(Nicht-)Wohnen: Die alte neue soziale Frage. Von einem Sprengsatz in unserer Gesellschaft mit erheblicher Splitterwirkung

Es soll und kann an dieser Stelle gar nicht ausgeführt werden, dass die Wohnungsfrage schon immer eine hoch brisante Problematik war (und ist), vor allem für die vielen Menschen mit keinem oder nur geringen Einkommen, in den attraktiven Großstädten bis hinein in die ganz „normale“ Mittelschicht. Auch in diesem Blog wurde bereits mehrfach die Wohnungspolitik als ein hoch relevantes sozialpolitisches Handlungsfeld aufgerufen, so beispielsweise mit dem Beitrag Eine expandierende Großbaustelle mit offensichtlichen Baumängeln: Die Wohnungsfrage als eines der zentralen sozialen Probleme der vor uns liegenden Jahre vom 16. September 2015 oder am 12. Juni 2015 der Beitrag Wohnungspolitik: Wenn die Bremse kaum bremst und wenn, dann für die anderen, die Makler nicht mehr so einfach auf Kosten Dritter makeln können und letztendlich einfach Wohnungen fehlen, um nur zwei Beispiele zu nennen. Und dieser Beitrag knüpft von der Wortwahl bewusst an einen Beitrag aus dem September 2014 an, der so überschrieben wurde: Wohnst Du schon oder suchst Du noch? Die Wohnungsfrage als neue alte soziale und „Markt“-Frage, zunehmend auch für die „Mitte“.

Die enorme Zuwanderung der letzten Monate ist derzeit das alles beherrschende Thema in den Medien. Dabei dominiert zwangsläufig die Berichterstattung über den Notfall-Modus, in dem sich die Systeme gegenwärtig befinden. In den vor uns liegenden, kälter werdenden Wochen wird es vor allem um die Frage gehen, wie man die vielen Menschen irgendwie irgendwo winterfest unterbringen kann. Aber man muss zugleich daran denken, wie das dann weitergehen kann und soll. Die Zuwanderer brauchen Wohnungen und sie werden vor allem günstigen Wohnraum brauchen.

Den aber brauchen andere, die schon immer hier waren, auch ganz dringend. Es ist ja derzeit kein Mangel an irgendwelchen  attraktiven und damit teuren Wohnungen, sondern für die vielen unter dem Durchschnitt reicht das Wohnraumangebot schon heute vorne und hinten nicht. Und es ist nun mal so: Die Zuwanderung der vielen Flüchtlinge wird den Verteilungskampf in den unteren Etagen erheblich befeuern. 

Wir haben es mit einem veritablen Angebots-Nachfrage-Dilemma zu tun auf einem „Markt“, der für die betroffenen (potenziellen) Mieter aber einen ganz anderen Charakter hat als die meisten „normalen“ Märkte, denn es handelt sich beim Wohnen um ein existenzielles Gut, bei dem man kaum bzw. keine echten Wahlfreiheiten hat als Normal- oder gar Geringverdiener, sondern der Angebotsseite oftmals einfach nur ausgeliefert ist. Zugleich manifestieren sich jetzt immer öfter die Versäumnisse der Vergangenheit, vor allem die Flucht aus dem sozialen Wohnungsbau. Das rächt sich jetzt.

Und der Bedarf ist offensichtlich riesig. Nehmen wir dieses Beispiel: Frankfurt braucht viel mehr Wohnungen für Flüchtlinge. Die in diesem Artikel – wie auch in denen über Berlin, von denen gleich einer exemplarisch verwendet wird – zitierte aktuelle Wohnungsmarkt-Analyse wurde von der Bauwirtschaft beim Pestel-Institut in Auftrag gegeben. Allein für die Flüchtlinge, die in diesem Jahr nach Frankfurt kommen werden, benötigt man rund 3.450 Wohnungen. Hinzu kommt: Nicht nur Flüchtlinge sind auf der Suche nach Wohnraum, auch viele andere Menschen mit wenig Geld. Auch die hat man in der Studie berücksichtigt:

»Nach Berechnungen der Wissenschaftler steigt der Gesamt-Wohnungsbedarf für Frankfurt im laufenden Jahr … auf rund 13.050 Wohnungen. Im Schnitt wurden zuletzt allerdings lediglich rund 3.420 Wohnungen pro Jahr fertiggestellt.«

Da ist es, das angesprochene Angebots- Nachfrage-Dilemma. Matthias Günther vom Pestel-Insttut wird mit den Worten zitiert: »Immerhin braucht Frankfurt in diesem Jahr 3,8-mal so viele Wohnungen, wie bislang jährlich überhaupt neu gebaut wurden.« Es sei deshalb zwingend notwendig, die bisherige Neubaurate enorm zu steigern und beim Leerstand kräftig zu sanieren.

Und offensichtlich stehen die Frankfurter nicht allein vor einem gewaltigen Problem: Berlin braucht 50.000 neue Wohnungen. Wegen des hohen Zuzugs müssten dieses Jahr 50.000 neue Wohnungen entstehen, sagt die Pestel-Studie – ein Vielfaches der realen Zahl. Es fehlt vor allem an günstigen Angeboten für Rentner, Mini-Jobber, Studenten und Flüchtlinge.

Dass wir es hier mit einem massiv auseinanderlaufenden Prozess zu tun haben, verdeutlicht der folgende Passus:

»50.000 neue Wohnungen müssen in Berlin in diesem Jahr fertiggestellt werden, damit Wohnungssuchende – darunter viele Flüchtlinge – ein festes Dach über dem Kopf bekommen. Doch nur etwa 10.000 werden voraussichtlich neu gebaut. Und das ist eine optimistische Schätzung: Im vergangenen Jahr übergaben Bauträger nur gut 6.700 Wohnungen an ihre Nutzer. Gemessen daran müssten in diesem Jahr sogar sieben Mal mehr Wohnungen entstehen.«

Dass das mehr als unwahrscheinlich ist, muss hier wohl nicht wirklich weiter ausgeführt werden.

Nach Auffassung des Stadtsoziologen Andrej Holm hilft die Steigerung des Neubaus allein nicht zur Dämpfung der Wohnungsnot in der Stadt. Das Angebot an Luxuslofts und teuren Wohnungen sei völlig ausreichend, es bestehe aber ein Mangel an günstigem Wohnraum:

»Der Neubau von Sozialwohnungen allein reiche nicht aus, um Flüchtlinge und die bisher am Wohnungsmarkt leer ausgehenden Haushalte mit geringen Einkünften zu versorgen. Berlin müsse verstärkt über „Belegungsbindungen“ diskutieren bei den Wohnungen, die öffentliche Gesellschaften besitzen. Eine weitere Möglichkeit sei der Ankauf von Belegungsrechten bei privaten Hauseigentümern durch das Land, das diese Wohnungen dann günstig an Haushalte mit dringendem Bedarf vergeben könne.«

Hinter der Untersuchung steht die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU). Die IG BAU hat gemeinsam mit dem Bundesverband Deutscher Baustoff-Fachhandel (BDB), der Deutschen Gesellschaft für Mauerwerks- und Wohnungsbau (DGfM) und dem Bund Deutscher Baumeister, Architekten und Ingenieure (BDB) die Analyse in Auftrag gegeben.

Aber man muss neben der dringlichen Notwendigkeit, endlich wieder in die Puschen zu kommen bei der Erweiterung des Angebots an bezahlbaren Wohnraum nicht den Bestand an leer stehenden Wohnungen vergessen. Jan Fleischhauer hat in einer launigen Kolumne, in der er entsprechen seiner politischen Präferenzen einen kritischen Blick wirft (nur) auf sozialdemokratische Regierungsmitglieder (Arbeit, Wohnen und Familie) unter der Überschrift Flüchtlinge? Ich bin dann mal weg folgende Szenerie beschrieben:

»Ich saß vergangene Woche bei einem Abendessen neben mehreren Leuten, die in Ostdeutschland große Wohnungsunternehmen leiten. Sie verwalten allein in Thüringen 20.000 leer stehende Wohnungen, in Sachsen sind es rund 50.000. Platz wäre also da, um Flüchtlinge unterzubringen. Auch der Wille, in der Krise anzupacken, ist vorhanden. Aber es nützt nichts.

Man darf nicht einfach Wohnungen vermieten, die leer stehen. Wer Wasser und Strom abgemeldet hat, und sei es nur für einen Tag, der muss oft erst nach den neuesten Elektro- und Wasserbestimmungen sanieren, bevor er die Häuser wieder öffnet. Einer am Tisch erzählte, dass eine Unterkunft für Flüchtlinge als ungeeignet erklärt wurde, weil in den ersten Stock eine Holztreppe führte. Auch sein Angebot, den ganzen Tag einen Feuerwehrmann neben die Treppe zu stellen, brachte nichts. In Köln scheiterte die Errichtung eines Containerdorfs zunächst, weil mit Rücksicht auf brütende Vögel monatelang kein Gebüsch entfernt werden durfte.

Und es wird nicht besser werden, es wird schlimmer. Am 1. Januar tritt die nächste Stufe der Energieeinsparverordnung in Kraft. Die Verschärfung wird nicht nur dafür sorgen, dass die Luft über Deutschland noch sauberer wird, sondern auch die Baukosten in die Höhe treiben. Alle Appelle an die zuständige Ministerin, die Verordnung auszusetzen, waren bislang vergeblich. Am Umweltschutz wird nicht gespart, da können noch so viele Flüchtlinge im Zelt kampieren.«