Amazon mal wieder. Der aufrechte Kampf der einen bei uns und die konsequent-schrittweise Abnabelung der Effizienzmaschine vom Standort Deutschland

Gerade in einer Zeit, in der täglich irgendeine neue Sau durchs mediale Dorf getrieben wird, auf die sich dann alle anderen stürzen, als gäbe es nur dieses Thema, ist es notwendig, an Dinge zu erinnern, die vor geraumer Zeit mal Thema waren und mittlerweile in den Archiven vor sich hin modern. Obgleich sie weiter vorangetrieben werden und sich das damalige Bild zu verdichten scheint. Zeigen kann man das am Beispiel des Unternehmens Amazon.

Auslöser sind solche Meldungen, die dem einen oder anderen vorkommen wie ein Ausschnitt aus dem Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“: Ver.di ruft zu Streik bei Amazon in Koblenz auf: »Mit einem erneuten Streik will die Gewerkschaft den Konzern drängen, die Tarifverträge des Einzelhandels anzuerkennen. Der Ausstand sollte in der Nacht beginnen.« Und nachfolgend: Verdi bestreikt erneut Versandzentren: »Vor dem Beginn des Weihnachtsgeschäfts macht die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi noch einmal mit Streiks in den deutschen Versandzentren Druck auf den Online-Versandhändler Amazon. Verdi rief am Mittwoch an den Standorten im hessischen Bad Hersfeld, in Leipzig sowie in Rheinberg und Werne in Nordrhein-Westfalen zu Arbeitsniederlegungen vom frühen Morgen bis zum Ende der Spätschicht auf.« Die wackeren Gewerkschaftsmitglieder versuchen es seit Jahren. Bislang ohne nennenswerten Erfolg, sie beißen auf Granit bei dem amerikanischen Konzern. 

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Was passieren kann, wenn man die Zielgröße, permanent ein „überdurchschnittlicher Amazon-Roboter“ zu sein, nicht erreicht. Mal wieder: Inside Amazon

Amazon mal wieder. Wir reden hier über eine – von oben betrachtet – große „Erfolgsstory“: Mehr als 150.000 Mitarbeiter hat das Unternehmen mittlerweile, der Umsatz kratzt an der 100-Milliarden-Dollar-Grenze. Während in Deutschland immer noch eine überschaubare Gruppe von Aktivisten innerhalb der Belegschaft versucht, den Konzern daran zu erinnern, dass nicht nur betriebliche Mitbestimmung, sondern auch Tarifverträge bei uns eigentlich normal sein sollten, damit aber – trotz mehrfacher Streikaktionen – bislang wenig bis gar keinen Erfolg haben, werden nun wieder die Arbeitsbedingungen bei Amazon in den Fokus der Berichterstattung gerückt. Allerdings diesmal aus dem Mutterland des Konzerns, also den USA, kommend. Die New York Times berichtet über höchst fragwürdige Arbeitsbedingungen in dem Artikel Inside Amazon: Wrestling Big Ideas in a Bruising Workplace: The company is conducting an experiment in how far it can push white-collar workers to get them to achieve its ever-expanding ambitions:
Man kann das auch so auf den Punkt bringen: Katastrophale Arbeitsbedingungen bei Amazon. In diesem Artikel des österreichischen Standard werden einzelne Fälle zitiert, die man dem Originalartikel der New York Times entnehmen kann. Wie so oft bei diesen amerikanischen Unternehmen geht es um Leistungsbewertungen, um die „Performance“ der Beschäftigten.

Hier drei Beispiele aus dem Artikel:

»So wird … etwa die Geschichte einer Mitarbeiterin des Kindle-Teams erzählt, die ihre Überstunden und Wochenendeinsätze reduzieren musste, da ihr Vater an Krebs erkrankt war – was umgehend zu einer schlechteren Bewertung ihrer Performance geführt habe. Der Wechsel auf einen anderen Posten, bei dem, nicht wie sonst bei Amazon üblich, unzählige Überstunden erwartet werden, wurde abgelehnt. Stattdessen bezeichnete sie ihr direkter Vorgesetzter als „ein Problem“. Sie entschloss sich daraufhin – als ihr Vater bereits im Sterben lag –, eine Auszeit zu nehmen und nicht mehr zu Amazon zurückzukehren.
Eine andere Mitarbeiterin erzählt davon, wie sie nach einer Behandlung wegen Schilddrüsenkrebs an ihren Arbeitsplatz zurückkehrte und ihr umgehend erklärt wurde, dass sie zu langsam sei und man ohne sie viel mehr erreicht habe. Auch sonst gibt es mehrere Berichte von Mitarbeiterinnen, die mit schlechten Bewertungen auf die interne Abschussliste gesetzt wurden, nachdem sie an Krebs erkrankt waren.
Eine weitere Mitarbeiterin wurde angeblich direkt am Tag nach einer Fehlgeburt dazu gezwungen, eine Geschäftsreise anzutreten, weil „die Arbeit trotzdem erledigt werden müsse“, wie ihr ihr Vorgesetzter mitteilte. Dies verbunden mit dem Hinweis, dass Amazon möglicherweise nicht der richtige Arbeitsplatz sei, wenn sie gerade eine Familie gründen wolle.«

Der Artikel der „New York Times“ hat umgehend erhitzte Diskussionen in der US-Tech-Branche ausgelöst. Während sich einige über diese Zustände empört zeigen, wollen andere darin kein Problem erkennen.

Auch der Big Boss von Amazon hat sich zu Wort gemeldet und seine Reaktion auf den NYT-Artikel wird so zitiert:

»Unterdessen hat Amazon-Chef Jeff Bezos mit einem internen Memo auf den Artikel reagiert. Der Artikel beschreibe nicht jenes Amazon, das er kenne. Eine solche Missbrauchskultur würde von ihm nicht akzeptiert. Insofern bitte er alle Mitarbeiter, entsprechende Vorfälle zu melden, falls sie tatsächlich vorkommen sollten.«

Aber die Diskussion bleibt nicht auf die USA beschränkt: Auch deutsche Amazon-Mitarbeiter berichten von Schikane, so die Süddeutsche Zeitung. Darin beispielsweise:

»Amazon hat auch in Deutschland keinen guten Ruf. So erstellt die Firma in ihren Versandzentren sogenannte Inaktivitätsprotokolle. In einem dieser Protokolle aus dem Jahr 2014, das der SZ vorliegt, wird einem Mitarbeiter vorgeworfen, sich „von 07.27 bis 07.36 Uhr unterhalten“ zu haben. Stefanie Nutzenberger, Vorstandsmitglied der Gewerkschaft Verdi, sagte, das System Amazon bestehe auch hierzulande aus „Arbeitshetze und Druck“. Davon zeugten extrem hohe Krankenquoten von 20 Prozent und mehr.«

Vor dem Hintergrund der zitierten angeblichen Reaktion von Jeff Bezos interessant dieser Passus: »Nach Aussagen von Mitarbeitern in den USA handelt es sich bei den Schikanen nicht um Auswüchse, vielmehr soll Firmengründer Jeff Bezos den rüden Umgang persönlich angeordnet haben. Er wird mit den Worten zitiert, zu viel Harmonie im Betrieb schade dem wirtschaftlichen Erfolg, weil selbst offensichtliche Fehlentscheidungen aus falsch verstandener Rücksichtnahme nicht beanstandet würden.«

Grundsätzlich ist es schwierig, jenseits der veröffentlichten Einzelfälle – wobei hier darauf hinzuweisen wäre, dass für den NYT-Artikel mehr als 100 ehemaligen und gegenwärtige Amazon-Beschäftigte ausführlich interviewt worden sind – eine Gesamtbewertung vorzunehmen dergestalt, dass es sich hier um ein Amazon-spezifisches Problem handelt oder nicht vielmehr um ein prominentes Abbild einer allgemeinen Unkultur in vielen Unternehmen: »Die Aussagen der Mitarbeiter geben einen Einblick in eine extreme Firmenkultur. Amazon steht dabei nicht stellvertretend für andere junge Internetfirmen, die eher mit bunten Büros und Firmenchefs in T-Shirt und Turnschuhen von sich reden machen. Allerdings sind harte Arbeit und ständige Erreichbarkeit auch in vielen Unternehmen im Silicon Valley üblich.«

Wie dem auch sei – der Artikel in der New York Times hat eine Welle ausgelöst auch in anderen Ländern. So berichtet der „Guardian“ aus Großbritannien unter der Überschrift Amazon ‚regime‘ making British staff physically and mentally ill, says union: »Employees at the e-commerce giant’s distribution centres across the UK are under pressure to be an “above-average Amazon robot”, the GMB’s lead officer for Amazon, Elly Baker, told the Times.«

Und Ella Baker von der Gewerkschaft wird weiter mit diesen Worten zitiert über die Arbeit bei Amazon:

“It’s hard, physical work but the constant stress of being monitored and never being able to drop below a certain level of performance is harsh. You can’t be a normal person. You have to be an above-average Amazon robot all the time.”

Auch wenn man davon ausgehen muss, dass die krasse Firmen“kultur“ bei Amazon keineswegs eine Singularität darstellt, sondern vielmehr regelmäßig gerade bei angelsächsischen Unternehmen beobachtet werden kann – die enorme kritische Resonanz auf entsprechende Berichte aus der Amazon-Welt ist auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass dieses Unternehmen ansonsten auch nach außen, gegenüber Konkurrenten, Zulieferern und ganzen Branchen eine absolut zerstörerische Strategie verfolgt, um auf dem Weg der monopolistischen Durchdringung fortzuschreiten. Wer so agiert, der verdient eine besondere Beobachtung und Kritik.

In diesem Blog wurde mehrfach über das Unternehmen Amazon berichtet, beispielsweise der Beitrag Die gnadenlose Effizienzmaschine hinter Amazon wird gefeiert und beklagt. Und in Polen spürt man die handfesten Folgen, wenn man ein kleines Rädchen in der großen Maschine ist vom 18. Juli 2015 oder Amazon mal wieder. Ab in den Osten und zurück mit dem Paketdienst vom 10. August 2014. Es ist eine plausible Annahme, dass sich das mit dem Berichterstattungsbedarf vorerst nicht ändern wird.

Die gnadenlose Effizienzmaschine hinter Amazon wird gefeiert und beklagt. Und in Polen spürt man die handfesten Folgen, wenn man ein kleines Rädchen in der großen Maschine ist

Amazon wurde vor genau zwanzig Jahren – natürlich stilgerecht in einer kalifornischen Garage – gegründet und ist heute ein Megakonzern mit über 150.000 Mitarbeitern und einem weltweiten Nettoumsatz von 89 Mrd. US-Dollar, 11,9 Mrd. davon in Deutschland. Während in vielen Zeitungen Artikel erschienen sind, in denen der Aufstieg des Unternehmens teils aus skeptischer Distanz, nicht selten aber auch voller Bewunderung für die aggressive Unternehmensphilosophie behandelt wurde (vgl. als nur ein Beispiel von vielen den Kommentar Service-Monster aus Seattle von Caspar Busse), hat Michael Merz sein Geburtstagsständchen überschrieben mit Kein Tag zum Feiern.
Seine kompakte Sichtweise auf die Unternehmensgeschichte verdeutlicht der folgende Passus:

»Vor genau 20 Jahren verkaufte der Amazon-Patriarch Jeff Bezos das erste Buch via Internet. Ursprünglich wollte er seine Firma »Relentless« (englisch für gnadenlos, unerbittlich) nennen, womit er wohl für mehr Authentizität gesorgt hätte. Denn rücksichtslose Expansion kennzeichnen zwei Dekaden Amazon: Westeuropäische Erlöse wurden jahrelang in Luxemburg versteuert, Autoren und Verleger mit schlechten Konditionen geknechtet, etliche Buchläden aufgrund des Preiskampfs in den Ruin getrieben.«

Der Verdrängungswettbewerb werde auch auf dem Rücken der Mitarbeiter ausgetragen, so die Perspektive der Gewerkschaft ver.di. Und über die Arbeitsbedingungen bei Amazon wurde in den zurückliegenden Jahren in den Medien durchaus kritisch berichtet.

Seit zwei Jahren befinden sich Beschäftigte im Arbeitskampf um einen Tarifvertrag. Immer wieder kommt es zu Streiks an den neun deutschen Standorten. Bislang allerdings haben diese Aktionen nicht wirklich Wirkung entfaltet (bzw. aufgrund der Bedingungen vor Ort nicht entfalten können). Ver.di will Verträge nach den Konditionen des Einzel- und Versandhandels durchsetzen. Diese werden weiterhin verwehrt. Das Unternehmen beharrt darauf, in Anlehnung an den schlechteren Logistik-Tarif zu vergüten. Lediglich kleine Verbesserungen gibt es: dezentrale Pausenräume, Klimaanlagen, Wasserspender.

Auf der anderen Seite wird von denjenigen, die Amazon weniger kritisch sehen, immer wieder darauf hingewiesen, dass in den deutschen Logistikzentren – in denen es mittlerweile überall Betriebsräte gibt – der niedrigste Einstiegslohn (in Leipzig) bei 9,75 Euro liegt und damit deutlich über dem gesetzlichen Mindestlohn – und das Amazon tatsächlich relativ vorbehaltlos auch bislang langzeitarbeitslosen Menschen eine Chance gibt. Wenn sie funktionieren, denn die Arbeit der „Picker“ und „Packer“ ist hart und die Leistungsanforderungen hoch und die Beschäftigten werden einem rigiden Controlling unterworfen. Das erklärt teilweise auch die erheblichen Schwierigkeiten der Gewerkschaft, einen Fuß in die Tür der Belegschaft zu bekommen, nicht nur, weil viele befristet arbeiten müssen, sondern gerade die vorher längere Zeit der Arbeitslosigkeit ausgelieferten Mitarbeiter von Amazon sind froh überhaupt wieder eine Beschäftigung bekommen zu haben.

Aber das Unternehmen plant vor und will zum einen gerüstet sein, wenn die Kollektivierungstendenzen in Deutschland stärker werden, vor allem aber, wenn die Kosten weiter gedrückt werden können und müssen, denn das ist in der Unternehmens-DNA von Amazon eingebrannt: Also hat man beispielsweise in der Nähe von Breslau neue Logistikzentren errichtet, die überwiegend in Deutschland lebende Kunden von Amazon bedienen und deren Beschäftigte deutlich „günstiger“ sind als die in Deutschland.

Amazon in Polen (und der Tschechei) – was da nicht was? Bereits  am 25. November 2013 konnte man in diesem Blog eine Aussicht auf das, was jetzt genauere Formen annimmt, lesen: Von „Work hard. Have fun. Make history“ bei Amazon zur Proletarisierung der Büroarbeit in geistigen Legebatterien. Streifzüge durch die „moderne“ Arbeitswelt, so ist der damalige Beitrag überschrieben worden. Dort konnte man den folgenden Passus lesen:

»Eines ist ganz sicher – die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di nervt Amazon mit ihrer impertinenten Forderung nach einem Tarifvertrag für die Beschäftigten in den deutschen Warenverteilzentren des Weltkonzerns. Deshalb lässt Amazon ja auch schon mal sicherheitshalber neue Logistik-Zentren in der Tschechei und Polen errichten – „natürlich“ auf gar keinen Fall mit der Absicht, die Arbeit dann aus dem für Arbeitgeber „anstrengenden“ Deutschland in die angenehmer daherkommenden Ostländer zu verlagern und die Standorte in Deutschland auszudünnen oder gar aufzugeben. Was natürlich nicht für die Belieferung des deutschen Marktes gilt, denn der ist richtig wichtig für Amazon, hier wird Marge gemacht und dass soll auch so bleiben – bereits 2012 hat Amazon in Deutschland 6,4 Milliarden Euro umgesetzt und damit seit 2010 um 60 Prozent zugelegt. Und geliefert werden kann auch aus Polen und der Tschechei.«

Und in einem Beitrag am 10. August 2014 musste dann nachgelegt werden: Amazon mal wieder. Ab in den Osten und zurück mit dem Paketdienst: »Und jetzt, im August 2014, wird klar, dass es bei den neuen Logistik-Zentren in unseren Nachbarstaaten natürlich nicht um die Belieferung des osteuropäischen Marktes geht bzw. wenn, dann nur sekundär, sondern um eine strategische Alternative zu diesen unbotmäßigen und übergriffigen Arbeitnehmern bzw. Gewerkschaften in den deutschen Standorten. Amazon verlangt von deutschen Verlagen, dass sie Bücher verstärkt über ausländische Versandzentren schicken, um als ein Ergebnis daraus die potenziell streikgefährdeten deutschen Logistikstandorte umgehen zu können … Dass der Versender durch seine Umgehungstaktik mittelfristig massiv Arbeitsplätze an seinen deutschen Standorten gefährdet, liegt auf der Hand. Die Löhne in Polen und Tschechien liegen teilweise um mehr als die Hälfte niedriger als in Deutschland.«
Hinsichtlich des letzten Punktes, also des Lohnkostengefälles, muss der damalige Beitrag korrigiert bzw. präzisiert werden. Denn mittlerweile wissen wir mehr über die tatsächlichen Verhältnisse vor Ort, zumindest in Polen, denn dort beginnt man auf der einen Seite zu begreifen, wofür man gebraucht wird und zugleich sprießen erste Pflänzchen der Kollektivierung auch dort.

Darüber berichtet Jörg Winterbauer in seinem Artikel Die „Versklavung“ der polnischen Amazon-Mitarbeiter: »13 Zloty pro Stunde verdienen die Arbeiter: drei Euro. Stühle gibt es nicht, dafür unbezahlte Überstunden. In Polen bekommt Amazon jetzt Ärger mit staatlichen Prüfern – und den eigenen Angestellten.«

Wie immer ist man mit großen Hoffnungen gestartet: »Als Amazon Ende 2014 seine Versandzentren in Polen eröffnete, war die Freude groß. Janusz Piechocinski, der Wirtschaftsminister, bezeichnete die Investitionen als einen „Meilenstein“ für die Wirtschaft Polens. Und Amazon kündigte an, Tausende neue Jobs zu schaffen – in Polen, einem Land mit einer Arbeitslosenquote von etwa zwölf Prozent, wurde diese Nachricht sehr positiv aufgenommen.« Und für das Unternehmen Amazon sind Breslau und Posen ideale Standorte, denn die Kombination aus unmittelbarer geografischer Nähe zu dem riesigen Markt Deutschland und sehr niedrigen Löhnen gibt es so sonst nur noch in Tschechien.
Und hier gleich die Korrektur bzw. Präzisierung des Lohngefälles aus meinem Beitrag vom 10. August 2014:

»Amazon findet in Polen Angestellte für die überwiegend sehr einfachen Tätigkeiten, die in den Amazon-Logistikzentren zu verrichten sind, zu einem Viertel des deutschen Preises: 12,50 Zloty bekommt ein einfacher Lagerarbeiter brutto in Breslau und 13 Zloty in Posen – das sind etwa drei Euro.«

Doch jetzt, nach der Eröffnung und Inbetriebnahme der drei Logistik-Zentren in Polen zeigt sich, dass Amazon Probleme mit staatlichen Behörden und unzufriedenen Angestellten bekommt. Die Staatliche Arbeitsinspektion (PIP), die in Polen die Einhaltung des Arbeitsrechts in den Betrieben kontrolliert, hat eine große Anzahl an Verstößen in Breslau aufgedeckt. Überstunden wurden nicht bezahlt oder bei Abwesenheit wegen Krankheit oder Schwangerschaft wurde – entgegen den gesetzlichen Vorschriften – kein Lohn gezahlt.

Auch »die Gewerkschaften haben unter den Angestellten von Amazon Mitglieder gewonnen und erheben ihre Forderungen. Bei Amazon in Breslau ist vor allem die Gewerkschaft Solidarnosc (Solidarität) aktiv.« Von dieser Seite wird nicht nur die – gerade im Vergleich zu Deutschland – extrem niedrige Bezahlung kritisiert, sondern auch, »dass die Hälfte der Arbeiter bei Amazon über Zeitarbeitsfirmen angestellt seien, die ihre Angestellten „wie Sklaven behandeln“.«

Und der folgende Passus verdeutlicht, dass die neuen Zentren entgegen der Unternehmenspropaganda sehr wohl in einem funktionalen Zusammenhang gesehen werden müssen mit den gewerkschaftlichen „Umtrieben“ in Deutschland und zugleich kann man aber auch eine positive Botschaft der Solidarisierung entnehmen:

»Am 24. und 25. Juni wurden die Schichten für die Arbeiter von zehn auf elf Stunden verlängert, berichtet die PIP. Zu dieser Zeit streikten Angestellte der meisten deutschen Amazon-Versandzentren. In der Nachtschicht vom 24. auf den 25. Juni gab es einen Spontan-Protest in Posen: Ein Teil der Belegschaft verlangsamte die Arbeit in der elften Stunde, um seine Unzufriedenheit mit den Arbeits- und Lohnbedingungen und die Solidarität mit den deutschen Amazon-Angestellten auszudrücken.«

Denjenigen, die mit guten Gründen die Arbeitsbedingungen bei Amazon kritisieren, mag es kein Trost sein sehen zu müssen, dass es den Beschäftigten, auch denen aus der Verwaltung bis zum Management in den USA nicht wirklich besser zu gehen scheint, was vielleicht auch mit erklären kann, warum die Forderungen von ver.di für dieses amerikanische Unternehmen „mysteriös“ daherkommen. So berichtet Christian Rickens in seinem Artikel Wie ein Unternehmen uns alle verändert hat:

»… trotz seiner Größe hat sich Amazon viel von einem Start-up bewahrt. Ein ehemaliger Mitarbeiter spottet sogar, das Unternehmen vereine von beiden Welten das Schlechteste: das Chaos, die langen Arbeitstage und die fehlenden Gewinne eines Start-ups mit der Knickerigkeit und der Bürokratie eines Konzerns.
Noch immer hausen in der Amazon-Zentrale in der Innenstadt von Seattle viele Manager in fensterlosen Arbeitsboxen, die aus rohen Spanplatten zusammengezimmert sind – Verpackungsabfälle aus den Amazon-Logistikzentren. Und weil es hier noch immer keine Kantine gibt, stauen sich um die Mittagszeit die Food Trucks zwischen den Büroklötzen. Von Gratis-Sushi wie bei Google können die Amazon-Mitarbeiter nur träumen. Flüge in der Business Class? Bei Amazon ebenso verpönt wie Powerpoint-Präsentationen.
Vielleicht trägt diese Käfighaltung der Amazon-Mitarbeiter dazu bei, dass das Unternehmen auch nach 20 Jahren nichts von seinem Wettbewerbsgeist verloren hat.«

Aber Amazon hat nicht nur hinsichtlich der Beschäftigungsbedingungen ein dickes Fragezeichen verdient, auch die Auswirkungen des Geschäftsmodells auf den stationären Einzelhandel, auf die vielen Online-Händler, die sich auf dem Amazon-Marktplatz als Heerschar kleiner Handelsameisen verdingen bis hin zu den Kunden, die die Monopolisierung wichtiger Teilbereiche des Online-Handels irgendwann einmal bezahlen werden müssen. Hinzu kommt der Boom der Paketdienste und der enorme Preisdruck, den solche „Mega-Kunden“ wie Amazon hier ausüben kann und das auch tut.

»Dass Jeff Bezos es ernst meint, wenn er, wie er einmal sagte, Geschäftspartner wie »kranke Gazellen« jagt, musste zuletzt die Deutsche Post erfahren. Am Mittwoch wurde kolportiert, Amazon sei dabei, einen eigenen Lieferservice zu installieren – für die Post wäre das ein schwerer Schlag«, so Michael Merz in seinem Artikel.

Hinsichtlich des Kampfes der Gewerkschaft ver.di kann man sich informieren über deren Sicht auf das Unternehmen Amazon auf einer eigenen Webseite unter http://amazon-verdi.de.

Ansonsten sei hier die folgende Reportage aus der Sendereihe ZDFzoom empfohlen, die einen besonderen und kritischen Blick wirft auf das „Ausbeutungssystem“ gegenüber den vielen kleinen Händlern, die sich Amazon unterwerfen (müssen):

ZDFzoom: Die Macht von Amazon. Günstig, aber gnadenlos? (17.06.2015): »Der Online-Handel boomt, allen voran: Amazon. Schon heute wird etwa ein Viertel des gesamten deutschen Onlinehandels von Amazon organisiert. Auch kaum ein Verkäufer kommt am US-Konzern vorbei. Der Grund: Amazon fährt eine Niedrigpreisstrategie, ist Preisbrecher für den Verbraucher. Doch was die Kunden freut, ist für Verkäufer bitter.«