Den Rettungsdienst im Vergabedschungel verheddern. Das Problem einer elementaren Daseinsvorsorge zwischen Vergabelogik und kommunalen Entscheidungsdilemmata

Früher waren so einige Dinge einfacher organisiert (was nicht automatisch bedeuten muss: besser). Beispielsweise der Rettungsdienst. Der wurde in den großen Städten irgendwann mal professionalisiert und in die Hände der sowieso vorzuhaltenden Berufsfeuerwehr gelegt, in vielen anderen Kommunen hat man das an die delegiert, die sich das zu ihrem Anliegen gemacht hatten, also beispielsweise dem Deutschen Roten Kreuz, der Johanniter Unfallhilfe oder dem Arbeiter Samariter Bund. Diese gemeinnützig agierenden Organisationen hatten und haben zudem den Vorteil, dass sie auf einen nicht unerheblichen Stamm an ehrenamtlichen Mitarbeitern zurückgreifen können, was wiederum die Kosten für die öffentliche Hand reduziert. Zugleich waren und sind diese Organisationen auch eingebunden in den Katastrophen- bzw. Zivilschutz, den man für den Fall der Fälle vorhalten muss.

Doch die Zeiten haben sich geändert und die Krankentransport- und Rettungsdienste haben sich zwischenzeitlich ausdifferenziert zu dem, was Betriebswirte ein lukratives „Geschäftsmodell“ nennen. Was natürlich auch damit zu tun hat, dass man diese Dienstleistungen über einen großen Player des Sozialstaats abwickeln kann, also der Krankenversicherung.

Und seit den 1990er Jahren wird immer mehr auf Markt und Wettbewerb gesetzt, um darüber effizientere Lösungen zu finden. Um das hier vorweg zu sagen: Das muss nicht (immer) des Teufels sein. Es kann tatsächlich überaus bereichernd und hilfreich sein, wenn man gewachsene Strukturen über Konkurrenz und Alternativen aufbrechen kann – bei bestimmten Angelegenheiten hingegen kann das „in the long run“ überaus heftige Kollateralschäden verursachen, weil gewachsene und stabile Strukturen eben auch Vorteile haben können. Es kommt eben darauf an.

Auch für den in der wirklichen Organisationswirklichkeit überaus heterogenen, weil auf der Länderebene operierenden Rettungsdienst hat das Regime von Ausschreibungen und Vergabeverfahren Einzug gehalten – also eigentlich, unter bestimmten Voraussetzungen, bei anderen nicht. Man ahnt schon, jetzt muss es kompliziert werden.

Ohne den geneigten Leser an dieser Stelle zu überfordern (und zugleich die eingeweihten Juristen um Verzeihung für die Grobschlächtigkeit der Darstellung bittend) muss man darauf hinweisen, dass wir es mit Blick auf den Rettungsdienst mit einer diffizilen Angelegenheit zum tun haben. 70 Prozent findet unter dem Dach des „öffentlichen Rettungsdienstes“ statt und bei 30 Prozent handelt es sich um Genehmigungen nach dem jeweiligen Landesrecht.

Die öffentlichen Träger der elementaren Daseinsvorsorgeaufgabe Rettungsdienst arbeiten nun oftmals so, dass Leistungserbringer wie das DRK, die Johanniter oder der ASB beauftragt werden mit der Durchführung der „Dienstleistung“.

Dabei unterscheidet man zwischen dem Submissionsmodell, bei dem das Entgelt direkt vom Leistungsträger (also dem Landkreis oder der kreisfreien Stadt) gezahlt wird und das dem EU-Vergaberecht unterliegt – und auf der anderen Seite dem Konzessionsmodell, bei dem die Leistungserbringer mit den Sozialversicherungsträgern Vereinbarungen schließen, das nicht über Vergabe laufen muss, weil es sich um Dienstleistungskonzessionen handelt, das sich aber sehr wohl an europäisches Primärrecht halten muss.

Aber auch das europäische Primärrecht, das Preisrecht und das Haushaltsrecht ohnehin, verlangt grundsätzlich, dass öffentliche Aufträge im Wettbewerb vergeben werden, da im Wettbewerb der Marktpreis ermittelt und der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit gewährleistet wird.

Nun gibt es wie immer im Leben eine Ausnahme: »Seit dem 18. April 2016 gilt in Deutschland ein umfassend novelliertes Vergaberecht, von dem auch der Rettungsdienst betroffen ist. Die auf EU-Ebene definierte, sogenannte „Bereichsausnahme“ wurde in das überarbeitete Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) aufgenommen … Das neue Vergaberecht enthält in § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB eine Ausnahmevorschrift: die sogenannte Bereichsausnahme für den Rettungsdienst. Danach besteht in sehr engen Grenzen die Möglichkeit, das Vergaberecht bei der Vergabe von Rettungsdienstleistungen nicht anzuwenden.«

Das hört sich doch nach einem Schlupfloch an, um den Anforderungen und den nicht selten hoch problematischen Ergebnissen von Vergabeverfahren, in denen am Ende der „billigste“ Anbieter zum Zuge kommt, zu entkommen. Schauen wir also genauer hin, wie das in diesem Beitrag gleistet wurde: Trotz Bereichsausnahme: Rettungsdienst unterliegt weiterhin dem Vergaberecht:

»Das neue Vergaberecht enthält in § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB eine Ausnahmevorschrift: die sogenannte Bereichsausnahme für den Rettungsdienst. Danach besteht in sehr engen Grenzen die Möglichkeit, das Vergaberecht bei der Vergabe von Rettungsdienstleistungen nicht anzuwenden. Aus dieser Ausnahmevorschrift ergibt sich jedoch gerade keine generelle Erlaubnis, Leistungen des alltäglichen Rettungsdienstes direkt, also ohne ein vorheriges wettbewerbliches Verfahren, zu vergeben.«

Wie das nun wieder? Zur Erklärung muss man sich den zitierten § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB genauer anschauen. Dort steht hinsichtlich der Bereiche, bei denen eine Nicht-Anwendbarkeit des Vergaberechts zulässig sei, der Punkt

»4. zu Dienstleistungen des Katastrophenschutzes, des Zivilschutzes und der Gefahrenabwehr, die von gemeinnützigen Organisationen oder Vereinigungen erbracht werden … mit Ausnahme des Einsatzes von Krankenwagen zur Patientenbeförderung fallen; gemeinnützige Organisationen oder Vereinigungen im Sinne dieser Nummer sind insbesondere die Hilfsorganisationen, die nach Bundes- oder Landesrecht als Zivil- und Katastrophenschutzorganisationen anerkannt sind.«

Fazit: § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB gestattet zwar eine Direktvergabe an gemeinnützige Organisationen oder Vereinigungen – jedoch nur für Rettungsdienstleistungen, die im Rahmen des Katastrophenschutzes, des Zivilschutzes oder der Gefahrenabwehr erbracht werden, d. h. gerade nicht für Leistungen des alltäglichen Rettungsdienstes.

Konsequenz aus dieser Rechtslage: »Städte und Kreise müssen daher klar abgrenzen, ob die von ihnen zu vergebenden Leistungen wirklich unter die neue Bereichsausnahme für Rettungsdienste des Katastrophenschutzes etc. fallen, sonst drohen juristische Folgen. Bei Vergaben im Rahmen der Bereichsausnahme besteht aktuell ein erhöhtes Klagerisiko nicht berücksichtigter Organisationen / Leistungserbringer. Die Durchführung eines Wetbewerbs erscheint daher auch in Zukunft die sicherste Form, um Leistungen des Rettungsdienstes zu vergeben.«

Bereits im vergangenen Jahr, als das neue Vergaberecht im GWB normiert wurde, gab es mit Blick auf den Rettungsdienst Kritik an der angeblich zu weit greifenden Umsetzung dessen, was seitens der EU als Ausnahmeregelung gedacht war – u.a. von dem privaten Rettungsdienstanbieter Falck, der gleich noch eine besondere Rolle spielen wird: Falck spricht im Zusammenhang mit der angeblich deutlich erweiterten Fassung der Ausnahmeregelung von einem deutschen „Sonderweg“, der bei Auftraggebern und Leistungserbringern zu Rechtsunsicherheit führen könne, kann man diesem Artikel entnehmen: Vergaberecht: Falck sieht sich benachteiligt. Nach Auffassung des Unternehmens dient die Ausnahmeregelung seitens der EU dem Ziel, Aufträge des Katastrophenschutzes, Zivilschutzes und der Gefahrenabwehr von diesen Vergaberichtlinien auszunehmen. Absicht der EU war es, damit gemeinnützige Organisationen von wettbewerblichen Verfahren auszunehmen.

»Gemeinnützig wird in diesem Zusammenhang als rein ehrenamtlich tätige Organisation definiert. Nach Ansicht von Falck ist das der Grund, weshalb die Ausnahme für die im deutschen Rettungsdienst mitwirkenden Hilfsorganisationen nicht angewendet werden kann: Sie würden den Rettungsdienst nahezu vollständig mit hauptamtlichen Kräften sicherstellen. Gleichwohl habe Deutschland die Ausnahmeregelung übernommen und deutlich erweitert. Im GWB würden solche Organisationen als gemeinnützig gesehen, die im Katastrophenschutz mitwirkten. Namentlich würden der ASB, die DLRG, das DRK sowie die Johanniter und Malteser aufgeführt. Die „Benennung konkreter Leistungserbringer ist aus juristischer Sicht schon deshalb einzigartig, da ein Vergabegesetz Neutralität und Gleichbehandlung sicherstellen soll“, kritisiert Falck. „Die Aufzählung von Dienstleistern verstößt eindeutig hiergegen.“«

Falck erinnerte daran, dass man zwar die „Bereichsausnahme“ wählen kann, aber ein »transparentes, nicht diskriminierendes Vergabeverfahren sei nach wie vor erforderlich. Im Falle einer Direktvergabe würden dem Auftraggeber unter anderem Schadensersatzforderungen drohen.«

Das war die allgemeine Vorarbeit für den nun folgenden Blick auf einen konkreten Fall.

»Die Dänen kommen, und Bonn wehrt sich: Die Expansion des Falck-Konzerns im deutschen Rettungsdienst hat einen juristischen Konflikt mit der Bundesstadt ausgelöst, der in dieser Woche heftig eskaliert ist – mit unabsehbaren Folgen für Notfallpatienten«, berichtet Andreas Baumann in seinem Artikel Falck-Konzern blockiert Ausschreibung: Vergabe-Krise beim Rettungsdienst in Bonn. Hier werden wir Zeugen, wie man sich in den Untiefen des Vergaberechts und der damit verbundenen Rechtsprechung auf kommunaler Ebene verheddern kann – und das in einem Bereich, in dem es unumstritten um elementare Daseinsvorsorge geht.

Mit Blick auf Bonn muss man wissen: Die Verträge mit dem Deutschen Roten Kreuz (DRK), den Maltesern, den Johannitern und dem Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) laufen zum Jahresende aus. Bisher stellen die vier Hilfsorganisationen den Großteil der Rettungsteams in Bonn. Und die Neuvergabe ist durch den Streit mit Falck blockiert.


Zur Organisation des Rettungsdienstes in der Stadt Bonn:
»Laut Rettungsdienstbedarfsplan werden in Bonn in unterschiedlichen Schichtsystemen 17 Rettungswagen vorgehalten, die alle der Stadt gehören. Fünf besetzt die Berufsfeuerwehr mit eigenem Personal, wovon drei nur in Spitzenlastzeiten eingesetzt werden. Die anderen Teams kommen von externen „Leistungserbringern“ – bisher die vier Hilfsorganisationen. Bei der Entscheidung der Leitstelle, welcher Wagen alarmiert wird, spielt die Herkunft des Einsatzpersonals keine Rolle. Die Fahrzeuge für normale Krankentransporte stellen die Leistungserbringer selbst.
Die Kosten für den Rettungsdienst holt sich die Stadt von den Krankenkassen zurück, mit denen sie gerade über den Entwurf der Gebührensatzung verhandelt.« 


Wie konnte es zu der Situation kommen? Am Anfang stand und steht der Wille des Stadtrates, dass auch in Zukunft der Rettungsdienst mit den vier genannten gemeinnützigen Anbietern durchgeführt werden soll.
»Deshalb schrieb die Stadt die vier Lose für die Feuerwachen Bonn, Beuel, Godesberg und Hardtberg (jeweils Rettungsdienst und Krankentransporte) zum 1. Januar 2018 nicht europaweit aus, sondern pochte auf die sogenannte Bereichsausnahme.«

Da ist sie also wieder, die Ausnahmeregelung von den vergaberechtlichen Bestimmungen, die wir hier schon skizziert haben. Und wo deutlich geworden ist, dass die eher sehr restriktiv auszulegen ist. Und mit den Folgen wird die Stadt Bonn jetzt konfrontiert.

Denn der private, gewinnorientierte Anbieter Falck wehrt sich gegen diese Herausnehme aus dem normalen wettbewerblichen Verfahren. Und der Konflikt mit der Stadt Bonn steht nicht singulär im Raum. Falck hat einen Streitfall mit Solingen bis vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH) getrieben, der noch nicht entschieden hat.

Die 1906 in Dänemark gegründete Aktiengesellschaft ist nach eigenen Angaben seit 2010 mit Tochterfirmen in Deutschland aktiv und hat rund 2.500 Mitarbeiter an 65 Standorten in acht Bundesländern. Seit Anfang 2010 gibt es in Deutschland die Falck Rettungsdienst GmbH mit Sitz in Hamburg. 2012 stellt einen wichtigen Einschnitt dar, denn die Falck Rettungsdienst GmbH nimmt erfolgreich an Ausschreibungen teil, u.a. im Landkreis Spree-Neiße (Brandenburg). Erstmals in der deutschen Rettungsdienstgeschichte übernimmt ein Unternehmen exklusiv den kompletten Rettungsdienst in einem ganzen Landkreis. 2013 schließen sich Falck, die G.A.R.D.-Gruppe und promedica mit den diversen Tochterunternehmen zur Falck-Unternehmensgruppe zusammen. Das mit Abstand größte, privatwirtschaftliche Rettungsdienstunternehmen in Deutschland entsteht.

In Dänemark selbst, dem Stammland des mittlerweile international agierenden Konzerns, wo die Falck-Gruppe beim Rettungsdienst mal einen Anteil von über 80 Prozent hatte, musste das Unternehmen selbst auch Erfahrungen machen mit den Folgen von Ausschreibungen und Vergabeverfahren. Im November 2011 wird gemeldet: Niederländer verdrängen Falck aus Süd-Dänemark: »Die niederländische BIOS-Gruppe mit Sitz in Rotterdam hat den Zuschlag der dänischen Region Syddanmark erhalten, in den nächsten zehn Jahren den Rettungsdienst durchzuführen. Damit haben sich die Niederländer in einer Ausschreibung gegen das dänische Unternehmen Falck durchgesetzt.« Das Falck-Angebot für Syddanmark soll das niederländische Unternehmen angeblich um zehn Prozent unterboten und dadurch den Zuschlag bekommen haben.
Aber man sollte solche Geschichten auch immer weiter erzählen. Denn im April 2016 bekommt das hier serviert: Dänemark: Falck-Konkurrent BIOS droht Konventionalstrafe. Dazu auch dieser Artikel: Rettungsdienst-Chaos in Süd-Dänemark: Bios spricht von „höherer Gewalt“. Was ist da los? »Seit 1. September 2015 sollen die Rettungswagen des niederländischen Unternehmens Bios Ambulance Service die lebenswichtigen Ambulanzdienste in Süddänemark sichern. Doch bis heute kann der Dienstleister seine vertraglich vereinbarten Verpflichtungen nicht erfüllen. Selbst hohe Geldprämien konnten nicht die erforderliche Anzahl an Mitarbeitern anlocken … Das Problem der Unterversorgung liege am Mangel an Fachkräften, die die Region nicht geliefert habe, sagt der Konzern – und plädiert angesichts eines anstehenden Millionen-Bußgeldes auf höhere Gewalt.«

Nun kann man das als Ausflüchte eines unter Druck befindlichen Unternehmens abhaken. Aber:

Die dänische »Konkurrenz- und Verbraucherbehörde (hat) Indizien dafür gefunden, dass der vorherige Betreiber Falck – der bei der Ausschreibung 2014 vom Billig-Anbieter Bios ausgestochen worden war – durch seine marktbeherrschende Stellung unreguläre Marktbarrieren aufgebaut habe.

Falck soll demnach seine in weiten Teilen Dänemarks monopolartige Stellung (über 85 Prozent Marktanteil) im Ambulanzbereich zu wettbewerbsverzerrenden Machtspielen ausgenutzt haben. Bios‘ Anwerbung von neuen Rettungskräften soll behindert worden sein, zum Teil mit gestreuten Gerüchten über die Arbeitsbedingungen … Überdies sollen mehr Rettungskräfte angeworben worden sein, als eigentlich benötigt wurden, um den Konkurrenten zu schwächen.« Fast wie aus einem Lehrbuch der praxisorientierten Volkswirtschaftslehre.

Ganz schön harter Stoff und unabhängig von den jeweiligen Sachverhalten kann man strukturell erkennen, dass das System aus Ausschreibungen und Vergaben und die damit immer einhergehenden rechtlichen Möglichkeiten, gegen Entscheidungen vorzugehen, bringen eine Menge Unsicherheit und Instabilität mit sich – und das in einem Feld wie dem so elementar wichtigen Rettungsdienst.

Das können und müssen wir jetzt auch in Bonn zur Kenntnis nehmen. Dem Artikel Falck-Konzern blockiert Ausschreibung: Vergabe-Krise beim Rettungsdienst in Bonn können wir weiter entnehmen:
»Falck will auch in Bonn mitmischen und schaltete deshalb die Vergabekammer Rheinland in Köln ein. Die legte das Verfahren im August auf Eis, bis der Europäische Gerichtshof entschieden hat – was ein bis zwei Jahre dauern kann. Den Antrag der Stadt, das Zuschlagsverbot für die Hilfsorganisationen aufzuheben, schmetterten die Wettbewerbswächter im September ab. Die Vergabekammer wies darauf hin, dass Bonn den Rettungsdienst für eine Übergangszeit bis zum EuGH-Beschluss ausschreiben könnte, so wie es andere Kommunen getan haben. Eine solche Interimsvergabe muss aber auch Falck offen stehen.«

Andere Städte sind – teilweise nach schmerzhaften Erfahrungen mit der Rechtsprechung – so vorgegangen, beispielsweise die Stadt Köln. Dort man es zunächst ebenfalls mit der Bereichsausnahme versucht, mittlerweile ist der Konzern deshalb seit Oktober in den Rettungsdienst eingebunden. Auch hier ein mit Bonn in vielem vergleichbarer Ausgangspunkt – mit einem anderen Ergebnis, worüber dieser Artikel aus dem Januar 2017 berichtet: Streit um Kölner Rettungsdienst-Ausschreibung entschieden. 51 Prozent des Rettungsdienstes in der Domstadt wurden über die Berufsfeuerwehr abgedeckt, die anderen 49 % hatte die Stadt an vier lokale Dienstleister (Arbeiter-Samariter-Bund, Deutsches Rotes Kreuz, Johanniter-Unfall-Hilfe und Malteser Hilfsdienst) vergeben. Bereits 2011 hatte es Streit um die Vergabe der Rettungsdienste in der Domstadt – damals in europaweiter Ausschreibung – gegeben. Kein Wunder: Schließlich geht es um einen Auftragswert von mehr als 50 Millionen Euro in den kommenden fünf Jahren. »Die Kölner Stadtverwaltung empfahl – ganz vergaberechtskonform – eine europaweite Ausschreibung. Der Stadtrat, das Kölner Stadtparlament, hielt dagegen und plädierte für die Anwendung einer Ausnahmeregelung im Vergaberecht (§ 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB, mehr dazu auch hier), die es in engen Grenzen ermöglicht, Dienstleistungen im Rettungswesen ohne allgemeine Ausschreibung – und damit ohne Wirtschaftlichkeitsprüfung – zu vergeben, sodass man getreu dem Motto „bekannt und bewährt“ weiterhin auf die lokalen Dienstleister zurückgreifen könne.«

Die Stadtverwaltung ahnte, was auf sie zukommen könnte und verwies »auf die Möglichkeit von Nachprüfungsverfahren durch potentielle Bieter. So könnten übergangene Anbieter von Rettungsdienstleistungen die freihändige Auftragsvergabe gerichtlich anfechten, wodurch der Stadt Strafzahlungen und Schadenersatzforderungen im Millionenbereich drohen würden.« Gleichwohl hat sich der Rat der Stadt Köln am 19. Januar gegen eine europaweite Ausschreibung der Kölner Rettungsdienste entschieden. Und einer der Konkurrenten, die nicht zum Zuge gekommen sind, hat dann auch eine Klage angekündigt. Daraufhin hat die Stadt Köln die Vergabe als Interimslösung für zwei Jahre ausgeschrieben – mit der Folge, dass es Falck gelungen ist, bei einer europaweiten Ausschreibung den Zuschlag für eines von 14 Losen erhalten. Seit dem 3. Oktober 2017 wird im Kölner Stadtgebiet zum ersten Mal ein privater Anbieter im Rettungsdienst tätig sein, konkret wird Falck künftig die Rettungswache 2 in Marienburg betreiben, die bisher vom Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) geführt wurde, wie man diesem Artikel entnehmen kann. Neben Leistungsnachweisen war beim Zuschlag der Preis ausschlaggebend.

Und die Bonner? Den Kölner Weg einer europaweiten Ausschreibung als Interimslösung »schlugen Feuerwehr und Stadtverwaltung dem Rat am 2. Oktober vor. Doch in nichtöffentlicher Sitzung setzten die Fraktionen gegen die ausdrückliche Warnung der Fachleute eine erneute Vergabe als Bereichsausnahme durch (geschätzter Gesamtwert für zwei Jahre: 13,2 Millionen Euro). Nur die Linkspartei enthielt sich.« Der Stadtdirektor wird mit dieser Warnung zitiert: „Die Organisation des Rettungsdienstes über den Jahreswechsel hinaus würde gefährdet“, denn das Verfahren werde „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wieder keinen Erfolg haben“.
Und genauso kam es: Falck stellte wieder einen Nachprüfungsantrag an die Vergabekammer, wo die Stadt am 26. Oktober zum zweiten Mal scheiterte. Unter größtem Zeitdruck startete die Verwaltung nun ein wettbewerbliches Interimsverfahren, an der auch der Privatkonzern teilnehmen konnte.
Wohlgemerkt, wir reden hier darüber, dass die Trägerschaft des Rettungsdienstes ab dem 1. Januar 2018 nicht geklärt ist, also ein Zeitpunkt in wenigen Wochen.
Und Falck zog erneut vor die Vergabekammer, weil das Unternehmen beklagte, dass die Rahmenbedingungen so gewählt seien, dass ein Dienstleister, der neu am Ort sei, sie in der Kürze der Zeit nicht erfüllen könne. Falck rügt zudem die fehlende EU-weite Bekanntmachung, eine rechtswidrige Fristsetzung und – mit Blick auf die Hilfsorganisationen – „wettbewerbswidrige Absprachen sowie Interessenkonflikte“.

Bis die Vergabekammer einen Beschluss fasst, stockt alles. Wann das passiert – unklar. Die Stadt Bonn will nun die Verträge mit den Hilfsorganisationen zumindest bis März 2018 verlängern, wie aus nichtöffentlichen Papieren hervorgeht. Was für ein teilweise wirklich selbst produziertes Chaos in einem so sensiblen und im wahrsten Sinne des Wortes überlebenswichtigen Bereich.

Man kann einiges lernen von den beschriebenen Vorgängen und muss dann sich wieder die Grundsatzfrage aufrufen: Sind die wettbewerblichen Vergabeverfahren wirklich sinnvoll in diversen Bereichen des Sozial- und Gesundheitswesens? Aber auch wenn man zu dem Ergebnis kommt, sie sind es nicht, muss man darauf hinweisen, dass auch die gemeinnützigen Anbieter, die heute unterwegs sind, auf einem „Markt“ agieren und sich oftmals faktisch so verhalten wie ein börsennotierter Anbieter, der auf Gewinnerzielung ausgerichtet ist. Man schaue sich beispielsweise nur die durchaus zahlreichen Medienberichte über teilweise miese Bezahlung, Verstöße gegen Arbeitszeitbestimmungen und andere Verfehlungen an, die mit den Namen der großen gemeinnützig daherkommenden Arbeitgeber verbunden sind, die ihrerseits versuchen, den Kostendruck, mit dem sie konfrontiert werden, an andere, in diesem Fall die Mitarbeiter, weiterzugeben.

Dass wir es mit einem strukturellen Problem zu tun haben, das auch andere Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge erfasst hat, kann man beispielsweise diesem Beitrag des Politikmagazins „defacto“ (HR-Fernsehen) vom 13.11.2017 entnehmen: Mehrkosten und unzufrieden Bürger- Wie Landkreise mit öffentlichen Ausschreibungen überfordert sind: »In Waldeck-Frankenberg fahren die Schulbusse nicht mehr. Denn das neue Busunternehmen hat bei der öffentlichen Ausschreibung so niedrige Preise angeboten, dass es nach einem halben Jahr Insolvenz anmelden musste. Gleiches im Schwalm-Eder-Kreis: das langjährige und bewährte Busunternehmen hätte seine Mitarbeiter unter Mindestlohn beschäftigen müssen, um mit dem Billigangebot der Mitstreiter mithalten zu können. Insolvenzen, Mehrkosten, Ärger für die Kunden – und das alles, weil der Landkreis gezwungen ist, das billigste Angebot anzunehmen? Experten sagen, das stimme so nicht. Denn die Landkreise müssten nicht zwangsläufig das günstigste Angebot nehmen.«

Der öffentliche Gesundheitsdienst blutet und kommt unter die Räder. Und wieder einmal soll keiner behaupten, man hätte es nicht gewusst

Sozialpolitik ist (fast) immer eine Fortsetzungsgeschichte. Nur wird in Zeiten einer hektischen Aufmerksamkeitsökonomie und einer damit verbundenen punktuellen Berichterstattung viel zu wenig nachgehalten, was aus bestimmten Entwicklungen geworden ist. Nehmen wir als Beispiel den öffentlichen Gesundheitsdienst. Der ist in vielfacher Hinsicht von großer sozialpolitischen Bedeutung und wer sich ein wenig in der Sozialgeschichte auskennt, der ist sich bewusst darüber, dass über die öffentlichen Gesundheitsdienst gesellschaftlicher Fortschritt hergestellt werden konnte. Aber die Gesundheitsämter und die dort arbeitenden Fachkräfte sind immer auch Teil der Ordnungs- und zuweilen Zwangsverwaltung, man denke hier an ihre Rolle im Formenkreis der psychiatrischen Versorgung oder gegenüber den Prostituierten. Das ist alles eingebunden in ein zwangsläufig nicht widerspruchsfreies Verhältnis zwischen Schutzfunktion und grundrechtlich höchst sensiblen Eingriffen. Wir reden hier wahrlich nicht über einen Orchideen-Bereich, wie diese Zahlen verdeutlichen können:

»Im Öffentlichen Gesundheitsdienst der Bundesrepublik arbeiten schätzungsweise ca. 2.500 Ärztinnen und Ärzte, überwiegend mit den Facharztqualifikationen für Öffentliches Gesundheitswesen, Innere Medizin, Allgemeinmedizin, Kinder- und Jugendmedizin, Psychiatrie sowie Zahnheilkunde. In den knapp 400 Gesundheitsämtern sind insgesamt ca. 17.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt.«

Es geht – so kann man es bilanzieren – im  Grunde um die „dritte Säule“ des Gesundheitswesens neben der ambulanten und stationären Versorgung, was allerdings noch nichts aussagt über die Verfasstheit der Säule an sich. »Der Öffentliche Gesundheitsdienst rückt jedoch immer dann verstärkt in den Blickpunkt der Öffentlichkeit, wenn die Gesellschaft mit den Gefahren und Herausforderungen von Pandemien konfrontiert (z.B. EHEC, Ebola) oder die Forderung nach verstärkten Kontrollen durch die Gesundheitsämter erhoben wird, um Hygienemängeln in Arztpraxen, Krankenhäusern und Heimen zu begegnen. Momentan werden die Aktivitäten des ÖGD insbesondere im Zusammenhang mit der Masern-Welle und im Kontext mit Gesundheitsuntersuchungen und Gesundheitsversorgung für Flüchtlinge wahrgenommen«, so die Selbstbeschreibung des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖGD).

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Gut Ding will Weile haben? Der verbesserte Unterhaltsvorschuss für Alleinerziehende kommt zum 1. Juli 2017

Es ist eine besondere Last dieser Zeiten, dass man in der Sozialpolitik meistens nur von Kürzungen, Begrenzungen, komplizierteren Abläufen berichten kann. Selten bis gar nicht geht es um Verbesserungen. Da muss man doch schon fast in Jubel ausbrechen, wenn man das vermelden kann: »Der Bundestag hat … beschlossen, den Unterhaltsvorschusses für Alleinerziehende zu erhöhen und zu erweitern.« Na endlich, wird der eine oder die andere anmerken. Denn eigentlich sollten die Verbesserungen schon lange in Kraft sein, aber das hat sich wie Kaugummi gezogen. Was man zwei Gründen zuschreiben kann: Zum einen war das Bestandteil der umfassenden Reform der Bund-Länder-Finanzbeziehungen und da ging es um ganz andere Hausnummern, als das, was mit dem Unterhaltsvorschuss für das System (nicht für die einzelnen Betroffenen) verbunden ist. Zum anderen haben die Bundesländer als Advokaten der Kommunen erfolgreich auf Zeit gespielt, denn das muss ja auch alles umgesetzt werden in den Niederungen der Praxis, also vor Ort. Gegen die Reform des Unterhaltsvorschusses gab es heftigen Widerstand aus den Reihen der Kommunen und der Bundesländer. Die Akteure hatten sich – nett formuliert – mehrfach verhakt. Es ging um die Finanzierung der Leistungsausweitung sowie um den Aspekt der Abwicklung der Leistung.

Die treuen Leser dieses Blogs werden sich erinnern – das war hier schon mehrfach Thema. So beispielsweise in den Beiträgen Ein Beitrag zur Armutsvermeidung bei Alleinerziehenden und ihren Kindern: Der Unterhaltsvorschuss wird endlich weiterentwickelt. Dennoch bleiben Fragezeichen vom 13. November 2016, Von wegen sanfte Geburt. Der Unterhaltsvorschuss für Alleinerziehende steckt fest im föderalen Interessendickicht vom 8. Dezember 2016 oder am 25. Januar 2017 der Beitrag Unterhaltsvorschuss für Alleinerziehende: Die Reform kommt, sie kommt nicht, jetzt soll sie doch kommen. Im Sommer. Das zumindest wird jetzt erfüllt.

Bisher war die Regelung beim Unterhaltsvorschuss so, dass diese Leistung, die Alleinerziehende vom Jugendamt erhalten, wenn der andere Elternteil nicht für die Kinder zahlt oder zahlen kann, auf das 12. Lebensjahr des Kindes als Obergrenze und auf eine maximale Bezugsdauer von 72 Monaten, also sechs Jahre. begrenzt war. Beides Regelungen, die mehr als willkürlich daherkommen, denn was ändert sich nach dem 12. Geburtstag und warum ist nach 72 Monaten Schluss, auch wenn sich dann nichts geändert hat? Finanziert wird diese Ausfallleistung des Staates bislang zu einem Drittel vom Bund, zwei Drittel entfallen auf die Bundesländer, die wiederum die Aufteilung auf Land und Kommune selbst regeln können (vgl. § 8 Unterhaltsvorschussgesetz). Bundesweit wurde von 440.000 Empfängerinnen dieser Leistung berichtet. Man muss zusätzlich wissen, dass der Staat, der die Leistung vergibt, die Möglichkeit hat, sich das Geld zurückzuholen von den eigentlich zahlungspflichtigen Elternteilen, die aber nicht oder zu wenig zahlen.

Aber was genau wird jetzt zum 1. Juli 2017 geändert?

Alleinerziehende, deren Ex-Partner nicht oder unregelmäßig für die gemeinsamen Kinder aufkommen, haben künftig Anspruch auf eine höhere finanzielle staatliche Unterstützung: Der Bundestag beschloss, den Unterhaltsvorschuss zu verbessern.

  • Bislang erhalten die Kinder den Vorschuss vom Jugendamt nur bis zum zwölften Geburtstag und höchstens sechs Jahre lang.Künftig entfällt die Befristung, und der Anspruch gilt bis zum 18. Lebensjahr eines Kindes.
  • Die Neuregelung sieht vor, dass der monatliche Unterhaltsvorschuss nach Abzug des zu zahlenden Kindergelds für Kinder bis fünf Jahre bei 150 Euro liegen, für Kinder bis elf Jahre bei 201 Euro und für Kinder bis 18 Jahre bei 268 Euro.
  • Kinder ab zwölf Jahre erhalten den Vorschuss aber nur, wenn sie nicht auf Hartz-IV-Leistungen angewiesen sind oder der alleinerziehende Elternteil zwar Hartz-IV-Leistungen bekommt, aber ein Einkommen von mindestens 600 Euro erzielt.

Bei den Kosten hat sich der Bund verpflichtet, statt wie bislang ein Drittel nunmehr 40 Prozent der Ausgaben für diese Leistung zu finanzieren.

Eine übersichtliche Synopse zur bisherigen und der Neufassung des Unterhaltsvorschussgesetzes (UVG) hat das DIJuF veröffentlicht.

Das hört sich nicht nur gut an, dass ist auch eine von vielen geforderte Verbesserung. Aber wie immer lohnt der Blick auf die Details der Mechanik dieser Geldleistung.

Ein ganz wichtiger Punkt bei der Neuregelung ist die Aufhebung der bisherigen Altersgrenze von zwölf Jahren und die Ausdehnung auf 18 Jahre des Kindes.

Dazu muss man wissen: Ab 12 Jahren besteht der Anspruch auf Unterhaltsvorschuss nur, wenn das Kind keine SGB II-Leistungen bezieht oder durch den Unterhaltsvorschuss die SGB II-Hilfebedürftigkeit vermieden werden kann oder die Alleinerziehenden ein Bruttoeinkommen von monatlich 600 Euro – ohne Abzug der Absetzbeträge nach § 11b SGB II (Grundfrei- bzw. Mindestabzugsbetrag 100 Euro bei Arbeit, bei BAföG und Erwerbstätigenfreibetrag) – haben. Bei der Ermittlung der 600 Euro hat das Kindergeld außer Betracht zu bleiben (so der neue § 1a Nr. 1 und 2 UVG).

Die Jobcenter werden jetzt natürlich die entsprechende Zielgruppe Alleinerziehende nach § 12a SGB II auffordern, den Unterhaltsvorschuss als vorrangige Leistungen zu beantragen. Das ist rechtlich richtig und zulässig, unzulässig ist aber, die SGB II-Leistungen vor Erhalt schon einzustellen. Die fiktive Anrechnung ist immer und in jedem Fall unzulässig.

Richtig ist, die Betreffenden zur Beantragung des Unterhaltsvorschusses aufzufordern, in der Zeit müssen aber SGB II-Leistungen weitergezahlt werden, das Jobcenter kann dann einen Erstattungsanspruch auf den Unterhaltsvorschuss (UV) geltend machen und dann geht der Nachzahlbetrag an das Jobcenter.

Und dann kommt eine wichtiger Hinweis: »Dazu ist zu bedenken, dass es sich hier um mehrere 100.000 derzeit SGB II-Leistungen beziehende Kinder handeln wird, die UV Stellen arbeitstechnisch völlig an dieser Massenbeantragung absaufen werden und sich deren Leistungsauszahlung deshalb deutlich verzögern wird.« (Thomé Newsletter 21/2017 vom 04.06.2017).

Das wir alles Folgen haben. Dazu Florian Mayer in seinem Bericht Ein Segen für Alleinerziehende, eine Last für die Kommunen. Er zitiert das Beispiel der Stadt Stuttgart:

»Die Stadt Stuttgart hat schon mal einen erheblichen Zusatzposten eingeplant. Mit Ausgaben von 14 Millionen Euro rechnet Daniela Hörner vom Jugendamt, bisher sind es jährlich etwa vier Millionen. 2500 Kinder profitieren in Stuttgart von dem staatlichen Unterhalt. „Zehn Mitarbeiter kümmern sich bei uns im Jugendamt allein darum“, sagt sie. Wenn die Gesetzesänderung eintritt, rechnet sie mit einer Verdopplung der Fälle. „Derzeit prüfen wir, ob wir zusätzliches Personal brauchen, gegebenenfalls muss der Gemeinderat dann die Stellen aufstocken.“«

Auch Heinrich Alt, das ehemalige Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit (BA), hat sich in seinem Artikel Vater Staat sorgt für seine Kinder zum Thema Unterhaltsvorschuss geäußert.  Seine Perspektive: »Ein Land, das den Schutz von Ehe und Familie in seine Verfassung geschrieben hat, bestraft getrennt lebende Eltern, wenn sie sich entschließen, einen gemeinsamen Haushalt zu gründen. Wenn beide Elternteile Leistungen der Grundsicherung beziehen, wird der Regelsatz gekürzt und die Zulage für Alleinerziehende gestrichen, im Normalfall ein Verlust von 250 Euro.«
Und diese Leistung ist quantitativ gesehen kein Orchideenthema, denn in gut einer Million Fälle wird kein regelmäßiger Unterhalt in voller Höhe gezahlt. Und Alt weist auf eine andere Problemstelle hin:

»Von den Unterhaltsberechtigten beziehen drei Viertel Unterhaltsvorschuss und Leistungen der Grundsicherung gleichzeitig. Das bedeutet: In 300 000 Fällen wird Unterhaltsvorschuss beantragt, vom Jugendamt bewilligt – und dann vom Jobcenter in voller Höhe auf die Leistungen der Grundsicherung angerechnet. Ein riesiger, nach dem 1. Juli weiter wachsender Verwaltungsaufwand für Kommunen und Jobcenter, der zu nichts anderem führt als zu enttäuschten und frustrierten Müttern.«

Diesen Aspekt hatten im vergangenen Jahr auch die kommunalen Spitzenverbände hervorgehoben:

»Eine aktuelle Studie des Statistischen Bundesamtes hat ergeben, dass 87 Prozent der derzeitigen Leistungsbezieher von Unterhaltsvorschuss auch SGB II-Leistungen (Hartz IV) und SGB XII-Leistungen erhalten. Diese Leistungen werden von den Jobcentern und den Unterhaltsvorschuss-Stellen miteinander verrechnet.

Die Familien, die gleichzeitig Hartz IV beziehen, haben durch die Verrechnung keinerlei finanzielle Vorteile, wenn sie Unterhaltsvorschuss erhalten. Es wäre aus Sicht der Kommunen dann nur transparent und ehrlich, in diesen Fällen Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz gar nicht vorzusehen.«

Aber auch hier muss man genau hinschauen, was ich in meinem Beitrag aus dem Dezember 2016 bereits getan habe:

»Denn es gibt solche und andere Hartz IV-Empfänger/innen unter den Alleinerziehenden. In vielen Fällen- darauf hatte ich auch schon hingewiesen in meinen Beitrag vom 13.11.2016 – wäre auch ein ausgeweiteter Unterhaltsvorschuss nur ein durchlaufender Posten, gleichsam von der rechten in die linke Tasche. Denn tatsächlich wird die Leistung angerechnet auf den Hartz IV-Bedarf und den SGB II-Leistungen. Aber es gibt auch Alleinerziehende, die beispielsweise als Aufstocker im Hartz IV-System sind, die also nur eine anteilige zusätzliche Leistung aus dem SGB II bekommen. Und bei einigen von denen könnte ein verbesserter Unterhaltsvorschuss dazu führen, dass sie aus dem Hartz IV-Bezug insgesamt rausrutschen.«

Konkreter: Die geplante Ausweitung des Unterhaltsvorschusses für Trennungskinder wird nach Berechnungen der Bundesregierung mehr als ein Drittel der Alleinerziehenden, die derzeit Aufstockerleistungen aus Hartz IV erhalten, vollständig aus dem Sozialleistungsbezug herausführen, kann man einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen entnehmen. Durch den Ausbau des Unterhaltsvorschusses würden 260.000 zusätzliche Kinder erreicht; 226.000 von ihnen seien derzeit auf Leistungen aus dem Sozialgesetzbuch II angewiesen, heißt es darin. Der Unterhaltsvorschuss bietet für etwa 35 Prozent der SGB-II-beziehenden Alleinerziehenden, die erwerbstätig sind und somit die SGB-II-Leistung aufstocken, die Perspektive, das SGB II zu verlassen.

Aber Heinrich Alt nimmt in seinem Artikel einen anderen Punkt ins Visier, der sich aus dem Namen „Unterhaltsvorschuss“ ableiten lässt, denn der Vorschuss wird gewährt, weil der eigentlich zahlungspflichtige Elternteil nicht zahlen kann oder aus welchen Gründen auch immer nicht zahlen will. Bei denen, die zahlen könnten, es aber nicht tun, kann sich der Staat den Vorschuss im Prinzip wieder zurückholen. Und das steht im Mittelpunkt seiner Überlegungen:

»Im vergangenen Jahr wurden 23 Prozent der vom Staat gezahlten Unterhaltsleistungen wieder eingetrieben, wobei die Unterschiede erheblich sind. Während Bayern 36 Prozent erreicht, schafft Bremen lediglich 14 Prozent. Lässt sich die Spreizung aus Länderebene vielleicht noch erklären mit Unterschieden in der Wirtschaftskraft, gibt es dafür auf kommunaler Ebene (zehn bis 50 Prozent) keine Gründe mehr. Väter in kleinen Kommunen sind vom Rückgriff weitgehend verschont, in Großstädten seltener.«

Eine Auswertung des Zusammenhangs zwischen der Rückholquote und der Quote der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten im Grundsicherungssystem in den Bundesländern, die Paul M. Schröder vom BIAJ am 21.08.2016 veröffentlicht hat, belegt den Zusammenhang zwischen der Rückholquote und der SGB II-Intensität: Unterhaltsvorschuss: Rückgriffquoten (Rückholquoten) im Verhältnis zu den ELB-Quoten (SGB II) – Ländervergleich. Diesen Aspekt erkennt auch Heinrich Alt an, er hebt die Unterschiede bei der Rückholintensität zwischen den kleinen und den großen Kommunen hervor. Wobei sich das sicher nicht nur, aber in einem ganz erheblichen Maß durch den unterschiedlichen „Professionalisierungsgrad“ in den Kommunen erklären lässt, denn in den großen Kommunen hat man schlichtweg mehr Möglichkeiten, spezialisiertes Personal für diese Aufgabe einzusetzen. Und dieses strukturelle Problem wird durch die mit der Leistungsausweitung zum Juli dieses Jahres verbundene Ausweitung der Arbeitsmenge nur zur Bearbeitung der zusätzlichen Fälle sicher nicht kleiner, sondern eher größer.

Heinrich Alt stellt in seinem Artikel selbst einige wichtige Fragen, die zeigen, dass man über bestimmte fundamentale Informationen in diesem Feld derzeit gar nicht verfügt: » Wie viele Väter sind tatsächlich nicht leistungsfähig? Wie viele Forderungen verjähren, werden nicht rechtskonform bearbeitet oder wegen Auslandsbezug überhaupt nicht verfolgt? Wie hoch ist der Prozentsatz der unbekannten Väter? Wie viele Väter zahlen nicht, obwohl sie es könnten, weil die Mutter ihnen die Kinder entzieht?«

Trotz dieser Wissenslücken macht er dann aber zwei heftige „Lösungsvorschläge“:

»Würde ein drohender Führerscheinentzug die Zahlungsmoral eher verbessern als eine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft, die mancherorts schon nicht mehr entgegengenommen wird? Das Strafrecht wird in Deutschland zur Lösung des Problems jedenfalls so gut wie nicht genutzt.«

Und mit Blick auf das Eintreiben der Gelder:

»Geeignete Inkasso-Unternehmen sollten, wie anderswo beim Staat schon länger üblich, entweder als Verwaltungshelfer oder durch den Ankauf von Forderungspaketen das Forderungsmanagement der Länder und Kommunen ergänzen.«

Die Auslagerung der Forderungsrealisierung auf private, gewinnorientierte Inkasso-Unternehmen ist in der BA bereits erprobt worden, als Herr Alt dort auf der Vorstandsebene Verantwortung hatte. Ob das ein sinnvoller Weg ist, darüber lässt sich zu Recht streiten und viele werden diesen Ansatz verständlicherweise ablehnen.

Aber er hat noch einen dritten Vorschlag, gleichsam typisch für jemanden, der sein Leben in der Massenverwaltung verbracht hat und über den man diskutieren kann: »Angesichts der extremen Unterschieden von Kommune zu Kommune erscheint eine Zentralisierung auf Landesebene – wie in Bayern – unausweichlich zu sein, gerade auch im Interesse der Jugendämter.« Aber auch in Bayern, so muss man an dieser Stelle anfügen, werden fast 70 Prozent der Unterhaltsvorschussmittel eben nicht zurückgeholt und es ist auch angesichts der ganz unterschiedlichen Gründe nicht zu erwarten, dass man diese Quote deutlich wird steigern können.

So ist das eben, wenn man sich mit Instrumenten beschäftigen muss, die Hilfskrücken bei der Bearbeitung eines anders gelagerten Problems darstellen. Diese Charakterisierung wird auch relevant beim Fazit zum reformierten Unterhaltsvorschussgesetz: Eine Verbesserung ist das, vor allem durch den Wegfall der mehr als willkürlichen Begrenzungen im bisherigen System, also der Alters- und der Bezugsdauerbegrenzung. Dadurch bekommt man ein e echte Leistungsausweitung hin. Nicht zu viel und in vielen Fällen gar nichts sollten sich diejenigen erhoffen, die im SGB II-Bezug sind. Und für die Beschäftigung in unserem Land ist das Gesetz eine gute Sache, die Verwaltung braucht mehr Personal. Wenn es das denn gibt und wenn man Leute findet, die das dann auch machen können.