Aus den Untiefen der Verletzlichsten und zugleich weitgehend Schutzlos-Gelassenen: Pflegeheime und ambulante Pflegedienste inmitten der Coronavirus-Krise

Es sind für uns alle außergewöhnliche und sicher auch überfordernde Zeiten. Aber zugleich werden in diesen Tagen trotz oder vielleicht wegen des allgemeinen Durcheinanders immer wieder auch die Spaltungslinien unserer Gesellschaft schmerzhaft und zuweilen schrill sichtbar. Wenn man denn hinschaut.

Da wird in den Medien an vielen Stellen nach einigen wenigen Tagen Beschränkungen, die sicher unangenehm, aber zugleich weitaus weniger heftig sind als die Ausgangsverbote in Italien oder Frankreich, darüber diskutiert, wie lange man das noch „durchhalten“ könne und dass man nun aber bald wieder zur Normalität zurückkehren müsse. Und viele andere Berichte ventilieren die Befindlichkeiten derjenigen, die nun mehr Zeit zu Hause verbringen müssen, wobei dann meistens gerade nicht beengte, überfüllte Wohnungen ohne Balkon oder gar Terrasse mit Garten gezeigt werden, wo Eltern mit mehreren kleinen Kindern die Zeit verbringen müssen.

Und auch mit Blick auf die Gesundheitseinrichtungen geht es landauf und landab um die Situation in den Krankenhäusern und vor allem um die Intensivstationen. Dabei leben wir derzeit (noch) in einer Zwischenwelt, denn viele der frei gemachten und zusätzlich errichteten Intensivbetten sind gar nicht belegt, weil man sich auf die große Welle an behandlungsbedürftigen Patienten vorbereitet, die da kommen kann bzw. soll. Das ist alles gut und wir können dankbar sein, dass wir noch Zeit bekommen haben, uns vorzubereiten.

Aber nun wird immer deutlicher und schmerzhafter erkennbar, dass Einrichtungen und Dienste für die verletzlichsten „Risikogruppen“ in diesen Tagen der tödlichen Bedrohung durch das Coronavirus offen wie ein Scheunentor gegenüberstehen: die ambulanten Pflegedienste und die Pflegeheime.

Stündlich kommen nun solche Schreckensmeldungen herein: Im Würzburger Seniorenheim St. Nikolaus ist ein 13. Bewohner nach einer Infektion mit dem neuen Coronavirus gestorben, so der unfassbare (vorläufige) Stand am 29. März 2020. Inzwischen sind alle 161 meist hochbetagten und teils demenzkranken Bewohner sowie alle Mitarbeiter der Einrichtung auf das Coronavirus getestet worden; 44 Bewohner und 32 Mitarbeiter waren positiv. Und dann im Laufe des heutigen Tages auch das noch: Ein weiteres Seniorenheim in Würzburg ist vom neuartigen Coronavirus betroffen. Ein positiv auf Sars-CoV-2 getesteter Bewohner einer AWO-Einrichtung sei gestorben.

Und von Bayern nach Sachsen-Anhalt: In einem Altenpflegeheim in Halle sind 13 Bewohner positiv auf das neuartige Coronavirus getestet worden, ein Bewohner ist am Sonntag gestorben. Die Bewohner hätten keine Symptome gehabt und seien getestet worden, weil am Samstag bei einer Pflegekraft das Virus nachgewiesen worden sei, so diese Meldung. In der Diakonie-Einrichtung seien derzeit 152 Bewohner untergebracht.

Und weiter nach Niedersachsen: Zwölf Corona-Tote in Wolfsburger Pflegeheim, meldet der NDR: »Das Hanns-Lilje-Heim in Wolfsburg: Etwa 165 vorwiegend Demenzkranke leben dort – 72 von ihnen haben sich mit dem Coronavirus infiziert. Mittlerweile sind zwölf Menschen gestorben.« Und man wird von den Schreckensmeldungen in Schach gehalten. Nur kurze Zeit später meldet der NDR: »Im Wolfsburger Hanns-Lilje-Heim sind drei weitere Menschen in Folge einer Coronavirus-Infektion gestorben. Das teilte die Stadt Wolfsburg am Sonntag mit. Damit sind innerhalb von knapp einer Woche 15 Menschen in dem Alters- und Pflegeheim nach einer Infektion mit dem Virus gestorben« (vgl. Wolfsburg: Corona fordert drei weitere Todesopfer). Und nun im Laufe des Tages auch das noch: Das Klinikum Wolfsburg nimmt aufgrund von Corona-Infektionsfällen unter den Mitarbeitern keine neuen Patienten mehr auf. Diese werden auf umliegende Krankenhäuser verteilt, wie die Stadt am Sonntagabend mitteilte. Zudem seien ab sofort keine Besuche mehr erlaubt.

Und wir bleiben in Niedersachsen: »In einem Altenheim in Wildeshausen (Landkreis Oldenburg) sind 23 Bewohner und 18 Mitarbeiter mit dem Coronavirus infiziert. Das ist fast die Hälfte aller Personen in der Einrichtung«, muss man diesem Artikel entnehmen: Mehr als 40 Corona-Fälle in Wildeshauser Altenheim. Und auch das liefert uns der Beitrag: »Die infizierten Bewohner bleiben den Angaben zufolge für die nächsten 14 Tage in ihren Zimmern und werden dort von positiv getesteten Mitarbeitern, die weiter arbeitsfähig sind, versorgt . Für das infizierte Personal gibt es eine Ausnahmegenehmigung zur Quarantäne während der Arbeitszeit in dem Seniorenheim.« Der Geschäftsführer des Heims wird mit diesem Hinweis zitiert: »Er beklagte, dass das Heim wochenlang Probleme gehabt habe, an Masken und Schutzkleidung zu kommen. Jetzt sei aber alles vorhanden.«

Und und und. Man könnte die Liste mit vielen weiteren Meldungen verlängern. »In Wolfsburg trifft das Coronavirus die Schwächsten der Schwachen – in einem Heim, in dem viele alte und demente Menschen leben. Und die Hiobsbotschaften häufen sich. In immer mehr Altenheimen in Deutschland gibt es Corona-Infektionen und Tote. Die Pflegeverbände warnen vor einem Flächenbrand«, so dieser Artikel: Altenheime als tickende Zeitbomben in Corona-Krise. »Die rasante Ausbreitung des Corona-Virus bringt immer mehr Menschen in deutschen Pflege- und Altenheimen in Lebensgefahr … Seit Wochen warnen Patientenschützer und Pflegeverbände, dass die Politik sich zwar intensiv um Krankenhäuser und Medizin kümmere, die besonders gefährdeten alten und pflegebedürftigen Menschen in Heimen und häuslicher Pflege und ihre 600.000 Pflegekräfte aber allein lasse. Allein in den 11.700 vollstationären Pflegeheimen werden über 800.000 Pflegebedürftige betreut.«

„Dort, wo potenzielle Krankenhausfälle verhindert werden können – in der ambulanten und stationären Langzeitpflege – lässt man die Pflegenden allein und ohne ausreichende Schutzausstattung“, kritisierte etwa der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) bereits in der vergangenen Woche. „Der Schwerpunkt des Nachschubs für Schutzausrüstung lag offenbar bisher bei den Krankenhäusern und Arztpraxen.“ Wobei auch von dort massiv Materialmangel beklagt wird, dann kann man sich vorstellen, um wie viel schlimmer es in der Altenpflege bestellt sein muss. Und das, obgleich seit Beginn der Corona-Krise gebetsmühlenhaft darauf hingewiesen wird, dass besonders die alten, hochaltrigen Menschen extrem gefährdet sind durch das Virus. Vor diesem Hintergrund wurden dann ja auch schweren Herzens in den Pflegeeinrichtungen landauf landab Besuchsverbote ausgesprochen. Viele der oftmals schwer beeinträchtigten Bewohner belastet das plötzliche Wegbleiben der Angehörigen, das sie nicht verstehen können, enorm. Die sowieso schon in der Regel heillos überlasteten Pflegekräfte bekommen dadurch noch zusätzliche, schier unlösbare Aufgaben bei der Sorgearbeit, die sie verrichten.

Eugen Brysch, der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, wird von der Katholischen Nachrichtenagentur mit diesen Worten zitiert: Es fehle an Atemschutzmasken, Desinfektionsmittel und Schutzkleidung. „Doch nichts geschieht, um diese Misere schnell zu beseitigen.“ Insofern seien Pflegeheime derzeit „ein hochgefährlicher Ort“ für Mitarbeiter und Bewohner.

Die Schutzkleidung für das Personal ist Mangelware, sie fehlt am „unteren“ Ende der Sorgekette besonders und wird Gegenstand übler Geschäftemacherei. Verschärft wird das dann durch fehlende Koordinierung seitens des Staates

Das trifft nun auf eine sowieso schon mehr als angespannte Mangellage, die noch verschärft wird durch eine üble Geschäftemacherei: »Im Zuge der Corona-Krise versuchen offenbar zunehmend Firmen, die Not von Kliniken auszunutzen, an Schutzkleidung zu kommen. WDR, NDR und SZ zeigen, wie vor allem mit Atemschutzmasken versucht wird, Geschäfte zu machen«, so dieser Artikel von Lena Kampf et al.: „Jeder versucht, sich zu bereichern“: »Auf dem Markt der medizinischen Schutzausrüstung herrscht Chaos. Seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie versucht das Personal in Heilberufen verzweifelt, Atemschutzmasken und Kittel zu besorgen, die benötigt werden, damit sich Mitarbeiter und Patienten bei der Behandlung vor einer Ansteckung mit dem SARS-CoV-2 Virus schützen. Doch der Preis ist in die Höhe geschnellt, bereits bestellte Ware wird nicht geliefert, das verfügbare Material ist häufig mangelhaft, neue – oft unseriöse – Anbieter versuchen, von der Krise zu profitieren.«

»Obwohl in China, wo der Großteil der Ausrüstung hergestellt wird, die Produktion wieder angelaufen ist und sogar gesteigert wurde, ist die Versorgungslage in Deutschland dramatisch: Manchen Krankenhäusern geht bereits die Ausrüstung aus, Pflegedienste und Arztpraxen fürchten, ihre Patienten nicht mehr behandeln zu können und ebenfalls in Krankenhäuser überweisen zu müssen. In vielen Einrichtungen näht das medizinische Personal die Atemschutzmasken bereits selbst.«

Es ist wirklich dramatisch: »Überall wird die fehlende Koordinierung der Landes- und Bundesregierungen kritisiert. „Es ist Wildwest. Jeder versucht jetzt, sich zu bereichern, die Not der Krankenhäuser auszunutzen“, sagt Olaf Berse, Geschäftsführer von Clinicpartner, einer bundesweiten Einkaufsgemeinschaft für Krankenhäuser, Alten- und Pflegeeinrichtungen. Die Angebote seien zum Teil regelrecht kriminell. Filter sind nicht funktionsfähig, die Zertifikate gefälscht. Dies gefährde Patienten und Personal, die glauben, geschützt zu sein, obwohl sie es eigentlich nicht sind, sagt Berse.«

Innerhalb weniger Tage kletterte damit der Einkaufspreis von FFP2-Atemschutzmasken um 3.000 Prozent – von 0,45 Euro auf 13,52 Euro. Vor allem die Logistik aus China ist ein Problem. Der Transport ist im Zuge der Pandemie fast zum Erliegen gekommen. Außerdem ist die Versorgungslage in anderen Ländern zum Teil noch verheerender, beispielsweise in Spanien oder den USA. Sie alle konkurrieren um die Schutzausrüstung.

»Auch Michael Dischinger, Leiter des Einkaufes am St.-Antonius-Hospital in Eschweiler, erhält rund 50 Angebote pro Tag, darunter einige, auf denen die chinesischen Produktionsstätten geschwärzt und damit nicht überprüfbar sind. Zertifikate sind aus dem Internet kopiert. Lediglich einmal habe er ein Muster erhalten, die Maske hatte aber nicht einmal einen Herkunftsstempel. „Das war eine bessere Kaffeefiltertüte mit zwei Gummibändern“.«

➔ Was tun? Auch dazu finden wir in dem Artikel von Kampf et al. einige Hinweise: »Einkäufer fordern … die Bereitstellung von Bundeswehrflugzeugen, um große Mengen Schutzausrüstung kurzfristig aus China zu transportieren.« Die Bundesregierung reagiert: »Jetzt stellt die Regierung drei Milliarden Euro zusätzlich für Schutzkleidung, Beatmungsgeräte und anderes mehr bereit. Um die Beschaffung zu beschleunigen, hat Spahn ein sogenanntes Open-House-Verfahren für Masken und Kittel gestartet. Der Staat soll zentral und zu festen Preisen ankaufen – sofern ein Hersteller mindestens 25.000 Masken oder Kittel liefern und einen Mindeststandard garantieren könne. Verteilt werden soll das Material dann über die Bundesländer und die Kassenärztlichen Vereinigungen. Doch Open-House-Modelle funktionieren eigentlich nur, wenn der Markt funktioniert, das heißt, wenn Angebot und Nachfrage in einer Balance sind. Wenn die Nachfrage – wie derzeit – viel höher ist als das Angebot, hat ein Anbieter eigentlich keinen Grund auf die niedrigeren Open-House-Preise einzugehen, solange er seine Ware an anderer Stelle für ein Vielfaches loswerden kann.« Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach fordert, dass der Bund auch die Produktion zentral steuern muss, über eine Bundesagentur, die Firmen in Deutschland beauftragt. Aus seiner Sicht könnten so in wenigen Monaten etwa ausreichend Atemschutzmasken hergestellt werden, ohne auf Lieferungen aus dem Ausland angewiesen zu sein.

Und was machen wir mit den Pflegeheimen und den ambulanten Pflegediensten, die offensichtlich „am Ende der Nahrungskette“ stehen, obgleich hier die größten Gefahren und tatsächlichen Fälle mit tödlichem Ausgang lauern?

Dazu wird Eugen Brysch, der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, so zitiert: »Wichtig sind aus Sicht der Patientenschützer auch vermehrte Tests. Beim Auftreten von grippeähnlichen Symptomen eines Bewohners oder einer Pflegekraft müssten sofort alle im Heim getestet werden. Wird das Corona-Virus nachgewiesen, müsse das Gesundheitsamt mit der Heimaufsicht das medizinische Management übernehmen. Notwendig sei eine Taskforce aus Krankenhausärzten und niedergelassenen Medizinern vor Ort. „Es kann nicht sein, dass in einer solchen Situation jeder Pflegebedürftige von seinem eigenen Hausarzt betreut wird. Da ist Chaos programmiert“, erklärte Brysch.«

Aber: »Fraglich bleibt aber, ob etwa Pflegeheime überhaupt über Räume verfügen, um Erkrankte zu isolieren, ob sie Schutzkleidung erhalten und ob sie Arbeitskräfte finden, die erkranktes Personal ersetzen können. Die Märkte sind leergefegt.«

Und auch die ambulanten Pflegedienste mit ihren vielfältigen Kontakten zu den in eigener Häuslichkeit lebenden Pflegebedürftigen dürfen auf keinen Fall vergessen werden, denn wenn deren Beschäftigte selbst krankheitsbedingt ausfallen, dann ist Land unter in der Versorgung, die schon vor der Corona-Krise angespannt und teilweise überfordert war. Gerade die Pflegekräfte, die jeden Tag von einem zum anderen Patienten hetzen müssen, sollten unbedingt schnell und umfassend mit Schutzkleidung ausgestattet werden – die aber laut vielen Berichten nicht einmal für die intensivmedizinischen Abteilungen der Kliniken überall in ausreichender Zahl vorhanden bzw. beschaffbar ist.

Da muss einem mehr als mulmig werden, alle Alarmlampen müssen grell leuchten. Wichtig ist, dass man das nicht einfach laufen lässt. Die Gesundheitsämter und die Heimaufsicht müssen tatsächlich bereits in jedem Verdachtsfall, geschweige denn bei einem Ausbruch der Krankheit, das Management übernehmen und damit auch einen Teil der Verantwortung. Man muss hier fokussiert und ohne jede Budgetbegrenzung arbeiten können, um einen Flächenbrand zu verhindern bzw. zu begrenzen.

Bei den Politikern auf höchster Ebene muss man da wohl noch mehr Druck machen. Stellvertretend auch für die Hilflosigkeit ist ein Interview mit dem Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) in der Sendung des heute journal (ZDF) am 29.03.2029: „Fast die Hälfte der Intensivbetten ist frei“: »Wie ist die Corona-Lage in deutschen Krankenhäusern? Wann könnte Schluss mit den Einschränkungen sein?« So die Fragestellungen des Interviews. Aber am Ende des Gesprächs kommt Claus Kleber auf die dramatischen Meldungen aus den Pflegeheimen des Landes zu sprechen und befragt den Minister, was man da gemacht werden soll. Die Antworten: Man sei – „auch persönlich“ – sehr „betroffen“ und die Ereignisse zeigen, dass „Konzepte wichtig seien“. Und alle, die gefährdet sind (wozu auch und gerade die Altenheimbewohner gehören), bedürfen unserer „besonderen Aufmerksamkeit“. Darauf Kleber zusammenfassend: Also „keine praktische Hilfe für die Altenheime“, die man der Antwort des Ministers entnehmen kann.

Und nicht vergessen werden sollte eine Debatte, die enorme Auswirkungen auf ältere Menschen wie auch auf die Pflegekräfte hat und viele Ängste entfalten kann und wird. Gemeint ist zum einen die seit einigen Tagen vermehr um sich greifende „Selektionsdebatte“, bei der behauptet oder gar gefordert wird, dass man die alten Menschen „opfern“ müsse, damit die anderen weniger gefährdeten Menschen nicht in den ökonomischen Tod stürzt. In „milderen“ Varianten wird dann eine Isolation, eine Absonderung der alten Menschen diskutiert, die sich über Monate hinziehen werde. Und nicht nur für die Betroffenen älteren Menschen, sondern für uns alle dramatisch sind dann Berichte aus Italien, aber auch Frankreich, dass (angeblich) über 80-Jährige nicht mehr beatmet werden, man sie also sterben lasse. Auf viele Resonanz im Netz ist beispielsweise dieser Artikel des Tagesspiegel am Beispiel der eskalierenden Situation in Straßburg gestoßen: Deutsche Katastrophenärzte verfassen Alarmbericht über Straßburg: »Infizierte Mediziner arbeiten weiter mit Coronavirus-Patienten, über 80-Jährige werden nicht mehr beatmet, die Gefahr „medizinischer Kollateralschäden“: Mitarbeiter des Deutschen Instituts für Katastrophenmedizin (DIFKM) haben nach einem Besuch in der Universitätsklinik von Straßburg einen alarmierenden Bericht für das Innenministerium Baden-Württembergs über die Lage in dem französischen Coronavirus-Epizentrum verfasst.« Von französischer Seite wurde die dann von vielen Medien aufgegriffene Behauptung, dass über 80-Jährige „wegen ihres Alters“ nicht mehr beatmet werden, zurückgewiesen. Das sei so nicht korrekt, vgl. dazu auch den Artikel Verwirrung um Triage-Verfahren an Universitäts-Klinik in Straßburg. Die Universitätsklinik wird dort mit den Worten zitiert, »dass das Alter nicht das einzige Kriterium für Intensivmaßnahmen sei. Die an der Universitätsklinik geltenden Praktiken entsprächen den Empfehlungen der gängigen Fachgesellschaften.«
Die Fachgesellschaften haben sich auch in Deutschland zu Wort gemeldet. COVID-19: „Wir entscheiden nicht nach Alter!“ – Intensiv- und Notfallmediziner legen klinisch-ethische Entscheidungs-Empfehlungen vor, so ist die Pressemitteilung der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) überschrieben, die mit sechs weiteren Fachgesellschaften die klinisch-ethischen Empfehlungen Entscheidungen über die Zuteilung von Ressourcen in der Notfall- und der Intensivmedizin im Kontext der COVID-19-Pandemie veröffentlicht haben. Eine ganz wichtige Botschaft ist den Fachgesellschaften diese: »Kriterium ist die klinische Erfolgsaussicht – nicht das Alter!« Aber dennoch bleibt bei vielen alten Menschen der Eindruck, die Stimmen und konkreten Forderungen, sie zu selektieren und ihnen den Zugang zu einer bestimmten Behandlung zu verweigern, nehmen zu. Und dass die sich am Ende, wenn sich die ökonomischen Folgeprobleme der Pandemie zuspitzen, auch durchsetzen werden.

Die Pflegekräfte hingegen bekommen im wahrsten Sinne des Wortes die Botschaft mit auf den Weg gegeben, dass sie durchhalten sollen, bis zum Ende. Dass sie anders behandelt werden als „normale“ Menschen, wenn die infiziert sind. So wurde bereits am 23. März 2020 berichtet: RKI lockert Quarantäne-Emp­fehlungen für medizinisches Personal: »Das Robert-Koch-Institut hat seine Empfehlungen für COVID-19-Kontaktpersonen unter medizinischem Personal an Situationen mit relevantem Personalmangel angepasst.« Man kann auch sagen: Man kapituliert ein Stück weit vor dem Personalmangel, der sich durch die normalen Quarantäne-Vorschriften noch potenzieren würde. „Medizinisches Personal muss künftig nach engem ungeschützten Kontakt zu COVID-19-Erkrankten nicht mehr so lange in Quarantäne und darf bei dringendem Bedarf in Klinik oder Praxis arbeiten, solange keine Symptome auftreten“, so wird RKI-Präsident Lothar Wieler in dem Artikel zitiert. Diese Botschaft haben übrigens die Pflegekräfte in den von Todesfällen betroffenen Pflegeheimen, die am Anfang dieses Beitrags exemplarisch beschrieben wurden, auch bekommen, so in Niedersachsen, wo die Ministerin ausgeführt hat, die infizierten Pflegekräfte sollten mit den Infizierten Bewohnern auf einer separaten Station arbeiten. Man sollte die Signalwirkung der Verunsicherung und Beunruhigung bei den betroffenen Pflegekräften (und denen, die sich das „anziehen“), nicht unterschätzen. Und man sollte durchaus nachdenklich die Selbstverständlichkeit zur Kenntnis nehmen, mit der hier auf eine Aufopferungsbereitschaft der Pflegekräfte gesetzt wird.