Was würde es kosten, Sozialleistungen armutsfest zu machen? In Österreich hat man eine Rechnung versucht

In aller Regelmäßigkeit – man denke hier beispielsweise an die alljährlichen Armutsberichte des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes (vgl. dazu zuletzt aus dem Dezember des vergangenen Jahres Armut in der Pandemie. Der Paritätische Armutsbericht 2021) – werden die „Armutsgefährdungsquoten“, so nennen das die Statistiker in der offiziellen Terminologie, veröffentlicht und mehr oder weniger hitzig diskutiert. Man kann das auch alles nachlesen und sich die Daten bei der Sozialberichterstattung der amtlichen Statistik besorgen. Mit denen kann man dann solche Abbildungen produzieren:

➞ Weiterführende Informationen zur Neuregelung des Mikrozensus ab 2020

Dem liegt seit vielen Jahren ein relativer Einkommensarmutsbegriff und eine daraus abgeleitete Definition von „Armutsgefährdungschwellen“ zugrunde, den sich nicht irgendwelche Einzelpersonen ausgedacht haben, sondern auf die man sich international verständigt hat. Wenn man weniger hat als die Schwellenbeträge, dann gilt man als von Armut bedroht. Am Beispiel einer alleinstehenden Person waren das 2019 in Westdeutschland 1.100 Euro, in Ostdeutschland (mit Berlin) 986 Euro – pro Monat. Wenn man also für alles weniger als diese Beträge zur Verfügung hatte, also für Lebenshaltung, Wohnen, Teilhabe usw., dann galt man als „armutsgefährdet“.

Wenn man also den – wohlgemerkt offiziellen – Zahlen entnehmen muss, dass 2020 insgesamt 16,1 Prozent der Menschen in Deutschland von Einkommensarmut gefährdet waren, dann sind das umgerechnet 13,4 Millionen Menschen, die unterhalb der Armutsschwelle leben müssen.

Auch in Österreich

Im Jahr 2020 ist in Österreich auf Basis von EU-SILC (European Community Statistics on Income and Living Conditions)-Daten von rund 1.529.000 Armuts- oder Ausgrenzungsgefährdeten auszugehen, das entspricht 17,5 Prozent der Gesamtbevölkerung. Der Indikator „Armuts- oder Ausgrenzungsgefährdung“ umfasst die drei Zielgruppen „erhebliche materielle Deprivation“, „Armutsgefährdung“ und „Personen in Haushalten mit keiner oder sehr niedriger Erwerbsintensität“. 2,7 Prozent der Gesamtbevölkerung waren im Jahr 2020 erheblich materiell depriviert, 13,9 Prozent der Bevölkerung waren armutsgefährdet und 7,1 Prozent (nur Personen unter 60 Jahren) lebten in Haushalten mit keiner oder sehr niedriger Erwerbsintensität. Da diese Merkmale in Kombination auftreten können, ist die Zahl der Armuts- oder Ausgrenzungsgefährdeten geringer als die Summe der drei Einzelindikatoren, berichtet Statistik Austria.

600.000 Erwachsene in Österreich werden zugleich durch die dortigen Sozialleistungen vor einem Abrutschen unter die Armutsschwelle bewahrt, so Anna Hehenberger in ihrem Beitrag Sozialstaat schützt fast 600.000 vor Armut.

Auch wenn durch Sozialleistungen Hunderttausende vor Armut geschützt werden, sind über 1,5 Millionen Menschen armutsgefährdet bzw. leben in Armut. Wie kann das sein? Die Ausgleichszulage für Mindestpensionisten, die Mindestsicherung und das Arbeitslosengeld sind die wichtigsten sozialen Auffangnetze des österreichischen Sozialsystems – aber sie sind noch ein großes Stück davon entfernt, zur Gänze vor Armut zu schützen. Viele Haushalte leben trotz Sozialleistungen unter der Armutsgefährdungsschwelle. Die wird für 2021 mit 1.328 Euro für einen Alleinstehenden angegeben.

Quelle: Erasian (2022)

In den letzten Jahren hat sich ein Teil der Sozialleistungen langsam der Armutsgefährdungsschwelle angenähert. 

Ein Zwischenziel auf dem Weg, die Sozialleistungen armutsfest zu machen, wäre dann erreicht, wenn sie die Armutsgefährdungsschwelle erreichen. Für alleinstehende Mindestpensionisten fehlen dafür noch rund 190 Euro. Für Bezieher der Sozialhilfe oder eines durchschnittlichen Arbeitslosengelds sogar über 350 Euro, so Peri Erasian in dem Beitrag Was kosten armutsfeste Sozialleistungen?

Wie viel würde es kosten, alle Haushalte aus der Armut zu holen?

Wie viel Geld müsste man eigentlich jährlich zusätzlich in die Hand nehmen, um alle in Österreich lebenden Menschen über die Armutsgefährdungsschwelle zu heben? »Laut EU-SILC, der „EU-Survey on Income and Living Conditions“, liegt das Medianeinkommen der armutsgefährdeten Haushalte in Österreich rund EUR 3.600 pro Jahr unter der Armutsgefährdungsschwelle, wobei diese Zahl für Einpersonenhaushalte gilt. Bei Mehrpersonenhaushalten ist die Zahl entsprechend größer.«

Erasian kommt zu folgenden Ergebnissen einer überschlägigen Berechnung:

»Insgesamt beträgt diese Lücke für alle armutsgefährdeten Haushalte in Österreich rund EUR 4,2 Mrd., oder rund 1 % des österreichischen Bruttoinlandsprodukts. Der Staat müsste also pro Jahr diese Summe in die Hand nehmen, um die Armutsgefährdungslücke komplett zu schließen. Die Staatsausgaben würden dadurch um 1,9 % steigen. Diese Zahl stellt allerdings eine Obergrenze dar. Denn durch das höhere Einkommen hätten die betroffenen Haushalte auch mehr Geld für Konsum zur Verfügung. Damit steigen auch die Steuereinnahmen des Staates wieder an.«