Das sinkende Rentenniveau mal auf bayerisch. Haltelinien mit „Schummelsoftware“ modelliert. Und die private Altersvorsorge bröckelt weiter

In der rentenpolitischen Diskussion wird von den kritischen Geistern völlig zu Recht auf die zentrale Stellschraube Rentenniveau hingewiesen, das sich bekanntlich seit Jahren auf der Rutschbahn nach unten befindet (vgl. dazu ausführlicher meinen Beitrag Das Rentenreformdiskussionskarussell dreht sich. Die Umrisse der Folgen einer hilflos-konfusen Rentenpolitik werden erkennbar vom 1. November 2016 sowie den Beitrag Das große Durcheinander um Rentenniveau, Niveau der Renten, Rente als Wahlkampfthema. Und eine rechnerische Gewissheit mit fatalen Folgen vom 8. Oktober 2016). Man kann es hin und her wenden wie man will – wenn man an dieser Stellschraube nicht zu korrigieren gedenkt, dann wird es für einen Teil der Altersrentner mehr als zappenduster aussehen.

Und die Einschüsse in Richtung auf eine deutlich steigende Altersarmut (ja, nicht bei allen, aber bei vielen von denen, die nicht nur im Erwerbsleben das Pech hatten, überschaubare oder niedrige Verdienste zu haben, sondern die auch keine anderen spürbaren Einkommensquellen im Alter ihr eigen nennen können), kommen näher. Schauen wir dazu in den die Tage vom DGB Bayern veröffentlichten Rentenreport Bayern 2016, also einem Bundesland, das sicher nicht als Armenhaus der Republik charakterisiert werden kann. 

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Von Konfusion bis dreister Realitätsverweigerung in der Berichterstattung über Rente und Altersarmut

Man sollte erwarten dürfen, dass Medien, die sich selbst mit dem Merkmal „Qualität“ belegen und bewerben, ein gewisses Maß an Orientierung liefern für die Leser (oder Zuschauer oder Zuhörer). Und die komplexe Dinge, um die es in der Sozialpolitik oft geht, für die vielen, die sich nicht hauptberuflich damit beschäftigen, irgendwie aufbereiten, damit sie besser beurteilt werden können. Durchaus problematisch ist es dann natürlich, wenn man einen Sachverhalt so darstellt, dass man am Ende gar nicht mehr weiß oder ahnt, wer für was ist. Aber richtig gefährlich kann es werden, wenn eine ideologische Agenda verfolgt und der Leser mit einer eigenen Welt konfrontiert wird, die als Wirklichkeit behauptet, mit dieser aber nur am Rande bis gar nichts mehr zu tun hat. Werfen wir einen Blick auf die aktuelle Rentendebatte, da finden wir Beispiele der Konfusion bis hin zu einer wirklich dreisten Umdeutung der Wirklichkeit.

Den Anfang machte der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU), der sich zitieren lies mit den Worten, die Riester-Rente sei gescheitert und gehöre abgeschafft, wobei seine – nun ja – rentenpolitischen Ausführungen eher als ein Bild mit sehr groben Strichen bezeichnet werden muss und keine auch nur annähernd differenzierte Analyse. Aber zuweilen kommt es in der Politik ja auch eher auf das Gespür für das große Ganze an und nicht auf die Korrektheit der Details:

»CSU-Chef Horst Seehofer will in einer großen Rentenreform die Altersbezüge für breite Bevölkerungsschichten wieder erhöhen. Die Anfang des vergangenen Jahrzehnts beschlossene Kürzung des Rentenniveaus wird nach Seehofers Einschätzung dazu führen, „dass etwa die Hälfte der Bevölkerung in der Sozialhilfe landen würde“, sagte Seehofer in München. „Die Riester-Rente ist gescheitert“«, konnte man beispielsweise dem Artikel „Gescheitert“ – Seehofer will Riester-Rente abschaffen entnehmen. In dem Artikel wird der Hinweis gegeben, dass es sich wohl weniger um eine konsequente Schlussfolgerung aus der Vertiefung in die deutsche Rentenpolitik handelt, sondern vielmehr erkannt wurde, welche möglicherweise wählermobilisierenden Effekte das Versprechen einer Verbesserung der Lage für viele Ältere haben kann: »Die Rentenreform soll Teil eines großen Programms werden, mit der Seehofer verlorenes Vertrauen und verlorene Wähler für die Union zurückgewinnen will. Die Volksparteien hätten einst zusammen gut 80 Prozent der Wähler vertreten, derzeit sei es nur noch die Hälfte, sagte Seehofer nach der Eröffnung der neuen CSU-Zentrale in München zu den aktuellen Umfragewerten von Union und SPD. Die „Neoliberalisierung“ des vergangenen Jahrzehnts sei gescheitert, betonte der CSU-Chef.«

Man könnte auf die Idee kommen, dass das der Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) durchaus ins eigene Konzept passen müsste – denn hat es nicht in den vergangenen Jahren gerade in der SPD einen Prozess der kritischen Auseinandersetzung mit dem Paradigmenwechsel in der deutschen Rentenpolitik durch die rot-grünen Rentenreformen Anfang des neuen Jahrtausends, zu der auch die Einführung der staatlich gepamperten kapitalgedeckten privaten Altersvorsorge in  Gestalt der „Riester-Rente“ gehört, gegeben? Hat man nicht zunehmend verstanden, dass die damals beschlossene Absenkung des Rentenniveaus in der wichtigsten (und für manche eben auch einzigsten) Säule der Alterssicherung im komplexen Zusammenspiel mit den zahlreichen Verwerfungen auf den Arbeitsmärkten zu definitiver Altersarmut führen muss, worauf viele Rentenexperten seit Jahren hinweisen?

Insofern müsste Ministerin Nahles großes Gefallen an der Seehoferschen Flanke finden müssen, sollen, können. Also eigentlich. Aber dann bekommt man unter der Überschrift Nahles garantiert die staatliche Riester-Rente so was zu lesen:

»Nahles warf Seehofer vor, mit seiner Kritik „16 Millionen Riester-Sparer verunsichert“ zu haben. Wer eine Riester-Rente abgeschlossen habe, habe alles richtig gemacht. Die Bundesregierung werde darauf achten, dass diejenigen, die vorsorgten, auch belohnt würden.« Und weiter: » In einem Interview versuchte sie, die Sparer zu beruhigen. „Der Staat garantiert, dass alle Riester-Inhaber ihr Geld ausgezahlt bekommen“, sagte Nahles der Bild am Sonntag.«

Ja ja, wird der eine oder andere einwerfen, da wird ein nicht vorhandener Konflikt aufgebaut, denn die Ministerin müsse doch nur das Selbstverständliche tun, also auf die rechtlichen Grundlagen hinweisen, nach denen die, die schon Riester-Sparer sind, keine – unberechtigten – Ängste haben müssen, dass das, was sie angespart haben (oder was sie glauben, gespart zu haben), nun auch vor der Abschaffung steht. Vertrauensschutz ist und wird gewährleistet. Eine entsprechende Formulierung findet man auch in dem Artikel: » In einem Interview versuchte sie, die Sparer zu beruhigen.« Aber selbst wenn Seehofer nicht so drin ist in den Details, wenn er von Abschaffung gesprochen hat, dann meint er sicher den Wegfall der Riester-Renten-Subventionierung für zukünftige Fälle. Das müsste dann doch wieder eine Schnittmenge mit Nahles ergeben.

Oder doch nicht? Allein der bereits zitierte Artikel aus der Online-Ausgabe der Süddeutschen Zeitung verursacht einen Positionierungsschwindel, denn man kann dem Beitrag auch entnehmen:

»Gleichzeitig kündigte Nahles … eine Reform der Riester-Rente an. Die sei nötig, weil sich die Renditehoffnungen nicht erfüllt hätten und zu wenig Geringverdiener eine solche Altersvorsorge abgeschlossen hätten. „Wir müssen neue Maßnahmen ergreifen, um die kapitalgedeckte Altersvorsorge zu verbreitern und attraktiver zu machen“, sagte Nahles.«

Reform? Das hört sich nicht nach Abschaffung an, für die es viele gute Gründe gibt und die in den vergangenen Jahren von vielen unterschiedlichen Seiten auch gefordert wurde, vor allem angesichts der realen Verteilungswirkungen der milliardenschweren Subventionierung aus Steuermitteln.
Offensichtlich hat die Ministerin vor Augen, dass eine echte Rentenreform eine ganz andere Nummer darstellen würde als die „Mütterrente“ oder die temporäre „Rente mit 63“ für bestimmte Arbeitnehmer. In diese Richtung geht auch die Überschrift dieses Artikels: Nahles plant neue Großbaustellen bei der Rente. Interessant daraus ist der folgende Passus, der anzudeuten vermag, auf welches Minenfeld man sich bei einer großen Rentenreform begeben würde:

»Der Wirtschaftsflügel in der SPD warnte die Partei davor, sich vorwiegend an Geringverdienern, Arbeitslosen und Rentnern zu orientieren. „Wir müssen mit unserer Politik dafür sorgen, dass auch die gut verdienende Mittelschicht wieder SPD wählt“, sagte Michael Frenzel, Präsident des SPD-Wirtschaftsforums, der Zeitung „Welt am Sonntag“. Allein mit der Ansprache von Geringverdienern komme die Partei nicht aus dem 20-Prozent-Tief heraus. Das sehe man alleine daran, dass die Durchsetzung des Mindestlohns der SPD kaum geholfen habe.«

Da kommt einiges zusammen und geht so manches durcheinander.

Aber den Vogel abgeschossen hat der unter der Fahne des Journalisten segelnde Aktivist Rainer Hank, verantwortlicher Redakteur für Wirtschaft und „Geld & Mehr“ der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Der war auch Studiogast am 17.04.2016 in der Talgsendung von Anne Will zum Thema Altersarmut – mit Ausführungen, die viele Menschen erschüttert haben. Dazu nur stellvertretend aus den Rezensionen der Sendung der Hinweis auf diesen Artikel von Sylvie-Sophie Schindler: Von „Ahnungslosen“ und „Luxusrenten-Empfängern“. Sie berichtet:

»Im Online-Forum zur Sendung sind wütende Kommentare zu finden: „Die sollten mal auf den Bau oder in ein Krankenhaus zum Arbeiten gehen.“ Es handle sich um eine Sendung mit „Ahnungslosen“, mit einer „Fehlbesetzung“, mit „unerträglichen Luxusrenten-Empfängern“« Mit einer Ausnahme: Susanne Neumann. Seit Jahrzehnten ist Neumann als Gebäudereinigerin in einem Gelsenkirchener Unternehmen beschäftigt. »Der Vorwurf der Realitätsferne ging insbesondere an Rainer Hank. Zahlreiche Foristen wetterten. Beispielsweise so: „Frage mich gerade, auf welchem Planeten der lebt. Wie soll jemand, der 8,50 Euro verdient, sparen, um Geld für Riester übrig zu haben?“ Oder so: „Sie leben wohl auf einer Insel der Seligen? Setzen 6!“ Über die Diskussion zwischen Neumann und Hank schrieb ein Zuschauer: „Eine Putzfrau erklärt einem welt- und realitätsfremden Wirtschaftsredakteur die Altersarmut und das wahre Leben – meinen Respekt.“«

Das hat der Herr Redakteur sicher gelesen und sich geärgert über die pöbelnden Plebejer. Also legt er trotzig nach in dem Medium, das er bespielen kann, in seinem Fall also die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Er hat einen Kommentar veröffentlicht, der nun wirklich angesichts der Dreistigkeit der Realitätsumdefinition einer deftigen Kommentierung bedarf: Von wegen Altersarmut!, so springt uns die beabsichtigte Hauptbotschaft in dicken Lettern entgegen.

Und auf die folgende Zusammenfassung muss man erst einmal kommen: »Gerade erst hat die Regierung die fetteste Rentenerhöhung seit 23 Jahren gebilligt. Jetzt aber erklären etliche Alarmisten, ab 2029 werde uns das Elend der Altersarmut überkommen. Dabei werden wir immer reicher.«

Überraschung: „Wir“ werden immer reicher. Und die „fetteste“ Rentenerhöhung seit 23 Jahren? Eben. Deshalb die Abbildung mit den Rentenanpassungen seit 2005, die dem nicht vernagelten Betrachter einen ersten Hinweis geben kann auf die Null- und Minusrunden, die wir in der Vergangenheit bei Rentenanpassungen hatten und die verursacht wurden durch politische Manipulationen an der Rentenanpassungsformel (wer darüber fundiert informiert werden möchte, wie das genau funktioniert, der sei auf den Beitrag Rentenanpassung 2016. Mindestlohn, Beschäftigungshoch und Statistikeffekt bringen deutliches Plus von Johannes Steffen verwiesen).
Aber zurück zu den wahrlich abenteuerlichen Ausführungen des Wirtschaftsjournalisten Rainer Hank, der offensichtlich von Sozialpolitik keine oder nur eine rudimentäre Ahnung hat. Man muss sich allein einmal dieser Zeilen des Herrn Hank zu Gemüte führen:

»… auch in den kommenden dreizehn Jahren werden die Rentenerhöhungen im Durchschnitt jährlich mehr als zwei Prozent betragen, was sich auf eine Einkommensverbesserung der Ruheständler um insgesamt 41 Prozent addiert. Selbst wenn die Inflation im selben Zeitraum wieder etwas zulegen sollte (was alles andere als gewiss ist), bleibt am Ende eine deutliche Steigerung der realen Rentenzahlungen. Wir werden nicht immer ärmer, sondern immer reicher. Keine Rede von Altersarmut.«

Der Mann ist ja nicht dumm (was die Angelegenheit besonders ärgerlich und kritikwürdig macht), denn er hat sich wohl bereits beim Schreiben den naheliegenden Einwand vorgestellt auf den zitierten Passus: Prozentualer Anstieg von was? Bezogen auf welchen Ausgangswert? 41 Prozent in 13 Jahren von 500 Euro sind bekanntlich eine andere Hausnummer als wenn wir von 2.000 Euro ausgehen könnten.

Und er hat sich angelesen, dass sich diese Steigerungsraten auf den aktuellen Rentenwert beziehen, den man für ein Jahr genau dann bekommt, wenn man in diesem Jahr genau das durchschnittliche Arbeitsentgelt der in der Rentenversicherung beitragspflichtigen Versicherten verdient hat. Nur zur Info: Dieses Durchschnittsentgelt wird für 2016 mit 36.267 Euro pro Jahr bzw. 3.022 Euro pro Monat ausgewiesen – und die muss man erst einmal verdienen. Und dann auch noch 45 Jahre lang immer Beiträge gezahlt haben auf dem Niveau des Durchschittentgelts, denn dann gehört man zu dem Kunstfigurenkabinett des deutschen „Eckrentners“, der genau diese Bedingungen erfüllt und den auch Hank als Kronzeugen für seine „Anti-Altersarmut-Rhetorik“ zitiert:

»Der exemplarische „Eckrentner“, der mit einem Durchschnittsverdienst 45 Jahre lang Beiträge gezahlt hat, bezieht heute eine Rente von 1301 Euro. Im Jahr 2029 steigt sein Rentenanspruch auf 2029 Euro, obwohl das Rentenniveau um mehr als drei Prozentpunkte sinkt.«

Nein, Herr Hank, dem ist nicht so. Zum einen: Die derzeitige Eckrentner-Rente auszurechnen ist wirklich nicht schwer, man muss lediglich 45 Entgeltpunkte multiplizieren mit dem „aktuellen Rentenwert“, das allerdings zweimal, denn der im Westen ist ein anderer als der im Osten: Wenn man das tut, dann landet man bei 1.217 Euro im Osten und bei 1.314 Euro im Westen, 1.301 Euro gibt es für keinen Eckrentner. Aber – und dieser Einwand ist bedeutsamer: Was Hank verschweigt – es handelt sich um Bruttorenten, die der Eckrentner Ost und West, sollte es ihn geben, gar nicht wirklich zur Verfügung hat, sondern deren Nettorenten nach Abzug der von ihnen zu zahlenden Sozialbeiträge beläuft sich derzeit auf 1.086 Euro im Osten und 1.173 Euro im Westen. Davon müssen die nach so einem langen, beitragspflichtigen und immer normalverdienenden, niemals unterbrochenen Arbeitnehmerleben über die Runden kommen, wenn sie nicht noch andere Einkommensquellen haben.

Aber Herr Hank treibt das Spiel weiter und auf die Spitze. Man lese selbst:

»Die Absenkung des Rentenniveaus, die eingeführt wurde, um der demographischen Falle zu entkommen, bedeutet keine Rentenkürzung. Das wird in der aktuellen Debatte über die Altersarmut ständig und grottenfalsch durcheinandergeworfen. Denn mit den Rentenansprüchen für den Eckrentner steigen auch die Auszahlungserwartungen für die Grundsicherung, die als Armutsgrenze zu bezeichnen man sich angewöhnt hat. Das bedeutet, dass auch der Arme in dreizehn Jahren mehr Geld zum Leben hat als heute – und zwar auch real deutlich mehr, als von der Teuerung weggefressen wird.«

Die Absenkung des Rentenniveaus sei keine Rentenkürzung? Wovon phantasiert Herr Hank? Natürlich war und ist diese Rentenniveauabsenkung eine richtig heftige Rentenkürzung, denn sie wurde in die Rentenformel eingebaut und betrifft – aufgepasst, Herr Redakteur – alle Rentner, während er sich auf eine angebliche Erhöhung der Grundsicherung bezieht, die aber eine bedürftigkeitsabhängige Sozialleistung darstellt. Das die über die Grundsicherung definierten Armen in dreizehn Jahren nominal mehr Geld bekommen werden, hilft doch allen Rentnern nicht, die von der Absenkung des Rentenniveaus betroffen sind. Und wenn die in dreizehn Jahren ein Rentenniveau bekommen würden, wie es vor den rot-grünen „Reformen“ gegolten hat statt dem, was sie erwarten dürfen, wenn das Ruder nicht herum gerissen wird, dann werden die Herrn Hank mindestens was husten (wenn nicht mehr) hinsichtlich seines Spruchs, das sei keine Rentenkürzung gewesen. Der Mann ist schlichtweg verwirrt oder will einfach nur Recht haben angesichts der vielen, die ihn völlig zu Recht als abseitig von der wirklichen Wirklichkeit kritisieren.

Ich kann ihm nur empfehlen, einmal den Blog-Beitrag Einige Zahlen und Zusammenhänge jenseits der punktuellen medialen Aufgeregtheit über Altersarmut und Rentenversicherung vom 17. April 2016 zu lesen, gerade auch deshalb, weil ich einerseits den nicht begründbaren Alarmismus, dass jeder Zweite 2030 in Altersarmut landen werde, als falsch zurückweise, zugleich aber aufzeigen kann, dass es zahlreichen Gründe gibt, warum bei Perpetuierung des bestehenden Systems viele Menschen in die Altersarmut getrieben werden.

Wenn, wenn wir nichts ändern. Man kann nur hoffen, dass die Debatte über eine dringend notwendige echte Reform der Alterssicherung von anderen Menschen geführt werden kann. Ansonsten endet das alles im Desaster.

Übrigens – den Zynismus des Herrn Hank uns seine eigentliche Absicht, aus seiner ideologischen Perspektive Politik zu machen, verdeutlicht das Ende seines Kommentars. Ich zitiere nur noch, die Kraft zum Kommentieren hat mich verlassen:

Nach 2030, so Hank, »sind all die putzmunteren Babyboomer im Ruhestand, deren Lebenserwartung glücklicherweise hoch ist. Und die Geburtenrate wird immer noch nicht besser sein. Da hilft nur: privat vorsorgen und hören auf den 73-jährigen Finanzminister Wolfgang Schäuble, der das Renteneintrittsalter auf 70 Jahre erhöhen will. Das bringt mehr Beiträge und verkürzt zugleich die Ansprüche. Noch besser wäre es, das gesetzliche Renteneintrittsalter ganz abzuschaffen. Dann hätte jeder selbst die Wahl, ob er, weil reich geerbt oder üppig gespart, früher in Rente geht, oder ob er, weil das Arbeiten Spaß macht und Sinn gibt, noch ein paar Jahre länger seinen Beruf ausüben möchte.«

Auf der Rutschbahn in die Todeszone: Das allmähliche Verschwinden des Garantiezinses für Lebensversicherungen und der beklagenswerte Zustand der deutschen Altersvorsorge

Schon seit geraumer Zeit gibt es in einem Teil der Medien
eine (zunehmend) kritische Berichterstattung über die Tiefen und Untiefen der
privaten Altersvorsorge vor allem im Umfeld der Diskussion über die
„Riester-Rente“. Gerade die Lebensversicherung steht seit längerem und immer
öfter unter Berichterstattungs-Beschuss. Die Kapital-Lebensversicherung ist –
bzw. war – eine der wichtigsten Säulen, gerade bei denen, die gar keine
Alternative haben zu einer privaten Absicherung, weil sie beispielsweise als
Selbständige gar nicht eingebunden sind in die soziale Absicherung durch die
umlagefinanzierte Rentenversicherung. Und das Finanzprodukt (Kapital-)Lebensversicherung
ist erneut in die Schlagzeilen geraten. Vor einiger Zeit schon verunsicherten
Meldungen, das immer mehr Versicherungen eine Abkehr von
Lebensversicherungspolicen mit Garantiezins ankündigen – nach Generali und
Talanx folgte im September auch der Branchenriese Ergo. Und da ist er schon,
der „Garantiezins“. Denn der soll nun endgültig fallen mit Beginn des neuen
Jahres. Um nur einige der Schlagzeilen zu zitieren: Warum
der Garantiezins ausgedient hat
, Trumpfkarte
verloren
Eine Hiobsbotschaft für die Altersvorsorge oder auch Ist
die Lebensversicherung jetzt am Ende?
: »Die Bundesregierung will bei neuen
Lebensversicherungen keinen Garantiezins mehr vorgeben. Weil der als
Hauptargument für die Policen galt, steht der Altersvorsorgeklassiker vor dem
Aus.« Auch der Bund der Versicherten (BdV) stößt in dieses Horn: Bundesregierung
will klassische Lebensversicherung beenden
, so hat man dort eine
Pressemitteilung überschrieben. Der Vorstandssprecher des BdV, Axel Kleinlein,
wird mit diesen markigen Worten zitiert: „Die Bundesregierung spielt mit dem
Vertrauen der Bürger in Lebensversicherungen, private Renten, Riester-Renten,
Rürup-Renten und betriebliche Altersvorsorge.“ Alle diese Wege der
Altersvorsorge sind bisher stark geprägt von den klassischen Verträgen mit
Garantiezins.


Es geht hier nicht um irgendeine Kleinigkeit. Ein Großteil
der mehr als 90 Millionen laufenden Lebensversicherungsverträge basiert auf dem
Modell einer Kapital-Lebensversicherung mit Garantiezins. Der eigentlich Höchstrechnungszins
heißt, was den einen oder anderen jetzt irritieren mag, denn aus Sicht der
meisten Kunden ist der Garantiezins ein Mindestzins in dem Sinne, dass man
diesen Zins mindestens bekommt, wobei viele nicht wissen, dass die
Mindestzinsen nur für den sogenannten Sparanteil eines Vertrages gelten. Daher
sind klassische Verträge nur dann rentabel, wenn die zusätzlich gegebene
Überschussbeteiligung ein zusätzliches Plus bringt.

»Der Höchstrechnungszins ist bei der klassischen Lebens- und
Rentenversicherung der Zinssatz, den Versicherungsunternehmen ihren Kunden
maximal für das angesparte Geld versprechen dürfen. Für Versicherer ist der
Zins also eine gesetzlich vorgegebene Obergrenze, die den Wettbewerb um allzu
kühne Zinsversprechen unterbinden sollte«, während aus Sicht der Kunden dieser
Zinssatz eine andere Bedeutung hat, da er sie informiert, »wie viel der
Versicherer ihm mindestens für das Ersparte zusichern, also garantieren, muss.
Die Garantie ist also die Untergrenze«, kann man diesen Erläuterungen
entnehmen. Die garantierte Rendite – wohlgemerkt nur auf den Sparanteil der
Beiträge innerhalb der Lebensversicherung (also die 80 bis 90 Prozent, die nach
Abzug der Vertriebs- und Verwaltungskosten übrig bleiben; unter
Berücksichtigung dieser Randbedingungen kommt man dann bei ausgewiesenen 1,25
Prozent „Garantiezinsen“ auf eine faktische Rendite in Höhe von noch
mickrigeren 0,5 Prozent) – ist angesichts der Niedrigzinsen am Kapitalmarkt von
einst 4 Prozent auf mittlerweile 1,25 Prozent gesunken. Und nun soll er ganz
fallen, für Neuverträge ab dem 1. Januar 2016.
Zu den Hintergründen verweist das Bundesfinanzministerium
auf die schärferen Eigenkapitalvorschriften Solvency
II
, die ab dem kommenden Jahr gelten, mit denen die Versicherungsbranche
krisenfester gemacht werden soll. Danach müssen Versicherer für langfristige
Versprechen an Kunden wie den Garantiezins mehr Eigenmittel zurücklegen.

Interessant an dieser Stelle die zum Vorstoß der
Bundesregierung abweichende
Positionierung des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV)
:
„Zur Gewährleistung langlaufender Lebensversicherungsprodukte mit
Zinsgarantien, die nicht gegen Zinsänderungsrisiken abgesichert sind, ist auch
in Zukunft eine Vorgabe für den höchstzulässigen Rechnungszins nötig“, so Peter
Schwark, Mitglied der Hauptgeschäftsführung des GDV. Die Aussage überrascht,
denn sie steht dem Trend der Branche entgegen, stärker garantielose Policen
anzubieten. Auch die Versicherungsmathematiker der einflussreichen Deutschen Aktuarvereinigung machen sich für
eine Beibehaltung
der Vorgabe
bei klassischen Lebensversicherungsprodukten stark – allerdings
mit einem Veränderungsvorschlag zum heutigen System:

»In den ersten 15 Jahren soll der Höchstrechnungszins ein
fester Zinssatz sein, der sich am Kapitalmarkt orientiert; in der Zeit danach
ein vorsichtigerer Wert, der der langfristigen volkswirtschaftlichen Erwartung
mit einem Sicherheitsabschlag folgt und ebenfalls bereits anfänglich festgelegt
wird. So können auch weiterhin fest garantierte Zinsen in marktangemessener
Höhe die Basis für eine erfolgreiche Altersversorgung und eine ergänzende
Überschussbeteiligung sein.«

Über die Motive vor allem der GDV, für den einen oder
anderen überraschend gegen die geplante Streichung des Garantiezinssatzes zu
argumentieren, kann man natürlich nur spekulieren. Den meisten, gerade in
Deutschland extrem risikoaversen und sicherheitsorientierten Kunden sind
Garantiezusagen wichtig – und die Berücksichtigung dieses psychologischen
Moments wird wahrscheinlich hinter der Positionierung stehen, denn bei den
(potenziellen) Kunden kommt jetzt vor allem die für die Verkaufe der Produkte
unangenehme Botschaft an, da gibt es „nichts“ mehr zu holen.
Grundsätzlich wird es Versicherern auch künftig möglich
sein, Lebensversicherungen mit einer garantierten Verzinsung anzubieten, worauf
der GDV beispielsweise hinweist. Allerdings müssen sie dann zusehen, dass sie die
Eigenkapitalvorschriften, die sich aus Solvency II ergeben, erfüllen – und die
sind teuer. Nicht nur deshalb verabschieden sich immer mehr Versicherer schon
seit längerem – wie bereits angedeutet – von dem Produkt Lebensversicherung mit
Garantiezins. Stefan Kaiser hat seinen Artikel zu dieser Entwicklung so
überschrieben: Gut
für die Versicherer, schlecht für die Kunden
: »Die deutschen
Lebensversicherer bieten immer häufiger Policen ohne Garantiezins an. Das soll
die Renditechancen der Anleger erhöhen – nutzt aber vor allem den Anbietern.«
Die Allianz beispielsweise ist von sich selbst begeistert bzw. genauer von der neuen
garantiezinsfreien Police „Perspektive„.
Mittlerweile hat das Unternehmen noch vier weitere Produkte ohne garantierte
Verzinsung aufgelegt, die teilweise auch an die Entwicklung von Aktienindizes
geknüpft sind. Insgesamt machen solche Policen mittlerweile 63 Prozent des Neugeschäfts
mit Privatkunden aus, berichtet Stefan Kaiser in seinem Artikel. Zu kritisieren
ist vor allem die für den Kunden die Intransparenz der neuen Produkte, die noch
schlimmer ist als bereits bislang. Er wird mit heutigen Renditeversprechen
geködert und muss sich verlassen, dass das Unternehmen das auch realisieren
kann über einen jahrzehntelangen Zeitraum. Da muss man schon sehr viel
Gottvertrauen in Ergo & Co. haben. Stefan Kaiser dazu: »Tatsächlich haben
die neuen Produkte für die Versicherer den Vorteil, dass diese die genaue
Verzinsung für die Kunden erst am Ende festlegen müssen. Sie entscheiden dann
je nach Marktlage. Garantiert ist dem Kunden zum Beginn des Ruhestandes in der
Regel nur das eingezahlte Kapital – ohne jegliche Rendite.«
Strategisch gesehen geht es den Versicherungsunternehmen vor
allem um einen vollständigen Risikotransfer auf die Versicherten. Also für die
ist das natürlich ein schlechtes Geschäft, vor dem man sich vor allem mit Blick
auf die Nutzung für die Altersvorsorge hüten sollte.

Das ist eine Melodie, die von den beiden Journalisten Holger
Balodis und Dagmar Hühne seit langem immer wieder gespielt wird. Sie betreiben
eine eigene Website unter www.vorsorgeluege.de
und haben vor einigen Jahren das Buch Die
Vorsorgelüge. Wie Politik und private Rentenversicherungen uns in die
Altersarmut treiben
veröffentlicht und nun im September 2015 nachgelegt mit
einem neuen Buch unter dem derben Titel Garantiert
beschissen! Der legale Betrug mit den Lebensversicherungen
. Sie verweisen
auf drei Systemfehler, aus denen die Tatsache entspringt, dass für die meisten
Versicherten die ganze Angelegenheit ein Verlustgeschäft ist: a) Kostenklau, b)
Stornoklau, c) Lebenserwartungsklau. Damit legen sie tatsächlich den Finger auf
systematisch offene Wunden in diesem Bereich.
Nun könnte der eine oder andere einwenden mit Blick auf die
Lebensversicherungen und den Niedergang sowie die nun anstehende Beerdigung des
Garantiezinssatzes, dass das alles schlimm ist, aber „nur“ die Neufälle
tangieren wird und diejenigen, die schon vor Jahren abgeschlossen haben, sind
dann fein raus aus, weil sich ja bei ihnen nichts ändern wird. Auch hier aber
gießen zumindest die Verbraucherschützer eine Menge Wasser in den Wein. Der BdV
befürchtet
auch Nachteile für Altverträge: „Zwar sind die Garantien schon bestehender
Verträge ziemlich sicher, die neuen Maßnahmen der Bundesregierung werden aber
negativ auf die Überschüsse durchschlagen“, so Axel Kleinlein. Sinkende
Überschüsse könnten dann zu einer noch unrentableren Altersvorsorge führen.
Denn, so der BdV: Die Überschüsse in den Beständen der klassischen Tarife
dienten bisher als Verkaufsargument für den Vertrieb von Neuverträgen mit
Garantiezins. Das fällt jetzt in der neuen Welt weg.
Und wieder stehen wir skeptisch-enttäuscht vor der Szenerie
einer ja auch staatlicherseits seit langem geforderten und geförderten
stärkeren privaten Altersvorsorge. Bekanntlich wurde ein Teil der
Sicherungsfunktion der guten alten umlagefinanzierten Rentenversicherung auf
Kosten der vor allem den Versicherungsunternehmen dienenden Säule der privaten
Altersvorsorge abgebaut – ohne dass es wirklich und gerade bei denen, die
besonders darauf angewiesen wären, zu einer tatsächlichen Kompensation der
Ausfälle kommen wird. Würde es sich nur um Sahnehäubchen handeln, die im
schlimmsten Fall wegfallen, dann wäre die Lage anders zu bewerten. Wir sprechen
hier aber von der existenziellen Sicherungsfunktion eines
Alterssicherungssystems.

Aber auch wenn man – rein hypothetisch mal hier gedacht –
die Entwicklung vor allem seit der „Riester-Rentenreform“ der damaligen
rot-grünen Bundesregierung Anfang des neuen Jahrtausends rückgängig machen. Das
würde den vielen Selbstsändigen und darunter vor allem den vielen
soloselbständigen Kümmerexistenzen nicht helfen. Wieder einmal sehen wir die Mega-Aufgabe
eines Umbaus des Alterssicherungssystems, der alle ausweichen, auch die
derzeitige Große Koalition. Aber das wird uns einholen, das ist gewiss.