Mit dem „Paketboten-Schutz-Gesetz“ will der Bundesarbeitsminister den Wilden Westen der Paketzustellung einhegen. Die Nachunternehmerhaftung soll kommen. Aber das wird nicht reichen

Das muss man dem Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) lassen – er verzichtet auf die emotionalisierende Ummäntelung eines seiner neuen Gesetze und hat sich nicht zu einem „Gute-Arbeit-für Paketboten-Gesetz“ verführen lassen. Aber selbst der nüchterner daherkommende Titel „Paketboten-Schutz-Gesetz“ atmet noch etwas von diesem Geist, denn die Botschaft ist klar und unmissverständlich: Endlich werden die schwächsten Glieder am Ende einer langen Meile unter die Schutzfittiche des Staates genommen: die Tag für Tag einer immer beschwerlicher werdenden Don Quichotterie gegen Verkehrschaos in den Straßen, nicht anwesenden Kunden und uneinlösbaren Mengen- und Zeitvorgaben kämpfenden Paketzusteller. Jeder kennt diese teilweise nur noch zu bedauernden Menschen, die einzigen lebenden Menschen, die man nach dem online getätigten Kaufakt zu Gesicht bekommt – wenn man denn zufällig da ist, wenn der Paketbote klingelt. Und die haben wahrlich viel zu tun – allein in diesem Jahr wird mit etwa 3,7 Milliarden Paketen in Deutschland gerechnet. Und wir sprechen von einer Branche, in der mehr als 200.000 Beschäftigte unterwegs sind.

„Es geht darum, dass wir fairen Wettbewerb wollen, dass anständige Unternehmen nicht die Dummen sein sollen“, sagte Heil. Die in der Branche arbeitenden Menschen bräuchten faire Arbeitsbedingungen. In vielen Bereichen werde mit „Konstruktionen von Sub-, Sub-, Subunternehmern gearbeitet“. Dort würden Löhne gedrückt und Sozialbeiträge hinterzogen: „Das werden wir nicht weiter zulassen.“ So wird der Minister in dem Beitrag Ein Gesetz gegen Ausbeutung von Sub-, Sub-, Subunternehmern zitiert. Selbst das Ministerium macht mit der Überschrift der eigenen Pressemitteilung eine klare Ansage, die jeder verstehen kann: „Ausbeutung einen Riegel vorschieben“. Und auch darin finden wir einen O-Ton des Ministers: „Die Entwicklung in Teilen der Paketbranche ist so schon länger nicht mehr akzeptabel. Arbeitende Menschen werden ausgebeutet, oft Menschen aus Mittel- und Osteuropa, die nur wenig Deutsch sprechen. Dieser üblen Praxis schieben wir mit dem Paketboten-Schutz-Gesetz einen Riegel vor, indem wir die Nachunternehmerhaftung für Sozialversicherungsbeiträge auch für die Paketbranche auf den Weg bringen.“ Na endlich, werden viele denken und zustimmend zur Kenntnis nehmen, dass nun etwas auf den konkreten gesetzgeberischen Weg gebracht wurde.

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Paketzusteller: Die Spitze der Pyramide des Preis- und Lohndrucks soll in Haftung genommen werden können. Ein Schritt vorwärts mit einem Fragezeichen

Immer wieder wurde hier in den vergangen Jahren über die teilweise nur noch als Wild-West-Zustände beschreibbare Welt der Paketzusteller berichtet. Gefühlt eine Generation von Dokumentarfilmemachern hat sich an dem Thema abgearbeitet. Unzählige Artikel lassen sich in den Zeitungen des Landes finden, in denen über wirklich krasse Ausbeutungsfälle in dieser zugleich enorm expandierenden Branche informiert wurde. Und wir alle können uns als Konsumenten und damit als Inanspruchnehmer der letzten Glieder in der Kette der Erfüllungsgehilfen einer amazonisierten Gesellschaft nicht einfach mit dem Argument einer angeblichen Nicht-Betroffenheit abwenden, sondern die allermeisten von uns sind tagtäglich Mitverursacher der vielfach beschriebenen Missstände bei vielen Paketzustellern, deren schlechte Arbeitsbedingungen eben auch ein Teil der niedrigen Versandkosten und der weit verbreiteten Mentalität eines – für den Absender „natürlich“ kostenlosen – Retouren-Kollektivs sind.

Und erst vor kurzem erreichten uns wieder solche, keinen leider wirklich überraschenden Meldungen: Das Hauptzollamt Köln hat vor mehreren Postdepotzentren Paketzusteller und Kurierdienste ins Visier genommen. Bei 540 überprüften Personen gab es 220 Hinweise auf Mindestlohnverstöße. Es seien überwiegend Fahrer gewesen – aus 147 verschiedenen Firmen. Allein diese Zahl in Relation zu den 540 insgesamt Überprüften verdeutlicht, mit wie vielen kleinen Zustellfirmen, die als Nachunternehmer unterwegs sind, man in diesem Bereich konfrontiert wird. Bei den Mindestlohnverstößen seien zum Beispiel Anfahrts- und Ladezeiten vom Arbeitgeber nicht als Arbeitszeit angerechnet worden, so der Artikel Paketzusteller überprüft: Viele Hinweise auf Mindestlohnverstöße.

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Wenn die Polizei osteuropäische Lkw-Fahrer mit Flugblättern von der Gewerkschaft versorgt, dann muss es schlimm bestellt sein. Aber es geht noch schlimmer bei der Beschaffung von Arbeitskräftematerial

Über die teilweise nur noch als skandalös und menschenunwürdig zu bezeichnenden Zustände, unter denen viele Lkw-Fahrer vor allem aus Osteuropa auf den Straßen ihr Dasein fristen müssen, wird immer wieder in den Medien berichtet. Auch in diesem Blog, so beispielsweise am 30. Juli 2017 unter der Überschrift Von wegen Trucker-Mythos. Die Lkw-Fahrer als letztes Glied einer hoch problematischen Verwertungskette. Und es sind nicht nur die großen Brummis – viele Bürger bekommen tagtäglich unmittelbar Kontakt mit den angeheuerten Hilfstruppen aus osteuropäischen Ländern, mit denen die Paketdienste versuchen, die stetig wachsenden auszuliefernden Mengen zu bewältigen.
Das passiert natürlich deshalb, weil die billigen Arbeitskräfte ein wesentlicher Kostenfaktor in den Geschäftsmodellen der Speditionen und Paketdienste darstellen. Aber halt, wird der eine oder andere an dieser Stelle einwenden: Es gibt doch seit 2015 den gesetzlichen Mindestlohn und der sollte doch nun wirklich die schlimmsten Lohndumping-Exzesse verhindern. Und wurde nicht erst vor kurzem die frühe Botschaft vermittelt, dass die EU mit einer neuen Entsenderichtlinie der Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft Einhalt gebieten will? Dazu der Beitrag Umrisse eines Europas, das schützt und den Arbeitnehmern nicht die kalte Schulter zeigt? Ein Blick auf die sozialpolitischen Ambitionen der EU-Kommission für die europäische Ebene vom 16. März 2018. Aber der eine oder andere wird sich auch daran erinnern: Die bewusst Vergessenen: Die Lkw-Fahrer bleiben bei der Reform des EU-Entsenderechts auf der Strecke vom 26. Oktober 2017.

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