„Mit Quickies kommen wir nicht weiter“. Flüchtlinge, Jobcenter und der Arbeitsmarkt

Nach Ansicht der Ökonomen wird 2016 die lange Phase sinkender Erwerbslosigkeit enden. Das liegt vor allem an den hohen Flüchtlingszahlen, so Stefan Sauer in seinem Artikel mit der harten Überschrift Konkurrenz um Billigjobs nimmt wegen Flüchtlingen zu. Der erwartete Anstieg resultiert vor allem aus den vielen Flüchtlingen, die meist ohne Sprachkenntnisse und kaum kompatibler Berufsausbildung zunächst in der Arbeitslosigkeit landen. Höchstens zehn Prozent der anerkannten Asylbewerber im Erwerbsalter werden in kurzer Zeit eine Stelle finden,  prognostizieren Arbeitsmarktexperten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) und des Instituts  für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), so Sauer. Daran anknüpfend hat sich eine – typische – Ökonomen-Debatte entwickelt, die vor allem von Befürwortern einer neuen Deregulierungswelle vorangetrieben wird: »Ihr Kernargument lautet: Nur wenn gesetzliche Hürden abgebaut werden, haben Flüchtlinge Aussichten auf baldige Einstellung.« Da verwundert es nicht, dass in diesem Kontext sogleich eine der letzten Regulierungsschritte auf dem deutschen Arbeitsmarkt – also die Einführung des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns zum 1. Januar 2015 – teilweise bzw. auch ganz wieder zur Disposition gestellt wird.

Der Deutsche Landkreistag regte unlängst an, in den ersten drei Monaten nach der Anstellung sollten Firmen Flüchtlinge weniger als die gesetzlich vorgeschrieben 8,50 Euro pro Stunde zahlen dürfen (vgl. Landkreistag fordert zeitlich begrenzte Ausnahmen vom Mindestlohn für Flüchtlinge). Der Wirtschaftsrat der CDU sprach sich ebenfalls für befristete Ausnahmen beim Mindestlohn aus. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) plädiert dafür, den Mindestlohn in Einstiegs- und Qualifizierungsphasen auszusetzen (vgl. Haseloff fordert Ausnahmen vom Mindestlohn für Flüchtlinge).

Am konsequentesten argumentiert mal wieder Hans-Werner Sinn vom ifo-Institut in München. Schon am 14. September ließ er uns wissen: Ohne Abstriche beim Mindestlohn finden viele Zuwanderer keine Arbeit. Er bleibt in der klassischen Denkweise, die schon im Vorfeld des Mindestlohngesetzes dazu geführt hat, dass er und sein Institut vehement gegen den gesetzlichen Mindestlohn argumentiert haben. Man bewegt sich im idealtypischen Modell von Angebot und Nachfrage, die durch den Preisbildungsmechanismus schon zum Ausgleich gebracht werden. Und wenn wir nach dieser Logik mit einem (Arbeits)Angebotsüberschuss an schlecht bis gar nicht qualifizierten Flüchtlingen konfrontiert sind, dann muss man eben deren Preis absenken, um die Nachfrage nach ihnen zu erhöhen. Im Original liest sich das dann so:

»Auch wenn die Produktivität vieler Asylsuchender wegen der Sprachprobleme und der eher schlechten Ausbildung vorläufig noch gering ist, ist sie doch keineswegs null … Um die neuen Arbeitskräfte in den regulären Arbeitsmarkt zu integrieren, wird man den gesetzlichen Mindestlohn senken müssen, denn mehr Beschäftigung für gering Qualifizierte gibt es unter sonst gleichen Bedingungen nur zu niedrigerem Lohn. Nur bei einem niedrigeren Lohn rutschen arbeitsintensive Geschäftsmodelle über die Rentabilitätsschwelle und finden sich Unternehmer, die bereit sind, dafür ihr Geld einzusetzen.«

Dass der Arbeitsmarkt eben nicht so einfach tickt, wie es sich die Anhänger dieses – nun ja – vulgärokonomischen Modells zu denken scheinen, soll hier gar nicht diskutiert werden. Aber an einem Punkt muss man Sinn durchaus zustimmen, wenn man sich auf seine Logik einlässt: Er argumentiert in neueren Veröffentlichungen, z.B. im Handelsblatt vom 20. Oktober 2015, dass es keinen Sinn macht, den Mindestlohn nur für Flüchtlinge abzusenken, denn dann würde eine neue Verzerrung zuungunsten der Nicht-Flüchtlinge auf dem Arbeitsmarkt und bei den Einstellungsentscheidungen produziert werden.

»Die billigeren ausländischen Arbeitskräfte würden einheimische Arbeitnehmer, die weiterhin mit 8,50 Euro zu entlohnen wären, allzu häufig in die Arbeitslosigkeit verdrängen. Die Gesamtbeschäftigung im Segment der Niedrigqualifizierten bliebe weiterhin durch den zu hohen Mindestlohn fixiert«, schreiben Michele Battisti und Gabriel Felbermayr in ihrem die Position von Sinn stützenden Artikel Migranten im deutschen Arbeitsmarkt: Löhne, Arbeitslosigkeit, Erwerbsquoten (S. 46).

Also muss der Mindestlohn für alle weg. Wenn schon, denn schon.

Offensichtlich bewegen wir uns hier auf verminten Gelände. Die nächste Welle der Deregulierung steht bevor, so haben Christoph Deutschmann und Roland Springer ihren Artikel dazu überschrieben. Obgleich die beiden sehr skeptisch sind, was die Erwartungen der Arbeitsmarktintegrationsoptimisten angeht – sie gehen davon aus, dass »der gegenwärtige (und der politisch gewollte künftige) Bevölkerungszustrom eine Situation (schaffen wird), in der ein begrenztes Angebot an Arbeitsplätzen im niedrig qualifizierten Industrie- und Dienstleistungssektor auf eine stark zunehmende Nachfrage stößt. Selbst prekäre Jobs und Ausbildungsplätze werden wie nie zuvor gefragt sein, weil viele Migranten alles tun werden, um einen Fuß in die Tür des deutschen Arbeitsmarktes zu bekommen. Die Konkurrenz zwischen Einheimischen – inklusive der hier ansässigen Migranten, die viele Randarbeitsplätze ja schon besetzen – und Zuwanderern wird sich dann fühlbar verschärfen, nicht nur am Arbeits-, sondern auch am Wohnungsmarkt.«
Darüber hinaus:

»Für Arbeitgeber ergibt sich daraus eine Traumkonstellation: Nicht nur ist oft mit einer im Vergleich zu den Einheimischen höheren Leistungsbereitschaft vieler Migranten zu rechnen, wie auch die Erfahrungen in älteren Einwanderungsländern lehren. Auch die Löhne werden sinken und der Mindestlohn als Vorzeigeprojekt der SPD könnte bald zur Disposition stehen, wenn es um die Frage geht, ob 8,50 € Stundenlohn nicht die Beschäftigung von Flüchtlingen behindern.«

Bei einer solchen Konfiguration macht es natürlich gar keinen Sinn, wenn man die Abschaffung des Mindestlohns nur auf die Flüchtlinge begrenzen würde, denn zum einen würde dies deren „Wettbewerbsvorteil“ beispielsweise gegenüber einheimischen Langzeitarbeitslosen durch die Bereitschaft, (fast) alles zu tun, nochmals potenzieren und zum anderen würde das Sinn’sche Ziel, durch eine generelle Abschaffung der staatlich gesetzten Lohnuntergrenze die Arbeitsnachfrage im Niedrigstlohnbereich auszudehnen, nicht erreicht werden können.

Nun kann man ja den ganzen Ansatz von Sinn & Co. durchaus kritisch sehen. So auch der Arbeitsmarktforscher Karl Brenke vom DIW, den Stefan Sauer in seinem Artikel so zu Wort kommen lässt:

„Kein Gastwirt wird die Geschirrspülmaschine abschaffen, um Flüchtlinge als Tellerwäscher einzustellen, nur weil er für sie den Mindestlohn nicht zahlen müsste.“  Zum zweiten seien die massenhaften Jobverluste, die etwa Ifo-Chef Sinn vor Einführung des Mindestlohns vorausgesagt hatte, ausgeblieben.  „Daraus lässt sich ableiten, dass umgekehrt auch ein Aussetzen des Mindestlohns keine großen Effekte haben wird und also keine zusätzlichen Jobs entstehen.“

Und wie sieht es derzeit wirklich aus, soweit man das angesichts der in mehrfacher Hinsicht unklaren Gefechtslage überhaupt genau beschreiben kann? Das IAB der Bundesagentur für Arbeit veröffentlicht regelmäßig einen Zuwanderungsmonitor, der einen Zahleneindruck vermitteln kann. Die Oktober-Ausgabe ist zusammengefasst in dem Artikel Flüchtlinge haben schlechte Jobchancen. Daraus einige interessante Punkte:
Das IAB rechnet für dieses Jahr mit 324.000 Asylbewerbern im erwerbsfähigen Alter, im Jahr 2016 mit 610.000. Die Forscher unterstellen dabei für beide Jahre einen Zustrom von jeweils einer Million Flüchtlingen. Für 2016 geht das IAB von einem Anstieg der Arbeitslosigkeit um 130.000 aus – man muss wohl anfügen: der registrierten Arbeitslosigkeit, der Hartz IV-Bezug wird deutlich größer ausfallen.

»IAB-Untersuchungen haben ergeben, dass im ersten Jahr im Schnitt lediglich acht Prozent der 15 bis 64 Jahre alten Flüchtlinge in Deutschland eine Arbeit gefunden haben. Und selbst nach fünf Jahren hatte nur jeder zweite Flüchtling einen Job, nach zehn Jahren waren es 60 Prozent und nach 15 Jahren knapp 70 Prozent. Immerhin, so betonen die Arbeitsmarktforscher, haben Flüchtlinge langfristig ähnlich gute Jobchancen in Deutschland wie Inländer – wenn sie nur ausreichend lang in Deutschland leben.«

Auch die Beschäftigungssegmente, in denen sich die Flüchtlinge konzentrieren, sind nicht überraschend:

»Branchenbezogenen unterscheiden sich die Beschäftigungschancen von Migranten aus Kriegs- und Krisenländern deutlich von denen der übrigen Beschäftigten. Jeder vierte Flüchtling aus einem Krisenland stammende Beschäftigte arbeitet in Hotels und der Gastronomie. Jeder fünfte ist als Lagerist, Fahrer oder im Handel beschäftigt. Auch einfachere Tätigkeiten etwa als Gebäudereiniger oder Wachmann werden im Vergleich zu deutschen Beschäftigten weitaus häufiger von Flüchtlingen ausgeübt.«

Die vergleichsweise geringe Qualifikation, aber auch die Sprachprobleme vieler Flüchtlinge wird dafür verantwortlich gemacht. Auch von dieser Seite muss man also skeptisch an die Frage herangehen, ob eine nennenswerte Arbeitsmarktintegration zu nicht massiv verzerrenden Bedingungen schnell möglich sein wird. Das wird dauern. Und nur anteilig gelingen, wenn das zentrale Nadelöhr – also die Sprachkenntnisse – so schnell und intensiv wie möglich angegangen wird und daran anschließend möglichst viele gerade der jungen Flüchtlinge in eine ordentliche Ausbildung gebracht werden. Das aber wird zusammengenommen gut und gerne mehrere Jahre in Anspruch nehmen. Denn auch die von manchen Beschleunigern in die Diskussion geworfenen Kurzzeit-Ausbildungen müssen als Irrweg betrachtet werden (vgl. dazu den Artikel „Sie hätten auf dem Arbeitsmarkt kaum eine Chance“ von Florian Diekmann über Kurzausbildungen für Flüchtlinge).

Und wir sollten an dieser Stelle nicht vergessen, dass viele der Flüchtlinge im kommenden Jahr in großer Zahl im Hartz IV-System und damit in den Jobcentern, aufschlagen werden. Hierzu ein aufschlussreiches Interview mit Thomas Lenz, dem Vorstandsvorsitzenden des Jobcenters Wuppertal: „Sie sind alle hochmotiviert“. Das Gespräch verdeutlicht auch, was an zusätzlichen Belastungen auf die Jobcenter – die ja schon bislang enorm unter Druck waren und sind – zukommen wird. Auf die Frage, um wie viele Menschen es in Wuppertal geht, antwortet Lenz:

»Rund 900 so genannte geduldete Personen, deren Asylantrag bereits abgelehnt worden ist, die aber aus humanitären Gründen bleiben dürfen. Dazu kommen monatlich zwischen 200 und 400 anerkannte Asylbewerber, die meisten von ihnen sind Syrer. Im Oktober 2014 waren bei uns 460 Syrer registriert, jetzt sind es 1.448 alleine aus dieser Personengruppe und die Zahl wird weiter ansteigen. Denn wer anerkannt ist, darf seine Familie nachholen. Wir laufen uns gerade erst warm, denn wenn das Asylverfahren beschleunigt wird, kommen pro Jahr 2.000 bis 4.000 dazu.«

Damit einher geht eine enorme Verschiebung dessen, womit sich die Jobcenter auseinandersetzen müssen: Früher »kamen vielleicht eine Handvoll Menschen, die aber meist schon lange in Deutschland lebten, die Sprache beherrschten und in einem sozialen Umfeld eingebunden waren. Heute sind es traumatisierte Menschen, die zum Teil schreckliche Erfahrungen auf der Flucht gemacht haben, die Angst um ihre Familien haben, mit denen wir uns kaum verständigen können, trotz Dolmetscher, da viele nur bestimmte Dialekte beherrschen.«

Was das für die Arbeitsmarktpolitik bedeutet bzw. bedeuten müsste, kann man der folgenden Aussage entnehmen: Hinsichtlich der schulischen und beruflichen Qualifikation der neuen „Kunden“ der Jobcenter berichtet Lenz:

»… klar gibt es den syrischen Architekten oder die Ärztin, aber das ist die Ausnahme. Viele Flüchtlinge sind noch sehr jung. Diese Menschen haben die letzten Jahre unter Kriegsbedingungen gelebt, in Syrien gibt es kein funktionierendes Ausbildungs- oder Schulsystem mehr. Wer einen Abschluss oder einen Beruf erlernt hat, dem fehlen die Nachweise, die auf der Flucht verloren gegangen sind. Diese Klientel ist nicht nach einem Bewerbungstraining fit für den Arbeitsmarkt, dafür brauchen wir langfristige Maßnahmen und Sprachkurse.«

Das ist der Punkt und Lenz wird hier deutlich, als er nach geplanten Qualifizierungsmaßnahmen gefragt wird: „Mit Quickies kommen wir nicht weiter“. Und weiter: »Bei den Weiterbildungsmaßnahmen bauen wir Sprachmodule ein, wir wollen diese Menschen nicht parken, bis sie einen Platz in einem Sprachkurs finden.« Auf die naheliegende Frage, warum denn das Jobcenter nicht selbst das Nadelöhr Sprachkenntnisse mit Sprachkursen angeht, bekommt man eine Antwort, die wieder einmal verdeutlicht, was sich endlich ändern muss: »Wir dürfen es nicht. Bisher sieht man den klassischen Arbeitslosen als einen Menschen an, der vorübergehen seinen Job verloren hat. Mit einigen Qualifizierungsmaßnahmen sollen wir ihn wieder fit für den ersten Arbeitsmarkt machen. Das funktioniert jedoch in vielen Fällen nicht.«

So ist das. Bleibt noch anzumerken: Obwohl wir wissen, dass im kommenden Jahr mehrere hunderttausend Flüchtlinge im Hartz IV-System aufschlagen werden, wissen die Jobcenter, von denen bereits heute bei vielen Land unter ist, noch nicht einmal, wie viel Geld und Personal im kommenden Jahr zur Verfügung stehen wird. Es gibt eine Menge Baustellen, auf denen man schon längst was tun könnte und müsste. Irgendwie erinnert einen das an viele Baustellen auf unseren Autobahnen, so bitter das klingen mag.

Unterwegs verloren gegangen – die „Rechtsvereinfachungen“ im SGB II. Die Grünen fordern weiter eine „Entbürokratisierungs-Offensive“. Und hinter den Kulissen wird geschachert

»Ursprünglich war einmal geplant, dass sich 80 Prozent der Beschäftigten in den mehr als 400 Jobcentern darum kümmern sollten, Arbeitslose zu fördern und zu vermitteln. Derzeit gilt dies aber nur für knapp die Hälfte der Mitarbeiter. Die anderen sind mit der Berechnung von Leistungen beschäftigt«, so Thomas Öchsner in seinem Artikel Grüne pochen auf weniger Regeln für Hartz IV. Man muss an dieser Stelle an den – eigentlich – fundamentalen Paradigmenwechsel erinnern, der im Gefolge der Hartz-Gesetze mit der Einführung der Grundsicherung (SGB II) im Jahr 2005 vollzogen werden sollte: Die beiden – unterschiedlichen Logiken folgenden – bedürftigkeitsabhängigen Leistungssysteme Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe wurden zusammengelegt mit dem Versprechen, dass mit der Einführung eines pauschalierten Regelsatzes, derzeit 399 Euro pro Monat für eine alleinstehende Person, eine enorme Verwaltungsvereinfachung einhergehen werde, da man nunmehr auf komplizierte einzelfallbezogene Berechnungen der Leistungen verzichten könne und auch ein Großteil der bis dahin in der Sozialhilfe auf Antrag gewährten einmaligen Leistungen für bestimmte Lebenstatbestände wurde gestrichen und mit dem neuen Regelsatz verrechnet. Aber wie so oft im Leben – was sich auf dem Papier so plausibel darstellen lässt, stößt in der wirklichen Wirklichkeit auf zahlreiche unterschiedliche Fallkonstellationen, deren zumindestens teilweise Berücksichtigung einen Teil der Verwaltungsvereinfachung sofort wieder außer Kraft setzt. Viele Details mussten geregelt werden, die nicht im pauschalierten Regelsatz enthalten waren bzw. sind.

Auch die Rechtsprechung hat im Laufe der Jahre dazu beigetragen, dass das grundsätzliche und nicht auflösbare Spannungsverhältnis zwischen Einzelfallgerechtigkeit auf der einen und den Effizienzvorteilen eines pauschalierende Leistungssystems auf der anderen Seite  immer wieder zu Gunsten der Berücksichtigung des Einzelfalls im Ergebnis das System verkompliziert hat. Wenn man ehrlich is, muss man zu dem ernüchternden Ergebnis kommen, dass wir mittlerweile in einer Harz IV-Welt angekommen sind, in der letztendlich alle Beteiligten massiv unzufrieden sind. Viele Betroffene deshalb, weil eben nur ein wenig Einzelfallgerechtigkeit berücksichtigt wird, ansonsten ein Verweis auf die Regelsatzleistung erfolgt. Und die andere Seite ist gezwungen, beispielsweise durch Anrechnungsregelungen immer umfassendere Nachweise von den Leistungsempfängern einzufordern und dann zu prüfen, was davon für die Grundsicherungsleistung relevant ist oder nicht. Hinzu kommt, dass sich natürlich viele Anrechnungstatbestände permanent verändern.

Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass die durchschnittliche Akte eines der 3,4 Millionen Hartz-IV-Haushalte einen Umfang von etwa 650 Seiten hat. Öchsner nennt scheinbar skurrile Fragen, die geregelt werden müssen und natürlich zu entsprechendem Aufwand bei Klärung und Bescheidung führen: »Dabei kann es um Extras wie orthopädische Schuhe, das Warmwasser aus einem Boiler oder gar um die Frage gehen, wie viel Kleister einem Hartz-IV-Empfänger fürs Tapezieren der Wände zusteht.«

Nun muss man sich darüber im klaren sein, dass das hier angesprochene Problem grundsätzlich nur dann gelöst werden könnte, wenn man eine radikale Variante der Pauschalierung durchsetzt. Das würde aber auch bedeuten, dass viele Betroffene unter die Räder der Pauschalierung geraten würden, denn ihre nicht selten durchaus berechtigten abweichenden Bedürfnisse können einem solchen System nicht mehr abgebildet werden. Man kann sich die letztendliche Konsequenz eines solchen Weges am Beispiel der hoch umstrittenen Wohnkosten verdeutlichen, die immer wieder nicht nur im Mittelpunkt sozialgerichtliche Verfahren stehen. Das SGB II arbeitet hier mit dem unbestimmten Rechtsbegriff der „angemessenen Wohnkosten“, die übernommen werden. Diese Formulierung führt nun dazu, dass man gezwungen ist, eine Grenze zu definieren, ab der die „Angemessenheit“ überschritten wird. Wenn nun aber in der betreffenden Region gar keine Wohnungen mehr vorhanden sind, die von den Harz IV-Empfängern zu den vorgegebenen Mietpreisobergrenzen erreicht werden können, dann bedeutet das, dass die Betroffenen den übersteigenden Betrag aus ihrem Regelsatz decken müssen, der dafür aber gar keine Position enthält, da die Wohnkostenübernahme außerhalb des Regelsatzes geregelt ist. Man kann es drehen und wenden wie man will: Pauschalierung ist auf der einen Seite aus Sicht der Verwaltung überaus effizient, auf der anderen Seite muss es zwangsläufigerweise immer zu Ungerechtigkeiten kommen, da die Pauschalen im Regelfall kalkuliert werden auf der Basis von Durchschnitten, die immer diejenigen benachteiligten müssen, die oberhalb des jeweiligen Durchschnitts liegen.

Öchsner weist in diesem Zusammenhang darauf hin:» Schon vor mehr als einem Jahr schlug deshalb eine Kommission von Bund, Ländern und Bundesagentur für Arbeit vor, das Hartz-IV-System zu vereinfachen. Doch passiert ist nichts.« Das hört sich interessant an, deshalb werden wir an dieser Stelle einen genaueren Blick auf diesen Vereinfachungsansatz.

Gemeint ist die „Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Vereinfachung des passiven Leistungsrechts – einschließlich des Verfahrensrechts – im SGB II (AG Rechtsvereinfachung im SGB II)“. So heißt die wirklich. Das BMAS, die BA, die Bundesländer und die Kommunalen Spitzenverbände haben darin miteinander über mögliche Rechtsvereinfachungen im SGB II geredet und verhandelt. Wohlfahrtsverbände oder gar Vertreter der Betroffenen waren „natürlich“ nicht beteiligt.
Bereits im Sommer des vergangenen Jahres wurde der Bericht über die Ergebnisse der Bund-Länder-Arbeitsgruppe vom 2. Juli 2014 vorgelegt. Die Arbeitsgruppe nahm im Juni 2013 ihre Tätigkeit auf und hatte am 4. September 2013 einen Bericht über die Ergebnisse der ersten drei Workshops vorgelegt. Bis April 2014 wurden in weiteren fünf Workshops die weiteren Rechtsänderungsvorschläge diskutiert und bewertet. Der Bericht wurde am 2. Juli 2014 von der Arbeitsgruppe beschlossen. Rechtsvereinfachungsbedarfe wurden unter anderem zu den Themen „Einkommen und Vermögen“, „Verfahrensrecht“, „Kosten der Unterkunft und Heizung sowie Bedarfsgemeinschaft“, „Mehrbedarfe, Leistungen nach § 24 SGB II und Bildungs- und Teilhabepaket“, „Anspruchsvoraussetzungen“, „Angemessenheit der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung“ und „Sanktionen“ identifiziert und mögliche Lösungsansätze wurden erarbeitet. Der Katalog der Kommission besteht aus 36 Vorschlägen für Gesetzesänderungen im Hartz-IV-System. Unter anderem sollten die Jobcenter die staatliche Grundsicherung für zwölf statt für sechs Monate bewilligen, um die Flut von Hartz-IV-Bescheiden zu begrenzen.

Es ist hier nicht der Platz, die vielen einzelnen und in der Regel sehr kleinteiligen Vorschläge zu würdigen und ggfs. zu kritisieren. Verwiesen sei stellvertretend dafür auf das Papier Einschätzung der im Rahmen der Bund-Länder-Arbeitsgruppe Rechtsvereinfachung im SGB II eingebrachten Änderungsvorschläge der Bundesanstalt für Arbeit der Sozialrechtlerin Anne Lenze von der Hochschule Darmstadt aus dem vergangenen Jahr:

»Der Begriff Rechtsvereinfachung kommt ganz unschuldig daher – wer kann schon etwas dagegen haben, dass komplizierte rechtliche Tatbestände oder Rechtspraktiken vereinfacht werden!? Die Erfahrungen der letzten Jahre aber zeigen, dass unter dem Deckmantel von „Vereinfachung“, „Vereinheitlichung“ oder gar „Gleichbehandlung“ häufig Verschlechterungen zu Lasten der Betroffenen durchgesetzt wurden. Schaut man das Potpourri an Veränderungswünschen an, das die Leistungsträger im weitesten Sinn hier zusammengetragen haben, dann lassen sich natürlich Vorschläge finden, die eine „echte“ Vereinfachung zum Gegenstand haben, es sind aber auch etliche Vorschläge zu finden, die das Leistungsrecht komplett verändern würden – leider die meisten zum Nachteil der Betroffenen.«

Sie berührt in ihrer sowohl die positiven wie auch die negativen Aspekte würdigenden Auseinandersetzung eine Grundproblematik von Prozessen, wie sie mit der Bund-Länder-Arbeitsgruppe formatiert werden: Im Mittelpunkt steht meistens bis ausschließlich die Perspektive der Administration, die sich Entlastung verschaffen will. Eine Besserstellung der Betroffenen ist dann – wenn überhaupt – als Nebenfolge der Effizienzsteigerung der Verwaltungsabläufe zu erwarten.

Aber auch wenn man diesen kritischen Einwurf ausklammert – die Vorschläge der Bund-Länder-Arbeitsgruppe wurden wie gesagt Anfang Juli 2014 veröffentlicht und an den Gesetzgeber weitergereicht. Nun haben wir bekanntlich Oktober 2015, der auch schon bald vorbei ist. Und passiert ist – nichts.

Warum?

Der eine oder andere wird es schon ahnen – die Akteure auf der hier relevanten Gesetzgebungs-, also auf der Bundesebene, haben sich gegenseitig kalt gestellt. Vereinfacht gesagt: Die SPD wollte bzw. will die heute bestehenden verschärften Sanktionen für unter 25-Jährige im SGB II zurückführen (wohlgemerkt nicht abschaffen, sondern mit den Regelungen bei den über 25jährigen Hartz IV-Empfängern gleichstellen), was auf großen Widerstand in der Union, vor allem aber in der bayerischen CSU gestoßen ist. Nun wollen die Bayern (aber nicht nur die, auch Länder wie Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz befinden sich hier im Lager der Bayern) dafür etwas anderes, was bislang blockiert wird: Sie wollen eine Veränderung bzw. Abschaffung des sogenannten „Problemdruckindikators“ bei der Verteilung der Mittel für arbeitsmarktpolitische Fördermaßnahmen im SGB II. Was ist das nun wieder, wird der eine oder andere aufstöhnen. Versuchen wir es mit einer kurzen Erklärung, die man beispielsweise dem Papier Position zum Problemdruckindikator des Deutschen Caritasverbandes aus dem Januar 2015 entnehmen kann:

»Die finanziellen Mittel, die den einzelnen Jobcentern für Eingliederungsleistungen im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) zugewiesen werden, sind unterschiedlich hoch. Die Verteilung wird durch die Eingliederungsmittel-Verordnung jährlich geregelt. Sie richtet sich grundsätzlich nach dem Anteil der örtlich zu betreuenden erwerbsfähigen Leistungsempfänger. Zusätzlich erhalten Jobcenter mit einer überdurchschnittlich hohen Grundsicherungsquote einen Zuschlag, solche mit einer unterdurchschnittlichen Quote einen Abschlag (sog. Problemdruckindikator).«

Es geht hier angesichts mehrerer Milliarden Euro um richtig viel Geld. Zugespitzt formuliert hat die Verwendung dieses Mittelverteilungssystems dazu geführt, dass manche Jobcenter im Süden oder Südwesten der Republik kaum noch Mittel für Fördermaßnahmen im SGB II zur Verfügung haben, weil bei ihnen die allgemeine Quote an Hartz IV-Empfängern niedrig ist im Vergleich zu anderen Regionen. Wie so oft in der Sozialpolitik stand am Anfang des Problemdruckindikators, der seit 2004 eingesetzt wird (und der in der jährlich aktualisierten Eingliederungsmittel-Verordnung geregelt ist), eine gute Absicht: »Die Idee war dabei, Kreise mit sehr hohem “Problemdruck“ im Sinne von hoher Langzeitarbeitslosigkeit in der Ausgestaltung der Eingliederungsmittel besser zu stellen als Gebiete mit niedriger Langzeitarbeitslosenrate.« Das klingt doch plausibel. Im Ergebnis führt das dazu, dass für Jobcenter in Bayern und Baden-Württemberg nur halb so viel Eingliederungsmittel je Leistungsberechtigten zur Verfügung stehen wie für das Jobcenter in Berlin-Neukölln. Und wo ist jetzt das Problem?

Gerade »in Regionen mit guter Arbeitsmarktlage sind die zugewiesenen Mittel pro erwerbsfähigen Leistungsberechtigten besonders gering. Allerdings weisen gerade in diesen Regionen die Personen, die noch im Leistungsbezug sind, häufig besondere, verfestigte Problemlagen auf. Sie brauchen daher oftmals besonders kostenintensive (z. B. § 16e SGB II), langwierige oder mehrere Fördermaßnahmen. Wenn für sie pro Kopf wenige Mittel zur Verfügung stehen, können diese Menschen nicht angemessen gefördert werden«, so der Deutsche Caritasverband in seinem Positionspapier. Man kann es auch so sagen: Dem Problemdruckindikator liegt die Annahme zugrunde, dass bei einer guten Arbeitsmarktlage und einer geringen Quote an Grundsicherungsempfängern weniger Eingliederungsmittel erforderlich seien – möglicherweise aber, so die Kritiker, ist genau das Gegenteil der Fall, dass bezogen auf die einzelnen Individuen hier sogar höhere Aufwendungen anfallen, da die, die sich hier im Grundsicherungsbezug befinden, durch noch schwierigere persönliche Verhältnisse auszeichnen als in Regionen, in denen viele andere auch im SGB II-Bezug sind.

Hinzu kommt – und das wird leider oft vergessen: Diese unterschiedliche Mittelverteilung wird natürlich dann vor allem zu einem Problem, wenn zugleich die Mittel insgesamt erheblich gekürzt werden. Und genau das ist seit dem Jahr 2011 imm Bereich des Eingliederungstitels passiert, um gut 50 Prozent sind die Mittel runter gefahren worden.

An diesen Stellen hat man sich also meinen müssen zu bekriegen seit dem Sommer des vergangenen Jahres. Nichts ist seitdem passiert. Thomas Öchsner berichtet in seinem Artikel: »In Regierungskreisen ist nun zu hören, man nähere sich einem kleinsten gemeinsamen Nenner an, auf den man sich einigen könne. Von dem ursprünglichen Vereinfachungskatalog der Reformkommission dürfte dann aber nicht allzu viel übrig bleiben.«

Das wäre natürlich angesichts der schon sowieso gegebenen begrenzten Reichweite der Vorschläge ein Desaster. Kein Wunder, dass die oppositionellen Grünen an dieser Stelle neues Holz aufs Feuer legen und über ihre arbeitsmarktpolitische Sprecherin im Bundestag, Brigitte Pothmer, eine „Entbürokratisierungs-Offensive“ einfordern. »Sie rechnet vor: Könnten sich nur zehn Prozent der Mitarbeiter, die mit der Gewährung von Leistungen beschäftigt sind, durch eine Rechtsvereinfachung anderen Aufgaben widmen, ließen sich 2.200 Vollzeitstellen mobilisieren.«

Der einzige Schönheitsfehler in der Argumentation der Grünen: Diese Stellen sollen frei geschaufelt werden, »damit mehr Mitarbeiter in den Jobcentern für die Flüchtlinge zur Verfügung stehen.« Das mag zwar derzeit en vogue sein, aber der Personaleinsatz sollte nicht an den Status Flüchtlinge gebunden werden. Die zusätzlichen Stellen dafür muss die Bundesregierung auch zusätzlich zur Verfügung stellen. Auf eine bessere Betreuung, wie sie durch die frei werdenden Personalkapazitäten theoretisch möglich werden könnte, warten die vielen Langzeitarbeitslosen, die Verlierer des deutschen „Jobwunders“, schon lange.

Traum und Albtraum liegen oft dicht beieinander. Solo-Selbständige mit heute Hartz IV und morgen Altersarmut

Über die Probleme von Selbständigen wurde hier schon mehrfach berichtet, vor allem hinsichtlich der absehbaren Altersarmut. So am 18. August 2015 in dem Beitrag Einige Solo-Selbständige in Deutschland proben den Aufstand gegen die Rentenversicherung und andere möchten gerne rein oder am  11. Februar 2015: Diesseits und jenseits der Kümmerexistenz. Arme und reiche (Solo)Selbständige, die vielen dazwischen und die Frage, was sich denn wie lohnt. Ob nun bewusst oder nicht – viele Menschen denken bei Selbständigen nicht primär an Armut oder erheblichen Sicherungsproblemen. Dies ist wahrscheinlich dadurch bedingt, dass man ein ganz bestimmtes Bild von Selbständigen vor Augen hat, also einen Unternehmer, der Arbeitnehmer beschäftigt und von denen viele auch sehr bis extrem gut über die Runden kommen. Aber schon immer gab es die vielen selbständigen „Kümmerexistenzen“, die sich mehr schlecht als recht gerade so über Wasser halten konnten. Diese Teilgruppe der Selbständigen hat in den zurückliegenden Jahren an Bedeutung gewonnen. Aus der Gruppe der Solo-Selbständigen, die also keine anderen Beschäftigten haben als sich selbst,  wird berichtet, dass viele über keinen Krankenversicherungsschutz verfügen und die Einkommen so niedrig sind, dass daraus keine eigenständige Altersvorsorge geleistet werden kann, was aber notwendig wäre, sind sie doch über ihren Selbständigenstatus nicht vom Schutzsystem der gesetzlichen Rentenversicherung erfasst. Sie haben einfach oftmals keinen finanziellen Puffer, den sie dafür verwenden können. Und offensichtlich nicht selten sind die laufenden Einnahmen derart niedrig (oder schwankend), dass die Betroffenen angewiesen sind auf aufstockende Leistungen aus dem Grundsicherungssystem, landläufig als Hartz IV bezeichnet, weil sie mit dem eigenen Selbständigen-Einkommen nicht in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt alleine zu bestreiten.

Vor diesem Hintergrund tauchen dann solche Meldungen in den Medien auf: Mehr als hunderttausend Selbstständige brauchen Hartz IV: »Die Zahl der Selbstständigen, die ergänzend Arbeitslosengeld II bekommen, habe sich seit 2007 fast verdoppelt … 2007 bezogen demnach 66.910 Selbstständige Hartz-IV-Leistungen, im vergangenen Jahr waren es 117.904.« Die aktuellste Zahl stammt aus dem Mai 2015, da waren es 119.275 Selbständige im Hartz IV -Bezug.

Die Daten stammen aus einer Antwort des Statistischen Bundesamts auf eine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Sabine Zimmermann von der Fraktion Die Linke. Sie weist in ihrer Pressemitteilung Zahl von Solo-Selbständigen im Zeitverlauf deutlich angestiegen – Immer mehr Selbständige beziehen Hartz IV darauf hin:

»Die Zahl der Selbständigen ohne Beschäftigte, sogenannte Solo-Selbständige, ist seit dem Jahr 2000 deutlich angestiegen, von 1,84 Millionen auf 2,34 Millionen im Jahr 2014. Mittlerweile gibt es deutlich mehr Solo-Selbständige als Selbständige mit Beschäftigten, deren Zahl lag im Jahr 2014 bei 1,85 Millionen, 2000 waren es 1,8 Millionen … Der Weg in die Selbständigkeit ist für viele auch ein Weg in eine prekäre Tätigkeit, von der man nicht leben kann … Oft war die Entscheidung zur Selbständigkeit keine freiwillige. Durch die Einführung der Förderung als sogenannte Ich AG im Zuge der Hartz-Gesetze wurde die Solo-Selbständigkeit als Allzweckwaffe gegen Arbeitslosigkeit auserkoren, die für viele in einer Sackgasse endete.«

Nun gibt es das Instrumentarium der Ich-AGs schon länger nicht mehr und auch ein etwas genauerer Blick auf die Daten, die das Statistische Bundesamt und die Bundesagentur für Arbeit der Abgeordneten geliefert haben, zeigt ein differenziertes Bild, das keineswegs die individuelle Dramatik relativieren soll, aber dennoch Hinweise darauf geben kann, dass wir es derzeit mit einer stabilen, sogar leicht rückläufigen Problematik zu tun haben.

Die Abbildung verdeutlicht zum einen, dass die Zahl der Hartz IV-Leistungen beziehenden Selbständigen in den Jahren 2011 und 2012 ihren Höhepunkt hatten und seitdem leicht rückläufig ist. Dies korrespondiert mit einer ebenfalls erkennbaren rückläufigen Zahl an Solo-Selbständigen, die offensichtlich 2012 ihren Höhepunkt überschritten hat.

Das passt zusammen mit Befunden, die vor kurzem von Karl Brenke in seinem Beitrag Selbständige Beschäftigung geht zurück thematisiert wurden: »In den 90er Jahren hatte die selbständige Beschäftigung in Deutschland deutlich zugenommen. Dieser Trend hielt – auch wegen der Förderung von arbeitslosen Existenzgründern – bis 2007 an, danach blieb die Zahl der Selbständigen einige Jahre weit­ gehend konstant, und seit 2012 nimmt sie sogar ab. Sowohl die langjährige Expansion der selbständigen Beschäftigung als auch die Schrumpfung in jüngster Zeit wurden wesentlich geprägt durch die Entwicklung bei den Solo­Selbständigen, also den Unternehmern ohne Angestellte … Ein wichtiger Grund für den Rückgang der selbständigen Beschäftigung ist, dass weniger Selbständige nachwachsen; die Zahl der Gründer hat in den letzten Jahren abgenommen. Angesichts der mittlerweile günstigen Lage auf dem Arbeitsmarkt dürften viele Erwerbstätige einer abhängigen Beschäftigung den Vorzug vor dem Gang in die Selbständigkeit einräumen. Dies mag auch damit zusammenhängen, dass nicht wenige Selbständige, insbesondere viele Solo­-Selbständige, nur geringe Einkommen erzielen. Der Anteil der Geringverdiener unter ihnen ist im Zug des Schrumpfungsprozesses seit 2012 kleiner geworden. Auch fällt es Unternehmen bei günstiger Arbeitsmarktlage wohl schwerer, Tätigkeiten an Selbständige auszulagern und dadurch Kosten zu sparen.«

Diese von Brenke beschriebenen Zusammenhänge wirken sich auch auf den Hartz IV-Bezug Selbständiger aus und machen verständlich, warum wir am aktuellen Rand eher eine leicht rückläufige Entwicklung erkennen können.

Es bleibt aus sozialpolitischer Sicht auch weiterhin ein große Baustelle und Gestaltungsauftrag, die vielen Solo-Selbständigen, die nicht über hohe Einkommen verfügen (und die gibt es natürlich auch), besser in das soziale Sicherungssystem zu integrieren, vor allem mit Blick auf die für viele sicher desaströse Perspektive auf das eigene Alter.