Die „Praxis der schnellen Stempel“. Vom Politikversagen über das Staatsversagen hin zum Organisationsversagen? Im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge schicken Mitarbeiter ihrer Leitung einen offenen Brief

Es ist unabweisbar: In der Flüchtlingsfrage herrscht ein großes Durcheinander. Das fängt an bei dem zumeist wenig hilfreichen monothematischen Dauerrauschen in den Talkshows im Fernsehen, geht über die Tatsache, dass es offensichtlich derzeit nicht möglich ist, zu sagen, wie viele und welche Menschen sich wo überhaupt in Deutschland aufhalten und geht bis hin zu der Tatsache, dass Akteure der Bundesregierung – allen voran der Bundesinnenminister – eine Überforderungs- und Wir-sollten-jetzt-das-tun-ohne-das-vorher-abzustimmen-Kakophonie erzeugen, die sicherlich nicht dazu beiträgt, dass denjenigen, die Zweifel und Ablehnung unter den Menschen verbreiten wollen, der Nachschub auszugehen droht. Im fatalen Zusammenspiel der unterschiedlichen Ebenen kann das dazu beitragen, dass das Klima deutlich rauer wird und genau das ist ja auch zu beobachten. Jede weitere Nachricht mit Chaos-Potenzial verstärkt unweigerlich diese Tendenzen. Aber das kann und darf natürlich nicht heißen, dass man deswegen real existierende Probleme totzuschweigen versucht, nur weil sie sich als ein weiterer Baustein auf dem skizzierten Weg erweisen könnten. In diesem Kontext muss ein offener Brief gesehen und bewertet werden, der von Mitarbeitern des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) an die Leitung der Behörde geschickt wurde.

In einem Brandbrief kritisieren Mitarbeiter die Zustände beim Bundesamt für Flüchtlinge. Praktikanten sollen dort über menschliche Schicksale entscheiden, die Identität von Flüchtlingen wird offenbar kaum mehr geprüft, so der Artikel Wenn der Praktikant über Asylanträge entscheidet. »Die Hauptkritikpunkte: Der Verzicht auf eine Identitätsprüfung bei vielen Flüchtlingen sei mit rechtsstaatlichen Prinzipien nicht mehr vereinbar … Dazu kommen eine viel zu schnelle Ausbildung der neuen Entscheider – Praktikanten entschieden inzwischen nach nur wenigen Tagen über menschliche Schicksale. Viel schwerer können Vorwürfe in einer Behörde kaum wiegen. Die Personalvertretung findet deutliche Worte in dem Brief … Die beschleunigten schriftlichen Asylverfahren bei Syrern, Eritreern, manchen Irakern und Antragstellern vom Balkan wiesen „systemische Mängel“ auf«, so der Artikel Mitarbeiter kritisieren Asylpraxis.

Die Identität der Menschen werde inzwischen faktisch nicht mehr geprüft. Das führe dazu, dass „ein hoher Anteil von Asylsuchenden“ inzwischen eine falsche Identität angebe, um in Deutschland bleiben zu können und auch die Familie nachholen zu können. Aus der Perspektive halbwegs ordentlicher Verwaltungsabläufe ist die vorgetragene Beschreibung der Situation gravierend:

»Um in Deutschland als syrischer Flüchtling geführt zu werden, reiche es aus, in einem schriftlichen Fragebogen an der richtigen Stelle ein Kreuzchen zu machen. Dies müsse nur noch ein Dolmetscher bestätigen.
Doch diese seien in der Regel nicht auf die deutsche Rechtsordnung vereidigt und meist kämen sie nicht einmal aus Syrien – daher könnten sie auch keine syrischen Dialekte unterscheiden, wie das Bundesamt dies vorgebe. De facto werde diesen Dolmetschern alleine die Prüfung des Asylgesuchs überlassen, kritisieren die BAMF-Mitarbeiter – ohne, dass der Asylbewerber jemals ein Pass vorgelegt habe oder von einem BAMF-Entscheider angehört worden sei. In der Akte sei dann nur ein zweizeiliger Vermerk darüber enthalten, dass keine Hinweise vorliegen, dass es sich bei dem Antragsteller nicht um einen Syrer handelt.«

Die Verfasser des offenen Briefs an den Behörden-Leiter Frank-Jürgen Weise argumentieren auf dem Boden rechtsstaatlicher Grundkomponenten: Selbst bei Vorlage eines Personaldokuments ist eine Echtheitsprüfung zwingend geboten. Doch die Warnung, dass es in Beirut regelrechte Dienstleister gebe, die Antragspakete mit gefälschten Zeugnissen und Diplomen verkauften, werde missachtet und die Entscheider seien angehalten, den Flüchtlingsstatus ohne Echtheitsprüfung zuzuerkennen.

Ein weiterer Kritikpunkt wiegt zum einen schwer, zum anderen verweist er auf vorgängige Erfahrungen, die wir in der Vergangenheit in einem anderen Feld, der Betreuung von Grundsicherungsempfängern in den Jobcentern, auch haben machen müssen: Die „Schulung“ neuer Mitarbeiter nach dem „Schnelle-Brüter-Verfahren“. Und da kennt sich der Herr Weise, weiterhin auch Chef der Bundesagentur für Arbeit, sehr gut aus.

»Ein … Kritikpunkt ist die Einarbeitung neuer Entscheider im „Hau-Ruck-Verfahren“: Kollegen der Bundesagentur für Arbeit, Praktikanten und abgeordnete Mitarbeiter anderer Behörden würden „nach nur einer drei- bis achttägigen Einarbeitung als „Entscheider“ eingesetzt und angehalten, massenhaft Bescheide zu erstellen“.
Offiziell gibt das BAMF die Einarbeitungszeit für Entscheider mit sechs Wochen an. Vor kurzem war die Einarbeitungszeit noch um ein Vielfaches länger. „Bevor die neuen Entscheider überhaupt die erste Anhörung alleine machen, haben sie eine Ausbildung von drei bis vier Monaten hinter sich“, betonte Weises Vorgänger Manfred Schmidt stets. Und dann würden sie noch nicht über komplizierte Fälle entscheiden.«

Das sind wirklich schwere Vorwürfe und sie bedürfen der schnellsten Überprüfung. Die Behörde selbst hat eine andere Sicht auf die Dinge:

»Das Bundesamt wies die Vorwürfe in dem Brief zurück. Die Identität der Antragsteller werde sehr wohl geprüft: Von allen Antragstellern würden Fotos gemacht und Fingerabdrücke genommen und die Daten unter anderem mit dem Bundeskriminalamt abgeglichen. Alle Honorardolmetscher würden zudem einer Sicherheitsüberprüfung unterzogen und ihre Qualifikation geprüft.
Die dreitägigen Schulungen hätten ausschließlich Kollegen betroffen, die früher viele Jahre als Entscheider im Einsatz gewesen seien und lediglich einer kurzen Auffrischung bedurft hätte.«

Hier muss Klarheit geschaffen werden, was denn nun stimmt.

Als wenn das alles nicht schon genug Problemhinweise sind, legt der Bundesinnenminister offensichtlich noch eine Schippe drauf: „Amt für Migration wird lahmgelegt“, so haben Karl Doemens und Daniela Vates ihren Artikel überschrieben: »Mit seinem Vorstoß, das Dublin-Verfahren wieder auf syrische Flüchtlinge anzuwenden, halst Thomas de Maizière dem überlasteten Bundesamt für Migration und Flüchtlinge noch mehr Arbeit auf.« Er hat gehandelt ohne sich in der Koalition abzustimmen, wieder einmal. Das bedeutet: Syrische Flüchtlinge könnten wieder in das Erstaufnahmeland zurückgeschickt werden – auf Weisung des Innenministeriums. Weder die Bundeskanzlerin noch Kanzleramtschef Altmaier waren über die umstrittene Änderung informiert. Entsprechend stellt Robert Roßmann seinen Bericht dazu unter die Überschrift De Maizière düpiert Merkel.

Zum Sachverhalt: Im August hatte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) mitgeteilt, dass es Syrer nicht mehr nach dem Dublin-Verfahren behandeln werde. Diese Ankündigung gilt als einer der Gründe für den Anstieg der Flüchtlingszahlen in Deutschland. Nach dem Dublin-Abkommen ist für das Asylverfahren eines Flüchtlings der EU-Staat zuständig, in dem der Schutzsuchende zuerst registriert wurde. Reist ein Flüchtling weiter, kann er in das Erstaufnahmeland zurückgeschickt werden. Bei der Aussetzung im August hatte sich das BAMF auf das „Selbsteintrittsrecht“ berufen, das im Dublin-Abkommen vorgesehen ist. Demnach kann ein Staat freiwillig Flüchtlinge aufnehmen, obwohl diese nach den Dublin-Regeln eigentlich in das Erstaufnahmeland zurückgebracht werden müssten. Seit dem 21. Oktober werde das im August ausgesetzte Dublin-Verfahren wieder auf syrische Flüchtlinge angewandt, teilte das Innenministerium am Montagabend mit. Nicht von sich aus, sondern auf Nachfrage von Journalisten.
Mit der Rückkehr zum „normalen“ Dublin-Verfahren verbunden sind Einzelfallprüfungen. Und das in einer Situation, in der – wie hier beschrieben – offensichtlich noch nicht einmal eine halbwegs normale Identitätsprüfung vollzogen wird bzw. werden kann.

Die parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion, Christine Lambrecht, wird mit dem Begriff „Phantomdiskussion“ zitiert: »Seit der neuen Anordnung de Maizières seien insgesamt gerade vier Flüchtlinge in ein anderes EU-Land zurückgeschickt worden.«

Das Bundesinnenministerium begründet die Kehrtwende damit, zumindest die „verfahrenstechnischen Gründe“ – also die Überlastung des BAMF – hätten sich geändert. Deswegen könne man zum alten Recht zurückkehren. Das ist nicht nur vor dem Hintergrund des offenen Briefs eine steile These. Man muss sich einmal verdeutlichen, über welche Dimensionen wir hier sprechen: Frank-Jürgen Weise sprach in den Sitzungen der Bundestagsfraktionen der Großen Koalition von einer Million unerledigter Anträge bis Ende des Jahres. »Mehrere SPD-Abgeordnete berichteten, auch Weise habe sich in der Fraktion von der Dublin-Entscheidung überrascht gegeben«, so Doemens und Vates in ihrem Artikel.

Die derzeitige Praxis, um wieder zurückzukommen auf die Vorwürfe, wie sie in dem offenen Brief aus dem BAMF vorgetragen werden, muss mit Blick auf die Zukunft auch noch hinsichtlich einer weiteren Baustelle kritisch gesehen werden:

»Aus Behördenkreisen heißt es …, die derzeitige Praxis der schnellen Stempel habe … noch weiter reichende Folgen: Die Vielzahl von „handwerklich schlecht gemachten Entscheidungen“ werde im nächsten Schritt auch die Verwaltungsgerichte nahezu lahmlegen.«

Die Chancen einer wirklichen Reform des Vergaberechts nutzen, um das Qualitäts- und Lohndumping bei Arbeitsmarktdienstleistungen aufzuhalten und umzukehren

Ein sperriges, aber wichtiges Thema: Die anstehende Reform des Vergaberechts und die Chance, bei den Ausschreibungen und Vergaben endlich die Qualität stärker als nur oder überwiegend den Preis zu berücksichtigen.

Gerade im Bereich der Arbeitsmarktdienstleistungen wäre es eine große Verbesserung, wenn sich die Politik durchringen würde, die Möglichkeiten eines eigenen Vergabesystems für soziale Dienstleistungen, die von der EU eröffnet wurde, auch offensiv zu nutzen, damit das in den vergangenen Jahren beobachtbare Qualitäts- und Lohndumping aufgehalten und umgekehrt werden kann. Hierzu haben sich die Gewerkschaften GEW und ver.di sowie auch der DGB zu Wort gemeldet und die Expertise „Vorschläge zu Qualitätskriterien als Kernbestandteil der Vergabe von Arbeitsmarktdienstleistungen“ veröffentlicht.

Dazu die Pressemitteilung der GEW: „Entschiedene Wende bei der Vergabe von Aus- und Weiterbildungsdienstleistungen notwendig“. Bildungsgewerkschaft veröffentlicht Expertise zu Qualitätskriterien für Arbeitsmarktdienstleistungen – Anhörung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie:

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) verlangt eine „entschiedene Wende“ der Vergabepraxis bei Aus- und Weiterbildungsdienstleistungen – im Interesse der Beschäftigten, der Lernenden und der Träger. „Gute Aus- und Weiterbildung braucht gute rechtliche Rahmenbedingungen. Bei der Vergabe sozialer Dienstleistungen müssen Kriterien der Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität die entscheidende Rolle spielen. Sie sichern eine hohe Qualität der Maßnahmen“, sagte Ansgar Klinger, für Berufliche Bildung und Weiterbildung verantwortliches GEW-Vorstandsmitglied am Montag in Frankfurt a.M. Das sei das Ergebnis der Expertise „Vorschläge zu Qualitätskriterien als Kernbestandteil der Vergabe von Arbeitsmarktdienstleistungen“, die DGB, ver.di und GEW heute mit Blick auf die Anhörung des Bundestagsausschusses für Wirtschaft und Energie veröffentlicht haben.

„Wir brauchen ein kohärentes Fördersystem, Kontinuität in der Zusammenarbeit und pädagogische Qualität. Dafür müssen langfristige Partnerschaften mit qualifizierten und verlässlichen Anbietern von Bildungsmaßnahmen abgeschlossen und die Finanzierung der Angebote sichergestellt werden. Dabei sind die nach Tarifvertragsgesetz geltenden Vereinbarungen einzuhalten“, betonte das GEW-Vorstandsmitglied. „Der Preis einer Maßnahme darf nicht länger entscheidend für den Zuschlag sein.“ Klinger machte deutlich, dass der Bundestag und die Ministerien für Wirtschaft und Energie sowie Arbeit und Soziales die Gesetze für die Vergabe von Bildungsmaßnahmen grundlegend korrigieren müssten. Grund sei die reformierte EU-Vergaberichtlinie, die für öffentliche Aufträge gilt. Dabei solle die Gewerkschaftsstudie berücksichtigt werden.

Kaum ein Bereich des Bildungswesens sei in der Vergangenheit so stark dereguliert worden wie die öffentlich finanzierte Weiterbildung, sagte Klinger. Die oft unzumutbaren Bedingungen, unter denen Lehrkräfte und Träger in Maßnahmen der Aus- und Weiterbildung arbeiten müssen, die die Bundesagentur für Arbeit vergeben hat, seien Folge politisch gewollter Weichenstellungen von 2004. Damals sei festgelegt worden, dass alle Ausschreibungen von Maßnahmen bundesweit einheitlich sein sollten. Das sei bei sozialen Dienstleistungen jedoch der falsche Weg. Der Grund: Auftraggeber erteilten dem günstigsten Anbieter den Zuschlag. „Prekäre Arbeitsbedingungen, ein Verdienst hochqualifizierter pädagogischer Arbeit auf Hartz-IV-Niveau, ruinöser Wettbewerb und Überlebenskampf der Träger sowie ein schleichender Qualitätsverfall sind die Konsequenz dieser politischen Fehlentscheidung“, unterstrich der GEW-Experte.

Info: Die GEW hatte die Expertise „Vorschläge zu Qualitätskriterien als Kernbestandteil der Vergabe von Arbeitsmarktdienstleistungen“ bei dem renommierten Arbeitsmarkt- und Bildungsforscher Prof. Stefan Sell in Auftrag gegeben. Sie ist heute als Broschüre gemeinsam von den Gewerkschaften DGB, GEW und ver.di veröffentlicht worden. Zu dem Gutachten haben die Gewerkschaften ihre Schlussfolgerungen formuliert.«

Das Gutachten im Original als PDF-Datei:

Sell, S. (2015): Qualitätskriterien als Kernbestandteil der Vergabe von Arbeitsmarktdienstleistungen auf der Grundlage der reformierten EU-Vergaberichtlinie 2014/24/EU für öffentliche Aufträge (Vergaberichtlinie) und ihrer anstehenden Umsetzung in nationales Recht in Deutschland. Frankfurt: Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft

Aber wie sieht der aktuelle Stand des Gesetzgebungsverfahrens aus und die Chancen auf substanzielle Verbesserungen? Tendenziell nicht gut, um das vorsichtig auszudrücken – und auch ein Grund, warum die Gewerkschaften jetzt deutlich Position beziehen.
»Eine neue EU-Richtlinie bietet der Bundesregierung die Möglichkeit, das Vergabeverfahren bei sozialen Dienstleistungen wie arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen maßgeblich zu verbessern. Doch statt diese Chance zu nutzen, soll im Wesentlichen alles beim Alten bleiben. Auf eine kleine Anfrage der Linken zu den Hintergründen antwortet das zuständige Wirtschaftsministerium ausweichend«, berichtet O-Ton Arbeitsmarkt in dem Artikel Soziale Dienstleistungen: Vergibt Bundesregierung Chance auf Verbesserung des Vergaberechts?

»Keine Transparenz der Preise, keine durchgängige Berücksichtigung von Qualitätskriterien, keine Relevanz von Integrationsfortschritten bei der Vergabe von Arbeitsmarktdienstleistungen. Das sind die wichtigsten Antworten, die die Fraktion der Linken im Bundestag auf ihre kleine Anfrage zur Vergaberechtsreform anlässlich einer neuen EU-Richtlinie erhalten hat.«
Hinsichtlich der Antworten aus dem Bundeswirtschaftsministerium auf die Anfrage werden in dem Artikel drei zentrale Punkte herausgearbeitet:


1. Qualitätskriterien ja, aber nur, wie und wenn die BA will»Der Einkäufer, in den allermeisten Fällen die Bundesagentur für Arbeit, kann in jedem einzelnen Fall Qualitätskriterien entwickeln, berücksichtigen und stärker gewichten, muss aber nicht. Ausweichend verweist das Wirtschaftsministerium in diesem Zusammenhang auf die noch zu erlassende Vergabeverordnung, in der Qualitätskriterien weiter konkretisiert werden sollen. Zu erwarten ist daher, dass die Durchführungsqualität, zum Beispiel die Qualität des Personals, das Betreuungskonzept, die Bezahlung der Beschäftigten oder auch die Zufriedenheit der Teilnehmer keine Berücksichtigung finden wird.«


2. Weiterhin Fixierung auf Vermittlung in Arbeit, Integrationsfortschritte bleiben unberücksichtigt»Fortschritte auf dem Weg hin zu einer Integration in Arbeit sind laut Wirtschaftsministerium nicht messbar und können daher nicht als objektive Vergabekriterien herangezogen werden. So scheinen die Integration in den Arbeitsmarkt und eine geringe Abbrecherquote alleinige Kriterien für den Erfolg einer arbeitsmarktpolitischen Maßnahme zu bleiben, auch wenn diese sich an besonders arbeitsmarktferne Menschen richtet, bei denen der erste Arbeitsmarkt nur ein Fernziel sein kann.

„Leider versteht die BA aber unter Integration auch aufstockende Arbeitsverhältnisse, kürzeste Arbeitsverhältnisse, Minijobs mit Verbleib im Leistungsbezug und ähnliche prekäre Arbeitsverhältnisse. Die Notwendigkeit mit niedrigschwelligen Maßnahmen eine Vielzahl von Langzeitarbeitslosen strukturiert an den Arbeitsmarkt heranzuführen, Teilerfolge zu verschaffen und Alltagstauglichkeit herzustellen gehört nicht zu den messbaren Zielen der BA.“, kritisiert die Linke die Haltung der Bundesregierung.«


3. Keine Transparenz der Angebotspreise durch den Einkäufer Bundesagentur für Arbeit
Die Bundesagentur veröffentlicht weder die von ihr im Vorfeld der Ausschreibung geschätzten Preise für die entsprechende Dienstleistung, noch einen potentiellen Preiskorridor. Das wäre jedoch sinnvoll, um Angebotsdumping zu vermeiden und Billiganbieter auszuschließen, die mit extrem niedrig kalkulierten Angeboten qualitativ hochwertige Bieter ausstechen. Die Bundesregierung sieht jedoch keine Notwendigkeit das zu ändern, heißt es von Seiten des Wirtschaftsministeriums, denn die Träger sollen ihre Preisgestaltung nicht taktisch an diesen Werten ausrichten.
Ich werde mit dieser ersten Bewertung in dem O-Ton Arbeitsmarkt-Artikel zitiert: „In der zusammenfassenden Betrachtung der Antwort der Bundesregierung muss man zu dem Ergebnis kommen, dass möglicherweise eine historische Chance, die durch die EU-Richtlinie eröffnet wird, nämlich die Besonderheiten der sozialen und damit der Arbeitsmarktdienstleistungen in einem eigenen Vergabesystem besser als in der Vergangenheit abzubilden, nicht genutzt wird. Es scheint, dass man die Freiheitsgrade, die Brüssel hier den Nationalstaaten eröffnet hat, verstreichen lässt und letztendlich auf dem Stand des bisherigen Vergabesystems mit geringfügigen Veränderungen stehen bleibt.“

Es bleibt zu hoffen, dass die Realität meine Einschätzung widerlegt.

Foto: © Arnfried Gläser

Auf ganz dünnem Eis: Sterben und Tod als Gegenstand gesetzgeberischen Handelns. Zuerst das Hospiz- und Palliativgesetz, direkt danach der Regelungsversuch der Sterbehilfe

Das ist kein Thema, über das sich einfach reden und schreiben lässt: Es geht um die letzte Station im Leben eines Menschen, um das Sterben und die „Hilfe“ dabei – bis hin zu einem möglichen Zwang dazu. Auf der einen Seite ist das Sterben eine zutiefst individuelle Angelegenheit, eine Einzigartigkeit wie jeder Mensch eben selbst, die sich der Verallgemeinerung und Kategorisierung mit guten Gründen widersetzt. Das gilt letztendlich auch für die Frage nach einem – selbstbestimmten!? – Umgang damit. Auf der anderen Seite geht es hier nicht nur um das unaufhebbare Einzelne, sondern immer auch um die Frage nach dem gesellschaftlichen Umgang mit dem Sterben und den Bedingungen, unter denen es sich vollzieht. Und das bezieht sich auf das „Wo“ (z.B. Klinik, Heim, zu Hause) und kann eben auch das „Wann“ und „Wie“ umfassen, wenn der Tod nicht schlagartig über den Menschen kommt. Das alles ist angstbesetzt bei jedem von uns, es löst Abwehrreflexe und Fluchtgefühle aus, aber dennoch ist es hundertausendfache Realität in unserem Land jedes Jahr und der Umgang mit den Sterbenden und dem Tod sagt eine Menge aus über den Zustand einer Gesellschaft.

Eine in diesem Zusammenhang bewegende Woche liegt hinter uns. Zuerst hat sich der Bundestag mit dem von der Bundesregierung eingebrachten Hospiz- und Palliativgesetz beschäftigt und dieses mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke verabschiedet – ein Abstimmungsergebnis, das jedem signalisiert, dass hier eine große Übereinstimmung bestanden haben muss. „Ein großer Schritt in die richtige Richtung“, so ist ein Interview mit Winfried Hardinghaus, dem Vorsitzenden des Deutschen Palliativ- und Hospizverbands (DHPV) überschrieben. Schon weitaus profaner die Überschrift des Artikels von Florian Staeck: Mehr Geld und neue Leistungen für Ärzte. »Die Aufwendungen für palliative Leistungen beliefen sich bisher GKV-weit nur auf ein Promille der gesamten Ausgaben – rund 200 Millionen Euro pro Jahr. Die genauen jährlichen Mehrkosten des Gesetzes für die Kassen sind unklar, das Gröhe-Ministerium geht von einem „unteren bis mittleren dreistelligen Millionen-Euro-Betrag“ aus.«

Begleitet wurdedie Endphase des Gesetzgebungsverfahrens durch eine Veröffentlichung der Bertelsmann-Stiftung: Palliativversorgung. Leistungsangebot entspricht (noch) nicht dem Bedarf – Ausbau erfordert klare ordnungspolitische Strategie. Daraus einige zentrale Befunde:

Die meisten Deutschen möchten zu Hause sterben, doch fast jeder Zweite stirbt im Krankenhaus. Nur jeder Dritte erhält am Lebensende die notwendige Palliativversorgung. Palliativ behandelt werden überwiegend Patienten mit Krebserkrankungen. Die ambulante Versorgung kommt den Wünschen der Bevölkerung am nächsten und sollte deshalb verstärkt ausgebaut werden.

Die Stoßrichtung der Bertelsmann-Argumentation ist eindeutig, wie man bereits der Überschrift ihrer Pressemitteilung entnehmen kann: Medizinische Versorgung am Lebensende noch zu häufig im Krankenhaus. »So sei nur wenigen Menschen bewusst, dass eine gut organisierte ambulante Palliativversorgung zu weniger Krankenhauseinweisungen kurz vor dem Tod führt«, schreibt die Stiftung. So einen Satz kann man gleichsam reformerisch lesen, im Sinne eines Plädoyers, den Wünschen und Bedarfen der Menschen besser zu entsprechen, man kann allerdings auch die Vermutung vortragen, hier geht es erneut am Ende nur darum, die mit dieser „Fehleinweisung“ in das Krankenhaus die dort anfallenden höheren Kosten zu senken.Aber es gibt auch aus der möglichen Betroffenen-Sicht Zweifel an der Ambulantisierungsforderung der Stiftung:

»Nicht immer ist die ambulante Versorgung Todkranker der stationären vorzuziehen – auch wenn es die Bertelsmann-Stiftung suggeriert«, so Adelheid Müller-Lissner  in ihrem Artikel Hilfe am Lebensende. Auf der einen Seite bestätigt sie die Thesen der Stiftung: »Dass bundesweit nur 30 Prozent der Sterbenskranken palliativmedizinisch versorgt werden, spricht auf jeden Fall für eine deutliche Unterversorgung. Und Berlin schneidet hier in der Datensammlung der Stiftung besonders schlecht ab.«Dann aber weist sie am Beispiel Berlin auf einen (scheinbaren) Widerspruch hin:

»Denn bei der Spezialisierten Ambulanten Palliativ-Versorgung (SAPV), auf die Kranke ein Anrecht haben, wenn ihr Leiden in absehbarer Zeit zum Tod führen wird und seine Behandlung besondere Fachkompetenz erfordert, steht Berlin recht gut da. Und hier war die Hauptstadt auch Vorreiter. Schon 1992 wurde die häusliche Versorgung unheilbar Krebskranker als Pilotprojekt in einer onkologischen Schwerpunktpraxis eingeführt. Der gemeinnützige Verein Home Care Berlin organisiert und berät seit fast 23 Jahren unermüdlich. „Wir stoßen allerdings mit der Versorgung in Berlin an unsere Grenzen, weil die Patientenzahl ständig steigt“, sagt die Geschäftsführerin Simona Blankenburg.

Waren es im Jahr 2011 noch 4.304 Sterbenskranke, die in Berlin von 87 Ärzten mit SAPV-Zulassung zu Hause behandelt wurden, so sind es im letzten Jahr schon 5.622 gewesen, aber nur fünf Ärzte mehr. Auch Pflegekräfte, die sich mit der ambulanten Palliativpflege fachlich auskennen, sind rar und angesichts ihrer anspruchsvollen Aufgaben und des 24-Stunden-Bereitschaftsdienstes schlecht bezahlt. „Wir haben jeden Tag Anrufer am Telefon, die nicht versorgt werden können“, sagt Blankenburg. „Unsere Mitarbeiter sind an der Leistungsgrenze.“«

Interessanterweise verweist die Geschäftsführerin des SAPV-Vereins darauf, dass sie den Verweis auf die Klinik als Plan B, weil man die Menschen wegen der Überlastung nicht ambulant betreuen kann, mittlerweile mit einem wesentlich besseren Gefühl machen kann: „Hier hat sich in den letzten Jahren wirklich etwas zum Guten verändert.“ »In den Palliativstationen, die häufig den Abteilungen für Krebsmedizin zugeordnet sind, sind die Zimmer wohnlicher als im übrigen Gebäude, alle modernen Therapien stehen bei Bedarf zur Verfügung, die Ärzte und Pflegekräfte sind auf die Bedürfnisse von Menschen in der letzten Lebensphase spezialisiert, die Angehörigen dürfen rund um die Uhr da sein.«

Wie immer im Leben gibt es weitaus mehr als Schwarz oder Weiß. »„Es gibt Krankheits-Verläufe und persönliche Umstände, die es schwierig oder sogar unmöglich machen, die letzte Lebensphase im häuslichen Umfeld zu verbringen“, sagt die Anästhesistin und Schmerzspezialistin Myriam Kaiser, die im Vivantes-Klinikum Spandau auf der Palliativstation arbeitet. Wer in gesunden Tagen befragt werde, könne sich das oft noch nicht vorstellen. Ihrer Erfahrung nach fühlen sich einige Sterbenskranke durchaus in der Rund-um-die-Uhr-Sicherheit des Krankenhauses geborgen und empfinden es für sich als passender, dort statt zu Hause gepflegt zu werden. Oder sie möchten in der letzten Lebensphase in einem Hospiz betreut sein.«

Letztendlich geht es doch um eine möglichst gute palliativmedizinische Versorgung der Sterbenden. Die kann allgemein-ambulant zu Hause erfolgen (also in Begleitung des Hausarztes), spezialisiert-ambulante durch Profis der SAPV, in einem Hospiz, einem Pflegeheim oder Krankenhaus. Der Ort ist das eine, wohl weitaus bedeutsamer ist die Frage, ob die palliativmedizinische Versorgung wirklich alle Potenziale ausschöpfen kann, die sich grundsätzlich heute zur Verfügung hat. Dazu gehört selbstverständlich – oder leider eben nicht – eine würdevolle Sterbebegleitung mithilfe der schmerzlindernden Medikamente, die man zur Erfüllung hat. Leider wird immer noch berichtet, dass manche Ärzte aufgrund der rechtlichen Rahmenbedingungen zu restriktiv sind bei der Nutzung dieser wichtigen Begleitung. „Wir haben in Deutschland noch immer ein gestörtes Verhältnis zu Schmerzmitteln“, so der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, berichtet Rainer Woratschka in seinem Artikel Ärztepräsident warnt vor Euthanasie. Darüber sollte viel mehr diskutiert werden.

Nur einen Tag nach der Befassung mit dem Hospiz- und Palliativgesetz stand dann eines der großen gesellschaftspolitischen Themen auf der Tagesordnung des Bundestages – die Neuregelung der Sterbehilfe. Das Ringen um den selbstbestimmten Tod, so ist einer der Artikel vor der parlamentarischen Auseinandersetzung über mehrere – fraktionsübergreifende – Anträge überschrieben worden, in dem man eine Übersicht über die unterschiedlichen Anträge findet. Monatelang haben Ethiker, Mediziner, Verbände und Abgeordnete über Parteigrenzen hinweg diskutiert, kritisiert und an Entwürfen gefeilt. Zur Diskussion und Abstimmung standen vier Gruppenanträge. Sie reichen vom generellen Verbot der Sterbehilfe bis zu einer weitgehenden Straffreiheit.

Ausgangspunkt: Die bisherige Rechtslage stellt Beihilfe zum Suizid in Deutschland nicht unter Strafe. Über »alle Parteigrenzen hinweg (ist) unumstritten, dass die Neuregelung das Geschäft mit dem Sterben in Deutschland verhindern soll. Das betrifft vor allem Organisationen oder Vereine wie den des ehemaligen Hamburger Senators Roger Kusch, der mit Sterbehilfe beabsichtigt, Geld zu verdienen. Zwar ist aktive Sterbehilfe in Deutschland nicht erlaubt. Dazu gehört etwa, einem Patienten ein todbringendes Mittel einzuflößen. Aber die Assistenz zum Suizid ist legal – wer einem Kranken hilft, sich ein tödliches Mittel zu verschaffen, wird nicht bestraft.«

Über den angesprochenen Roger Kusch mit seinem Verein Sterbehilfe Deutschland wurde bereits am 13. Juni 2015 in dem Beitrag Die Schweiz als letztes Asyl für Sterbehelfer auf der Flucht vor Verfolgung in Deutschland? Oder geht es um todbringende Geschäftemacher, die ihr Business retten wollen? berichtet.

Nunmehr ist die Entscheidung im Bundestag gefallen: Bundestag legt Sterbehilfevereine an die Kette, hat Florian Staeck nach der Abstimmung getitelt und fügt gleich an: »Mit klarer Mehrheit votiert der Bundestag für ein Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe. Spannend wird die Rechtsanwendung dieses Gesetzes werden.« Offensichtlich scheint es ein Problem zu geben. Das kann eigentlich nicht darin bestehen, dass man „gewerbsmäßige Sterbehilfe“ unter Strafe stellen will – wer kann dagegen etwas haben? Man kann nicht ernsthaft legalisieren, eine Geschäftsmodell mit dem Tod zu ermöglichen.

Der Entwurf der Abgeordneten Michael Brand (CDU) und Kerstin Griese (SPD) hatte sich bereits in der zweiten Lesung mit 309 Stimmen klar gegen die anderen drei Gesetzentwürfe durchgesetzt. Damit ist das „Gesetz zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung“ verabschiedet.

Im neuen Paragrafen 217 Strafgesetzbuch heißt es künftig: „Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“

Und wo soll jetzt ein Problem liegen? »Juristen wie Katarina Barley (SPD) wiesen darauf hin, dass Staatsanwaltschaften auch bei nur einmaliger Sterbehilfe durch einen Arzt nach dem Gesetz ermitteln müssten. Das wurde von anderen Rednern in Abrede gestellt«, berichtet Staeck in seinem Artikel. Aber selbst der Hinweis, dass sich die Strafverfolgung seitens des Staates doch nur auf „aggressive Sterbehilfevereine“ beziehen würde, ging dem einen oder anderen Parlamentarier zu weit: So die Abgeordnete Dagmar Wöhrl (CDU), die betonte, »Bürger empfänden ein Verbot der organisierten Sterbehilfe als „illegitimen Übergriff des Staates“. Sie bezweifelte, dass Abgeordnete überhaupt das Recht hätten, „ohne Not“ in die Entscheidung Todkranker einzugreifen.«

Aber auch wenn man nicht so eine weitreichende Position vertritt – bereits im Vorfeld gab es verfassungsrechtliche Bedenken auch gegen den nunmehr erfolgreichen Entwurf einer gesetzlichen Regelung des Verbots der „gewerbsmäßigen Sterbehilfe“ seitens der Juristen des Bundestags selbst. Ende August wurde man mit solchen Meldungen konfrontiert: Bundestagsjuristen beanstanden Gesetzentwürfe. Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestags sieht einen möglichen Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot des Grundgesetzes. Denn es werde nicht klar, wie die geplante Unterscheidung zwischen einer verbotenen geschäftsmäßigen Suizidhilfe mit Wiederholungsabsicht und einer erlaubten Sterbehilfe im Einzelfall aus selbstlosen Motiven getroffen werden könne. Hier muss man also wieder einmal, wie so oft bei juristischen Fragen, um die Ecke denken:»Die Juristen verweisen demnach dabei auf Palliativmediziner in Hospizen sowie Ärzte auf Intensivstationen. Diese Ärzte „könnten regelmäßig aus einem ohnehin bestehenden Behandlungsverhältnis dazu übergehen, ihre Patienten auch hinsichtlich der Sterbehilfe zu beraten und Medikamente zu verschreiben“. Sofern diese Ärzte „auf die Wünsche ihrer Patienten eingingen, wäre schnell die Schwelle erreicht, bei der auch das Leisten von Sterbehilfe zu einem wiederkehrenden Bestandteil ihrer Tätigkeit würde“ … Somit wäre es unmöglich, bei diesen Ärzten zwischen dem erlaubten Einzelfall und der strafbaren Wiederholungsabsicht zu unterscheiden, lautet … die Warnung der  Bundestagsjuristen.«

Das Problem liegt also beim Wort „geschäftsmäßig“. Das Wort meint auf Wiederholung angelegtes, organisiertes Handeln von Vereinen und Einzelpersonen. Das Verbot würde also auf Gewinn orientierte, gewerbsmäßige Suizidbeihilfe erfassen – sich aber nicht auf diese beschränken. Und das könnte ein Problem werden, je nach Rechtsanwendung.

Das Thema wurde auch wieder kurz vor der Abstimmung im Bundestag von den Medien aufgegriffen, so beispielsweise von Tobias Peter in seinem Artikel Wird Sterbehilfe für Ärzte strafbar? Er zitiert den Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach von der SPD, der davor warnt, »wenn der Entwurf von Brand und Griese Gesetz würde, dann werde kein Arzt mehr solchen Patienten helfen. Fraglos sei das Handeln eines Arztes geschäftsmäßig in dem Sinn, dass es sich wiederholen könne.«

Zum jetzigen Zeitpunkt kann man auf diese mögliche Fallgrube nur hinweisen – es wird auf die Rechtsauslegung ankommen. Hier sind wir – wie auf hoher See – auch vor Gericht bekanntlich in Gottes Hand.

Natürlich gibt es auch Kommentatoren, die sich daran stören, dass der Gesetzgeber eine Unterscheidung machen will zwischen „guter“ und eben „schlechter“, weil gewerbsmäßiger Sterbehilfe macht. Beispielhaft dafür die Position von Christian Geyer-Hindemith: Selbstbestimmung und Tötungsaffekt, so hat er seinen Beitrag überschrieben. Er sieht überall aus seiner Perspektive problematische „Paternalismen“ wirken:»Aber warum soll sich die Verwerflichkeit der Suizidbeihilfe eigentlich an ihrer Geschäftsmäßigkeit festmachen? Warum soll in einer Gesellschaft, die sich einer liberalen, auf Qualitätssteigerung ausgerichteten Marktwirtschaft verschreibt, die Suizidbeihilfe – sofern man sie als solche gutheißt – nicht kommerzialisiert und organisiert werden? … Warum etwa soll Suizidbeihilfe, einmal erlaubt, nur bei einer unheilbaren, zum Tode führenden Erkrankung zulässig sein? Spricht aus dieser Restriktion nicht eine Fremdbestimmung, die man gerade vermeiden will? Was ist mit psychischen Leidenszuständen? Mit welchem Recht will man sie von einer Suizidbeihilfe ausschließen, die man prinzipiell befürwortet?«

Wir bewegen uns auf ganz dünnem Eis bei diesem Thema. Im Umfeld der Abstimmung im Bundestag ist eine Vielzahl von Artikeln erschienen, die sich ablehnend mit dem ganzen Ansatz eines wie auch immer legalen assistierten Suizids beschäftigt haben. Nur drei Beispiele: Lasst die Finger davon, ein Gastbeitrag in der FAZ, in dem Thomas Sören Hoffman die These aufstellt: »Eine Tötungslizenz wäre die letzte biopolitische Enthemmung.« Stephan Sah hat seinen Beitrag überschrieben mit Ein unmoralisches Angebot. Mit Blick auf die Befürworter der ärztlichen Beihilfe zum Suizid behauptet er: Oft erweist sich genau das Gegenteil dessen als richtig, was auf den ersten Blick keinen Widerspruch duldet.« Und Jürgen Kaube hat sich mit einem Artikel unter der Überschrift Kein Wille geschehe zu Wort gemeldet: »Schmerz, Qual, Krankheit und Tödlichkeit hängen in vielen Fällen nicht zusammen. Der Wunsch nach Selbsttötung bleibt etwas Furchtbares. Es gibt hier kein kleineres Übel.«

Nachdenkliche Stimmen kommen aus der Hospizbewegung: »Die Vorstellung eines schmerzfreien Todes ist naiv. Der assistierte Suizid könne „ein Werk der Barmherzigkeit“ sein«, schreibt Joachim Frank in seinem Artikel Das „schöne Sterben“ ist eine Illusion. Praktiker aus der Hospizarbeit warnen vor übertriebenen Hoffnungen auf die Palliativmedizin, womit wir wieder und abschließend beim Eingangsthema dieses Beitrags angekommen wären. Der Vorsitzende des Hospizvereins Leverkusen, Peter Cramer, wird mit diese Worten zitiert: „Zur Achtung der Menschenwürde gehört es auch, sich dem Sterbewunsch eines Patienten – und Möglichkeiten ärztlicher Begleitung – nicht kategorisch zu verweigern.“ Der assistierte Suizid könne „ein Werk der Barmherzigkeit“ sein, so Cramer weiter, der als engagierter Katholik an der Spitze des überkonfessionellen Hospizvereins steht. „Es gibt Patienten, bei denen wir angesichts ihrer Schmerzen darum beten, dass sie bald von ihren Leiden erlöst werden. Die rigoristische Position zum assistierten Suizid, wie sie teils auch von den Kirchen vertreten wird, ist unhaltbar.“

Und eine langjährige Sterbebegleiterin eines kirchlichen Hospizes: »Die Vorstellung vom „schönen Sterben“ im Hospiz unter der Obhut der Palliativmedizin sei eine Illusion. „Auch bei uns sterben Menschen unter größten Qualen, auch bei uns schreien Patienten stundenlang aus Panik und Angst vor dem Tod, bis am Ende ein Arzt kommt und ihnen so starke Medikamente gibt, dass sie kurz danach sterben.“ Darüber werde öffentlich aber kaum geredet.«

Wie gesagt, wir bewegen uns auf ganz dünnem Eis.

Das ist kein Thema, über das sich einfach reden und schreiben lässt: Es geht um die letzte Station im Leben eines Menschen, um das Sterben und die „Hilfe“ dabei – bis hin zu einem möglichen Zwang dazu. Auf der einen Seite ist das Sterben eine zutiefst individuelle Angelegenheit, eine Einzigartigkeit wie jeder Mensch eben selbst, die sich der Verallgemeinerung und Kategorisierung mit guten Gründen widersetzt. Das gilt letztendlich auch für die Frage nach einem – selbstbestimmten!? – Umgang damit. Auf der anderen Seite geht es hier nicht nur um das unaufhebbare Einzelne, sondern immer auch um die Frage nach dem gesellschaftlichen Umgang mit dem Sterben und den Bedingungen, unter denen es sich vollzieht. Und das bezieht sich auf das „Wo“ (z.B. Klinik, Heim, zu Hause) und kann eben auch das „Wann“ und „Wie“ umfassen, wenn der Tod nicht schlagartig über den Menschen kommt. Das alles ist angstbesetzt bei jedem von uns, es löst Abwehrreflexe und Fluchtgefühle aus, aber dennoch ist es hundertausendfache Realität in unserem Land jedes Jahr und der Umgang mit den Sterbenden und dem Tod sagt eine Menge aus über den Zustand einer Gesellschaft. 

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