Und täglich grüßt das Murmeltier. Alleinerziehende und Armut. Und was getan werden könnte, wenn man wollen würde

Es ist ein seit Jahren wiederkehrendes Ritual: Bei der Diskussion über Armut und Armutsgefährdung taucht eine Gruppe immer ganz vorne auf, wenn es um die besonders betroffenen Menschen geht: Alleinerziehende und ihre Kinder. Und immer folgt sogleich die zuweilen beschämt vorgetragene Litanei, dass es doch nicht sein kann, dass man nur deshalb in Einkommensarmut und im Hartz IV-Bezug leben muss, weil man ein oder mehrere Kinder alleine bzw. überwiegend alleine betreut, erzieht, bildet und was man sonst noch so machen kann mit den Kleinen. »Alleinerziehende, sagt eine neue Studie, geraten aus zwei Gründen oft in Armut: Der Partner zahlt nicht, der Staat zahlt zu wenig und nicht lange genug. Die Politik kennt die Armutsfalle seit Jahren, viel passiert ist nicht«, so Armin Lehmann in seinem Artikel. Bei der von ihm zitierten neuen Studie handelt es sich um ein Update einer Veröffentlichung, deren erste Version bereits 2014 publiziert wurde. Die neue Fassung hat Anne Lenze gemeinsam mit Antje Funke verfasst:

Anne Lenze und Antje Funcke: Alleinerziehende unter Druck. Rechtliche Rahmenbedingungen, finanzielle Lage und Reformbedarf, Gütersloh: Bertelsmann-Stiftung, 2016

Die Bertelsmann-Stiftung hat die Veröffentlichung unter dieser Überschrift begleitet: Alleinerziehende leben fünfmal häufiger in Armut als Paarhaushalte: Bei insgesamt 1,64 Mio. Alleinerziehenden in Deutschland wachsen 2,3 Millionen Kinder in Deutschland in einer Ein-Eltern-Familie auf. Ihnen droht deutlich häufiger ein Leben in Armut als Gleichaltrigen, die mit beiden Elternteilen zusammen leben.

Der Anteil von Alleinerziehenden im SGB-II-Bezug liegt im Bundesdurchschnitt bei 37,6 Prozent – er ist fünf Mal höher als bei Paarhaushalten mit minderjährigen Kindern (7,3 %). Von den insgesamt 1,92 Millionen Kindern und Jugendlichen im SGB-II- Bezug lebt die Hälfte (968.750) in Ein-Eltern-Familien. Kinderarmut ist damit ganz wesentlich auf die Armut von Alleinerziehenden zurückzuführen.

Und in den vergangenen zehn Jahren hat sich die Situation der Alleinerziehenden hinsichtlich des Armutsrisikos sogar weiter verschlechtert –  bei Paarfamilien ist das Armutsrisiko im selben Zeitraum gesunken. Weitere Informationen findet man in der Veröffentlichung Daten zur Lebenslage von alleinerziehenden Familien in Deutschland.

Die in der aktualisierten Studie beschriebenen Faktoren, die zu dieser beklagenswerten Entwicklung führen, verweisen auf die zentrale Bedeutung des defizitären Kindesunterhalts: »Die Hälfte der Alleinerziehenden erhält überhaupt keinen Unterhalt für ihre Kinder. Weitere 25 Prozent bekommen nur unregelmäßig Unterhalt oder weniger als den Mindestanspruch. Die Gründe dafür wurden bislang nicht untersucht. Der fehlende Unterhalt für die Kinder ist eine zentrale Ursache dafür, dass viele Ein-Eltern-Familien nicht über die Armutsgrenze kommen – und das, obwohl mit 61 Prozent die Mehrheit der alleinerziehenden Mütter erwerbstätig ist«, so die Stiftung.

Wie aber kann man das ändern?

Auf der Grundlage der Studie von Lenze und Funcke hat die Stiftung  Reformvorschläge
für alleinerziehend Familien vorgelegt. Zeitnah werden die folgenden Veränderungen vorgeschlagen:

»Beim Betreuungsunterhalt für den Elternteil, der mit dem Kind überwiegend zusammenlebt, ist die derzeitige restriktive Regelung abzulehnen: Kinder brauchen Zeit mit ihren Eltern, und diese Fürsorge erledigt sich nicht nebenbei. Eine Vollzeiterwerbs- tätigkeit von alleinerziehenden Müttern und Vätern mit dreijährigen Kindern ist selbst mit einem Kita- Platz oftmals eine große Herausforderung, vor allem, wenn schwierige Familienphasen (wie Trennungen) bewältigt werden müssen, Kinder besondere Aufmerksamkeit benötigen oder mehrere Kinder versorgt werden. Hier muss der Gesetzgeber noch einmal aktiv werden und barunterhaltspflichtige Elternteile für eine gewisse Übergangsphase stärker als bisher am Unterhalt des alleinerziehenden Elternteils beteiligen. Dabei geht es nicht um eine Dauer-Alimentation des betreuenden Elternteils, sondern um eine zeitweilige Unterstützung, bis neue Arrangements gefunden sind.

Die materielle Lage von Ein-Eltern-Familien kann grundlegend nur verbessert werden, wenn der monetäre Bedarf des Kindes von dritter Seite gedeckt wird. Die Höhe des Kindesunterhalts sollte dabei das gesamte Existenzminimum der Kinder decken, auch jene Aufwendungen für die Persönlichkeitsentwicklung, die Freizeitgestaltung und die außerhäusliche Betreuung. Der zunehmenden Entlastung der barunterhaltspflichtigen Elternteile von den Kosten der Erziehung der Kinder ist entgegenzutreten.«

Ein wichtiger Befund ist die Tatsache, dass der Kindesunterhalt regelmäßig nicht oder nicht in vereinbarter Höhe gezahlt wird. Die Reformvorschläge gehen an dieser Stelle von zwei unterschiedlichen Szenerien aus, die unterschiedliche Konsequenzen erfordern:

1. Der Kindesunterhalt wird trotz finanzieller Leistungsfähigkeit des nicht betreuenden Elternteils nicht bzw. nicht in Höhe des Mindestunterhalts gezahlt. In diesem Fall müssen wirksame Durchsetzungsmechanismen der Unterhaltsansprüche eingeführt werden, so dass der Unterhaltspflichtige zahlt und das Geld bei den Kindern ankommt.

2. Der nicht betreuende Elternteil ist nicht zahlungsfähig. Aufgrund eines zu niedrigen Einkommens kann es z. B. unmöglich sein, existenzsichernden Unterhalt für die Kinder zu bezahlen. Das Einkommen reicht dann nicht aus, um zwei Haushalte für die getrennt lebende Familie zu finanzieren. In diesem Fall muss der Staat mit Blick auf das Wohl der Kinder einspringen und den monetäre Bedarf des Kindes durch eine Sozialleistung wie den Unterhaltsvorschuss decken. Beim Unterhaltsvorschuss müssen dafür allerdings die gleichheitsrechtlich bedenklichen Regelungen zu Bezugsdauer und Altersgrenzen wegfallen. Diese Leistung sollte allen Kindern und Jugendlichen zur Verfügung stehen, für die kein oder ein zu geringer Unterhalt gezahlt wird. Dies wäre ein wirksamer Schritt im Kampf gegen die Kinderarmut.

»Die besondere Lebenssituation alleinerziehender Mütter und Väter müsste im Steuerrecht weiter verstärkt berücksichtigt werden, z. B. in Form einer Dynamisierung des Entlastungsbetrages für Alleinerziehende. In der gesetzlichen Sozialversicherung sollte das Existenzminimum von Kindern bei der Beitragserhebung freigestellt werden; Alleinerziehende sollten dann bei ausbleibendem Unterhalt des anderen Elternteils den gesamten Freibetrag geltend machen können. Dadurch würde sich ihr verfügbares Einkommen deutlich erhöhen.«

Und dann kommt aus sozialpolitischer Sicht ein wichtiger Vorstoß:

»Im Sozialrecht muss das Leistungsgeflecht aus Grundsicherung, Mehrbedarfszuschlag, Kinderzuschlag, Wohngeld, Unterhaltsvorschuss etc. vereinfacht werden. Das Zusammenspiel dieser Fördermöglichkeiten und die unterschiedlichen Anrechnungsmodalitäten tragen aktuell dazu bei, dass gerade Alleinerziehende in der „Sozialleistungsfalle“ gefangen sind und dem SGB-II-Bezug oft nicht entkommen. Bei zukünftigen Reformen des Kinderzuschlags sollte z. B. eine Auszahlung des Mehrbedarfszuschlags im Rahmen des Kinderzuschlags ermöglicht werden. Mittelfristig ist daran zu denken, bestimmte kindbezogene Leistungen zusammenzufassen und durch eine Behörde administrieren zu lassen.«

Das verweist auf das schon vor vielen Jahren vorgeschlagene Modell einer „Kinderkasse“ oder wie man das auch immer nennen würde. Die Vorschläge werden abgerundet mit einem Blick nach vorne: »Langfristig ist es sinnvoll, ein neues Konzept der Existenzsicherung von Kindern einzuführen.
Dabei muss es das Ziel sein, allen Kindern gutes Aufwachsen und faire Bildungs- und Teilhabechancen zu ermöglichen. Ein solches Konzept muss die altersgerechten Bedarfe, Rechte und Interessen von Kindern in den Mittelpunkt rücken – unabhängig von der Familienform, in der die Kinder leben.« Hier drängt sich der Bezug auf das Modell einer Kindergrundsicherung auf.

Die politische Diskussion nach der Veröffentlichung der Studie hat sich fokussiert auf den Unterhaltsvorschuss, berichtet beispielsweise Armin Lehmann. Zu diesem Instrument – geregelt im Unterhaltsvorschussgesetz (UhVorschG) – muss man wissen: »Zahlt der unterhaltspflichtige Elternteil nicht, das sind zu 90 Prozent Männer, können Alleinerziehende den sogenannten Unterhaltsvorschuss beantragen. Das sind 145 Euro bis zum Alter von fünf Jahren, 190 Euro von sechs bis zwölf. Danach zahlt der Staat diesen Unterhaltsvorschuss nicht mehr. Außerdem wird er nur maximal sechs Jahre gewährt.«  Von dem Vorschuss wird zudem das Kindergeld in voller Höhe abgezogen. Ganz offensichtlich gehen die Regeln zum Unterhaltsvorschuss an der Lebensrealität der Betroffenen vorbei. Kinder nach der Vollendung des 12. Lebensjahrs und Jugendliche fallen aus dem System. Dazu auch der Artikel Nur nicht abrutschen von Silke Hoock.

Die Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) hat sich bereits zu Wort gemeldet: „Der Unterhaltsvorschuss muss von 12 auf 14 angehoben werden. Außerdem muss der Unterhalt konsequenter eingefordert werden“, so wird sie zitiert. In einem anderen Artikel wird berichtet: »Die Union signalisierte grundsätzlich Unterstützung. „Über mögliche Verbesserungen beim Unterhaltsvorschuss sollten wir genauso nachdenken wie darüber, wie die Rückholquote für den vom Jugendamt gezahlten Unterhaltsvorschuss von den unterhaltspflichtigen Vätern oder Müttern verbessert werden kann“, erklärte die stellvertretende Vorsitzende der Union-Bundestagsfraktion, Nadine Schön (CDU).«

Das hört sich nicht nur nicht wirklich mutig und konsequent an, das ist es auch nicht. Insofern steht zu befürchten, dass sich die Murmeltier-Schleife weiter drehen wird.

Ein unendliches Thema mit handfesten Konsequenzen: Vom „Wert“ der Arbeit und einem Verdienstgefälle zwischen solchen und anderen Berufen

Am 19. März dieses Jahres werden wir wieder konfrontiert mit dem Equal Pay Day. Erneut wird um diesen Tag herum berichtet werden über die (tatsächliche oder angebliche) „Lohnlücke“ zwischen den Geschlechtern. Für die Akteure, die das auf die Tagesordnung bringen (wollen), stellt sich die Sache so da: »Nach den Zahlen des Statistischen Bundesamts verdienten Frauen im Jahr 2014 durchschnittlich 21,6 Prozent weniger als Männer. Rechnet man den Prozentwert in Tage um, arbeiten Frauen 79 Tage, vom 1. Januar bis zum 19. März 2016, umsonst.« Und scheinbar bekommen sie Schützenhilfe vom Statistischen Bundesamt, die haben beispielsweise im vergangenen Jahr zur gleichen Zeit so eine Pressemitteilung abgesetzt: Verdienstunterschied zwischen Frauen und Männern in Deutschland weiter­hin bei 22 %. Auf solche Differenzen kommt man, wenn man zur Kenntnis nimmt, dass »Frauen mit einem durchschnittlichen Bruttostundenverdienst von 15,83 Euro weiterhin 22 % weniger als Männer (20,20 Euro)« verdienen. Bevor sich jetzt die Kritiker sogleich in Stellung bringen: Auch und gerade die offiziellen Statistiker wissen, dass die Wirklichkeit komplexer ist, sprechen sich doch bei den 22 Prozent von einem „unbereinigten“ Gender Pay Gap. Dann muss es auch einen wie auch immer „bereinigten“ geben, der mit 7 Prozent ausgewiesen wird, also schon deutlich kleiner, aber immer noch vorhanden. Dazu muss man wissen, dass bei der „Bereinigung“ der ja auch naheliegende Einwand berücksichtigt wird, dass man doch bitte nicht Äpfel mit Birnen vergleichen solle, denn wenn Frauen beispielsweise unterdurchschnittlich, Männer hingegen überdurchschnittlich häufig in besser bezahlten Führungspositionen arbeiten, dann muss das Auswirkungen haben auf die Lohnlücke zwischen den Geschlechtern. 

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Zu den rentenpolitischen Akten gelegt. Vom Pech (der Frauen), rententechnisch zur falschen Zeit am falschen Ort gelebt zu haben

Am 8. März eines jeden Jahres wird der Internationale Frauentag begangen. Es sollen an dieser Stelle gar nicht die überaus interessanten geschichtlichen Hintergründe, wie es zu diesem Weltfrauentag, Frauenkampftag, Internationaler Frauenkampftag oder Frauentag (so einige der Bezeichnungen für den heutigen Tag) gekommen ist, beleuchtet werden. Obgleich das für sich genommen höchst aufschlussreich sein kann. Mit dem für viele Menschen ganz anders gelagerten „Muttertag“ wurde das in Verbindung mit sozialpolitisch relevanten Themen in diesem Blog schon in zwei Beiträgen gemacht (vgl. dazu Vom (eigentlich frauenbewegten) „Muttertag“ diesseits und jenseits des Blumenhandels bis hin zu einem (vergifteten) Lobgesang auf die unbezahlte Hausarbeit vom 11. Mai 2014 sowie Diesseits und jenseits des „Muttertages“. Von glücklichen Müttern und armen Kindern vom 10. Mai 2015).

Wir werden auch heute an vielen Stellen berechtigte Hinweise bekommen zur problematischen Lage vieler Frauen, die ihre Ursachen in den vielgestaltigen Formen der Diskriminierung haben, mit denen man im gesellschaftlichen Leben konfrontiert wird. Aus sozialpolitischer Sicht besonders relevant ist die immer wieder vorgetragene Klage über eine erhebliche Schlechterstellung von Frauen in unserem Alterssicherungssystem und zu Recht wird auch heute der Hinweis gegeben werden müssen, dass Frauen von der leider zunehmenden Altersarmut in besonderem Maße betroffen sind und sein werden. Das hat wie immer mehrere Ursachen, die man als systembedingt bezeichnen muss, auch wenn sie als individuelle Probleme der Betroffenen daherkommen.

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Die Minijobs mal wieder. Von neu erforschten alten „Defiziten“ bis hin zu unlösbaren strukturellen Problemen eines besonderen Beschäftigungsformats

Ende Juni 2015 wurden 6.732.108 gewerbliche Minijobber gezählt (und damit 190.102 weniger als im Juni 2014). Hinzu kommen 295.381 Minijobber in Privathaushalten (das waren 15.483 mehr als im Jahr zuvor). Wenn wir über „geringfügige Beschäftigung“ sprechen, dann betrifft dies also mehrere Millionen Menschen, die in diesem Beschäftigungsformat entweder ausschließlich oder aber neben einer anderen, „normalen“ Beschäftigung unterwegs sind. Entsprechend bunt ist die Zusammensetzung der Minijobber-Schar.

Über die Minijobs (oft auch als „450-Euro-Jobs“ bezeichnet) gab und gibt es immer wieder kritische Debatten. Derzeit taucht der in den Zahlen erkennbare leichte Rückgang der gewerblichen Minijobber vor allem als Argument der Gegner des zum Jahresanfang scharf gestellten gesetzlichen Mindestlohns auf – sie sehen hier einen „Beleg“ für die angeblich beschäftigungszerstörende Wirkung der allgemeinen Lohnuntergrenze von 8,50 Euro pro Stunde. Das kann und muss man allerdings wenn nicht anders, so wenigstens deutlich differenzierter sehen (vgl. hierzu beispielsweise den Blog-Beitrag Der Mindestlohn läuft, bestimmte Arbeitnehmer dürfen sich monetär freuen und die Zahlen sprechen für sich vom 21. August 2015). Daneben gibt es seit langem eine fundamentale Infragestellung dieses eigenartigen Beschäftigungsformats, vor allem mit Blick auf die mit ihm einhergehenden Verzerrungseffekte in bestimmten „minijoblastigen“ Branchen und mit einem besonders kritischen Blick auf deren Bedeutung für die Erwerbsbiografie von Frauen, die überdurchschnittlich Minijobs ausüben und dies oftmals als ausschließlich geringfügig Beschäftigte.
Und immer wieder wird deutliche Kritik an der faktischen Ausgestaltung vieler Minijobs geübt, vor allem hinsichtlich der Nicht-Beachtung von auch für Minijobs vorgeschriebenen Arbeitsbedingungen.  Dabei geht es um en Vorwurf, dass gerade Minijobbern oftmals ihnen zustehende Rechte aus dem Arbeitsverhältnis vorenthalten werden. Für diese Kritiklinie liefert eine neue Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit scheinbar neues (tatsächlich aber altes) Futter.

»Bei Minijobbern kommt es anders als bei anderen Beschäftigten häufiger vor, dass sie keinen bezahlten Urlaub oder keine Lohnfortzahlung bei Krankheit erhalten. Zugleich sind sie weniger gut über ihre Arbeitnehmerrechte informiert als andere Beschäftigte. Das zeigt eine Befragung von 7.500 Beschäftigten und 1.100 Betrieben durch das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB)«, kann man der Pressemitteilung Bezahlter Urlaub und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall: In der Praxis besteht Nachholbedarf bei Minijobbern des Instituts entnehmen. Etwas genauer zu den Ergebnissen der Studie:

»Rund 35 Prozent der Minijobber berichten, keinen bezahlten Urlaub zu erhalten, ohne dass ein rechtlich zulässiger Grund dafür vorliegt. Von den Betrieben sagen etwa 15 Prozent ohne Angabe eines rechtlichen Grundes, dass ihre Minijobber keinen bezahlten Urlaub bekommen. Bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall liegen die Anteile bei rund 46 bzw. rund 21 Prozent … Etwa zwei Drittel der Minijobber wissen über ihren Anspruch auf bezahlten Urlaub oder auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall Bescheid, bei den übrigen Beschäftigten sind es dagegen rund 95 Prozent … „Beschäftigte in Betrieben mit Betriebsrat oder Tarifvertrag sind vergleichsweise gut über ihre Rechte informiert“, stellen die IAB-Forscher fest … Die Studie zeigt aber auch: Rund 50 Prozent der Betriebe, die angeben, ihren Minijobbern keinen bezahlten Urlaub zu gewähren, haben Kenntnis von der tatsächlichen Rechtslage. Bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall fielen die Ergebnisse ähnlich aus.«

Die Studie im Original kann man hier als PDF-Datei abrufen:

Stegmaier, Jens et al. (2015): Bezahlter Urlaub und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall: In der Praxis besteht Nachholbedarf bei Minijobbern. IAB-Kurzbericht, 18/2015, Nürnberg.

Man sollte aber wissen: Die Studie bezieht sich auf die Situation in Betrieben mit mindestens elf Beschäftigten, das bedeutet, dass die Situation in den Kleinstbetrieben gar nicht abgebildet wird. Gerade für diesen Abschnitt dies Arbeitsmarktes muss man aber plausibel davon ausgehen, dass es erhebliche Diskrepanzen zwischen der Rechtslage und der tatsächlichen Umsetzung bei Minijobs geben wird.

Interessant ist auch die Wahrnehmung seitens des Bundesarbeitsministeriums (BMAS), das in seiner Pressemitteilung Rechten von Minijobbern Geltung verschaffen diagnostiziert: „IAB-Studie zeigt Defizite“. Das nun ist sehr höflich formuliert für die teilweise erheblichen Rechtsverstöße im Bereich der Beschäftigung der Minijobber, die in der Studie (erneut) offengelegt werden.

Doch natürlich präsentiert das BMAS auch gleich eine „Lösung“ für die Probleme, in der bekannten Form einer Delegation dieser Aufgabe an eine zuständige Stelle:

»Die Ergebnisse der IAB-Studie über das Wissen um die grundlegenden Arbeitnehmerrechte und ihre tatsächliche Durchsetzung zeigen, dass sich die Information und Beratung durch die Minijob-Zentrale noch stärker der Aufklärung und Sensibilisierung beider Seiten – Beschäftigter wie Arbeitgeber – im Bereich der Arbeitnehmerrechte widmen muss. „Minijobber haben dieselben Arbeitnehmerrechte wie alle Beschäftigten“ – auch diese Botschaft wird nun im Zentrum des Services der Minijob-Zentrale stehen.«

Die soll es also richten. Aber unabhängig von der bislang schon guten und bemühten Aufklärungsarbeit der Minijob-Zentrale ergeben sich an dieser Stelle zwei grundsätzliche Befunde.

Zum einen sind, wie bereits angedeutet, die aktuell präsentierten Befunde über „Defizite“ bei den Minijobs nicht neu, sondern sie wurden in einigen Untersuchungen vorher bereits identifiziert und reklamiert – dort dann aber oftmals verbunden mit einem sozialpolitisch besonders relevanten erweiterten Blick auf die Effekte der geringfügigen Beschäftigung, vor allem hinsichtlich der Frauen und den Auswirkungen auf deren Erwerbsbiografien, die in einem sozialen Sicherungssystem, das im Wesentlichen immer noch auf (möglichst ununterbrochener, vollzeitiger und durchschnittlich vergüteter) Erwerbsarbeit basiert, von zentraler Bedeutung sind, denn die Alternative bei Nicht-Erfüllung der Leistungsvorausstzung sind aus der Ehe abgeleitete Sicherungsansprüche und/oder der Verweis auf die bedürftigkeitsabhängige Grundsicherung.

Erwähnenswert an dieser Stelle ist die hinsichtlich dieser Fragen sehr klare Analyse von Carsten Wippermann: Frauen im Minijob – Motive und (Fehl-)Anreize für die Aufnahme geringfügiger Beschäftigung im Lebenslauf, herausgegeben und veröffentlicht vom Bundesfamilienministerium im Jahr 2013. Seiner Zusammenfassung der zentralen Befunde der Studie kann man beispielsweise entnehmen (vgl. Wippermann 2013: 16 ff.):

»Während für Männer ihr Minijob (weil Minijob-on-top) weitgehend risikofrei ist, ist für verheiratete Frauen ihr Minijob (meist als Minijob pur) mit erheblichen Risiken im Lebenslauf verbunden.« Und mit Blick auf die Frauen:

»Einmal Minijob pur – lange Minijob: So lautet das Fazit dieser Studie: Minijobs pur entfalten eine schnell einsetzende und hohe Klebewirkung und keine Brückenfunktion. Die Zahlen belegen: Frauen, die einmal im Minijob waren, finden nur zu einem geringen Teil den Übergang in reguläre sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse. Je länger der Minijob währt, umso unwahrscheinlicher wird ein Wechsel in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung … Insofern wird die These empirisch bestätigt, dass Minijobs nicht als Brücke in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung wirken, sondern als sehr schnell wirkender Klebstoff. Die Anreizstrukturen und das Image von Minijobs (passt zur aktuellen Lebenssituation, Maßanzug für alle, die nur wenige Stunden arbeiten wollen) verfangen und sind entscheidende Einstiegsmotive; doch im Anschluss ist die Mehrheit der Frauen im Minijob pur „gefangen“.«

Wichtig sein Hinweis auf die eben auch und gerade sozialpolitischen Anreize, die dazu führen, dass viele Frauen hier hängen bleiben:

»Denn wenn die Frauen im Minijob pur „drin“ sind, dann greifen die institutionalisierten Anreizstrukturen (beitragsfreie Mitversicherung in der Krankenkasse des Partners, Befreiung von Steuern und Sozialabgaben), sodass für die Hälfte dieser Frauen der Übertritt in eine reguläre sozialversicherungspflichtige Beschäftigung nicht mehr attraktiv und finanziell lohnenswert erscheint; zum anderen gelten Frauen mit zunehmender Dauer im Minijob pur nicht als qualifizierte Fachkraft, bekommen das stigmatisierende Label „Minijobberin“ und haben kaum noch Chancen auf eine reguläre sozialversicherungspflichtige Beschäftigung.«

Und mit Blick auf die „neuen“ Ergebnisse des IAB hinsichtlich der „Defizite“, dass den Minijobbern nicht selten zustehende Rechte und Leistungen verweigert werden: Schon in der Wippermann-Studie von 2013 gab es ein eigenes Kapitel unter der Überschrift „Gewährung und Beanspruchung arbeits- und sozialrechtlicher Leistungen“ (S. 59 ff.). In einem zusammenfassenden Artikel über die Studie  (Minijobs: Sackgasse für viele Frauen) erfahren wir zu den damaligen Befunden:

»Urlaubsgeld, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, bezahlte Überstunden – auf all diese Leistungen haben auch Minijobberinen einen gesetzlichen Anspruch. Vielen werden diese Rechte jedoch vorenthalten, zeigen die Befragungsergebnisse. Sehr vielen Frauen in Minijobs sind die gesetzlichen Regelungen nicht bekannt, sie werden von ihnen nicht eingefordert oder ihnen verweigert … Insgesamt bekommen 79 Prozent der Minijobberinnen im erwerbsfähigen Alter kein Urlaubsgeld. Gleiches gilt für 77 Prozent der ausschließlich geringfügig Beschäftigten. Rund die Hälfte erhält keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, gut ein Zehntel ist sich nicht sicher …  bei 60 Prozent (fallen) Überstunden an. Wer im „Minijob pur“ Überstunden macht, bekommt in rund der Hälfte der Fälle einen Freizeitausgleich. Bei 14 Prozent überweisen die Arbeitgeber eine Vergütung zusätzlich zum Gehalt, 16 Prozent schreiben die Zeit einem Stundenkonto gut. In den restlichen Fällen erhalten Minijobberinnen Überstunden gar nicht oder in bar ausgezahlt, bekommen Geschenke oder Naturalleistungen. „Hier werden die fließenden Grenzen zur Schwarzarbeit sichtbar“, kommentiert Wippermann die Befragungsergebnisse.«

Fazit: Die hoch problematischen Effekte der geringfügigen Beschäftigung vor allem auf die Erwerbsbiografien vieler Frauen sind seit langem bekannt und ein in dem Instrument systematisch angelegtes strukturelles Problem, das sich verfestigt und potenziert durch die bewusste Wechselwirkung mit anderen sozialpolitischen Regelungen wie z.B. der beitragsfreien Familienmitversicherung.

Man kann es drehen und wenden wie man will – in der bestehenden Logik wird es wenn überhaupt nur marginale Verbesserungen geben können. Deshalb fordern nicht wenige Arbeitsmarktexperten die Abschaffung dieses besonderen Beschäftigungsformats (das es übrigens im internationalen Vergleich neben Deutschland nur in Österreich und in der Schweiz in abgewandelten Formen gibt). Bereits 2012 hat sich die von der Bertelsmann-Stiftung in Auftrag gegebene Studie Geringfügige Beschäftigung: Situation und Gestaltungsoptionen von Werner Eichhorn et al. mit den unterschiedlichen Optionen einer Veränderung der Minijobs – innerhalb des Systems bis hin zur ihrer Abschaffung beschäftigt. Wenn man denn Veränderungen will, was man bis heute nicht voraussetzen darf, beispielsweise findet sich hinsichtlich der Minijobs im Koalitionsvertrag der Großen Koalition von 2013 – nichts von Substanz. Außer diese wohlfeile Absichtserklärung: »Wir werden dafür sorgen, dass geringfügig Beschäftigte besser über ihre Rechte informiert werden. Zudem wollen wir die Übergänge aus geringfügiger in reguläre sozialversicherungspflichtige Beschäftigung erleichtern.« (S. 52 f.).

Vor diesem Hintergrund ist übrigens der von einigen beklagte Rückgang der Minijobs im gewerblichen Bereich (nicht bei den Privathaushalten, da steigt die Zahl weiter an) im Kontext der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns mit Beginn des Jahres 2015 nicht nur verständlich (denn der Mindestlohn gilt auch für Minijobs und das führt zu einer teilweise erheblichen Verteuerung dieser Beschäftigungsform, denn früher hat man gerade hier sehr niedrige Stundenlöhne ausreichen können, da für die Betroffenen der „Brutto gleich Netto-Effekt“ kompensierend gewirkt hat) und der Rückgang ist sogar zu begrüßen, wenn man aus dynamischer Sicht davon ausgeht, dass diese Jobs nicht wegfallen, sondern viele von ihnen werden transformiert in sozialversicherungspflichtige Teilzeitarbeit, denn der Arbeitsbedarf verschwindet ja nicht. Aus Sicht der „normalen“ Beschäftigung (und der auf ihr basierenden sozialen Sicherungssysteme) ist das gut so.

Arbeitsmarkt: Frauen, die Frauen ersetzen, die Frauen ersetzen. Über globale „Care-Ketten“, „Gefühlsarbeiterinnen“ oft ohne Gegengefühl und dann diese „Wirtschaftsflüchtlinge“

Nein, das ist keine Sprachspiel, sondern eine eigene Realität, die Millionen Menschen betrifft und die in der Fachdiskussion als globale „Care-Ketten“ diskutiert wird. Gabriela Herpell berichtet darüber in ihrem Artikel Frauen, die Frauen ersetzen, die Frauen ersetzen: Weil Frauen in den Industrieländern berufstätig sind, übernehmen Frauen aus ärmeren Ländern die Fürsorgearbeiten. Ein riesiger weiblicher Wirtschaftszweig entsteht.

Und die Autorin ist selbst Teil dieser Kette: »Lidija kam nach München, als mein Sohn sechs war. Sie hat Blanca vertreten. Blancas Sohn war krank und brauchte seine Mutter. Blanca putzte schon etwas länger in München als Lidija. Bei Anwälten, Journalisten, Ärzten, Werbern, Architekten. Bei Paaren mit Kindern, allein erziehenden Müttern, Paaren ohne Kinder, und in jeder dieser Familien oder familienähnlichen Konstellationen arbeiten die Frauen.« 

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