Von wegen sanfte Geburt. Der Unterhaltsvorschuss für Alleinerziehende steckt fest im föderalen Interessendickicht

Am 13. November 2016 wurde mit einer fast schon überschwänglich positiv daherkommenden, nur am Ende die Vorfreude gleich wieder relativierenden Überschrift über die seit langem geforderten Verbesserungen beim Unterhaltsvorschuss berichtet: Ein Beitrag zur Armutsvermeidung bei Alleinerziehenden und ihren Kindern: Der Unterhaltsvorschuss wird endlich weiterentwickelt. Dennoch bleiben Fragezeichen. Endlich mal eine positive Botschaft, keine Kürzung, keine kleinkarierte Gesetzgebung, sondern ein Schritt nach vorn. Die beiden wichtigsten Elemente: Die Befristung des Unterhaltsvorschusses auf maximal sechs Jahre und die Begrenzung auf das 12. Lebensjahr bei den Kindern sollen abgeschafft werden. Darauf hat man sich im Kontext der großen Verhandlungen rund um eine Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen geeinigt. Aber bereits in dem Beitrag vom 13.11.2016 musste dann eine Menge Wasser in den gerade erst aufgetischten Wein gegossen werden, denn es gab sofort heftigen Widerstand aus den Reihen der Kommunen und der Bundesländer. Dabei geht es um zwei Ebenen.

Zum einen – natürlich – um die Finanzierung der Leistungsausweitung sowie um den Aspekt der Abwicklung der Leistung. Bisher trägt der Bund beim Unterhaltsvorschuss ein Drittel der Kosten, die Länder übernehmen zwei Drittel. Der Bund hatte – immerhin wird hier gefeilscht wie auf einem orientalischen Basar – die Übernahme der Hälfte der Mehrkosten in den Raum geworfen, während die Bundesländer nach wie vor die volle Kompensation der reformbedingten Mehrbelastung vom Bund fordern.

Zum anderen haben sich die Kommunen bzw. ihre Spitzenverbände mit Verve in die Schlacht geworfen, denn sie müssen das umsetzen vor Ort. Und sie haben ein weiteres Problem, das dann auch wieder mit der ersten Ebene zusammenhängt, also den Finanzen.

Die Kommunen halten eine pünktliche Umsetzung für unmöglich. Man sei „nicht in der Lage, ein Gesetz, das frühestens Mitte Dezember verabschiedet werden kann, zwei Wochen später auszuführen“, warnten sie. „Das geht personell und organisatorisch nicht.“ Nun könnte man das als ein temporäres Übergangsproblem einsortieren, wobei die Kommunen die zusätzlichen Verwaltungskosten natürlich vollständig erstattet haben wollen, sie legen aber noch eine zusätzliche und grundsätzliche Schippe auf das Kuddelmuddel: Sie verweisen auf die die bestehende Doppelbürokratie durch das Nebeneinander von Leistungsansprüchen im Sozialgesetzbuch II und im Unterhaltsvorschussgesetz. In den Worten der kommunalen Spitzenverbände:

»Eine aktuelle Studie des Statistischen Bundesamtes hat ergeben, dass 87 Prozent der derzeitigen Leistungsbezieher von Unterhaltsvorschuss auch SGB II-Leistungen (Hartz IV) und SGB XII-Leistungen erhalten. Diese Leistungen werden von den Jobcentern und den Unterhaltsvorschuss-Stellen miteinander verrechnet.
Die Familien, die gleichzeitig Hartz IV beziehen, haben durch die Verrechnung keinerlei finanzielle Vorteile, wenn sie Unterhaltsvorschuss erhalten. Es wäre aus Sicht der Kommunen dann nur transparent und ehrlich, in diesen Fällen Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz gar nicht vorzusehen.«

Ich kann wirklich nichts dafür, aber jetzt muss man aufpassen, weil es kompliziert wird. Das stimmt so nicht, was wir da serviert bekommen, jedenfalls nicht in der Ausschließlichkeit. Denn es gibt solche und andere Hartz IV-Empfänger/innen unter den Alleinerziehenden. In vielen Fällen- darauf hatte ich auch schon hingewiesen in meinen Beitrag vom 13.11.2016 – wäre auch ein ausgeweiteter Unterhaltsvorschuss nur ein durchlaufender Posten, gleichsam von der rechten in die linke Tasche. Denn tatsächlich wird die Leistung angerechnet auf den Hartz IV-Bedarf und den SGB II-Leistungen. Aber es gibt auch Alleinerziehende, die beispielsweise als Aufstocker im Hartz IV-System sind, die also nur eine anteilige zusätzliche Leistung aus dem SGB II bekommen. Und bei einigen von denen könnte ein verbesserter Unterhaltsvorschuss dazu führen, dass sie aus dem Hartz IV-Bezug insgesamt rausrutschen.

An dieser Stelle kann man den Artikel Viele Single-Eltern könnten aus Hartz IV geholt werden von Sabine Menkens aufrufen. Die »geplante Ausweitung des Unterhaltsvorschusses für Trennungskinder wird nach Berechnungen der Bundesregierung mehr als ein Drittel der Alleinerziehenden, die derzeit Aufstockerleistungen aus Hartz IV erhalten, vollständig aus dem Sozialleistungsbezug herausführen«, berichtet sie unter Bezugnahme einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen. Durch den Ausbau des Unterhaltsvorschusses würden 260.000 zusätzliche Kinder erreicht; 226.000 von ihnen seien derzeit auf Leistungen aus dem Sozialgesetzbuch II angewiesen, heißt es darin. „Der Unterhaltsvorschuss bietet für etwa 35 Prozent der SGB-II-beziehenden Alleinerziehenden, die erwerbstätig sind und somit die SGB-II-Leistung aufstocken, die Perspektive, das SGB II zu verlassen.“

Mittlerweile ist die Gemengelage in wirklich komplexe Strukturen hineingewachsen. Denn die Länder haben natürlich (mit den Kommunen) ein Interesse daran, die auf sie zukommenden zusätzlichen Kosten aufgrund des Verteilungsschlüssels zu reduzieren bzw. zu vermeiden – von daher überrascht es nicht, dass es aus diesem Lager viel Sympathie gab und gibt, den Vorrang des Unterhaltsvorschusses vor SGB II-Leistungen abzuschaffen, mit der offiziellen Begründung, die Alleinerziehenden hätten aufgrund der Anrechnungsvorschriften ja sowieso nichts davon und dann könne man doch dieses doppelbürokratische System abschaffen. Ja klar – unabhängig davon, dass das voraussetzen würde, dass Alleinerziehende im Hartz IV-Bezug niemals einen Cent sehen würden aus dem Unterhaltsvorschuss, was zumindest bei einem Teil der Aufstockerinnen nicht der Fall ist, ist das eigentliche Interesse der Länder natürlich mehr als offensichtlich: Sie wollen sich auf Rechnung des Bundes einer Last entledigen, denn die SGB II-Leistungen kommen überwiegend vom Bund, also aus einer anderen Kasse.

Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, hat in einem Interview mit dem Deutschlandfunk („Wenn für den Betroffenen nichts rauskommt, ist es nicht sinnvoll“) ausgeführt – und aufgepasst, schon korrekter formulierend -, »es werde verkannt, dass viele Mütter nichts von dem Geld hätten.« Viele, aber nicht alle. Das hält man ihm auch entgegen und nun werden wir erneut Zeuge der völlig verkorksten unüberschaubaren Leistungssysteme: Nach Angaben des Bundesfamilienministeriums erhalten gegenwärtig 440.000 von insgesamt 1,6 Millionen Alleinerziehenden einen Unterhaltsvorschuss für ihre Kinder. Von der Reform würden 260.000 Kinder profitieren. Und was sagt der Kommunalfunktionär? Er konstruiert ein passgenaues Beispiel, um aufzuzeigen, dass selbst die aufstockende Alleinerziehende sich schlechter stellen kann, wenn sie aus dem Hartz IV-Bezug rausfällt. Und das geht so:

»Nehmen wir an, sie stockt um genau 194 Euro auf. Jetzt geht die wieder zum Jugendamt. Dann sagen die: Gut, Du hast den Unterhaltsvorschuss-Anspruch, Du bekommst diese 194 Euro. Damit ist sie in der Tat aus Hartz IV raus, aber sie hat Nachteile, denn auf einmal bekommt das Kind keine Leistungen mehr nach dem Bildungspaket. Es bekommt die Klassenfahrt nicht bezahlt, es bekommt die Ausrüstung für die Schule nicht bezahlt, es bekommt den Sportverein nicht mehr bezahlt. Das heißt, im Einzelfall – ich gebe allerdings zu, das ist ein Einzelfall – ist dann sogar eine Schlechterstellung mit dem insgesamt aber gut gemeinten Ziel erreicht.«

Aber darum geht es ihm eigentlich gar nicht wirklich, sondern um diesen Aspekt: »Man muss auch ehrlich sein: Wir liegen jetzt bei Kosten pro Jahr von rund 800 Millionen. Das wird sich verdoppeln. Wenn der Bund so was machen will, dann soll er auch die Kosten tragen, und zwar auch unsere Personalkosten. Wir können nicht, wenn das Gesetz jetzt im Dezember in Kraft tritt, mal eben überall das Personal in den Jugendämtern verdoppeln, um letztlich ein Großteil von Anträgen zu bearbeiten, die den Betroffenen kaum was bringen.«

Wer bis hierhin durchgehalten hat, ist ein politökonomischer Held. Aber wir sind noch nicht am Ende der kontinuierlich schlechter werdenden Geschichte.

Unter der Überschrift Der andere soll’s bezahlen, berichtet Constanze von Bullion. Wenn man den Beginn ihres Artikels liest, dann blutet einem das Herz angesichts dessen, was wir in diesem Beitrag vorweg schon an Hintergründen entfaltet haben:

»Drei Wochen ist es her, dass sich über dem Bundesfamilienministerium in Berlin ein Candystorm zusammenbraute, ein digitaler Jubelsturm. „Weniger Sorgen machen, danke“, schrieb eine alleinerziehende Mutter auf Facebook. Der Dank galt Familienministerin Manuela Schwesig, (SPD), die durchsetzen will, dass der Staat ab Januar mehr Trennungskindern als bisher Kindesunterhalt vorstreckt, wenn ein Elternteil ihn nicht zahlt. „Ich bin so unendlich dankbar für die Gesetzesänderung!“, schrieb eine andere Alleinerziehende, die arbeiten geht und dennoch Stütze vom Staat braucht, weil der Kindsvater nicht zahlt. „Endlich brauche ich kein ALG 2 mehr, um mein Gehalt aufzustocken!“«

Aber sie beschreibt dann die aktuelle Gefechtslage bei dem Thema: Zuletzt deutetet sich auf SPD-Seite ein Kompromiss an. Das Gesetz könnte erst am 1. April in Kraft treten, aber ältere Kinder könnten rückwirkend zum 1. Januar Ansprüche geltend machen. Und sie weiß zu berichten, dass beispielsweise Hamburg bei diesem Vorschlag mitgehen würde. Aber Hamburg ist nicht Deutschland und deshalb kommt sofort Sand ins Getriebe, von einer Seite, an die der eine oder die andere sicher nicht sofort gedacht hätte: »Das SPD-regierte Nordrhein-Westfalen etwa will Alleinerziehende erst von Juli an stärker unterstützen – ohne rückwirkende Zahlungen, denn das kostet.« Das wiederum wäre eine echte Niederlage für Bundesfamilienministerin Schwesig, die das angeleiert und sich bereits gefeiert hat für die Leistungsverbesserungen, die aber immer noch im Geburtskanal feststecken.

Und der andere Teil des Bundes? »Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) wiederum will für die Reform keine zusätzlichen Bundesmittel opfern. Er bietet aber eine Revisionsklausel an, mit der die Folgen der Reform eines Tages überprüft werden könnten.« Das nun ist ein Versprechen ohne viel Wert für die Bundesländer.

Und der Bund hat außerdem in sein Angebot, sich an den Mehrkosten zu beteiligen, einen tückischen Umsetzungsvorschlag eingebaut. Darüber hatte ich bereits in dem Beitrag vom 13.11.2016 berichtet: »Der Bund könnte demnach auf seinen Anteil beim sogenannten Rückgriff verzichten. Gemeint ist das Geld, das Länder und Kommunen Alleinerziehenden per Unterhaltsvorschuss auslegen, sich dann aber zurückholen sollen von säumigen Vätern – meist sind es solche. Dieser Rückgriff allerdings scheitert oft … Die Bundesregierung will den Druck auf säumig Zahler nun verstärken und die Länder motivieren, ausstehenden Unterhalt effektiver einzutreiben. Dazu könnte der Bund auf seinen Anteil bei der Rückholung des Unterhalts verzichten.«

Das hört sich doch nach einem erst einmal vernünftigen Anreiz an. Aber die Wirklichkeit ist eben nicht so rein wie ein Labor, sondern meistens sehr verunreinigt. So auch hier.

Dazu der Staatskanzleichef Thomas Kralinski (SPD) aus Brandenburg, der von Constanze von Bullion so zitiert wird: »In Ostdeutschland, wo besonders oft allein erzogen und besonders schlecht verdient werde, gebe es für Ämter oft gar kein Geld zurückzuholen. Das Angebot des Bundes sei „nicht akzeptabel“.« Das belegt auch die Auswertung des Zusammenhangs zwischen der Rückholquote und der Quote der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in den Bundesländern, die Paul M. Schröder vom BIAJ am 21.08.2016 veröffentlicht hat: Unterhaltsvorschuss: Rückgriffquoten (Rückholquoten) im Verhältnis zu den ELB-Quoten (SGB II) – Ländervergleich. Wo es viele Hartz IV-Empfänger gibt, da sind die Rückholquoten deutlich niedriger als beispielsweise in Bayern oder Baden-Württemberg. Wenn man jetzt, wie der Bund vorschlägt, seine Kostenentlastung an die Rückholquote koppelt, dann würden die armen Bundesländer deutlich schlechter gestellt.

In Ordnung, ich höre ja schon auf. Ich habe mir das auch nicht ausgesucht, die machen das immer komplizierter. Aber heute treffen sich ja die Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin und da kommt die Kuh bestimmt vom Eis.

Also schaue ich vor der Veröffentlichung dieses Beitrags in den Strom der Nachrichten und finden diese Meldung: »Bei einem Treffen der Ministerpräsidenten mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) in Berlin zeichnete sich bis zum späten Donnerstagabend noch keine Lösung ab.«
Offensichtlich scheint sich das zu einer echten Zangengeburt zu entwickeln, wenn denn irgendeiner überhaupt mal die Zange in die Hand nimmt. Vielleicht in der Nacht.

Nachtrag 1: Am frühen Morgen des 09.12.2016 (03:54 Uhr) meldet beispielsweise die Süddeutsche Zeitung: Bund und Länder ordnen ihre Finanzbeziehungen neu. Und zu unserem Thema finden wir diesen Hinweis: »Nach dem mehr als achtstündigen Spitzengespräch im Kanzleramt sagte Merkel, es seien „noch einige Dinge in der Feinheit zu klären“. So seien etwa Details bei der Finanzierung der Ausweitung des Unterhaltsvorschusses für Alleinerziehende offen – die Kosten müssen zum Teil von den Ländern getragen werden. Auch zu „wenigen anderen Themen“ seien weitere Beratungen nötig, „aber im Grundsatz ist das heute ein Riesenschritt“.«


Nachtrag 2: Der Deutsche Städtetag zitiert in der Pressemitteilung Deutscher Städtetag begrüßt Grundsatzeinigung zu Finanzbeziehungen. Länder müssen Kommunen nun finanziell besser ausstatten – Solide Lösung beim Unterhaltsvorschuss erforderlich die Präsidentin des Deutschen Städtetages, Oberbürgermeisterin Dr. Eva Lohse aus Ludwigshafen mit diesen Worten: »Zum Thema Unterhaltsvorschuss begrüßte sie, dass die Ausweitung der Leistungen nun nicht mehr so kurzfristig zum 1. Januar in den Kommunen umgesetzt werden muss, was die Städte vor unlösbare Probleme gestellt hätte. Bund und Länder müssten bei ihren weiteren Gesprächen zum Unterhaltsvorschuss eine solide Lösung finden, die den Alleinerziehenden helfe und gleichzeitig Doppelbürokratie bei der Auszahlung der Leistungen abbaue, mahnte Lohse. Bei den Gesprächen über die Details sollten die Kommunen in einem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren einbezogen werden.«