Die Großen fehlen, die Kleinen bleiben auf der Strecke. Personalnot (nicht nur) in den Jugendämtern in Berlin

Es gibt ja seit Jahren eine kontroverse Debatte über „den“ Fachkräftemangel. Die einen belegen einen solchen massiv und dass das immer schlimmer werde, die anderen melden Skepsis und Zweifel an, ob es einen solchen wirklich gibt oder wir nicht eher Zeuge des nachvollziehbaren,  aber eben auch sehr einseitigen Wehgeklages der Arbeitgeber sind, die veränderte Angebots-Nachfrage-Bedingungen auf den Arbeitsmärkten zu spüren bekommen.

Aber es gibt einen real existierenden Fachkräftemangel in bestimmten Bereich a) definitiv schon heute und b) mit fatalen Folgewirkungen auf andere, in diesem Fall schutzbedürftige Menschen: In vielen Jugendämtern. Und wenn wir von Jugendämtern sprechen, dann geht es nicht um irgendwelche Aktenproduktionsanlagen und Stempelverwaltungsenklaven, sondern um Institutionen der Daseinsvorsorge, die es mit vielen Dilemmata zu tun haben in ihrer täglichen Arbeit – man denke nur an den Teilbereich der Gefahr für das Kindeswohl, wo bei den konkreten Fällen die einen oftmals den Jugendämtern vorwerfen, sie haben zu spät oder gar nicht interveniert, die anderen aber Jugendämter als „Kinderklaubehörden“ anklagen, weil sie angeblich zu Unrecht Kinder aus Familien geholt haben.

Ein Hotspot des seit Jahren immer wieder beklagten Fachkräftemangels und der schieren Personalnot sind die Jugendämter in Berlin. In diesen Tagen werden wir Zeuge dieser unendlich daherkommenden Fortsetzungsgeschichte. 

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Bundesweit fehlen 228.000 Kita-Plätze für Kleinkinder. Wirklich?

Das Jahr 2016 geht zu Ende und erneut werden wir Zeuge einer eigenartigen, mehr als diskussionswürdigen Entwicklung in der Medienlandschaft: Da berichtet jemand über die Ergebnisse einer „Studie“ von Wissenschaftlern und wenn man das gut platzieren kann, dann schreiben alle anderen ab und verbieten die Botschaft in der heute üblichen Schnelligkeit. Und wenn man sich das dann genauer anschaut, wird man konfrontiert mit der Ausgangsquelle, die aus einer „noch nicht veröffentlichten Studie“, so dass man das glauben muss, was da berichtet wird und – für Wissenschaftler ein echtes Problem – auch nicht überprüfen kann anhand der Originalquelle, wer da wie vorgegangen ist und ob man den Ergebnissen vertrauen kann/soll.
Nehmen wir als Beispiel diesen Artikel, dessen Inhalt sich sehr schnell im Netz verbreitet hat, nachdem er am 30.12.2016 am frühen Morgen publiziert wurde: Bundesweit fehlen 228.000 Kita-Plätze für Kleinkinder, so die Online-Ausgabe der Rheinischen Post. Bereits die Überschrift lässt keinen Zweifel zu, sondern berichtet offensichtlich über einen nicht in Frage zu stellenden Tatbestand. Lesen wir weiter: »Nach einer noch unveröffentlichten Studie des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) fehlen aktuell bundesweit Betreuungsplätze für 228.000 Kinder unter drei Jahren. Das sind gut zehn Prozent der Kinder, für die Bedarf besteht.« Da haben wir sie, die „noch unveröffentlichte Studie“.

Der „Erfolg“ im Sinne einer ungefilterten Verbreitung ist beeindruckend – nicht nur die Daten, auch die Interpretationen werden übernommen: »Trotz Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz gehen 228 000 Kinder leer aus. In manchen Orten ist der Grund schlichtweg das fehlende Engagement der Kommunen«, so die Süddeutsche Zeitung in ihrem Artikel Jedes zehnte Kind unter drei ohne Kitaplatz. Die FAZ ebenfalls: Deutschland fehlen 228.000 Betreuungsplätze für Kleinkinder. Und auch Zeit Online schließt sich an: Deutschland fehlen 228.000 Betreuungsplätze. Die Liste ließe sich erheblich verlängern. Eine wie gesagt beeindruckende Medienresonanz auf eine „noch unveröffentlichte Studie“, die der Wissenschaftler angesichts der enormen Zahl, die hier in den Raum gestellt wird, unbedingt im Original einsehen möchte.

Nachdem die Botschaft durchs Netz gegangen ist, konnte man dann auf der Seite des Instituts der deutschen Wirtschaft (scheinbar) fündig werden: Bund muss Kita-Lücken schließen, so ist die Mitteilung des IW überschrieben, dort findet man dann auch die am Anfang dieses Beitrags dokumentierte Abbildung mit den Zahlen für die einzelnen Bundesländer.

»In Deutschland gibt es derzeit fast 230.000 Betreuungsplätze für unter Dreijährige weniger, als den Wünschen der Eltern zufolge benötigt würden – damit sind gut 10 Prozent der Kinder in dieser Altersgruppe unversorgt.«

Natürlich stellt sich sofort die Frage, wie man denn zu einer derart genauen Quantifizierung fehlender Plätze kommt? Wenn man in der IW-Meldung weiterliest, stößt man auf diese Antwort:

»Die Ursachen für die fehlenden Plätze liegen zum einen darin, dass das bereits für 2013 vereinbarte Ziel, 750.000 Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren zu schaffen, noch immer nicht erreicht ist – obwohl es schon 2007 auf dem sogenannten Krippengipfel beschlossen wurde. Im März 2016 standen aber lediglich 720.000 staatliche oder staatlich geförderte Plätze zur Verfügung.
Zum anderen ist aber auch der Bedarf in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen:
War der Krippengipfel 2007 noch davon ausgegangen, dass sich 35 Prozent der Eltern bereits vor dem dritten Geburtstag ihres Kindes eine institutionelle Betreuung wünschen, sind es nach neuesten Zahlen des Familienministeriums mehr als 43 Prozent.«

Ergänzend wird nun noch darauf hingewiesen, dass „wieder mehr Kinder geboren“ werden und außerdem sind da ja auch noch die Flüchtlinge, unter denen sich auch kleine Kinder befinden, so  dass »Ende Dezember 2015 … in Deutschland 120.000 Jungen und Mädchen unter fünf Jahren (lebten), die erst im Laufe des Jahres« nach Deutschland gekommen seien.

Also hat man das alles berücksichtigt? Das nun kann man mit dem vorliegenden Material nicht beantworten, denn eine richtige Studie ist derzeit nicht zu finden, lediglich die Pressemitteilung des Instituts mit der Abbildung. Und dort kann man der Fußnote entnehmen:

Betreuungsbedarf: Stand 2015. Ursprungsdaten: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Das war es dann. Eine richtige Quellenangabe fehlt, mehr Informationen bekommen wir nicht. Das ist mehr als unbefriedigend. Hat man etwa auf Umfragedaten zu den Betreuungsbedarfen zurückgegriffen, die vom Deutschen Jugendinstitut (DJI) in der Vergangenheit veröffentlicht worden sind – wohlgemerkt, Befragungsergebnisse auf Stichprobenbasis? Sollte das sein – was vermutlich so ist, dem Material aber wie gesagt nicht belegbar entnommen werden kann -, dann wäre zu berücksichtigen, dass es sich um Umfrageergebnisse handelt, die gerade in dem hier relevanten Feld der Bedarfe an Kindertagesbetreuung mit Vorsicht zu genießen sind, denn erfahrungsgemäß unterscheiden sich schon die Werte, wenn nicht nur ein allgemeiner Bedarf abgefragt wird, sondern die Befragten auch mit dem Preis konfrontiert werden, der in vielen Bundesländern aus teilweise ganz erheblichen Elternbeiträgen besteht.

Der Verdacht kommt auf, dass die – nun ja – „Studie“ daraus besteht, dass man einfach die Zahl der in jedem März eines Jahres erhobenen (tatsächlich besetzten) Kita-Plätze für die unter dreijährigen Kinder genommen hat (die aktuellsten und regional differenziertesten Werte für 2016 findet man in dieser Veröffentlichung: Statistisches Bundesamt: Kindertagesbetreuung regional 2016. Ein Vergleich aller 402 Kreise in Deutschland, Wiesbaden, Dezember 2016) und die Differenz zwischen den dort für die einzelnen Bundesländern ausgewiesenen Werten und den (angeblichen) Bedarfen – also dem im IW-Text genannten 43 Prozent-Wert – berechnet und als „fehlende“ Plätze ausgewiesen hat. Eine recht simple Rechenoperation. Aber andere, vor allem weiterreichende methodische Hinweise kann man den dürren Erläuterungen des IW nicht entnehmen.
Das wäre natürlich ein mehr als fragwürdiges Unterfangen, wenn man um die Komplexität des Themas Kindertagesbetreuung weiß.

Ein Grundproblem ist natürlich, dass wir es mit einem „beweglichen Ziel“ zu tun haben. Das IW verweist ja selbst auf den Tatbestand, dass man bei der früher ausgewiesenen „bedarfsdeckenden“ Quote an Kinderbetreuungsplätzen immer von den 35 Prozent ausgegangen ist (der Wert wurde später auf 39 Prozent angehoben), was sich mittlerweile als zu niedrig herausgestellt hat, um den wirklichen Bedarf der Eltern abzubilden.  Aber darauf haben viele schon in der Vergangenheit hingewiesen, beispielsweise das Statistische Bundesamt selbst in der Veröffentlichung der regional differenzierten Werte des Jahres 2014. Dort haben sie angemerkt:

»Auf dem Krippengipfel von Bund, Ländern und Kommunen im Jahr 2007 wurde vereinbart, bis zum Jahr 2013 bundesweit für 35 % der Kinder unter 3 Jahren ein Angebot zur Kindertagesbetreuung in einer Kindertageseinrichtung oder durch eine Tagesmutter beziehungsweise einen Tagesvater zu schaffen. Die damalige Planungsgröße wurde auf 750.000 Plätze beziffert. Mittlerweile wird der Bedarf sogar auf rund 780.000 Plätze für unter 3-Jährige geschätzt, was einer Betreuungsquote von gut 39 % entspricht. Da der Bedarf regional unterschiedlich hoch sein wird, kann es auf regionaler Ebene zu deutlichen Abweichungen nach oben oder auch nach unten kommen.« (S. 5)

Am 20. Februar 2015 wurde in diesem Blog in dem Beitrag Noch nie so viele. Kinder unter 3 Jahren in Kitas und Tagespflege. Und viele Fragen jenseits der nackten Zahlen ergänzend darauf hingewiesen: »Und die Insider wissen, dass auch diese Quote von 39 % von vielen Fachleuten als zu niedrig angesetzt eingeschätzt wird, der tatsächliche Bedarf also eigentlich einen noch höheren Wert zur Folge haben müsste.«

Damit keine Missverständnisse aufkommen: Es geht nicht darum, die Zahl von 228.000 (angeblich) fehlenden Kita-Plätzen nach unten zu rechnen, es gibt durchaus Hinweise (und die schon seit langem), dass die Zahl noch weitaus größer sein könnte. Aber wir können das derzeit nicht quantifizieren und die Veröffentlichung der „Studie“ des IW, die ja auch – weil sie mit der einen Zahl bzw. – wie praktisch für regionale Berichterstattung – mit der einen Zahl für jedes Bundesland operiert – von den Medien so gerne aufgegriffen wurde, suggeriert ein Wissen, das derzeit schlichtweg nicht existiert.

Nehmen wir für die zahlreichen methodischen Probleme nur als ein Beispiel die vom IW selbst erwähnten Flüchtlingskinder. Die sind zusätzlich dazu gekommen – aber um die Auswirkungen auf den Platzbedarf in der Kindertagesbetreuung korrekt quantifizieren zu können, müsste man berücksichtigen, dass die ja nicht gleichverteilt sind über alle Regionen in Deutschland, sondern ganz im Gegenteil oftmals eine ganz erhebliche regionale bzw. lokale Konzentration zu beobachten ist, die dazu führt, dass es dort vor Ort große zusätzliche Bedarfe gibt und an anderen Orten nichts davon zu spüren ist.

Man kann und muss deutlich beklagen, dass sowohl die Bundes- wie auch die Bundesländerebene in den vergangenen Jahren beim Aufbau einer elaborierten Bedarfsforschung versagt haben – und das gilt nicht nur für die eben nicht triviale Frage nach dem Platzbedarf, sondern beispielsweise auch für die Frage, wie viel Personal brauchen wir denn in der Kindertagesbetreuung (und auch diese Abschätzung ist nicht trivial, denn man müsste dabei auch berücksichtigen, unter welchen Personalschlüsseln sollen die Fachkräfte arbeiten).

Aber so ist es derzeit leider. Und mit einer Zahl an „fehlenden Kita-Plätzen“ zu operieren mag zwar medientauglich sein, ist aber schlichtweg nicht wirklich seriös und führt gleichzeitig – ob bewusst oder unbewusst – auf ein gefährliches Gleis: Wieder einmal nur über Quantitäten zu diskutieren und dabei erneut die Frage nach den Qualitäten auszublenden bzw. zu verdrängen. Das aber wäre ein neues Fass, das im kommenden Jahr aufgemacht werden muss.

Vom Kita-Platz bis zum Jobcenter. Die Bürger und der Rechtsweg bis nach oben

Immer wieder versuchen Bürger, gegen den Staat und seine Entscheidungen den Rechtsweg einzuschlagen und zuweilen müssen sie sich bis ganz oben durchklagen. Der Rechtsweg hat eine elementare Bedeutung gerade auch im sozialpolitischen Bereich. Hier kommt erschwerend hinzu, dass der Einzelne meistens großen Apparaten gegenübersteht. Immer wieder werden Ohnmachtsgefühle angesichts der gegebenen Asymmetrie vorgetragen – und auch in diesem Kontext ist die grundsätzliche Möglichkeit einer Korrektur der Entscheidungen der anderen Seite des Schreibtisches eine wichtige Komponente des Rechtsstaats.

Da gibt es beispielsweise diesen Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz ab dem vollendeten ersten Lebensjahr des Kindes. Was gab es darum im Vorfeld seines Inkrafttretens im August 2013 für Diskussionen – ein „Kita-Chaos“ wurde beschworen und vermischt mit einer dieser so typisch deutschen Debatten über ein Entweder-Oder bei der Frage, wer sich um die Kinder kümmern soll. Zwischenzeitlich hat sich diese Grundsatzdebatte gelegt und die Eltern sind wieder auf sich gestellt bei der ganz praktischen Frage, wie man denn diesen Rechtsanspruch Wirklichkeit werden lässt. Das ist für so manche Betroffene keine einfache Frage, denn der Anspruch kann nur eingelöst werden, wenn es genügend Plätze gibt, qualitative Anfragen an die Plätze sind hier noch gar nicht angesprochen. Und da erleben einige Eltern ihr blaues Wunder.

Und einige der Eltern, denen nicht rechtzeitig ein Betreuungsplatz zur Verfügung gestellt werden kann, haben gegen die Kommunen, die dafür letztverantwortlich sind, geklagt. Und heute musste der Bundesgerichtshof (BGH) ein Urteil sprechen in Verfahren, die von der beklagten Kommune bis hinauf in bundesrichterliche Höhen getrieben worden sind.

Aktuell ging es um drei Frauen aus Leipzig, die wegen fehlender Krippenplätze ihre Kinder daheim betreuten und deshalb erst später wieder in den Beruf zurückkehren konnten. Zum Sachverhalt führt der BGH aus:

»Die Klägerinnen der drei Parallelverfahren beabsichtigten, jeweils nach Ablauf der einjährigen Elternzeit ihre Vollzeit-Berufstätigkeit wieder aufzunehmen. Unter Hinweis darauf meldeten sie für ihre Kinder wenige Monate nach der Geburt bei der beklagten Stadt Bedarf für einen Kinderbetreuungsplatz für die Zeit ab der Vollendung des ersten Lebensjahres an. Zum gewünschten Termin erhielten die Klägerinnen von der Beklagten keinen Betreuungsplatz nachgewiesen.
Für den Zeitraum zwischen der Vollendung des ersten Lebensjahres ihrer Kinder und der späteren Beschaffung eines Betreuungsplatzes verlangen die Klägerinnen Ersatz des ihnen entstandenen Verdienstausfalls (unter Anrechnung von Abzügen für anderweitige Zuwendungen und ersparte Kosten belaufen sich die Forderungen auf 4.463,12 €, 2.182,20 € bzw. 7.332,93 €).«

Anders formuliert: Hier klagen Eltern, weil Ihnen ein Schaden dadurch entstanden sei, dass der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz nicht eingelöst worden ist. Nun muss man sich aber in einem ersten Schritt – auch, um die Bedeutung der heutigen Entscheidung des BGH zu würdigen – anschauen, wie dieser Rechtsanspruch im zuständigen Gesetz eigentlich formuliert ist. Dazu lohnt der Blick in den § 24 SGB VIII, der unter der Überschrift „Anspruch auf Förderung in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege“ steht. Dort heißt es im Absatz 2:

»Ein Kind, das das erste Lebensjahr vollendet hat, hat bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres Anspruch auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege.«

Wenn man das so liest, könnte man durchaus auf den Gedanken kommen, dass es hier um einen Rechtsanspruch des Kindes auf Förderung geht, nicht aber ein Anspruch der Eltern auf die Ermöglichung einer Erwerbstätigkeit normiert wird.

Allerdings gibt es in dem Paragrafen auch noch einen Ansatz 1 und der regelt, wie es mit den Kindern aussehen sollte, die noch keinen Rechtsanspruch haben, weil sie nicht nicht das erste Lebensjahr vollendet haben. Hier hat der Gesetzgeber ausgeführt, dass diese Kinder dann in einer Kita zu fördern sind, wenn u.a. »die Erziehungsberechtigten a) einer Erwerbstätigkeit nachgehen, eine Erwerbstätigkeit aufnehmen oder Arbeit suchend sind«, was darauf verweist, dass die elterliche Erwerbstätigkeit sehr wohl als Anspruchskriterium herangezogen wird.

Vor diesem Hintergrund wieder zurück zum BGH. »Der Bundesgerichtshof hat sich heute in mehreren Entscheidungen mit der Frage befasst, ob Eltern im Wege der Amtshaftung (§ 839 Abs. 1 Satz 1 BGB in Verbindung mit Artikel 34 Satz 1 GG) den Ersatz ihres Verdienstausfallschadens verlangen können, wenn ihren Kindern entgegen § 24 Abs. 2 SGB VIII ab Vollendung des ersten Lebensjahres vom zuständigen Träger der öffentlichen Jugendhilfe kein Betreuungsplatz zur Verfügung gestellt wird und sie deshalb keiner Erwerbstätigkeit nachgehen können.«
Und warum mussten sich die Richter damit überhaupt befassen?

»Das Landgericht Leipzig hat den Klagen stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht Dresden die Klagen abgewiesen. Es hat ausgeführt, dass die beklagte Stadt zwar ihre aus § 24 Abs. 2 SGB VIII folgende Amtspflicht verletzt habe; die Erwerbsinteressen der Klägerinnen seien von dieser Amtspflicht aber nicht geschützt. Hiergegen richten sich die Revisionen der Klägerinnen.«

Das OLG hatte zwar anerkannt, dass die Gemeinde ihre Amtspflicht verletzt hatte: Sie hätte für die Kinder geeignete Betreuungsplätze bereitstellen müssen. »Denn aus der Amtspflichtverletzung ergebe sich nicht automatisch, dass die Eltern einen Schadensersatzanspruch haben. Der Sinn des Kindesförderungsgesetz sei, direkt das Wohl der Kinder zu verbessern, nicht aber die Vereinbarkeit von Familie und Beruf der Eltern, was man juristisch wohl eher als indirekten Nutzen für die Kinder auslegen kann. In der Urteilsbegründung hieß es damals: „Die erwerbstätigen sorgeberechtigten Eltern sind nicht geschützte Dritte“, der Verdienstausfall der Eltern sei „nicht vom Schutzzweck der Norm umfasst“. Das Gesetz ziele auf die frühe Förderung des Kindes, nicht die Berufstätigkeit der Eltern.« (vgl. Kommunen können wegen fehlender Kitaplätze haftbar gemacht werden).

Und wie hat der BGH nun entschieden? Die Pressemitteilung dazu wurde unter diese Überschrift gestellt: Bundesgerichtshof bejaht mögliche Amtshaftungsansprüche von Eltern wegen nicht rechtzeitig zur Verfügung gestellter Kinderbetreuungsplätze – Verschulden der beklagten Kommune muss aber noch geprüft werden. Das ist schon mal eine Länge für eine Überschrift und verweist damit, dass man den Sachverhalt eben nicht so einfach schwarz-weiß beantworten kann.

Der zuständige III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat die Urteile des Oberlandesgerichts Dresden aufgehoben und die Sachen zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der BGH hat das Vorliegen einer Amtspflichtverletzung der beklagten Stadt bejaht. Und dann folgen Sätze, die den Kommunen, die Schwierigkeiten haben, den Rechtsanspruch in der erforderlichen Quantität erfüllen zu können, hart treffen:

»Eine Amtspflichtverletzung liegt bereits dann vor, wenn der zuständige Träger der öffentlichen Jugendhilfe einem gemäß § 24 Abs. 2 SGB VIII anspruchsberechtigten Kind trotz rechtzeitiger Anmeldung des Bedarfs keinen Betreuungsplatz zur Verfügung stellt. Die betreffende Amtspflicht ist nicht durch die vorhandene Kapazität begrenzt. Vielmehr ist der verantwortliche öffentliche Träger der Jugendhilfe gehalten, eine ausreichende Zahl von Betreuungsplätzen selbst zu schaffen oder durch geeignete Dritte – freie Träger der Jugendhilfe oder Tagespflegepersonen – bereitzustellen. Insoweit trifft ihn eine unbedingte Gewährleistungspflicht.«

Das ist die erste grundsätzliche Bedeutung der heutigen Entscheidung des BGH – die allerdings zwar, aber eben auch nur grundsätzlich ist, wie wir gleich noch sehen werden.

Aber hatte nicht das OLG Dresden die Klage der Eltern abgewiesen mit der Begründung, dass der Rechtsanspruch nur dem Kinde zusteht, nicht aber den Eltern? Hier kommt die zweite grundsätzliche Bedeutung der Urteile vom 20. Oktober 2016 – III ZR 278/15, 302/15 und 303/15 ins Spiel, wenn der BGH ausführt:

»Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts bezweckt diese Amtspflicht auch den Schutz der Interessen der personensorgeberechtigten Eltern. In den Schutzbereich der Amtspflicht fallen dabei auch Verdienstausfallschäden, die Eltern dadurch erleiden, dass ihre Kinder entgegen § 24 Abs., 2 SGB VIII keinen Betreuungsplatz erhalten. Zwar steht der Anspruch auf einen Betreuungsplatz allein dem Kind selbst zu und nicht auch seinen Eltern. Die Einbeziehung der Eltern und ihres Erwerbsinteresses in den Schutzbereich des Amtspflicht ergibt sich aber aus der Regelungsabsicht des Gesetzgebers sowie dem Sinn und Zweck und der systematischen Stellung von § 24 Abs. 2 SGB VIII. Mit dem Kinderförderungsgesetz, insbesondere der Einführung des Anspruchs nach § 24 Abs. 2 SGB VIII, beabsichtigte der Gesetzgeber neben der Förderung des Kindeswohls auch die Entlastung der Eltern zu Gunsten der Aufnahme oder Weiterführung einer Erwerbstätigkeit. Es ging ihm – auch – um die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsleben und, damit verbunden, um die Schaffung von Anreizen für die Erfüllung von Kinderwünschen. Diese Regelungsabsicht hat auch im Gesetzestext ihren Niederschlag gefunden. Sie findet sich insbesondere in den Förderungsgrundsätzen des § 22 Abs. 2 SGB VIII bestätigt. Der Gesetzgeber hat hiermit zugleich der Erkenntnis Rechnung getragen, dass Kindes- und Elternwohl sich gegenseitig bedingen und ergänzen und zum gemeinsamen Wohl der Familie verbinden.«

Auch hier gilt wieder: Der Blick ins Gesetz kann erhellend wirken. Im § 22 Absatz 2 SGB VIII findet man die folgende Zielsetzung des Gesetzgebers:

»Tageseinrichtungen für Kinder und Kindertagespflege sollen
1. die Entwicklung des Kindes zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit fördern,
2. die Erziehung und Bildung in der Familie unterstützen und ergänzen,
3. den Eltern dabei helfen, Erwerbstätigkeit und Kindererziehung besser miteinander vereinbaren zu können.«

Also auch die bessere Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Kindererziehung.

Allerdings können die Klägerinnen – noch – nicht eine entsprechende Zahlung erwarten, denn der Senat des BGH hat die Angelegenheit an das OLG Dresden zurückverwiesen – wegen noch ausstehender tatrichterlicher Feststellungen zum Verschulden der Bediensteten der Beklagten und zum Umfang des erstattungsfähigen Schadens.

„Sicherheitshalber“ haben die Richter des BGH aber der unteren Instanz wichtige Anmerkungen ins Stammbuch geschrieben:

»Wird der Betreuungsplatz nicht zur Verfügung gestellt, so besteht hinsichtlich des erforderlichen Verschuldens des Amtsträgers zugunsten des Geschädigten der Beweis des ersten Anscheins. Auf allgemeine finanzielle Engpässe kann die Beklagte sich zu ihrer Entlastung nicht mit Erfolg berufen, weil sie nach der gesetzgeberischen Entscheidung für eine ausreichende Anzahl an Betreuungsplätzen grundsätzlich uneingeschränkt – insbesondere: ohne „Kapazitätsvorbehalt“ – einstehen muss.«

Das bedeutet, die Kommune kann sich nicht zurückziehen auf das Argument einer prekären finanziellen Lage. Die zählt beim – möglichen – Schadensersatzanspruch nicht.

Allerdings – das kann man der Pressemitteilung des Gerichts nicht entnehmen, aber einem Bericht über die Verhandlung vor dem BGH – wird der Anspruch auf Schadensersatzanspruch durchaus begrenzt:

»Schadensersatz bekommen sie nur, wenn nachgewiesen ist, dass die Stadt Leipzig den Mangel an Kitaplätzen tatsächlich mitverschuldet hat. Nach der mündlichen Urteilbegründung ist bei fehlenden Plätzen zwar prinzipiell von einem Verschulden auszugehen. Allerdings könnten sich die Kommunen „im Einzelfall“ entlasten, so der BGH-Vorsitzende. Als Beispiele nannte er Personalengpässe bei den benötigten Erziehern und unvorhergesehene Schwierigkeiten bei der Errichtung von Kitas, etwa wenn ein Bauträger pleite ist.«

Matthias Kaufmann bezieht sich in seinem Artikel Bekommen jetzt viele Eltern Schadensersatz? auf diese Einschränkungen seitens des BGH:

»Die Klägerinnen werden nachweisen müssen, dass ihre Gemeinde bei der Platzvergabe geschlampt hat. Wenn sie für den Engpass jedoch nichts konnte, wird es wohl auch keinen Schadensersatz geben … das Schlüsselwort heißt „prinzipiell“ – es kann durchaus Ausnahmen geben. In seiner mündlichen Urteilsbegründung gab das Gericht ein paar Beispiele: Etwa, wenn eine neue Kita nicht rechtzeitig fertig wird, weil der Bauträger Insolvenz anmeldet. Oder wenn trotz rechtzeitiger Stellenausschreibung nicht genügend Erzieherinnen zur Verfügung stehen. Das sind durchaus realistische Szenarien.«

Dennoch – die doppelt grundsätzliche Bedeutung der BGH-Entscheidung ist nicht zu unterschätzen und insofern kann und muss man von einem Erfolg sprechen.

Kommen wir zu einem zweiten Fall höchstrichterlicher Rechtsprechung, die ebenfalls einen wichtigen sozialpolitischen Bereich tangiert – die Jobcenter. Und ihre Telefonisten. Über die bzw. deren Veröffentlichung gab es Verfahren, die sich bis zum Bundesverwaltungsgericht hinauf gezogen haben und auch da gibt es nun eine Entscheidung.

Dazu teilt uns das BVerwG unter der trockenen Überschrift mit: Informationszugang zu dienstlichen Telefonlisten von Jobcentern: Revisionen erfolglos.

Zum Sachverhalt dieser Verfahren:

»Die Kläger begehren unter Berufung auf das Informationsfreiheitsgesetz Zugang zu Diensttelefonlisten der beklagten Jobcenter in Köln, Nürnberg-Stadt, Berlin Mitte und Berlin Treptow-Köpenick. Die Bediensteten dieser Jobcenter sind von ihren Kunden nicht unmittelbar telefonisch zu erreichen. Anrufe werden jeweils von eigens eingerichteten Service-Centern mit einheitlichen Telefonnummern entgegengenommen.«

Zu den Vorinstanzen: Das Oberverwaltungsgericht Münster und der Verwaltungsgerichtshof München hatten entschieden, dass zu Lasten der Kläger der Ausschlussgrund des § 3 Nr. 2 IFG greift.

Der § 3 steht unter der Überschrift „Schutz von besonderen öffentlichen Belangen“. Bezugnehmend auf die genannte Nummer 2 kann man dem Paragrafen entnehmen: Der Anspruch auf Informationszugang besteht nicht, »2. wenn das Bekanntwerden der Information die öffentliche Sicherheit gefährden kann.«

Ein Anspruch auf Informationszugang ist demnach also nicht gegeben, wenn das Bekanntwerden der Information die öffentliche Sicherheit gefährden kann. Zum Schutzgut der öffentlichen Sicherheit gehören u.a. Individualrechtsgüter wie Gesundheit und Eigentum sowie die Funktionsfähigkeit und die effektive Aufgabenerledigung staatlicher Einrichtungen.

Sowohl das Oberverwaltungsgericht Münster wie der Verwaltungsgerichtshof München hatten jeweils  Tatsachen festgestellt, die zu einer solchen Gefährdung führen. »Sie besteht namentlich in nachteiligen Auswirkungen auf die effiziente und zügige Aufgabenerfüllung der Jobcenter, die infolge von direkten Anrufen bei den Bediensteten eintreten können.«

Und was sagt das BVerwG?

»Einem Anspruch auf Informationszugang zu den dienstlichen Telefonnummern der Bediensteten von Jobcentern können sowohl die Gefährdung der Funktionsfähigkeit der Behörde als auch der Schutz der personenbezogenen Daten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entgegenstehen.«
Damit wurden die Revisionen der Kläger zurückgewiesen.

»Dem weitergehenden Anspruch auf Übermittlung der Telefonlisten ohne vorherige Einwilligung der betroffenen Bediensteten steht, wie das Bundesverwaltungsgericht bestätigt hat, § 5 Abs. 1 Satz 1 IFG entgegen. Danach darf ohne eine solche Einwilligung Zugang zu personenbezogenen Daten nur gewährt werden, soweit das Informationsinteresse des Antragstellers das schutzwürdige Interesse des Dritten am Ausschluss des Informationszugangs überwiegt. Bei den dienstlichen Telefonnummern handelt es sich um personenbezogene Daten, die vom Schutzbereich des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung erfasst werden. § 5 Abs. 1 Satz 1 IFG liegt daher ein relativer Vorrang des Datenschutzes vor dem Informationsinteresse zugrunde. Vor diesem Hintergrund war in den entschiedenen Fällen ein Überwiegen der von den Klägern geltend gemachten Interessen zu verneinen.«

Die Jobcenter müssen also die Telefonlisten ihrer Mitarbeiter nicht herausgeben und dies aus Sicht des BVerwG aus zwei Gründen: Zum einen verstoße eine Herausgabe gegen die informationelle Selbstbestimmung der Mitarbeiter der Jobcenter. Zum anderen könne die öffentliche Sicherheit gefährdet sein.

Aber was meint Gefährdung der öffentlichen Sicherheit?

»Damit ist weniger die Sorge vor Angriffen auf Mitarbeiter gemeint als vielmehr die Befürchtung, dass Jobcenter bei zahlreichen direkten Anrufen nicht mehr effizient und zügig arbeiten könnten.« (vgl. Jobcenter dürfen Durchwahlen verheimlichen).

Man kann die Entscheidung durchaus verstehen als eine sehr weitreichende Einhegung öffentlicher Institutionen.

Vollkommen unabhängig von den Verfahren, die das Bundesverwaltungsgericht abschlägig beschieden hat, aber über das Informationsfreiheitsgesetz miteinander verbunden, wird derzeit für einen anderen Ansatz geworben: Aktivisten rufen zu Anfragen an Jobcenter auf: »Weisungen und Zielvorgaben: Jobcenter handeln nach festen Regeln, legen diese aber nicht offen. Das will die Transparenzinitiative „Frag das Jobcenter“ ändern – mithilfe Hunderter Online-Bürgeranfragen.«

Der Ausgangspunkt wird so beschrieben:

»Es gibt eine Reihe von Informationen, die kaum ein Jobcenter veröffentlicht – obwohl die Arbeitssuchenden mitunter darauf angewiesen sind, sie zu kennen. So werden etwa in den sogenannten Weisungen Regeln aufgestellt, an die die Jobcenter-Kunden sich zu halten haben. Schwierig, wenn sie nichts von ihnen wissen.

Jüngst sorgte etwa die Weisung zur Ausgestaltung von Leistungskürzungen bei „sozialwidrigem Verhalten“ für Empörung. In diesem Fall handelte es sich um eine Weisung aus der Zentrale der Bundesagentur für Arbeit (BA) in Nürnberg – aber in jedem Jobcenter gibt es darüber hinaus eigene Weisungen, die sich teils erheblich voneinander unterscheiden.

Auch die Zielvorgaben eines Jobcenters bleiben meist intern. Darin ist definiert, was ein Jobcenter innerhalb eines Kalenderjahrs erreichen möchte, daran wird die Leistung seiner Mitarbeiter gemessen. Manch offenkundig unsinnige Entscheidung ließe sich damit erklären – doch dafür müsste die Öffentlichkeit die Inhalte dieser Zielvorgaben kennen.«

Die Aktivisten der Open Knowledge Foundation Deutschland (OKFN) wollen das Gebaren der Jobcenter nun transparent machen. Über ihr Webportal FragDenStaat.de haben sie die Aktion „Frag das Jobcenter“ initiiert und Anfragen für jedes Jobcenter in Deutschland vorbereitet. So können Bürger sehr einfach online die Herausgabe der Weisungen und Zielvorgaben beantragen – die dann wiederum auf dem Portal veröffentlicht werden sollen.

Foto: Screenshot eines Tweets von Extra 3 am 20.10.2016

Die Kita-Qualität steigt, sagen die einen. Aber was macht ihr mit unseren Kindern, fragen die anderen?

Die Bertelsmann-Stiftung hat sich mit neuen Daten aus dem „Ländermonitor Frühkindliche Bildungssystem“ an die Öffentlichkeit gewandt.  Mit diesem Monitoring begleitet die Stiftung seit Jahren die Entwicklung der Kinderbetreuungssysteme in den einzelnen Bundesländern. Die neue Botschaft hört sich verhalten positiv an: Kita-Qualität steigt, aber Unterschiede zwischen den Ländern bleiben enorm, so haben die ihre Meldung überschrieben.

»Auf eine Kita-Fachkraft kommen im Durchschnitt weniger Kinder als vor drei Jahren. Bundesweit ist zum 1. März 2015 eine vollzeitbeschäftigte Fachkraft für durchschnittlich 4,3 ganztags betreute Krippen- oder 9,3 Kindergartenkinder zuständig. Vor drei Jahren kamen auf eine Fachkraft noch 4,8 Krippen- beziehungsweise 9,8 Kindergartenkinder.«

Diese zahlenmäßige Verbesserung muss gesehen werden vor dem Hintergrund des enormen Ausbaus der Betreuungsplätze in den zurückliegenden Jahren. Es wird sogleich aber auch Wasser in den aufgetischten Wein gegossen: »Bundesweit ist der Trend zwar positiv, doch in den meisten Bundesländern sind die Personalschlüssel noch immer weit entfernt von einem pädagogisch sinnvollen Wert. Nach den Empfehlungen der Bertelsmann Stiftung sollte sich eine Fachkraft um höchstens 3 unter Dreijährige oder 7,5 Kindergartenkinder kümmern.« Und die Stiftung weist selbst auf ein methodisches Dilemma hin: Die Zahlen über die Betreuungsrelationen – auch wenn sie statistisch stimmen – spiegeln nicht eins zu eins die Realität in den Einrichtungen wider: »Zudem fällt das tatsächliche Betreuungsverhältnis im Kita-Alltag ohnehin ungünstiger aus als der rechnerisch ermittelte Personalschlüssel. Kita-Fachkräfte wenden mindestens ein Viertel ihrer Zeit für Team- und Elterngespräche, Dokumentation und Fortbildung auf. Auch zunehmend längere Betreuungszeiten sowie längere Öffnungszeiten der Kitas verschlechtern die Betreuungsrelationen, wenn diese nicht durch zusätzliches Personal abgedeckt werden können.«

Und die Stiftung verweist auch darauf, dass die Unterschiede bereits zwischen den Bundesländern enorm sind und sich 2015 im Vergleich zu 2012 bei den Personalschlüsseln für die Kindergartenkinder sogar noch vergrößert haben:

»Aktueller Spitzenreiter ist Baden-Württemberg (1 zu 7,3), wohingegen in Mecklenburg-Vorpommern fast doppelt so viele Kindergartenkinder pro Kita-Fachkraft betreut werden (1 zu 14,1).«

Für die ganz kleinen Kinder unter drei Jahren stellt sich bei ebenfalls enormer regionaler Varianz die Entwicklung etwas „besser“ dar bei den Personalschlüsseln:

»Im Krippenbereich sind derzeit die Unterschiede zwischen den Personalschlüsseln in den Bundesländern etwas kleiner als 2012. Baden-Württemberg hat auch für die unter Dreijährigen derzeit den bundesweit besten Personalschlüssel (1 zu 3,0). Sachsen ist unter den Bundesländern das Schlusslicht (1 zu 6,4).«

Erneut erkennbar wird ein gewaltiges und nicht zu rechtfertigendes Ost-West-Gefälle: »Eine ostdeutsche Kita-Fachkraft ist für 6,1 Krippenkinder zuständig, eine westdeutsche Fachkraft nur für 3,6 Krippenkinder. Dabei besucht in Ostdeutschland auch ein wesentlich größerer Anteil aller Krippenkinder eine Kita: 46,8 Prozent der unter Dreijährigen. In den westdeutschen Bundesländern sind es trotz des Ausbaus nur 23,6 Prozent.«

Nun hat die Stiftung ja auch konkrete Soll-Werte für die Personalausstattung vorgelegt und deren Realisierung würde natürlich zweierlei bedingen: a) mehr Fachkräfte und b) damit einhergehend mehr Geld als bislang:

»Um die Personalschlüssel auf das von der Bertelsmann Stiftung empfohlene Niveau zu heben, sind bundesweit zusätzlich 107.000 vollzeitbeschäftigte Fachkräfte erforderlich. Dieses Personal kostet nach Berechnungen der Stiftung jährlich rund 4,8 Milliarden Euro. Verglichen mit den derzeit im Kita-Bereich anfallenden Personalkosten in Höhe von 16,6 Milliarden wäre das ein Anstieg von rund einem Drittel (29 Prozent).«

Wohlgemerkt – das wäre das eigentlich zusätzlich erforderliche Personal, um die aus fachlicher Sicht anzustrebende Personalausstattung im gegebenen System erreichen zu können. Wenn man – wie immer wieder sehr gerne aus den Reihen der Wirtschaft – eine weitere Expansion der „Dienstleistung“ Kinderbetreuung einfordert, also (noch) längere Öffnungszeiten oder individuelle Betreuungsarrangements für Abend-, Nacht- und Wochenendstunden, dann reden wir über ganz andere Größenordnungen an zusätzlichem Personal.

Das wir gerade bei diesem Thema ganz offensichtlich von unterschiedlichen Welten ausgehen müssen, kann man beispielhaft an diesem Bericht verdeutlichen: Neuer Service für Eltern: Kita-Erzieherin kommt nach Hause, so ein Artikel aus der Berliner Morgenpost. Viele Menschen, die in Berlin leben und die Realität der „Standardversorgung“ im Kita-Bereich mit ihren vielgestaltigen Problemen kennen, werden sich verwundert die Augen reiben, wenn sie lesen: »Für berufstätige Eltern soll es ab dem Sommer in Berlin eine neue Dienstleistung geben. Wer nachts, spätabends oder am frühen Morgen außerhalb der regulären Kita-Öffnungszeiten arbeiten muss und niemanden hat, der auf die Kinder aufpasst, kann künftig mit seinem Kita-Gutschein auch Betreuungskräfte nach Hause bestellen. Die Senatsjugendverwaltung hat die Leistung einer Servicestelle ausgeschrieben, die das Angebot koordinieren und Kontakte zwischen Firmen, Eltern und Betreuern vermitteln soll. Gedacht ist die Hilfe vor allem für Alleinerziehende. Aber auch berufstätige Paare können grundsätzlich den Dienst in Anspruch nehmen, der ebenso gratis ist wie die Berliner Kita. Bisher sind solche raren Services entweder teuer, nachts nicht verfügbar oder die Kinder müssen zur Tagesmutter.« Man darf gespannt sein, wie dieser Ansatz verwirklicht werden kann, wenn selbst für normale Kitas Personal vorne und hinten fehlt. Vgl. dazu nur als ein Beispiel den Beitrag Der real existierende Fachkräftemangel lässt sich hier besichtigen: Personalmangel in vielen Kindertageseinrichtungen schon unter den herrschenden Bedingungen vom 23. Januar 2016. Der „neue“ Vorstoß in Berlin erinnert einen fatal an den Mechanismus der Aktivitätssimulation, dessen Funktion vor allem im Ankündigen besteht, weniger oder gar nicht in der Umsetzung. Dazu aus dem vergangenen Jahr der Beitrag Kommen jetzt die 24-Stunden-Kita-Kombinate? Über ein gar nicht so neues Ferkel, das durchs Sommer-Dorf getrieben wird vom 5. Juli 2015.

Und parallel zu der Vorstellung der neuen Daten der Bertelsmann-Stiftung wird man dann mit so was konfrontiert: »Kitas sollen die Jüngsten behüten. Doch mehr als 2.000 Erfahrungsberichte zeigen: Mancherorts herrschen schlimme Zustände. Bund und Länder aber schauen weg«, behaupten Kai Biermann, Philip Faigle, Astrid Geisler, Karsten Polke-Majewski, Tilman Steffen und Sascha Tenor in ihrem Artikel Was macht ihr da mit unseren Kindern?

ZEIT ONLINE hat seine Leser Anfang Mai gefragt, ob sie Missstände in ihrer Kindertagesstätte beobachtet haben. Etwa 2.000 Eltern und 260 Kita-Mitarbeiter haben geantwortet. Wissenschaftler, Behördenmitarbeiter und Berufsaussteiger berichteten aus dem Inneren der Brombranche. Ein Reporterteam ist Dutzenden Erfahrungsberichten nachgegangen. Die teilweise nur erschreckend zu nennenden Ergebnisse kann man in dem Artikel nachlesen.

Die Autoren verweisen aber auch auf eine strukturelle Dimension des offensichtlichen Mangels, etwas gegen diese beklagenswerten Entwicklungen zu tun:

»Überall im Land sehen Kitaleiterinnen, Erzieherinnen und Eltern dramatische Missstände. Doch niemand hilft ihnen. Ob Kitaträger oder Ämter, viel zu viele schauen weg. Und im Bund boykottieren die zuständigen Ministerpräsidenten aller Parteien überfällige Mindeststandards, die Kleinkinder schützen würden.«

Der angesprochene Boykott der Ministerpräsidenten erinnert den einen oder anderen an ein Thema, das auch hier schon mehrfach aufgerufen wurde – die Forderung nach einem Bundesqualitätsgesetz für den Bereich der Kindertagesbetreuung. Das nun ist nicht wirklich neu und ohne jemanden gleich frustrieren zu wollen verweise ich hier nur auf meinen Beitrag vom 29. Oktober 2014: Die Hoffnung stirbt zuletzt und wenn, dann in der nächsten Legislaturperiode. (Zwei) Wohlfahrtsverbände und die Gewerkschaft GEW fordern ein „Bundesqualitätsgesetz“ für die Kindertagesbetreuung.

In dem ZEIT ONLINE-Artikel wird der Boykott durch die Ministerpräsidenten nicht nur behauptet, sondern auch belegt:

»Alle Länderchefs sind sich einig, „dass es keiner bundesweiten Standards bedarf“. Ihr Beschluss, von dem niemand erfahren soll, fällt am 11. Dezember 2014 im Bundeskanzleramt. Angela Merkel hat die Ministerpräsidenten der Bundesländer in ihren Amtssitz gebeten. Die Runde geht bereits dem Ende zu, als der drittletzte Tagesordnungspunkt aufgerufen wird: Kittqualität … Auch anderthalb Jahre später kennen nur Eingeweihte den Wortlaut dieses Beschlusses, der ZEIT ONLINE vorliegt. Er gilt als nicht öffentlich … Mit dem, was die 16 Ministerpräsidenten an diesem Wintertag im Kanzleramt entsorgen, brechen sie ein Versprechen. Es lautete: Erst bauen wir im großen Stil neue Kindergartenplätze, dann wird deren Qualität verbessert. Aber die Länder sagen den zweiten Schritt ab.«

Und wenn das Protokoll der Zeitung vorliegt, dann kann die das ja auch der Öffentlichkeit zugänglich machen. Genau das ist passiert und das Resultat findet man hier: Ministerpräsidenten wollen keine einheitlichen Standards. Es handelt sich um die wörtliche Abschrift des Sitzungsprotokolls einer Besprechung, die am 11. Dezember 2014 im Internationalen Konferenzsaal des Bundeskanzleramts stattgefunden hat. Entscheidend ist die Formulierung unter Punkt 3 des Beschlusses: Die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten seien sich »einig, dass es keiner bundesweiten Standards bedarf.« Punkt und Ende der Debatte.

Deshalb wird da auch nichts kommen.

Es sei denn, die Betroffenen machen enormen Druck und zwingen die Politik, sich zu bewegen.

Aber selbst dann, also wenn wir hypothetisch davon ausgehen, dass ein Bundesqualitätsgesetz – für das beispielsweise Gewerkschaften wie die GEW unermüdlich kämpfen (vgl. dazu GEW: „Bund muss jetzt handeln – Kita-Qualitätsgesetz notwendig!“ vom 29.06.2016) – auf den Weg gebracht werden würde, müsste man sich an die nackten Zahlen der Bertelsmann-Stiftung erinnern. Denn wenn man so große Unterschiede schon auf der Ebene der Bundesländer hat, was die Personalausstattung angeht, dann stellt sich natürlich die Frage, was denn ein Bundesqualitätsgesetz für Standards vorgeben soll. Sollen es Mindest-, Durchschnitts- oder Maximalstandards sein?
Diese systematische Frage ist nicht trivial, sondern berührt natürlich ein Kardinalproblem angesichts der enormen Varianz der gegebenen Personalausstattung.

Denn Mindeststandards im Sinne von Personalrelationen, die man nicht unterschreiten darf (gleichsam wie der gesetzliche Mindestlohn als Lohnuntergrenze) haben natürlich die Folge, dass mit ihnen – wenn überhaupt – nur verhindert werden kann, dass die Personalausstattung so schlecht ist, das beispielsweise das Kindeswohl erwartbar gefährdet wird oder werden könnte. Das kann aber hoch problematische Effekte haben im Sinne einer Orientierung der realen Personalausstattung nach unten.

Auch bei Durchschnittsstandards stellt sich das Problem, dass die Bundesländer, die heute schon höhere Standards haben, „zu viel“ Personal an Bord hätten, was natürlich angesichts des Haushaltsdrucks in den Ländern und Kommunen gewisse Anreize setzen könnte/wird.
Bleiben Maximalstandards, de man als (anzustrebende) Zielgrößen in so ein Gesetz einbauen könnte. Eine „milde“ Variante wäre, dass man die heutigen Spitzenreiter der Personalausstattung bei den Bundesländern als Referenzgröße heranzieht. Konsequenter wäre natürlich die Bezugnahme auf die Werte, die aus der fachwissenschaftlichen Diskussion als anzustrebende Werte abgeleitet worden sind, auch die Bertelsmann-Stiftung bezieht sich ja auf solche Relationen. Dann hätten auch die Bundesländer, die heute an der Spitze stehen, weiteren Personalbedarf. Aber die Lücke zwischen dem Ist und dem Soll wäre in den östlichen Bundesländern natürlich massiv und man kann sich vorstellen, dass das – unabhängig von der Frage, woher das zusätzliche Personal kommen soll – bei allen Bundesländern auf den größten Widerstand stoßen würde.

Auf der anderen Seite könnte alle unter Maximalstandards liegende Werte höchst problematische negative Anreize bei einem Teil der Bundesländer auslösen, die zu einer partiellen Verschlechterung führen könnten.

Das alles muss genau bedacht und konzeptualisiert werden für ein – wie ausgeführt: leider derzeit unrealistisches – Bundesqualitätsgesetz. Und dann muss das noch durch ein intelligentes Finanzierungssystem hinterlegt werden.

Auch wenn man sich etwas ganz anderes wünschen würde – auf diese Entwicklung zu hoffen, wird mit vielen Enttäuschungen garniert sein.

Was bleibt ist ein sicher unbefriedigendes Unterfangen: Man sollte die Berichte über offensichtliche oder vermeintliche Missstände in der Realität der Kindertagesbetreuung, wie sie aktuell beispielsweise in dem angesprochenen ZEIT ONLINE-Artikel an die Öffentlichkeit getragen werden, aufgreifen und die Politik zwingen, eine Antwort zu liefern auf die Frage: Wie verhindert ihr solche Zustände? Wie können sich die Eltern darauf verlassen, dass ihre Kinder nicht Schaden nehmen? Es geht hier nicht um das Plädoyer für den Aufbau einer wie auch immer gearteten Betreungsqualitätsbürokratie, aber die Frage ist natürlich „vergiftet“, denn würde man den schlechten Zuständen nachgehen, dann würde sich zeigen, dass eben nicht nur individuelles Fehlverhalten Schuld ist, sondern oftmals strukturelle Missstände wie zu wenig Personal benannt werden müssen.

Sonntagsreden und die wirkliche Wirklichkeit oder Lehrer und andere Lehrer. Und Fachfremde und Flüchtlinge in die … Kita?

Wir müssen mal wieder einen Blick werfen auf eine der – angeblich – wichtigsten Stellschrauben bei der Integration der Flüchtlinge, also den Sprach- und Integrationskursen.

Denn heute wollen einige von denen, die das machen, demonstrieren. Und warum?

”Sie haben studiert, arbeiten Vollzeit – und bekommen 1.300 Euro netto im Monat: Viele Sprachlehrer für Flüchtlinge werden mies bezahlt. Sie hangeln sich von einem Vertrag zum nächsten, bezahlten Urlaub gibt es nicht. Heute demonstrieren sie in Hannover für bessere Arbeitsbedingungen.«
Deutsch für Flüchtlinge für 1.300 Euro netto, so ist der Beitrag dazu überschrieben.

Der Artikel porträtiert beispielhaft Christiane Kusz, die als Sprachlehrerin beim Bildungsverein Hannover arbeitet.

»Für Christiane Kusz geht es nicht nur darum, Deutsch zu unterrichten, sondern den Zugewanderten den Einstieg in die deutsche Arbeits- und Lebenswelt zu erleichtern. „Nach dem Unterricht passiert es immer wieder, dass Teilnehmer mit Briefen von Ämtern kommen, die sie nicht verstehen. Da versuche ich auch zu helfen“, erzählt die studierte Germanistin.«

Und was bekommt sie für diese so wichtige Arbeit?

»Wie die meisten Sprachlehrer ist sie eine Honorarkraft. Pro Stunde bekommen Sprachlehrer im Schnitt 23 bis 30 Euro. Davon müssen sie die Kranken- und Rentenversicherung selbst bezahlen. Bei einer Vollzeitstelle mit 30 Unterrichtsstunden pro Woche bleiben daher im Monat nur rund 1.000 bis 1.300 Euro netto übrig. Viele von ihnen müssen ihr Gehalt daher mit Hartz IV aufstocken. Bezahlten Urlaub und einen Kündigungsschutz gibt es nicht. Die Lehrer hangeln sich von einem dreimonatigen Vertrag zum anderen.«

Ein Teil der Betroffenen hat schon im vergangenen Jahr das „Aktionsbündnis Deutsch als Fremdsprache Hannover“ gegründet (vgl. dazu den Artikel Sprachlehrer fordern bessere Bezahlung vom 26.11.2015).

Wir reden hier nicht von irgendwelchen Angelernten, sondern von Fachkräften:

„Wir haben alle studiert. Darüber hinaus haben wir die Zusatzqualifikation Deutsch als Fremdsprache und Spezialisierungen im Bereich Alphabetisierung“, wird Christiane Kusz zitiert. »Bleibt die Situation für die Deutschlehrer weiterhin so aussichtlos, könnte es bald keine Integrationslehrer mehr geben. Immer mehr sehen sich nach anderen Jobs um.«

Amar, ein Ingenieur aus Syrien, aus dem Kurs von Christiane Kusz wird mit den Worten zitiert: „Ohne Deutsch zu sprechen, kann ich nichts machen.“ Man muss ergänzen: Und viele von denen, die es ihnen beibringen sollen, können mit dem Geld, mit dem ihre Arbeit abgespeist wird, auch nicht viel machen.

Deutschlandweit arbeiten etwa 20.000 professionelle Deutschlehrer in der Erwachsenenbildung. Und die Nachfrage steigt. Vor allem, wenn es neben den verpflichtenden Integrationskursen für Zuwanderer nun noch mehr Deutschkurse für Asylbewerber geben soll.

Wahrscheinlich werden wir bald aus der Politik die Forderung hören, dann eben auf fachfremdes Personal oder noch besser: auf Ehrenamtliche zurückzugreifen, weil man „leider“ anders den Bedarf nicht wird decken können.

Ach ja, die Bildung. Wenn wir schon dabei sind, dann werfen wir auch noch einen Blick in einen anderen Bildungsort. Die Kindertageseinrichtungen.
Die standen in den vergangenen Jahren im Mittelpunkt eines Teils der öffentlichen Aufmerksamkeit angesichts des starken Ausbaus der Kita-Plätze im Gefolge der Einführung des Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz ab dem vollendeten ersten Lebensjahr. Und man wird sich erinnern – schon seit längerem wird immer wieder die teilweise nur als desaströs zu bezeichnende Personalsituation in den Kitas kritisiert.

Nun kommen zusätzlich sukzessive die vielen Kinder derjenigen „ins System“, die in den vergangenen Monaten als Flüchtlinge zu uns gekommen sind und noch kommen werden. Natürlich braucht man dafür zusätzliches Personal.

In diesem Kontext wird man dann mit so einem Artikel konfrontiert: GEW-Chefin: Flüchtlinge und Fachfremde als Erzieher einsetzen: »Um die Betreuung der Kinder sicherzustellen, schlägt die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft vor, auch Flüchtlinge und fachfremdes Personal in den Kitas einzusetzen.« Die Chefin der Bildungsgewerkschaft GEW? Da muss man genauer hinschauen.
Marlis Tepe, die Bundesvorsitzende der GEW, wird in dem Artikel so zitiert: „Man kann Nicht-Erzieher einstellen. Diese brauchen dann eine berufsbegleitende Ausbildung.“ Gewisse Voraussetzungen müssten die Nicht-Erzieher aber mitbringen. Dazu zählen laut Tepe die Mittlere Reife, eine dreijährige Ausbildung und mindestens drei Jahre Berufserfahrung. „Bundesweit ist die Erzieher-Kind-Relation ungünstig.“ Das ist aber noch wirklich nett formuliert.

Man sollte allerdings immer auch kritisch auf solche Artikel schauen, also ob die Journalisten wirklich alles verstanden haben. Denn bei dem folgenden Passus kann es sich schlichtweg nur um einen redaktionellen Fehler handeln, das kann die GEW-Vorsitzende so nie gesagt haben: »Zu den möglichen Berufsgruppen, die für sie in Frage kommen, gehören unter anderen Kindheitspädagogen. „Wenn überhaupt kein anderes Personal vorhanden ist, ist das denkbar“, sagte Tepe.« Das ist natürlich großer Unsinn, hier wird der Eindruck erweckt, Kindheitspädagoginnen seien irgendwelche niedrig qualifizierten Kräfte, dabei handelt es sich um die akademische Schiene der Erzieherinnen-Ausbildung.

Aber Marlis Tepe geht noch einen Schritt weiter, folgt man dem Artikel:
»Um den wachsenden Bedarf an Erziehern zu decken, sei es eine denkbare Option, auch Flüchtlinge in Kitas einzusetzen. „Man sollte gucken, ob es unter den Asylbewerbern Menschen gibt, die in ihrem Herkunftsland eine pädagogische Ausbildung hatten. Die muss man finden“, so Tepe.«

Solche Vorschläge werden sich noch für einige Diskussionen sorgen.