So viele sind gekommen. Was wir über die Flüchtlinge (nicht) wissen. Eine Bestandsaufnahme der Forschungsbefunde


Nichts genaues weiß man nicht. Das fängt schon bei den großen Zahlen an. Wie viele sind denn nun in den vergangenen Monaten zu uns gekommen? Mit rund 442.000 Erstanträgen wurden so viele Asylerstanträge in Deutschland gestellt wie noch nie. Aber das ist nur die Zahl der gestellten Asylanträge. Und mittlerweile ist hinlänglich bekannt, dass es gar nicht so einfach ist, wenn man da ist, auch einen Asylantrag zu stellen. Da können schon mal einige Monate ins Land gehen. Mehrere Hunderttausend Asylsuchende, die 2015 nach Deutschland kamen, hatten aufgrund der chaotischen Zustände beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge keine Möglichkeit, einen Asylantrag zu stellen. Eine andere Annäherung an die Realität besteht deshalb aus der Zahl 1,1 Millionen Menschen. Die stammt aus dem EASY-System, in dem Asylsuchende in Deutschland zunächst registriert werden. Aber auch die ist mit Vorsicht zu genießen. Unter den etwa 1,1 Mio Registrierten gibt es eine hohe unbekannte Zahl an Doppel- und Fehlregistrierungen. Zudem muss es ein erhebliches Maß an Weiterwanderung berücksichtigt werden, beispielsweise nach Skandinavien, so dass Deutschland hier nur ein Transitland war. Mit Blick auf das vergangene Jahr berichtet beispielsweise Pro Asyl: »Zwischen September und November wurden laut Eurostat in Schweden rund 100.000 neue Asylanträge verzeichnet, was einen erheblichen Anstieg im Vergleich zu den Vormonaten bedeutet. In Finnland wurden über 23.000 neue Asylanträge gezählt, in Norwegen knapp 22.000 … Es muss davon ausgegangen werden, dass ein großer Teil dieser Asylsuchenden bereits in Deutschland registriert wurde.«

Wenn aber schon bei der reinen Zahl an Menschen, die nun definitiv zu uns gekommen sind, solche Unsicherheiten festzustellen sind – wie soll das dann erst aussehen bei Fragen nach dem, was die Menschen beispielsweise an Qualifikationen (nicht) mitbringen? Wie ihre Schul- und Berufsbildung aussieht, wie es mit ihren Sprachkenntnissen bestellt ist? Alles wichtige Fragen, wenn es um weiterführende Integrationsaspekte geht.

Was weiß man also über die Flüchtlinge? Nicht richtig viel, haben die Robert Bosch-Stiftung und der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration festgestellt. Beide haben den Forschungsstand gesichtet. Herausgekommen ist diese Expertise:

Susanne Johansson, unter Mitarbeit von David Schiefer und Nora Andres: Was wir über Flüchtlinge (nicht) wissen. Der wissenschaftliche Erkenntnisstand zur Lebenssituation von Flüchtlingen in Deutschland. Eine Expertise im Auftrag der Robert Bosch Stiftung und des SVR-Forschungsbereichs, Berlin, Januar 2016

Andrea Dernbach berichtet in ihrem Artikel Was wir über Flüchtlinge nicht wissen über einige Ergebnisse der Expertise:

»Bekannt ist bereits einiges über die Lage von Flüchtlingen auf dem Arbeitsmarkt, meist Deprimierendes: Nur 3,5 Prozent der Asylsuchenden, Geduldeten und anerkannten Asylbewerber im erwerbsfähigen Alter zwischen 18 und 65 Jahren arbeiten und dies meist zu Niedriglöhnen. In Berufen, die eine Ausbildung voraussetzen, haben sie Anteile von unter einem halben Prozentpunkt … Eine noch sehr junge Studie des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung fand 2015 allerdings herausgefunden, dass der zunächst magere Beschäftigungsanteil fünf Jahre nach der Ankunft in Deutschland auf 50 Prozent steigt und später weiter klettert. So wichtig angesichts dieser Lage rasches Deutschlernen wäre: Ein „Sprachbad“ in deutscher Umgebung findet kaum statt, nicht zuletzt, weil Flüchtlinge lange Zeit in Aufnahmeeinrichtungen verbringen müssen. Die Regeln dazu wurden erst kürzlich verschärft. Alle vorhandenen Studien – teils schon ein paar Jahre alt – zeigten, dass soziale Kontakte und Freundschaften so vor allem unter Landsleuten stattfinden.«

Das hört sich vorsichtig formuliert nicht sehr beruhigend an. Werfen wir also einen Blick in die Zusammenfassung der Expertise (vg. dazu Johansson et al. 2016: 4 ff.):

»Vorliegende empirische Ergebnisse zur Arbeitsmarktintegration deuten auf eine insgesamt niedrige Erwerbstätigenquote und Beschäftigung vorwiegend im niedrig entlohnten und unqualifizierten Bereich hin. Qualitative Studien geben Hinweise auf einen Qualifikationsverlust und Brüche in der Bildungs- und Erwerbsbiografie. Hindernisse für die Arbeitsmarktintegration sind u. a. der oftmals prekäre Aufenthaltsstatus, niedrige Anerkennungsquoten von im Herkunftsland erworbenen Abschlüssen, lange Erwerbslosigkeit sowie geringe Sprachkenntnisse. Hinzu kommen Aspekte wie Diskriminierung bei der Stellenvergabe, Unterbringung in strukturschwachen Regionen sowie wenig Erfahrung mit dem deutschen Bildungssystem und Arbeitsmarkt.«

»Der Schulzugang von Flüchtlingen ist bundeslandspezifisch geregelt. Wartezeiten von Aufnahme bis Schuleintritt, die Art der Beschulung (Regel- vs. Übergangsklassen) sowie Regelungen der räumlichen Mobilität und der Finanzierung von Schulmaterialien fallen daher unterschiedlich aus … Programme zur Unterstützung dieser Personengruppe bei der Integration in den Arbeits- und Ausbildungsmarkt können die bestehenden Hürden nur bedingt überwinden helfen. Ein Problem solcher Programme ist zudem die zeitlich begrenzte Finanzierung, die die Schaffung einer effizienten dauerhaften Unterstützungsstruktur erschwert. Aus dem bislang äußerst begrenzten Zugang zu Integrationskursen für Asylsuchende und Geduldete resultieren mittel- und langfristig große Herausforderungen in allen Bereichen struktureller, kultureller und sozialer Integration. Nicht untersucht ist bisher die Wirkung der seit November 2014 verabschiedeten arbeitsmarktrechtlichen Erleichterungen (z. B. Verkürzung der Residenzpflicht, Lockerung der Vorrangprüfung, verbessertes Bleiberecht für Geduldete).«

»Eine empirisch belastbare Aussage zur Qualifikationsstruktur von Flüchtlingen ist derzeit nicht möglich. Die vorliegenden Studien deuten lediglich auf ein breites Spektrum zwischen Gering- und Hochqualifizierten hin. Vorhandene Qualifikationen scheinen nur schwer in Deutschland genutzt werden zu können. Untersuchungen zu nichtformalen Kompetenzen machen vor allem (fremd-)sprachliche Fähigkeiten deutlich; dieses Potenzial bleibt weitgehend ungenutzt.«

»Studien zur Versorgung von Asylbewerbern und geduldeten Flüchtlingen (nach dem Asylbewerberleistungsgesetz) deuten auf Armutsrisiken, Segregationserscheinungen, Probleme der Gesundheit sowie des Verlusts von Handlungskompetenz und nicht zuletzt auch auf Gefahren für die allgemeine Entwicklung von Kindern und Jugendlichen hin. Ob die Anhebung der Sozialleistungen nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 2012 Verbesserungen gebracht hat, ist wissenschaftlich nicht untersucht. In Bezug auf die Gesundheitsversorgung zeigen sich neben den rechtlich stark eingeschränkten Leistungsansprüchen auch Zugangsprobleme aufgrund von Ängsten, Unkenntnis, Kommunikationsschwierigkeiten und mangelnder interkultureller Sensibilisierung aufseiten der Flüchtlinge und der Behörden und Ärzte. Die wenigen verfügbaren Studien legen nahe, dass die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften psychisch und körperlich belastend sein, segregierend wirken und Kontakte zwischen Flüchtlingen und Einheimischen erschweren bzw. verhindern kann.«

»Einer der am wenigsten untersuchten Bereiche der Lebenslage von Flüchtlingen in Deutschland ist die soziokulturelle Integration. Gemeint sind damit Kontakte und persönliche Beziehungen zu Angehörigen der aufnehmenden Gesellschaft sowie die Teilhabe am gesellschaftlich-kulturellen Leben. Die wenigen disparaten Befunde verdeutlichen, dass soziale Beziehungen zur Aufnahmebevölkerung neben der individuellen Eigeninitiative entscheidend von Gelegenheitsstrukturen abhängen. Je segregierter die Orte sind, an denen sich Flüchtlinge aufhalten (z. B. Flüchtlingsunterkünfte, Vorbereitungs- oder Migrationsklassen) und je weniger sie am Arbeitsmarkt und an anderen relevanten Gesellschaftsbereichen teilhaben, umso weniger sind sie sozial eingebunden.«

»Die wenigen und zudem regional nicht repräsentativen Erkenntnisse in Bezug auf die körperliche und seelische Gesundheit von Flüchtlingen deuten auf eine vor allem mit Blick auf die vergleichsweise jüngere Flüchtlingspopulation auffällig hohe Krankheitslast hin.«

Vor diesem Hintergrund überrascht das folgende Fazit nicht wirklich:

»Die Flüchtlingsforschung in Deutschland ist noch viel zu lückenhaft und zu wenig systematisch … Es mangelt vor allem an belastbaren quantitativen Erhebungen, die Vergleiche zwischen Flüchtlingsgruppen sowie mit anderen Zuwanderergruppen und der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund ermöglichen. Wünschenswert wäre eine gesonderte Erfassung von Flüchtlingen in der allgemeinen Sozialberichterstattung in Deutschland.«

Wenn das so ist, dann wird sich die Flüchtlingsforschung in den kommenden Monaten als echte „Boom-Branche“ entwickeln können. Das korrespondiert dann mit solchen Meldungen: Sozialpädagogen: Spitzenposition im Ranking der gefragtesten Akademiker 2015.  Die Wochenzeitung DIE ZEIT berichtet in ihrer neuen Ausgabe:

»Die gefragtesten Akademiker auf dem deutschen Arbeitsmarkt sind 2015 die Absolventen von Fächern wie Sozialpädagogik oder Soziale Arbeit. Sie werden für die Versorgung und Betreuung von Flüchtlingen gebraucht. Parallel zur Entwicklung der Flüchtlingszahlen sind die Engpässe bei sozialen Berufen von Januar bis Dezember 2015 kontinuierlich gestiegen. Das ist das Ergebnis einer Untersuchung des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft … „Die klassische Ordnung der Engpassberufe wurde 2015 auf den Kopf gestellt“, so Oliver Koppel, Arbeitsmarktforscher beim Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. „Durch die Zuwanderung der Flüchtlinge sind bei den sozialen Expertenberufen viele neue Stellen entstanden.“«

Zumindest für viele Absolventen eines Studiums der Sozialen Arbeit ist das eine erfreuliche Botschaft. Und von solchen gibt es in diesen Tagen ja nicht so viele.

Ein betriebliches Integrationsjahr für Flüchtlinge und Langzeitarbeitslose. Endlich ein großer Wurf?

Endlich mal nicht einer dieser kleinteiligen Vorstöße in der Debatte über die Frage, wie man die Arbeitsmarktintegration der Flüchtlinge hinbekommen kann – und dann auch noch ohne Ausblenden der anderen, die schon hier sind und ebenfalls erhebliche Probleme haben, (wieder) auf dem Arbeitsmarkt landen zu können, also den Langzeitarbeitslosen. Und gleichsam als Sahnehäubchen oben drauf auch noch die Perspektive, dass der Ansatz – kommt er doch von einer Gewerkschaft – selbstverständlich nicht die eigenen Tarife unterlaufen soll.

Darum geht es: »Die IG Metall schlägt ein betriebliches Integrationsjahr für anerkannte Flüchtlinge und für Langzeitarbeitslose vor, um durch Arbeit ein selbständiges Leben zu ermöglichen.« so die Ankündigung in einer Pressemitteilung, die überschrieben ist mit IG Metall fordert betriebliches Integrationsjahr für Flüchtlinge und Langzeitarbeitslose. Und weiter erfahren wir: »Das von der IG Metall geforderte Integrationsjahr soll neben einem Arbeitsplatz auch Integrations- und Sprachkurse für die Flüchtlinge umfassen. Qualifizierung und Arbeit sollen betriebsnah kombiniert werden. Finanziell gefördert würde das Integrationsjahr von der Bundesagentur für Arbeit. Dafür sollen bereits vorhandene Programme genutzt werden.«

Auf den ersten Blick kommt der Ansatz wie die lange gesuchte eierlegende Wollmilchsau daher, denn hier werden bekannte, für eine gelingende Arbeitsmarktintegration erfolgsträchtige Elemente vereint: Eine Förderung für die Arbeitgeber im Sinne einer Lohnkostenbezuschussung, um bestimmte Defizite des zu integrierenden Arbeitnehmers auszugleichen, eine Platzierung in der realen betrieblichen Welt über ein echtes Arbeitsverhältnis, die Verbindung von echter Arbeit und Qualifizierung, bei den Flüchtlingen besonders relevant die Sprachförderung und das alles unter dem konzeptionellen Dach des Gedankens, dass wenn die Betroffenen erst einmal schon den einen Fuß in der betrieblichen Tür haben, einige von ihnen auch den zweiten reinbekommen, wenn man mit ihnen positive Erfahrungen gesammelt und die positiven Potenziale zur Kenntnis genommen hat.

Und besonders wichtig vor dem Hintergrund der aktuell ich immer stärker Konfrontation aufladenden Debatte über eine angebliche Bevorzugung der Flüchtlinge der eben nicht nur lapidare Hinweis der Gewerkschaft: »Die von der IG Metall vorgeschlagenen Maßnahmen sollen nicht nur Flüchtlingen, sondern auch allen anderen am Arbeitsmarkt Benachteiligten offen stehen.«

Wie kann man sich das genauer vorstellen? Die Umsetzung solle auf Basis der tariflichen Entgelte erfolgen und der Arbeitgeber wird durch das heute schon vorhandene Instrument des Eingliederungszuschusses für seine Integrationsleistung entlastet, so die IG Metall. Es wären auch Teilzeitmodelle denkbar, die zusätzliche sprachliche Qualifikationen für Flüchtlinge, durchaus teilweise außerhalb der Arbeitszeit, ermöglichen. Denkbar sei eine Vier-Tage-Woche mit reduziertem Entgeltanspruch: vier Tage bezahlte Arbeit und ein Tag Sprachkurs. Und wenn das Integrationsjahr die Tür für eine Anschlussbeschäftigung eröffnet, dann könne die berufliche Qualifizierung beispielsweise durch den in der Metall- und Elektroindustrie bestehenden Tarifvertrag Bildungsteilzeit oder das Wegebauprogramm der BA fortgesetzt werden.

Aber die großen Zahlen, werden die einen oder anderen Kritiker einwerfen. Das mag vielleicht für einige wenige klappen – aber für so viele, die gekommen sind? Zusätzlich zu den vielen Langzeitarbeitslosen, die bekanntlich schon seit langem da sind und die ja auch profitieren sollen von dem neuen Ansatz.

Die IG Metall negiert die großen Zahlen keineswegs, sondern greift diese auf (allerdings in der Pressemitteilung leider dann doch wieder „nur“ reduziert auf die Flüchtlinge, die es in den Arbeitsmarkt zu integrieren gilt: »Nach aktueller Auskunft der Bundesagentur für Arbeit werden dem Arbeitsmarkt durch die Geflüchteten rund 380.000 Menschen zusätzlich zur Verfügung stehen können. Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr wurden rund 700.000 neue, zusätzliche  sozialversicherungspflichtige Stellen in Deutschland aufgebaut und 2,1 Millionen offene Stellen bei der Arbeitsagentur gemeldet.«
Also eigentlich kein Problem?

Über die allgemein gehaltenen Informationen aus der zitierten Pressemitteilung hinaus hat es weitere konkretisierende Informationen gegeben, die man der Presseberichterstattung entnehmen kann, beispielsweise IG Metall will Flüchtlinge mit kräftigen Lohnzuschüssen integrieren oder der von Stefan von Borstel unter diese Überschrift gesetzte Artikel: IG Metall fordert Integrationsjahr für Flüchtlinge.

Auch hier wieder erst einmal die großen Zahlen mit der relativierenden Botschaft dessen, was da auf uns zukommt, wenn man es aus der Vogelperspektive betrachtet. Borstel zitiert dazu Jörg Hofmann, den Vorsitzenden der IG Metall:

»Deutschland habe 420.000 Betriebe mit mehr als zehn Beschäftigten, rechnete Hofmann vor. Wenn jeder dieser Betriebe nur einen zusätzlichen Integrationsplatz zur Verfügung stellen würde, wäre die Arbeitsmarktintegration der Hartz-IV-Bezieher keine Frage fehlender Arbeitsplätze. Das größte Potenzial gebe es im deutschen Handwerk mit seinen 584.000 Betrieben.«

Bleibt die Frage nach dem Instrumentarium für die Förderung, da wurde seitens der IG Metall darauf hingewiesen, dass man kein neues Programm schaffen wolle, sondern ein vorhandenes Instrument nutzen möchte, das es schon seit langem gibt – den Lohnkostenzuschuss.  Der Arbeitsplatz soll mit einem Einstellungszuschuss von bis zu 50 Prozent gefördert werden. Diese Zuschüsse gibt es heute schon.

Ganz offensichtlich ist der „Eingliederungszuschuss“ nach § 88 SGB III gemeint: »Arbeitgeber können zur Eingliederung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, deren Vermittlung wegen in ihrer Person liegender Gründe erschwert ist, einen Zuschuss zum Arbeitsentgelt zum Ausgleich einer Minderleistung erhalten (Eingliederungszuschuss).« Im § 89 SGB III finden wir Hinweise auf die mögliche Höhe und Dauer dieser Förderung: »Der Eingliederungszuschuss kann bis zu 50 Prozent des zu berücksichtigenden Arbeitsentgelts und die Förderdauer bis zu zwölf Monate betragen. Bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die das 50. Lebensjahr vollendet haben, kann die Förderdauer bis zu 36 Monate betragen.« Nur der Vollständigkeit halber: Im § 90 SGB III ist als Sonderform noch der „Eingliederungszuschuss für behinderte und schwerbehinderte Menschen“ geregelt, bis zu 70% Lohnkostenzuschuss für 24 Monate, wobei die Laufzeit in besonders schweren Fällen und bei einem Alter ab 55 auf bis zu 96 Monate ausgedehnt werden kann.

Wie sieht die bisherige Nutzung dieses Instruments aus? Wenn man einen Blick in die Eingliederungsbilanzen der BA wirft, dann erfährt man beispielsweise für das Jahr 2014, dass es 77.032 Zugänge in eine Förderung über den Eingliederungszuschuss gegeben hat, davon 48.783 bei den besonders förderungsbedürftigen Personengruppen. Hinsichtlich der finanziellen Dimension: 2014 wurden insgesamt 5,56 Mrd. Euro für aktive Arbeitsmarktpolitik ausgegeben (davon 2,7 Mrd. Euro im SGB III und 2,86 Mrd. Euro im SGB II). Auf den Eingliederungszuschuss entfielen davon 433 Mio. Euro, also (nur) fast 8%. Eine Vorstellung von den der Förderung zugrundeliegenden berücksichtigungsfähigen Löhnen vermittelt die durchschnittlichen Förderaufwendungen für dieses Instrument in Höhe von 666 Euro pro Monat.

Auf der einen Seite eine Bestätigung des grundsätzlichen Ansatzpunktes des IG Metall-Vorschlags wie aber auch zugleich Anlass für ein großes Fragezeichen kann man den Daten zum Erfolg des Instruments entnehmen. Beim Eingliederungszuschuss für die besondere Gruppe der Langzeitarbeitslosen wird eine Eingliederungsquote von 72,8% ausgewiesen (76,3% für alle Geförderten) – ein sehr hoher Wert. Der wiederum angesichts der Besonderheiten auch nicht überrascht, denn die Förderung gibt es nur, wenn ein Arbeitsverhältnis besteht (und wir wissen schon seit langem – auch nicht wirklich überraschend: Je betriebsnäher die Förderung, um so höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Geförderten „hängen bleiben“ im Unternehmen, vor allem wenn man in Rechnung stellt, dass wir es in der Praxis mit einer „positiven Selektion“ dergestalt zu tun haben, dass man nicht gerade die Arbeitslosen, die mit mehreren Vermittlungshemmnissen belastet sind, sondern eher die „guten Risiken“ mit dieser Förderung versorgt).

Mit Blick auf das, was es bisher in diesem Bereich gibt, müssen wir also zum einen festhalten, dass es rein quantitativ gesehen um ein sehr überschaubares Fördervolumen geht – wir also mithin über eine gewaltige Aufstockung der Förderung sprechen, wenn der Vorschlag der IG Metall Wirklichkeit werden soll. Denn dann geht es nicht mehr wie 2014 um 77.000 Förderfälle mit dem Eingliederungszuschuss, sondern um mehrere Hunderttausend, vor allem, wenn nicht nur die Flüchtlinge, sondern grundsätzlich völlig richtig, auch die Langzeitarbeitslosen berücksichtigt werden sollen. Da beißt die Maus keinen Faden ab – wenn man diesen Weg gehen möchte, dann müssen wir die Mittel dafür erheblich aufstocken. Zur Finanzierung findet man in den vorliegenden Berichten keine wirklich verwertbaren Hinweise, außer Allgemeinplätze. So in dem Artikel von Borstel: »Zu den Kosten des Modells machte der IG-Metall-Chef keine Angaben. Es sei aber günstiger, als den Betroffenen Hartz-IV zu zahlen.«

Jeder wünscht sich endlich einen großen Wurf, aber angesichts der bisherigen Erfahrungen wie auch der Besonderheiten „des“ Arbeitsmarktes (den es als solchen gar nicht gibt), bleibt eine gehörige Portion Skepsis. Dies kann man auch an einem parallel vorgelegten konkreten Programm verdeutlichen: Aus Flüchtlingen werden Auszubildende, vermeldet das Bundesbildungsministerium.

»Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), die Bundesagentur für Arbeit (BA) und der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) haben dazu eine gemeinsame Qualifizierungsinitiative für junge Flüchtlinge gestartet. Ihr Ziel: Durch ein umfassendes Qualifizierungs- und Betreuungssystem sowie eine intensive fachliche Berufsorientierung und Berufsvorbereitung sollen Asylberechtigte und anerkannte Flüchtlinge sowie Asylbewerber oder Geduldete mit Arbeitsmarktzugang an eine Ausbildung im Handwerk herangeführt werden.«

Angesichts der Tatsache, dass etwa die Hälfte der Flüchtlinge, die in den vergangenen Monaten zu uns gekommen sind, unter 25 Jahre alt sind, überzeugt dieser Ansatzpunkt erst einmal. Es geht also auch hier um eine Personengruppe im Umfang von mehreren hunderttausend Personen. Vor diesem Hintergrund werfen wir dann aber mal ein Blick auf die angestrebten (das heißt bekanntlich noch lange nicht: realisierten) Zahlen, die man mit dem neuen Programm erreichen will:

»Das Programm wendet sich an Asylberechtigte und anerkannte Flüchtlinge sowie an Asylbewerber oder Geduldete mit Arbeitsmarktzugang. Voraussetzung für die Teilnahme an dem Programm ist, dass die jungen Flüchtlinge nicht mehr schulpflichtig und unter 25 Jahre sind, über gute Kenntnisse der deutschen Sprache verfügen und sich im deutschen Ausbildungs- und Beschäftigungsmarkt orientieren können. Sie sollten deshalb einen Integrationskurs des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge sowie das Programm „Perspektiven für junge Flüchtlinge“ der Bundesagentur für Arbeit durchlaufen haben, das auf eine Feststellung ihrer Kompetenzen und eine allgemeine Berufsorientierung ausgerichtet ist.
In der anschließenden „Berufsorientierung für Flüchtlinge“ bereitet das BMBF die jungen Flüchtlinge auf eine Ausbildung im Handwerk vor und setzt dabei auf eine vertiefte fachliche und praktische Berufsorientierung in den Bildungszentren des Handwerks … Das Handwerk unterstützt den Praxisbezug durch betriebliche Praktika für die Teilnehmer der speziellen Berufsorientierung und stellt die Infrastruktur der Bildungsstätten zur Verfügung.«

Soweit die Beschreibung des geplanten Programms. Und wie viele sollen daran partizipieren?

»Das Programm ist zunächst auf 24 Monate angelegt. Ziel ist die Integration von bis zu 10.000 Flüchtlingen in eine Handwerks-Ausbildung.«

„Bis zu 10.000“? Das haut einen jetzt nicht wirklich vom Hocker. Vielleicht kommt diese Bescheidenheit daher, dass wir es mit einer dieser klassischen „Litfaßsäulen“-Modellprogramme zu tun haben (mit denen wir gerade in der Arbeitsmarktpolitik immer wieder konfrontiert und vertröstet werden), nach dem Motto: Wir tun doch was. Oder aber dahinter steckt die Erkenntnis, dass die Arbeitsmarkt- und Ausbildungsintegration eine überaus sperrige Angelegenheit darstellt, die es aufgrund der ihr innewohnenden Komplexität und zugleich Individualität des konkreten Handelns aufgrund des damit verbundenen Aufwands unmöglich macht, das Rad an der ganz großen Zahl zu drehen.

Mehr Wohnungslose und der Sog in die Stadt. Das Beispiel Stuttgart. Und in Berlin „lohnen“ sich wohnungslose Männer nicht mehr

Die Zahl der wohnungslosen Menschen wächst. Wie sich die Lage verschärft hat, zeigen die jüngsten Zahlen des Stuttgarter Sozialamts, über die Mathias Bury in seinem Artikel Deutlich mehr Wohnungslose in Stuttgart. So hatte die städtische Wohnungsnotfallhilfe noch vor einem Jahr etwa 3.400 Plätze in unterschiedlichen Einrichtungen belegt. Ende 2015 waren es aber schon rund 3.700. Das ist eine Zunahme von knapp neun Prozent.

Dabei fällt auf, dass ein Großteil der hilfesuchenden Menschen in Stuttgart von außerhalb der Stadt, aus der Region kommen. Offensichtlich sind wir hier mit einem Sogeffekt konfrontiert: Die baden-württembergische Landeshauptstadt hält eine umfangreiches, differenziertes Hilfsangebot vor, während in vielen Städten und Landkreisen um Stuttgart herum die Angebote für Betroffene und die Anstrengungen zur Vermeidung von Wohnungslosigkeit offenbar unzureichend ausgeprägt sind.

Die Stadt muss einiges stemmen. Hier ein paar Zahlen:

»Exakt 1.904 Personen „mit besonderen sozialen Schwierigkeiten“ … leben in Unterkünften mit sozialpädagogischer Betreuung. Genau 666 Menschen, die unfreiwillig obdachlos geworden waren und ordnungsrechtlich untergebracht wurden, fanden in Hotels oder Sozialpensionen eine Bleibe. Dabei handelt es sich zumeist um Einzelpersonen, für die man schnell eine Lösung finden musste. Und 1.135 Personen, vor allem Familien, aber auch ältere Menschen und psychisch Kranke, waren in städtischen Fürsorgeunterkünften einquartiert.«

Das Sozialamt weist darauf hin, dass 49 Prozent der betroffenen Menschen ihre Wohnung vorher nicht in Stuttgart hatten. In den Landkreisen heißt es für gewöhnlich: es ziehe diese Menschen eben in die Großstadt. Von Seiten der Sozialplaner aus Stuttgart wird hingegen auf das spezielle differenzierte Hilfsangebot der Landeshauptstadt hingewiesen, insbesondere für Menschen mit besonderen Schwierigkeiten sowie mit Angeboten speziell für Frauen und für Jugendliche, das andernorts nicht vorhanden sei.

Mit den offensichtlichen Unterschieden zwischen Stadt und Land sowie den differierenden Hilfeangebote hat sich auch eine Studie für Baden-Württemberg befasst, in der die Wahrnehmung eines „Sog-Effekts“ auf Stuttgarter Seite bestätigt wird:

Gesellschaft für innovative Sozialforschung und Sozialplanung: Wohnungslosigkeit in Baden-Württemberg. Untersuchung zu Umfang, Struktur und Hilfen für Menschen in Wohnungsnotlagen im Auftrag des Ministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren Baden-Württemberg, Köln/Stuttgart 2015

Ein interessanter Befund in dieser Studie ist auch der Hinweis, dass in den Großstädten des Landes im Vergleich eine weitaus bessere Prävention gegen Wohnungslosigkeit erfolgt.

Die großen Kommunen greifen etwa bei Mietrückständen oder bei Suchtproblemen von Bürgern systematisch, frühzeitig und wirkungsvoll ein und können diesen dadurch die Wohnung häufig erhalten. »So konnten rund drei Viertel der Fälle (76,2 Prozent) der Bedrohungslagen abgewendet werden. In den kleineren Städten lag dieser Wert nur bei 46,8 Prozent, bei den Landkreisen bei 46,6 Prozent«, berichtet Bury in seinem Artikel. In den kleineren Städten wurden in 28,6 Prozent der Problemfälle keine wohnraumsichernden Aktivitäten unternommen, bei den Kreisen war dies sogar bei 36,5 Prozent der Notfälle so.

Mathias Bury kommentiert das eine hier erkennbare Grundproblem unter der Überschrift „Dringend die kommunale Pflichtaufgabe erfüllen“: »Es ist ein nicht ganz neues Thema, dass die Großstädte in den Ballungsräumen Lasten für ihr Umland zu tragen haben, für die sie von den Mittelstädten und Landkreisen keinen Ausgleich bekommen. Das gilt für verschiedene Felder der Infrastruktur, so zum Beispiel für den Bildungsbereich, das Gesundheitswesen oder auch für die Kultur … Die Debatte, wie dieser Konflikt zu lösen wäre, wie ein gerechter Lastenausgleich aussehen könnte, ist schon in vielen Metropolregionen nicht nur in Deutschland geführt worden. Mit mäßigem Erfolg.« Hinsichtlich der hier relevanten Problematik der Versorgung wohnungsloser Menschen fährt er leicht resignativ fort:

»Die Mittelstädte und Landkreise seien daran erinnert, dass die Wohnungslosenhilfe seit der Verwaltungsreform des Landes im Jahr 2005 zu ihren Pflichtaufgaben zählt.
Einfach im Speckgürtel gemütlich abwarten mit der Einstellung, die Landeshauptstadt wird sich mit ihrer leistungsfähigen Verwaltung der Sache schon annehmen, widerspricht nicht nur dem häufig hochgehaltenen Regionalgedanken.«

In der erwähnten Studie zur Wohnungslosigkeit für das baden-württembergische Sozialministerium gibt es eine ganze Reihe an Empfehlungen seitens der Gutachter (S. 11 ff.), darunter auch die nach einem „landesweiten Fachkonzept“, an dem dann die unterschiedlichen Gebietskörperschaften gemessen werden können.

Und nun von Stuttgart nach Berlin, der Hauptstadt, die sich selbst gerne als „arm, aber sexy“ titulieren lässt. Schauen wir also (auch) auf das Geld.

»In Berlin gibt es seit Jahren ein Haus für Wohnungslose. Jetzt wurde ihnen gekündigt, denn Geflüchtete bringen mehr Geld ein. Doch die Betroffenen wehren sich«, so beginnt ein Bericht von Erik Peter unter der Überschrift Die Rebellen von Moabit.
Es geht um das Gästehaus Moabit, einem Heim für wohnungslose Männer in Berlin. »Mitte Dezember erreichten die 33 Bewohner schlimme Nachrichten. Ab März will der neue Betreiber, die Firma Gikon Hostels, mit der Weitervermietung Geld verdienen. Und weil das Land höhere Sätze pro Flüchtling auszahlt, sollen die Wohnungslosen raus.« Seit Jahrzehnten gibt es in der Berlichingenstraße diesen Zufluchtsort. Manche Bewohner leben selbst schon 20 Jahre hier.

Warum nun der Kurswechsel hin zu den Flüchtlingen. Am Gelde hängt’s, zum Gelde drängt’s:

»Während das Jobcenter für die Unterbringung von Wohnungslosen täglich 22,50 Euro zahlt, überweist die Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales in Berlin (Lageso) für Flüchtlinge bis zu 50 Euro am Tag. Und der Profit könnte noch gesteigert werden.« Wenn man in jedem Zimmer mehrere Personen unterbringt.

Was sagt Gikon Hostels, die bereits sieben Flüchtlingsunterkünfte betreiben, dazu?

»Das Haus sei über ein Immobilienportal ausgeschrieben gewesen für eine monatliche Kaltmiete von 16.000 Euro. Beim Treffen mit den Eigentümern setzten diese den Preis auf 22.500 Euro hoch. Gikon schlug zu. Mit Nebenkosten käme man angeblich auf etwa 35.000 Euro im Monat, die man natürlich erwirtschaften muss. Die Kosten ließen sich durch die Wohnungslosen nicht decken, für die man nur die 22,50 Euro pro Tag bekommt. Und warum war das in der Vergangenheit kein Problem? Die alten Betreiber hätten das deswegen gekonnt, weil sie weniger als die Hälfte der Miete an die Hausbesitzer überweisen mussten, so Gikon Hotels.

Deren Konzept ist simpel und rechnet sich: Viele Flüchtlinge in Berlin erhalten Gutscheine, die auch für die Unterbringung in Hostels gelten. Die staatlichen Unterbringungsmöglichkeiten sind begrenzt, private Geschäftemacher wittern das große Geschäft. Im konkreten Fall will Gikon Hostels in dem Gebäude 50 Menschen, also etwa zwei pro Zimmer. Höhere Beträge (für die Flüchtlinge) plus (mindestens?) Doppelbelegung – da haben die Wohnungslosen keine betriebswirtschaftliche Chance.
Ein Teil der Bewohner will sich auf alle Fälle wehren. Und nicht freiwillig ausziehen. Man wird abwarten müssen, wie dieser Kampf ausgeht.

Wirklich schlimm an diesem Beispiel (und es gibt zahlreiche andere, bei denen ganz neue Verteilungskonflikte zwischen denen Armen und Ärmsten aufbrechen bzw. produziert werden) ist die Instrumentalisierung seitens der flüchtlingsfeindlichen Kräfte, die gerade im Internet gegen die angebliche Bevorzugung der Flüchtlinge gegenüber „unseren Wohnungslosen“ hetzen, sich bislang aber nie auch nur in Spurenelementen erkennbar für Wohnungslose interessiert haben. Auf der anderen Seite – nur weil das denen ins propagandistische Konzept passt, muss und darf man die realen Verteilungskonflikte auch nicht verschweigen oder herunterspielen. Natürlich entsteht hier eine  schlimme Konkurrenzsituation, dies eben aber auch wegen der Art und Weise der (unterschiedlichen) Finanzierung. Das muss man aus sozialpolitischer Sicht ganz besonders kritisch im Blick behalten.

Foto: © Reinhold Fahlbusch

An sich gute Nachrichten aus der Schattenwirtschaft. Wenn da nicht die Flüchtlinge wären, von denen Gefahr droht. Aber ist das wirklich so?

Es ist schon eine Krux mit dieser Schattenwirtschaft. Im vergangenen Jahr sollte sie steigen – „natürlich“ wegen dem Mindestlohn. Das ist jetzt nicht wirklich passiert, „natürlich“ wegen der „guten Konjunktur“. Aber bloß nicht ausruhen und freuen, denn nun sind es – „natürlich“ – die Flüchtlinge, die den positiven Trend gefährden. Spiegel Online bilanziert forsch: Das sei so, „weil viele Flüchtlinge illegal beschäftigt werden“. Klingt für viele auf den ersten Blick auch nachvollziehbar, aber kann man das dem Material wirklich entnehmen?

Zum Hintergrund: Jedes Jahr veröffentlicht das Institut für angewandte Wirtschaftsforschung (IAW) mit Sitz in Tübingen in Zusammenarbeit mit dem an der Universität Linz lehrenden Schattenwirtschaftsexperten Professor Friedrich Schneider Modellberechnungen zum Umfang der „Schattenwirtschaft“. Darunter versteht man Schwarzarbeit, aber auch illegale Beschäftigung (beispielsweise illegale Arbeitnehmerüberlassung) sowie weitere illegale Tätigkeiten.

Anfang Februar 2015 veröffentlichten die Forscher ihre Modellberechnungen für 2015 unter der Überschrift Langfristiger Rückgang der Schattenwirtschaft kommt zum Stillstand.
Darin findet man den Hinweis, „steigende Sozialbeiträge und die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 € (verstärken) die Anreize, in der Schattenwirtschaft zu arbeiten.“ Allerdings wurden auch gegenläufige Effekte gesehen: „Die robuste Situation auf dem Arbeitsmarkt und das geringe, aber positive erwartete Wirtschaftswachstum üben einen dämpfenden Effekt auf das Ausmaß der Schattenwirtschaft aus.“

Zum Einfluß des damals gerade erst eingeführten Mindestlohns schrieben die Wissenschaftler differenzierter:

»Der am 1. Januar 2015 eingeführte Mindestlohn in Höhe von 8,50 € wird die Schattenwirtschaft nach den Modellrechnungen um 1,5 Mrd. € erhöhen. Ergänzende Berechnungen auf der Basis des Sozio-ökonomischen Panels zeigen, dass in Bereichen mit hohem Vorkommen von Schwarzarbeit (persönliche Dienstleistungen, Landwirtschaft, Gaststätten und Hotels und Teile der Bauwirtschaft) vor der Einführung des Mindestlohns vielfach Löhne unter 8,50 € gezahlt wurden. Dies galt für knapp 40 % der Beschäftigten. Die gesamte zur Einhaltung des Mindestlohns notwendige Lohnsteigerung in diesen Bereichen beträgt 7 Mrd. €, also ein Mehrfaches des prognostizierten Anstiegs der Schattenwirtschaft. Nach der Modellschätzung wird also nur ein relativ kleiner Teil der notwendigen Anpassungen durch ein Ausweichen in die Schattenwirtschaft umgangen.«

Gut, da war eben der gegenläufige Effekt durch die „gute Konjunktur“ stärker, so dass man davon nicht wirklich was merken konnte.

Und wie sieht es nun mit den Flüchtlingen aus? Was schreiben die Forscher in ihrem neuesten Bericht, der unter der Überschrift Gute Arbeitsmarktlage reduziert erneut die Schattenwirtschaft erschienen ist?

»Der Beschäftigungsanstieg auf dem offiziellen Arbeitsmarkt sowie das positive Wirtschaftswachstum werden im Jahr 2016 zu einem Rückgang der Schattenwirtschaft um ca. ein Prozent führen. Das Verhältnis von Schattenwirtschaft zu offizieller Wirtschaft reduziert sich dadurch auf 10,8. Andere Einflüsse machen sich kaum bemerkbar.«

Ja und die Flüchtlinge nun?

Spiegel Online klärt uns auf:

»Der Rückgang der Schwarzarbeit könnte den Studienautoren zufolge allerdings durch den Flüchtlingszuzug abgebremst werden. Sie rechnen verschiedene Modelle durch, denen zufolge zwischen 100.000 und 300.000 Flüchtlinge illegal beschäftigt sein werden, etwa als Putzkraft oder Hilfsarbeiter auf dem Bau. „Wegen der fehlenden Deutschkenntnisse vieler Schutzsuchender ist es wahrscheinlich, dass es zunächst Jobs im Niedriglohn-Sektor sein werden“, sagt Schneider.
Am plausibelsten sei wohl die Zahl 300.000. Das entspräche einer Wertschöpfung von 2,16 Milliarden Euro. „Die Flüchtlinge sind monatelang in ihren Unterkünften zum Nichtstun verdammt, also ist es doch naheliegend, dass sie irgendwann raus wollen und sich als Schwarzarbeiter verdingen“, sagt der Linzer VWL-Professor.«

In der schriftlichen Fassung von Schneider und IAW (2016) liest sich das – nun ja – irgendwie weniger aufregend:

„Flüchtlinge und Schattenwirtschaft: verlässliche Prognose nicht möglich“, schreiben sie auf Seite 2 des neuen Berichts. Warum das?

»Der Zustrom an arbeitsfähigen Personen erhöht das potenzielle Angebot an Arbeitskräften. Allerdings ist eine Modellabschätzung noch nicht möglich, zumal die Zusammensetzung des Flüchtlingsstroms noch nicht bekannt ist.«

Das Problem kennen andere Akteure, die sich mit der Flüchtlingsfrage beschäftigen, zur Genüge.

Was hat man also gemacht? Projektionen hat man gemacht:

»Um eine Vorstellung über mögliche Größenordnungen zu gewinnen, wurde eine Projektion der Schattenwirtschaft von Asylbewerbern und Flüchtlingen vorgenommen. Nach Angaben des IAB ist 2016 infolge der Zuwanderung mit einer Erhöhung des (legalen) Erwerbspersonenpotenzials um 380.000 Personen zu rechnen. Hinzu kommen diejenigen, deren Asylantrag noch bearbeitet wird oder die in Deutschland bleiben, obwohl ihr Asylantrag abgelehnt wurde. Nach einer Abschätzung ist insgesamt mit ca. 800.000 Personen im erwerbsfähigen Alter zu rechnen.
Nimmt man an, dass 25 % dieser Personen in der Schattenwirtschaft tätig werden, so ergibt sich unter weiteren Annahmen über Arbeitsumfang und Entlohnung eine zusätzliche Wertschöpfung von knapp 1,5 Mrd. Euro.«

Der aufmerksame Leser wird erkannt haben, dass Spiegel Online eine höhere Wertschöpfung aus einem der Szenarien zitiert, während die Autoren selbst mit 1,5 Mrd. Euro darunter bleiben. Und nein, wir fragen jetzt nicht, warum man annimmt, dass 25 Prozent eine Tätigkeit in der Schattenwirtschaft aufnehmen werden. Projektionen leben von den Annahmen, die man macht.

Aber auch wenn es 25 Prozent sein sollten, worüber man streiten kann – die Ergebnisse in der Veröffentlichung von Schneider und IAW klingen nun wirklich eher ernüchternd:

»Nimmt man an, dass 25 % dieser Personen in der Schattenwirtschaft tätig werden, so ergibt sich unter weiteren Annahmen über Arbeitsumfang und Entlohnung eine zusätzliche Wertschöpfung von knapp 1,5 Mrd. Euro … Dieses zusätzliche Volumen der Schattenwirtschaft ist aber geringer als die für 2016 prognostizierte Abnahme der gesamten Schattenwirtschaft. Dies gilt auch für alternativ aufgestellt Szenarien.«

Wie man daraus „Doch der Trend gerät in Gefahr – weil viele Flüchtlinge illegal beschäftigt werden“ machen kann, wie in dem zitierten Spiegel Online-Artikel, bleibt ein Geheimnis des Mediums. Vielleicht hat man sich da aber auch nur gedacht, diese forsche Interpretation passt in den Zeitgeist. Und hängen bleibt bekanntlich oftmals das, was ganz oben steht. Und das aus einigen Annahmen herausdestillierte Diktum „weil viele Flüchtlinge illegal beschäftigt werden“ steht direkt unter der Artikelüberschrift, es wird sich einprägen und passt sicher derzeit vielen ins Weltbild.

Die Flüchtlinge in der Bruttowelt der Kostenrechner und das – wie so oft vergessene – Netto

„Die“ Flüchtlinge „kosten“ 50 Milliarden Euro bis Ende des kommenden Jahres. Aber kosten sie das wirklich? Oder doch weniger oder mehr? Fragen über Fragen.

Immer diese unvollständigen Botschaften könnte einem in den Sinn kommen, wenn man solche Überschriften liest: Studie beziffert Kosten der Flüchtlingskrise auf 50 Milliarden Euro: »Verpflegung, Unterkunft, Integration: Der Staat könnte bis Ende kommenden Jahres knapp 50 Milliarden Euro für Flüchtlinge ausgeben müssen. Eine neue Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft bestätigt bisherige Schätzungen.« Wer sich das Original anschauen möchte, der wird beim arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft fündig: Tobias Hentze und Holger Schäfer: Flüchtlinge – Folgen für Arbeitsmarkt und Staatsfinanzen. IW-Kurzberichte 03/2016, Köln 2016.
Das Institut schreibt dazu: »Steuergelder in erheblichem Umfang sind erforderlich, um den Flüchtlingen Unterkunft und Verpflegung sowie eine Perspektive zur Integration bieten zu können. Das verschärft den Druck auf die öffentlichen Kassen.« Dort werden aber auch die Annahmen offen gelegt, die den nun veröffentlichten Schätzwerten zugrunde liegen.

Die Zahlen an sich sind nicht wirklich neu oder überraschend, die Prognose des Kölner Instituts liegt in einer ähnlichen Größenordnung wie eine Analyse des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) aus dem Dezember (vgl. dazu Institut für Weltwirtschaft (IfW): Simulation von Flüchtlingskosten bis 2022: Langfristig bis zu 55 Mrd. € jährlich, Kiel, 11.12.2015) sowie eine Schätzung der Wirtschaftsweisen (die in ihrem Jahresgutachten 2015/16, das im November 2015 veröffentlicht wurde, auf der Basis von Szenarien zu dem Ergebnis gekommen sind, »dass die Flüchtlingsmigration zu direkten jährlichen Bruttoausgaben für die öffentlichen Haushalte in Höhe von 5,9 bis 8,3 Mrd Euro im Jahr 2015 und 9,0 bis 14,3 Mrd Euro im Jahr 2016 führt. Angesichts der guten Lage der öffentlichen Haushalte sind diese Kosten tragbar. Längere Asylverfahren und eine schlechtere Arbeitsmarktintegration dürften die Kosten merklich erhöhen.« Damit gehören sie zu der sehr kleinen Gruppe derjenigen, die völlig zu Recht von „Bruttoausgaben“ sprechen). Die Kieler Ökonomen waren im Dezember auf der einen Seite noch zu deutlich höheren Werten gekommen, allerdings gab es bei ihnen auch eine erhebliche Bandbreite der geschätzten Kosten: Von 22 Mrd. Euro „im günstigsten“ bis hinauf zu 55 Mrd. Euro „im ungünstigsten Fall“.

Schauen wir uns die neuen Werte des IW einmal genauer an:

»Laut dem IW Köln werden im laufenden Jahr für Unterbringung und Verpflegung von rund 1,5 Millionen Asylbewerbern 17 Milliarden Euro anfallen. Hinzu kämen fünf Milliarden Euro für Sprach- und Integrationskurse. 2017 erhöhten sich die Unterbringungskosten auf 22,6 Milliarden Euro – unter der Annahme, dass die Zahl der Flüchtlinge auf 2,2 Millionen steigt. Zusammen mit den Integrationskosten fielen im Wahljahr 2017 also 27,6 Milliarden Euro an«, so der Artikel Studie beziffert Kosten der Flüchtlingskrise auf 50 Milliarden Euro.

Es geht hier jetzt gar nicht um die Tatsache, dass das erhebliche Mittel sind, die erst einmal aufgebracht werden müssen – und Gegner der Flüchtlingspolitik werden mit Freude das hier vorgetragene „Kostenvolumen“ zitieren, um darüber die Belastung „der“ einheimischen Bevölkerung zu belegen (das wird dann befördert durch solche Überschriften ohne eine aber notwendige Differenzierung: Flüchtlinge kosten Deutschland 50 Milliarden Euro). Es geht hier auch nicht um die Frage, wie die notwendige Mittelaufbringung seitens des Staates organisiert wird, obgleich das eine spannende und überaus wichtige Frage wäre, denn tatsächlich kann man die These vertreten, dass „die“ Bevölkerung durchaus sehr ungleich belastet werden wird, wenn ceteris paribus im gegebenen System besteuert wird. Nicht umsonst haben wir auch unabhängig von der Debatte über die Flüchtlinge eine Diskussion über alternative Ansätze der Besteuerung, um die Lastenverteilung zu korrigieren, beispielsweise durch eine veränderte Vermögens- und Erbschaftsbesteuerung oder auch eine höhere Belastung der oberen Einkommen angesichts der gegebenen und sich verstärkenden Ungleichheitsstrukturen.

Hier geht es um einen anderen Aspekt: Ökonomisch korrekt und eben nicht von nur nebensächlicher Bedeutung wäre der Hinweis, dass man hier die Bruttokosten zu bilanzieren versucht in Form einer Schätzung. Und wie jeder Arbeitnehmer weiß: brutto ist nicht gleich netto.

Ein Blick auf die einzelnen Posten, die zu den Kosten führen, lässt erkennen, worauf ich hinaus will: Wenn Gelder ausgegeben werden für die Unterbringung der Flüchtlinge, für die Sprachkurse usw., dann löst sich dieses Geld ja nicht in Luft aus, sondern es gibt eine Gegenseite, auf der es verbucht werden muss. Davon wird eingekauft, Personal bezahlt, daraus werden Steuer- und Sozialabgaben generiert, die wieder an den Staat zurückfließen. Genau, interessant wäre eine Auseinandersetzung, was die Bruttokosten in einer ersten, zweiten und möglichen weiteren Runden an positiven ökonomischen Effekten auslöst. Und man kann sicher sein: die Nettokosten sehen dann schon ganz anders aus. Dass man diesen Hinweis aber in der aktuellen Berichterstattung (noch) nirgendwo finden kann, ist eine nicht zu unterschätzende Achillesferse der ökonomischen Diskussion über „die“ Kosten, die mit den Flüchtlingen (wahrscheinlich) verbunden sind. Und die hohen Bruttokosten bleiben bei vielen hängen als eine negative Folge der Zuwanderung.

Damit kein Missverständnis entsteht: Kosten werden in einer erheblichen Größenordnung anfallen, die von der Allgemeinheit der Steuerzahler und der Beitragszahler in den Sozialversicherungen generiert werden müssen – und man sollte die Bevölkerung keinesfalls im Unklaren darüber lassen, dass sich diese Kosten nicht werden vermeiden lassen. Vor allem dann nicht, wenn unter „den“ Flüchtlingen eben auch viele, z.B. Kinder oder Mütter mit kleinen Kindern, sind, die auf absehbare Zeit nicht dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen werden und deren Versorgung folglich aus anderen Quellen erfolgen muss. Hinzu kommt unbestreitbar, dass viele an sich erwerbsfähige Zuwanderer aus den Hauptgruppen der Flüchtlinge über keine relevante oder nur sehr eingeschränkt hier bei uns verwertbare Qualifikation verfügen, was eine Arbeitsmarktintegration sehr schwierig erscheinen lässt. Aber auch, wenn man den „Qualifizierungsweg“ gehen würde, also möglichst viele gerade der jüngeren Flüchtlinge erst einmal nach einem aufwendigen Sprachkurs in eine deutsche Berufsausbildung platziert, werden diese Menschen auf Jahre auf staatliche Unterstützung angewiesen sein, die sie dann – wenn es mit der Ausbildung klappen sollte – in den späteren Jahren um ein Vielfaches werden abzahlen werden.

Aber bei allem berechtigten Blick auf die Kosten, die jetzt und in der vor uns liegenden Zeit anfallen (werden), sollten wir nicht vergessen, dass den Kosten immer auch Einnahmen an anderer Stelle gegenüberstehen und von dort aus ebenfalls weitere Wachstumsimpulse in die Volkswirtschaft hineingegeben werden. Diese Seite wird derzeit sträflich vernachlässigt bzw. vollständig ausgeblendet.

Wir werden erneut Zeugen einer volkswirtschaftlichen Entleerung der ökonomischen Diskussion, wenn man denn von der „alten VWL“ ausgeht, die sich über Kreislaufwirkungen, Multiplikatoreffekte usw. noch bewusst war.

Nachtrag (16.02.2016): Dieter Wermuth hat das Thema in seinem Beitrag Flüchtlinge zwingen den Staat zu einem Konjunkturprogramm aufgegriffen und macht folgende Rechnung auf: Auch er geht von den seitens des IW gemeldeten 50 Mrd. Euro bis Ende 2017 aus.

»Wenn ich zunächst davon ausgehe, dass es keine Flüchtlinge zu betreuen gibt, wird das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Jahr 2016 gegenüber 2015 überschlägig um 106 Milliarden Euro, im nächsten Jahr um 110 Milliarden Euro zunehmen. Ich nehme hier an, dass das nominale BIP sowohl 2016 als auch 2017 gegenüber dem Vorjahr jeweils um 3,5 Prozent zunimmt, also so rasch wie im Jahr 2015. Ich nehme weiterhin an, dass der Staat wie in der Vergangenheit etwa 44 Prozent des zusätzlichen BIP als Einnahmen verbuchen kann – ergibt ein Plus von rund 95 Milliarden Euro, einfach durch normales Wachstum.
Und jetzt die Flüchtlinge! Gegenüber seinen ursprünglichen Annahmen muss der Staat für sie auf einmal 50 Milliarden Euro mehr ausgeben. Dadurch nimmt das nominale BIP nicht um jeweils 3,5 Prozent, sondern schätzungsweise um zweimal 4,5 Prozent zu, was insgesamt einem Zusatz-Output von 92 Milliarden Euro entspricht und bei einer Abgabenquote von 44 Prozent zu staatlichen Zusatzeinnahmen von 40,5 Milliarden Euro führt.«

Wermuths Fazit: Auf Bund, Länder, Kommunen und Sozialversicherungen kommen netto jährliche Zusatzausgaben von etwa fünf Milliarden Euro zu.