Das war eine länger als geplante Partie, die da in Berlin gespielt wurde, bis endlich am vergangenen Mittwoch Abend das Ergebnis zweitägiger Verhandlungen über ein großes Konjunkturprogramm verkündet werden konnte. Das aber hatte es dann durchaus in sich. Bundesfinanzminister Olaf Scholz von der SPD hat versucht, einen semantischen Fußabdruck zu setzen, als er sagte, man wolle nun „mit Wumms aus der Krise kommen“. Folgt man der Häufigkeit, mit der sein „Wumms“ in den Medien aufgegriffen wurde, dann ist ihm das auch gelungen. Und man muss sich vor Augen halten, dass wir hier über gigantische Größenordnungen sprechen: Allein das nunmehr geschnürte Konjunkturpaket der Bundesregierung wird ein Volumen von (mindestens) 130 zu den bisherigen Rettungsprogrammen zusätzlichen Milliarden Euro haben, während gleichzeitig die Europäische Zentralbank (EZB) ihr zu Beginn der Krise aufgelegtes neues Anleihekaufprogramm von 750 auf 1.350 Milliarden Euro aufgestockt hat.
Im Mittelpunkt der allgemeinen Berichterstattung über das neue Konjunkturprogramm stehen Aspekte wie die erwartete, von vielen kritisierte und dann schlussendlich gestoppte Kaufprämie für alle Neuwagen, also auch Benziner und Diesel-Fahrzeuge. Oder der auch für viele Ökonomen eher überraschende Schritt, (vorerst) für ein halbes Jahr die Mehrwertsteuer abzusenken und zu hoffen, dass das auch an die Verbraucher weitergegeben wird. Insgesamt wird man wohl bilanzieren dürfen, dass es von vielen Seiten eine grundsätzliche Zustimmung zu dem 57 Maßnahmen umfassenden Paket (Corona-Folgen bekämpfen, Wohlstand sichern, Zukunftsfähigkeit stärken. Ergebnis Koalitionsausschuss 3. Juni 2020) gibt, wenngleich jetzt, nachdem der erste Nebel verzogen ist, Detailaspekte auch kritisch diskutiert werden (beispielsweise, dass es offensichtlich nicht so ist, dass eine kurzfristige Mehrwertsteuersenkung einfach per Knopfdruck umgesetzt werden kann, vgl. dazu z.B. Handel fürchtet Millionenkosten durch Mehrwehrtsteuersenkung.)
Aber hier soll es um einen ganz besonderen Aspekt gehen: Was bringt das umfangreiche Maßnahmenpaket Menschen mit niedrigen Einkommen (nicht)?
Bei den vielen Milliarden an Euros, die hier aufgerufen wurden, fällt doch sicherlich auch was ab für die einkommensschwachen Haushalte in unserem Land. Nun könnte der eine oder andere an dieser Stelle durchaus vorbelastet in die weitere Analyse gehen und dabei auf diesen am 12. Mai 2020 veröffentlichten Beitrag verweisen: Am ausgestreckten Arm … Die Bundesregierung und der Nicht-Zuschlag für Menschen in der Grundsicherung. Die bleiben beim Sozialschutz-Paket II weiter außen vor. Selbst der im Vorfeld des Sozialschutz-Pakets II von vielen vor allem aus der Praxis geforderte monatliche Zuschlag auf den Regelsatz in der Grundsicherung nach SGB II und XII in Höhe von wenigstens 100 Euro monatlich für Erwachsene sowie einen Zuschlag für die Kinder und Jugendlichen wurde großkoalitionär abgeblockt. Nichts gibt es.
300 Euro pro Kind: Der einmalige „Kinderbonus“ kommt (auch unten)
Also zumindest an dieser Stelle kann man eine Korrektur dahingehend vornehmen, dass auch die Menschen, die im SGB II-Bezug sind und ein oder mehrer Kinder haben, von den geplanten Maßnahmen profitieren werden.
Im Ergebnispapier heißt es dazu auf der Seite 6:
»Mit einem einmaligen Kinderbonus von 300 Euro pro Kind für jedes kindergeldberechtigtes Kind werden die besonders von den Einschränkungen betroffenen Familien unterstützt. Dieser Bonus wird mit dem steuerlichen Kinderfreibetrag vergleichbar dem Kindergeld verrechnet. Er wird nicht auf die Grundsicherung angerechnet.«
Der letzte Satz ist hier von entscheidender Bedeutung, denn er muss explizit erwähnt werden, ansonsten hätte ein anderes Szenario gegriffen: die Anrechnung des einmaligen Betrages auf die Leistungsansprüche innerhalb des SGB II.
➔ Die relevante Rechtsgrundlage ist der § 11 SGB II: „Zu berücksichtigendes Einkommen“. Vereinfacht gesagt: Bis auf wenige Ausnahmen wird alles angerechnet. Und die wenigen Ausnahmen findet man zum einen im § 11a SGB II: „Nicht zu berücksichtigendes Einkommen“, zum anderen im § 11b SGB II, dort sind die Absetzbeträge geregelt, wenn der Leistungsempfänger Einnahmen aus einer Erwerbstätigkeit hat. Vgl. für detaillierte Ausführungen auch die Fachlichen Weisungen §§ 11-11b SGB II Zu berücksichtigendes Einkommen der Bundesagentur für Arbeit (Stand: 07.02.2020). In dem Beitrag Corona-„Familienbonus“: 300 Euro pro Kind. Warum nicht gleich 600 Euro? Für alle. Wirklich für alle? vom 24. Mai 2020 wurde hier darauf hingewiesen, dass die bestehende Rechtslage eine explizite Festschreibung der Nicht-Anrechnung des nun „Kinderbonus“ genannten einmaligen Geldbetrages erforderlich macht. Das ist ausweislich des Ergebnispapiers nun auch so geplant. Gut so.
Und wenn wir schon dabei sind, sollte man den Experten in Berlin auch gleich noch der Vollständigkeit halber mit auf den weiteren Umsetzungsweg geben: Besonders wichtig: der Betrag muss nicht nur anrechnungs-, sondern auch pfändungsfrei gestellt werden. Und sollten (theoretisch) einzelne Bundesländer den Betrag noch aufstocken wollen, dann sollte das ebenfalls anrechnungsfrei bleiben.
Kein Kind? Dann bleibt das Konto leer
Nun betrifft der „Kinderbonus“ logischerweise nur diejenigen, die auch ein oder mehrere Kinder haben, die zudem noch im „Kindergeld-Alter“, also unter 25 Jahre, sind. Und was ist mit den Alleinstehenden im Hartz IV-Leistungsbezug? Wa ist mit den altersarmen Menschen in der Grundsicherung nach SGB XII (von denen viele Kinder großgezogen haben, was aber nicht relevant ist für den „Kinderbonus“, denn die Kinder dieser Menschen sind nicht mehr im Kindergeldbezug)?
Für diese Menschen ist weiterhin nichts vorgesehen. Kein befristeter „Corona-Zuschlag“ auf die Regelleistung, von einer dauerhaften Anhebung dieser Leistungen ganz zu schweigen. Dabei besteht hier gerade seit Ausbruch der Krise ein erheblicher Handlungsbedarf, denn die den Menschen im SGB II und XII zugestandenen Regelbedarfe sind derart auf Kante genäht, dass sie schon unter Normalbedingungen bei vielen, vor allem den länger diese Leistungen bleichenden Menschen vorne und hinten nicht ausreichen. Dass die im Zusammenspiel mit vielen anderen Faktoren (beispielsweise die vorübergehende Schließung vieler Tafeln sowie der ausgeprägte Preisanstieg bei Lebensmitteln) finanziell zusätzlich gebeutelt waren und sind, steht außer Frage und war ja auch der wichtigste Grund dafür, dass zahlreiche Organisationen einen entsprechend gegensteuernden „Corona-Zuschlag“ gefordert haben. Erfolglos, wie wir gesehen haben.
Das bisherige Vorgehen der Bundesregierung gegenüber den Hilfeempfängern im Grundsicherungsbereich war dadurch geprägt, dass man offensichtlich darauf spekuliert, die Krise mit den bestehenden Leistungen durchstehen zu können und jede geforderte Reaktion im Sinne einer wenigstens befristeten Aufstockung, die aber schnell, weil jetzt das Problem drängt, abblockt. Man könnte an dieser Stelle darauf verweisen, dass selbst das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber einen Handlungsauftrag ins Stammbuch geschrieben hat, wenn …:
➔ »Ergibt sich eine offensichtliche und erhebliche Diskrepanz zwischen der tatsächlichen Preisentwicklung und der bei der Fortschreibung der Regelbedarfsstufen berücksichtigten Entwicklung der Preise für regelbedarfsrelevante Güter, muss der Gesetzgeber zeitnah darauf reagieren. So muss die Entwicklung der Preise für Haushaltsstrom berücksichtigt werden … Ist eine existenzgefährdende Unterdeckung durch unvermittelt auftretende, extreme Preissteigerungen nicht auszuschließen, darf der Gesetzgeber dabei nicht auf die reguläre Fortschreibung der Regelbedarfsstufen warten.« So das BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 23. Juli 2014, 1 BvL 10/12 -, Rn. 144.
Das muss alles eingeordnet werden vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die konkrete Höhe der Regelleistungen seit Jahren von vielen Experten als zu niedrig eingestuft wird und auch in der Bevölkerung gibt es offensichtlich ein Gespür dafür, dass hier eine Diskrepanz zwischen Ist und Soll vorhanden ist. Dazu diese neue Veröffentlichung aus den Reihen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes:
➔ Der Paritätische Gesamtverband (2020): Regelsätze zu niedrig: Einschätzungen der Bevölkerung zu Kosten des täglichen Lebensunterhalts. Ergebnisse einer Meinungsumfrage im Auftrag des Paritätischen Gesamtverbandes, Berlin, 27.05.2020
Der Paritätische wollte wissen, wie die Menschen denken, was es braucht, um den Lebensunterhalt zu bestreiten und wie diese Einschätzungen zu den tatsächlichen Regelsätzen stehen? Dazu wurde eine repräsentative Umfrage vom 4. bis 9. März 2020 vom Markt- und Meinungsforschungsinstitut Forsa im Auftrag des Paritätischen Gesamtverbands durchgeführt – und damit zu einem Zeitpunkt vor den weitgehenden politischen Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus. »Auch ohne Berücksichtigung coronabedingter Mehrausgaben gehen die allermeisten Menschen nicht davon aus, dass die in Hartz IV und Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung vorgesehenen Regelsätze ausreichen, um den Lebensunterhalt bestreiten zu können. Lediglich eine sehr kleine Minderheit ist anderer Ansicht. Eine überwältigende Mehrheit jedoch setzt den Betrag dessen, was man zum Lebensunterhalt braucht, deutlich höher. Der Betrag, der im Durchschnitt der Befragten für nötig erachtet wird, liegt um fast 70 Prozent über dem, der einem alleinlebenden Grundsicherungsbezieher tatsächlich zugestanden wird. In Zeiten der Corona-Krise sticht insbesondere ins Auge, dass der im Durchschnitt für Ernährung veranschlagte Bedarf mit 300 Euro im Monat sogar doppelt so hoch ist wie der Betrag, den die Bundesregierung in ihrem Regelsatz rechnerisch für Ernährung als ausreichend erachtet. Die notwendigen Ausgaben für Körperpflegeprodukte werden von den Befragten gleich fast dreimal so hoch wie von … der Bundesregierung veranschlagt.« (S. 3)
Und ist sonst noch was drin im Konjunkturpaket?
Da wäre noch die Verlängerung des vereinfachten Zugangs zu Sozialleistungen des SGB II, also die Regelungen des Sozialschutzpakets I (§ 67 SGB II / § 141 SGB XII): »Der vereinfachte Zugang in die Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) wird über die bisherige Geltungsdauer hinaus bis zum 30. September 2020 verlängert«, heißt es in der Nummer 14 des Ergebnispapiers der Koalitionsparteien. Zu diesem befristeten „niedrigschwelligen Zugang“ in das Harz IV-System vgl. den Beitrag Hartz IV als temporärer Rettungsanker für die in ihrer Existenz bedrohten Coronavirus-Krisenopfer? Und was für (andere) einkommensschwache Haushalte getan werden könnte bzw. müsste vom 23. März 2020. Bereits in diesem Beitrag wurde eine rasche monetäre Aufstockung der Leistungen im SGB II und SGB XII thematisiert und eingefordert.
Und im komplizierten föderalen Finanzgefüge ist dieses Vorhaben durchaus von Bedeutung, betrifft es doch neben dem Regelbedarf die zweite tragende Säule des Grundsicherungssystems, also die Übernahme der „angemessenen Kosten der Unterkunft“ (KdU). Im Punkt 18 des neuen Programms ist vorgesehen:
»Zur Stärkung der Kommunen angesichts der dort ebenfalls auftretenden Steuerausfälle wird der Bund dauerhaft weitere 25% und insgesamt bis zu 75% der Kosten der Unterkunft im bestehenden System übernehmen. Wir wollen dabei verhindern, dass die Leistungen für Unterkunft und Heizung künftig im Auftrag des Bundes erbracht werden. Die Kommunen kennen den örtlichen Wohnungsmarkt am besten und sollen deswegen weiterhin für diese Leistungen verantwortlich sein. Daher werden wir in der Verfassung abweichend regeln, dass der Bund die Kosten der Unterkunft und Heizung in der Grundsicherung für Arbeitsuchende bis zu 75% tragen kann, bevor Bundesauftragsverwaltung eintritt.« Hier wird ein damit verbundener Finanzbedarf in Höhe von 4 Mrd. Euro jährlich kalkuliert.
Harald Thomé sieht hier durchaus mögliche positive Perspektiven für die Betroffenen: »Bisher haben die Kommunen die SGB II-KdU –Kosten in erheblichen Maße selber tragen müssen, Wuppertal z.B. rd. 100 Mio. EUR im Jahr. Durch diese erhebliche Belastung für klamme Kommunen wurde durch den Bund der Anreiz geschaffen, die Angemessenheitswerte so gering wie möglich festzusetzen. Durch diese Kostenumverteilung … sind die Kommunen gefordert, nicht mehr so restriktiv und rechtsbrüchig bei den KdU zu verfahren!« (Quelle: Thomé Newsletter 19/2020 vom 07.06.2020).
Und schlussendlich hier noch der Hinweis auf ein mit kalkulierten 11 Mrd. Euro durchaus große Komponente des Konjunkturprogramms, der hinsichtlich seiner angestrebten Wirkung auch die Haushalte im Grundsicherungsbezug betreffen wird, vor allem angesichts der seit langem anhaltenden Debatte über eine defizitäre Abbildung der Stromkosten in den Leistungen nach SGB II und XII. In der Nummer 3 heißt es gleich am Anfang des Ergebnispapiers:
»Die EEG-Umlage droht im Jahr 2021 aufgrund des corona-bedingten Rückgangs der Wirtschaftsleistung und des damit verbundenen Rückgangs des Börsenstrompreises stark anzusteigen, trotz der beginnenden Zuführung von Einnahmen aus dem nationalen Brennstoffemissionshandel. Um für mehr Verlässlichkeit bei den staatlichen Strompreisbestandteilen zu sorgen, wird ab 2021 zusätzlich zu diesen Einnahmen aus dem BEHG ein weiterer Zuschuss aus Haushaltsmitteln des Bundes zur schrittweisen verlässlichen Senkung der EEG-Umlage geleistet, sodass diese im Jahr 2021 bei 6,5 ct/kwh, im Jahr 2022 bei 6,0 ct/kwh liegen wird.«