Wenn „Dialoger“ um Mitglieder für das Gemeinwohl werben und sich dabei in sittenwidrigen Vergütungsmodellen verfangen

Es gibt zahlreiche Verbände, die sich das Gemeinwohl auf die Fahnen geschrieben haben – und die für die Umsetzung ihrer Ziele vor allem Mitglieder brauchen. Besonders gebraucht werden zahlende Mitglieder neben denen, die ehrenamtlich der eigenen Organisation ihre Zeit und ihr Engagement zur Verfügung stellen. Vor diesem Hintergrund ist es durchaus verständlich, dass diese Organisationen immer wieder auf die Suche gehen müssen nach neuen Mitgliedern, um die eigene Existenz sichern zu können. Zuweilen – denn das ist heutzutage ein mehr als mühsames Unterfangen – werden dann auch professionelle Agenturen beauftragt, sich dieser Aufgabe zu widmen und effektiver und effizienter als mit Bordmitteln möglich den auftraggebenden Organisationen die neuen Ressourcen zuzuführen. Verständlicherweise wollen die Agenturen dafür bezahlt werden, denn sie machen das ja nicht für Gottes Lohn. Und die, mit denen sie das dann umsetzen, die wollen und sollen natürlich auch bezahlt werden. Und bei denen fängt das Problem an.

Werber für DRK und BUND arbeiten oft für Hungerlöhne, so die prägnante Überschrift eines Artikels von Hannes Koch. Und er berichtet von Dingen, die hinter denen, die an vielen Haustüren klingeln (müssen), ablaufen und die so gar nicht zu dem passen, wofür sie da werben.
Koch berichtet beispielhaft von einem Berliner Schüler, der sich auf eine Anzeige gemeldet hat, die attraktive Arbeitsbedingungen versprach, unter anderem eine „Vergütung von etwa 2000 Euro pro Monat plus Prämien“. Mehrere Wochen sollte er Mitglieder werben für den Umweltverband BUND. Konkret: »Die Tätigkeit bestand darin, von Haustür zu Haustür zu gehen, zu klingeln, vielleicht 100 Gespräche am Tag zu führen und auf diese Art zahlende Unterstützer für den Umweltverband zu gewinnen.« Solche Leute nennt man heute „Dialoger“.

Das Ergebnis allerdings war ernüchternd: »Als Entlohnung für zwölf Arbeitstage mit jeweils neun Stunden im Spätsommer  2013 habe er unter dem Strich 201,20 Euro erhalten, erklärt er unserer Redaktion. Umgerechnet ergibt dies einen Stundenlohn von rund zwei Euro.«

Screenshot des „Sozialökonomischen Impulszentrentrums“
von „holub.stein.partner“: www.hsp-werbung.com (27.04.2014)

Der zum „Dialoger“ mutierte Berliner Schüler war unterwegs im Auftrag der Agentur Holub, Steiner und Partner GmbH. Der Zweig des Unternehmens, der professionelles Fundraising für Non-Profit-Unternehmen anbietet (und sich selbst mit dem Phantasienamen „Sozialökonomisches Impulzentrum“ tituliert), firmiert in Herbolzheim.

Dieses Unternehmen betreibt Werbung für den BUND, das Deutsche Rote Kreuz, den Malteser Hilfsdienst und andere Organisationen. Die Rubrik „Referenzen“ auf der Webseite des Unternehmens – auf der man mit Fotos von Werbeaktionen für das DRK wie auch den BUND für sich selbst zu werben versucht – ist (mittlerweile?) allerdings leer.

Zurück zu dem Berliner Schüler, der behauptet, 201,20 Euro für zwölf Arbeitstage erhalten zu haben. Dem widerspricht das Unternehmen, denn nach dessen Angaben »betrug der „Verdienst“ des Schülers allerdings 496,87 Euro. Davon seien jedoch 246,30 Euro für Kosten abgezogen worden, die die Firma ausgelegt habe. Außerdem habe die Agentur eine „Stornorücklage“ einbehalten, die erst 2015 an den Schüler ausgezahlt werde, falls die von ihm geworbenen BUND-Mitglieder weiterhin Beiträge entrichten.« So kann man das dann eindampfen.

Bei der Bezahlung setzt die Agentur auf ein Provisionsmodell. In der ersten Woche werden die „Kosten für Quartier, Benzin und Auto“ übernommen. „Ab der zweiten Woche arbeitet der Dialoger auf reiner Erfolgsbasis“, so wird der Geschäftsführer Horst Holub in dem Artikel von Hannes Koch zitiert. Und weiter erfahren wir von Holub zu dem hier wirkenden Geschäftsmodell:
Weil die Werber als Selbstständige tätig seien, „müssen sie natürlich ab der zweiten Arbeitswoche ihre Wohnung, anteilige Benzinkosten und so weiter selber bezahlen. Und dass die Kosten für die eigene Verpflegung von Anfang an selbst getragen werden, ist selbstverständlich.“

Die Logik des Provisionsmodells einer fast vollständigen Risikoverlagerung auf die Dialoger an der Front lässt sich so ausdrücken: »Wer, wie der Berliner Schüler, wenige Neumitglieder für den BUND wirbt, verdient sehr wenig.« Und dann kann man ja immer behaupten, dass es aber andere geben soll, die angeblich ganz viel Geld verdienen. Weil sie eben besser sind.

Nun ist es so, dass Arbeitsgerichte Verträge, die eine ausschließlich provisionsorientierte Bezahlung festlegen, oftmals für unwirksam erklären. Weil die Arbeitnehmer das vollständige Risiko der Tätigkeit trügen, würden solche Arbeitsverhältnisse als sittenwidrig nach Paragraph 138 des Bürgerlichen Gesetzbuches eingestuft. In dem Artikel wird ein Arbeitsrechtler zitiert mit der Aussage: „In der Regel gilt, dass höchstens ein Viertel des Entgelts erfolgsabhängig gezahlt werden darf.“
Der BUND arbeitet bereits seit Mitte der 1990er Jahre mit der Agentur zusammen und deren Vergütungsmodell gilt auch für die Werber, die für andere Organisationen unterwegs sind, also auch für das DRK.

Der DRK-Bundesverband ist Mitglied im Spendensiegel des Deutschen Zentralinstituts für soziale Fragen, einem Ethikkodex für wohltätige Organisationen. In dessen Leitfaden steht, dass „eine ausschließlich erfolgsabhängige Vergütung“ untersagt ist. „Der erfolgsabhängige Anteil beträgt höchstens 50 Prozent der jeweiligen Vergütung.“

Das ist natürlich ein gewisser Widerspruch zu der Bezahlungspraxis für die Dialoger der Agentur, die im Auftrag des DRK unterwegs sind. Wie kann das zusammen gehen?

»DRK-Sprecher Dieter Schütz: Nicht der Bundesverband betreibe die Mitgliederwerbung, „sondern die rechtlich völlig selbstständigen 500 Kreisverbände des DRK“. Das Rote Kreuz wisse jedoch, dass „Verbesserungsbedarf“ bestehe. Deswegen laufe ein „verbandlicher Abstimmungsprozess“.«

Ach ja, der immer wiederkehrende Spagat zwischen gut Reden und schlecht Handeln. Nun muss aber abschließend – und die Verantwortung der auftraggebenden Organisationen sogar noch zuspitzend – darauf hingewiesen werden, dass es nicht nur eine Drückerkolonnen-Welt bei der Werbung um neue Mitglieder für die vielen guten Sachen gibt, sondern andere Organisationen gehen offensichtlich anders damit um, was dann auch wieder Hoffnung macht, die anderen als das zu markieren, was sie sind: schwarze Schafe:

»Dialoger, die für Greenpeace arbeiten, bekommen beispielsweise einen Grundlohn von 8,50 Euro pro Stunde unabhängig von ihrem Werbeerfolg. Diese Vereinbarung gilt laut den Arbeitsverträgen zunächst für eine Probezeit von einem halben Jahr. Bei der Organisation Foodwatch erhalten Unterschriftensammler derzeit mindestens acht Euro pro Stunde, 8,50 Euro ab Mai 2014.« Geht doch.

Schon mal was von „Nullstundenverträgen“ gehört? Oder von philippinischen Lkw-Fahrern, die es in Deutschland für 628 Euro machen (müssen) – pro Monat natürlich?

Wieder einmal muss aus den Kelleretagen der – eigentlich gar nicht so – neuen Arbeitswelt berichtet werden.
Behandeln wir zuerst die „Nullstundenverträge“, ein derzeit in Großbritannien um sich greifendes Übel auf dem Arbeitsmarkt. Über eine starke Zunahme von Nullstundenverträgen in Großbritannien berichtet Florian Röter in seinem Artikel. Es ist für so manchen Arbeitgeber das Trauminstrument der Ausbeutung, für die Betroffenen sicherlich ein echter Albtraum. Wenn man die folgende Beschreibung liest, dann kann einem schlecht werden angesichts der Perfidie, die in diesem Instrumentarium steckt:

»Vereinbart wird bei Nullstundenverträgen der Stundenlohn, der Arbeitnehmer steht auf Abruf bereit, erhält aber keine Garantie, dass er überhaupt arbeiten darf und etwas verdient. Der Arbeitgeber sichert sich ab, flexibel ist nur der virtuelle Arbeitnehmer, der auf Arbeit und Entgelt hoffen muss und während der vereinbarten Zeiten, womöglich den ganzen Tag, zur Verfügung steht. Auch wenn die Abrufarbeitnehmer kein geregeltes oder gar kein Einkommen haben, so fallen sie für die Regierung praktischerweise doch aus der Arbeitslosenstatistik heraus, schließlich besitzen sie ja einen Arbeitsvertrag.« 

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Immer diese Studien. Jetzt werden die Akademiker durch die mediale Niedriglohndebatte gezogen. Dabei ist die Neuigkeit ein alter, trotzdem bemerkenswerter Anteil

Seit Jahren wird in der Arbeitsmarktdebatte immer wieder das Stichwort „Niedriglohnbeschäftigung“ aufgerufen. Naturgemäß gehen die Vorstellungen darüber, ab wann ein „Niedriglohn“ beginnt – oder eben nicht – sehr weit auseinander. Was für die einen viel ist, mag für die anderen sehr wenig sein. Offensichtlich handelt es sich um ein letztendlich nur durch Festlegung auflösbares Dilemma. Eine solche gibt es auf der EU-Ebene und die verwendet man auch in der Arbeitsmarktforschung: Die „Niedriglohnschwelle“ ist definiert als zwei Drittel des mittleren Stundenlohns (Median), wobei die Betonung auf Median und nicht dem arithmetischen Mittel liegt, das wir ansonsten oftmals bei der Durchschnittsbildung verwenden. Es handelt sich also – wie auch die Schwellenwerte in der Armutsforschung – um ein relatives Konzept. Die Armut im (relativ) reichen Deutschland ist eben eine andere als im (nicht nur relativ) armen Rumänien. Und so ist das auch mit dem Niedriglohn. Wer nun genauer wissen möchte, wie es um die Niedriglohnbeschäftigung bestellt ist in unserem Land, der kann und muss schon seit Jahren zu den jährlich wiederkehrenden Berechnungen des Instituts für Arbeit und Qualifikation (IAQ) greifen, die das routiniert haben. Deren Zahlen werden dann immer wieder zitiert, wenn es um das Thema Niedriglöhne geht. Und auch jetzt wieder bezieht man sich auf das IAQ und mit einem lauten Echo wird die Message durch die Medien getrieben: „Hunderttausende Akademiker arbeiten für Niedriglöhne„, meldet die Süddeutsche Zeitung, sekundiert von Spiegel Online „Neue Studie: Hunderttausende Akademiker arbeiten zu Niedriglöhnen“ und die Frankfurter Rundschau spricht gar von „Lohndumping nach der Universität„. Die Ursprungsmeldung wurde übrigens von der Online-Ausgabe der WELT in die Welt gesetzt. Was ist passiert? Ein Generalangriff auf die akademischen Schichten? Schauen wir genauer hin.

Die absolute Kurzfassung lautet: „Mehr als 600.000 Akademiker bekamen 2012 Niedriglöhne gezahlt. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Studie. Besonders Frauen seien betroffen“, so die Süddeutsche Zeitung. Fast jeder zehnte Akademiker habe 2012 weniger als 9,30 Euro in der Stunde bekommen – da haben wir sie also, die „Niedriglohnschwelle“. Wer darunter verdient ist ein Niedriglöhner. Und weiter erfahren wir: 8,6 Prozent der Arbeitnehmer mit Hochschulabschluss seien 2012 davon betroffen gewesen, in absoluten Zahlen waren das etwa 688.000 Menschen. Eine veritable Großstadt sozusagen. Und dann kommt eine wichtige Information:

„Es gibt seit Jahren eine konstante Gruppe von akademisch ausgebildeten Arbeitnehmern, die zu geringen Löhnen arbeiten“, wird die IAQ-Expertin Claudia Weinkopf in dem Spiegel Online-Artikel zitiert. Die Zahl schwanke seit Jahren grob zwischen sieben und fast zwölf Prozent. Da haben wir wieder das IAQ als Referenzpunkt – neben dem Hinweis, dass es sich hinsichtlich des Anteils eben nicht um eine Neuigkeit handelt, sondern um einen bereits seit Jahren beobachteten Anteilswert innerhalb der von Niedriglöhnen betroffenen Grundgesamtheit.

Datenquelle sind die Berechnungen des IAQ, die seit Jahren regelmäßig vom Institut als „IAQ-Report“ veröffentlicht werden. Der bislang letzte, im Netz verfügbare Bericht stammt aus dem Juni 2013 und bezieht sich hinsichtlich der dort ausgewiesenen Werte noch auf das Jahr 2011:

Thorsten Kalina und Claudia Weinkopf: Niedriglohnbeschäftigung 2011 (= IAQ-Report 2013-01), Duisburg 2013

Dort findet man – wie angemerkt bezogen auf das Jahr 2011 – in der Zusammenfassung die folgenden Informationen:

Im Jahr 2011 arbeiteten 23,9% aller abhängig Beschäftigten in Deutschland für einen Niedriglohn von unter 9,14 € (bundesweite Niedriglohnschwelle). Die Zahl der Niedriglohnbeschäftigten betrug im Jahr 2011 knapp 8,1 Millionen. Die durchschnittlichen Stundenlöhne im Niedriglohnsektor lagen auch im Jahr 2011 mit 6,46 € in West- und 6,21 € in Ostdeutschland weit unter der Niedriglohnschwelle. Nach Qualifikation differenziert ist das Niedriglohnrisiko zwischen 2001 und 2011 am stärksten für Beschäftigte mit abgeschlossener Berufsausbildung gestiegen und nach Arbeitszeitform für Vollzeitbeschäftigte. Mehr als jede/r fünfte Beschäftigte hätte bei Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 € pro Stunde Anspruch auf eine Lohnerhöhung.

Hinsichtlich der Datenbasis für diese Aussagen kann man den Berichten auch entnehmen, dass sich die Forscher des IAQ auf der Basis des sozio-ökonomischen Panels (SOEP) bewegen. Das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) ist eine repräsentative Wiederholungsbefragung, die bereits seit 30 Jahren läuft. Im Auftrag des DIW Berlin werden jedes Jahr in Deutschland über 20.000 Personen aus rund 11.000 Haushalten von TNS Infratest Sozialforschung befragt. Die Daten geben Auskunft zu Fragen über Einkommen, Erwerbstätigkeit, Bildung oder Gesundheit.

Wie immer im statistischen Leben spielt die Abgrenzung der Grundgesamtheit eine Rolle. Im Bericht für das Jahr 2011 schreibt das IAQ: »In früheren Analysen hatten wir auch Schüler/innen, Studierende und Rentner/innen ausgeschlossen mit der Begründung, dass diese typischerweise nur einen Nebenjob ausüben.« Mit Blick auf die aktuelle Mindestlohndebatte hatte man die aber im 2013 erstellten Report wieder aufgenommen. Sie merken an: »Ohne diese Gruppen lag die Niedriglohnschwelle mit 9,23 € pro Stunde etwas höher und der Niedriglohnteil betrug 24,6%.«

Das IAQ macht regelmäßig auch Aussagen zur Niedriglohnbeschäftigung nach Qualifikationsstufen.
Das für die allgemeine Niedriglohndebatte in Deutschland interessanteste Ergebnis hinsichtlich der Qualifikationsebenen findet sich in diesem Zitat: »Insgesamt bleibt es bei dem Befund, dass Niedriglöhne in Deutschland keineswegs überwiegend gering Qualifizierte oder Jüngere betreffen. Vielmehr ist die große Mehrheit der Niedriglohnbeschäftigten formal qualifiziert und stammt aus den mittleren Altersgruppen. Im Niedriglohnsektor werden auch keineswegs ausschließlich „einfache“ Tätigkeiten geleistet. Die im SOEP gestellte Frage, ob für die Ausübung der eigenen Tätigkeit eine Berufsausbildung oder eine höherwertige Ausbildung erforderlich ist, bejahten im Jahr 2011 mit 48,5% knapp die Hälfte aller Niedriglohnbeschäftigten.«

Und – das zeigt die Abbildung mit den Anteilswerten – auch Menschen mit einem Hochschulabschluss sind unter den Niedriglohnbeschäftigten vertreten.

Das bedeutet aber nicht – wie man aus der Titelei beispielsweise der Frankfurter Rundschau ableiten könnte – Lohndumping nach der Universität, denn das wissen wir schlichtweg nicht. Das könnte man nur dann behaupten, wenn man wüsste, wo und wie die Arbeitnehmer/innen mit Hochschulabschluss eingesetzt werden. Wenn aber – zugespitzt formuliert – alle in den Daten ausgewiesenen Hochschulabsolventen als Döner-Verkäufer, Putzhilfen oder Taxifahrer arbeiten würden, dann wären diese Beschäftigungen eine Erklärung für ihren Niedriglohnstatus. Anders würde sich der Fall darstellen, wenn die Hochschulabsolventen tatsächlich ausbildungsadäquat eingesetzt werden und dennoch weniger als die 9,30 Euro in der Stunde bekommen würden.

Diese Unterscheidung ist generell von Bedeutung, denn die aktuellen Irritationen, die von den hier zitierten Zahlen zu den Akademikern und ihrer Betroffenheit von Niedriglohnbeschäftigung über die Medienberichterstattung ausgelöst werden, resultieren aus der nicht passungsfähigen Verknüpfung von Akademiker und Niedriglohn in der Wahrnehmung vieler Beobachter (was aber auch gar nicht gegeben sein muss, wenn man wüsste, um welche Beschäftigungsfelder es sich handelt). Die gleiche Problematik haben wir bei der immer wieder gerne zitierten Statistik, dass die Betroffenheit von Arbeitslosigkeit bei den Akademikern am niedrigsten sei.

Quelle: Weber, B. und Weber, E. (2013): Bildung ist der beste Schutz
vor Arbeitslosigkeit (= IAB-Kurzbericht 4/2013), Nürnberg, Abb. 1, S. 2

Die Abbildung aus der Veröffentlichung von Weber, B. und Weber, E. (2013): Bildung ist der beste Schutz vor Arbeitslosigkeit (= IAB-Kurzbericht 4/2013) verdeutlicht diese gerne rezipierte Sichtweise – und die Unterschiede sind ja auch gewaltig: Während bei denjenigen, die über keinen Berufsabschluss verfügen, die Arbeitslosenquote bei fast 20% lag, also jeder vierte aus dieser Gruppe von registrierter Arbeitslosigkeit betroffen war, belief sich für das hier ausgewiesene Jahr 2011 die Quote bei den Akademikern lediglich auf 2,4%. Ein Vielfaches weniger als bei den Geringqualifizierten. Aber eines beantwortet diese beeindruckende Zahl von nur 2,4% offizieller Arbeitslosenquote unter den Akademikern natürlich nicht: Was machen die statt der Arbeitslosigkeit? Also wenn sie arbeiten – wo und wie arbeiten sie? Ausbildungsadäquat? Oder in einem ganz anderem Bereich, der nichts mit ihrem Studium zu tun hat? Darüber können wir schlichtweg nichts sagen. Das wäre aber schon von Bedeutung – beispielsweise auch im Kontext der allgemeinen Akademisierungsdebatte.

Also bleiben wir bei dem, was wir wissen: Auch ein Studium kann vor einer Niedriglohnbetroffenheit nicht vollständig schützen. Desweiteren sehen wir auch hier ein Abbild der geschlechtsbezogenen Spaltung des Arbeitsmarktes, denn: Den IAQ-Zahlen zufolge ist unter Akademikerinnen das Risiko, zu Niedriglöhnen zu arbeiten, fast doppelt so hoch wie unter Männern: Während 11,4 Prozent der Frauen mit Hochschulabschluss auf dem Niedriglohnsektor arbeiten, sind es bei den Männern nur 6,1 Prozent.

Und abschließend ein zweiter Aspekt, der zum Nachdenken Anlass geben sollte:

»Die Zahl der arbeitslosen Akademiker erhöhte sich 2013 im Jahresdurchschnitt gegenüber dem Vorjahr um 21.400 auf 191.100 Menschen … Dies sei ein Anstieg um 13 Prozent. Grund sei unter anderem die deutlich gestiegene Absolventenzahl.«