Soll man oder soll man nicht? Und wenn ja, wie? Zur aktuellen Debatte über eine Wohnsitzauflage für Flüchtlinge. Nicht nur in Deutschland

Die neue Verlautbarung von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hinsichtlich einer „Sprachlernpflicht“ für Flüchtlinge wurde in diesem Blog bereits hinlänglich gewürdigt und angesichts der Realitäten auf der Angebotsseite wie auch vor dem Hintergrund der bereits bestehenden Rechtslage hinsichtlich seiner Sinnhaftigkeit mehr als bezweifelt (vgl. dazu den Beitrag Die Annäherung an die Wahrheit liegt zwischen (rhetorischer) schwarzer Pädagogik und (naiver) „Wird schon werden“-Philosophie. Die Forderung nach einer Sprachlernpflicht für Flüchtlinge und die Wirklichkeit der „Schweizer Käse“-Angebote vom 28.03.2016). Aber in dem, was der Minister spätestens im Mai als ein „Integrationsgesetz“ vorlegen will, geht es nicht nur um eine sanktionsbewährte Verpflichtung der Flüchtlinge, die deutsche Sprache zu lernen. Heribert Prantl drückt das in seinem Kommentar Ohne Elan, ohne Mut von oben aus betrachtet so aus: »Das geplante Integrationsgesetz des Innenministers Thomas de Maizière ist ein trauriges Gesetz. Es ist ein Gesetz ohne Elan, ohne Mut, ohne Tatkraft – und ohne auch nur einen Hauch von Vision … Statt an der Größe der Aufgabe orientiert sich der Innenminister offenbar an der Wehrdisziplinarordnung, in der es um Aufsicht, Buße, Verweis, Arrest und Vollstreckung geht. De Maizières Integrationsgesetz diszipliniert und sanktioniert.«

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Die Annäherung an die Wahrheit liegt zwischen (rhetorischer) schwarzer Pädagogik und (naiver) „Wird schon werden“-Philosophie. Die Forderung nach einer Sprachlernpflicht für Flüchtlinge und die Wirklichkeit der „Schweizer Käse“-Angebote

Der Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) wollte offensichtlich mal wieder in die Presse kommen und dabei viel Zustimmung einsammeln. Also muss eine simple Botschaft her, die bei „den Leuten“ auf fruchtbaren Boden fällt. Herausgekommen ist dann beispielsweise so eine Schlagzeile: De Maizière: Nur wer Deutsch lernt, darf auf Dauer bleiben. »Innenminister Thomas de Maizière will künftig schärfer gegen Flüchtlinge durchgreifen, die Integrationsangebote ausschlagen. Die bisher geltende Rechtslage müsse entsprechend geändert werden … Spätestens im Mai werde er ein Integrationsgesetz vorlegen.« Gut gebrüllt, könnte man an dieser Stelle ausrufen.

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Ein Verstaatlichungsversuch von Spenden an Wohlfahrtsorganisationen, die für den Staat einen Teil der Suppe ausgelöffelt haben. Der Blick geht nach Österreich

Immer wieder und gerne wird in Sonntagsreden von der „Zivilgesellschaft“ gesprochen, ohne die vieles an Aufgaben in unserer Gesellschaft gar nicht geleistet werden könnte. Was mit diesem irgendwie inhaltsleer daherkommenden Begriff der „Zivilgesellschaft“ dabei gerne verbunden und lobgepreist wird, ist das ehrenamtliche Engagement und die Spendenbereitschaft der Menschen. Es muss in diesen Zeiten nun wirklich nicht ausführlich beschrieben und begründet werden, dass ohne das schnelle und entschiedene Eingreifen der ehrenamtlichen Flüchtlingshelfer, zuweilen neben und vielerorts mit den professionellen Helfern aus den Reihen der Wohlfahrtspflege zusammen, im Herbst vergangenen Jahres die vielen Flüchtlinge auch nicht annähernd so hätten versorgt werden können, wie man es beobachten konnte. Und bis heute leisten die vielen ehrenamtlichen wie auch die professionellen Flüchtlingshelfer eine Arbeit, ohne die der Staat alleine auf sich gestellt völlig überfordert wäre.

Das alles werden viele unterschreiben können – bleibt es doch auf einer allgemeinen Ebene der positiven Beschreibung gesellschaftlichen Engagements. Wie immer trübt das Bild ein, wenn man von der Vogelperspektive in die konkreten Gefilden wechselt. Da werden dann Spannungen erkennbar und auch öffentlich gemacht zwischen den ehrenamtlichen und den professionellen Flüchtlingshelfern und neben der unmittelbar erfahrbaren Kraft des Anpackens und Helfens zeigt sich nach einer gewissen Zeit zwangsläufig die Fragilität der ehrenamtlichen Aktivitäten, die sich selbst überfordern und nicht selten ausbrennen. Gerade angesichts dieser Fragilität ist es so wichtig, dass die ehrenamtlichen Hilfe nach dem nicht vermeidbaren Chaos der Anfangszeit stabilisiert und entlastet wird durch die professionellen Hilfesysteme. Aber in diesem Beitrag geht es nicht um das angesprochene Spannungs- und Ergänzungsverhältnis zwischen Ehrenamtlichen und Profis, sondern um die Profis, die – für manche unerwartet – nicht für Gottes Lohn, also ohne Geld arbeiten, sondern deren Kosten im Regelfall mehr oder weniger ausreichend erstattet werden vom Staat, der ja auch durch sie eine enorme Entlastung erfährt. Und es wundert sicher niemanden, dass es immer Streit gibt, ob die Arbeit der Wohlfahrtsorganisationen ausreichend oder nicht refinanziert wird. Was aber bislang keiner auf dem Schirm hatte war der Versuch, eine andere Finanzierungsquelle der Wohlfahrtsorganisationen, die Spenden an sie, seitens des Staates zur Teilfinanzierung seiner Kosten zu instrumentalisieren. Da muss man auch erst einmal hin kommen, gedanklich und operativ. Besichtigen können wir diese interessante Entwicklung nun auch in der Realität, konkret in Österreich. Und wie das da ausgeht, sollte auch in Deutschland viele interessieren.

Schauen wir uns zuerst einmal den Sachverhalt an. Dieser Artikel bringt es schon in der Überschrift auf den Punkt: Flüchtlingshilfe: Bund will Spenden abkassieren, so Renate Graber. Nach ihrem Bericht stellt sich die Situation so dar:

»Österreichs Hilfsorganisationen, die dem Bund in der Flüchtlingshilfe und -unterbringung zur Seite gesprungen sind, warten nicht nur auf ihnen zustehendes Geld von der Republik.« Offen sind die Zahlungen für Januar und Februar. »Laut dem Chef des Roten Kreuzes, Gerry Foitik, bringt dieser Umstand manche der Organisationen „an den Rand der Zahlungsunfähigkeit“.«

Mit anderen Worten: Die Wohlfahrtsorganisationen sind also in Vorleistung getreten und haben die Kostenerstattung bislang noch nicht erhalten – und viele von ihnen sitzen nicht auf einem Geldbunker, mit dessen Hilfe sie in größerem Umfang und über längere Zeit etwas vorfinanzieren können. Und sie haben professionelle Beschäftigte, deren Lohn und Sozialabgaben gezahlt werden müssen. Aber der eigentliche Hammer kommt erst noch:

»Für noch viel mehr Aufregung sorgt allerdings ein Schreiben des Innenministeriums vom 10. Februar mit dem Betreff: „Förderungen Transitflüchtlinge; Berücksichtigung des Spendenaufkommens“. Aus diesem Brief erschließt sich, dass der Bund den NGOs die Spenden, die sie für ihre Arbeit für die Flüchtlinge bekommen, von den ersetzten („geförderten“) Kosten abzieht. Das 21-seitige Schreiben erging an zwölf Organisationen (etwa Rotes Kreuz, Johanniter NÖ-Wien, Volkshilfe Wien, Train of Hope, Islamische Föderation, türkisch-islamischer Kulturverein Teesdorf).«

Das erscheint wie ein Stück aus dem Tollhaus, aber wie so oft muss man genauer hinschauen. Denn bei aller Verwunderung bis Empörung kann man nicht behaupten, dass das seitens der österreichischen Regierung gleichsam als Überraschungsangriff durchgeführt wurde, es ist ein Paukenschlag mit Ansage, denn im vergangenen Jahr – als dieHilfsorganisationen bei der Versorgung der Flüchtlinge für den Staat in die Bresche gesprungen sind – hat dieser die spätere Kostenübernahme in einer Sonderrichtlinie konkretisiert, die genau das schon beinhaltet, was jetzt für eine Empörungswelle sorgt:

»Die „Sonderrichtlinie“ trat am 23. Oktober 2015 in Kraft und läuft Ende März aus. Fixiert ist darin unter anderem das Procedere für die Förderungen der Kosten, die den NGOs ab dem 4. September 2015 rund um die „Hilfsmaßnahmen für Transitflüchtlinge“ entstehen. Unter Punkt VI.1 wird auf grundsätzliche Förderrichtlinien des Bundes verwiesen, wonach „grundsätzlich nur jene Kosten förderbar sind, die … nicht durch Zuwendungen Dritter (insbesondere Spenden) abgedeckt sind“.«

Nun ist die Empörung in Österreich unter den Betroffenen groß und das Ansinnen des Staates wird auf eine grundsätzliche Ebene gehoben:

»Der Geschäftsführer des Fundraising Verband Austria (FVA), Günther Lutschinger, macht aus seiner Empörung kein Hehl. Das Ansinnen des Innenministeriums sei „eine absolute Frechheit und bedeutet einen Anschlag auf das Spendenwesen in Österreich“. Natürlich hätten die NGOs die Sonderrichtlinie und den darin fixierten Spendenabzug gekannt – aber der sei im Fall der Flüchtlingshilfe völlig unangebracht. Schließlich seien Flüchtlingshilfe und deren Finanzierung Staatsaufgabe – „aber der hat da versagt und die NGOs gebeten zu helfen. Und die sind dann für den Staat in Vorlage getreten.“ Kurzum: Der Staat habe seine Aufgaben nur ausgelagert. Während er in anderen Fällen, etwa bei der Leitung des Lagers Traiskirchen, Verträge gemacht habe, greife er in diesem Fall zu Förderverträgen.«

Das ist wohl wahr – so auch Reinhard Hundsmüller vom Arbeiter-Samariter-Bund, der den Fördervertrag für erbrachte Leistungen für den „falschesten Weg“ hält. Natürlich könnte man an dieser Stelle fragen, wieso man denn im vergangenen Jahr das Spiel offensichtlich mitgespielt hat. Wahrscheinlich weil man gehofft hat, dass das nur Rhetorik bleibt und nicht so heiß gegessen wird, wie es gekocht wurde.
Interessant in diesem Zusammenhang auch die Antwort von Hundsmüller vom ASB auf genau diese Frage:

»Die Republik weiß es sehr gut auszunützen, dass mehrere NGOs auf dem Sektor tätig sind. Springt nicht der Größte ab, sagt sie, dann macht das eben der Rest.«

Da wird ein Strukturproblem der Wohlfahrtsorganisationen angesprochen, das wir auch in Deutschland zur Genüge kennen. Es gibt darüber hinaus auch in der gegenwärtigen Debatte in Österreich Stimmen, die versuchen, eine gewisse Distanz zum Protest der Hilfsorganisationen aufzubauen – und dabei auch eine grundsätzliche Ebene bemühen: »Nichtregierungsorganisationen kontra Regierung: Die NGOs wären gut beraten, ihren Mehrwert verstärkt in die öffentliche Auslage zu stellen – und sich weniger einer aggressiven und ermahnenden Rhetorik zu befleißigen.« So Bernhard Lori in seinem Kommentar Ein Spendendisput ohne Bürger und Zahler?.

Ansonsten formiert sich Widerspruch und Protest gegen den geplanten Verrechnungsschritt. Mehr Staat – weniger privat, so kommentiert Michael Möseneder. Für ihn stellt sich die Sache so dar:

»Für die Betreuung von Flüchtlingen ist in diesem Land das Innenministerium zuständig. Das war nur leider im Sommer 2015, als immer mehr Flüchtlinge kamen, völlig überfordert. Am Grenzübergang Nickelsdorf waren es die Hilfsorganisationen, die Essen und Kleidung verteilten. Selbst die Stadt Wien organisierte mehr als das in Schockstarre verfallene Ressort von Ministerin Johanna Mikl-Leitner. Dafür, dass die Vereine – und auch viele Privatpersonen – dem überforderten Bundesstaat geholfen haben, seine Aufgaben zu erfüllen, werden sie und die Gönner jetzt bestraft – indem die Spenden eingesackelt werden … eine logische Reaktion wäre, künftig Hilfsersuchen staatlicher Stellen höflich, aber bestimmt abzulehnen.«

Aktuell ist die Sache wohl noch in der Schwebe: In dem Artikel Streit um Spenden: Ostermayer gegen Pläne des Finanzministeriums wird darauf hingewiesen: »Kanzleramtsminister Josef Ostermayer (SPÖ) hat sich gegen die von Innen- und Finanzministerium geplante volle Anrechnung der Spenden auf die Förderungen für die Flüchtlings-Hilfsorganisationen ausgesprochen. Er sei für eine gemeinsame Lösung mit den Hilfsorganisationen. Diese solle „nicht eine 1:1-Gegenrechnung“ umfassen.«

Man darf gespannt sein, wie das in Österreich ausgeht. Sicher werden das in Deutschland manche mit großem Interesse verfolgen.

Wie viele sind es denn nun? Und sind die Ängste des Jahres 1984 nicht längst Geschichte? Zur Forderung nach einer neuen und echten Volkszählung

Man kann eine Menge Fragen mit genauen Daten beantworten. Beispielsweise die Zahl der Schafe in unserem Land. Die kennt man, werden sie doch akribisch gezählt und in den Tabellenwerken der Statistiker verewigt. Man sollte meinen, dass das hinsichtlich der Frage, wie viele Menschen in unserem Land leben, ebenfalls so ist. Man sollte das schon wissen, denn wenn nicht, wie kann man dann planen und vorsorgen? Wie kann man die Pflegeinfrastruktur entwickeln und anpassen? Wie kann man den Bedarf an Kita- und Schulplätzen in den Blick nehmen? Wenn man nicht ziemlich genau weiß, wie viele Menschen bei uns wo und wie leben. Aber die Frage, wie viele es denn sind, ist weitaus weniger trivial, als viele wahrscheinlich vermuten. Das vergangene Jahr mit der außergewöhnlichen Zuwanderung im Kontext der Flüchtlinge hat uns verunsichern müssen. Immer wieder wurde man mit Berichten konfrontiert, dass man gar nicht genau sagen könne, wie viele Menschen denn nun als Flüchtlinge zu uns gekommen sind. Frank-Jürgen Weise, der Leiter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF), zugleich Chef der Bundesagentur für Arbeit (BA), wird in der Presse zitiert mit Äußerungen, dass es mehrere hunderttausend Menschen gibt, die offiziell noch nicht wirklich erfasst sind. Aber ist da nicht die Aussage des Bundesinnenministeriums, dass es im vergangenen Jahr, also 2015,  gut eine Million Menschen waren, die zu uns gekommen sind? »2015 wurden bundesweit insgesamt 1,09 Millionen Migranten im Datensystem Easy registriert – so viele wie nie in der Geschichte der Bundesrepublik«, kann man an dieser Stelle aus diesem Artikel zitieren.

Und dann muss man so einen Artikel zur Kenntnis nehmen: Von wegen eine Million. Der berichtet von ganz anderen Zahlen der Bundesregierung, nachdem diese im Bundestag gefragt wurde: »Demnach lebten Ende 2015 insgesamt rund 1,25 Millionen Menschen als Flüchtlinge in Deutschland. Ende 2014 lebten bereits 627.000 Geflüchtete in Deutschland, so dass ihre Zahl im Jahr 2015 nur um knapp 600.000 gestiegen ist.« 

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Die Bundesarbeitsministerin macht es schon wieder: „Ein-Euro-Jobs“ für Flüchtlinge ankündigen, die noch nicht im Hartz IV-System sind. Was soll das?

Erde an Berlin: Was soll das? Bereits am 13. Februar 2016 wurde der Beitrag Die Bundesarbeitsministerin fordert „Ein-Euro-Jobs“ für Flüchtlinge. Aber welche? Und warum eigentlich sie? Fragen, die man stellen sollte in diesem Blog veröffentlicht. Ausgangspunkt war ein Interview, das unter dieser Überschrift veröffentlicht worden ist: Arbeitsministerin Nahles fordert halbe Milliarde Euro mehr für Flüchtlinge. Darin wurde die Ministerin mit diesen Worten zitiert: »Ich möchte zum Beispiel 100.000 Arbeitsgelegenheiten für Flüchtlinge schaffen. Bisher sitzen die Menschen manchmal zwölf Monate herum, ohne etwas tun zu können. Das löst auf allen Seiten Spannungen aus. Wir müssen so früh wie möglich ansetzen, das kann ich aber nur mit Unterstützung des Finanzministers. Es geht hier um 450 Millionen Euro zusätzlich im Jahr.« Diese Forderung überraschte diejenigen, die sich mit der Materie auskennen, das wurde in dem Beitrag auch ausführlich dargelegt. Es konnte sich nur um ein Versehen handeln, denn die Flüchtlinge, die noch nicht in der Zuständigkeit der Jobcenter und des Grundsicherungssystems sind, weil sie unter das Asylbewerberleistungesetz fallen, die kann Frau Nahles gar nicht erreichen, denn zuständig sind hier die Kommunen.

Und auf einen weiteren Aspekt wurde damals bereits hingewiesen: Auch die Kommunen können heute schon auf das zurückgreifen, was umgangssprachlich als „Ein-Euro-Jobs“ bezeichnet wird – und einige tun das auch. Denn im Asylbewerberleistungsgesetz gibt es den § 5 AsylbLG. Der ist überschrieben mit: Arbeitsgelegenheiten (AGH). Das ist die korrekte Bezeichnung für die „Ein-Euro-Jobs“, die gleiche Begrifflichkeit findet man auch im SGB II, dort handelt es sich um den § 16d.

Nun gibt es einen wichtigen Unterschied zwischen den Arbeitsgelegenheiten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) und denen nach dem Gesetz, für das Frau Nahles zuständig ist, also dem SGB II. Im Zweifelsfall hilft der Blick in das Gesetz, in diesem Fall in zwei. Hier die Arbeitsgelegenheiten nach dem SGB II, also gleichsam die Nahles-Ein-Euro-Jobs:

§ 16d SGB II Absatz 1: »Erwerbsfähige Leistungsberechtigte können zur Erhaltung oder Wiedererlangung ihrer Beschäftigungsfähigkeit, die für eine Eingliederung in Arbeit erforderlich ist, in Arbeitsgelegenheiten zugewiesen werden, wenn die darin verrichteten Arbeiten zusätzlich sind, im öffentlichen Interesse liegen und wettbewerbsneutral sind.«

Und wie lautet die entsprechende Norm im Asylbewerberleistungsgesetz?

§ 5 AsylbLG Absatz 1: »In Aufnahmeeinrichtungen im Sinne des § 44 des Asylgesetzes und in vergleichbaren Einrichtungen sollen Arbeitsgelegenheiten insbesondere zur Aufrechterhaltung und Betreibung der Einrichtung zur Verfügung gestellt werden … Im übrigen sollen soweit wie möglich Arbeitsgelegenheiten bei staatlichen, bei kommunalen und bei gemeinnützigen Trägern zur Verfügung gestellt werden, sofern die zu leistende Arbeit sonst nicht, nicht in diesem Umfang oder nicht zu diesem Zeitpunkt verrichtet werden würde.«

Vereinfacht gesagt: Die Arbeitsgelegenheiten nach dem SGB II sind wesentlicher restriktiver gefasst, denn sie müssen nicht nur zusätzlich und im öffentlichen Interesse sein, sondern „wettbewerbsneutral“. Man kann sich diese Anforderung so übersetzen: Die Tätigkeiten, die unter dieser Restriktion zulässig sind, müssen möglichst weit weg sein von allen Beschäftigungen, die auf dem „ersten“, also normalen Arbeitsmarkt ausgeübt werden. Das ist natürlich nicht wirklich integrationsfördernd. Aber diese von vielen seit langem kritisierte Einengung durch das Erfordernis der Wettbewerbsneutralität existiert bei den Arbeitsgelegenheiten nach dem AsylbLG förderrechtlich eben nicht. Hier hätte und hat man deutlich mehr Freiheitsgrade bei der konkreten Ausgestaltung der Tätigkeiten, was auch sinnvoll ist.

Vor allem kann man etwas machen, was man bei den „normalen“ Arbeitsgelegenheiten nach dem SGB II nicht darf – man kann Beschäftigung mit Qualifizierung (und allem anderen) mischen. Das ist gerade für die hier interessierenden Flüchtlinge von besonderer Bedeutung, ermöglicht das doch wirklich innovative und sinnvolle Maßnahmenkonzeptionen, denn ein Mix aus praktischer Arbeit, Sprachförderung und andere Qualifizierungselemente ist einer Nur-Beschäftigung (und die dann auch noch möglichst weit weg vom normalen Arbeitsmarkt) vorzuziehen, wenn einem wirklich an Integration gelegen ist.

Und jetzt wird man mit solchen Meldungen konfrontiert: Nahles will mit Ein-Euro-Jobs für Flüchtlinge starten – und man reibt sich angesichts der skizzierten Hintergrundinformationen verwundert die Augen:

»Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) will noch in diesem Jahr Ein-Euro-Jobs für Flüchtlinge schaffen, deren Asylverfahren noch laufen … Im Jahr 2017 seien 300 Millionen Euro für diese Arbeitsgelegenheiten vorgesehen, mit denen Flüchtlinge auf den Arbeitsmarkt vorbereitet werden sollen. Wie viel Geld in diesem Jahr dafür benötigt werde, hänge davon ab, wie schnell mit der Umsetzung begonnen werden könne … Flüchtlinge erhalten für diese Zusatzjobs neben den Zahlungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz eine geringe Aufwandsentschädigung. Die Arbeitsgelegenheiten werden mit öffentlichem Geld angeboten und dürfen reguläre Arbeitsplätze nicht verdrängen.«

Auch auf die Gefahr hin, im Raumschiff BMAS in Berlin als Nörgler und Spielverderber abgestempelt zu werden, muss dennoch die Frage in den Raum gestellt werden: Was soll das? Das macht offensichtlich keinen Sinn – außer das Bundesarbeitsministerium hat einen neuen, allen anderen bislang aber nicht bekannten Weg gefunden, eines der Grundprobleme des im Föderalismusdurcheinander gefangenen Staates zu lösen: das verfassungsrechtlich vorgegebene Verbot der direkten Finanzierung der Kommunen durch den Bund.

Um diesen Einwurf zu verstehen, muss man sich die leidige, in diesem Fall aber hoch relevante Zuständigkeitsfrage in Erinnerung rufen:

Für die Flüchtlinge am Anfang ist das SGB II, also das Hartz IV-System und mit ihm die Jobcenter, gar nicht relevant. Die Flüchtlinge schlagen erst dann im Hartz IV-System auf, wenn sie als Asylberechtigte anerkannt sind. Am Anfang sind bzw. wären sie theoretisch Asylbewerber – theoretisch deshalb, weil viele von ihnen  Monate warten müssen, bis sie überhaupt einen Asylantrag stellen können beim BAMF, bis dahin sind sie noch nicht einmal Asylbewerber. Da gilt dann aber das Asylbewerberleistungsgesetz. Und für die Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge beispielsweise in den Erstaufnahmestellen und vor Ort in den Unterkünften sind die Bundesländer und Kommunen zuständig, wobei der Bund an der Finanzierung beteiligt ist, da er den Bundesländern dafür Gelder zur Verfügung stellt, die diese dann in ganz unterschiedlicher Form und Umfang an die Kommunen weiterleiten (sollen).

Was das bedeutet? Wenn Frau Nahles erneut „Ein-Euro-Jobs“ für Flüchtlinge in Aussicht stellt, die aber noch nicht in den Zuständigkeitsbereich „ihrer“ Jobcenter fallen, dann müssen das die Kommunen machen, was die – wie aufgezeigt – auch können (sogar mit mehr Spielräumen als bislang die Jobcenter), aber dann muss die Geldsumme, mit der sie heute hausieren geht, auch bei den Kommunen, die das machen, ankommen.

Also Berlin: Habt ihr irgendeinen Geheimgang von der Bundeskasse direkt in die kommunalen Schatullen gefunden? Wenn nicht – was soll dann das Getue? Eine Begründung wäre schon nett.

Wie wäre es vielmehr mit dieser Konsequenz? Einfach und endlich mal eine echte Instrumentenreform im SGB II hinlegen, mit der endlich die Freiheitsgrade des Handelns vor Ort in der Arbeitsmarktpolitik erhöht werden. Das aktuelle Thema Arbeitsgelegenheiten (AGH) bietet sich als Lehrbuchbeispiel an:

Ein „neuer Kunde“ der Jobcenter hat bereits mit einer innovativen AGH begonnen, also gekoppelt mit Sprachförderung und passgenauen Qualifizierungsbausteinen versehen, die in der Kommune organisiert worden ist. Nun kann diese Maßnahme beim Übergang in das SGB II-System nicht einfach fortgeführt werden – denn förderrechtlich ist hier vieles nicht zulässig, was vorher möglich war.

Was wäre die notwendige Schlussfolgerung? Sicher nicht der Abbruch dessen, was schon begonnen wurde, sondern vielleicht endlich einmal die Entscheidung, die von so vielen Seiten immer wieder kritisierten förderrechtlichen Restriktionen im SGB II abzuräumen. Das wäre ihre Aufgabe, Frau Nahles.

Aber nicht wieder mit imaginären Geldscheinen wedeln, die im Ergebnis wie so oft nicht das Papier wert sein werden, auf dem man von ihnen berichtet hat.