So stellt man sich das Einsammeln von Spenden für eine mildtätige Sache vor: »Der 1. FC Köln und die Tafel Deutschland setzen in der Adventszeit gemeinsam ein starkes Zeichen gegen Armut und Lebensmittelverschwendung: … am 14. Dezember 2019 wird der 1. FC Köln beim Bundesliga-Heimspiel gegen Bayer 04 Leverkusen das Tafel-Logo auf den Trikots tragen. Möglich macht dies die REWE Group. Der Hauptpartner des 1. FC Köln verzichtet zugunsten der Tafeln auf seinen Werbeplatz auf der Trikotbrust … Am Spieltag wird es im und um das Stadion außerdem eine große Spendenaktion zugunsten der Tafel in Köln geben. Auch wenn die Tafeln fast ausschließlich ehrenamtlich arbeiten, benötigen sie dringend Geld für Kühlwagen oder Mietkosten für Lager und Ausgabestellen.« Das meldet Tafel Deutschland, der Dachverband der über 940 gemeinnützigen Tafeln mit mehr als 2.000 Tafel-Läden und Ausgabestellen in Deutschland, in einer Pressemitteilung vom 12.12.2019.
Eine tolle Sache. Nun könnte man neben allem Dank für die prominente Unterstützung des 1. FC Köln und seines Hauptsponsors REWE durchaus darauf verweisen, dass fußballerisch gesehen die Kölner kurz vor der Winterpause nach dem Wiederaufstieg im Tabellenkeller hängen geblieben sind und in den vergangenen Wochen nicht wirklich geglänzt haben, um das noch freundlich auszudrücken. Offensichtlich hat der Verein eine Menge spielerische Probleme – wie auch die Tafeln, die sich per se um Menschen kümmern, die ganz weit weg sind von oben, eine Vielzahl an Problemen haben.
»Innerhalb eines Jahres ist die Anzahl der Menschen, die die Angebote der Tafeln nutzen, um zehn Prozent gestiegen. Aktuell kommen 1,65 Millionen Menschen regelmäßig zu den Tafeln. Besonders bei Senioren, die Rente oder Grundsicherung im Alter beziehen, ist der Anstieg mit 20 Prozent dramatisch. Niedrige Renten sind damit nach Langzeitarbeitslosigkeit der zweithäufigste Grund eine Tafel aufzusuchen«, konnte man bereits der Pressemitteilung Dramatischer Anstieg der Tafel-Nutzer – Besonders Rentnerinnen und Rentner suchen Unterstützung vom 18. September 2019 entnehmen. Dazu der Vorsitzende von Tafel Deutschland, Jochen Brühl, im Interview Immer mehr Rentner stehen bei den Tafeln für Lebensmittel an am 7. Dezember 2019: »Es kommen immer mehr ältere Menschen. Die Zahl der Rentner unter den Tafelkunden ist innerhalb eines Jahres um 20 Prozent auf 430.000 gestiegen. Es kostet viel Energie, seine Armut zu verstecken. Viele Rentner haben diese Energie für ein Versteckspiel vielleicht einfach nicht mehr und kommen dann zu uns. Hinzu kommt, dass wir unsere Angebote angepasst haben, spezielle Senioren-Nachmittage und Ähnliches. Das senkt vielleicht die Hemmschwelle. Und nicht unterschätzen darf man, dass wir auch eine Anlaufstelle gegen Alters-Einsamkeit sind.«
In dem Interview wird Brühl auch dahingehend befragt, was er davon hält, dass die Tafeln offensichtlich Teil der angekündigten Strategie der Bundesregierung sein sollen, mit der man eine Halbierung der Lebensmittelverschwendung erreichen will (vgl. dazu Strategie zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung vom 19.11.2019 sowie konkret das Eckpunktepapier der Bundesregierung). Dazu der Tafel-Verbandsvorsitzende: »Wie wir das organisieren sollen, noch mehr Lebensmittel als bislang zu retten, interessiert offenbar niemanden. Kein Politiker fragt: ,Was braucht ihr denn, um diese gesellschaftliche Aufgabe zu erfüllen?‘ Stattdessen hören wir immer nur, was angeblich nicht gehe, wenn wir um Unterstützung anfragen. Wir sind ein guter Seismograph dafür, was in der Gesellschaft schief läuft. Wir machen nicht nur Armut sichtbar, sondern auch den wahnsinnigen Überfluss.«
Bereits Anfang November dieses Jahres konnte man zur Kenntnis nehmen: »Bevor über ein Gesetz diskutiert werde, das Lebensmittelhändler – wie in Frankreich – zum Spenden ihrer Überschüsse verpflichtet, sei deshalb finanzielle Unterstützung vom Staat für die Rettung und Verteilung von Lebensmitteln nötig«, so ebenfalls Jochen Brühl in dem Artikel mit einer Überschrift, die bereits die Grundfrage auf die Tagesordnung zu setzen versucht: Tafeln wünschen sich staatliche Hilfe. Eine Ehrenamtsorganisation dürfe mit dieser Aufgabe nicht alleingelassen werden. »Konkret forderte Brühl finanzielle Mittel, um davon hauptberufliche Mitarbeiter zu bezahlen, die große Spenden koordinieren und an die Landesverbände verteilen sollen. Auf Landesebene würden außerdem Logistiklager und Fahrzeuge benötigt, um große Mengen annehmen und weitergeben zu können.«
An anderer Stelle erläutert Brühl: »Wir wollen keine staatliche Organisation sein. Aber eine institutionelle Förderung muss drin sein, damit wir verlässlich Lebensmittel retten und verteilen können. Bislang sind unsere Lager und Kühlfahrzeuge ausschließlich spendenfinanziert. Wir geraten an Kapazitätsgrenzen. Wir brauchen mehr Kühllager, Fahrzeuge und hauptamtliche Unterstützung, um mehr Lebensmittel retten zu können. Das Geld will uns aber niemand geben. Stattdessen werden wir von der Politik mit Schulterklopfern abgespeist. Das reicht nicht!«
Nun muss man an dieser Stelle aber darauf hinweisen, dass das innerhalb der Tafel-Welt keine unumstrittene Position ist, mit der Verbandschef Brühl hausieren geht: »Der Bundesverband der Tafeln fordert finanzielle Unterstützung von der Bundesregierung. Doch nicht alle Ehrenamtlichen halten das für eine gute Idee«, so dieser Artikel: „Wir müssen unabhängig bleiben“. Zwei skeptische Stimmen werden darin beispielhaft zitiert:
»Jörg Sartor, Leiter der Tafel in Essen, sieht den Vorstoß beispielsweise kritisch. „Damit machen wir uns abhängig.“ Mehr Geld für Hauptamtliche hält er nicht für notwendig, auch er selbst leite seine Tafel im Ehrenamt: „Ich lehne das Prinzip, mit Hauptamtlichen zu arbeiten, prinzipiell ab. Das widerspricht dem Tafel-Gedanken.“
Auch Antje Troelsch, Geschäftsführerin der Berliner Tafel, ist skeptisch: „Mehr Geld für Logistik und Digitalisierung ist zentral“, sagt Troelsch. „Aber wir müssen unabhängig bleiben. Das ist uns sehr wichtig. Wir sind eine große ehrenamtliche Bewegung – und die Geldgeber dürfen nicht entscheiden, welche Lebensmittel wir wo abholen.“«
Ganz offensichtlich wird hier ein Grundsatzproblem aufgerufen, auf das viele soziale Organisationen im Laufe ihrer Entwicklungs- und Wachstumsgeschichte gestoßen sind: Wird erst einmal eine gewisse Größenordnung erreicht und verfestigt sich das Angebot zu einem regelhaften, dann stellt sich unausweichlich die Professionalisierungsfrage, wobei man korrekterweise von mehreren Professionalisierungen sprechen muss.
➔ Zum einen gibt es schon seit langem innerhalb der vielgestaltigen Tafellandschaft in Deutschland eine Auseinandersetzung entlang der Scheidelinie (nur) Ehrenamt oder Ehrenamt plus Hauptamt, allerdings vor allem mit Blick auf zusätzliche, über die reine Lebensmittelverteilung hinausreichende Angebote. Man muss die Ambivalenz dieser Professionalisierungsschiene erkennen, denn die Professionellen wollen mit ihren Angeboten gerade den von anderen oftmals kritisierten Zustand einer Reduktion der Tafeln auf die reine Lebensmittelausgabe überwinden und den Betroffenen in und um die Tafel herum weiterführende Hilfestellung wie beispielsweise Sozialberatung anbieten, was aber natürlich verbunden ist mit einer Einbettung in die bekannten Strukturen einer Refinanzierung dieser Arbeit über sozialstaatliche Zuwendungen. Beispiel dafür wären die „Tafel plus“-Konzepte. Damit sind Angebote gemeint, die über die Lebensmittelausgabe hinausgehen. Die Lebenssituation der Menschen, die zur Tafel kommen, soll mit diesen Angeboten nachhaltig verbessert werden. Ziele sind: Teilhabe am sozialen Leben, (Wieder-)Entdeckung vorhandener Fähigkeiten und Ressourcen, Hilfe zur Selbsthilfe, nachhaltige Verbesserung der Lebenssituation.
➔ Zum anderen aber ging und geht es immer wieder auch um eine Professionalisierung in einem engeren betriebswirtschaftlichen Sinne. Denn natürlich, dass wissen alle, die in ehrenamtlichen Strukturen unterwegs sind: Ehrenamt ist betriebswirtschaftlich gesehen zwangsläufig, unvermeidlich ineffizienter, als wenn man mit „professionellen“ Kräften arbeiten kann, hier im Sinne von bezahlten Arbeitskräften, über die man dann auch volle Verfügungsgewalt hat, denn Ehrenamt ist fragil und ab einer bestimmten Größe (die viele Tafeln schon lange überschritten haben) ist allein die Organisation und die Steuerung der vielen einzelnen Ehrenämtler eine nicht nur mathematisch anspruchsvolle Angelegenheit. Das muss alles gemacht werden (ehrenamtlich?) und wenn dann noch eine Ausdifferenzierung des eigentlichen Tuns dahingehend dazu kommt, dass man immer mehr wie ein „normales“ Unternehmen tickt (was beispielsweise Öffnungszeiten und damit verbundene zeitliche Verpflichtungen bei der Vor- und Nachbereitung angeht), dann wird erkennbar, dass auch die Ansprüche an die der eigentlichen Ausgabe von Lebensmitteln vor- und nachgelagerten Bereiche steigen. Vor diesem Hintergrund wird man dann die Befürworter einer stärkeren staatlichen Unterstützung verstehen müssen:
»Andere Engagierte wiederum, wie Ulrich Fels, Leiter der Tafel im schleswig-holsteinischen Kropp, begrüßen den Vorstoß von Brühl – und gehen noch weiter. „Festangestellte Mitarbeiter könnten als Leiter der Tafeln die Organisation und Verteilung der Spenden organisieren und sich um bürokratische Aufgaben kümmern.“ Damit könne sichergestellt werden, dass die Lebensmittel in einer Region gleichmäßig verteilt werden. „Wir haben an manchen Tagen so viel Ware, die wir selbst nicht brauchen“, sagt Fels. Erst vergangene Woche ließ er eine Spende ins 50 Kilometer entfernte Tönning bringen.
Dort kümmert sich Ina Hinrichsen seit neun Jahren um die Tafel des Bade- und Luftkurorts. Auch sie sieht Brühls Forderung positiv. Die Wege für Hinrichsen und ihre ehrenamtlichen Mitarbeiter sind weit. Der Ort liegt auf der Halbinsel Eiderstedt. „Für Spenden müssen wir immer durch die Gegend fahren“, sagt sie. An manchen Tagen sei es schwer, ehrenamtliche Fahrer für die Transporte zu finden. Dann wünscht sie sich einen Festangestellten, „der fahren muss, weil es sein Job ist.“« (Quelle: „Wir müssen unabhängig bleiben“).
➔ Aus der „Managementperspektive“ der Tafeln kommen zwei weitere betriebswirtschaftlich relevante Herausforderungen hinzu: Viele Tafeln geraten aufgrund des Erfolgs beim ursprünglichen Ausgangspunkt der Tafelarbeit, also der Vermeidung von Lebensmittelvernichtung, unter Druck. Anders formuliert: Die Fortschritte in der Logistik vor allem der großen Lieferanten der Tafeln, also der Supermärkte, führt dazu, dass der Nachschub an verteilbaren Lebensmitteln bei gleichzeitig steigender Zahl an „Kunden“ zurückgeht. Und in diesem Kontext sollten dann auch neue Anbieter und damit grundsätzlich auch Konkurrenten der „klassischen“ Tafelarbeit zur Kenntnis genommen werden. Das ist eine höchst diskussionsbedürftige Entwicklung: Während sich die kritische Öffentlichkeit an den „klassischen“ Tafeln abarbeitet, wächst und gedeiht offensichtlich im Windschatten eine neue Szene, die zuweilen als (angebliche) „Sozialunternehmen“ firmieren, die (scheinbar) einem guten Zweck huldigen, aber in Wirklichkeit knallharte Geschäftsinteressen vertreten. Die Vermarktlichung der Lebensmittelrettung schreitet voran und die nicht-markttauglichen Bereiche wie die Versorgung bedürftiger Menschen werden sicher nicht davon profitieren.Vgl dazu ausführlicher die Ausführungen in dem Beitrag Die Tafeln als immer selbstverständlicher werdender Teil der Überlebensökonomie und der Kritik daran. Zugleich Konkurrenz durch neue Geschäftsmodelle der Lebensmittelrettung vom 19. Oktober 2019.
Die Tafeln werden nach eigenen Angaben (bislang) fast ausschließlich durch Spenden finanziert: Einerseits durch die Lebensmittelspenden von Supermarkt- und Restaurantketten, von regionalen Bäckern oder Fleischereien. Andererseits durch Geldzuwendungen oder auch durch Sachspenden, etwa Transportfahrzeuge oder Kleidung.
Aber die Hoffnungen mancher in den Tafeln, dass es nunmehr endlich mehr staatliche Unterstützung geben wird, müssen derzeit wohl deutlich gedämpft werden. Beispiel: »Der rheinland-pfälzische Verband der Tafeln hat ermittelt, dass fast 54.000 Menschen aktuell ihr Angebot nutzen. Mehr finanzielle Hilfe von Kommunen und Land wird es jedoch nicht geben«, berichtet Gernot Ludwig in seinem Beitrag Tafel-Verband bittet vergeblich um Unterstützung. Er bezieht sich auf eine Umfrage des rheinland-pfälzischen Verbands der Tafeln. »In den 54 rheinland-pfälzischen Tafeln arbeiten rund 4.700 Menschen – fast 97 Prozent davon ehrenamtlich. Zum Vergleich: Nach einer Umfrage des deutschen Dachverbands der Tafeln sind bundesweit etwa 90 Prozent der Tafelmitarbeiter ehrenamtlich.« Und auch in diesem Beitrag geht es um die Finanzierungsfrage:
»Die Finanzierung der Tafeln erfolgt über Spenden. Der Verband kritisiert, dass mit diesen Spenden auch Ausgaben finanziert werden müssen, die durch staatliche Auflagen entstünden. So würden die Tafeln beispielsweise gezwungen, Fachkräfte für Hygiene, Arbeitssicherheit oder den Datenschutz zur Verfügung zu stellen. Die Lehrgangskosten dazu müssten aber aus Spenden finanziert werden, die eigentlich dafür vorgesehen seien, armen Menschen zu helfen … Der Tafelverband Rheinland-Pfalz fordert deshalb, dass Lehrgangs- und Fortbildungskosten der ehrenamtlichen Mitarbeiter künftig das Land übernimmt.« Die Antwort aus der Landespolitik: »Das Sozialministerium sagt dazu: Denkbar sei, solche Lehrgangskosten im Rahmen des zur Verfügung stehenden Geldes in Einzelfällen zu bezuschussen.«
Und hinsichtlich der Kommunen, die eigentlich Hauptansprechpartner der Tafeln sind bzw. sein müssten, erfahren wir vom Tafelverband Rheinland-Pfalz: »Mehr finanzielle Unterstützung fordert der Verband auch von den Kommunen. So hat die Umfrage ergeben, dass nur 14 Tafeln regelmäßig von ihren Städten oder Kreisen finanzielle Hilfe erhalten. Und selbst in diesen Fällen sei die Hilfe keineswegs sicher, so die Vorsitzende Altmeyer-Baumann. Es handele sich um eine so genannte freiwillige Leistung der Kommunen, über die der Stadtrat oder der Kreistag jedes Jahr neu entscheiden müsse. Ob die finanzielle Hilfe tatsächlich fließe, hinge immer auch von der Kassenlage der Kommune ab. Dabei bräuchten die Tafeln die Unterstützung der Kommunen dringend, etwa um die Kosten für die Miete zu stemmen. Die jährlichen Mietkosten der rheinland-pfälzischen Tafeln (ohne Strom, Wasser, Gas) liegen laut Altmeyer-Baumann jeweils bei bis zu 25.000 Euro im Jahr – beispielsweise bei den Tafeln von Mainz, Worms oder der Tafel Rhein-Hunsrück.«
Oder ein anderes Kostenbeispiel, an das Außenstehende sicher nicht denken: »Die Kommunen könnten den Tafeln aber auch anders helfen – etwa bei den Müllgebühren. Tafeln müssen wie Privatleute für die Entsorgung von Pappe, Plastik und verdorbenen Lebensmitteln Gebühren an die Kommunen zahlen. Größere Tafeln werden laut Verband wie Gewerbebetriebe behandelt – was zu höheren Gebühren führt. Laut Altmeyer-Baumann müssten die Tafeln jährlich bis zu 1.500 Euro Müllgebühren zahlen, beispielsweise in Wörth, Edenkoben und Bad Kreuznach. Eine Tafel, die nicht genannt werden will, muss sogar 4.000 Euro im Jahr zahlen. Der Umfrage zufolge kommen in rund 40 Prozent der Fälle die Kommunen den Tafeln hier finanziell entgegen.«
Konkrete Forderungen – und die Antworten?
»Der Vorsitzende des Landkreistages, Günther Schartz (CDU, Landkreis Trier-Saarburg), weist die Forderungen Tafeln zurück. Dazu fehle den Kommunen oft das Geld … Die Landesregierung lehnt es derweil ab, die rheinland-pfälzischen Tafeln flächendeckend und auf Dauer zu bezuschussen. Das Sozialministerium teilte … mit, aufgrund der vielen Spenden für die Tafeln sei das derzeit auch nicht erforderlich.«