Scheinselbständige „Pioniere in Weiß“? Wenn der Notarzt auf Honorarbasis arbeitet, bleibt das Blaulicht aus. Nicht nur in Mecklenburg-Vorpommern droht ein Kollaps

Als Pioniere in Weiß wurden 2014 selbständige Honorarärzte dem Publikum präsentiert: »Krankenhausärzte entdecken Freud und Leid der Selbstständigkeit.« Eine kleine, aber wachsende Gruppe: »Geschätzt 5.000 freiberufliche Ärzte verweigern sich derzeit der Festanstellung, dem traditionellen Beschäftigungsmodell für knapp 175.000 Mediziner in den deutschen Krankenhäusern. Statt in einer arbeiten sie jedes Jahr in fünf, zehn, zwanzig oder noch mehr Kliniken. Deutschlandweit oder im Ausland, für einige Tage oder wenige Wochen. Vergütung auf Honorarbasis: 30 bis 140 Euro in der Stunde, Behandlungsdienstleistung, umsatzsteuerfrei«, kann man dem Artikel entnehmen. Und schon ist man mitten drin in der Welt der Ökonomie: »Als Freiberufler kann ein Arzt weniger arbeiten, aber mehr verdienen. Der Ärztemangel wird so auf paradoxe Weise zum Grund für beides: die Flucht aus der Klinik. Und die Rückkehr. Entsprechend gelten Honorarärzte mal als Retter, mal als Verräter.«

Beobachtet wird eine Zunahme honorarärztlicher Tätigkeiten etwa seit dem Jahr 2005. Aber offensichtlich haben wir es bei den Honorarärzten mit einer schwierigen Materie zu tun. Bereits 2011 haben Bundesärztekammer (BÄK) und Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) ein gemeinsames Positionspapier veröffentlicht: Honorarärztliche Tätigkeit in Deutschland. Auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft meldete sich 2014 zu Wort: Honorarärzte in Krankenhäusern – eine arbeits- und sozialversicherungsrechtliche Standortbestimmung, so ist das Papier überschrieben. Schon bei der Formulierung des Titels wird der Sozialpolitiker aufhorchen. Offensichtlich sind die arbeits- und sozialrechtlichen Fragen, die mit der Honorararzt-Tätigkeit verbunden sind, eben nicht eindeutig geklärt, sonst würde es nicht diesen Bedarf an Positions- und sonstigen Papieren geben.

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Der Mindestlohn, seine Umgehung und ein riesiges Gefälle zuungunsten der „guten“ Arbeitgeber. Das Beispiel Bauwirtschaft

„Unsere Betriebe konkurrieren täglich mit Kriminellen“. So ist ein Gespräch mit Harald Schröer, dem Vertreter der Bauwirtschaft überschrieben, in dem er über neue illegale und legale Geschäftsmodelle berichtet, mit denen der Mindestlohn zunehmend umgangen wird.
Dabei geht es hier nicht um den seit dem 1. Januar 2015 gültigen gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro pro Stunde.

»Für das deutsche Baugewerbe gibt es schon seit 1997 einen Mindestlohn. Trotzdem scheint der eines nicht zu verhindern: Dumping-Löhne in einer Branche auf die neben 800.000 regulär Beschäftigte noch 100.000 angemeldete Entsende-Arbeitnehmer und rund 50.000 registrierte Solo-Selbstständige kommen.«

Der Geschäftsführer des Zentralverbandes des Deutschen Baugewerbes (ZDB) spricht von „neuen Geschäftsmodellen“, mit denen schwarze Schafe in der Branche unterwegs sind.

Was versteht er darunter? Dazu aus dem Interview, das Eva Roth für die „Frankfurter Rundschau“ mit ihm geführt hat, einige aufschlussreiche Passagen:

»In der Baubranche beobachten wir neue legale und illegale Modelle, wie der Mindestlohn umgangen wird … ich fange einmal mit dem klar Illegalen an: Wir beobachten in der Bauwirtschaft immer öfter Formen der organisierten Kriminalität, teils mit mafiösen Strukturen …«

Ein starker Vorwurf. Wie muss man sich das praktisch vorstellen?

»Eine bekannte mafiöse Methode sieht so aus: Ein Bauunternehmen X gründet eine Strohmann-Firma, die Scheinrechnungen an das Bauunternehmen für nicht erbrachte Leistungen ausstellt. Diese Scheinrechnungen werden bezahlt. Ein Großteil des Geldes fließt dann wieder bar an das Bauunternehmen zurück. So generiert die Firma X Schwarzgeld, mit dem sie Beschäftigte am Bau bar bezahlt. Die Arbeiter erhalten keinen Mindestlohn, Steuern und Sozialabgaben werden auch nicht entrichtet. So kann die Baufirma günstige Angebote machen. Die Stundenverrechnungssätze solcher Firmen sind höchstens halb so hoch wie die Stundensätze von Betrieben, die Mindestlöhne zahlen oder die höheren Tariflöhne plus Sozialabgaben. Solche mafiösen Strukturen verbreiten sich in Deutschland nahezu flächendeckend.«

Das ist für die anderen verständlicherweise ein echtes Problem:

»Die Stundensätze unserer Betriebe, die Tariflohn zahlen, liegen zwischen 45 und 50 Euro zuzüglich Mehrwertsteuer. Ausländische Firmen, die den Mindestlohn einhalten, liegen bei ungefähr 25 Euro. Firmen, deren illegale Geschäftsmodelle aufgeflogen sind, haben nur um die 18 Euro ohne Mehrwertsteuer verlangt. Unsere Betriebe konkurrieren tagtäglich auch mit solchen kriminellen Anbietern. In Ausschreibungen sind ihre legalen Angebote nicht mehr wettbewerbsfähig.«

Nähern wir uns dem derzeit legalen Bereich:

»Viele Bulgaren und Rumänen bilden in Deutschland Gesellschaften bürgerlichen Rechts. Für solche GbRs braucht man kein Kapital, man kann sich einfach mit drei, vier Leuten zusammenschließen. Die GbR-Gesellschafter sind dann Maurer, Fliesenleger, Eisenflechter und verdingen sich in Deutschland als Tagelöhner. Sie treten aber als Gesellschafter auf, für die der Mindestlohn nicht gilt. Sie müssen auch keine Sozialabgaben entrichten und können ihren Preis bis zur Selbstausbeutung senken.«

Und wer darf nicht fehlen? Genau, die Solo-Selbständigen:

»Diese Arbeitsform hat die Politik gefördert, indem sie zum Beispiel die Meisterpflicht für Fliesenleger abgeschafft hat. Vor dieser Novelle hatten wir in Deutschland ungefähr 17 000 eingetragene Fliesenleger. Heute sind es 72 000. Viele kommen aus den mittel- und osteuropäischen Staaten, ihre Stundenlöhne liegen oft unter dem Mindestlohn. Es gibt auch Betriebe, die ihre Mitarbeiter veranlassen, sich selbstständig zu machen, und dann wieder für ihren Ex-Arbeitgeber tätig werden.«

Aus Sicht der Bauwirtschaft »sind viele der angeblich Selbstständigen auf dem Bau tatsächlich abhängig Beschäftigte eines Unternehmens.« Aber das muss immer im Einzelfall über aufwändige Prüfungen festgestellt werden.

Sowohl Angebot und Nachfrage sind sicher in diesem Kontext: »Das Lohngefälle in Europa begünstigt diese Arbeitsformen. In den mittel- und osteuropäischen Staaten liegen die Bau-Stundenlöhne unter fünf Euro. Für diese Menschen sind Stundensätze von 18 Euro eine gute Verdienstmöglichkeit. Gleichzeitig wollen es viele Bauherrn und Häuslebauer möglichst billig.«

Es gibt aber auch viele ausländische Arbeiter und Firmen, die eindeutig legal in Deutschland bauen. Aber auch hier gibt es ein problematisches Gefälle bei den Wettbewerbsbedingungen – diesmal nicht bezogen auf den Mindestlohn, sondern hinsichtlich der Sozialabgaben:

»Bei den Bau-Sozialkassen sind 100 000 ausländische Entsende-Arbeitnehmer gemeldet. Diese Beschäftigten erhalten den Bau-Mindestlohn. Gleichzeitig bleiben sie zwei Jahre lang in ihrem Heimatland sozialversicherungspflichtig. Das heißt: Für sie müssen Unternehmen deutlich geringere Sozialabgaben abführen als deutsche Betriebe. Deshalb können diese Firmen mit Stundensätzen von 25 Euro kalkulieren. Damit haben sie erheblich Wettbewerbsvorteile gegenüber inländischen Betrieben, die mit 45 bis 50 Euro kalkulieren müssen.«

Wenn man das alles aufaddiert, dann stellt sich schon die Frage, wie tariftreue Baufirmen in Deutschland überhaupt noch an Aufträge kommen. Dazu Harald Schröer:

»Die tariftreuen Betriebe suchen Kunden, die bereit sind, auch entsprechende Preise zu zahlen. Solche Kunden gibt es. Bei öffentlichen Aufträgen haben es unsere Unternehmen aber oft schwer. Der Staat sollte an dieser Stelle eigentlich Vorbild sein.«

Vor allem mit Blick auf den Staat identifiziert einen Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit – »und dafür haben wir kein Verständnis.«

Das nun kann man ohne weiteres nachvollziehen.

Wenn Pauschalisten plötzlich richtig eingestellt werden: Scheinselbständigkeit im Journalismus und deren Eindämmung. Möglicherweise aufgrund eines Gesetzentwurfs, der noch feststeckt im politischen Betrieb

Es kann durchaus erfreulich sein, hin und wieder nachzuschauen, was denn aus dem geworden ist, worüber berichtet wurde. Konnte das Problem beseitigt bzw. zumindest reduziert werden? Konkret: Es geht um eine gute Nachricht für Journalisten, die den „besonderen“ Arbeitsbedingungen in der Medienlandschaft ausgesetzt sind. Von denen viele als prekäre Beschäftigungsformen daherkommen. Die waren Gegenstand des Beitrags Das große Durcheinander auf dem Arbeitsmarkt – und die vielen Baustellen jenseits des Gewohnten. Von Crowdworkern, Pauschalisten, der ominösen Industrie 4.0 und dem Kampf um feste Strukturen in Zeiten zunehmender Verflüssigung von Arbeit vom 16. Juli 2015. Noch konkreter: Es geht hier um die „Pauschalisten“ in den Redaktionsstuben vieler Medien.

Zur Erinnerung:  Die Leiharbeiter des Journalismus, so haben Anne Fromm, Jürn Kruse und Anja Krüger ihren Artikel über das Problem Scheinselbständigkeit von Journalisten überschrieben. Sie berichten über das System der „Pauschalisten“ oder „feste Freie“, ohne die kaum etwas bei Tageszeitungen und News-Seiten gehen würde. »Pauschalisten erledigen in vielen Zeitungen die tägliche Arbeit, die notwendig ist, damit ihre Zeitung, ihre Nachrichtenseite Tag für Tag in der gewohnten Qualität erscheint. Sie schreiben und recherchieren, redigieren Texte anderer Autoren, planen und bestücken die Seiten, sind blattmacherisch tätig, bestimmen die Themen, über die berichtet wird und betreuen Praktikanten. Festangestellte Mitarbeiter, für die der Verlag ganz regulär Sozialversicherungsbeiträge abführt, Redakteure genannt, sind sie trotzdem nicht.« Die betriebswirtschaftlichen Vorteile für die Verlage liegen auf der Hand, vor allem aufgrund der dadurch nicht vorhandenen Arbeitgeberpflichten und des Kostenvorteils durch nicht zu zahlende Sozialabgaben.

Mitte des vergangenen Jahres gab es dann allerdings eine Menge Unruhe bei den verantwortlichen Verlagsmanagern. Der Grund: „Ermittlungsverfahren wegen Vorenthaltens von Sozialversicherungsbeiträgen“ durch den Zoll. Aufgrund der damals anlaufenden Ermittlungen und Verfahren wegen möglicher Scheinselbständigkeit mit erheblichen Rechtsfolgen für die Unternehmen reagierten einige Verlage damit, dass sie sich von den „festen Freien“ zu trennen begannen, die schon geraume Zeit bei ihnen tätig waren. Aber es gab auch damals schon erkennbare Gegenbewegungen: »Dass das Problem auch zugunsten statt zulasten der freien Mitarbeiter gelöst werden kann, zeigen Tagesspiegel und Zeit Online. Als beim Tagesspiegel im vergangenen Winter eine Buchprüfung anstand, wurden viele Pauschalisten als feste Redakteure angestellt. Auch Zeit Online wandelt derzeit Pauschalisten-Stellen in feste Beschäftigungsverhältnisse um«, schrieben Fromm, Kruse und Krüger in ihrem Artikel.

Nun gibt es weitere und gute Neuigkeiten von dieser Baustelle zu vermelden. Plötzlich angestellt, so hat Anne Fromm ihren neuen Beitrag dazu überschrieben: »Die „Süddeutsche Zeitung“ und deren Onlineredaktion stellen ihre Pauschalisten jetzt fest an. Andere Verlagshäuser dürften nachziehen.«  Sie zitiert aus einer Mail des Betriebsrats der Süddeutschen Zeitung (SZ): „Liebe Kollegen und Kolleginnen, Chefredaktion und Ressortleiter haben Sie darüber informiert, dass es zu Einstellungen von freien Mitarbeitern/Pauschalisten kommen wird.“

Das ist ein echter Paukenschlag, denn seit Jahren beschäftigt das Medienhaus freie Mitarbeiter als sogenannte Pauschalisten – allein 50 Prozent der Onlineredakteure sind angeblich so beschäftigt. »Das Problem: Viele arbeiten wie Festangestellte, stehen in Dienstplänen, haben einen eigenen Arbeitsplatz und keine weiteren Auftraggeber außer der SZ.« Die SZ ist nun die Erste, die dabei ist, ihre Pauschalisten großzügig anzustellen.

„Wenn es plötzlich so einfach und fair geht, wieso ging es all die Jahre davor nicht?“ Diese  Frage stellt sich ein Mitarbeiter der Süddeutschen Zeitung. Eine gute Frage. Vielleicht liegt in der Art und Weise der Umsetzung der Anstellungswelle bei der SZ ein Teil der Antwort verborgen:

»Dafür wurde ein Ampelsystem ausgearbeitet, dass die Mitarbeiter je nach Dringlichkeit der Einstellung klassifiziert: Rot sind alle, die vier oder fünf Tage pro Woche in der Redaktion sind, die so schnell wie möglich angestellt werden sollen. Das betrifft vor allem Mitarbeiter der Onlineausgabe. Dort sollen alle, die bisher in Schichten gearbeitet haben, als Redakteure angestellt werden.
Andere, die künftig mehr schreiben sollen, erhalten Autorenverträge, die der ursprünglichen Idee von Pauschalen am nächsten kommen. Autoren sollen gegen eine Pauschale eine bestimmte Zahl an Texten schreiben. Langfristig soll für sie der Bürozwang aufgehoben werden.«

Ganz offensichtlich ist bei diesem Ansatz, dass diejenigen, die am stärksten in die normalen Abläufe des Unternehmens eingegliedert sind und faktisch so arbeiten wie ganz normal angestellte Beschäftigte, als erste eingestellt werden, während man die Textlieferanten sowohl durch die Art und Weise der zukünftigen (also wirklich pauschalen) Vergütung wie auch durch die Herauslösung aus den Arbeitsplatzstrukturen des faktischen Arbeitgebers (ein weiteres Merkmal scheinselbständiger Tätigkeit) in die „echte“ Selbständigkeit zu überführen versucht.
Möglicherweise hat das was zu tun mit der beabsichtigten Regulierung von Leiharbeit und Werkverträgen, die als Gesetzentwurf aus dem Haus der Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles derzeit das politische Berlin bewegt, denn die eigentlich schon längst geplante Befassung des Kabinetts mit dem Entwurf hat noch nicht stattgefunden, weil es erhebliche Widerstände gegen die geplanten gesetzlichen Neuregelungen gibt. Anne Fromm spekuliert an dieser Stelle nicht unplausibel:

»Auffällig ist …, dass zurzeit mehrere Verlagshäuser, darunter auch Gruner + Jahr und die Funke-Gruppe, daran arbeiten, ihre Pauschalisten fest anzustellen. Hintergrund könnte ein Referentenentwurf für ein neues Gesetz gegen den Missbrauch von Werkverträgen sein, den SPD-Arbeitsministerin Andrea Nahles im vergangenen November vorgelegt hat. Der Entwurf definiert enge Kriterien, ab wann jemand scheinselbstständig ist. Bisher war diese Definition wesentlich schwammiger.«

Das hätte doch was: Zahlreiche faktisch scheinselbständige Journalisten bekommen ein Festeinstellung aufgrund einer geplanten gesetzlichen Neuregelung, die derzeit unter heftiges Feuer genommen wird seitens der Wirtschaftsverbände und von Teilen des Koalitionspartners CDU/CSU. Und diese Attacken werden möglicherweise dazu führen, dass im Ergebnis dann der Gesetzentwurf weiter verwässert und abgeschwächt wird.

Den betroffenen Journalisten kann das egal sein. Sie wären begünstigt durch einen „Prä-Nahles-Effekt“, auch wenn die „Post-Nahles-Welt“ anders aussehen könnte.

Über den Wolken muss die Freiheit der Ausbeutung annähernd grenzenlos sein. Der Billigflieger Ryanair mal wieder

Wenn man über Billigflieger sprechen muss, dann assoziieren das viele Menschen mit dem irischen Unternehmen Ryanair. Und das sicher nicht grundlos. Seit 1993 wird diese Fluglinie von  Michael O’Leary geführt, der sich durch seine extravaganten Auftritte und Eskapaden den Ruf des „enfant terrible“ der Luftfahrtbranche „erarbeitet“ hat. Er hat die ursprüngliche Strategie der Gründerfamilie Ryan nicht fortgesetzt, sondern von Anfang an voll auf das Billigflug-Konzept (niedrigste Preise und keine Extras) gesetzt, das er von der der US-amerikanischen Fluggesellschaft Southwest Airlines kopierte. Unrentable Strecken wurden eingestellt und man hat sich auf nur einen Flugzeugtyp fokussiert. Ryanair dreht an vielen Stellschrauben, um als Kosteneffizienzmaschine der Konkurrenz zuzusetzen. Und das Unternehmen ist „wirtschaftlich“ (in einem sehr begrenzten Verständnis davon) mehr als erfolgreich. Und zwar so erfolgreich, dass derzeit in Deutschland die nächste Angriffswelle gegen die Konkurrenz anzulaufen beginnt: Ryanair eröffnet einen neuen Preiskampf, muss man beispielsweise gerade in diesen Tagen in der Presse lesen. Nachdem Ryanair in Ländern wie Spanien, Italien und Großbritannien stark gewachsen ist, hat man sich nun offensichtlich den deutschen Markt besonders herausgegriffen – sicher auch, weil man die Schwächen und Schieflagen der heimischen Linien wie Lufthansa und Air Berlin Geiselhaft zur Kenntnis genommen hat. Das Unternehmen hat eine neue Basis in Berlin eröffnet (also nicht mehr auf irgendeinem abseitigen und hoch subventionierten Regionalflughafen, fast 400 zusätzliche Jets bestellt und will den Marktanteil in Deutschland mittelfristig auf 20 Prozent steigern. 

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1.200 Euro im Monat = „Top-Verdienerin“? Lehrkräfte in Integrationskursen verständlicherweise auf der Flucht oder im resignativen Überlebenskampf

Derzeit erleben wir im Kontext der vielen Flüchtlinge, die unser Land erreichen (und die noch zu uns kommen werden) eine Polarisierung zwischen denen, die mit offener Ablehnung und Hass auf die Zuwanderung reagieren bis hin zu verabscheuungswürdigen Attacken auf die Unterkünfte und die Menschen selbst, sowie auf der anderen Seite eine großartige Welle der Hilfsbereitschaft und des ehrenamtlichen Engagements vieler Bürger, die tatkräftig anpacken und damit die offensichtliche Überforderung vieler staatlicher Strukturen auffangen und teilweise kompensieren. Damit einher geht allerdings auch eine diskussionswürdige Polarisierung zwischen denen, die ihren Ressentiments vor allem in den sozialen Netzwerken freien Lauf lassen (und den nicht wenigen, die das für sich behalten und nicht offen zu Tage tragen, dennoch ähnliche Gedanken haben), und auf der anderen Seite eine sicher von Herzen kommende, teilweise aber auch schon sehr einseitige Überhöhung der Menschen, die aus ganz unterschiedlichen Gründen hier bei uns landen, bis hin zu einer fundamentalen Ablehnung jeder Position, die nicht für die uneingeschränkte Aufnahme und generell Öffnung gegenüber allen, die kommen wollen, plädiert.

Dabei ist das alles viel komplizierter – vor allem die konkret und handfest zu stemmenden Aufgaben, die bewältigt werden müssen, sind nicht annähernd zu unterschätzen und auch die sicher in den vor uns liegenden Jahren zunehmenden Verteilungskonflikte in unserer Gesellschaft müssen im Auge behalten werden, damit einem das alles nicht um die Ohren fliegt. Vor diesem Hintergrund muss natürlich alles getan werden, dass man die Menschen, die hier auf absehbare Zeit bei uns bleiben werden (manche auch für immer), so schnell und gut wie irgend möglich zu integrieren versucht. Und man kann es drehen und wenden wie man will – dafür sind die Sprachkenntnisse von fundamentaler Bedeutung, zugleich aber auch eine Vermittlung der gesellschaftlichen Strukturen, Werte und Realitäten, mit denen die Menschen, die oftmals aus völlig anderen Kulturen kommen, hier in unserem Land konfrontiert werden. Und dabei gilt im Idealfall, auch die Erwartungen zu formulieren und zu vermitteln, was hier bei uns zum gesellschaftlichen Grundkonsens gehört, den man respektieren sollte.

Für diese – jeder mit etwas Phantasie kann es sich sogleich vorstellen – mehr als ambitionierte Aufgabenstellung gibt es für einen Teil der Zuwanderer die so genannten „Integrationskurse“, die von ganz unterschiedlichen Trägern angeboten werden (vgl. zu den unterschiedlichen Integrationskursen die statistische Informationen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge).  Die werden beispielsweise von den Volkshochschulen oder wohlfahrtsverbandlichen Trägern angeboten. Und die müssen natürlich auch von konkreten Menschen gemacht werden, womit wir beim Kern des hier relevanten Problems angekommen sind. Denn jeder unbefangene Beobachter würde einsehen, dass (eigentlich) gerade diese pädagogischen Fachkräfte angesichts der enormen Herausforderungen gut bezahlt werden und ordentliche Arbeitsbedingungen bekommen müssten für ihre auch gesellschaftspolitisch so wichtige Arbeit. Nun wissen wir aber auch aus anderen Bereichen unseres sowieso nur historisch und nicht sachlogisch zu verstehenden vielgestaltigen Bildungswesens, dass die Vergütung und die realen Arbeitsbedingungen oftmals in keinerlei Korrelation stehen zu den faktischen Schweregeraden der pädagogischen Arbeit und/oder der Wirksamkeit der pädagogischen Intervention oder der gesellschaftspolitischen Bedeutung (die in der frühkindlichen Bildung, Erziehung und Betreuung sicher um ein Vielfaches höher ist als in den Selbstfindungskursen für das obere Management). Besonders krass ist diese Diskrepanz aber bei den Lehrkräften, die an der Front in den Integrationskursen arbeiten (müssen).

Auf deren Situation hat dankenswerterweise David Krenz in seinem Artikel Nur raus aus dem Traumberuf aufmerksam gemacht. Dort finden wir auch einige Hintergrundinformationen zu den Integrationskursen:

»Die Integrationskurse bestehen aus 600 Stunden Sprachunterricht und 60 Stunden Orientierungskurs zu Geschichte, Kultur, Alltag, Recht und dem politischen System in Deutschland.
Jobcenter oder Ausländerbehörde können Zuwanderer zur Teilnahme verpflichten, wer deutscher Staatsbürger werden möchte, muss im Abschlusstest die Niveaustufe B1 erreichen. Für Sozialhilfe- und ALG-II-Empfänger sind die Kurse kostenfrei, die übrigen zahlen einen Eigenanteil (1,20 Euro pro Kursstunde).
Das System der Integrationskurse wird vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge verantwortet und finanziert. Es zahlt den Kursträgern 2,94 Euro pro Teilnehmer und Kursstunde (bzw. 1,74 Euro für Teilnehmer, die einen Eigenanteil leisten). Rund 1.800 private und öffentliche Träger sind für Integrationskurse zugelassen. Die Träger müssen ihren freiberuflichen Lehrkräften 20 Euro pro Stunde zahlen. Zahlen sie weniger, können sie nach einem Jahr die Zulassung durch das Bamf verlieren.«

Und wie sieht es mit den Lehrkräften aus? »Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat bislang rund 24.000 Lehrer für den Unterricht in Integrationskursen zugelassen. Sie müssen dafür neben einem akademischen Abschluss ein Zusatzstudium „Deutsch als Fremdsprache“ oder eine gleichwertige pädagogische Qualifikation vorweisen. Wie viele Lehrkräfte derzeit in Integrationskursen arbeiten, ist nicht bekannt, allein beim größten Kursanbieter, den Volkshochschulen, sind es derzeit etwa 3.000. Nur ein geringer Teil der Lehrkräfte ist festangestellt.«

Das bedeutet, die meisten Lehrkräfte arbeiten als (Schein-)Selbständige auf Honorarbasis. Die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) fordert für die Dozenten ein Mindesthonorar von 30 Euro pro Stunde als ein „erster Schritt“ neben der Forderung von Festanstellungen für bewährte und langjährig berufserfahrene Lehrkräfte – aktuell liegt es in den meisten Regionen aber um zehn Euro unter diesem Satz, also bei 20 Euro pro Stunde. Davon müssen die Honorarkräfte Renten- und Krankenversicherung komplett selbst finanzieren, Geld für die unbezahlten Urlaubs- und Krankentage zurücklegen. Kündigungsschutz gibt es nicht, nur befristete Verträge. Was das praktisch bedeutet für die Nettoeinnahmen verdeutlicht die Abbildung mit der Beispielsrechnung das Stundenhonorar eines Sprachlehrers im Integrationskurs betreffend. Die findet man auf der Webseite www.mindesthonorar.de der „Initiative Bildung prekär“, für die Georg Niedermüller verantwortlich zeichnet, der auch in dem Artikel von David Krenz zitiert wird:

»Georg Niedermüller wähnte sich im Traumberuf, als er 2009 Integrationslehrer wurde. Schnell wachte er auf. „Ich habe das ganze Jahr mit Hartz IV aufgestockt.“ Mit seiner „Initiative Bildung prekär“ prangert er die Beschäftigungsverhältnisse an: „Wir Dozenten arbeiten für nur einen Auftraggeber, in festen Räumen, nach vorgeschriebenem Lehrplan, zu nicht verhandelbaren Honoraren – klarer Fall von Scheinselbstständigkeit.“
Er sieht nur einen Ausweg aus dem Dumping-Dilemma: die Festanstellung. „Wir sind keine Unternehmertypen, wir sind Lehrer und wollen auch so behandelt werden.“ Höhere Honorare seien keine Lösung, „die würden nur unseren Selbstständigenstatus zementieren“.«

Ein anderes Beispiel aus dem Artikel, damit man einen Eindruck von den Größenordnungen bekommt, für die hier gearbeitet werden muss – wohlgemerkt, wir reden hier von studierten Lehrkräften mit Zusatzausbildung: »Im Kurs von Sabine Heurs sitzen ein politisch verfolgter Tierarzt aus Iran, ein nigerianischer Bischof, der mehrere Stammessprachen spricht, und eine chronisch übermüdete junge Rumänin, die nachts im Fitnessstudio putzt. Menschen, die von einem besseren Leben träumen. Das haben sie mit ihrer Dozentin gemeinsam. In Vollzeit verdient Heurs 1200 Euro netto im Monat – und zählt damit zu den Top-Verdienerinnen in ihrem Beruf. „Ein Witz“, sagt sie.«

Und was sagt das zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zu der Forderung nach einer fairen Bezahlung? Das Amt verweist auf die Vertragsfreiheit zwischen Trägern und Lehrkräften. „Eine Erhöhung des Kostenerstattungssatzes ist derzeit nicht geplant“, heißt es auf Nachfrage, berichtet Krenz.

Aber wann – wenn nicht jetzt? Denn der enorme Anstieg der Flüchtlingszahlen und die Öffnung auch für Asylbewerber wird zu einer weiteren massiven Zunahme der Nachfrage nach Integrationskursen führen und gleichzeitig »laufen den Sprachschulen die Lehrkräfte davon; viele wandern in besser honorierte und gesicherte Beschäftigungen ab, wie der deutsche Volkshochschulverband beobachtet hat.« Das sind doch theoretisch hervorragende Voraussetzungen, um eine deutliche Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu erkämpfen.

An dieser Stelle wird der aufmerksame Leser an eine Zahl denken, die schon zitiert wurde: Rund 1.800 private und öffentliche Träger sind für Integrationskurse zugelassen. Das bedeutet, wir sind mit einer unglaublichen Kleinteiligkeit der Trägerlandschaft als Regelform konfrontiert und eine kleine Volkshochschule wird eine Festanstellung zu vermeiden versuchen wie der Teufel das Weihwasser angesichts der Arbeitgeberrisiken, die man damit übernehmen muss. Gleichsam spiegelbildlich zur kleinteiligen Situation auf der Trägerseite ist die Isolierung der vielen Lehrkräfte als auf sich selbst gestellte „Arbeitskraftunternehmer“, die sich alleine durchschlagen müssen.

David Krenz weist auf diese strukturelle Schwachstelle auf Seiten der Dozenten in seinem Artikel explizit hin:

»Eben jene Arbeitsbedingungen, gegen die sie aufbegehren sollten, hindern viele am Protest: Wer zu Demos fährt, verzichtet auf Honorar, bezahlt wird nur jede geleistete Kursstunde. Und wer für ein paar Euro extra noch einen Abendkurs übernimmt, dem fehlen Zeit und Kraft zum Aufbegehren.

Andere wagen sich nicht aus der Deckung, weil finanzielle Not sie zu Betrügern macht: Es gilt als offenes Geheimnis, dass eine Mehrheit trotz Versicherungspflicht keine oder zu geringe Beiträge in die Rentenkasse einzahlt. „Wir haben Angst aufzufliegen“, sagt eine Dozentin aus Westfalen, die anonym bleiben möchte.«

Letztendlich haben wir es hier mit pädagogischen Tagelöhnern zu tun.

Hinzu kommt ein Dilemma, das wir auch aus anderen Bereichen vor allem der Dienstleistungen kennen (man denke hier an die Gastronomie oder den Einzelhandel): Die Gewerkschaften haben kein Fuß fassen können in diesem Feld. Nach Angaben der GEW sind weniger als zehn Prozent der Betroffenen gewerkschaftlich organisiert.

Vor diesem Hintergrund wäre es an der öffentlichen Hand, hier regulierend einzugreifen und für Ordnung zu sorgen (was ja ansonsten gerne in Sonntagsreden beschworen wird). Aber die Politik geht völlig auf Tauchstation und hofft, dass der Kelch irgendwie an ihr vorübergehen wird.
Illustrieren kann man das – wie aber auch das angesprochene Problem einer mangelnden Kollektivierung der Interessen – am Beispiel der „Initiative Bildung prekär“, die neben Georg Niedermüller aus drei weiteren Mitstreitern besteht.  Bei der Politik stießen sie auf taube Ohren, klagt Niedermüller: „Die SPD hat auf unsere letzten zwölf Mails gar nicht mehr reagiert.“