Die Jobcenter und das Geld von oben: Auf dem Papier werden 500 Millionen Euro für 2024 gestrichen, 2025 sollen es sogar 900 Millionen Euro sein. Das „Bürgergeld“-System in Theorie und (monetärer) Praxis

Seit dem 1. Januar 2023 ist das „Hartz IV“-System beseitigt. Also auf alle Fälle semantisch wurde es liquidiert. Es ist zum „Bürgergeld“ weiterentwickelt bzw. umetikettiert worden. Mit dem Umbau des alten Hartz IV- zum neuen Bürgergeld-System einher gingen keine fundamentalen Veränderungen bei den so oft im Mittelpunkt der öffentlichen Debatten stehenden Regelleistungen, also dem Geld, das die „Regelleistungsberechtigten“ monatlich ausgezahlt bekommen. Viele werden sich noch an den Jahresanfang erinnern: Mit der Einführung des Bürgergelds zum 1. Januar wurde der Regelsatz für eine alleinstehende Person auf 502 Euro angehoben, um 11,8 Prozent – um die hohen Inflationsraten auszugleichen. Und man erinnert sich vielleicht auch noch daran, dass nunmehr beispielsweise Inflationsentwicklungen, wie wir sie in den vergangenen Monaten haben erleben müssen, deutlich schneller berücksichtigt werden (was nach einem Urteil des BVerfG auch gemacht werden muss). Eine substanzielle Anhebung der Regelleistungen darüber hinaus, wie von vielen Sozialverbänden gefordert, hat es nicht gegeben und auch der (angebliche) Inflationsausgleich wurde als nicht ausreichend gelungen kritisiert (vgl. dazu den Beitrag Erhebliche Kaufkraftverluste für Menschen in der Grundsicherung und die Stromkosten bleiben auch im Bürgergeld ein Problem, der hier am 5. Januar 2023 veröffentlicht wurde.

Aber die Ausgaben für das nun „Bürgergeld“ zu nennende Hartz IV-System umfassen noch weitaus mehr als die Regelleistungen, die den Betroffenen monatlich ausgezahlt werden. So werden die angemessenen Kosten der Unterkunft übernommen, es werden Beiträge an Sozialversicherungsträger wie die Kranken- und Pflegeversicherung gezahlt, hinzu kommen Gelder für Eingliederungsmaßnahmen. Wir sprechen hier mit Blick auf die Gesamtausgaben für Leistungen nach dem SGB II – also nicht nur das bisherige Arbeitslosengeld // bzw. Sozialgeld – von einer wirklich großen Hausnummer: Fast 50 Milliarden Euro fließen hier – pro Jahr. Und die Jobcenter als die letzen Außenposten des Sozialstaats müssen das organisieren und abwickeln.

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Zur Höhe der Hartz IV- bzw. „Bürgergeld“-Leistungen: Die einen geben Gas und gleichzeitig wird gebremst, andere machen sich auf den Weg zum Bundesverfassungsgericht

Mehr als zwei Corona-Jahre liegen hinter uns – mit zahlreichen ausgabenintensiven Rettungsprogrammen und anderen Pandemiebekämpfungsmaßnahmen. Aber eine Verschnaufpause wird nicht gewährt – schon seit Mitte des vergangenen Jahres kommt eine rasant steigende Inflation hinzu und seit dem 24. Februar 2022 ist mit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und damit einhergehend den massiven Verwerfungen aufgrund der fatalen Abhängigkeit Europas und insbesondere Deutschlands von russischen Energielieferungen mit der Perspektive schwerster Belastungen der Haushalte und Unternehmen im Herbst/Winter dieses Jahres sowieso alles anders. Und die Bundesregierung hat bereits in den zurückliegenden Wochen mit ersten Entlastungsmaßnahmen auf die Preisentwicklung zu reagieren versucht, konkret sind innerhalb weniger Wochen zwei Entlastungspakete mit einem Gesamtvolumen von etwa 30 Mrd. Euro verabschiedet worden (vgl. dazu Dullien et al. 2022: Die Entlastungspakete der Bundesregierung – Ein Update). Die Analyse der Entlastungen zeigt für eine Reihe von unterschiedlichen Haushaltstypen, dass Haushalte mit Erwerbstätigen über alle Einkommensgruppen spürbar entlastet werden. Dabei werden insbesondere Erwerbstätigen-Haushalte mit geringen und mittleren Einkommen begünstigt. Auch Menschen in der Grundsicherung werden sehr deutlich entlastet.

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Die Sicherung des Existenzminimums durch einen zeitnahen Inflationsausgleich in der Grundsicherung? Vom Bundesverfassungsgericht auf die Antragsebene im Bundestag

Der Gesetzgeber hat … Vorkehrungen zu treffen, auf Änderungen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, wie zum Beispiel Preissteigerungen oder Erhöhungen von Verbrauchsteuern, zeitnah zu reagieren, um zu jeder Zeit die Erfüllung des aktuellen Bedarfs sicherzustellen, insbesondere wenn er wie in § 20 Abs. 2 SGB II einen Festbetrag vorsieht.
(BVerfG 09.02.2010 – 1 BvL 1/09 ua, Rn. 140)

Ist eine existenzgefährdende Unterdeckung durch unvermittelt auftretende, extreme Preissteigerungen nicht auszuschließen, darf der Gesetzgeber dabei nicht auf die reguläre Fortschreibung der Regelbedarfsstufen warten.
(BVerfG 23.07.2014 – 1 BvL 10/12 ua, Rn. 144)

Haben wir mittlerweile eine Preissteigerung erreicht, die dem entspricht, was das Bundesverfassungsgericht bewogen hat, in seinen Entscheidungen über die Frage einer möglichen Verfassungswidrigkeit des Verfahrens zur Anpassung der Regelbedarfe in der Grundsicherung (nach SGB II und XII) einen expliziten Handlungsauftrag an den Gesetzgeber zu verankern, der verhindern soll, dass eine Anpassung der Leistungen zur Sicherstellung des Existenzminimums auf die lange Bank geschoben wird? Das werden sicher einige bejahen (andere hingegen werden in eine semantische Exegese der Begrifflichkeit „extreme Preissteigerungen“ einsteigen).

Hinweis: In der Abbildung dargestellt ist die Entwicklung des VPI insgesamt, also der alle Haushalte umfassende Indikator für die Preissteigerungsrate. Der basiert auf einem umfangreichen Warenkorb. Man kann und muss davon ausgehen, dass die tatsächliche Preisentwicklung nach sozialen Gruppen unterschiedlich ausfällt, weil beispielsweise Hartz IV- oder Grundsicherung im Alter-Empfänger ein anderes Konsummuster haben als die oberen Einkommensgruppen. So ist beispielsweise der Anteil der Ausgaben für Lebensmittel – die von weit überdurchschnittlichen Preissteigerungsraten betroffen sind – bei den unteren Einkommensgruppen deutlich größer. Zugleich profitieren die weniger bis gar nicht von den die Durchschnittswerte senkenden Preisreduktionen, die es auch im Warenkorb für alle gibt.

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