Die nächste rentenpolitische Baustelle mit der Noch-Hoffnung auf einen großen Wurf ante portas: Betriebliche Altersvorsorge

Das – theoretisch – auf drei Säulen ruhende Alterssicherungssystem hat durchaus seinen konzeptionellen Charme: Da gibt es die umlagefinanzierte gesetzliche Rentenversicherung als erste Säule, dann eine betriebliche (Zusatz)Altersvorsorge als zweite und die teilweise über Steuermittel subventionierte dritte Säule, also die private Altersvorsorge, beispielsweise in Form einer „Riester-Rente“. Und der zweiten und dritten Säule kommt eine immer größer werdende Bedeutung zu, wenn man das Hauptsicherungssystem, also die gesetzliche Rentenversicherung, vom Sicherungsniveau her zurückschneidet, was seit den letzten Rentenreformen passiert ist. Dann muss aus den beiden anderen Töpfen kompensierend Geld aufgebracht werden, was aber eigentlich nicht deren Funktion war, denn sie sollten immer eine zusätzliche Altersversorgung gewährleisten, on top auf die gesetzliche Rente.

Vor diesem Hintergrund ist es dann natürlich zum einen problematisch, wenn die Betroffenen gar nicht alle Ansprüche aufbauen, weil die zweite oder dritte Säule bei ihnen gar nicht oder nur rudimentär vorhanden ist. Bei der „Riester-Rente“ wurde das schon lange diskutiert und als Schwachstelle identifiziert, aber auch die betriebliche Altersvorsorge leidet unter diesem Punkt:
Trotz recht opulenter staatlicher Förderung stagniert der Verbreitungsgrad der betrieblichen Altersversorgung (bAV) seit geraumer Zeit. Nur etwa 60 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigen verfügt aktuell über Anwartschaften auf eine Betriebsrente – ohne die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes sind es sogar nur rund 50 Prozent, so der Hinweis von Johannes Steffen.

Im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD aus dem Jahr 2013 wurde die Stärkung der betrieblichen Altersvorsorge festgehalten. Insbesondere sollen Voraussetzungen dafür geschaffen werden, Betriebsrenten auch in kleinen und mittleren Unternehmen besser zu verankern – und auch Geringverdiener sollen stärker als bislang einbezogen werden. Hehre Absichten, die neben einer Grundsatzentscheidung vor allem filigrane Umsetzungsarbeit bedeuten würden.

Und trotz der langsam, aber sicher auslaufenden Legislaturperiode hat sich die Bundessozialministerin Andrea Nahles (SPD) auf den Weg gemacht, bis zum Herbst dieses Jahres einen Umsetzungsvorschlag die im Grundsatz vereinbarte Stärkung der betrieblichen Altersversorgung auf den Weg zu bringen. Wobei erfahrungsgemäß der Teufel immer und gerade in Rentenfragen im Detail steckt.

Und ganz offensichtlich will Nahles nicht nur einfach mehr Förderung aus Staatsmitteln oder andere Bestimmungen zur Abwicklung, sondern sie will die Stärkung der Betriebsrenten verknüpfen mit einer parallelen Stärkung der Tarifparteien und der Tarifverträge. Bereits im April berichtete die FAZ über die Ideen aus dem Bundesrentenministerium unter der Überschrift Tarifparteien sollen Betriebsrente voranbringen: »Gewerkschaften und Arbeitgeber sollen künftig per Tarifvertrag regeln, dass Mitarbeiter Betriebsrenten bekommen. Erst fanden die Arbeitgeber das nicht so toll – nun hat Nahles nachgebessert.«

Der Stimmungsumschwung der Arbeitgeber geht auch zurück auf zwei im April 2016 vorgelegte Gutachten – eines im Auftrag des Bundesfinanzministeriums (vgl. Kiesewetter et al.: Optimierungsmöglichkeiten bei den Förderregelungen der betrieblichen Altersversorgung), ein anderes im Auftrag des Bundesarbeitsministeriums (vgl. Hanau/Arteaga: Rechtsgutachten zu dem „Sozialpartnermodell Betriebsrente“ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales) – die sollten Klarheit schaffen, wie man die ambitionierten Ziele des Koalitionsvertrages umsetzen kann.
Dietrich Creutzburg arbeitet in seinem Artikel heraus, warum die Arbeitgeber nun weniger Probleme mit der „Nahles-Rente“ hätten:

»Der von den Nahles-Gutachtern erarbeitete neue Vorschlag für die Betriebsrente unterscheidet sich vom Ursprungsmodell darin, dass es den Tarifparteien Gestaltungsfreiheit geben will, statt auf fest vorgegebene Strukturen und Zwangselemente zu setzen: Ursprünglich sollten die Tarifparteien branchenweite Fonds für die Verwaltung der Beiträge einführen; dazu wäre es nötig geworden, ihre Tarifverträge für allgemeinverbindlich zu erklären, also auch jenen Betrieben vorzuschreiben, die nicht im Arbeitgeberverband sind.
Der neue Ansatz zielt zunächst auf freiwillig tarifgebundene Betriebe und setzt auf Anreize. Zum einen würden die Tarifparteien entscheiden, ob sie die Betriebe verpflichten, Mitarbeitern Betriebsrenten anzubieten, oder ob auf Betriebsebene entschieden werden soll. Zum anderen könnten die Tarifparteien selbst regeln, in welcher Höhe eine spätere Rentenleistung aus den Beiträgen garantiert wird. Die Idee: Wird sie als „Zielrente“ ohne volle Leistungsgarantie zugesagt, müssen Beiträge nicht nach den strengen Anlageregeln für Lebensversicherer investiert werden und können bessere Renditen erzielen. So eröffne sich ein Einstieg in das erfolgreiche niederländische Betriebsrentenmodell, erläutert Gutachter Arteaga, früher Vorstand der Zurich Versicherung.«

Der Passus verweist auf zwei zentrale Stellschrauben: Zum einen wird die ursprünglich von Andrea Nahles angedachte „en passant“-Stärkung der Tariflandschaft über das Instrument der Allgemeinverbindlichkeit aufgrund der geplanten branchenweiten Fonds wieder zurückgedrängt, zum anderen bleibt ein entscheidender Punkt für die Arbeitgeber-Seite, den man nur versteht, wenn man das heutige System der betrieblichen Altersvorsorge verstanden hat: Die geplante Abschaffung der Arbeitgeberhaftung.

Auf diesen wichtigen Punkt weisen auch Jonas Tauber und Herbert Fromme in ihrem Artikel Wie die Betriebsrente Sie vor Altersarmut schützen soll hin: »Unternehmen sollten von der Arbeitgeberhaftung befreit werden, wenn sie bei Betriebsrenten mit den Gewerkschaften an einem Strang ziehen. Bislang sind sie in letzter Instanz für alle Zusagen der betrieblichen Altersversorgung verantwortlich, auch wenn ein Versicherer oder eine Pensionskasse die Versorgung abwickelt.«

Aber soweit erkennbar wird das, was Nahles im Herbst präsentieren wird, nicht nur die Befreiung der Arbeitgeber von der Haftung enthalten wird, so Tauber und Fromme:

»Inzwischen ist klar, dass am Ende ein Gesamtkonzept stehen soll, das weit über diesen Ansatz hinausgeht. In der Diskussion sind staatliche Förderungen für Geringverdiener, darunter die Nicht-Anrechnung von Betriebsrenten auf mögliche Sozialleistungen im Alter. Außerdem plant Nahles eine „Opt-out“-Lösung. Das heißt, alle Arbeitnehmer zahlen automatisch in eine betriebliche Zusatzversorgung ein, wenn sie sich nicht aktiv dagegen entscheiden.«

Aber der Bereich der betrieblichen Altersvorsorge ist an sich und in mehrfacher Hinsicht mit strukturellen Problemen bestückt: »Das System ist vergleichsweise komplex. Und bei manchen Anbietern sind die Kosten sehr hoch«, so Tauber und Fromme.

Hinzu kommt bei aller geschürten Euphorie, dass eine ausgebaute betriebliche Altersvorsorge einen nennenswerten Beitrag zur Kompensation der Leistungskürzungen im großen System der gesetzlichen Rentenversicherung leisten kann: Auch die betriebliche Altersvorsorge mit allen unterschiedlichen Durchführungswegen gehört zu den kapitalgedeckten Alterssicherungssystemen und leidet damit unter den gleichen strukturellen Verwerfungen, die wir auch im Bereich der privaten Altersvorsorge (Stichwort „Riester-Rente“ und mehr) diskutieren und die ein Strukturproblem der Kapitaldeckung darstellen. Darauf habe ich bereits in dem Beitrag Betriebsrenten als Butter in der Sonne? Das wäre ärgerlich für die Finanzindustrie und ihre Hoffnungen auf ein Riester-Substitut. Und Betroffene erleben ihr blaues Wunder vom 21. Juni 2016 hingewiesen:

Bei Betriebsrenten »handelt es sich um kapitalgedeckte Varianten der Altersvorsorge und die langjährige Kritik an der Riester-Rente bezog sich immer auch auf die Kapitaldeckung als problematisches Verfahren an sich (vgl. dazu nur beispielsweise Joebges, H. et al.: Auf dem Weg in die Altersarmut. Bilanz der Einführung der kapitalgedeckten Riester-Rente. IMK Report Nr. 73, Düsseldorf 2012).

Offensichtlich geht es vielen Betriebsrenten nicht gut – und erst recht nicht denen, die da noch kommen sollen. Nicht wirklich überraschend hat das etwas zu tun mit dem selbst gestandene Volkswirte irritierenden Umfeld einer seit Jahren anhaltenden und auf absehbare Sicht auch weiter vorherrschenden Niedrig-, Null- und sogar Negativzinswelt, in der sich die Kapitaldeckungsvarianten bewegen und absehbar weiter bewegen müssen …  Natürlich wird es Stimmen geben, die darauf hinzuweisen versuchen werden, dass das mit dem schlechten Umfeld für die Kapitaldeckung nur eine vorübergehende Angelegenheit sein wird, dass in den vor uns liegenden Jahren die Zinsen wieder nach oben gehen. Bekanntlich stirbt die Hoffnung zuletzt. Deshalb hier nur der Hinweis auf eine immer noch lesenswerte Arbeit aus dem Jahr 2001, in dem die politischen Entscheidungsträger und viele, eigentlich fast alle anderen auch besoffen waren von der Vorstellung, dass es mit den Zinsen und den Renditen ewig so weitergehen wird: Andreas Heigl und Martin Katheder: Age Wave – Zur Demographieanfälligkeit von Aktienmärkten. Policy Brief 4/2001, München: Hypovereinsbank, 2001. Ihre Argumentation – im Jahr 2001 – ging so: Insbesondere die Generation der damals 30- bis 50-jährigen muss mit niedrigeren Renditen für ihre Geldanlage in die Aktienmärkte rechnen. Denn auch die Kapitaldeckung ist im Zuge der demografischen Alterung ähnlichen Risiken ausgesetzt wie die umlagefinanzierten Alterssicherungssysteme. Ursächlich hierfür ist das sich künftig deutlich verschlechternde Verhältnis von Sparern zu Entsparern („Age Wave“). Man kann das auch so ausdrücken: Wir sind alle Gefangene unserer Kohorte. Wenn also größere Summen von den Vorsorgenden eingesammelt werden, um diese rentierlich anzulegen und dann, wenn das Alter gekommen ist, die vereinbarten und die in Aussicht gestellten Beträge auch auszahlen zu können, dann braucht man Abnehmer für die Sachen, in die man Geld angelegt hat, beispielsweise in Immobilien oder in Aktien. Und was, wenn es zu diesem Zeitpunkt gar nicht genug Abnehmer gibt oder geben kann, weil deren Zahl deutlich niedriger ist als in der Vergangenheit.Anders formuliert: Wenn ein enormes Angebot an Anlagen in der Auszahlungsphase auf eine aus welchen Gründen auch immer deutlich niedrigere Nachfrage stößt, dann muss nach allen Regeln der Ökonomie der Preis sinken. Aus diesem Kontext wird sich auch eine ausgebaute betriebliche Altersvorsorge nicht befreien können.«

Aber selbst wenn man sich nur bewegen möchte in den Untiefen des bestehenden Systems ergeben sich zahlreiche Fragezeichen entsprechender Größenordnung. Auf die Instabilität des Systems wird seit längerem hingewiesen, vgl. dazu nur als ein Beispiel von vielen den Artikel Wetten auf ein langes Leben aus dem SPIEGEL Heft 46/2012, der auch schon auf das hinweist, was jetzt umgesetzt werden soll: »Betriebsrenten sollen die neue Wunderwaffe im Kampf gegen Armut im Alter sein. So will es die SPD. Doch auch diese Art der Vorsorge birgt erhebliche Risiken.«

Ein Punkt, der immer wieder unterschätzt wird, ist die offensichtliche Lücke zwischen der Wahrnehmung und der Realität von Betriebsrenten. Wenn man die Menschen fragt, was für sie eine „Betriebsrente“ ist, dann wird die große Mehrheit sagen, es handelt sich um eine Rentenzahlung, die vom Arbeitgeber finanziert wird und für die der auch einstehen muss. An dieser Stelle gießen Tauber und Fromme in ihrem Artikel eine Menge Wasser in den Wein:

»Dabei geht es heute nur noch selten um Direktzusagen der Unternehmen, die sie auch selbst zahlen. Die waren vor 40, 50 Jahren üblich, um gute Arbeitskräfte zu gewinnen und zu halten. Im Kern handelt es sich dabei um Lohnbestandteile, die aber nicht sofort an den Arbeiter oder Angestellten fließen. Das Unternehmen leiht sich das Geld von den Mitarbeitern und legt es im eigenen Unternehmen oder extern an, um die Summen als Zusatzrente später wieder auszuzahlen. Da sie für die Zusagen heute hohe Rückstellungen bilden müssen, sorgt diese Form der Altersversorgung bei Konzernen für großen Ärger.«

Heute sieht die Welt der Betriebsrenten anders aus:

»In den meisten Fällen geht es um Renten, für die Mitarbeiter selbst die Beiträge zahlen, möglicherweise mit Unterstützung des Arbeitgebers. Seit 2002 hat jeder Beschäftigte das Recht, betriebliche Altersvorsorge in Form der sogenannten Entgeltumwandlung zu betreiben. Das bedeutet, dass der Arbeitgeber bis zu einer Obergrenze – 2016 sind das 2976 Euro im Jahr – vom Brutto-Einkommen seines Angestellten für dessen Betriebsrente einzahlt. Der Gesetzgeber hat dabei fünf so genannte Durchführungswege vorgesehen. Einer ist die Direktzusage der Unternehmen, die an Bedeutung verliert. Populär bei kleineren Firmen ist eine Direktversicherung bei einem Lebensversicherer. Ein Nachteil: Wer ausscheidet, hat keinen Anspruch auf Fortführung.«

Und die anderen Durchführungswege in der betrieblichen Altersvorsorge? »In den Jahren 2003 bis 2005 war der Durchführungsweg Pensionskassen modern, dann änderte der Gesetzgeber den steuerlichen Rahmen. Aber es gibt sie immer noch – und die Niedrigzinsen machen ihnen besonders zu schaffen.« Dazu beispielsweise auch mein Beitrag Wenn selbst das Beten nicht mehr hilft. Auch die zusätzliche kirchliche Altersversorgung kann (und muss) in schwieriges Fahrwasser geraten vom 22. Juni 2016 ergänzend zum Beitrag vom 21. Juni 2016.

Daneben existieren als Durchführungswege vier und fünf Pensionsfonds sowie Unterstützungskassen, die meistens von Versicherern rückgedeckt werden.

Andrea Nahles will Branchenlösungen ausbauen, wie wir sie aus den großen Industriebereichen kennen und die von Gewerkschaften und Arbeitgebern gemeinsam betrieben werden: Bei der Chemie-Altersvorsorge sind 80 Prozent der Beschäftigten Mitglied, die Metallrente hat 25.000 Unternehmen als Mitglieder.

Dabei würden sich zwei Kernfragen stellen, so Tauber und Fromme: »Wer betreibt diese Lösungen? Sind die Lebensversicherer außen vor oder, wie heute bei Metall- und Chemierente, Teil des Systems? Und wer haftet, wenn es Probleme gibt? Die Unternehmen sollen es ja nicht mehr sein … Aber der Pensions-Sicherungsverein, der nach Firmenpleiten für die Betriebsrenten aus Direktzusagen aufkommt, winkt ab, er wäre überfordert.«

Es bleibt also noch eine ganze Menge zu tun, um in die Nähe eines vernünftigen und zugleich praktizierbaren Modells einer ausgebauten betrieblichen Altersvorsorge zu kommen. Allerdings muss zugleich auf zwei Gefahren hingewiesen werden:

Zum einen gilt grundsätzlich, dass eine Betriebsrente lediglich eine zusätzliche, die allgemeine, also gesetzliche Rente aufstockende Funktion haben (sollten). Damit passen sie im Grunde sehr gut in das Gedankengebäude der Lebensstandardsicherung durch eine Kombination der drei Säulen. Nicht geeignet sind die Betriebsrenten aber für das Ziel der Altersarmutsvermeidung, denn die Betriebsrenten können in den meisten Fällen die Leistungskürzungen in der gesetzlichen Rentenversicherung gar nicht auffangen, hinzu kommt eine Ungleichverteilung dergestalt, dass gerade die Betroffenen, die eine Aufstockung ihrer Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung dringend bedürfen, überdurchschnittlich oft nur geringe oder gleich gar keine Betriebsrenten-Ansprüche haben. Auch wenn man das jetzt ausbauen würde, kann es erst mit einem erheblichen time lag eine Auswirkung auf die ärmeren Rentner haben, weil ja die Ansprüche auch erst einmal aufgebaut werden müssen, was in kapitalgedeckten Systemen vor allem Zeit bedeutet.

Zum anderen muss man aufpassen, dass die Ansätze einer Stärkung der Betriebsrenten nicht instrumentalisiert werden von denjenigen, die gegen Reformen der ersten und wichtigsten Säule der Alterssicherung, also die umlagefinanzierte gesetzliche Rentenversicherung, sind. Und für eine Stärkung der ersten Säule, darunter auch eine Infragestellung und Korrektur der enormen Rentenniveausenkung, plädieren mittlerweile einige. Beispielsweise die Gewerkschaften, die gerade eine Rentenkampagne ins Rollen bringen. So hat nun die IG Metall ihre Vorstellungen von einer Weiterentwicklung des Rentensystems veröffentlicht:

IG Metall: Neuaufbau einer solidarischen Alterssicherung. Vorschläge der IG Metall, Frankfurt am Main 2016

Die Reaktion der Gegenseite ließ nicht lange auf sich warten, so beispielsweise das Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW): Private Vorsorge nicht unterschätzen, so haben sie ihre Stellungnahme zu den Vorschlägen der IG Metall überschrieben.

Und eines sollte man klar vor Augen haben: Um den Verbreitungsgrad der betrieblichen Altersvorsorge vor allem in kleinen und mittleren Unternehmen zu erhöhen, wird es die Einführung der reinen Beitragszusage und die vollständige Enthaftung des Arbeitgebers hinsichtlich der Versorgungsleistungen („pay and forget“) geben. Aus Sicht der Arbeitgeber ist das zentral. Wahrscheinlich wird auch der Betrag für die abgabenfreie Entgeltumwandlung deutlich angehoben. Und damit wird eines sicher eintreten – eine weitere deutliche Erhöhung des Finanzierungsanteils der Beschäftigten an ihren „Betriebsrenten“.

Betriebsrenten als Butter in der Sonne? Das wäre ärgerlich für die Finanzindustrie und ihre Hoffnungen auf ein Riester-Substitut. Und Betroffene erleben ihr blaues Wunder

Es ist aber auch ein Kreuz mit der Rente – oder sagen wir besser mit den Renten, denn das deutsche System der Alterssicherung basiert ja nicht nur auf der gewichtigen und wichtigsten ersten Säule, also der umlagefinanzierten Gesetzlichen Rentenversicherung, sondern auch auf der zweiten – der betrieblichen – sowie der dritten Säule, also der privaten Altersvorsorge. Oder sagen wir es auch hier genauer: Sie sollte auf diesen drei Säulen ruhen, aber sicher ist in Rentenfragen bekanntlich nichts. Was hingegen sicher ist: Die Beteiligung an der zweiten und dritten Säule ist höchst unterschiedlich und mit einer nicht wirklich überraschenden Niveau-Differenz versehen: Die unteren Einkommen sind kaum bis gar nicht, auf alle Fälle unterdurchschnittlich an den beiden – eigentlich ergänzenden, mit Blick auf die Riester-Rente allerdings das Rentenniveau der umlagefinanzierten Rente absenkende und damit ersetzende – Säulen beteiligt, während die mittleren und oberen Einkommensschichten zum einen ihre vorher ausschließlich privaten Sparanstrengungen seit der Rentenreform Anfang des Jahrtausends staatlich subventioniert mitfinanzieren lassen können, zum anderen arbeiten sie in der Regel in Unternehmen, die eine betriebliche Altersvorsorge anbieten oder ermöglichen. Gerade die Arbeitnehmer, die aufgrund der Rentenformel sowieso niedrige – und bei Konstanz der derzeitigen Regelungen noch weiter absinkende – Renten bekommen, mithin also auf jeden Euro aus einer zusätzlichen Altersvorsorge angewiesen wären, partizipieren überdurchschnittlich oft nicht von Betriebsrenten, weil sie sich in Branchen und Unternehmen bewegen (müssen), weil die das gar nicht anbieten.

Nun kann man zuspitzend diagnostizieren, dass die staatlich subventionierte dritte Säule der Alterssicherung, also die Riester-Rente, mittlerweile weitgehend jedes Vertrauen verloren hat. Zu vielen Menschen ist klar geworden, dass hier vor allem ein in der Vergangenheit überaus lukratives Geschäftsmodell für die Finanzindustrie gepampert wurde und weniger bis gar nicht die Absicherung der betroffenen Menschen. Die Folge sind viele ruhend gestellte Verträge, auch Kündigungen (selbst wenn die oftmals ungünstig sind für die Betroffenen, auf alle Fälle aber ein stark rückläufiges Neukundengeschäft, das jedem, der es sehen will, signalisiert: Hier wird ein totes Pferd geritten.

Und wie heißt es so schön in der Lebensweisheit: Wenn du merkst, dass du auf einem toten Pferd reitest, steig ab.

Und such dir ein neues Pferd, müsste man jetzt wohl anfügen. Genau das wird natürlich a) gesehen und b) beherzigt von der Finanzindustrie, die bereits unterwegs ist, sich neue Geschäftsfelder zu sichern, in denen man erneut staatliche Subventionen abgreifen kann. Aus deren betriebswirtschaftlicher Sicht ist das ja auch durchaus verständlich, es liegt dann am Staat, wie er damit umgeht. Er kann dieses Interesse bedienen und erneut für knallende Sektkorken sorgen oder aber innehalten und sich die Frage stellen, ob das wirklich der richtige Weg wäre und es nicht Alternativen gibt, beispielsweise die Stärkung und Wiederbelebung der ersten, also umlagefinanzierten Säule.

Aber das Terrain für ein seitens der Finanzbranche dringend gesuchtes Substitut zu den vielen Fördermilliarden der Riester-Welt ist bereits in Sicht: die betriebliche Altersvorsorge. Denn die Bundesregierung hat vereinbart, dass hier was gemacht werden soll, vor allem will man mehr als die (positiv geschätzt) knapp 60 Prozent der Arbeitnehmer, die an irgendeiner betrieblichen Altersvorsorge partizipieren, in den Genuss einer Betriebsrente bringen. Darunter eben die vielen Niedrigeinkommensbezieher. Und für die hat man auch schon eine Subventionierung über Steuermittel in Aussicht gestellt, worüber sich andere sehr freuen werden.

Aber wie steht es eigentlich um die Betriebsrenten? Denn bei diesen handelt es sich um kapitalgedeckte Varianten der Altersvorsorge und die langjährige Kritik an der Riester-Rente bezog sich immer auch auf die Kapitaldeckung als problematisches Verfahren an sich (vgl. dazu nur beispielsweise Joebges, H. et al.: Auf dem Weg in die Altersarmut. Bilanz der Einführung der kapitalgedeckten Riester-Rente. IMK Report Nr. 73, Düsseldorf 2012).

Offensichtlich geht es vielen Betriebsrenten nicht gut – und erst recht nicht denen, die da noch kommen sollen. Nicht wirklich überraschend hat das etwas zu tun mit dem selbst gestandene Volkswirte irritierenden Umfeld einer seit Jahren anhaltenden und auf absehbare Sicht auch weiter vorherrschenden Niedrig-, Null- und sogar Negativzinswelt, in der sich die Kapitaldeckungsvarianten bewegen und absehbar weiter bewegen müssen.

Und die Einschläge kommen immer näher. Bezeichnend und beispielhaft dafür steht dieser Artikel: Weniger Pension für deutsche Bankbeschäftigte:

»Die nach eigenen Angaben größte Pensionskasse in Deutschland steht … vor gravierenden Einschnitten. Die BVV Versorgungskasse des Bankgewerbes e.V. plant, auf ihrer ordentlichen Mitgliederversammlung am 24. Juni im Hotel Intercontinental in Berlin eine tiefgreifende Änderung der sogenannten Leistungspläne beschließen zu lassen. Das würde für junge Beschäftigte deutlich geringere Ansprüche auf Betriebspensionen bedeuten.«

Das lässt aufhorchen. Und wir werden sogleich konfrontiert mit dem angesprochenen grundsätzlichen Dilemma, dem sich kapitalgedeckte Systeme in einem Niedrigzinsumfeld ausgesetzt sehen:

„Die Kapitalmärkte haben sich in den letzten Jahren strukturell verändert“, schreibt die Einrichtung in der Einladung zur Mitgliederversammlung … „Die erzielbaren Erträge sind gravierend gesunken, die Kursschwankungen haben dagegen deutlich zugenommen.“ Regelmäßige und planbare Erträge auf einem Niveau, zu dem die Verpflichtungen des BVV zwingen, ließen sich kaum noch erzielen, schreibt die Institution ihren Mitgliedern.«

Und wie will die Pensionskasse darauf reagieren? »Anwartschaften auf Rentenzahlungen, die in der Vergangenheit erworben wurden, bleiben bestehen – hingegen sollen die Kunden der Pensionskasse mit den entsprechenden Verträgen für die künftigen Einzahlungen … im Alter weniger Rente erhalten, als sie bislang eingeplant haben und als vereinbart war.« Es soll fast ein Viertel weniger Rente für die betroffenen Bankmitarbeiter geben, zumindest was die künftigen Einzahlungen betrifft.
Wer es konkreter haben möchte:

»Gab es in der Vergangenheit in einem bestimmten Vertragstyp für 100 Euro Einzahlung einen Rentenbaustein in Höhe von 11,45 Euro, so entsteht in Zukunft nur noch ein Rentenbaustein über 8,70 Euro. Das macht sich in einer niedrigeren Rente bemerkbar. Denn aus der Summe dieser Rentenbausteine setzt sich am Ende die Rente zusammen, die der Versicherte von der BVV erhält. Die Rente fällt also erheblich niedriger aus, wenn der Versicherte seine Einzahlungen nicht aufstockt.«

Als Hintergrund muss man wissen: »Pensionskassen sichern ihren Anwärtern vertraglich eine feste Verzinsung, einen Garantiezins, zu. Anders als Lebensversicherer, die diesen Garantiezins sehr vorsichtig kalkulieren müssen, ist aber in der Regel in ihren Verträgen eine Sanierungsklausel enthalten, die ihnen erlaubt, das Zinsniveau anzupassen, sofern es dafür triftige Gründe gibt. Ob solche Gründe vorliegen, entscheidet die deutsche Finanzaufsicht Bafin, die auch in diesem Fall ihre Zustimmung schon gegeben hat.«

Das Beispiel der BVV könnte nach Einschätzung von Experten Schule machen. Es wird es, weil die anderen gar nicht anders können.

Und die BVV ist noch nicht einmal Frontrunner der anstehenden Entwicklung. Erste Pensionskasse senkt Betriebsrenten, so hat Herbert Fromme seinen Artikel am 31. Mai 2016 überschrieben:

»Die erste Pensionskasse hat angekündigt, die Verzinsung für bestehende Verträge zu ändern – mit der Folge, dass etwa 80.000 Arbeitnehmer im Durchschnitt 16 Prozent weniger Betriebsrente erhalten als erwartet. Die Neue Leben Pensionskasse (NLP) gehört dem hannoverschen Versicherungskonzern Talanx sowie acht großen Sparkassen. Die unternehmerische Führung liegt bei der Talanx. Die Gesellschaft hatte vor allem über diese Sparkassen vornehmlich in den Jahren 2003 bis 2005 Verträge für die betriebliche Altersversorgung an kleine und mittelständische Unternehmen verkauft. Insgesamt 10.000 Arbeitgeber sind dabei betroffen.«

Die Absenkung hat vor allem für jüngere Versicherte, deren Verträge noch viele Jahre laufen, drastische Folgen. Deren Betriebsrenten sind damit im Schnitt 16 Prozent niedriger als bislang in Aussicht gestellt. Das wird das Vertrauen in die Pensionskassen sicher nicht stärken.

Und sicher nicht vertrauensförderlich sind solche Artikel: Branche will weg von der 100-Prozent-Beitragsgarantie, ein Bericht von der Fachtagung „Insurance Today and Tomorrow“: »Einig waren sich die Diskutanten darin, dass bei neuen Produkten mehr Flexibilität und Investment und weniger garantierter Beitragserhalt gefordert sind.« Alles klar?

In dem Artikel wird Guido Bader zitiert, Vorstand der Stuttgarter Lebensversicherung a.G.:

„Wir Lebensversicherer wissen derzeit nicht mehr, wo wir den Beitragserhalt hernehmen sollen“, so Bader. Angesichts der Niedrigzinsphase wären daher Produkte wie etwa Riester-Tarife, bei denen der Beitragserhalt gesetzlich festgeschrieben ist, kaum noch darstellbar.

Insofern werden wir wahrscheinlich ein Szenario erleben, bei dem die Entwicklung in eine doppelte Richtung geht: Zum einen wird die Finanzbranche versuchen, die Risiken auf die Schultern der Betroffenen zu verlagern und sich aus dem Garantie-Orbit zurückziehen, zum anderen wird man alle unterstützen, die beispielsweise im Bereich der betrieblichen Altersversorgung neue Subventionstöpfe erschließen können.

Aber vor dem Hintergrund dessen, was passiert, ist das keine wirklich gute Ausgangslage für diejenigen, die nun die betriebliche Altersversorgung pushen und mit Steuermitteln fördern wollen.
Was da geplant ist, kann man beispielsweise dieser Übersichtsarbeit entnehmen:

Sebastian Campagna: Aktuelle Debatten und Entwicklungen in der Betrieblichen Altersversorgung. WSI Report Nr. 15, Februar 2016, Düsseldorf

Natürlich wird es Stimmen geben, die darauf hinzuweisen versuchen werden, dass das mit dem schlechten Umfeld für die Kapitaldeckung nur eine vorübergehende Angelegenheit sein wird, dass in den vor uns liegenden Jahren die Zinsen wieder nach oben gehen. Bekanntlich stirbt die Hoffnung zuletzt. Deshalb hier nur der Hinweis auf eine immer noch lesenswerte Arbeit aus dem Jahr 2001, in dem die politischen Entscheidungsträger und viele, eigentlich fast alle anderen auch besoffen waren von der Vorstellung, dass es mit den Zinsen und den Renditen ewig so weitergehen wird:

Andreas Heigl und Martin Katheder: Age Wave – Zur Demographieanfälligkeit von Aktienmärkten. Policy Brief 4/2001, München: Hypovereinsbank, 2001

Ihre Argumentation – im Jahr 2001 – ging so: Insbesondere die Generation der damals 30- bis 50-jährigen muss mit niedrigeren Renditen für ihre Geldanlage in die Aktienmärkte rechnen. Denn auch die Kapitaldeckung ist im Zuge der demografischen Alterung ähnlichen Risiken ausgesetzt wie die umlagefinanzierten Alterssicherungssysteme. Ursächlich hierfür ist das sich künftig deutlich verschlechternde Verhältnis von Sparern zu Entsparern („Age Wave“).

Man kann das auch so ausdrücken: Wir sind alle Gefangene unserer Kohorte. Wenn also größere Summen von den Vorsorgenden eingesammelt werden, um diese rentierlich anzulegen und dann, wenn das Alter gekommen ist, die vereinbarten und die in Aussicht gestellten Beträge auch auszahlen zu können, dann braucht man Abnehmer für die Sachen, in die man Geld angelegt hat, beispielsweise in Immobilien oder in Aktien. Und was, wenn es zu diesem Zeitpunkt gar nicht genug Abnehmer gibt oder geben kann, weil deren Zahl deutlich niedriger ist als in der Vergangenheit.

Anders formuliert: Wenn ein enormes Angebot an Anlagen in der Auszahlungsphase auf eine aus welchen Gründen auch immer deutlich niedrigere Nachfrage stößt, dann muss nach allen Regeln der Ökonomie der Preis sinken.

Aus diesem Kontext wird sich auch eine ausgebaute betriebliche Altersvorsorge nicht befreien können.

880 Euro für die Lebensleistung bei den einen, 20 Euro mehr bei den anderen? Die „Lebensleistungsrente“, eine „Garantierente“ in einem grünen Rentenkonzept und CDU-Fachleute machen auch mit

Wenn man die zurückliegenden Wochen und Monate Revue passieren lässt und in Rechnung stellt, dass im Herbst des kommenden Jahres Bundestagswahlen anstehen, dann werden wir einen Wahlkampf erleben, bei dem vieles um das Thema Rente kreisen wird. Da kann es aus parteipolitischer Sicht durchaus Sinn machen, so schnell wie möglich ein eigenes Konzept in den öffentlichen Raum zu stellen und dazu noch ein oder zwei marktgängige Begriffe zu besetzen. Das können wir gerade am Fallbeispiel der Grünen besichtigen, die am 3. Juni 2016 sichtlich zufrieden unter der Überschrift Grüne Rente mit Zukunft mitgeteilt haben: »Viele Menschen machen sich große Sorgen um ihre Altersvorsorge. Der grüne Bundesvorstand hatte deshalb vor zwei Jahren eine Rentenkommission damit beauftragt, Konzepte auszuarbeiten, wie die Alterssicherung in Deutschland weiterentwickelt werden kann.« Und nun liegt das Ergebnis vor: Abschlussbericht der Grünen Rentenkommission, so trocken ist das Dokument überschrieben. Und es enthält unter anderem auch einen eingängig daherkommenden Begriff, der schon seit einigen Jahren immer wieder im grünen Sprachgebrauch auftaucht: Eine „Garantierente“. Also eine grüne Garantierente.
Wenn etwas garantiert wird, dann hat das gerade in den heutigen Zeiten einen ganz eigenen Wert, wie viele gebeutelte Bürger wissen, wenn sie beispielsweise an „Garantiezinsen“ bei Lebensversicherungen denken, deren garantierte Höhe in den vergangenen Jahren geschmolzen ist wie die Butter in der Sonne.

Man habe ein Konzept für eine steuerfinanzierte Garantierente erarbeitet, die allen Menschen, die mindestens 30 rentenversicherungspflichtige Jahre vorweisen können, eine Rente ermöglicht, die oberhalb der Grundsicherung liegt. Viele werden sich natürlich für die Höhe interessieren. 900 Euro könnten es werden. Denn die Garantierente soll sich auf 30 Entgeltpunkte belaufen (ein Punkt entspricht im Westen vom 1. Juli an einem Rentenwert von 30,45 Euro). Dann kommt man auf die genannten 900 Euro.

Nun könnte der eine oder andere an dieser Stelle einwerfen, dass sich das aber sehr nach der „Lebensleistungsrente“ anhört, die bei der Großen Koalition auf der Liste noch zu erledigender Punkte steht – wobei nicht nur die Sprachwissenschaftler ihre Freude an der Begrifflichkeit haben werden, wenn man bedenkt, dass es ganz korrekt „solidarische Lebensleistungsrente“ heißen muss, folgt man dem Koalitionsvertrag, denn die Union hatte vor der Regierungsbildung für eine „Lebensleistungsrente“ geworben, während die SPD mit einer „Solidarrente“ hausieren gegangen ist. Bei der Koalitionsbildung hat man dann die beiden Begriffe vereinigt zu eben einer „solidarischen Lebensleistungsrente“, damit sich jeder wiederfinden kann (vgl. dazu den Beitrag Mehr als ein rentenpolitischer Sturm im Wasserglas? Die „Lebensleistungsrente“ erhitzt die Gemüter vom 1. April 2016).

Und wie soll die „Lebensleistungsrente“ nun aussehen?

Wer lange Jahre Vollzeit gearbeitet, für sich vorgesorgt hat und dennoch keine Rente bezieht, die die Sozialhilfe übersteigt, soll die Lebensleistungsrente erhalten. Sie soll mit rund 880 Euro im Monat knapp oberhalb der Grundsicherung liegen und den Betroffenen den Gang zum Sozialamt ersparen, so das Konzept dieses Ansatzes, der immerhin im Koalitionsvertrag steht.

Dieses Ansinnen ist bei vielen aus ganz unterschiedlichen Gründen auf Kritik gestoßen. Für eine besonders heftige Ablehnung reicht es bei Franz Ruland. Er war von 1992 bis 2005 Geschäftsführer des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger sowie von 2009 bis 2013 Vorsitzender des Sozialbeirats der Bundesregierung. Seine Meinung dazu hat er in einen Artikel mit dieser mehr als deutlichen Überschrift gepackt: Stoppt den Unfug!

Seine Einwände sehen zusammengefasst so aus und zeigen, dass wir es hier mit einem klassischen Vertreter des Sozialversicherungssystems zu tun haben:

»Schon der Name „Lebensleistungsrente“ ist eine Irreführung. Für diejenigen, deren Lebensleistung nicht zu einer ausreichenden Rente gereicht hat, soll es eine „Sozialhilfe de luxe“ geben, die die Rentenversicherung auszahlt. Die Leistung wäre keine Rente. Sie setzt die zu prüfende Bedürftigkeit voraus, notwendigerweise auch die des Ehegatten. Auch der Effekt der Beitragszahlung ist ganz anders. Bei der Rente steigern die Beiträge den Anspruch, bei der Lebensleistungsrente mindern sie ihn. Wer für diese Leistung den Begriff „Rente“ verwendet, hat den grundlegenden Zusammenhang von Beitrag und Rente nicht verstanden oder – noch schlimmer – will ihn verwischen.

Die Begründung für die geplante Leistung ist ärgerlich. Der Gang zum Sozialamt sei diesen Personen unzumutbar. Wieso ist er es dann für die anderen, die auf Sozialhilfe angewiesen bleiben, etwa für eine Frau, die, weil sie Kinder erzieht und deswegen nicht arbeiten kann, auf Sozialhilfe angewiesen ist?«

Ruland weist zudem darauf hin, dass nur relativ wenige Personen überhaupt für diese neue Leistung in Frage kommen würden:

»2014 wären es laut Bundesregierung 66.000 Personen gewesen, die nach 35 Beitragsjahren weniger als 880 Euro Rente erhalten. Ab 2023 sollen 40 Beitragsjahre vorausgesetzt werden, die Zahl der Berechtigten würde auf 40.000 absinken, danach aber ansteigen. Doch müssen diese Personen auch noch hinreichend lange privat vorgesorgt haben. Die meisten Rentner mit niedrigen Renten bekämen sie also nicht.«

Zur Erinnerung: Wir haben heute schon über 20 Millionen Rentner. Die für die „solidarische Lebensleistungsrente“ vorgesehenen Zugangshürden seien so hoch, dass Arbeitsministerin Andrea Nahles „jeden einzelnen Lebensleistungsrentner mit Handschlag begrüßen kann“, so wird der rentenpolitische Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, Markus Kurth, in einem Artikel von Thomas Öchsner in der Süddeutschen Zeitung vom 4. Juni 2016 zitiert. Eine Rosstäuscherei also?

Die nicht nur sehr niedrig erscheinenden Zahlen für die Gruppe der potenziell Inanspruchberechtigten lässt sich natürlich zurückführen auf die sehr restriktive Ausgestaltung der Zugangsvoraussetzung für den Leistungsbezug, also vor allem die notwendigen Beitragsjahre und dann auch noch eine nachgewiesene private Vorsorge. Das muss auch vor diesem Zusammenhang gesehen werden:

»Niedrige Renten sind meist Folge einer zu kurzen Versicherungsdauer. Wer nicht auf die 35 beziehungsweise 40 Jahre mit Pflichtbeiträgen kommt, bleibt bei der Sozialhilfe. Das betrifft insbesondere Langzeitarbeitslose, Personen, die abwechselnd selbständig tätig und abhängig beschäftigt waren, Frauen, die viele Kinder erzogen haben, oder Geringverdiener, die nicht zusätzlich privat vorgesorgt haben.«

Dem verantwortungsvollen Sozialpolitiker, der immer auch auf die Auswirkungen in den bürokratischen Systemen schauen wird, mag es angesichts der möglichen und wahrscheinlichen Fallkonstellationen und der dadurch ausgelösten Zuständigkeitsfragen die Nackenhaare sträuben. Ein Beispiel: Was machen wir, wenn bei einer hinsichtlich der Lebensleistungsrente leistungsberechtigten Person in deren Haushalt andere Personen leben, »die trotz ihrer Bedürftigkeit keinen Anspruch auf die Lebensleistungsrente haben, etwa die Ehefrau. Dies würde dazu führen, dass bei diesen Personen zweimal die Bedürftigkeit geprüft werden muss, bei der Rentenversicherung und beim Sozialamt.« So der Hinweis bei Ruland, der damit einhergehend zugleich darauf verweist, dass  in der Verwaltung neue und teure Doppelstrukturen aufgebaut werden müssten.

Aber das können die (derzeit noch) oppositionellen Grünen doch nicht wirklich auch wollen? Doch, im Grunde wollen sie das auch, nur mit einem für die (potenziell) Betroffenen ganz wichtigen Unterschied: Die Zugangshürden sollen bei weitem nicht so hoch sein wie bei den „solidarischen Lebensleitsungsrenten“-Befürworter. Schauen wir in den Abschlussbericht der Grünen Rentenkommission. Da findet man diese Erläuterung:

Es geht den Grünen bei ihrer Garantierente »um Maßnahmen zur Bekämpfung von Altersarmut für langjährig Versicherte. Denn niedrige Löhne, Zeiten der Arbeitslosigkeit, der Pflege von Angehörigen oder der Erziehung von Kindern können dazu führen, dass Versicherte trotz langjähriger Mitgliedschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht auf 30 Entgeltpunkte kommen und somit auf Leistungen der Grundsicherung im Alter angewiesen wären. Für diese Versicherten wollen wir eine steuerfinanzierte Garantierente innerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung schaffen, die eine Rente oberhalb des Grundsicherungsniveaus verspricht.«

 Und an anderer Stelle erfährt man diesen wichtigen Punkt:

»Die Garantierente soll ohne Bedürftigkeitsprüfung ausgezahlt werden, das heißt betriebliche und private Altersvorsorge werden nicht angerechnet.«

Das hätte natürlich eine andere Qualität als die „Lebensleistungsrente“ und man mag eigentlich gar nicht sofort die zahlreichen sich anschließenden Fragen hinsichtlich einer Garantierente auflisten, die einem in den Sinn kommen hinsichtlich der Fallkonstellationen in der Wirklichkeit.

Was man allerdings grundsätzlich ansprechen muss ist die Frage nach dem Referenzsystem für die Garantierente. Bei der Lebensleistungsrente in ihrer seit dem Vorstoß der damaligen Bundesarbeitsministerin Ursula von der Lesern (CDU) im politischen Raum zirkulierenden Form ist es nur auf den ersten Blick die einzelne Person mit einer zu niedrigen Rente, denn für die Leistung soll ja  die Bedürftigkeit geprüft werden und die ergibt sich eben immer aus dem Haushaltskontext. Wenn also eine auf den ersten Blick „bedürftige“ Person aufgrund einer zu niedrigen Rente mit einer anderen Person in einem gemeinsamen Haushalt zusammenlebt  dann würde keine Bedürftigkeit vorliegen, da der Haushalt – wie im SGB II auch – als Bedarfsgemeinschaft betrachtet und bewertet wird.

Das wäre übrigens auch in anderen Alternativentwürfen aus den Reihen der Opposition der Fall, man denke hier nur an die Forderung der Linken, „eine steuerfinanzierte, einkommens- und vermögensgeprüfte Solidarische Mindestrente“ einzuführen (vgl. dazu bereits das rentenpolitische Papier Eine Rente zum Leben vom 10.09.2012).

Die entscheidende Frage ist also die nach dem Individualisierungsgrad der Garantie-, Mindest- oder wie sie immer auch heißen soll.

Hier bewegen wir uns im Zentrum eines grundsätzlichen und nicht aufhebbaren Unterschieds zwischen den Sozialversicherungen und einem bedürftigkeitsabhängigen Transferleitungssystems. Denn die Zahlungen in einer klassischen Sozialversicherung sind in Reimform individualisiert, da sie personenbezogene, mit einem grundsätzlichen Rechtsanspruch versehene Versicherungsleistungen darstellen. Anders formuliert: Die Rente in Höhe von x Euro bekommt die Person A auch dann, wenn sie mit Person B, die beispielsweise über eine ordentliche Beamtenpension verfügt, zusammenlebt. Bei einer bedürftigkeitsabhängigen Transferleistung wäre das nicht der Fall, denn die ist nicht nur Einkommens-, sondern auch vermögensabhängig und das bezogen auf den Haushaltskontext.
Dazu findet sich in dem zitierten Abschlussbericht der Grünen Rentenkommission (noch) nichts.

Die besprochene Garantierente, soweit man deren Umrisse einordnen kann, stehen aber nicht singulär im politischen Raum herum, sondern sie ist eingebettet in ein „grünes Rentenkonzept“, das noch andere Bausteine enthält und dann natürlich auch in dem größeren Zusammenhang bewertet werden muss. So kann man dem Abschlussbericht der Grünen Rentenkommission folgende Punkte entnehmen (vgl. dazu die Zusammenfassung Grüne Rente mit Zukunft):

»Das Rentenniveau muss stabilisiert werden, so dass … Durchschnittsverdiener mit 45 Beitragsjahren auch über das Jahr 2025 hinaus mindestens eine Rente erhalten, die 50% oberhalb der Grundsicherung liegt.« Hier wird also der von der damaligen rot-grünen Bundesregierung 2001 verabschiedete Sinkflug des Rentenniveaus angesprochen.
Auch der „alte“ Gedanke einer „Bürgerversicherung“ ist nicht verloren gegangen: »Wir wollen die Rentenversicherung mittelfristig zu einer Bürgerversicherung umbauen, in die alle Bürgerinnen und Bürger einzahlen, d.h. auch Beamte, Freiberuflerinnen und Freiberufler, Selbstständige und Abgeordnete. Das stabilisiert unsere Rentenversicherung und schützt vor Altersarmut. Als erster Schritt sollen alle nicht anderweitig abgesicherten Selbstständigen in die bestehende Rentenversicherung einbezogen werden.«
Die ebenfalls von Rot-Grün implementierte Riester-Rente wird mittlerweile als Fehlentwicklung identifiziert und anstehende Veränderungen werden mit der im derzeit schwarz-grün regierten Hessen entwickelten „Deutschland-Rente“ (vgl. dazu den Blog-Beitrag Riester in Rente und endlich eine „faire private Altersvorsorge“? Die „Deutschland-Rente“ schafft es immerhin schon in den Bundestag vom 29. Januar 2016) verknüpft: »Wir wollen die Riester-Rente grundlegend reformieren und ein neues Basisprodukt einführen, das einfach, kostengünstig und sicher ist.«

Und auch die Geschlechterfrage wird angesprochen: »Um eine gleichberechtigte Rente für Frauen und Männer zu fördern, wollen wir außerdem ein obligatorisches Rentensplitting einführen: Paare sollen ihre gesetzlichen Rentenansprüche zukünftig mitenander teilen, unabhängig davon, wer wie viel gearbeitet hat.« Und das schrittweise auf 67 ansteigende Renteneintrittsalter wird nicht grundsätzlich zur Disposition gestellt, sondern:  Das Renteneintrittsalter sollte … keine starre Grenze mehr darstellen. Altersteilzeit soll bereits ab dem 60. Lebensjahr möglich sein. Da man damit aber auf einen Teil seines Gehalts verzichtet, sollten gleichzeitig die Hinzuverdienstregelungen vereinfacht werden.« Das ist passungsfähig zur derzeitigen Diskussion über eine „Flexi-Rente“.

Natürlich kann man die Hypothese aufstellen, dass solche Skizzierungen von Grundlinien der rentenpolitischen Gestaltung nicht im luftleeren Raum stattfinden, sondern immer auch eingebettet sind in die Frage, ob und mit wem man diese Vorstellungen oder einen Teil davon in einem möglichen Regierungsbündnis umsetzen kann. Und bei den Grünen, vor allem aber in der medialen Diskussion über sie taucht immer wieder die These auf, dass im kommenden Jahr ein schwarz-grünes Regierungsbündnis auf Bundesebene eine Option sein könnte.

Vor einem solchen Hintergrund ist es natürlich interessant, wenn parallel zu den rentenpolitischen Vorschlägen der Grünen auch aus der Union entsprechende Vorschläge in die Öffentlichkeit getragen werden – bzw. sagen wir es genauer: aus einem Teil der Union, konkret vom Arbeitnehmerflügel der CDU.

Thomas Öchsner hat darüber in der Süddeutschen Zeitung berichtet: CDU-Fachleute legen ein Konzept gegen Altersarmut vor.  Konkret handelt es sich um Vorschläge von Peter Weiß, Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für Rentenpolitik, und Eva Welskop-Deffaa, Chefin der Arbeitsgruppe Rente in der CDU. Die haben das unter der Überschrift Die Rente 4.0 – Das Konzept der dynamischen Rente für die Arbeitswelt der Zukunft am 5. Juni 2016 veröffentlicht.
Auch bei den beiden Unionsvertretern geht es um das sinkende Rentenniveau, fasst Öchsner zusammen:

»Die CDU-Rentenexperten fordern …, dass der Staat ein Mindestrentenniveau bis 2070 garantieren soll. Dieses sollte aber höher sein als die gesetzlich angepeilten 43 Prozent. Sonst müssten künftig auch viele langjährig Versicherte als Rentner zum Sozialamt und die staatliche Grundsicherung im Alter beantragen … Das Rentenrecht verstoße „perspektivisch gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit: Eine Pflichtversicherung ist nur vertretbar, wenn ein ausreichender Mehrwert/Abstand der Standardrente im Vergleich zur vorleistungsfreien Grundsicherung gesichert ist“.«

Natürlich stellt sich sogleich die Finanzierungsfrage. Die beiden Rentenexperten schlagen eine drittelparitätische Finanzierung vor: Künftig sollen Staat, Arbeitgeber und Arbeitnehmer je ein Drittel der Beiträge finanzieren.

»Bei dieser „Drittelparität“ zahlen Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Bund jeweils einen gleich hohen Beitrag. Zugleich schlagen Weiß und Welskop-Deffaa eine zweite Beitragsbemessungsgrenze vor. Diese soll bei 50 Prozent über der Regelgrenze (derzeit 6200 Euro im Westen) liegen, das wären etwa 9000 Euro im Monat. Die Beiträge oberhalb der normalen Beitragsgrenze werden aber nicht staatlich ko-finanziert. Gleichzeitig sollen in die Rentenkasse künftig auch Selbständige einzahlen, „sofern sie nicht in einem berufsständischen Versorgungswerk abgesichert sind“.«

Eingedenk der Ausführungen über das grüne Rentenkonzept gibt es an einer weiteren Stelle Anknüpfungspunkte – dem Splittingmodell:

»In der Regel werden bei Scheidungen die in der Ehe erworbenen Rentenansprüche geteilt. Die CDU-Experten sprechen sich nun dafür aus, mit Beginn der Ehe die Rentenansprüche gleich zu splitten – jeder sieht so, woran sie oder er ist. Zugleich soll es die Chance geben, die Beiträge freiwillig aufzustocken, um für eine Scheidung besser abgesichert zu sein. Die, sagt Welkskop-Deffaa, „ist eines der größten Risiken für Altersarmut“.«

In der Großen Koalition versucht man derzeit, die dort ausgebrochene rentenpolitische Unruhe wieder etwas einzufangen. So wird im neuen SPIEGEL (Heft 24/2016) unter der Überschrift „Aus drei mach zwei“ berichtet:

»Horst See­ho­fer macht ei­nen Rück­zie­her: Die CSU wird im Herbst kein ei­ge­nes Rentenkon­zept prä­sen­tie­ren, son­dern mit der CDU ei­nen ge­mein­sa­men Re­form­vor­schlag vor­le­gen. Das Ni­veau der ge­setz­li­chen Ren­te soll da­bei, an­ders als von See­ho­fer vorgeschla­gen, nicht auf dem heu­ti­gen Ni­veau ein­ge­fro­ren wer­den, heißt es in der Uni­on. Man wol­le sich bei ei­nem so wich­ti­gen The­ma wie der Ren­te nicht schon wie­der un­ei­nig zei­gen. Das Kon­zept soll von der baye­ri­schen So­zi­al­mi­nis­te­rin Emi­lia Mül­ler, CDU-Präsi­di­ums­mit­glied Jens Spahn und dem Staats­se­kre­tär im Ge­sund­heits­mi­nis­te­ri­um, Karl-Josef Lau­mann, er­ar­bei­tet wer­den.

Bun­des­so­zi­al­mi­nis­te­rin An­drea Nah­les setzt bei ih­ren Vor­ar­bei­ten für die ge­plan­te Renten­re­form auf ex­ter­nen Sach­ver­stand. Be­vor sie ein Ge­samt­kon­zept vor­legt, will sie sich mit Wis­sen­schaft­lern, So­zi­al­ex­per­ten und Ver­bän­den in ei­nem „Dia­log zur Alterssiche­rung“ be­ra­ten, wie es im Ein­la­dungs­schrei­ben der SPD-Po­li­ti­ke­rin heißt. Die ers­te Sit­zung der 18 Ex­per­ten soll am 8. Juli im Mi­nis­te­ri­um statt­fin­den, The­ma wird die zu­sätz­li­che Al­ters­vor­sor­ge sein. Aus der Ein­la­dung geht auch her­vor, dass mit ei­nem Reform­kon­zept nicht vor Ende Ok­to­ber zu rech­nen ist. Nah­les hat be­reits an­ge­kün­digt, dass sie nicht al­lein auf das ge­setz­li­che Si­che­rungs­ni­veau ab­stel­len, son­dern vor al­lem die Be­triebs- und Ries­ter­ren­te re­for­mie­ren will.«

Eines ist sicher – die rentenpolitische Diskussion hat Fahrt aufgenommen und wir werden in den vor uns liegenden Monaten mit so einigen weiteren Vorschlägen konfrontiert werden, die angesichts der näher rückenden Bundestagswahlen immer auch von eher oder gar primär parteipolitisch motivierten Verunreinigungen durchsetzt sein werden.

Mehr Zwangsverrentungen von Hartz IV-Empfängern. Oder doch nicht? Ein Paradebeispiel für systemkonforme und zugleich verirrte Sozialpolitik

Das waren Schlagzeilen, die man im Bundesarbeitsministerium sicherlich nicht gerne gelesen hat: Hartz-IV-Beziehern droht schnellere Zwangsverrentung: »Langzeitarbeitslose können vorzeitig in den Ruhestand geschickt werden, auch wenn dann ihre Bezüge schrumpfen. Nun sollen die Behörden einen größeren Spielraum bekommen, um Druck auszuüben.« Oder dieser Artikel hier: Zwangsverrentung: Koalition will mehr Druck ermöglichen: »Jobcenter sollen künftig Hartz-IV-Leistungen streichen, wenn Betroffene nicht die nötigen Unterlagen zum vorzeitigen Wechsel in die Rente vorlegen. Das sieht ein geplanter Änderungsantrag für ein derzeit im Bundestag beratenes Gesetz zu Rechtsvereinfachungen bei Hartz IV vor.«

Das Thema ist nicht neu. Bereits am 1.12.2014 wurde hier dieser Beitrag veröffentlicht: Die andere Seite der „Rente mit 63“: Während die einen wollen, müssen die anderen. Zwangsverrentung von Hartz IV-Empfängern.  Dort wurde bereits überaus kritisch das Thema erörtert. 

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Vielleicht doch noch mal zurück auf Start beim Mathematik-Unterricht aufgrund eklatanter Zahlenschwäche? Oder wenigstens eine Entschuldigung für bewusste Manipulation?

Über einen wirklich dreisten Versuch, in der aktuellen Rentendebatten eine eigene Wirklichkeit zu basteln und ein Altersarmutsproblem einfach in das Reich der Fabeln zu verbannen, wurde hier im Beitrag Von Konfusion bis dreister Realitätsverweigerung in der Berichterstattung über Rente und Altersarmut vom 24.04.2016 schon berichtet. Dabei ging es um die Ausführungen von Rainer Hank, verantwortlicher Redakteur für Wirtschaft und „Geld & Mehr“ bei der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Hank hat Literaturwissenschaft, Philosophie und Katholische Theologie studiert und wurde 1983 über die Literatur der Wiener Moderne promoviert.  Von wegen Altersarmut!, so heißt sein neuester Kommentar, mit dem er sich polemisch in die Debatte eingebracht hat, die er auch durch Talkshow-Auftritte „bereichert“.

In meinem Blog-Beitrag habe ich in mehrfacher Hinsicht den Unsinn seiner Ausführungen angesprochen. Ganz offensichtlich hat er es beim Rententhema nicht so mit den Zahlen, das sollte man aber, auch unabhängig von der Tatsache, dass wir hier nicht über irgendwelche  relevanzlosen Gleichungsmodelle aus der herrschenden Ökonomie reden, sondern über die Frage, mit welchen konkreten Geldbeträgen ältere Menschen rechnen müssen oder auf welche sie hoffen dürfen. Besonders dreist – und das habe ich schon offen angesprochen – ist die Tatsache, dass er einfach irgendwelche Zahlen in die Tasten haut und der Leser seines Machwerks, der oder die ja laut Werbung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung immer ein kluger Kopf sein soll, muss schon selbst darauf kommen, dass da irgendwas nicht stimmt. Was man aber auch von klugen Köpfen angesichts der Komplexität des Rententhemas nicht per se erwarten darf, die meisten beschäftigen sich ja mit anderen Dingen. Dann ist es immer wieder gut, wenn sachkundige Bürger die offenkundigen Schwachstellen aufdecken – und ein Aspekt, den ich in meinem Beitrag noch gar nicht angesprochen hatte, wird nun vom unermüdlich-kritischen Statistik-Experten Paul M. Schröder vom Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe aufgerufen.

Der Mann ist gestählt im Bad der abstrusen Statistik-Interpretationen, denen man gerade in der Sozialpolitik immer wieder begegnet – nicht umsonst veröffentlicht das Institut regelmäßig unter der Kategorie „Büro für absurde Statistik“ (BaSta). Und der hat jetzt mit Blick auf die Hank-Veröffentlichung nachgelegt und folgende Meldung veröffentlicht: FAZ.net: Dr. Rainer Hank lässt Standardrente um 56 Prozent auf 2.029 Euro in 2029 steigen!
Und das, was er dort ausführt, ist eine wichtige und der Öffentlichkeit nicht vorzuenthaltende Erweiterung zu meinen kritischen Ausführungen.

Schröder geht es um eine ganz bestimmte Geschichte, die uns Hank erzählt: Die Geschichte vom Anstieg der Standardrente um 56,0 Prozent auf 2.029 Euro in 2029!
Ich gebe zu: Die Zahlenidentität zwischen der angeblich erwartbaren Standardrente mit dem Jahr hätte auffallen müssen. Auch ich hatte den Passus von Hank in meinem ersten Beitrag zitiert: »Der exemplarische „Eckrentner“, der mit einem Durchschnittsverdienst 45 Jahre lang Beiträge gezahlt hat, bezieht heute eine Rente von 1301 Euro. Im Jahr 2029 steigt sein Rentenanspruch auf 2029 Euro, obwohl das Rentenniveau um mehr als drei Prozentpunkte sinkt.«

Schröder dazu:

»Wie Rainer Hank aus dem im Rentenversicherungsbericht 2015 berichteten nominalen Anstieg der Bruttostandardrente um 32,9 Prozent (452 Euro) einen Anstieg um 56,0 Prozent (728 Euro) in den Jahren 2016 bis 2029 macht, bleibt ein Rätsel. Natürlich liegt die Vermutung nahe: statt der im Rentenversicherungsbericht 2015 für 2029 erwarteten Bruttostandardrente von 1.824 Euro wird den Leserinnen und Lesern der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung die Jahreszahl 2029 als Standardrente in 2029 präsentiert.«

Woher die von Hank angegebenen Zahlen kommen, wird dem Leser nicht offengelegt. Offensichtlich, so Schröder, kann man das genannte Rentenniveau in 2016 (47,7 Prozent) und 2029 (44,6 Prozent) im Rentenversicherungsbericht 2015 des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales finden. Dort gibt es auch eine Tabelle zum „Versorgungsniveau im Alter für den Rentenzugang aus GRV-Rente und geförderter zusätzlicher „Riester-Rente“ (Übersicht B 8, S. 40). Für die „Bruttostandardrente“ findet man dort für 2016 und 2029 diese Beträge: »1.372 Euro in 2016 und 1.824 Euro in 2029. Dies entspricht einem nominalen Anstieg um 32,9 Prozent (452) Euro in den 13 Jahren von 2016 bis 2029«, so die Zusammenfassung von Paul M. Schröder. Wie Rainer Hank daraus einen Anstieg um 56 Prozent (728 Euro) zaubert, bleibt sein Rätsel. Gegeben bleibt das Faszinosum, dass die Jahreszahl zugleich als Standardrente in diesem Jahr ausgewiesen wird.

Selbstverständlich hat das Institut Rainer Hank gebeten, eine Korrektur vorzunehmen, aber eine entsprechende Bitte vom 24. April 2016, dies zu tun, blieb bislang unbeantwortet.