„Neue Form der Not“ bei den Tafeln in Deutschland – und bei den Food Banks in Großbritannien

Auch die Tafeln waren und sind hart getroffen von dem, was im Frühjahr als „Corona-Krise“ über uns gekommen ist. Die meisten Ausgabestellen dieser mittlerweile so bedeutsam gewordenen Institution der Überlebensökonomie wurden im Lockdown geschlossen, auch, weil viele der dort tätigen ehrenamtlichen Helfer selbst zu den Risikogruppen gehören, denn es sind überdurchschnittlich viele ältere Menschen, die sich hier engagieren. Und selbst aktuell sind noch 120 der 949 Tafeln bundesweit geschlossen. Gründe sind vor allem beengte Räumlichkeiten sowie fehlende Ehrenamtliche. Ein Großteil der Tafel-Aktiven gehört aufgrund des Alters oder Vorerkrankungen der Risikogruppe an.

In den zurückliegenden Wochen gab es zahlreiche Aktivitäten vor Ort, um den Ausfall der Tafeln zu kompensieren. Junge Menschen haben sich als Ersatz für die älteren Ehrenamtlichen zur Verfügung gestellt, an vielen Stellen wurden sogenannte „Gabenzäune“ errichtet, wo man Lebensmittelspenden abgeben konnte.

Aber die „Corona-Krise“ hat vieles geändert – das gilt auch für die Arbeit der Tafeln, die jetzt wieder hochgefahren werden: Aktuelle Umfrage: Tafeln verzeichnen zahlreiche Neuanmeldungen wegen Corona-Pandemie, so ist eine Pressemitteilung der Tafel Deutschland, dem Bundesverband der deutschen Tafeln, überschrieben: »Die aktuell 830 geöffneten Tafeln sehen sich mit zwei Entwicklungen konfrontiert: Einerseits kommen von Woche zu Woche mehr Menschen erstmals zu den Tafeln. Sie suchen Unterstützung, weil sie selbstständig sind, in Kurzarbeit sind oder ihren Job oder Nebenjob aufgrund der Corona-Pandemie verloren haben. Andererseits bleiben viele vor allem ältere Menschen, die sonst die Angebote der Tafeln nutzen, weiterhin zuhause.«

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Kann das so (nicht) bleiben? Die Tafeln zwischen Angebot und Nachfrage, halber Professionalisierung und den (vermeintlichen) Verlockungen staatlicher Mittel

So stellt man sich das Einsammeln von Spenden für eine mildtätige Sache vor: »Der 1. FC Köln und die Tafel Deutschland setzen in der Adventszeit gemeinsam ein starkes Zeichen gegen Armut und Lebensmittelverschwendung: … am 14. Dezember 2019 wird der 1. FC Köln beim Bundesliga-Heimspiel gegen Bayer 04 Leverkusen das Tafel-Logo auf den Trikots tragen. Möglich macht dies die REWE Group. Der Hauptpartner des 1. FC Köln verzichtet zugunsten der Tafeln auf seinen Werbeplatz auf der Trikotbrust … Am Spieltag wird es im und um das Stadion außerdem eine große Spendenaktion zugunsten der Tafel in Köln geben. Auch wenn die Tafeln fast ausschließlich ehrenamtlich arbeiten, benötigen sie dringend Geld für Kühlwagen oder Mietkosten für Lager und Ausgabestellen.« Das meldet Tafel Deutschland, der Dachverband der über 940 gemeinnützigen Tafeln mit mehr als 2.000 Tafel-Läden und Ausgabestellen in Deutschland, in einer Pressemitteilung vom 12.12.2019.

Foto: © Stiftung 1. FC Köln

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Die Tafeln als immer selbstverständlicher werdender Teil der Überlebensökonomie und der Kritik daran. Zugleich Konkurrenz durch neue Geschäftsmodelle der Lebensmittelrettung

Die Tafeln in unserem Land haben mittlerweile von außen betrachtet den festgefrorenen Charakter eines Symbolbildes für Armut und für Versorgungsmängel der Menschen ganz unten – und sie werden genau deshalb schon seit Jahren immer wieder auf eine armutsentlastende, manche würden kritisieren: eine armutsstabilisierende Rolle reduziert, deren (angebliche) Funktionalität für die bestehenden Verhältnisse in einem ganz eigenen Diskurs von zahlreichen Kritikern besonders gerne und zuweilen mit einer fundamentalistisch daherkommenden Abneigung herausgestellt wird.

Die Tafeln vor Ort selbst hingegen versuchen sich zum einen immer wieder zu „entschuldigen“ für das, was sie eben auch angeblich mittlerweile geworden sind, also ein fast flächendeckender Teil der Infrastruktur des Überlebens in unserem Land, jedenfalls für einen Teil der Bedürftigen. Sie verweisen auf die zahlreichen Defizite in den vorgelagerten Sicherungssystemen, sie geben durchaus armutspolitische Erklärungen ab und verweisen schlussendlich darauf, dass ihr Beitrag immer nur ein ergänzender sein kann, der aber in gar keiner Hinsicht eine notwendige Regelversorgung ersetzen kann, darf und auch nicht soll – sie aber von der Politik und auch von Teilen der Sozialbürokratie wie selbstverständlich instrumentalisiert werden.

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