Die vergangenen Monate werden als ein weiteres Beispiel in die Sozialgeschichtsschreibung eingehen, wie man es schaffen kann, mit einer massiven Kampagne, die verengt wird auf wenige scheinbar plausible Aspekte, die zugleich mit einem hohen Empörungspotenzial versehen sind, ein ganzes soziales Sicherungssystem entstellen kann. Nach Monaten des medialen Dauerfeuers muss der an sich außenstehende Beobachter den Eindruck bekommen, dass die Menschen, die „Bürgergeld“ beziehen, aus einer Ansammlung von Erwerbsarbeitsverweigerern und/oder soziale Hängematten-Bewohner besteht, die es sich gut gehen lassen im scheinbar bedingungslosen Bezug von steuerfinanzierten Leistungen. Und Millionen Menschen, die tatsächlich „hart arbeiten“ gehen (müssen), wird dann ein nicht unerheblicher Teil des selbst erwirtschafteten Einkommens wieder aus der Tasche gezogen, um diese Leute in ihrer Bürgergeld-Wohlfühlzone finanzieren zu können. Wenn das so sein sollte, dann kann man verstehen, dass nicht wenige ein Anziehen der Daumenschreiben durchaus nachvollziehen und unterstützen können.
»Das Bürgergeld in seiner derzeitigen Form ist heftig umstritten. Viele Debattenbeiträge zeichnen dabei ein verengtes und teilweise unzutreffendes Bild. Denn die Vielschichtigkeit der Problemlagen von Menschen im Bürgergeldbezug wird oftmals verkannt. Anders als vielfach behauptet, haben Menschen, die nur Bürgergeld beziehen, in jedem Fall weniger Geld zur Verfügung als Menschen, die arbeiten. Trotz des Arbeitskräftemangels gelingt allerdings zu selten die Vermittlung in Beschäftigung – auch weil die Leistungsberechtigten häufig nicht zu den Profilen der offenen Stellen passen«, so Bernd Fitzenberger in seinem Beitrag Warum die aktuelle Bürgergelddebatte nicht die richtigen Schwerpunkte setzt, der am 11. März 2024 veröffentlicht wurde. Die angesprochene Verengung auf einen Teilausschnitt dessen, was sich unter dem Dach des „Bürgergeldes“ befindet, wird auch von Fitzenberger aufgerufen und mit trockenen Zahlen hinterlegt:
»Die Diskussion um fehlende Arbeitsanreize wird zudem der grundsätzlichen Tatsache nicht gerecht, dass sehr viele Menschen, die Bürgergeld beziehen, gar nicht arbeitslos sind. Im Dezember 2023 gab es 5,5 Millionen Regelleistungsberechtigte, davon mehr als ein Viertel Kinder und 3,9 Millionen erwerbsfähige Leistungsberechtigte. Das Bürgergeld ist eine existenzsichernde Sozialleistung für Haushalte mit mindestens einem erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, wobei der Erwerbsfähigkeitsbegriff im SGB II im internationalen Vergleich sehr weit definiert ist. Etwa 1,7 Millionen erwerbsfähige Leistungsberechtigte sind tatsächlich arbeitslos, fast die Hälfte davon ist langzeitarbeitslos, also länger als ein Jahr arbeitslos. Viele SGB-II-Arbeitslose weisen Eigenschaften auf, die eine schnelle Vermittlung in Arbeit ausschließen. Beispielsweise haben zwei Drittel der SGB-II-Langzeitarbeitslosen keine abgeschlossene Berufsausbildung. Umgekehrt sind 2,2 Millionen erwerbsfähige Leistungsberechtigte gar nicht arbeitslos.«
Aber wie mit einer Planierwalze hat man in den vergangenen Monaten eine überaus heterogene Gruppe von mehreren Millionen Menschen überrollt.
Gerade aus den Reihen der beiden Unionsparteien (neben vergleichbaren Vorstößen aus der formal in der Regierung befindlichen FDP) wurde und wird aber die sich aufheizende Debatte vorangetrieben. Und in der CDU sah man die Gunst der Stunde, im Windschatten der eskalierenden Diskussion über angebliche (oder auch tatsächliche) Arbeitsverweigerer und eine nicht mehr lohnende Ausübung einer Erwerbsarbeit das ganze „Bürgergeld-System“ der amtierenden Ampel-Koalition zu entsorgen und durch einen (scheinbar) neuen Ansatz zu ersetzen.
Und aus was besteht das Neue? Zusammenfassend gesagt: Aus einer Rückkehr zum alten Hartz IV-System, an der einen oder anderen Stelle gewürzt oder gespickt mit einigen Stacheln aus der Welt des Forderns und Versagens von Leistungen, also des Bestrafens als Antwort auf die mobilisierten empörungsträchtigen Gefühle im Angesicht des – durchaus vorhandenen missbräuchlichen – Verhaltens einzelner Leistungsempfänger sowie angeblicher und tatsächlicher mangelhafter oder fehlender Anreize, sich aus der Hilfebedürftigkeit durch eigene Erwerbsarbeit zu befreien.
»Das Bürgergeld ist der CDU seit seiner Einführung ein Dorn im Auge. Nun haben die Christdemokraten ihr Konzept einer Grundsicherung vorgelegt. Es setzt auf mehr Sanktionen«, so dieser Beitrag: CDU will „zurück zum Fordern und Fördern“. Über Monate hat der CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann mit daran gearbeitet, im März wurde es von der Parteispitze abgesegnet: „das Alternativkonzept der CDU zum Bürgergeld“.
»Es gehe um ein Zurück zum Fordern und Fördern. Jeder, der arbeiten könne, müsse das auch tun. Das sind Gemeinplätze, die die Partei immer wieder gern bringt. Neu ist zumindest der Name: Grundsicherung statt Bürgergeld. Denn Bürgergeld klinge danach, als würde es jedem Bürger zustehen … Grundsicherung, das hört sich tatsächlich anders an: nach Minimum, nach dem letztmöglichen Ausweg und ein bisschen klingt es auch nach dem alten Hartz IV«, so Sarah Frühauf in ihrem Beitrag. Ein »Kernpunkt der „Neuen Grundsicherung“ sind schärfere Sanktionen: „Lehnt ein arbeitsfähiger Grundsicherungsempfänger ohne sachlichen Grund eine ihm zumutbare Arbeit ab, soll zukünftig davon ausgegangen werden, dass er nicht bedürftig ist.“ Heißt: Anspruch verwirkt. „Totalverweigerer“ nennt die CDU diese Menschen, ihre Partner und Kinder sollen unter dem Verhalten aber nicht leiden. Wie das gehen soll, ist offen. Dasselbe Schicksal droht denjenigen, die künftig ohne sachlichen Grund mehr als einmal nicht zu einem Termin im Jobcenter erscheinen. Auch die sollen zunächst keine Leistungen mehr bekommen.«
An anderer Stelle hagelt es kritische Anmerkungen: „Der Plan von Friedrich Merz und Carsten Linnemann ist eine Bedrohung für die Ersparnisse von Familien aus der Mittelschicht.“ Mit diesen Worten wird der Grünenfraktionsvize Andreas Audretsch in dem Beitrag Grüne rechnen mit Anti-Bürgergeld-Plan der CDU ab zitiert. Um nur eine von vielen Stellungnahmen zu erwähnen.
Der Blick in das Original
Bei solchen Hinweisen ist es immer angezeigt, ein Blick in die Ausführungen des Originals zu werfen:
➔ CDU (2024): Die Neue Grundsicherung. Beschluss des Bundesvorstandes der CDU Deutschlands, Berlin, 18. März 2024
Dort wird gleich Am Anfang erläutert, warum man das „Neue Grundsicherung“ nennen will:
»Grundsicherung steht nicht jedem zu, sondern ist eine Unterstützung für diejenigen, die ihren Lebensunterhalt nicht durch eigene Arbeit oder Vermögen bestreiten können. Der Name „Bürgergeld“ führt in die Irre und ist Ausdruck des politischen Konzepts eines bedingungslosen Grundeinkommens. Dieses Konzept lehnen wir klar ab. Deshalb werden wir das „Bürgergeld“ durch eine „Neue Grundsicherung“ ersetzen.«
An erster Stelle stehen dann „bessere Arbeitsanreize“:
»Wir fordern eine Reform der Hinzuverdienstgrenzen, um die finanziellen Anreize, Arbeit generell bzw. mehr Arbeit aufzunehmen, zu erhöhen, damit die Menschen am Ende des Monats tatsächlich mehr Geld in der Tasche haben.«
Das liest sich so schön einfach und überzeugend – man muss allerdings darauf hinweisen, dass im Kontext der gegebenen Struktur der Erwerbseinkommen das bedeuten kann und muss, dass man zahlreiche neue, zusätzliche Empfänger von Grundsicherung „produziert“, die derzeit mit ihren Einkommen gerade noch nicht den Tatbestand erfüllen, dass sie aufstockende Leistungsansprüche haben, die sie auch bei 50 Euro im Monat zu einem Empfänger von Grundsicherung machen, wenn sie denn diesen Anspruch einlösen.
Und dann: „Vermitteln, vermitteln, vermitteln“. Da kann man doch nichts gegen haben. Und die Erläuterung, was man hier meint bzw. wie man das erreichen will, liest sich wohlfeil (und wurde schon in vielen zurückliegenden Jahren immer wieder als Forderung in den politischen Raum gestellt):
»Wir fordern, dass der Fokus der Jobcenter auf eine intensive und qualifizierende Unterstützung der Hilfeempfänger gelegt wird, damit diese langfristig auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß fassen. Die Beratungsdichte muss erhöht, die Fallbelastung reduziert werden. Beratung, Potenzialanalysen und Vermittlung sind dabei wichtige und zentrale Instrumente. Es muss sichergestellt werden, dass die einzelnen Jobcenter für ihre jeweilige Arbeitsmarktsituation bedarfsgerecht und mit ausreichenden finanziellen Mitteln für eine erfolgreiche Eingliederung ausgestattet sind.«
„Ausreichende finanzielle Mittel“ für die Jobcenter? War da nicht was seit Jahren (auch in denen, wo die Union Regierungsverantwortung hatte)? Stichwort systematische Unterfinanzierung der Jobcenter und die daraus resultierende Problematik, dass aus dem ebenfalls unterdimensionierten Topf der Mittel für Eingliederungsleistungen Gelder in Milliardenhöhe „umgeschichtet“ wurden, um die Verwaltungskosten der Jobcenter decken zu können? Schön wäre das natürlich, mit den ausreichend finanziellen Mitteln.
Und das darf in keinem Papier heutzutage mehr fehlen: „Prozesse automatisieren und digitalisieren“. Die berühmte Wundertüte Digitalisierung, aus der heraus dann ganz viele Effizienzsprünge heraus gemacht werden können. Die nunmehr überall aufploppende „Künstliche Intelligenz“ soll bei der neuen Grundsicherung in Stellung gebracht werden, „z. B. bei Identitäts-, Antrags- und Unterlagenprüfungen“, um dadurch Mitarbeiter zu entlasten und Prozesse beschleunigen. Ach, nicht nur die alten Hasen warten sehnsüchtig auf die überall angekündigte Effizienzdividende durch Digitalisierung. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.
Und dann kommt das Papier zum öffentlichkeitswirksamen Punkt: „Sanktionen als Mittel für Akzeptanz“. Man wolle „Sanktionen schneller, einfacher und unbürokratischer durchsetzen“. Hört sich so allgemein erst einmal nachvollziehbar an. Und dann kommt die in letzter Zeit (wieder) stark in Anspruch genommene Figur des „Totalverweigerers“ zum Vorschein (ältere Semester werden diesen Terminus mit den Zeitgenossen in Verbindung bringen können, die damals, als es noch eine Wehrpflicht gab, sowohl den Dienst an der Waffe bei der Bundeswehr wie aber auch den alternativen Zivildienst „total“ verweigert haben und dafür sogar ins Gefägnis gegangen sind).
»Lehnt ein arbeitsfähiger Grundsicherungsempfänger ohne sachlichen Grund eine ihm zumutbare Arbeit ab („Totalverweigerer“), soll zukünftig davon ausgegangen werden, dass er nicht bedürftig ist. Ein Anspruch auf Grundsicherung besteht dann nicht mehr.«
An dieser Stelle muss herausgestellt werden, dass diese Formulierung eine „echte“ 100-Prozent-Sanktion des Betroffenen und die übrigens unbefristet darstellen würde, denn die Nicht-Bedürftigkeit würde bedeuten, dass er oder sie nicht nur keinen Anspruch auf die Regelleistungen zur Deckung des Lebensunterhalts hätte, sondern auch die ansonsten übernommenen angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung außen vor bleiben.
Zugleich aber behauptet das Papier mal eben: »Dabei werden wir sicherstellen, dass die Kinder und Partner nicht unter dem Verhalten von Totalverweigerern leiden.«
Da würde man schon gerne wissen, wie denn das genau geleistet werden soll. Es geht hier darum, dass die von einer Vollsanktion möglicherweise betroffenen Menschen mit anderen zusammenleben (können), also eine Bedarfsgemeinschaft bilden. Wie will man denn „sicherstellen“, dass der vollsanktionierte Grundsicherungs-Nichtempfänger sich nicht schadlos zu halten versucht an den anderen Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft? Fragen über Fragen.
Das Papier der CDU enthält eine im Vergleich zu heute erhebliche Verschärfung der Sanktionierung bei Terminversäumnissen, die den größten Teil der „Pflichtverletzungen“ darstellen:
»Künftig soll jeder, der zu Terminen ohne sachlichen Grund mehr als einmal nicht erscheint, zunächst keine Leistungen mehr bekommen. Diese einbehaltenen Leistungen sollen erst dann ausgezahlt werden, wenn der Gesprächsfaden wieder aufgenommen wird. Wenn es auch nach drei Monaten keinen Kontakt mehr zum Jobcenter gegeben hat, soll davon ausgegangen werden, dass keine Hilfsbedürftigkeit mehr vorliegt. Damit wollen wir zur Mitarbeit motivieren und die Vermittler in den Jobcentern bei ihrer wichtigen Arbeit unterstützen.«
Schlussendlich kommt dann diese Leitlinie, die ebenfalls mit Eindampfungen bestehender Regelungen verbunden ist (letztendlich aber – wenn man nur lange genug zurückschaut – ist das eine Rückkehr zu früher schon vorhandener Regelungen im alten Hartz IV-System): „Solidarität nur für diejenigen, die wirklich Hilfe benötigen“. Auch das hört sich durchaus nachvollziehbar an, wenn man ein Sozialhilfesystem vor Augen hat. Und wie will man das erreichen?
»Wir wollen die Karenzzeit von zwölf Monaten abschaffen und künftig wieder ab dem ersten Tag in der Grundsicherung eine Vermögensprüfung durchführen. Wir fordern, das Schonvermögen von der Zahl der Arbeitsjahre abhängig zu machen. Ebenso wollen wir die lange Karenzzeit für die Übernahme der Unterbringungskosten in unverhältnismäßig großem und teurem Wohnraum abschaffen.«
Zu der angesprochenen Karenzzeit, die eine doppelte ist: Gemäß § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II gilt für die Anerkennung der Bedarfe für die Unterkunft (ohne Heizen) eine Karenzzeit für 1 Jahr, ab Beginn des Monats, für den erstmals Leistungen nach dem SGB II bezogen werden. Das ist übrigens eine Regelung, die man aus den praktischen Erfahrungen während der Corona-Pandemie in das postpandemische Bürgergeld transferiert hat. Es geht bei Karenzzeiten aber nicht nur um eine zeitlich befristete großzügige Anerkennung der Unterkunftskosten, sondern das ist auch relevant hinsichtlich eventuell vorhandenen Vermögens, denn: Wer auf Bürgergeld angewiesen ist, darf derzeit im ersten Jahr des Leistungsbezugs, der sogenannten Karenzzeit, das Ersparte behalten. So muss Vermögen erst dann eingesetzt werden, wenn es höher als 40.000 Euro ist. Für jede weitere Person der Bedarfsgemeinschaft bleiben jeweils weitere 15.000 Euro geschützt. Die Rechtsgrundlage hier ist der § 12 SGB II.
Die Ampel-Regierung hat versucht, den Sanktionszahn im Vorfeld zu ziehen
Die Bürgergeld-Bundesregierung hat bereits vor dem Hintergrund des medialen Dauerfeuers und der Forderungen aus der Opposition reagiert und die eigene entschärfte Sanktionsregelung wieder verschärft. Dabei sollte man auf die skeptischen Stimmen aus der Praxis hören, was die angebliche Problematik der „Totalverweigerer“ angeht, die immer wieder durch die Manege gezogen werden: So hält der Sprecher der Jobcenter in Nordrhein-Westfalen, Stefan Graaf, den Begriff der „Totalverweigerer“ für „überstrapaziert“. Er wird in dem Beitrag Jobcenter-Sprecher: „Totalverweigerer“ gibt es kaum mit diesen Worten zitiert: „Wir reden da wirklich über extreme Einzelfälle, die sich so im Ein-, Zwei-Prozent-Bereich bewegen. Das zeigt uns auch, dass die Debattenbeiträge um das Bürgergeld oft ein sehr verengtes und teilweise auch unzutreffendes Bild wiedergeben, weil sie sich an Extremfällen orientieren und nicht an der Allgemeinheit der von uns betreuten Menschen.“
Aber wenn man den Sprecher der Jobcenter in Nordrhein-Westfalen schon zitiert mit kritischen Anmerkungen zu dem einen Aspekt, dann muss man aber auch das hier erwähnen: »Als „sehr überlegenswert“ bezeichnete er dagegen den Vorschlag der CDU, dass Menschen, die etwa Termine für Beratungsgespräche im Jobcenter nicht wahrnähmen, stärker sanktioniert werden sollten. „Das gehört zur Ehrlichkeit dazu: Es gibt im Moment auch eine Reihe von Menschen, die einfach die zehn Prozent Leistungsminderung, die es gibt bei Termin-Untreue, hinnehmen, und da arbeiten wir mit einem stumpfen Schwert.“«
Trotz der eher im molekularen Bereich angesiedelten Größenordnung der „Totalverweigerer“ hat man auch in der amtierenden Regierung den Sprengsatz erkannt, der in der aufgeheizten Debatte gerade bei diesem besondere Aggressionen hervorrufenden Figur verborgen liegt. Also hat man bereits (auf dem Papier) die Daumenschreiben etwas anzuziehen versucht.
Im Zusammenhang mit dem Zweiten Haushaltsfinanzierungsgesetzes 2024 hat man Änderungen am SGB II vorgenommen, konkret da, wo die Sanktionen geregelt sind:
Dem bestehenden § 31a SGB II (Rechtsfolgen bei Pflichtverletzungen) hat man durch den neuen Absatz 7 um eine Nicht-Ganz-Vollsanktion ergänzt:
»Abweichend von Absatz 4 Satz 1 entfällt der Leistungsanspruch in Höhe des Regelbedarfes, wenn erwerbsfähige Leistungsberechtigte, deren Bürgergeld wegen einer Pflichtverletzung nach § 31 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2, Absatz 2 Nummer 3 oder Absatz 2 Nummer 4 innerhalb des letzten Jahres gemindert war, eine zumutbare Arbeit nicht aufnehmen. Die Möglichkeit der Arbeitsaufnahme muss tatsächlich und unmittelbar bestehen und willentlich verweigert werden. Absatz 1 Satz 6, die Absätze 2 und 3 sowie § 31 Absatz 1 Satz 2 finden Anwendung.«
Anders formuliert: Man muss in den vergangenen zwölf Monaten bereits einmal z.B. wegen eines Terminversäumnisses sanktioniert worden sein und man muss eine zumutbare Arbeit (das ist im SGB II so gut wie jede Arbeit) nicht aufgenommen haben, dann können einem die Regelleistungen gestrichen werden (nicht aber die Kosten für Unterkunft und Heizung). Außerdem sollte man die Formulierung beachten: Die „Möglichkeit der Arbeitsaufnahme muss tatsächlich und unmittelbar bestehen und willentlich verweigert werden“.
Und was passiert dann oder kann passieren? Dazu schaut man in den § 37b SGB II, der unter der Überschrift „Beginn und Dauer der Minderung“ steht, denn dort wurde ein neuer Absatz 3 eingefügt:
»In den Fällen des § 31a Absatz 7 wird die Minderung aufgehoben, wenn die Möglichkeit der Arbeitsaufnahme nicht mehr besteht, spätestens aber mit dem Ablauf eines Zeitraums von zwei Monaten.«
Folglich hat der Gesetzgeber eine auf längstens zwei Monate befristete Vollsanktionierung des Regelbedarfs normiert – und die muss auch schon vorher aufgehoben werden, „wenn die Möglichkeit der Arbeitsaufnahme nicht mehr besteht“.
Man muss an dieser Stelle sagen: Viel Spaß bei der konkreten und natürlich rechtssicheren Umsetzung dieser Vorschrift.
Fazit: Die CDU hat keine wirklich „Neue Grundsicherung“ vorgelegt, sondern plädiert für eine Rückkehr zur alten Hartz IV-Welt verbunden mit punktuellen Verschärfungen und der Inaussichtstellung, dass eigenes Erwerbseinkommen anders, also großzügiger zur Anrechnung kommen sollen. Man könnte an dieser Stelle die auch hier sichtbare Begriffshuberei von einer „Neuen Grundsicherung“ zur Entsorgung freigeben und den Verfassern empfehlen, dass doch einfach Sozialhilfe zu nennen, wenn man denn genau diesen Charakter eines letzten bedürftigkeitsabhängigen Auffangnetzes stärken will. Mut zur semantischen Wahrheit – was aber als Aufforderung auch an die Ampel-Koalition gehen kann und muss, wo es offensichtliches Interesse gerade in der SPD war, den umgangssprachlichen und bei vielen negativ besetzten Begriffs „Hartz IV“ durch ein bedeutend wohlfühliger daherkommenen Terminus wie „Bürgergeld“ zu ersetzen und endlich zu den Akten leben zu können. Aber tatsächlich suggeriert das bestehende Bürgergeld bei dem einen oder anderen etwas, was das Bürgergeld nach SGB II nicht leisten kann. Und es ist weiterhin kein bedingungsloses Grundeinkommen, wie manche immer wieder suggerieren. Es ist eine bedürftigkeitsabhängige Sozialhilfeleistungen – angereichert mit dann allerdings weit weniger verpflichtend ausgestalteten Förder-Komponenten für einen Teil der Leistungsempfänger.