Die Wohnungsfrage, die für Menschen mit niedrigen bis hin zu mittleren Einkommen – bereits seit langem vor dem Ankommen der vielen Flüchtlinge – vor allem in vielen (groß)städtischen Regionen eine höchst brisante war und ist, wurde im Beitrag (Nicht-)Wohnen: Die alte neue soziale Frage. Von einem Sprengsatz in unserer Gesellschaft mit erheblicher Splitterwirkung bereits als eine der zentralen sozialpolitischen Herausforderungen aufgerufen. Und die Bundesregierung liefert selbst einen Beitrag für die in diesem Kontext zu führenden Diskussionen, wurde doch nun der neue, alle vier Jahre vorzulegende Wohngeld- und Mietenbericht 2014, der den Zeitraum 2011 bis 2014 abdeckt, veröffentlicht (vgl. dazu beispielsweise Es wird eng in den Städten: »In Deutschlands Groß- und Universitätsstädten wird es immer schwieriger, bezahlbare Wohnungen zu finden. Das betrifft zunehmend auch Mieter mit mittlerem Einkommen.« Das zuständige Bundesbauministerin führt zum Wohngeld- und Mieterbericht 2014 aus: »Die seit 2009 zu verzeichnende Dynamik auf den Wohnungsmärkten der wirtschaftsstarken Zuzugsräume und vieler Groß- und Universitätsstädte hält weiter an. Hier sind weiterhin deutliche Mietsteigerungen und vielerorts spürbare Wohnungsmarktengpässe zu verzeichnen. Die aktuell hohen Flüchtlingszahlen verstärken die vorhandenen Knappheiten auf den Wohnungsmärkten zusätzlich. Vor allem einkommensschwächere Haushalte, aber auch zunehmend Haushalte mit mittleren Einkommen, haben Schwierigkeiten eine bezahlbare Wohnung zu finden.«
Viele Menschen können sich keine Wohnung oder nicht zu den realen Preisen leisten. Hier greifen dann Transferleistungen des Staates – bei den Hartz IV-Empfängern die Übernahme der „angemessenen Kosten“ der Unterkunft und bei anderen Haushalten bis zu einer Einkommensschwelle durch die anteilige Beteiligung an den Wohnkosten über das Wohngeld. »Im Jahr 2013 entlastete die öffentliche Hand mit Wohngeld und der Übernahme der Kosten der Unterkunft und Heizung im Rahmen der Grundsicherung rund 4,4 Millionen Haushalte mit 16,5 Milliarden Euro wirkungsvoll bei den Wohnkosten. Damit profitierten 11 Prozent aller Haushalte von einer vollständigen oder teilweisen Entlastung bei den Wohnkosten.«
2009 gab es eine Wohngeldreform und danach bezogen mehr als eine Million Haushalte diese Zuschussleistung. »Infolge der jährlichen Regelbedarfserhöhungen, der Streichung der Heizkostenkomponente 2011, der allgemeinen Einkommenssteigerungen und der günstigen Arbeitsmarktentwicklung sank die Zahl der Wohngeldhaushalte bis Ende 2013 auf 665.000 Haushalte. Die Ausgaben reduzierten sich entsprechend von 1,8 Milliarden Euro im Jahr 2010 auf 845 Millionen Euro im Jahr 2014.«
Nun versucht man, wieder etwas gegenzusteuern: Mit der Wohngeldreform 2016 werden einkommensschwache Haushalte oberhalb der Grundsicherung bei den Wohnkosten stärker entlastet. Die Bundesregierung geht davon aus, dass das (wieder) zu mehr Wohngeldempfängern und damit natürlich auch zu Mehrausgaben führen wird:
»Im Zentrum der Reform steht die Anpassung des Wohngelds an die Mieten- und Einkommensentwicklung seit der letzten Wohngeldreform 2009. Bei der Erhöhung wird auch der Anstieg der warmen Nebenkosten und damit der Bruttowarmmieten insgesamt berücksichtigt.
Rund 870.000 einkommensschwache Haushalte werden von der Wohngeldreform 2016 profitieren. Darunter sind rund 320.000 Haushalte, die durch die Reform neu oder wieder einen Anspruch auf Wohngeld erhalten. Von diesen werden rund 90.000 Haushalte von der Grundsicherung ins Wohngeld wechseln. Die Wohngeldausgaben von Bund und Ländern werden dadurch 2016 auf rund 1,5 Milliarden Euro steigen.«
So wichtige diese partielle Verbesserung der Wohngeld-Leistung für die Betroffenen auch ist – sie ist natürlich an die Voraussetzung gekoppelt, dass die Betroffenen überhaupt eine Wohnung finden (können), deren Mietkosten man dann anteilig über staatliche Mittel subventioniert.
Allerdings sollte allen klar sein, dass wir es mit einem echten, über viele Jahre aufgebauten Angebots-Nachfrage-Dilemma im Bereich der Wohnungen für unterste, untere und auch einen Teil der mittleren Einkommen zu tun haben. Es fehlt schlichtweg in vielen (Groß)Städten das Wohnraumangebot – während es in den gleichen Städten oftmals ein Überangebot im Bereich der Premium- und Luxuswohnungen gibt und in vielen ländlichen Regionen erhebliche Leerstände beklagt werden. Gleichzeitig müssen wir jetzt die Folgekosten des Eindampfens des sozialen Wohnungsbaus vor vielen Jahren zur Kenntnis nehmen, so Jörg Häntschel in seinem Artikel Die neue Währung heißt Wohnung:
»Überall auf der Welt sind seit den Achtzigern Sozialwohnungen auf den Markt geworfen und Mietbeschränkungen aufgehoben worden. Der Markt schluckte sie gierig – doch zur Lösung des Wohnproblems trug er nicht bei. Und die Commodification im Großen zieht Commodification im Kleinen nach sich, so der New Yorker Stadtsoziologe David Madden: In Paris oder New York können manche Leute ihre Wohnungen nur noch halten, indem sie die eigene Verdrängung selbst in die Hand nehmen und Räume an Airbnb-Touristen vermieten.«
Der Markt folgt seinen eigenen Gesetzmäßigkeiten. Der Stadtsoziologe Andrej Holm illustriert am Beispiel eines Mietshauses in der Berliner Sophienstraße, was man sich unter „Marktekstase“ vorstellen muss:
»Dessen Eigentümer hatten es vor zwölf Jahren für 700 000 Euro verkauft. Seitdem wurde es mehrmals weiterveräußert, bis es kürzlich für acht Millionen erneut den Besitzer wechselte. Dass der neue Eigentümer das Äußerste tun wird, um aus dem viel zu teuer gekauften Haus Mieterträge zu quetschen, liegt auf der Hand.«
Bei allem Lamento – gibt es denn nichts zu berichten in Richtung auf Lösungen für die Probleme, wird der eine oder andere in den Raum werfen. Doch, gibt es schon, denn natürlich machen sich derzeit viele Gedanken, wie man praktikable Lösungen für den vorhandenen und zusätzlichen Wohnbedarf generieren kann. Darüber berichtet Barbara Dribbusch in ihrem Artikel Erst einmal ohne Balkon und Aufzug: »Es mangelt an Unterkünften für Flüchtlinge, aber auch an Sozialwohnungen für Geringverdiener. Architekten tüfteln an variablen Lösungen.« Da schöpft man doch wieder Zutrauen. Schauen wir einmal genauer hin. Zuerst ein Vorhaben in Berlin, das sogleich auf Kritik gestoßen ist:
»Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt plant 15.000 öffentlich geförderte Wohneinheiten in „modularer Bauweise“. Dabei soll es sich in erster Linie um Unterkünfte für rund 30.000 Flüchtlinge handeln, die man in normale Familienwohnungen umgestalten könne, erklärt Martin Pallgen, Sprecher der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt in Berlin.
In Gruppenunterkünften wohnen die Flüchtlinge während des Asylverfahrens zu zweit im Doppelzimmer und teilen sich mit anderen Küche und Bad. Der Bau der Wohneinheiten soll etwa 1.000 Euro pro Quadratmeter kosten, sich aber auch nach den Angeboten richten. Die öffentliche Ausschreibung wendet sich an Systembauer, die Bauten mit Stahlskeletten und Holzwänden anbieten, sowie an Unternehmen, die mit Betonelementen arbeiten.«
Die Kritik: Einige befürchten, dass mit den geplanten neuen „Leichtbau-Wohnungen“ die „Armenghettos“ von morgen entstehen könnten. Doch Entwickler von Modulbauten wollen sich vom Image des Billigplatten- oder Containerbaus absetzen, berichtet Dribbusch in ihrem Artikel und bezieht sich dabei auf die Aktivitäten der Architekten der Kieler Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen (Arge), »eine Art Ikea für den sozialen Wohnungsbau in Schleswig-Holstein«, wie Dribbusch die Arge charakterisiert:
»Das „Kieler Modell“ sieht Häuser vor, in denen 24 Flüchtlinge auf einer Etage zu zweit in zwölf Quadratmeter großen Zimmern wohnen, mit Gemeinschaftsküchen und -bädern. Die Ausstattung ist einfach, die Räume sind niedrig, Balkons und Aufzüge gibt es nicht. Die Baukosten liegen bei 1.300 Euro pro Quadratmeter.
Der Clou des Modells: Die Wände können in kurzer Zeit so umgebaut werden, dass auf der Etage dann Wohnungen für Singles oder drei- und vierköpfige Familien entstehen, die dem Standard des sozialen Wohnungsbaus entsprechen. Dabei hat jeder Bewohner einen Raum, für Alleinstehende gilt eine Wohnfläche von 45 Quadratmetern, für weitere Mieter kommen 12 Quadratmeter pro Person hinzu.«
Der konzeptionelle Kern dieses Ansatzes ist also die Variabilität der Modulausweise, die dazu beitragen kann, mögliche Verteilungskonflikte zwischen den einzelnen Gruppen aufzuheben oder zumindest zu relativieren.
Auch das Bundesbauministerium ist schon aktiv geworden, was die oftmals beklagten Bauvorschriften angeht:
»Mit der Novelle des Asylrechts sind die Standards für die Nutzung erneuerbarer Energien für Gemeinschaftsunterkünfte teilweise ausgesetzt, das Bauplanungsrecht für diese Unterkünfte wurde gelockert. Zudem hat das Ministerium die Mittel für den sozialen Wohnungsbau in den Ländern um 500 Millionen Euro auf rund 1 Milliarde Euro im Jahr erhöht.«
Wie so oft im Leben möchte man mehr. Konkret: Die Bundesbauministerin Barbara Hendricks (SPD) würde auch gerne an der steuerlichen Förderungsschraube drehen. Ihr Ministerium plädiert für eine „befristete und regionalisierte degressive Abschreibung“ auf den Wohnungsneubau, auch eine erhöhte Abschreibung von „neu errichteten Wohnungen mit Sozialbindung“ wäre „denkbar“. Da sei Schäuble vor, denn das würde bedeuten, dass es gerade am Anfang einer solchen Förderung erhebliche Steuerausfälle geben könnte und wird.
Man sehe neue „steuerliche Anreizinstrumente für den Wohnungsbau sehr kritisch“, so das Bundesfinanzministerium, das primär der Logik der „schwarzen Null“ zu folgen versucht. Denn das Finanzministerium »befürchtet hohe Steuerausfälle, wenn neue Erleichterungen kommen.«
Wir werden abwarten müssen, ob es im Interesse der Betroffenen wirklich noch zu substanziellen Verbesserungen kommen wird.