„Smörrebröd und Peitsche“. Vom Umgang mit Flüchtlingen in Dänemark. Der Blick über den nationalen Tellerrand

Es wird nicht nur meteorologisch kälter. Das kurze Sommermärchen einer überschwänglichen Willkommenskultur für Flüchtlinge in Deutschland weicht einer gefährlichen Polarisierung in die, denen die Hilfe und die Aufnahme der Menschen auf der Flucht weiter wichtig ist und denen, die sich radikalisieren in ihrer Ablehnung und von denen immer häufiger auch Gewalt gegen die Zuwanderer ausgeht. Der Eindruck verfestigt sich zunehmend, dass Deutschland aus dem Notfall- und auch Überforderungsmodus nicht herauskommt. Dann wird man mit solchen Meldungen konfrontiert: Bayerische Polizei zur Flüchtlingskrise: „Wir saufen heute ab“: »Die große Zahl von Flüchtlingen an der Grenze von Österreich zu Bayern bereitet der Bundespolizei im Freistaat zunehmend Probleme. „Wir saufen heute ab“, sagte Behördensprecher Frank Koller am Sonntagabend. Das Nachbarland schicke deutlich mehr Menschen als vereinbart nach Deutschland.« Das verunsichert auch viele ganz „normale“ Menschen in unserem Land, geht es doch schon seit Wochen so. Und das ist Wasser auf die Mühlen derjenigen, die jede rote Linie längst überschritten haben und nicht nur – was schon schlimm genug ist – Unterkünfte in Brand setzen, sondern offensichtlich auch bereit sind, Gewalt gegen Menschen anzuwenden. Das fördert dann solche Meldungen zu Tage: 200 Polizisten müssen Flüchtlinge vor 400 Demonstranten schützen: »Rechte Demonstranten haben im sächsischen Freiberg gegen die Ankunft von Flüchtlingen demonstriert und Busse attackiert. In Hessen setzten Unbekannte eine Flüchtlingsunterkunft in Brand.«

Gleichzeitig läuft seit längerem eine ebenfalls oftmals sehr holzschnittartige Debatte über die (Nicht-)Möglichkeiten einer gelingenden Arbeitsmarkt-Integration der Flüchtlinge, die hier bleiben werden, weil ihnen das Asylrecht Schutz gewährt. Angesichts der erfahrbaren Dauer und der vielen Schwierigkeiten, die hier in den kommenden Monaten und Jahren auf die deutsche Gesellschaft zukommen werden, lohnt ein Blick auf andere Länder, die ebenfalls mit vielen Flüchtlingen konfrontiert waren und sind. Wie gehen die damit um? Schauen wir also nach Skandinavien, denn die Länder dort, vor allem Schweden, sind immer noch mindestens genau so attraktiv für Flüchtlinge wie Deutschland, wenn nicht noch mehr.

Nun gibt es Skandinavien nicht als einen homogenen Block, sondern dazu gehören Länder wie Schweden, Finnland, Norwegen – und eben auch Dänemark. Werfen wir einen Blick nach Dänemark, denn an diesem Beispiel kann man sehr gut die Ambivalenz von Flüchtlingspolitik studieren, die beides vereint, also Hilfe und Härte bzw. eben „Smörrebrod und Peitsche“.

Karl Gaulhofer hat das beschrieben in seinem Artikel Heute noch Flüchtling, morgen Däne. »Mehr als jedes andere Land strengt sich Dänemark an, seine Flüchtlinge so rasch wie möglich zum Arbeiten zu bringen – mit großzügiger Hilfe und finanziellen Sanktionen«, so versucht er den zentralen Kern des (bisherigen) dänischen Weges zusammenzufassen.
Auch hier geht es natürlich um ein Nadelöhr, durch das so gut wie jede gelingende Integration von Zuwanderern muss – die Sprache. Und Dänisch ist keine einfache Sprache, was man sich an diesem Wort verdeutlichen kann: „Udlændingestyrelsen“, ein echter Zungenbrecher. So heißt die dänische Einwanderungsbehörde.

Der bisherige dänische Weg lässt sich über mehrere Kernbestandteile charakterisieren: »Dazu gehört eine Verteilung über das ganze Land, Sprachkurs, Praktika, großzügige Hilfen zum Start. Aber auch knallharte Kürzungen für jene, die Prüfungen nicht bestehen oder Jobs verweigern. Also eine Mischung aus Anreizen und Sanktionen.«
Warum hier immer von „bislang“ geschrieben wird? Weil der allgemeine Rechtsruck in Europa auch vor diesem Land nicht halt gemacht hat – seit Juni dieses Jahres ist eine konservative Regierung an der Macht, die mit der Ablehnung von Zuwanderung und der Vorstellung von mehr Druck die Wahlen gewonnen hat. Und das macht sich schon handfest bemerkbar:

»Bis September bekamen Asylwerber noch gleich viel Geld wie ein einheimischer Langzeitarbeitsloser, jetzt nur noch die Hälfte.«

Dennoch wird Dänemark auch in diesem Jahr zu den wenigen europäischen Ländern gehören, die in Relation zur Bevölkerung am meisten Flüchtlinge aufnehmen.
Aber unabhängig vom tages- und regierungspolitischen Hin und Her zwischen Rechts und Links hat sich über viele Jahre eine eigene dänische Integrationspolitik herausgebildet, die einer ganz bestimmten Philosophie folgt: »… viel fördern und viel fordern – und das im Eilzugstempo.« Impulsgeber für die Entwicklung hin zu diesem Ansatz war ein ernüchternder Befund der OECD in den 1990er Jahren: In kaum einem anderen Industrieland gab es so große Unterschiede in der Beschäftigung zwischen Einheimischen und Migranten. Dabei gab es auch damals schon eine ambitionierte Integrationspolitik, nur eben mit diesem schlechten Ergebnis.

Ein Grund dafür war etwas, was heute gerade mit Blick auf die Flüchtlinge, die zu uns kommen, von besonderer Bedeutung ist: »Ein großer Teil der Zuwanderer nach Dänemark waren schon damals Menschen aus Afrika, dem Nahen und dem Mittleren Osten, die vor Krieg und Verfolgung flohen.« Auch das erklärt, warum es helfen kann, sich mal genauer anzuschauen, wie die Dänen damit umgegangen sind.

Auch die Integrationspolitik mit Blick auf den Arbeitsmarkt folgt einer spezifischen Philosophie, die allen, die sich mit internationalen Aspekten der Sozialpolitik beschäftigt haben, nicht fremd oder neu ist und die bis in die Vorschläge der „Hartz-Kommission“ in Deutschland im Jahr 2002 eingedrungen ist (zumindest partiell): das „Flexicurity“-Modell.

»Die Unternehmen bekamen einen stark gelockerten Kündigungsschutz, die Gewerkschaften mehr Unterstützung für Arbeitslose – durch Geld, Training und Hilfe bei der Jobsuche. Aber nur für kurze Zeit und für jene, die guten Willens sind«, so die zusammenfassende Bilanzierung bei Gaulhofer.
Aus der Vielzahl der Literatur zu diesem gerade in der europäischen Sozialstaatsdebatte so wichtigen Konzept vgl. beispielsweise die 2008 publizierte Ausarbeitung Flexicurity: Ein europäisches Konzept und seine nationale Umsetzung von Berndt Keller und Hartmut Seifert.

Aber das alles hört sich noch sehr abstrakt an – Gaulhofer beschreibt, was das zumindestens in Dänemark ganz praktisch bedeutet bei der Umsetzung des Versuchs, Flüchtlinge so schnell wie möglich in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Und die Beschreibung verdeutlicht jedem, der die Situation in Deutschland kennt, wie groß auch die Differenzen sind zwischen hier und dort:

»Es dauert nur rund drei Monate, bis ein Asylverfahren abgeschlossen ist. Der erfolgreiche Asylwerber sichert in einem Kontrakt zu, dass er ein guter Däne werden will. Er bekommt ein Bankkonto und eine Gesundheitskarte. Ein Sozialarbeiter steht ihm zur Seite und hilft ihm bei den ersten Schritten, v. a. der Wohnungssuche. Wo er sich ansiedelt, darf er sich aber nicht aussuchen – er wird einem Ort zugewiesen. Damit verhindern die Dänen eine stärkere Ghettobildung an sozialen Brennpunkten am Rand von Kopenhagen. Freilich lässt sich die Bewegungsfreiheit nicht einschränken. Sehr wohl aber kann man Hilfen davon abhängig machen, ob der Neudäne an den zugewiesenen Ort zieht. Dort muss er während der dreijährigen Integrationsphase wohnen, es sei denn, er hat woanders ein besseres Jobangebot. Die Heimatgemeinde zahlt einen Mietzuschuss und richtet die Wohnung mit Ikea-Möbeln ein. Dann beginnt das Intensivprogramm. Die Sprachkurse vermitteln auch dänische Kultur, bis zum Singen von Volksliedern. Durch Praktika in Unternehmen stellt man fest, welche Qualifikationen der Zuwanderer hat. Mindestens 37 Stunden pro Woche wird er so auf Trab gehalten. Wer nach einem halben Jahr die Sprachprüfung besteht, bekommt mehr Geld. Wer durchfällt, weniger. Der Familiennachzug ist an ein Guthaben von 7000 Euro auf dem Konto gebunden – und damit ebenfalls an einen Job.«

Und jeder Praktiker aus den Tiefen und Untiefen politischer Steuerung weiß: Man steuert immer auch mit Geld. Da haben die Dänen im Umgang zwischen dem Zentralstaat und den Kommunen ein wirkkräftiges System ausbaldowert: »Der Zentralstaat kontrolliert nicht nur, wie gut eine Kommune Migranten integriert. Sie schießt auch, je nach Joberfolg, mehr oder weniger zu.«

Hört sich alles sehr interessant und irgendwie plausibel an – und die Ergebnisse der Integrationspolitik haben sich in Dänemark auch im Vergleich zum starting point in den 1990er Jahren verbessert. Aber – und auch das gehört zur Wahrheit – berauschend sind sie immer noch nicht, die Lücke zwischen den Zugewanderten und den Einheimischen bleibt erkennbar groß.
Und das liegt eben nach Erkenntnissen der OECD auch daran, dass wir es hier nicht mit Wirtschaftsflüchtlingen zu tun haben, die gezielt wegen der Arbeitsaufnahme kommen (wollen), sondern es handelt sich um Flüchtlinge aus Krisen- und Kriegsgebieten.

Wenn man an dieser Stelle einen ganz zynischen Kommentar setzen will, der gerade auch für Deutschland relevant ist: Die „Wirtschaftsflüchtlinge“ wären aus Sicht einer effektiven und effizienten Arbeitsmarkt-Integration eigentlich diejenigen, die man bräuchte, sind aber zugleich auch diejenigen, die man ausweisen und abschieben muss. Die Flüchtlinge hingegen tun sich oftmals erheblich schwerer mit der Arbeitsmarkt-Integration, auch weil sie aus anderen Kulturkreisen und mit anderen religiösen Hintergründen kommen, die eine Integration erschweren.

Wenn man das, was auch andere Länder schon erfahren und ausprobiert haben, in Rechnung stellt, dann sollte man den Menschen der aufnehmenden Länder keinesfalls zu viel versprechen, was die Möglichkeiten und vor allem den Zeitbedarf für eine Arbeitsmarkt-Integration angeht. Das würde sonst bitter enttäuscht werden. Und selbst die mühsamen Erfolge sind hart erkauft und setzen eine konzeptionell fundierte Zusammenarbeit zwischen den unterschiedlichen Ebenen des Staates und der anderen Akteure voraus. Jeder kann diese Voraussetzungen selbst spiegeln an den real existierenden Verhältnissen im großen Deutschland.

Die Gesetzgebungsmaschine ist angeworfen worden. Das „Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz“ ist durch den Bundestag. Es wird wahrscheinlich nicht alleine bleiben

Das „Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz“ wurde heute
im Bundestag mit der Stimmenmehrheit der Großen Koalition beschlossen. Bundestag
verschärft das Asylrecht
, so eine der Überschriften dazu in den Medien:

»Das umfangreiche Gesetz aus dem Bundesinnenministerium hat
zum Ziel, Asylverfahren zu beschleunigen und dafür zu sorgen, dass abgelehnte
Asylbewerber das Land schneller verlassen als bislang. Dazu sind unter anderem
Verschärfungen bei Abschiebungen und Einschränkungen bei den Sozialleistungen
vorgesehen.
So sollen künftig wieder verstärkt Sachleistungen statt
Bargeld ausgegeben werden. Abgelehnte Asylbewerber, die sich einer Ausreise
verweigern, sollen gar keine Sozialleistungen mehr erhalten. Auf der anderen
Seite sieht das Gesetz mehr Integrationsangebote für Flüchtlinge mit guter
Bleibeperspektive vor. Unter anderem sollen die Sprachkurse für Asylbewerber
geöffnet werden.
Ein ebenfalls beschlossenes Gesetz aus dem
Bundesfamilienministerium soll für eine Verbesserung der Lage minderjähriger
Flüchtlinge sorgen. Unter anderem ist vorgesehen, dass künftig alle Länder
unbegleitete Minderjährige aufnehmen müssen.«

Auf der Seite des Bundestags findet man die folgende
Zusammenfassung:

»Mit der Mehrheit von CDU/CSU und SPD hat der Bundestag am
15. Oktober für das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz (18/6385, 18/6386) gestimmt. In
namentlicher Abstimmung votierten die Abgeordneten mit 475 Stimmen für und 68
Stimmen gegen den Entwurf bei 56 Enthaltungen. Mit dem Beschluss soll unter
anderem die Beschleunigung von Asylverfahren nicht schutzbedürftiger Personen
sowie der Ersatz von Geldleistungen durch Sachleistungen erreicht werden …
Für einen Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Verbesserung der Unterbringung,
Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher (18/5921, 18/6289) stimmte die
Mehrheit des Plenums auf Grundlage einer Beschlussempfehlung des Familienausschusses
(18/6392).
Abgelehnt wurden hingegen Anträge der Linken (18/4185) und Grünen (18/5932) zur
Versorgung unbegleiteter minderjähriger Jugendlicher. Ebenfalls keine Mehrheit
fand ein Antrag der Fraktion Die Linke für einen grundlegenden Wandel in der
Asylpolitik (18/3839).
Zudem wurde ein Antrag der Linksfraktion gegen eine Politik der Ausgrenzung und
Diskriminierung (18/6190)
abgelehnt. Ein von den Grünen vorgelegter Antrag zur fairen finanziellen
Verantwortungsverteilung bei der Aufnahme und Versorgung von Flüchtlingen (18/4694) konnte sich
ebenfalls nicht durchsetzen.«

Natürlich gibt es auch kritische Stimmen zu dem, was da
heute beschlossen wurde. Stellvertretend dafür der Beitrag Rolle rückwärts:
Die binäre Logik des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes
der
Gemeinnützigen Gesellschaft zur Unterstützung Asylsuchender (GGUA). Darin der
folgende Passus:

»Das so genannte „Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz“, das
bereits zum 1. November in Kraft treten soll, sieht gravierende Verschärfungen
und Verschlechterungen für Asylsuchende vor. So sollen Montenegro, Albanien und
Kosovo zu „sicheren Herkunftsstaaten“ erklärt werden. Menschen aus „sicheren
Herkunftsstaaten“ sollen einer unbefristeten Lagerpflicht und einem
unbefristeten Arbeitsverbot unterliegen. Sozialleistungen sollen in vielen
Fällen unter das Existenzminimum gekürzt und häufig nur noch als Sachleistungen
ausgegeben werden.
Die GGUA Flüchtlingshilfe hat am 12. Oktober als
Sachverständige im Bundestags-Innenausschuss ihre Position darstellen können.
In der Stellungnahme heißt es: „Statt Asylverfahren zu beschleunigen, hat der
Entwurf vorrangig das Ziel, die Integration und Teilhabe großer
Flüchtlingsgruppen gesetzlich zu verhindern. Mit dem Vorhaben sollen die
Betroffenen sozial in weiten Teilen entrechtet werden – das Ausländerrecht soll
mit einer umfassenden sozialen Exklusion und Isolation flankiert werden. Dabei
spielt die Frage nach integrations- und sozialpolitischer Sinnhaftigkeit ebenso
wenig eine Rolle wie die offensichtliche Verfassungswidrigkeit einiger
Regelungen.“«

Allerdings sollt man nicht annehmen, dass mit dem
Beschleunigungsgesetz nun Ruhe eintreten wird. Zu erwarten ist noch in diesem
Jahr ein weiteres Paket mit gesetzlichen Änderungen, beispielsweise wenn man
wirklich das „Transitzonen“-Modell zum Leben erwecken will.
Und auch von anderer Seite kommen weitergehende Forderungen
nach substanziellen Eingriffen. So findet man in dem Artikel Bundestag
verschärft das Asylrecht
folgenden Hinweis:

»Landkreistag fordert Einschränkung des Asylrechts: In der
Debatte um eine Begrenzung der Flüchtlingszahlen haben Kommunen jetzt auch eine
Beschneidung des Asylrechts im Grundgesetz gefordert. Eine Änderung des
Asylgrundrechts dürfe kein Tabu mehr sein, erklärten Landkreistag-Präsident
Reinhard Sager und der Hauptgeschäftsführer des kommunalen Spitzenverbands,
Hans-Günter Henneke, am Donnerstag in Berlin. Die Bundesregierung lehnt bislang
eine Einschränkung des Asylrechts in der Verfassung klar ab.
Konkret schlägt der Deutsche Landkreistag vor, Menschen aus
sicheren Herkunftsländern vom Geltungsbereich des grundgesetzlich zugesicherten
Rechts auf Asyl auszunehmen. Da diese Antragsteller schon heute „faktisch
niemals“ als Asylberechtigte anerkannt werden, „wird das Asylgrundrecht durch
einen solchen Schritt in seiner Substanz nicht berührt“, heißt es in einem
Positionspapier. Asylbewerber aus Staaten, die als sicher eingestuft wurden,
könnten sich dann nicht mehr auf das Asylrecht berufen.«

Das wird nicht der einzige Vorschlag bleiben.

Die Tafeln und die Flüchtlinge. Zwischen „erzieherischer Nicht-Hilfe“ im bayerischen Dachau und der anderen Welt der Tafel-Bewegung

Derzeit gibt es mehr als 900 Tafeln in Deutschland. Alle sind gemeinnützige Organisationen. Bundesweit unterstützen sie regelmäßig über 1,5 Millionen bedürftige Personen mit Lebensmitteln – knapp ein Drittel davon Kinder und Jugendliche. Rund 60.000 Menschen in Deutschland engagieren sich ehrenamtlich und spenden ihre Freizeit und ihr Know-how: als Helfer vor Ort, Fahrer, Berater oder Dienstleister. Ein paar Stunden am Tag, in der Woche oder im Monat, so wie es die persönlichen Möglichkeiten zulassen. Soweit die Selbstdarstellung der Tafeln. Es geht hier nicht um die immer wieder geführte Debatte um das Für und Wider dieser Hilfe (vgl. dazu nur beispielsweise die Blog-Beiträge Wird die „Vertafelung“ unserer Gesellschaft durch eine unaufhaltsame Effizienzsteigerung auf Seiten der Lieferanten erledigt? vom 19. April 2015 sowie Von der fortschreitenden „Vertafelung“ der unteren Etagen unserer Gesellschaft und warum die Zahl derjenigen, die nicht in Urlaub fahren können, kein geeigneter Maßstab ist vom 29. Mai 2014). Sondern es geht um einen aktuellen Konflikt, der sich an dem (Nicht-)Umgang mit den Flüchtlingen entzündet hat. Das ging los mit so einer Meldung, die aus Dachau kommt: Kein Zutritt für Asylbewerber. Anna-Sophia Lang berichtete in ihrem Artikel: »Die Tafel gibt keine Lebensmittel an Flüchtlinge aus. Diese sollten lernen, mit ihrem Geld umzugehen, sagt Vorsitzender Bernhard Seidenath.« Der Mann ist einer dieser Mehrfachfunktionäre: Er ist als Kreisvorsitzender des Bayerischen Roten Kreuzes für die Tafel in Dachau zuständig und sitzt zugleich als Abgeordneter für die CSU im bayerischen Landtag. Der Mann hat so seine eigene Sicht auf die Dinge. Er wird beispielsweise mit diesen Worten zitiert: „Wer hier in Deutschland aufgewachsen ist, weiß, wie er sich sein Geld einteilen muss. Menschen, die aus anderen Kulturkreisen zu uns kommen und sich in unserem Land nicht auskennen, wissen das nicht.“ Und die Leiterin der Dachauer Tafel, Edda Drittenpreis, sekundiert dem forschen Rot-Kreuzler: „Das, was wir haben, essen die Asylbewerber ja alles nicht, die wollen Couscous und Kichererbsen.“ Offensichtlich wird es unappetitlich in dieser Geschichte.

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Schäuble allein zu Haus? Hartz IV für Flüchtlinge absenken, fordert der Bundesfinanzminister. Oder plaudert er nur ein wenig?

Bei so einer Meldung spitzt man die sozialpolitischen Ohren: Wolfgang Schäuble will Hartz IV für Asylbewerber senken. Und reibt sich anschließend die Augen ob der Begründung, die in dem Artikel kolportiert wird: »Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble will den Hartz-IV-Satz für Flüchtlinge senken. „Können wir nicht wenigstens die Kosten für die Eingliederungsleistungen abziehen?“, fragte Schäuble am Dienstag in Berlin. „Wir werden darüber noch diskutieren müssen.“ Sonst erhalte ein Flüchtling, der noch die Sprache und zum Teil Lesen und Schreiben lernen müsse, ebenso viel wie jemand, der 30 Jahre gearbeitet habe und nun arbeitslos sei.« Allein in dieser Aussage sind zwei richtig große Klöpse enthalten. Zum einen sein Hinweis auf die Eingliederungsleistungen. Der ist richtig putzig, denn er vermittelt den Eindruck, die werden den Hartz IV-Empfängern ausgezahlt. Was nun wirklich nicht der Fall ist, denn es handelt sich hierbei um Mittel, die verwendet werden können beispielsweise für Arbeitsgelegenheiten oder Qualifizierungsmaßnahmen, wenn sie denn da sind. In den vergangenen Jahren wurden diese Eingliederungsmittel erheblich gekürzt und außerdem bedienen sich viele Jobcenter an diesem Topf, denn die Mittel sind gegenseitig deckungsfähig mit dem Budget für Verwaltungsausgaben, also werden Gelder für die Förderung umgewidmet für die Verwaltungsausgaben der Jobcenter (vgl. hierzu beispielsweise Unterfinanzierte Jobcenter: Von flexibler Nutzung zur Plünderung der Fördergelder für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen). Also das war schon mal nichts.

Wie aber ist es mit seinem zweiten Punkt? Man müsse Hartz IV absenken, »erhalte ein Flüchtling, der noch die Sprache und zum Teil Lesen und Schreiben lernen müsse, ebenso viel wie jemand, der 30 Jahre gearbeitet habe und nun arbeitslos sei.« Das nun wiederum ist eine totale Verkennung der Grundprinzipien des Grundsicherungssystems. Denn das von ihm wohl offensichtlich in spalterischer Absicht vorgetragene Argument ist keines, denn dieses Problem stellt sich auch in einer Hartz IV-Welt ohne Flüchtlinge.

In der alten Prä-Hartz-Welt gab es neben dem beitragsfinanzierten Arbeitslosengeld die bedürftigkeitsabhängige, allerdings am früheren Arbeitseinkommen orientierte Arbeitslosenhilfe und als eigenes, letztes Auffangsystem die Sozialhilfe. Mit den „Hartz-Reformen“ hat man die beiden unteren Etagen zusammengelegt, dabei allerdings den Bezug auf das frühere Arbeitseinkommen beseitigt. Das bedeutet im Klartext für den Normalfall: Ein Arbeitnehmer, der seinen Job verliert und ein Jahr lang Arbeitslosengeld I als Versicherungsleistung bezieht, fällt in das Grundsicherungssystem (SGB II) mit dem Arbeitslosengeld II – und bekommt genau so viel oder wenig wie eine Person, die ihr Leben lang nie gearbeitet hat. Sollte der Herr Bundesfinanzminister hier ein Problem sehen oder ar eine Ungerechtigkeit, dann hätte er das schon längst thematisieren können und müssen. Ganz offensichtlich geht es hier um etwas ganz anderes: Er bedient die Abgrenzungsgefühle nach unten gegen die Gruppe der Flüchtlinge bei denjenigen, die selbst ganz unten angekommen sind.

Ansonsten hätte man von einem Bundesminister schon erwartet, dass er die Rechtsprechung des höchsten deutschen Gerichts kennt und berücksichtigt. Das Bundesverfassungsgericht hat sich in der hier interessierenden Causa mit einem wegweisenden Urteil bereits zu Wort gemeldet und vor allem dieser eine Satz aus der Entscheidung des BVerfG aus dem Jahr 2012 sollte auch dem Bundesfinanzminister bzw. seinen Zuarbeitern bekannt sein und seine Zitation könnte die weitere Auseinandersetzung mit den Gedankenspielereien des Ministers beenden:

»Die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren.« (BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2012 – 1 BvL 10/10, Randziffer 121)

Dieses Urteil des BVerfG ist insofern von besonderer Relevanz für die aktuelle Debatte, als die Verfassungsrichter hier eine wichtige Klarstellung vorgenommen haben: Regelungen zu den Grundleistungen in Form der Geldleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz verfassungswidrig, so die Pressemitteilung des Gerichts zur damaligen Entscheidung. Die klare Botschaft der damaligen Entscheidung: Es gibt die Verpflichtung zur Sicherstellung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Und das Gericht spricht hier von Existenzminimum im Singular, keineswegs im Plural – genau darum aber geht es Schäuble mit seinem Vorschlag (oder sagen wir besser: mit seiner Idee). Er will offensichtlich Existenzminima in den politischen Raum stellen. Das nun ist durch die höchstrichterliche Rechtsprechung nicht gedeckt.

Warum dann dieser Vorstoß? Man kann es hinsichtlich der Interpretation so halten, wie es in dem Artikel Schäuble irritiert mit Kürzungsvorschlag für Flüchtlinge vorgetragen wird:

»Möglicherweise war der Minister bei dem von der Journalistin Nina Ruge moderierten Gespräch schlicht in Plauderlaune. So berichtete er auch von einem Scherz, den er sich vergangene Woche bei der Herbsttagung von IWF und Weltbank erlaubt habe. „Ich hab gesagt, als ich in Peru war, in Lima bei der IWF-Tagung, ich könnt‘ ja schnell nach Chile fliegen – ist nicht mehr so weit und die Frau Honecker lebt ja noch – und fragen, wie hat’s eigentlich der Erich gemacht mit der Mauer?“«

Sehr witzig. Vielleicht war es ja auch in Wirklichkeit so, dass der Bundesfinanzminister einfach seiner Plauderlaune erneut freien Lauf gelassen hat. Bei dem Thema wäre das allerdings mehr als fragwürdig, es geht hier immerhin um die Frage des Existenzminimums.

Es könnte natürlich auch sein, dass hinter dem Vorstoß eine bestimmte Strategie steckt, die sich darüber bewusst ist, dass der konkrete Vorschlag – gleichsam als Bauernopfer – gar keine Chance hat, sehr wohl aber das dahinter stehende Einsparmotiv.

Da verwundert es auch nicht, dass gewisse journalistische Hilfstruppen sogleich dem an sich nur plaudernden Finanzminister beigesprungen sind – immer im Dienst der Sache, hier des Abbaus sozialer Leistungen. So kommentiert Heike Goebel in der Online-Ausgabe der FAZ unter der Überschrift Sozialleistungen müssen überprüft werden und zugleich – wenn schon, denn schon – den Bogen weiter spannend: »Die Sozialleistungen für Flüchtlinge müssen auf Fehlanreize überprüft werden. Das allein wird aber nicht reichen, um den Anstieg der Sozialausgaben zu bremsen. Hält der starke Zustrom an, müssen die Sozialleistungen durchforstet werden. Es wird Kürzungen geben, nicht nur für die Flüchtlinge.« Aber so ganz sicher ist sich die Apologetin des Sozialabbaus nun auch wieder nicht, denn sie stellt etwas verunsichert – man weiß ja nie – die Frage in den Raum: »Oder wollte Schäuble mit seinem Hinweis auf Hartz IV das Feld für höhere Steuern und Schulden vorbereiten?«

Das mag alles vielleicht so sein. Sicher ist hingegen, dass der Bundesfinanzminister weiß, was auf ihn bzw. den Bundeshaushalt zukommen wird, wenn auch nur in Umrissen, die aber genügen. „Im Hartz-IV-System fehlen Milliarden“, konnte man in der Print-Ausgabe der FAZ am 6. Oktober 2015 lesen. Da bekommt man einen ersten Eindruck von den Größenordnungen, über die wir hier sprechen – und erneut werden wir auch wieder mit den Verwaltungskosten der Jobcenter konfrontiert:

»Die 408 deutschen Jobcenter sollen nach dem Willen von Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) im kommenden Jahr bis zu 3,3 Milliarden Euro zusätzlich vom Bund erhalten, damit sie die Mehrausgaben für die vielen Flüchtlinge decken können. Der Betrag ist aber womöglich viel zu knapp kalkuliert – selbst wenn man die bisherige Prognose von 800 000 Asylbewerbern in diesem Jahr zugrunde legt. Das zeigen Berechnungen der Bundesländer. Danach müsste nun allein das Budget der Verwaltungskosten, mit denen die Jobcenter ihr Personal und ihren laufenden Betrieb finanzieren, um 1,1 Milliarden Euro im Jahr steigen … Bisher sieht Nahles’ Etat für 2016 insgesamt 4 Milliarden Euro für Verwaltungskosten der Jobcenter vor, ebenso viel in diesem Jahr und 650 Millionen Euro weniger als noch 2014. Die Verwaltungskosten machen knapp ein Zehntel aller Hartz-IV-Ausgaben aus; der größte Posten ist mit gut 19 Milliarden Euro das Arbeitslosengeld II. Überträgt man diese Kostenverteilung auf die von Nahles nun angestrebte Budgetaufstockung um 3,3 Milliarden Euro, dann wären darin rund 300 Millionen für Verwaltungskosten enthalten – also nur etwas mehr als ein Viertel dessen, was nun nach gemeinsamer Überzeugung der Länder nötig ist … Seit Jahren buchen Jobcenter laufend Gelder aus dem Topf für Eingliederungs- und Fördermaßnahmen für Arbeitslose um, damit sie ihre eigenen Personal-, IT- und Heizkosten bezahlen können. Schon 2014 hatten sie dafür fast 500 Millionen Euro aus dem Fördertopf entnommen, der ebenfalls ein Gesamtvolumen von rund vier Milliarden Euro hat. In diesem Jahr werden es sogar fast 650 Millionen Euro sein.«

Und dann erfahren wir auch den wohl wahrscheinlichsten Grund für die Schäuble’sche Plauderei: Die Bundesarbeitsministerin Nahles verhandelt derzeit mit Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) über jene 3,3 Milliarden. Details werden voraussichtlich erst im November nach der neuen Steuerschätzung festgezurrt. Und bis dahin kann man ja ein wenig herumzündeln, denn auch wenn es inhaltlich wie gezeigt keine Substanz hat – bei vielen Menschen bleibt die Botschaft hängen, die unters Volk gebracht werden sollte. Insofern kann und darf man das nicht nur abtun als Merkwürdigkeit eines Bundesfinanzministers, der sich ein wenig hat gehen lassen. Wir haben es hier immerhin mit einem echten Profi zu tun.

Elfenbeinturm gegen altes Zunftdenken? Zur Debatte über Teilqualifizierungen für Flüchtlinge

Man könnte es für eine dieser typischen und oftmals entnervenden, weil nicht wirklich weiterführenden reflexhaften Debatten halten: Aus dem Elfenbeinturm der Wissenschaft kommt ein Vorschlag zum Umgang mit einem drängenden gesellschaftlichen Problem – und die etablierten Akteure gehen sofort in Abwehrstellung und fahren mit der „Geht auf gar keinen Fall“-Planierraupe über das zarte Gewächs. Unter gegenseitigen, zuweilen öffentlichkeitswirksam inszenierten Vorwürfen im Spektrum von irrlichternde Theoretiker und eigennutzoptimierende Besitzstandwahrer verschwindet dann das Thema des Streits von der Bildfläche. Aber zuweilen macht man dann die Erfahrung, dass Teile dessen, über das gestritten wurde, zu einem späteren Zeitpunkt dann doch Eingang finden in die Gesetzgebung, natürlich in bearbeiteter, also modifizierter Form. Und hin und wieder erkennt man an dem Streit auch Grundsatzprobleme unserer gesellschaftlichen Konfiguration, die auch scheitern kann an einer sich verändernden Wirklichkeit. Diese einführenden Hinweise sollen für ein Thema sensibilisieren, dessen Behandlung in der öffentlichen Arena immer buntere Blüten treibt, was nicht verwunderlich ist angesichts der ganz handfest-praktischen Probleme des „Handlings“, wie aber auch der vielen Erwartungen – und das dann noch garniert mit einer enormen Emotionalisierung innerhalb der Bevölkerung, was wiederum die Politiker nervös werden lässt.
Es ist unschwer zu erraten, dass es hier um Flüchtlinge geht, konkreter um einen Teil der Flüchtlinge betreffend, die (möglichst schnell) in den Arbeitsmarkt integriert werden sollen.

Was ist passiert? Aus dem ifo-Institut für Wirtschaftsforschung in München unter (Noch-)Leitung des  umtriebigen Hans-Werner Sinn ist hinsichtlich der von allen sicher gewollten Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen ein Vorschlag gekommen, wie man diese ermöglichen und beschleunigen könne. Schon für die erste Stufe, die gezündet wurde, hat man sich des politisch (und auch innerhalb der Wissenschaft) höchst kontrovers diskutierten Reizthemas „Mindestlohn“ angenommen. In einem Artikel mit der knackigen Überschrift Ohne Abstriche beim Mindestlohn finden viele Zuwanderer keine Arbeit doziert er: »Viele Migranten sind schlecht qualifiziert und haben Sprachprobleme. Damit sie trotzdem eine Arbeit finden, bedarf es einer stärkeren Lohnspreizung in Deutschland.«
Der neue Vorstoß kommt nun von Ludger Wößmann, den Leiter des ifo Zentrums für Bildungsökonomik. Der hat ausgeführt:

„Bei der beruflichen Qualifikation dürfen wir uns keinen Illusionen hingeben“, sagt Wößmann. Ein großer Teil der Flüchtlinge komme mit geringen Qualifikationen. „Deshalb brauchen wir jetzt pragmatische Lösungen, um möglichst vielen Flüchtlingen eine Chance auf eine schnelle Integration in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen.“

Da kann man mitgehen. Aber die Frage ist natürlich immer, was versteht man unter pragmatischen Lösungen, wie sieht das konkret aus. Wößmann versucht das zu leisten, folgt man dem Artikel Flüchtlinge brauchen schnellen Zugang zu Kitas, Schulen und Berufsausbildung auf der ifo-Website:

»Dazu gehöre die einjährige Aussetzung von Hemmnissen wie Wartefristen und Vorrang-Prüfungen und die Gleichsetzung von Flüchtlingen mit Langzeit-Arbeitslosen bei der Ausnahmeregelung vom Mindestlohn, damit Unternehmen bereit sind, Flüchtlinge einzustellen. Für junge erwachsene Flüchtlinge sollten ein- bis zweijährige teilqualifizierende Berufsausbildungen kurzfristig massiv ausgebaut werden. „Wir können nicht alle Flüchtlinge zu Mechatronikern ausbilden, aber für teilqualifizierte Landschaftsgärtner oder Helfer in der Alten- und Krankenpflege könnte es am deutschen Arbeitsmarkt viel Potenzial geben“, sagt Wößmann.«

Das ist eine Steilvorlage für die Gewerkschaften, wie man sich vorstellen kann. Der DGB hat auch prompt reagiert: Keine „Schmalspur-Ausbildung“ für Flüchtlinge. Offensichtlich ist man im Gewerkschaftslager ziemlich angefressen, was die harsche Formulierung der stellvertretenden DGB-Vorsitzende Elke Hannack erklären mag:

„Was beim Mindestlohn nicht gelungen ist, versuchen arbeitgebernahe Bildungsforscher nun bei der Ausbildung durchzusetzen: Wichtige soziale Standards sollen geschliffen werden, um Flüchtlinge als billige Arbeitskräfte auszubeuten. Flüchtlinge dürfen keine Auszubildenden zweiter Klasse werden. Die Folgen einer solchen Sonderregelung wären fatal: Unterhalb einer vollwertigen Ausbildung gäbe es dann noch einen parallelen Markt mit Häppchen-Ausbildungen, die die Menschen auf schlechte Arbeit in prekären Verhältnissen vorbereiten. Echte Perspektiven entstehen für Flüchtlinge so nicht. Zudem könnten ’normale‘ Ausbildungsplätze durch die Billig-Variante verdrängt werden.“

Aber die Gewerkschaften bleiben nicht allein in ihrer Ablehnung der Wößmann’schen Vorschläge. Sie bekommen Geleitschutz von der Arbeitgeber-Seite, kann man dem Artikel Teilqualifizierung für Flüchtlinge: Kritik vom ZDH und DGB entnehmen:

»Auch der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) hält eine Teilqualifizierung von Flüchtlingen nicht für sinnvoll. „Die berufliche Ausbildung mit dem Ziel des Gesellenabschlusses ist eine ganzheitliche Ausbildung, die über die Dauer von in der Regel drei Jahren Theorie und Praxis umfassend miteinander verzahnt“, erläutert Hans Peter Wollseifer, Präsident des ZDH. Am Ende ihrer Lehrzeit seien die jungen Menschen fit für das Berufsleben. „Teilausbildungen können dies nicht leisten“, betont der Handwerkspräsident. Auch der ZDH ist der Meinung: Jungen Flüchtlingen wäre mit Teilqualifizierungen vor allem im Hinblick auf eine spätere Berufstätigkeit nicht geholfen. Zwar könnten im Vorfeld erbrachte Leistungen berücksichtigt und die Lehrzeit damit gegebenenfalls verkürzt werden. Wollseifer: „Für junge Flüchtlinge dürfte das aber nur in Ausnahmen der Fall sein, da hier in der Regel erst einmal die für einen guten Ausbildungsabschluss erforderlichen Deutschkenntnisse erworben werden müssen.“«

Da sind wir bei einem zentralen Punkt angekommen. Der Flaschenhals für eine gelingende Integration in den Arbeitsmarkt wird die Sprache sein. Und hier muss man sich zwei elementaren Herausforderungen stellen: Zum einen ist das Angebot an Sprachkursen angesichts der Menge an Flüchtlingen und damit der eigentlichen Bedarfe völlig unterdimensioniert, aber auch die Fachkräfte dafür lassen sich nicht per Knopfdruck produzieren. Zum anderen muss man sehen, dass diese unverzichtbare Vorbereitung für die meisten sich daran anschließenden Qualifizierungsbemühungen nicht nur (erst einmal) Geld kostet, sondern vor allem auch Zeit, die eine schnelle Integrationsperspektive doch arg eintrüben muss. Deutsch ist eine schwere Sprache und für viele Flüchtlinge eine besonders schwere. Wir mögen uns alle einfach mal spiegelbildlich vorstellen, wir würden in arabische Länder gehen (müssen) und sollten dann deren Sprache erlernen.

Man kann es drehen und wenden wie man will: Natürlich ist es so, dass wir Zeit und erhebliche Investitionen aufbringen müssen, um einen Großteil der Flüchtlinge, die bleiben werden, vorzubereiten und schrittweise in Lohn und Brot zu bringen. Wir reden hier über mehrjährige Zeiträume. Natürlich wird es immer auch Branchen oder einzelne Tätigkeitsfelder geben, wo man Flüchtlinge, die keine oder nur marginale Deutsch-Kenntnisse haben, arbeiten lassen kann. Um nur ein Beispiel zu Illustration zu nennen: Man kann sich schon vorstellen, dass es eine solche Konstellation geben kann in einer Großküche eines Caterina-Unternehmens. Dort gibt es Arbeiten, für die man nicht wirklich Deutsch sprechen muss. Wenn man dort Flüchtlinge einstellen und beschäftigen würde, könnte und müsste man das sogar verbinden mit Sprachkursen, die parallel zur Arbeit zu absolvieren wären, ähnlich wie bei einer dualen Berufsausbildung die Praxisphasen im Betrieb und die Zeiten in der Berufsschule abwechselnd den Arbeits- und Lernalltag der Auszubildenden bestimmen.

Zugleich kann man sich aber auch vorstellen, was es bedeutet, wenn man hier aus scheinbar plausiblen Flexibilitätsüberlegungen die Anforderungen absenkt oder auf begleitende Qualifizierungsmaßnahmen sogar ganz verzichtet, denn die Betroffenen haben dann ja einen Job. Und wenn dann die Flüchtlinge, von denen sicherlich sehr viel hoch motiviert und bereit sind, jede Beschäftigung anzunehmen, auch noch „billiger zu haben“ wären, weil man bei ihnen den Mindestlohn ausgesetzt hat, dann wird klar, in welche Richtung aus einer nachvollziehbaren betriebswirtschaftlichen Logik heraus die Auswahlentscheidung der Unternehmen beispielsweise im Vergleich mit anderen Arbeitslosen ausfallen wird, was wiederum faktisch den Konkurrenzdruck in den unteren Etagen des Arbeitsmarktes nach oben treiben wird.

Wir sind erst am Anfang einer langen Wegstrecke und man sollte neben allen Versuchen, im Einzelfall schnell und unbürokratisch vorzugehen und den einen oder anderen in Arbeit zu bringen, den Blick auf das Ziel einer nachhaltigen Integration nicht aus den Augen verlieren. Welche unterschiedlichen Maßnahmen eigentlich ergriffen werden müss(t)en, verdeutlicht beispielsweise die Auflistung in diesem Positionspapier des DGB: DGB Bundesvorstand: Teilhabechancen eröffnen. Zugänge in Bildung, Ausbildung, Studium und Qualifizierung für junge Flüchtlinge schaffen, Berlin, 14.09.2015.

Und der Beitrag soll beendet werden mit einem Blick auf die als zentrale Gelingensbedingung für eine erfolgreiche Integration in Arbeit von allen Seiten herausgestellten Sprachkurse. Hier erreicht uns eine frohe Botschaft:
„Sprachförderung als Basis für Integration in Arbeit“ – wer kann da nicht zustimmen? So ist eine Pressemitteilung der Bundesagentur für Arbeit überschrieben. Und dann erfahren wir: Der Verwaltungsrat der Bundesagentur für Arbeit (BA) hat beschlossen, Sprachkurse für Flüchtlinge schnell und flächendeckend anzubieten. Gerade die sind dringend erforderlich, um überhaupt erst mal die Voraussetzungen zu schaffen für eine mögliche Integration in den Arbeitsmarkt. Viele Medien werden die frohe Botschaft unter die Leute bringen.

Da ist man fast geneigt, von einer kritischen Kommentierung abzusehen, nur um das Glück nicht zu stören. Aber dieser Impuls verblasst nach einem kurzen Moment. Eine kritische Anmerkung sollte wenigstens gemacht werden.

Um die einordnen zu können, zuvor ein Blick auf das, was da beabsichtigt ist:
Der Verwaltungsrate hat entschieden, dass die BA ihr Engagement bei der Sprachförderung »einmalig« ausweiten wird. Denn eigentlich ist das nicht ihre Aufgabe. Grundlage »dafür ist die geplante Rechtsänderung im SGB III im Rahmen des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes. Diese Änderung ermöglicht es der BA, zeitlich begrenzt Sprachkurse für Flüchtlinge zu fördern, wenn diese Kurse bis zum 31. Dezember 2015 beginnen.«

Annelie Buntenbach vom DGB-Bundesvorstand, derzeit Vorsitzende des Verwaltungsrats, wird mit diesen Worten zitiert:

„Wichtig dabei ist: Es handelt sich bei der Förderung um zusätzliche Mittel, die wir aus unserer Interventionsreserve im Haushalt freigeben. Damit entstehen auch keine Nachteile in der Förderung für andere Arbeitsuchende.“

Bei so einer Argumentation nach dem Muster der Vorwärtsverteidigung könnte der Berufsskeptiker aus dem Stand-by-Modus erwachen und die Frage stellen, was sind denn das für Mittel und woher kommen die?

»Es wird erwartet, dass bis zu 100.000 Menschen von dieser ersten Sprachförderung profitieren können. Ziel ist es, erste Kenntnisse der deutschen Sprache zu vermitteln. Die voraussichtlichen Kosten der Förderung werden zwischen 54 Millionen und 121 Millionen Euro liegen – je nach Ausgestaltung der Maßnahmen und nach der Teilnehmerzahl, die in diesem Jahr erreicht werden kann.«

Eine ordentliche Summe, aber angesichts des Bedarfs und was man damit machen kann, sicher eine sinnvolle Ausgabe. Denn die Sprachförderung der Flüchtlinge ist eine ganz zentrale gesamtgesellschaftliche Aufgabe, sie ist ja nicht nur für die Aufnahme irgendeines Jobs eine wichtige Voraussetzung, auch andere wichtige Aspekte einer von den meisten Menschen angestrebten (und zunehmend von vielen Politikern auch immer stärker eingeforderten) Integration der Flüchtlinge in unsere Gesellschaft setzen Sprachkenntnisse voraus.

Wenn das so ist, dann muss dieses Angebot – das unbedingt noch deutlich stärker ausgebaut werden muss, um das hier unmissverständlich zu formulieren – aus Steuermitteln finanziert werden.
Jeder, der weiß, was sich hinter dem Begriff „Verschiebebahnhof“ verbirgt, ahnt, was jetzt kommt. Die Millionen fließen nicht aus der Schatulle des Bundesfinanzministers, die sich aus Steuereinnahmen speist, sondern es handelt sich um Beitragsmittel der Arbeitslosenversicherung. Diese werden für eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe – sagen wir es ruhig in der alten ordnungspolitisch fundierten Terminologie – zweckentfremdet. Für etwas, das gefälligst über Steuermittel finanziert werden müsste, sollte, hätte …

Aber haben wir nicht eben lesen können, dass es sich um zusätzliche Mittel handelt, also keine Nachteile für Arbeitslose entstehen?

Die Auflösung liegt in dem Begriff „Interventionsreserve“. Hierbei handelt es sich um Beitragsmittel der Versicherten, die man zurückgelegt hat, um im Falle einer neuen Krise auf dem Arbeitsmarkt über Geldreserven zu verfügen. Denn einen Bundeszuschuss gibt es für die BA nicht mehr, der wurde abgeschafft.

Man nimmt also Geld aus dem Sparschwein der Arbeitslosenversicherung, nur um den Bundesfinanzminister seine Glücksgefühle über die hingerechnete „schwarze Null“ nicht zu versauen, die sein Lebenswerk krönen soll.

Auch wenn Ordnungspolitik verstaubt und muffig daherkommt – das ist keine korrekte Finanzierung, wieso sollen nur die Beitragszahler für Sprachkurse zahlen? Und mal in die Zukunft gedacht: Wenn man die Reserven der Arbeitslosenversicherung plündert, wird man den Beitragssatz bei einer schlechteren Arbeitsmarktlage schneller erhöhen müssen. Wetten, dass dann wieder bitterlich geklagt wird über die steigenden „Lohnnebenkosten“, deren Anstieg „natürlich“ dringend über „Reformen“ abgebremst werden muss, damit die Arbeitgeber nicht „überlastet“ werden?