Am 9. Oktober 2025 hat die Bundesregierung mitgeteilt: »Die Vorsitzenden der Regierungsparteien haben sich im Koalitionsausschuss vor allem zu drei Themen verständigt: der Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur, der Einführung der Aktivrente und der Grundsicherung.« Das Bürgergeld soll durch die neue Grundsicherung abgelöst werden, habe man „in einer wirklich guten Atmosphäre beschlossen“, so der Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU). Und dazu werden uns dann noch diese Hinweise gegeben: »Für Menschen, die arbeiten können, soll grundsätzlich der Vermittlungsvorrang gelten: Sie sollen schnellstmöglich in Arbeit gebracht werden. Außerdem gilt das Prinzip Fördern und Fordern: Wer nicht mitwirkt, muss mit schärferen Sanktionen rechnen.«
Hartz IV
Von Dauerkunden der Jobcenter und gar nicht so einfachen Zahlen über die Verweildauer im Leistungsbezug
Schon seit vielen Jahren wird sowohl von den Praktikern in den Jobcentern wie auch seitens der Arbeitsmarktforschung immer wieder über die sogenannten Langzeitleistungsbezieher im SGB II-System diskutiert. Es geht dabei um Menschen, die sich über viele Jahre im Grundsicherungssystem befinden und die dann unter Schlagworten wie „Verfestigung“ und „Verhärtung“ der Hilfebedürftigkeit verhandelt werden. Da geht es um die Suche und Bearbeitung möglicher Ursachen einer jahrelangen Transferleistungsabhängigkeit, es geht aber auch immer wieder um den Vorwurf, dass sich an den Dauerbeziehern zeigen lasse, dass sich Menschen eingerichtet haben im Leistungsbezug und die ihre Bedürftigkeit – die ja Voraussetzung für die Leistung ist – gar nicht beenden wollen.
Karlsruhe statt Bierzelt. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) irrlichtert in der eskalierenden Debatte über das Bürgergeld. Verfassungsrechtliche Nachhilfe wäre angezeigt
Wir haben in den vergangenen Monaten eine teilweise abgründige Debatte über das „Bürgergeld“ – eine vor allem semantisch wohlklingende Umetikettierung dessen, was man früher „Hartz IV“ nannte – erleben müssen. Mit teilweise abstrusen Modellberechnungen, was die einen angeblich kriegen und die anderen angeblich nicht. Mit der unter die Leute gebrachten Botschaft, dass alle Bürgergeld-Empfänger arbeitslos sind und es sich mit einem Netflix-Abo und einem Flachbildfernseher ausgestattet auf der heimischen Couch in den voll von den Jobcentern bezahlten Mietwohnungen bequem machen und den vielen Menschen, die von ihrer Hände Arbeit mit überschaubaren Arbeitseinkommen über die Runden kommen müssen, den Mittelfinger zeigen. Schnell hat man mit der entsprechenden medialen Unterstützung gemerkt, dass man damit ganz viele Menschen so richtig in Wallung bringen kann und in diesem Kontext folgerichtig war dann auch eine Eskalation mit immer radikaleren Forderungen bis hin zu einer grundlegenden Infragestellung des Bürgergeldes und damit der Grundsicherung, also dem letzten Auffangnetz der sozialen Sicherung in unserem Land.
Die „Neue Grundsicherung“ der CDU: Alter Wein in alten Schläuchen
Die vergangenen Monate werden als ein weiteres Beispiel in die Sozialgeschichtsschreibung eingehen, wie man es schaffen kann, mit einer massiven Kampagne, die verengt wird auf wenige scheinbar plausible Aspekte, die zugleich mit einem hohen Empörungspotenzial versehen sind, ein ganzes soziales Sicherungssystem entstellen kann. Nach Monaten des medialen Dauerfeuers muss der an sich außenstehende Beobachter den Eindruck bekommen, dass die Menschen, die „Bürgergeld“ beziehen, aus einer Ansammlung von Erwerbsarbeitsverweigerern und/oder soziale Hängematten-Bewohner besteht, die es sich gut gehen lassen im scheinbar bedingungslosen Bezug von steuerfinanzierten Leistungen. Und Millionen Menschen, die tatsächlich „hart arbeiten“ gehen (müssen), wird dann ein nicht unerheblicher Teil des selbst erwirtschafteten Einkommens wieder aus der Tasche gezogen, um diese Leute in ihrer Bürgergeld-Wohlfühlzone finanzieren zu können. Wenn das so sein sollte, dann kann man verstehen, dass nicht wenige ein Anziehen der Daumenschreiben durchaus nachvollziehen und unterstützen können.
Zahlen bitte! Sanktionen im Hartz IV- bzw. im Bürgergeld-System. Und potemkinsche „Einsparungen“ mit den geplanten Verschärfungen der Sanktionen im SGB II
Deutschland, am Jahresende 2023: Im Dezember 2023 lebten in 2.897.000 Bedarfsgemeinschaften 5.473.000 Personen, die einen Anspruch auf Regelleistungen nach dem SGB II hatten. Hinter dieser einen großen Zahl von fast 5,5 Millionen Menschen, die auf Leistungen aus dem Grundsicherungssystem (SGB II) angewiesen sind, verbergen sich nicht nur 5,5 Millionen Einzelschicksale, sondern auch extrem unterschiedliche Fallkonstellationen, die zu einer Hilfebedürftigkeit geführt haben. In der öffentlichen und diese formatierenden medialen Diskussion muss man als unbedarfter Beobachter aber den Eindruck bekommen, als sind alle Hartz IV- bzw. neudeutsch „Bürgergeld“-Empfänger Arbeitslose, genauer: Erwerbsarbeitslose und das Hauptproblem des „neuen“ Bürgergeldes besteht darin, dass es keine „Anreize“ geben würde, irgendeine Erwerbsarbeit aufzunehmen oder dass sogar Jobs hingeschmissen werden, weil man mit dem Bürgergeld angeblich besser, vor allem angenehmer leben könne. In diesem höchst selektiven Kontext, der viele Millionen Hilfebedürftige und deren Lebenslagen komplett ignoriert, passt dann die Forderung nach einer (Wieder-)Verschärfung der Sanktionen, also der Leistungsminderungen in der Grundsicherung. Besonders populär, weil auf den ersten Blick für viele nachvollziehbar ist die Forderung, dass die Ablehnung einer angebotenen Erwerbsarbeit und die damit einhergehende Verlängerung des steuerfinanzierten Leistungsbezugs zu einer „knallharten“ Sanktionierung führen müsse, damit man sich nicht von Faulenzern und den Sozialstaat missbrauchenden Menschen an der Nase durch den Ring ziehen lassen muss und damit die Solidargemeinschaft geschützt wird vor einer Über-Inanspruchnahme aus „niederen“ Beweggründen.