Auch die Tafeln waren und sind hart getroffen von dem, was im Frühjahr als „Corona-Krise“ über uns gekommen ist. Die meisten Ausgabestellen dieser mittlerweile so bedeutsam gewordenen Institution der Überlebensökonomie wurden im Lockdown geschlossen, auch, weil viele der dort tätigen ehrenamtlichen Helfer selbst zu den Risikogruppen gehören, denn es sind überdurchschnittlich viele ältere Menschen, die sich hier engagieren. Und selbst aktuell sind noch 120 der 949 Tafeln bundesweit geschlossen. Gründe sind vor allem beengte Räumlichkeiten sowie fehlende Ehrenamtliche. Ein Großteil der Tafel-Aktiven gehört aufgrund des Alters oder Vorerkrankungen der Risikogruppe an.
In den zurückliegenden Wochen gab es zahlreiche Aktivitäten vor Ort, um den Ausfall der Tafeln zu kompensieren. Junge Menschen haben sich als Ersatz für die älteren Ehrenamtlichen zur Verfügung gestellt, an vielen Stellen wurden sogenannte „Gabenzäune“ errichtet, wo man Lebensmittelspenden abgeben konnte.
Aber die „Corona-Krise“ hat vieles geändert – das gilt auch für die Arbeit der Tafeln, die jetzt wieder hochgefahren werden: Aktuelle Umfrage: Tafeln verzeichnen zahlreiche Neuanmeldungen wegen Corona-Pandemie, so ist eine Pressemitteilung der Tafel Deutschland, dem Bundesverband der deutschen Tafeln, überschrieben: »Die aktuell 830 geöffneten Tafeln sehen sich mit zwei Entwicklungen konfrontiert: Einerseits kommen von Woche zu Woche mehr Menschen erstmals zu den Tafeln. Sie suchen Unterstützung, weil sie selbstständig sind, in Kurzarbeit sind oder ihren Job oder Nebenjob aufgrund der Corona-Pandemie verloren haben. Andererseits bleiben viele vor allem ältere Menschen, die sonst die Angebote der Tafeln nutzen, weiterhin zuhause.«
„Wir haben in den letzten Wochen bei den Tafeln eine neue Form der Not erlebt. Es kommen vermehrt jüngere Menschen, die bis vor kurzem überhaupt nicht auf die Tafeln angewiesen waren und nun vor Erleichterung weinen, weil sie etwas zu essen bekommen und ihren Kühlschrank wieder füllen können. Auch wenn die Bundesregierung bereits schnelle und unbürokratische Hilfen auf den Weg gebracht hat, sind einige Menschen in existenzielle Not geraten.“ Mit diesen Worten wird Jochen Brühl, Vorsitzender der Tafel Deutschland, zitiert.
Gleichzeitig zeigt sich Brühl besorgt um Menschen, die schon vor der Corona-Pandemie zu den Tafeln kamen. Vor allem ältere Menschen bleiben aus Angst vor Ansteckung zuhause. „Es gelingt uns momentan nicht, alle Menschen zu erreichen, die eigentlich unsere Unterstützung benötigen. Das macht uns große Sorgen, denn wir sehen, dass die Ärmsten besonders hart von der Krise getroffen werden. Familien haben steigende Ausgaben für Lebensmittel, weil sie ihre Kinder vollständig zuhause versorgen. Älteren Menschen fehlt es nicht nur an Lebensmitteln, sondern auch an Kontakten“, so Brühl. Einige Tafeln konnten Lieferdienste für besondere Risikogruppen einrichten. Begegnungen und Gespräche in der Tafel fallen aber weiterhin weg. Brühl warnt die Politik, armutsbetroffene Menschen in der Krise nicht zu vergessen.
Aber der Dachverband der Tafeln kreist nicht nur um die eigene Institution, sondern beteiligt sich an einer sozialpolitisch hoch relevanten Debatte: »Bereits Ende März hatte sich die Organisation in einem offenen Brief an Bundessozialminister Hubertus Heil gewandt und mehr Hilfen für armutsbetroffene Menschen gefordert. Unter anderem setzen sich die Tafeln mit vielen weiteren Verbänden und Organisationen für eine temporäre Erhöhung der Grundsicherungsleistungen um 100 Euro monatlich ein.«
Darüber und dass das von Union und SPD im Bundestag abgeschmettert wurde, ist hier schon berichtet worden. Vgl. dazu ausführlicher den Beitrag Am ausgestreckten Arm … Die Bundesregierung und der Nicht-Zuschlag für Menschen in der Grundsicherung. Die bleiben beim Sozialschutz-Paket II weiter außen vor vom 12. Mai 2020.
Auch aus Großbritannien werden „neue Formen der Not“ berichtet
Schauen wir über den nationalen Tellerrand, beispielsweise in ein von der Corona-Pandemie besonders hart getroffenes Land: nach Großbritannien. More than 100,000 carers ‚forced to use food banks in UK lockdown‘, so die Überschrift eines Artikels von Amelia Hill. Sie berichtet von einem neuen Report, »which experts said should “shock the nation”.« Mehr als 100.000 Menschen, die außerhalb ihres eigenen Haushalts unbezahlte Care-Arbeit leisten für ältere, behinderte oder schwer erkrankte Angehörige, sind seit Beginn der Corona-Pandemie zusätzlich auf die Hilfe der Tafeln (food banks) angewiesen, um nicht hungern zu müssen (vgl. auch Unpaid carers twice as likely to have used a food bank during pandemic).
➞ Dazu auch der Beitrag ‚Invisible‘ unpaid carers going hungry in lockdown. Dort das Beispiel der Christie Michael, die sich seit Jahren in Vollzeit um ihre kranke Mutter kümmert. »(During) the lockdown they faced a different kind of problem: „We were actually hungry.“ Christie did not want to risk going to the shops while she was shielding her 76-year-old mother. And even if they could have got an online delivery, they didn’t have enough money – so much so that they depended on deliveries brought by food banks. „People don’t understand the importance of food banks,“ she says, or how widely they are now being used.«
Diejenigen, die unbezahlte Care-Arbeit für Angehörige leisten, sind doppelt so oft auf Tafeln angewiesen wie die allgemeine Bevölkerung.
Den ganzen Report, der von Wissenschaftler der Universitäten Sheffield und Birmingham erstellt wurde, kann man hier herunterladen:
➔ Yanan Zhang, Matthew R. Bennett M.R. and Sue Yeandle (2020): Caring and COVID-19: Hunger and mental wellbeing. Sustainable Care: Care Matters 2020/01, Sheffield: Centre for International Research on Care, Labour and Equalities (CIRCLE). Interdisciplinary Centre of the Social Sciences, University of Sheffield
Hier nur einige wenige Befunde:
Zur Grundgesamtheit: There were an estimated 6.048.286 adults providing care to someone living outside their own household in the UK in 2020. These carers are an important ‘subset’ of all adult unpaid carers, estimated to number 10.991.440 people.
➔ 228.625 carers said someone in their household had gone hungry in the previous
week
➔ 106.450 carers said their household had used a foodbank in the past month
Foto: © Stefan Sell