Seit dem 1. Januar 2023 ist das „Hartz IV“-System beseitigt. Also auf alle Fälle semantisch wurde es liquidiert. Es ist zum „Bürgergeld“ weiterentwickelt bzw. umetikettiert worden. Mit dem Umbau des alten Hartz IV- zum neuen Bürgergeld-System einher gingen keine fundamentalen Veränderungen bei den so oft im Mittelpunkt der öffentlichen Debatten stehenden Regelleistungen, also dem Geld, das die „Regelleistungsberechtigten“ monatlich ausgezahlt bekommen. Viele werden sich noch an den Jahresanfang erinnern: Mit der Einführung des Bürgergelds zum 1. Januar wurde der Regelsatz für eine alleinstehende Person auf 502 Euro angehoben, um 11,8 Prozent – um die hohen Inflationsraten auszugleichen. Und man erinnert sich vielleicht auch noch daran, dass nunmehr beispielsweise Inflationsentwicklungen, wie wir sie in den vergangenen Monaten haben erleben müssen, deutlich schneller berücksichtigt werden (was nach einem Urteil des BVerfG auch gemacht werden muss). Eine substanzielle Anhebung der Regelleistungen darüber hinaus, wie von vielen Sozialverbänden gefordert, hat es nicht gegeben und auch der (angebliche) Inflationsausgleich wurde als nicht ausreichend gelungen kritisiert (vgl. dazu den Beitrag Erhebliche Kaufkraftverluste für Menschen in der Grundsicherung und die Stromkosten bleiben auch im Bürgergeld ein Problem, der hier am 5. Januar 2023 veröffentlicht wurde.
Aber die Ausgaben für das nun „Bürgergeld“ zu nennende Hartz IV-System umfassen noch weitaus mehr als die Regelleistungen, die den Betroffenen monatlich ausgezahlt werden. So werden die angemessenen Kosten der Unterkunft übernommen, es werden Beiträge an Sozialversicherungsträger wie die Kranken- und Pflegeversicherung gezahlt, hinzu kommen Gelder für Eingliederungsmaßnahmen. Wir sprechen hier mit Blick auf die Gesamtausgaben für Leistungen nach dem SGB II – also nicht nur das bisherige Arbeitslosengeld // bzw. Sozialgeld – von einer wirklich großen Hausnummer: Fast 50 Milliarden Euro fließen hier – pro Jahr. Und die Jobcenter als die letzen Außenposten des Sozialstaats müssen das organisieren und abwickeln.
Schauen wir uns die Ausgaben für 2021 an – laut Bundesagentur für Arbeit (BA) waren das (mindestens) 45,9 Mrd. Euro – mindestens deshalb, weil die Darstellung der BA bestimmte Ausgabenposten wie die kommunalen Finanzierungsanteile nicht enthält. Aber dennoch vermittelt die Abbildung ein erstes Gefühl für die gewaltige (monetäre) Größenordnung dieses Grundsicherungssystems (es gibt daneben weitere Grundsicherungssysteme wie das SGB XII, also die Sozialhilfe). Im Jahr 2021 wurden beispielsweise mehr als 14 Mrd. Euro nur für die Unterkunftskosten, also ganz überwiegend für die Mieten der Hartz-Empfänger, ausgereicht. Und in der Darstellung erkennt man auch, dass die Jobcenter selbst natürlich nicht von Luft und Liebe leben (können), sondern dass für ihre „Verwaltungskosten“ in 2021 immerhin 5,76 Mrd. Euro ausgewiesen werden, mit denen die Jobcenter ihre Mitarbeiter sowie ihre Sachkosten wir Mieten usw. finanziert haben (und das ist dann auch nur ein teil der wirklichen Summe). Dieser Betrag, das sieht man auch einen Blick, war deutlich größer als die mit 4,05 Mrd. Euro ausgewiesenen Ausgaben für die „Eingliederungsleistungen“, mit denen man die Hartz IV-Empfänger wieder oder erstmals fit machen will für den Arbeitsmarkt und eine Erwerbsarbeit.
Die seit Jahren anhaltende strukturelle Unterfinanzierung der Jobcenter wird in der neuen Bürgergeld-Welt vorangetrieben und potenziert
Schon seit vielen Jahren wird immer wieder kritisiert, dass die Mittelzuteilung an die Jobcenter, was deren Verwaltungskosten angeht, im Abgleich mit den tatsächlichen Ausgaben zu niedrig angesetzt waren und sind – mit einer arbeitsmarktpolitisch fatalen Folge: den „Umschichtungen“ von Geldern, die eigentlich für die Eingliederung der erwerbsfähigen Hartz IV- bzw. nunmehr „Bürgergeld“-Empfänger/innen in den Arbeitsmarkt vorgesehen waren/sind, in den Haushaltstopf für die Verwaltungskosten der Jobcenter. Das wird ermöglicht über die Tatsache, dass die in den Haushaltsplänen eingestellten Mittel für Eingliederungsleistungen und für Verwaltungskosten „gegenseitig deckungsfähig“ sind. Wobei die Umschichtungen von dem einen in den anderen Topf in praxis immer nur eine Richtung gekannt haben. Also von den Eingliederungsleistungen zu den Verwaltungskosten.
➔ Auf die Problematik der „Umschichtungen“ zuungunsten der Eingliederungsmittel wurde hier seit Jahren immer wieder in Beiträgen hingewiesen. Vgl. nur als ein Beispiel den Beitrag Skelettöse Umverteilung: Aus dem Topf der völlig unterfinanzierten Eingliederungsmittel die auch unterfinanzierten Verwaltungskosten der Jobcenter mitfinanzieren vom 30. Januar 2016. So wurden im Jahr 2015 nach damaligen Berechnungen 767 Millionen Euro, die eigentlich für Eingliederungsmaßnahmen eingestellt waren, zu den Verwaltungskosten umgebucht. Und damals, Anfang des Jahres 2016, wurde bereits darauf hingewiesen, dass die vielen Geflüchteten, die 2015 gekommen sind, über kurz oder lang in das Hartz IV-System integriert werden müssen. Am Ende des Beitrags heißt es: »Der eigentliche Skandal ist der beklagenswerte Tatbestand einer mittlerweile doppelt skelettösen Unterfinanzierung – sowohl des Budgets für arbeitsmarktpolitische Fördermaßnahmen wie auch der Jobcenter an sich. Und das in Zeiten, in denen viele Jobcenter bereits „Land unter“ gemeldet haben bevor die nächste große – wie nennt man das heute? – „Herausforderung“ auf sie zukommt, also die Betreuung und Versorgung mehrere hunderttausend Flüchtlinge, die in diesem Jahr im SGB II-System aufschlagen werden.«
Die angesprochene Einbahnstraße der Umschichtung von Eingliederungsmitteln hin zu den Verwaltungskosten der Jobcenter resultiert aus einer seit langem beobachtbaren strukturellen Unterfinanzierung der Jobcenter hinsichtlich der ihnen haushaltsmäßig zugeteilten Mittel:
Jedes Jahr werden hunderte Millionen Euro an Eingliederungsmitteln umverteilt in die Verwaltungshaushalte der Jobcenter, um die Differenz zwischen den Soll- und den Ist-Ausgaben auf der Verwaltungsseite decken zu können.
Auch im kommenden Jahr geht es weiter mit der absehbaren Umschichterei
Die absehbare Differenz zwischen den im Bundeshaushalt 2023 angesetzten Mitteln für die Verwaltungskosten der Jobcenter und den tatsächlichen Ausgaben wird auch im kommenden Jahr fortgeschrieben. Hinzu kommt jetzt auf der Ebene der Haushaltsplanung eine massive Kürzung der (sowieso schon zu niedrig angesetzten) Mittel. Und zwar sowohl für die Eingliederungsleistungen wie auch für die Verwaltungskosten. Der Vergleich zwischen den Mittelansätzen im Haushalt für 2023 mit dem Regierungsentwurf für den Haushalt 2024 zeigt, dass man offensichtlich 500 Millionen Euro „einsparen“ will:
Paul M. Schröder vom Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe (BIAJ) hat es so auf den Punkt gebracht: »Die Kürzungssumme in Höhe von insgesamt 500 Millionen Euro … wird zu einem weiteren Anstieg der Umschichtungen von den Bundesmitteln für „Verwaltungskosten“ zu den Mitteln für „Eingliederungsleistungen“ führen. Für den Bundesanteil an den „Gesamtverwaltungskosten“ sind mit 5,050 Milliarden Euro (Soll 2024) 957 Millionen Euro weniger veranschlagt als die 6,007 Milliarden Euro, die im Haushaltsjahr 2022 ausgegeben wurden … Die Veranschlagung von lediglich 5,050 Milliarden Euro für „Verwaltungskosten für die Durchführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende“ (SGB II) bedeutet eine weitere Entfernung vom Grundsatz der Wahrheit bei der Haushaltsaufstellung.« Den letzten Punkt sollten sich die verantwortlichen Abgeordneten im Deutschen Bundestag hinter die Ohren schreiben.
➔ Im kommenden Jahr 2024 sollen also 500 Mio. Euro eingespart werden. Aber das ist noch nicht das Ende der Fahnenstange, denn um die Sparvorgaben des Bundesfinanzministeriums umsetzen zu können, ist man im zuständigen Bundesarbeitsministerium reflexhaft in den Verschiebebahnhof-Modus gefallen und hat weitere „Einsparungen“ in Höhe von 900 Mio. Euro im Haushaltsjahr 2025 „gefunden“ und haushaltstechnisch verbucht. Aber mit gravierenden Konsequenzen, denn auf diesen Betrag kommt man nur, wenn man zu folgender Maßnahme greift: »Die arbeitsmarktliche Förderung von jugendlichen Bürgergeldempfängern unter 25 Jahren soll ab dem Jahr 2025 von den heute dafür zuständigen Jobcentern (die aus Steuermittel finanziert werden müssen) in die Agenturen für Arbeit der Bundesagentur für Arbeit (die als Arbeitslosenversicherung aus Beitragsmittel der beitragspflichtigen Arbeitnehmer und Arbeitgeber finanziert wird). Im Ergebnis würde das bedeuten, dass die beitragsfinanzierte Arbeitslosenversicherung nun die bislang aus Steuermitteln in den Jobcentern finanzierten Aufgaben übernehmen muss – wenn man denn davon ausgeht, dass die hinter den Ausgaben stehenden Aufgaben auch wirklich eins zu eins übernommen werden (können).« Vgl. dazu ausführlicher den Beitrag Beim Jobcenter raus, bei der Arbeitsagentur rein? Taschenspielertricks im haushaltspolitischen Verschiebebahnhof. Auf Kosten junger Menschen und mit einer absurden Verkomplizierung komplizierter Strukturen vom 20. Juli 2023. Ein irrsinniges Unterfangen.