Sichtbare und unsichtbare Hochrisikogruppen der Corona-Pandemie? Eine große offene Frage mit Blick auf die vielen Pflegebedürftigen, die nicht im Heim sind

Der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte es ja bereits angekündigt – am Beginn der nun anlaufenden Impfungen könne es „etwas ruckeln“. In dem vergangenen Tagen konnte man hingegen durchaus den Eindruck bekommen, dass es nicht nur ein wenig ruckelt, sondern dass der Impfkarren gegen die Wand gefahren wurde. Massive Beschwerden nicht nur über ein angebliches Versagen bei der Beschaffung ausreichender Impfstoffmengen oder der mehr als überschaubare Start zahlreicher Impfzentren wurde und wird diskutiert, sondern auch eine – angebliche – Impfzurückhaltung der Pflegekräfte (und der Ärzte) wird mit Inbrunst debattiert, obgleich keine auch nur annähernd repräsentativen Daten vorliegen und man sich vor allem der anekdotischen Evidenz bedient.

Und selbst hier wird die Hierarchie der Gesundheitsberufe reproduziert: »Die Impfkampagne gegen das Coronavirus in Deutschland läuft derzeit nur schleppend an. Ausgerechnet Heim- und Klinikmitarbeiter halten sich bisher zurück. Zum Teil geben Kliniken die Dosen sogar zurück«, so beginnt beispielsweise dieser Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: Warum so viele Pflegekräfte die Impfungen scheuen. Es ist auffällig, dass schon im Titel nur von den Pflegekräften die Rede ist. Was ist mit den Ärzten? Auch aus diesem Lager wird immer wieder von einer gewissen Impfzurückhaltung gesprochen?

mehr

Nicht nur die Pflegeheime stecken im Niemandsland fest, zwischen den Fronten in Zeiten von Corona. Und immer wieder die Frage: Wer hat die Verantwortung für ein Leben zwischen Leben und Sterben?

Es ist im November 2020 zweifelsohne nicht mehr so, dass man sagen kann, wir sind alle völlig überraschend erwischt worden von dem, was als Corona-Krise über uns gekommen ist. Denn zum Jahresende 2020 sind wir bereits in der zweiten Welle und die erste hat uns einiges gelehrt – oder sagen wir besser, man hätte eine Menge lernen und ableiten können aus dem, was da passiert ist. Beispielsweise in den Pflegeheimen. Dort hatte das Virus bereits im Frühjahr seine Schneisen des Sterbens geschlagen und die vielen Menschen, die in den Einrichtungen arbeiten, haben unter oftmals völlig desaströsen Rahmenbedingungen versucht, den Laden irgendwie am Laufen zu halten und sich um die ihnen anvertrauten Menschen so gut es ging zu kümmern. Um das an dieser Stelle deutlich zu sagen: Wir können denjenigen, die in der ersten Welle die Stellung gehalten haben, nicht oft genug danken für ihren Einsatz. Und das gilt nicht nur für die Pflegeheime, sondern selbstverständlich und mehr als auch für die ambulanten Pflegedienste, deren Mitarbeiter tagein tagaus zahlreiche hilfebedürftige Menschen in ihren eigenen vier Wänden versorgen.

Und bereits in der ersten Welle haben wir die Erfahrung machen müssen, dass es eine Hierarchie der Aufmerksamkeit gibt. Während sich damals viele Berichte auf die Krankenhäuser bezogen (das müssen wir derzeit erneut beobachten und dann noch mit einem besonderen Fokus auf die Lage der Intensivstationen), sicherlich auch durch die Bilder aus Bergamo und anderen Orten des Schreckens bedingt, wurden die Heime und Pflegedienste wenn, dann nur anlassbezogen in das Scheinwerferlicht gezogen. Ansonsten waren sie am Ende auch der politischen Aufmerksamkeit. In diesem damaligen Umfeld ist dann beispielsweise der Beitrag Aus den Untiefen der Verletzlichsten und zugleich weitgehend Schutzlos-Gelassenen: Pflegeheime und ambulante Pflegedienste inmitten der Coronavirus-Krise entstanden, der hier am 29. März 2020 veröffentlicht wurde. Darin wurde darauf hingewiesen, dass die Pflegeheime und die Pflegedienste hinsichtlich der Versorgung mit Schutzkleidung am Ende der Nahrungskette standen. Dass es gerade hier, wo mit den verletzlichsten Menschen gearbeitet wird, erhebliche Probleme gab, überhaupt irgendwelche Masken zu bekommen, geschweige denn weiterführendes Material.

mehr

Neue Zahlen über den mittleren Verdienst eines Teils der Pflegekräfte in den Krankenhäusern, Pflegeheimen und ambulanten Pflegediensten

»Der Pflegebranche fehlen akut Fachkräfte. In der aktuellen Corona-Krise könnte sich die Lage noch einmal deutlich verschärfen. Als eine Ursache für den Fachkräftemangel werden u. a. zu niedrige Gehälter angeführt. Seit dem Jahr 2012 sind die Entgelte in der Krankenpflege im Großen und Ganzen entsprechend der allgemeinen Lohnentwicklung gestiegen, in der Altenpflege waren die Steigerungen überdurchschnittlich.« Mit diesen Worten beginnt die zusammenfassende Darstellung einer neuen Auswertung der Lohneinkommen von Pflegekräften, die vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit (BA) auf der Grundlage der Beschäftigtenstatistik veröffentlicht wurde:

➔ Jeanette Carstensen, Holger Seibert und Doris Wiethölter (2020): Aktuelle Daten und Indikatoren: Entgelte von Pflegekräften, Nürnberg: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), 4. November 2020

mehr