Hashtag #IchBinArmutsbetroffen auf Twitter: Zwischen Selbst-Bestärkung der von Armut Beschämten und der Ambivalenz eines viralen „Aufstands der Armen“

Seit Mitte Mai kann man es auf Twitter beobachten und mit Hilfe des Hashtags #IchBinArmutsbetroffen auf Twitter verfolgen oder sich beteiligen: Seitdem berichten viele Menschen öffentlich aus ihrem Leben. Der Hashtag soll im Umfeld der Initiative (ar)-MUT – mit dem anspruchsvollen Motto „Raus aus der Nische – aber richtig“ – entstanden sein und wurde durchaus erfolgreich auf Twitter platziert, wenn man denn Erfolg erst einmal quantitativ bemisst. Der Anspruch der Initiative wird so selbst beschrieben: »ar-MUT steht für Bestärkung von Armutsbetroffenen sowie für Sensibilisierung und Aufklärung für Nichtbetroffene. Armut ist nach wie vor ein Thema das von Scham, Vorurteilen, Unwissen, Stigmatisierungen und falschen Vorstellungen davon begleitet wird. Umso wichtiger ist es, Wissen über strukturelle Armut, die Zahlen, die Hintergründe, den Alltag, die Folgen von Armut und Beschämung sowie darüber warum Armutsbekämpfung nur beschämungsfrei funktionieren kann, zu vermitteln.«

»Was es mit Armut auf sich hat, warum es kein individuelles Versagen ist, wie sehr Sprache beschämen und ausgrenzen kann, welche Folgen das für Betroffene hat, was man unter struktureller Armut und sozialer Ungleichheit versteht und vor allem – warum es es so wichtig ist unsere lange antrainierten Bilder über Armutsbetroffene zu hinterfragen« – das versucht die Initiative voranzutreiben.

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Von einer „höchst unsozialen Inflation“ bis zur Frage, wie man denn wem wodurch (nicht) helfen kann angesichts der Verfestigung hoher Preissteigerungsraten

Schon immer hat man bei der Behandlung des Problems einer zu hohen Preissteigerungsrate darauf hingewiesen, dass Inflation sozial höchst ungleich ist bei ihren Auswirkungen. Das wird auch in diesen Tagen nicht nur thematisiert, sondern Millionen Menschen bekommen das auch zu spüren.

»Mit den Energiepreisen und der Inflation, die wir im Augenblick haben, ist das eine höchst unsoziale Inflation, weil Menschen mit geringen Einkommen das Drei-, Vier-, Fünffache ihres monatlichen Einkommens im Vergleich zu gut verdienenden Menschen für Energie und Lebensmittel ausgeben.« So Marcel Fratzscher, der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in einem Interview mit dem Deutschlandfunk am 19. April 2022, das man hier nachlesen kann: „Das ist eine höchst unsoziale Inflation“. Und tatsächlich sehen wir derzeit Preissteigerungswerte, die seit langem vom gesellschaftlichen Radarschirm verschwunden waren – noch vor einigen Monaten, man darf und muss daran erinnern, kreisten die volkswirtschaftlichen Diskussionen um eine „zu niedrige“ Inflationsrate, gemessen an der Zielinflationsrate der Europäischen Zentralbank (EZB) in Höhe von um die 2 Prozent, die jahrelang nicht erreicht worden ist.

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Zunehmende Energiearmut: Anmerkungen zu der im bestehenden System überaus komplexen Aufgabe der Sicherung des „Energie-Existenzminimums“

»Schon seit Monaten steigen die die Verbraucherpreise in Deutschland, der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat die Entwicklung noch zusätzlich verstärkt. Im März stiegen die Verbraucherpreise auf über sieben Prozent. Besonders hoch ist der Preisanstieg von Energieprodukten, die Haushaltsenergie verteuerte sich im Vergleich zum Vorjahreszeitraum fast um 40 Prozent. Aber auch Lebensmittel sind über sieben Prozent teurer. Besonders für Menschen, die sowieso schon in Armut leben müssen, bedeutet der Preisanstieg reale, existenzielle Not. Sie können weder auf Erspartes zurückgreifen noch Ausgaben einsparen, da sie sowieso nur Geld für das Notwendigste haben«, so Lisa Ecke unter der Überschrift Grundsicherung schrumpft. Aber die Bundesregierung hat doch bereits gehandelt? Richtig, auch darauf wird hingewiesen: „Während Erwerbstätige einen Energiekostenzuschlag von 300 Euro erhalten, bekommen Leistungsberechtigte in der Grundsicherung gerade einmal 200 Euro. Das wird in den wenigsten Fällen ausreichen, die ansteigenden Stromkosten aufzufangen.“ Mit diesen Worten wird Ulrich Schneider vom Paritätischen Wohlfahrtsverband zitiert. Man muss der Vollständigkeit halber anmerken, dass es sich bei den genannten Beträgen um Einmalzahlungen handelt.

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Energiearmut: Wenn sogar Jobcenter in Berlin Alarm schlagen und dringenden Handlungsbedarf sehen

»Angesichts stark gestiegener Energiepreise warnt EU-Arbeitskommissar Nicolas Schmit vor mehr Energiearmut in Europa. Es gebe bereits Millionen Menschen, die unter Energiearmut litten, „und diese Zahl könnte noch größer werden“, sagte Schmit.« Nein, dieses Zitat stammt nicht aus diesen Tagen, sondern ist dem Artikel EU-Kommissar warnt vor mehr Energiearmut entnommen, der am 17. Oktober 2021 veröffentlicht worden ist. Einige EU-Staaten hatten bereits vor Monaten Maßnahmen ergriffen. Frankreich etwa deckelt bis April die Preise für Strom und Gas und gibt Energiegutscheine aus: 100 Euro für sechs Millionen besonders bedürftige Haushalte.

Und auch in Deutschland war und ist – nunmehr durch die Auswirkungen des russischen Überfalls auf die Ukraine nochmals potenziert – der Anstieg der Energiepreise ein für viele Menschen existenzielles Problem. Das vor allem bei den Menschen mit niedrigen Einkommen und den vielen, die auf Transferleistungen wie Hartz IV angewiesen sind.

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Was würde es kosten, Sozialleistungen armutsfest zu machen? In Österreich hat man eine Rechnung versucht

In aller Regelmäßigkeit – man denke hier beispielsweise an die alljährlichen Armutsberichte des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes (vgl. dazu zuletzt aus dem Dezember des vergangenen Jahres Armut in der Pandemie. Der Paritätische Armutsbericht 2021) – werden die „Armutsgefährdungsquoten“, so nennen das die Statistiker in der offiziellen Terminologie, veröffentlicht und mehr oder weniger hitzig diskutiert. Man kann das auch alles nachlesen und sich die Daten bei der Sozialberichterstattung der amtlichen Statistik besorgen. Mit denen kann man dann solche Abbildungen produzieren:

➞ Weiterführende Informationen zur Neuregelung des Mikrozensus ab 2020

Dem liegt seit vielen Jahren ein relativer Einkommensarmutsbegriff und eine daraus abgeleitete Definition von „Armutsgefährdungschwellen“ zugrunde, den sich nicht irgendwelche Einzelpersonen ausgedacht haben, sondern auf die man sich international verständigt hat. Wenn man weniger hat als die Schwellenbeträge, dann gilt man als von Armut bedroht. Am Beispiel einer alleinstehenden Person waren das 2019 in Westdeutschland 1.100 Euro, in Ostdeutschland (mit Berlin) 986 Euro – pro Monat. Wenn man also für alles weniger als diese Beträge zur Verfügung hatte, also für Lebenshaltung, Wohnen, Teilhabe usw., dann galt man als „armutsgefährdet“.

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