erforderlich ist, wird für die Solidarrente nicht notwendig sein.«

Das klingt nicht nur kompliziert, das würde es auch sein, wenngleich die Vereinfachung mit Blick auf das, was heute im Grundsicherungssystem passiert, hervorgehoben wird.

Fazit: Selbst die weit über die vereinbarten rentenpolitischen Maßnahmen für die Restlaufzeit der derzeitigen Bundesregierung hinausreichenden Reformvorschläge von Nahles, die wenigstens das zentrale Problem des Rentenniveaus zum Gegenstand politischen Handelns machen will, bleiben im bestehenden System gefangen, das zum einen durch bewusste politische Entscheidungen in seiner Stabilität schwer erschüttert wurde und weiter wird (was sich nicht nur am absinkenden Rentenniveau festmachen lässt, sondern beispielsweise auch an einer fortschreitenden Verlagerung der Kostenaufteilung weg von der Arbeitgeber- und hin zur Arbeitnehmerseite, man denke hier nur an die private Altersvorsorge, die eben nicht mehr nur einen ergänzenden, rein zusätzlichen Charakter hat, sondern seit den rot-grünen Reformen Anfang des Jahrtausends die Kürzungen im umlagefinanzierten gesetzlichen Versicherungssystem – angeblich – kompensieren soll.) Risiken und Kosten der Alterssicherung wurden zunehmend auf die Privathaushalte verlagert. In dem von interessierter Seite vielgepriesenen „Mehrsäulensystem“ wird es für die Bürger teurer, ein dem Leistungsniveau der GRV vergleichbares Niveau zu finanzieren – vor allem auch für junge Menschen, obgleich angeblich in deren Interesse die Umstrukturierung dringend notwendig war. Darauf weist der ausgewiesene Rentenexperte und frühere Vorsitzende des Sozialbeirats der Bundesregierung, Winfried Schmähl, in seinem Artikel Höchste Zeit für einen Ausstieg aus dem Ausstieg hin, der im „Wirtschaftsdienst“, Heft 10/2016, veröffentlicht worden ist. Er schreibt weiter: »Die Alterssicherungspolitik wurde in eine Sackgasse getrieben. Und wenn es nicht gelingt, eine „Rentenwende“ durchzusetzen, also einen Ausstieg aus dem politisch gewollten Ausstieg aus der lohnbezogenen und leistungsdefinierten GRV, dann wird die GRV zu einem Mindestsicherungssystem, das allenfalls für langjährig Versicherte Altersarmut verhindert, während viele andere auf bedürftigkeitsgeprüfte Transfers angewiesen sein werden.« Auch wenn es viele da oben nicht hören wollen: »So könnte z.B. 2030 ein Durchschnittsverdiener, wenn er mit 67 (!) Jahren „in Rente geht“, nur dann eine GRV-Rente oberhalb der Sozialhilfe bzw. Grundsicherung erreichen, wenn er mehr als 35 Versicherungsjahre – bewertet mit dem Durchschnittsentgelt (d.h. über 35 Entgeltpunkte) – aufzuweisen hat. Liegt das Entgelt bei nur 80% des Durchschnitts, dann sind bereits gut 40 Jahre erforderlich. Auch wenn eine Rente unterhalb des Grundsicherungsniveaus nicht notwendig zu einem Anspruch auf Grundsicherung führt, so ist weithin anerkannt, dass ein Sicherungssystem seine Legitimation verliert, wenn nach so langer Versicherungsdauer die Rente nicht einmal die bedürftigkeitsgeprüfte Grundsicherung erreicht, die ja keine Beitragszahlung voraussetzt.« Insofern ist das Rentenniveau eben von zentraler Bedeutung

Die bestehende erste und mit ganz großem Abstand wichtigste (und übrigens für viele Menschen auch die einzige) Säule der Alterssicherung, die in der Vergangenheit ein absolutes Erfolgsmodell war, wird aber zum anderen auch durch tektonische Verschiebungen bei den unabdingbaren Voraussetzungen für eine erfolgreiche Funktionsfähigkeit des Systems herausgefordert, die sich auf den dem Rentensystem vorgelagerten Bereichen, vor allem dem Arbeitsmarkt, abspielen. Jetzt und vor allem in Zukunft wird sich die massive Abkopplung der Löhne für sehr viele Arbeitnehmer von der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung, gemessen am BIP, negativ auswirken auf die Ansprüche, die sie in der GRV erwirtschaften können. Deshalb wird die Finanzierungsfrage eine ganz entscheidende werden, wenn es einem um ein Alterssicherungssystem geht, in dem nicht Millionen Menschen abgeschnitten werden von der ökonomischen Entwicklung der Gesamtgesellschaft. Man schaue sich nur die wachsende Lücke zwischen der Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts und den Bruttolöhnen und -gehältern an (und selbst von denen wird nur der Teil bis zur Beitragsbemessungsgrenze zur Finanzierung der Rentenversicherung herangezogen). Man kann es drehen und wenden, wie man will – wir brauchen ein Finanzierungssystem, dass auch aus den Quellen gespeist werden muss, die sich bislang der Finanzierung entziehen oder nur anteilig über einen Bundeszuschuss aus Steuermitteln irgendwie beteiligt werden. Außer, man interessiert sich nicht wirklich für die Rutschbahn nach unten in einen mehr als kargen Lebensabend für viele neben den anderen, denen es auch in Zukunft im Alter sehr gut gehen wird, weil sie über mehrere Einkommens- und Vermögensquellen verfügen.