Rente mit 70(+)? Warum die scheinbar logische Kopplung des Renteneintrittsalters an die steigende Lebenserwartung unsinnig ist und soziale Schieflagen potenziert

Da ist sie schon wieder, die Debatte über eine (erneute) Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters. Der Zyniker unter den Sozialpolitikern wird vielleicht schon den Punkt erreicht haben, die Diskutanten darauf hinzuweisen, dass man diese „Und täglich grüßt das Murmeltier“-Schleife der immer wiederkehrenden Forderung auch dadurch beenden könnte, dass die meisten von uns schlichtweg so lange arbeiten, bis sie umfallen – die radikale Lösung jeden „Rentenproblems“. Aber ernsthaft: Die aktuelle Diskussion wurde angestoßen vom 73jährigen Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), der ausgeführt hat, es mache relativ viel Sinn, die Lebensarbeitszeit und die Lebenserwartung in einen fast automatischen Zusammenhang auch in der Rentenformel zu bringen – sogleich bekam er Schützenhilfe: Junge Union für Anstieg des Rentenalters auf 70. Jeder, der etwas bewandert ist im System der gesetzlichen Rentenversicherung weiß, dass schon an dieser ersten Stelle einiges durcheinander geht. Wenn Schäuble davon spricht, das in der Rentenformel abzubilden, dann wäre das ein anderes, den „demografischen Faktor“ des früheren Bundesarbeitsministers Norbert Blüm (CDU) erinnernd, als das, was die Junge Union rausposaunt: „Um das Rentenniveau künftig nicht so weit absenken zu müssen, dass immer weniger Menschen davon leben können, sollten wir das Renteneintrittsalter an die steigende Lebenserwartung koppeln“, wird JU-Chef Paul Ziemiak zitiert. „Dies würde nur einen moderaten Anstieg des gesetzlichen Renteneintrittsalters zur Folge haben.“

Welchen Weg man auch immer wählen würde – der hier entscheidende Punkt ist die Legitimationsfolie, auf der sich diese Vorschläge bewegen. Immer geht es um die steigende Lebenserwartung. Und ist es nicht auch tatsächlich so, dass die dazu geführt hat, dass heute wesentlich länger Rente bezogen werden kann als früher? 1995 waren es im Schnitt 15,8 Jahre, 2014 bereits 19,3 Jahre bei allen Rentenbeziehern, bei Frauen sogar 21,4 Jahre. Und blickt man auf einen längeren Zeitraum zurück, dann kann man sogar feststellen, dass sich seit Anfang der 1960er Jahre die Rentenbezugsdauer verdoppelt hat. Im Durchschnitt. Und dieses Wort bekommt eine ganz eigene Bedeutung für einen kritischen Blick auf die Debatte. 

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Welches Medizinstudium soll es sein? Und wie viele sollen das machen (dürfen)? Zum „Masterplan Medizinstudium 2020“ in Zeiten der Mangels und des Überschusses

Es sind auf den ersten Blick widersprüchliche Zahlen, die einem hinsichtlich der ärztlichen Versorgung präsentiert werden: Auf der einen Seite wird darauf hingewiesen, dass die Zahl der berufstätigen Ärzte noch nie so hoch war wie heute – wie kann man da von einem „Ärztemangel“ sprechen? Auf der anderen Seite klagen zahlreichen Krankenhäuser über massive Probleme, ihre offenen Stellen besetzen zu können. Auch aus dem Bereich der niedergelassenen Ärzte kommen entsprechende Mangel-Anzeigen, viele Praxisinhaber, die derzeit in den Ruhestand gehen (wollen), finden keine Nachfolger, vor allem in den ländlichen und kleinstädtischen Regionen. Die Zahl der ärztlich tätigen Mediziner ist im vergangenen Jahr um 2,2 Prozent auf 365.247 weiter angestiegen – und gleichzeitig wird teilweise der Zusammenbruch der ärztlichen Versorgung an die Wand gemalt. Wie immer im Leben muss man differenzierter hinschauen. Denn es geht hier nicht nur um Quantitäten. Es gibt bekanntlich nicht „die“ Ärzte, sondern neben der Frage, ob wir über den Bereich Krankenhäuser oder niedergelassene Kassenärzte sprechen, muss man natürlich auch die Fachrichtung berücksichtigen, also nicht nur die große Trennlinie zwischen Haus- und Fachärzte, sondern darüber hinaus die teilweise erhebliche Spezialisierung innerhalb der fachärztlichen Strukturen.

Auf all das vorbereiten und zugleich den Nachschub liefern soll das Medizinstudium. Das ist die notwendig zu erwerbende Eintrittskarte in die Welt der ärztlichen Versorgung und nicht nur deshalb ein Schlüsselthema für die zukünftige Gesundheitsversorgung der Menschen, denn neben der Tatsache, dass Ärzte dieses Studium absolviert haben müssen, hat man auch zur Kenntnis zu nehmen, dass die gesundheitliche Versorgung in Deutschland immer noch und durchaus abweichend von der Situation in anderen Ländern extrem arztzentriert ist, man muss hinsichtlich der Kompetenzen und Funktionen von einer pyramidalen Struktur sprechen mit den Ärzten an der Spitze und zahlreichen „Heil- und Hilfsberufen“ unter der Ebene der Ärzte, die gleichsam als Zulieferer bzw. Erlediger der vom Arzt angeordneten Maßnahmen zu fungieren haben. 

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Die Armut älterer Menschen und die Wohnungsfrage. Eine Studie und viele offene Fragen

In der neueren Armutsdiskussion – beispielsweise rund um den im Februar 2016 veröffentlichten Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes und anderer Sozialverbände (vgl.  Zeit zu handeln. Bericht zur Armutsentwicklung in Deutschland 2016) – spielt das Thema Altersarmut eine wichtige Rolle. Bislang konnte man sagen, dass die Altersarmut – wenn man sie denn misst an den Einkommensarmutsgefährdungsquoten – noch nie so niedrig war wie in den zurückliegenden Jahren. Das ist durchaus auch und gerade als ein Erfolg der „alten“, umlagefinanzierten gesetzlichen Rentenversicherung als wichtigster Säule des Alterssicherungssystems zu verstehen. Aber offensichtlich verändert sich mit Blick auf diese Personengruppe einiges zu deren Ungunsten. So schreiben die Herausgeber des neuen Armutsberichts: »Hauptrisikogruppen seien Alleinerziehende und Erwerbslose sowie Rentnerinnen und Rentner, deren Armutsquote rasant gestiegen sei und erstmals über dem Durchschnitt liege.«

Auf einen ganz besonders wichtigen, in der bisherigen Diskussion über Altersarmut immer noch aber vernachlässigten Aspekt weist eine neue Studie hin, die vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) veröffentlicht worden ist: Lebenslagen und Einkommenssituation älterer Menschen. Implikationen für Wohnungsversorgung und Wohnungsmärkte, so ist sie überschrieben. Erstellt wurde sie von Analyse & Konzepte. Beratungsgesellschaft für Wohnen, Immobilien, Stadtentwicklung aus Hamburg und dem Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik (ISG) aus Köln. 

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