Kein Durchblick vom Amt. Die Kosten einer Brille bei Hartz IV und Sozialhilfe sowie „verfassungskonforme“ 2,70 Euro pro Monat, die im Sparschwein landen sollen

Das Instrument der „Kleinen Anfrage“ wird vor allem von den Parteien auf den Oppositionsbänken gerne genutzt, um der Regierung mehr oder weniger unangenehme Fragen zu stellen. Und man kann aus den Antworten immer auch viele nützliche Informationen herausziehen. Beispielsweise eine solche:

»Die Leistungen zur Deckung der Regelbedarfe werden als pauschalierter Gesamtbetrag erbracht, dessen Ermittlung auf statistischen Methoden – basierend auf der jeweils aktuellen Einkommens- und Verbrauchsstichprobe des Statistischen Bundesamtes (EVS) – beruht. Die Aufwendungen für Gesundheit – worunter auch Sehhilfen fallen – sind in vollem Umfang und verfassungskonform berücksichtigt worden … Soweit die Krankenkassen Kosten für Sehhilfen nicht übernehmen, ist ein entsprechender Bedarf aus den pauschalierten Leistungen zur Deckung des Regelbedarfs zu bestreiten. Sollten die Eigenleistungen für Sehhilfen im Einzelfall hieraus nicht erbracht werden können und handelt es sich nach den Umständen um einen unabweisbaren Bedarf, kann der zuständige Träger der Grundsicherung gegebenenfalls ein zinsloses Darlehen erbringen.«

So antwortet die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion im Deutschen Bundestag:
➔ Kosten für Brillen bei Hartz IV und Sozialhilfe, Bundestags-Drucksache 19/19519 vom 27.05.2020.

Wenn man sich die einführenden Worte der fragestellenden Fraktion anschaut, dann wird man sehr schnell ahnen, dass das als eine mehr als unbefriedigende Auskunft gewertet wird:

mehr

Mit Wumms aus der Krise? Licht und Schatten des umfangreichen Konjunkturprogramms für Menschen mit niedrigen Einkommen

Das war eine länger als geplante Partie, die da in Berlin gespielt wurde, bis endlich am vergangenen Mittwoch Abend das Ergebnis zweitägiger Verhandlungen über ein großes Konjunkturprogramm verkündet werden konnte. Das aber hatte es dann durchaus in sich. Bundesfinanzminister Olaf Scholz von der SPD hat versucht, einen semantischen Fußabdruck zu setzen, als er sagte, man wolle nun „mit Wumms aus der Krise kommen“. Folgt man der Häufigkeit, mit der sein „Wumms“ in den Medien aufgegriffen wurde, dann ist ihm das auch gelungen. Und man muss sich vor Augen halten, dass wir hier über gigantische Größenordnungen sprechen: Allein das nunmehr geschnürte Konjunkturpaket der Bundesregierung wird ein Volumen von (mindestens) 130 zu den bisherigen Rettungsprogrammen zusätzlichen Milliarden Euro haben, während gleichzeitig die Europäische Zentralbank (EZB) ihr zu Beginn der Krise aufgelegtes neues Anleihekaufprogramm von 750 auf 1.350 Milliarden Euro aufgestockt hat.

Im Mittelpunkt der allgemeinen Berichterstattung über das neue Konjunkturprogramm stehen Aspekte wie die erwartete, von vielen kritisierte und dann schlussendlich gestoppte Kaufprämie für alle Neuwagen, also auch Benziner und Diesel-Fahrzeuge. Oder der auch für viele Ökonomen eher überraschende Schritt, (vorerst) für ein halbes Jahr die Mehrwertsteuer abzusenken und zu hoffen, dass das auch an die Verbraucher weitergegeben wird. Insgesamt wird man wohl bilanzieren dürfen, dass es von vielen Seiten eine grundsätzliche Zustimmung zu dem 57 Maßnahmen umfassenden Paket (Corona-Folgen bekämpfen, Wohlstand sichern, Zukunftsfähigkeit stärken. Ergebnis Koalitionsausschuss 3. Juni 2020) gibt, wenngleich jetzt, nachdem der erste Nebel verzogen ist, Detailaspekte auch kritisch diskutiert werden (beispielsweise, dass es offensichtlich nicht so ist, dass eine kurzfristige Mehrwertsteuersenkung einfach per Knopfdruck umgesetzt werden kann, vgl. dazu z.B. Handel fürchtet Millionenkosten durch Mehrwehrtsteuersenkung.)

Aber hier soll es um einen ganz besonderen Aspekt gehen: Was bringt das umfangreiche Maßnahmenpaket Menschen mit niedrigen Einkommen (nicht)?

mehr

Mehrbedarfe im Hartz IV-System: Daumen hoch für Schülertablets, Daumen runter für Mund-Nase-Bedeckungen. Ein Streifzug durch aktuelle Entscheidungen der Sozialgerichte

»Der Bedarf für die Anschaffung eines internetfähigen Computers zur Teilnahme an dem pandemiebedingten Schulunterricht im heimischen Umfeld sei im Regelbedarf nicht berücksichtigt. Es handele sich um einen grundsicherungsrechtlich relevanten Bedarf für Bildung und Teilhabe. Denn die Anschaffung eines internetfähigen Endgeräts sei mit der pandemiebedingten Schließung des Präsenzschulbetriebs erforderlich geworden.« (LSG NRW vom 22.05.2020 – L 7 AS 719/20 B ER, L 7 AS 720/20 B ER) Das Landessozialgericht NRW spricht hinsichtlich der Kosten für ein Tablet von einem „anzuerkennenden unabweisbaren, laufenden Mehrbedarf“.

»Eine Schülerin der 8. Klasse an einem Gymnasium, die Sozialleistungen erhält, hatte Ende Januar einen internetfähigen Computer beantragt. Dafür hatte sie auch eine Bestätigung ihrer Schulleiterin vorgelegt, wonach der Rechner für die Hausaufgaben benötigt werde. Das Jobcenter hatte die Anschaffung jedoch abgelehnt, auch das Sozialgericht Gelsenkirchen verneinte in einem Eilrechtsschutzverfahren den Bedarf«, so dieser Artikel: Schülertablet für digitalen Unterricht gilt als Mehrbedarf. Da die Schülerin mittlerweile durch eine private Spende einen internetfähigen Laptop erhalten habe, brauche sie keinen Eilrechtsschutz mehr, aber die Richter des LSG haben den Sachverhalt genutzt, um grundsätzlich zu entscheiden.

Dafür gibt es nun auch wirklich Anlass genug. In den Regelbedarfen für Kinder und Jugendliche sind im laufenden Jahr 2020 für 0-6Jährige 76 Cent, für 6-14Jährige noch 55 Cent, für 14-18Jährige 23 Cent und für volljährige im Elternhaus lebende Erwachsene 88 Cent für Bildung enthalten. „Spitzenreiter“ sind die alleinstehenden bzw. alleinerziehenden Erwachsenen, für deren Bildung stolze 1,12 Euro im Regelbedarf vorgesehen sind. Also pro Monat.

mehr

Corona-„Familienbonus“: 300 Euro pro Kind. Warum nicht gleich 600 Euro? Für alle. Wirklich für alle?

Dass derzeit Unmengen an Geld ausgeschüttet oder zumindest versprochen werden, deren Ausmaße man sich vor wenigen Wochen, als Hinweise auf dringend erforderliche Ausgabenbedarfe selbst für existenzielle Angelegenheiten mit dem Textbaustein „das ist nicht finanzierbar“ in den Papierkorb befördert wurden, nicht annähernd vorstellen konnte, ist nun jedem bekannt. Und eigentlich sollte es, bei all den unterschiedlichen und für sich genommen sicher verständlichen Hilferufen nach staatlichen Hilfen, keinen großen Widerspruch auslösen, dass man das nicht unbegrenzt fortführen kann und das man die begrenzten Mittel fokussieren sollte zum einen auf diejenigen, die einen besonderen Hilfebedarf haben, zum anderen aber staatliche Subventionen zu vermeiden sind, wenn Mitnahmeeffekte dominieren, angestrebte Wirkungen nur zu einem Bruchteil erreichbar sind oder wo bestehende Ungleichheiten auch noch potenziert werden.

Das könnte man durchaus durchaus durchdeklinieren am Beispiel der nun doch – nach einer gewissen „Schamfrist“ im Anschluss an den „Autogipfel“ vor wenigen Wochen bei der Bundeskanzlerin – offensichtlich beabsichtigten Wiederbelebung der „Abwrackprämie“ in modernem Gewand, also einer Subventionierung des Kaufs neuer Autos durch Steuermittel. Aber das soll hier nicht passieren. Denn es tut sich ein weiteres Spielfeld auf, wo ebenfalls Milliarden-Beträge fließen würden und dann auch noch für eine augenscheinlich sozialpolitisch höchst relevante Zielgruppe: Familien. Denn die sollen einen „Familienbonus“ bekommen, eine einmalige Geldleistung in Abhängigkeit von der Kinderzahl.

mehr

Hartz IV als temporärer Rettungsanker für die in ihrer Existenz bedrohten Coronavirus-Krisenopfer? Und was für (andere) einkommensschwache Haushalte getan werden könnte bzw. müsste

In den nächsten Tagen wird die Bundesregierung eine ganze Reihe an gesetzgeberischen Maßnahmen auf den Weg bringen, bei denen es darum geht, wie den vielen Opfern der Coronavirus-Krise geholfen werden kann. Die Ausweitung der Kurzarbeitergeld-Regelung ist bereits in Windeseile in Kraft gesetzt worden. Was aber kann man für die unzähligen anderen Opfern der Stilllegung weiter Teile des sozialen und damit auch ökonomischen Lebens tun? Für die Solo-Selbstständigen, die von einem Tag auf den anderen überhaupt keine Einnahmen mehr haben? Für die anderen Kleinst- und Kleinunternehmer, die vor einem Alpengebirge an Fixkosten bei gleichzeitig wegbrechenden Einnahmen stehen?

Auch für diese Gruppen sollen – so heißt es aus der Regierung und den Bundesländern – umfangreiche Mittel zur Verfügung gestellt werden. Selbst wenn das so kommt, muss das auch an die Menschen gebracht werden.

Das gilt auch für das letzte Auffangnetz unseres Sozialstaats, also die Grundsicherung nach SGB II, umgangssprachlich als Hartz IV bezeichnet. Auch hier muss ein – wahrscheinlich erwartbarer enormer – Zustrom an Hilfebedürftigen bewältigt werden. Und das in einem System, das bereits unter Normalbedingungen als extrem kompliziert und mit langen Bearbeitungs- und Bewilligungszeiten versehen kritisiert wurde.

mehr