Die Altenpflege und die Pflegereform II. Auf der einen Seite himmelhoch jauchzend, auf der anderen Seite zentrale Baustellen, auf denen nichts passiert und Vertröstungen produziert werden

Es ist vollbracht. Auch die zweite Stufe der Pflegereform
hat die parlamentarischen Hürden genommen und das „Zweite Pflegestärkungsgesetz“
wurde im Bundestag verabschiedet. Auf der Mitteilungsseite
des Bundestags
zu den Beschlüssen liest sich das bürokratisch-trocken so: »Gegen
das Votum der Linken bei Enthaltung der Grünen hat der Bundestag am 13.
November den zweiten Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Stärkung der
pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften (18/5926, 18/6182) in der vom
Gesundheitsausschuss geänderten Fassung (18/6688) angenommen.
Damit wird ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff und ein neues
Begutachtungsinstrument mit fünf Pflegegraden eingeführt. Dadurch sollen die
Inhalte der Pflegeversicherung und die pflegerische Leistungserbringungen auf
eine neue pflegefachliche Grundlage gestellt werden. Erstmals werden alle für
die Feststellung der Pflegebedürftigkeit relevanten Kriterien in einer
einheitlichen Systematik erfasst. Ergänzt und neu strukturiert werden die
Vorschriften zur Sicherung und Entwicklung der Qualität in der Pflege. Der
Beitragssatz der sozialen Pflegeversicherung wird um 0,2 Beitragssatzpunkte
erhöht.« Immerhin kann man der Mitteilung entnehmen, dass es nicht nur eine
Große Pflegekoalition gibt, sondern auch die beiden Oppositionsparteien hatten
– erwartungsgemäß erfolglos – versucht, den Finger auf weiter offene Wunden zu
legen: der Finanzierung des Systems und der Personalfrage:

»Gegen die Stimmen der übrigen Fraktionen scheiterte Die
Linke mit ihrem Entschließungsantrag (18/6692), einen
Gesetzentwurf zur Einführung eines neuen Pflegebegriffs vorzulegen. Mit
dem gleichen Stimmenverhältnis lehnte der Bundestag einen Antrag der Linken (18/5110) ab, in dem
die Einführung einer Bürgerversicherung in der Pflege gefordert wird. Damit
ließen sich Reformen wie die Einführung des neuen Pflegebegriffs und deutliche
Leistungsverbesserungen schultern, argumentierte die Fraktion. Gegen das Votum
der Opposition scheiterten die Grünen mit einem Antrag (18/6066), indem
umfassende Maßnahmen gegen den Personalmangel in der Pflege gefordert werden.
Unter anderem wollten die Grünen eine Pflege-Bürgerversicherung einführen und
pflegende Angehörige stärker unterstützen.«

Wenn es jemand gerne überschäumender hätte hinsichtlich der
positiven Bewertung der nun verabschiedeten zweiten Stufe der Pflegereform,
dann sollte man einen Blick werfen in den Artikel Bundestag
beschließt Revolution des Pflegesystems
von Rainer Woratschka.
Offensichtlich ist hier Großes geleistet worden: »Der Bundestag hat eine
Pflegereform abgesegnet, die den Namen wirklich verdient. An Kleinreparaturen
hatten sich schon etliche Minister versucht. Hermann Gröhe vollendet nun einen
Kraftakt.«

Vielleicht liegt die Wahrheit ja irgendwie in der Mitte.
Dann wären wir konfrontiert mit der Gleichzeitigkeit von wichtigen und guten
Weiterentwicklungen des bestehenden Systems (bei denen es anders als ansonsten
mittlerweile beim Thema Reformen nicht um Einsparungen und
Leistungsreduzierungen geht) und zugleich aber auch die Fortexistenz
grundlegender Systemprobleme, deren Bearbeitung entweder ausgeklammert oder auf
die zeitlich lange Bank zwischengelagert werden.

Einen Hinweis auf die Ambivalenz der Pflegereform kann man
beispielsweise der reichlich miesepetrigen Kommentierung in der FAZ entnehmen.
Heike Göbel schreibt unter der wegweisenden Überschrift Wähler-Pflege:
»Der Bundestag hat den teuersten Ausbau der gesetzlichen Pflegeversicherung
seit deren Gründung vor zwanzig Jahren beschlossen. Aber die Regierung scheut
sich, die Bürger mit den vollen Konsequenzen zu konfrontieren.« Und weiter:

»Pünktlich zur Bundestagswahl 2017 wächst damit der Kreis
der Anspruchsberechtigten, vor allem durch die Einbeziehung der Demenzkranken,
um eine halbe Million. Zugleich steigen vielfach die Leistungen, die
Eingruppierung der zu Pflegenden erfolgt nach einem ganz neuen Schlüssel. Die
Umstellung ist mit Bestandsschutz für die verbunden, die schon Geld erhalten.
Ihre Leistungen können nur steigen, nicht sinken. Das alles verschlingt fünf
Milliarden Euro jährlich zusätzlich, finanziert über abermals höhere
Beitragssätze und aus den – noch – vorhandenen Reserven der Pflegekasse.«

Was aber stört sie? »Notwendig wäre eine noch stärkere
Anhebung der Beitragssätze – und zwar begleitet von Einsparungen in anderen
Säulen des Sozialsystems. Stattdessen wird überall gleichzeitig erweitert, die
Kranken- ebenso wie die Rentenversicherung. Hier baut sich Druck auf die
Lohnkosten auf, verbunden mit Gefahren für die Beschäftigung nicht nur der
Flüchtlinge.« Und sie legt noch eine Schippe nach: »Auch fehlt der klare
Hinweis, dass die gesetzliche Versicherung nur dazu gedacht ist, einen
(kleinen) Teil der Kosten zu decken. Der zügige Ausbau erweckt den Eindruck,
eigene Vorsorge sei nicht nötig. Die Regierung pflegt mit dieser Reform ihre
älteren Wähler, die Jüngeren müssen wieder einmal sehen, wo sie bleiben.«

Nach so viel Kritik muss man einfach zum Ausgleich einen
Blick werfen in den Artikel, der uns eine Revolution des Pflegesystems
verspricht. Woratschka sieht „eine wirkliche Grundsanierung des Systems“. Im
weiteren Gang seiner Argumentation wird auch klar, dass er das Bild von der
Revolution kopiert hat, denn es geht hierbei um den neuen
Pflegebedürftigkeitsbegriff:
»Experten wie der Bremer Gesundheitsökonom Heinz Rothgang
sehen darin „eine Art Revolution“ . Das bisherige System orientierte sich fast
ausschließlich an den körperlichen Gebrechen der Pflegebedürftigen. Danach
wurden sie eingestuft und entsprechend sahen die Leistungen aus
(„Satt-Sauber-Pflege“). Nun rücken auch Alltagskompetenz und kognitive
Fähigkeiten in den Fokus, die soziale und psychische Situation wird
gleichwertig berücksichtigt. Dadurch bleiben etwa Demenzkranke, die körperlich
fit sind, aber dennoch aufwendige Betreuung benötigen, nicht länger außen vor.
Statt der bisherigen drei Pflegestufen gibt es künftig fünf Pflegegrade … Beurteilt
werden die Menschen künftig nach ihrer Fähigkeit zu Mobilität, Orientierung,
Kommunikation, Selbstversorgung, Alltagsgestaltung und sozialen Kontakten. An
den daraus erwachsenden Bedürfnissen sollen sich künftig die zugestandenen
Leistungen bemessen. Die Verrichtungspflege nach Minuten wird abgeschafft.«

Weitere Verbesserungen müssen genannt werden: So bekommen Heimbewohner
garantiert, dass sich ihr Eigenanteil an den Kosten auch bei zunehmender
Pflegebedürftigkeit nicht erhöht. Bisher droht ihnen bei jeder Einstufung in
eine höhere Pflegestufe auch eine höhere Zuzahlung. »Laut Ministerium soll der
heimindividuelle Eigenanteil in den Pflegegraden zwei bis fünf künftig für alle
im Schnitt bei 580 Euro liegen. Bisher sind es, je nach Pflegestufe, 460 bis
900 Euro im Monat.« Alle Heimbewohner haben einen Anspruch auf zusätzliche
Betreuungsangebote, was auch für die Pflegebedürftigen gilt, die zu Hause
betreut werden. Damit nicht genug: »Die Versicherer haben jedem
Pflegebedürftigen einen persönlichen Berater zu nennen. Länger als zwei Wochen
braucht künftig keiner mehr auf einen Beratungstermin zu warten. Auch
Angehörige erhalten einen eigenständigen Anspruch auf Beratung, wenn die Pflegebedürftigen
zustimmen – und auf kostenlose Pflegekurse.« Auch die pflegenden Angehörigen
dürfen auf Verbesserungen hoffen – sie werden in der Renten- und
Arbeitslosenversicherung besser abgesichert. »Und wer seinen Job aufgibt, um
sich der Pflege eines Angehörigen zu widmen, erhält künftig auch seine Beiträge
zur Arbeitslosenversicherung aus dem Topf der Pflegeversicherung – für die
gesamte Dauer seiner Pflegetätigkeit.«


Nun muss man aber auch darauf hinweisen, dass das Gesetz
zwar zum 1. Januar 2016 in Kraft treten wird, die wesentlichen Reformpunkte
aber erst zu einem späteren Zeitpunkt wirksam werden. So werden der neue
Pflegebedürftigkeitsbegriff und die Leistungen nach den fünf Pflegegraden sowie
die Fixierung des Eigenanteils bei den Heimbewohnern erst ab dem 1. Januar 2017
das Licht der Pflegewelt erblicken.
Ein große Leerstelle auch dieser ambitionierten Reform
bleibt leider wieder die Personalfrage. Man muss nur die Twitter-Beiträge mit
dem Hashtag #Pflegestreik verfolgen, um zu erkennen, wie prekär bis skandalös
schlecht schon heute die Pflege-Bedingungen in den Kliniken und gerade auch in
den Pflegeheimen sind. Das ganze System lebt offensichtlich von der Substanz.
Dazu nur ein – scheinbar – krasser Ausnahmefall aus dem
Pflegealltag in unserem Land: Feuerwehrleute
kommen Pflegerin zu Hilfe und retten Kranke
oder Wenn
einer Pflegerin nur der Notruf bleibt
, um nur zwei der
Artikel-Überschriften zu zitieren. »Sie war allein mit 21 hochgradig
Pflegebedürftigen eines privaten Altenheims. Als sie merkte, dass sie nicht
alle versorgen konnte, wählte sie die 112. Das Heim ist in Branchenkreisen
bekannt«, so Antje Hildebrandt in ihrer Schilderung der Ereignisse in Berlin.
Das Pflegeheim in Berlin-Rudow nennt sich Gartenstadt und wirbt auf seiner
Homepage mit dem Slogan „Ein Platz zum Wohlfühlen“ und dem Hinweis
auf „Ausgezeichnete Pflegequalität – jetzt auch geprüft!“

»Doch Anspruch und Wirklichkeit klaffen dort offenbar weit
auseinander – und am vergangenen Sonntag wurde das zum ersten Mal auch
öffentlich bekannt. Eigentlich waren zwei Kollegen für die Sonntagsschicht
eingeteilt, doch die Fachkraft, so heißt es heute beim Träger Casa Reha, sei
kurzfristig erkrankt. Die Hilfspflegerin habe daraufhin einen Kollegen aus
einem anderen Wohnbereich um Hilfe gebeten, doch der habe abgelehnt.«

Und mit dieser Konstellation wurde eine Angehörige
konfrontiert:
»Es ist der Albtraum aller Menschen, deren Angehörige in
einem Pflegeheim betreut werden: Man besucht diesen Verwandten an einem
Sonntagvormittag. Man stellt fest, es geht ihm nicht gut. Er hätte schon um
sieben Uhr morgens Insulin und andere Medikamente benötigt. Doch niemand kommt.
Es ist nur eine Pflegerin für 21 Bewohner da. Und auf Anfrage erfährt der
Besucher, diese Pflegerin dürfe leider keine Medikamente verabreichen. Sie sei
nur Hilfspflegekraft.«
Die Angehörige des Pflegeheimbewohners »hat die Polizei
alarmiert. Die wiederum forderte die Pflegerin auf, die 112 zu wählen, um einen
Notfallarzt zu rufen.«

Das Landeskriminalamt ermittelt jetzt wegen des Verdachts
der Vernachlässigung von Schutzbefohlenen. Der Fall hat ein grelles Licht auf
den Pflegenotstand in deutschen Altenheimen geworfen.

Nun wird der eine oder andere nicht ganz unplausibel
einwenden, dass das sicherlich ein krasser Fall ist, unakzeptabel, aber eben
ein Ausreißer, ein bedauerlicher Einzelfall.
Dann also ein Blick in die wissenschaftliche Auseinandersetzung
mit dem Thema Personalnotstand in der Altenpflege. Im
Nachtdienst versorgt eine Pflegerin 52 Bewohner
, so ein Bericht von Rainer
Woratschka über eine neue Studie von Wissenschaftlern der Universität
Witten/Herdecke. Die Zahlen sind skandalös: »Nachts haben die Altenpflegerinnen
in vielen Heimen „Stress pur“. Einer aktuellen Studie zufolge muss
sich fast jede zehnte Pflegekraft sogar um mehr als 100 Menschen kümmern.« Legt
man den Durchschnittswert von 52 Heimbewohnern zugrunde, dann bedeutet das: Für
einen Heimbewohner pro Nacht  stehen gerade
mal zwölf Minuten Zeit zur Verfügung. Aber: »Mindestens 40 dieser 52 Bewohner
benötigten nachts nämlich auch „direkte Unterstützung“ – sei es, dass sie
regelmäßig umgelagert werden, Medikamente gespritzt bekommen oder zur Toilette
begleitet werden müssten. Allein für die vorgeschriebene Handhygiene seien pro
Nacht mindestens zwei Stunden zu veranschlagen.« Es gibt in den an sich schon
untragbaren Zuständen in der wirklichen Wirklichkeit noch Steigerungsformen: In
einigen Fällen seien Pflegekräfte sogar für mehrere Häuser verantwortlich und
hätten mit dem Auto hin- und herzupendeln, berichtete die Studienleiterin. Noch
ein paar weitere Aspekte aus der Befragung der Pflegekräfte? »26 Prozent gaben an,
während ihres Nachtdienstes nur selten oder nie Pausen machen zu können. Knapp
zwei Drittel hätten sich „häufig“ oder „sehr oft“ um herumirrende Patienten mit
Demenz zu kümmern. Und jede zweite Pflegekraft kann nachts auch in Notfällen
auf keinen Hintergrunddienst zurückgreifen.« Kann es da wirklich noch
verwundern, wenn berichtet wird, »dass etwa ein Viertel der Versorgten mit
freiheitseinschränkenden Maßnahmen oder Medikamenten ruhiggestellt wird. Der
Studie zufolge verabreicht im Schnitt jede Pflegeperson pro Nacht rund zwölf
ihrer Schützlinge Schlafmittel, bei sieben kommen Bettgitter zum Einsatz.«

Und auch diese Zahl sollte gerade vor dem aktuellen
Hintergrund der Diskussion und parlamentarischen Behandlung von
Palliativmedizin wie auch Sterbehilfe zur Kenntnis genommen werden: »Am meisten
litten die Pflegekräfte darunter, im Nachtdienst keine Zeit für Sterbende zu
haben … 66 Prozent der Befragten klagten in der Studie darüber.«
Aber die Befragten haben auch Rückmeldungen gegeben, was
sich ändern müsste. Diese Stimmen aus der Praxis haben die Forscher in
einem Forderungskatalog zusammengefasst
:
  • In der Nacht muss gewährleistet sein, dass mindestens zwei
    bis drei Pflegende für 60 Bewohner anwesend sind
  • Verantwortliche Pflegefachpersonen müssen über die beste
    Qualifikation verfügen, da sie schnell und alleine Situationen einschätzen und
    passgenaue Versorgungsmaßnahmen einleiten können müssen
  • Jede Einrichtung muss einen hochqualifizierten
    Hintergrunddienst bereitstellen, der jederzeit beratend und unterstützend
    eingreifen kann
  • Notfallleitlinien, ein erreichbarer ärztlicher
    Hintergrunddienst und eine stetig lieferbereite Apotheke stellen eine
    erforderliche Grundlage dar
  • Es muss gewährleistet sein, dass Nachtpflegende mindestens
    pro Nacht eine 30-minütige Pause haben, die sie ohne Störungen verbringen
    können
  • Mehr als vier Nächte hintereinander sollten Pflegende nicht
    die Verantwortung für die BewohnerInnen übernehmen
  • Es muss sichergestellt werden, dass Pflegende des
    Nachtdienstes an  Fortbildungen
    teilnehmen können, ohne ihre Schlafzeit reduzieren zu müssen

Die Pflegeexpertin der Grünen im Bundestag, Elisabeth
Scharfenberg, zeigte sich „entsetzt“ über die Ergebnisse der Studie. Sie frage
sich, „wie Pflegekräfte das mit sich machen lassen können“ und wo die
Aufsichtsbehörden seien. Gute Fragen.

Wer die ganze Studie im Original lesen möchte, der kann die
hier als PDF-Datei downloaden:
Christel Bienstein 
und Jörg große Schlarmann: Die
Nacht in deutschen Pflegeheimen. Ergebnisbericht
, Department für Pflegewissenschaft,
Universität Witten/Herdecke, 2015.
Wir könnten das jetzt fortführen – natürlich gibt es auch am
Tag erhebliche Personalprobleme in der Altenpflege. Und was sagt die
Pflegereform zu diesem nicht nur sensiblen, sondern auch zentralen Thema für
eine wirkliche Reform der Pflege?

Also hier fehlt der revolutionäre Impuls, den Rainer
Woratschka für die Pflegereform generell unterstellt hat – und er
schreibt selbst
: » Die Selbstverwaltung werde verpflichtet … „bis
Mitte 2020 ein wissenschaftlich abgesichertes Verfahren zur
Personalbedarfsbemessung zu entwickeln“. Damit soll dann zumindest irgendwo
stehen, wie viele Pflegekräfte theoretisch für gute Pflege benötigt werden. Ob
und wie das in den Heimen umgesetzt werden kann, bleibt offen.«
Was für ein Signal an die immer stärker
aufgebracht-frustrierten Pflegekräfte. Haltet durch, nur noch ein paar Jahre.
Und wenn wir schon bei dem Muster „auf die lange Bank
schieben sind“, dann sollten wir den Pflege-TÜV an dieser Stelle nicht
vergessen. Pflege-TÜV? Wurde der nicht vom Pflegebeauftragten der
Bundesregierung, Staatssekretär Laumann höchstpersönlich, für gescheitert
erklärt? Einer Bewertung, der sich auch 95 Prozent der Experten und vor allem
der Praktiker zustimmen werden. Im Prinzip ja, muss die Antwort hier ausfallen.
Was aber nicht bedeutet, dass man das jetzt konsequent entsorgt und in die
Tonnen haut:

»Es gibt einen Neuanlauf. Ab 2018 soll es für die Heime und
ab 2019 auch für die ambulanten Pflegedienste ein völlig neues Bewertungssystem
geben. Damit habe „die Irreführung der Bürger ein Ende“, sagte der
Pflegebeauftragte der Bundesregierung, Karl-Josef Laumann (CDU). Danach werde
es bei der Beurteilung eines Heims beispielsweise nicht mehr möglich sein,
„dass schwere Pflegefehler bei der Medikamentenausgabe durch eine schön
gedruckte Speisekarte ausgeglichen werden können“. Bis dahin dürfen die
Betreiber allerdings weiter mit ihren offensichtlich geschönten Noten werben.
Der sogenannte Pflege-TÜV war in die Kritik geraten, weil bei dem bisherigen
Prüfverfahren selbst Heime mit offensichtlichen Mängel Bestnoten erreichten.«

Die Idiotie muss man sich erst einmal verdeutlichen. Da wird
festgestellt, dass man mit den Noten des Pflege-TÜV eigentlich nichts anfangen
kann und dass das abgeschafft gehört, dann trifft man die Entscheidung, mit
einem neuen, (hoffentlich) besseren Verfahren das alte System zu ersetzen – aber
bis dahin macht man erst einmal mit dem alten Unsinn weiter. Bis 2018.
Ein anderer Teilbereich der Pflegelandschaft geht hingegen
seinen Weg – gemeint sind hier die privaten, auf Gewinnerzielung ausgerichteten
Pflegekonzerne. Die wachsen und konsolidieren sich, wie die Ökonomen das
nennen. Sie schließen sich also untereinander zusammen. Und hier können wir
wieder anknüpfen an die Geschichte mit der völlig überforderten Pflegehelferin
aus einem Berliner Altenheim, der die Polizei geraten hatte, den Notarzt zu
rufen, was sie dann auch gemacht hat. Das Heim, in dem es zu diesem
schwerwiegenden Vorfall gekommen ist, gehört zu Casa Reha, einer dieser
privaten, auf Gewinn ausgerichteten Betreiber. Casa Reha mit Sitz in Oberursel
bei Frankfurt betreibt 70 Pflegeheime mit mehr als 10.000 Betten und 4.100
Mitarbeitern. Der Jahresumsatz liegt bei 270 Millionen Euro, der operative
Gewinn (Ebitda) Finanzkreisen zufolge bei 30 Millionen Euro.

Für die wird sich auf der obersten Ebene und mit Blick auf
das ganze Unternehmen eine Menge ändern, denn: Casa
Reha geht an französische Korian
. Es handelt sich dabei um einen französischen
Altenheim- und Klinikbetreiber. QCasa Reha mit Sitz in Oberursel bei Frankfurt
betreibt 70 Pflegeheime mit mehr als 10.000 Betten und 4100 Mitarbeitern. Der
Jahresumsatz liegt bei 270 Millionen Euro, der operative Gewinn (Ebitda)
Finanzkreisen zufolge bei 30 Millionen Euro.«
Und der schlägt jetzt zum dritten Mal zu in Deutschland: »Nach
den Pflegeheim-Ketten Phoenix und Curanum verleibt sich Korian auch die Nummer
drei Casa Reha ein, wie die Unternehmen am Dienstag mitteilten. Casa Reha hatte
seit 2007 dem britischen Finanzinvestor Hg Capital gehört … .«

Fazit: Hier
laufen die Geschäfte. Die Betonung liegt auf hier. 

Immer mehr davon. Der Bedarf an zusätzlichen Pflegeheimplätzen in den Bundesländern. Ein weiterer Blick in die Pflegeinfrastruktur-Glaskugel

Viele sind mittlerweile abgestumpft angesichts der seit Jahren immer wieder vorgetragenen Prognosen, Vorausberechnungen bzw. – seien wir ehrlich – Schätzungen hinsichtlich der steigenden Zahl an pflegebedürftigen Menschen und damit verbunden die Auseinandersetzung mit der Frage, wer die denn wo pflegen soll, kann und wird. Auf der anderen Seite sind solche Zahlen überaus wichtig für die Sozialplanung, denn hier muss man die Frage beantworten, wie viele ambulante Pflegedienste und wie viele stationäre Einrichtungen brauchen wird denn in den vor uns liegenden Jahren und wo brauchen wir welches Personal und das dann auch noch verbunden mit der Frage, was denn die Betroffenen eigentlich wollen. Man kann das nachvollziehbarerweise nicht einfach aus dem Ärmel schütteln, wenn sich ein bestimmter Bedarf bereits zeigt. Auf der anderen Seite gibt es bei nicht wenigen eine gewisse Wahrnehmungsfrustration, denn wie oft wurden die Prognosen und ihre Spielarten von der Wirklichkeit wenn nicht widerlegt, so doch deutlich über- oder untertroffen. Das nun ist ein grundsätzliches Problem aller Vorhersagen und die beiden wichtigsten Fehlerquellen, die sich nie ganz vermeiden lassen, sind zum einen Abweichungen aufgrund tatsächlicher anders als angenommen eingetretener Entwicklungen (man denke hier nur an den seit einigen Jahren beobachtbaren Anstieg der Zuwanderung, der so nicht erwartet worden ist, was natürlich erhebliche Auswirkungen hat auf die Vorausberechnung der demografischen Entwicklung) und zum anderen können es die Annahmen selbst sein, die sich rückblickend als falsch herausgestellt haben nicht (nur) hinsichtlich der Größenordnung, sondern des Vorzeichens.

In diesem Beitrag soll es um Pflegeheimplätze gehen. Deshalb aus diesem Bereich ein Beispiel aus der zurückliegenden Zeit. Schon seit Jahren wird mit expliziter Bezugnahme auf die demografische Entwicklung und den Anstieg der Zahl der älteren, pflegebedürftigen Menschen darauf hingewiesen, dass notwendigerweise der Bedarf an Pflege und darunter einen stationäre Altenpflege ansteigen wird. Von interessierter Seite wurde diese Vorhersage dafür benutzt, Investoren zu überzeugen, ihr Geld in den Neubau von Altenheimen und die Schaffung von Pflegeheimplätzen zu investieren. Nach allen vorliegenden Vorhersagen müsste das ein sicheres Investment sein. Das hat nun aber unter anderem auch dazu geführt, dass in nicht wenigen Regionen, vor allem in den Städten, mittlerweile ein Überangebot an Pflegeheimplätzen existiert. Eine Erklärung dafür ist die Tatsache, dass der angenommene Bedarf an stationärer Pflegeversorgung eben nicht so eingetreten ist, sondern parallel lief eine Entwicklung, die man beschreiben kann mit den Worten: Solange wie möglich zuhause bleiben und erst, wenn es absolut nicht mehr geht hinsichtlich der Pflegeintensität, dann in ein Pflegeheim wechseln. Das hat dazu geführt, dass das durchschnittliche Heimeintrittsalter in Deutschland deutlich angestiegen ist und in den meisten Heimen das früher durchaus vorhandene Drittel an weniger pflegeintensiven Bewohnern so gut wie weggebrochen ist. Das hat dann nicht nur ein quantitatives Überangebot auf dem Markt für Pflegeheimplätze zur Folge, sondern auch enorme qualitative Herausforderungen für die Menschen, die in solchen Heimen leben und die dort arbeiten (müssen). Für die Heimbetreiber ist das sicher in dem einen oder anderen Fall ein erhebliches Problem, hinter dieser Entwicklung steht allerdings letztendlich aus Sicht der Betroffenen offensichtlich eine positive Sache, denn die meisten Menschen haben den Wunsch, solange wie möglich in den eigenen vier Wänden bzw. im Kreis ihrer Familie verbleiben zu können.
Insofern ist mittlerweile eine gehörige Ernüchterung angesichts des Auseinanderlaufens von vorhergesagten und tatsächlichen Bedarf eingetreten.

Aus dem Institut der deutschen Wirtschaft in Köln (IW) kommt nun erneut ein Versuch, den Blick auf die Auswirkungen der angenommenen Entwicklung der Zahl der Pflegebedürftigen auf die Pflegeinfrastruktur zu werfen – und dies dann differenziert nach den Bundesländern. Das Institut schreibt dazu in der Pressemitteilung Herausforderungen an die Pflegeinfrastruktur:

»2,6 Millionen Menschen waren 2013 in Deutschland pflegebedürftig, diese Zahl dürfte nach IW-Schätzungen bis zum Jahr 2030 um bis zu 828.000 steigen. Bundesweit müssen dafür bis zu 220.000 Plätze mehr in Pflegeheimen geschaffen werden. Die Bundesländer sind auf diesen Trend unterschiedlich vorbereitet: Nordrhein-Westfalen etwa muss fast 48.000 zusätzliche Pflegeplätze schaffen, in Bayern sind es knapp 23.000, in Baden-Württemberg 29.000. Einzig das Saarland müsste bei einer höheren Auslastung der bereits vorhandenen Pflegeheime kaum nachrüsten – hier fehlen nur etwa 1.000 Plätze.«

Die Studie im Original: Susanna Kochskämper und Jochen Pimpertz: Herausforderungen an die Pflegeinfrastruktur, in: IW-Trends Heft 3/2015, S. 59-75.

Die Abbildung am Anfang dieses Beitrags verdeutlicht für die einzelnen Bundesländer mit Blick auf die 2013 vorhandenen Pflegeheimplätze, was das für das Zieljahr 2030 an zusätzlichen Platzbedarfen bedeuten könnte, wenn man die Schätzergebnisse des IW zugrunde legt.

Auf der Basis dieser Daten hat Rainer Woratschka seinen Artikel so überschrieben: Berlin muss am stärksten zulegen: »Berlin sieht ganz schön alt aus. Bis zum Jahr 2030 braucht die Hauptstadt 14.000 zusätzliche Plätze in Pflegeheimen, haben Forscher errechnet. Das wäre die höchste Steigerungsquote bundesweit … In den nächsten 15 Jahren müssten die Pflegeheim-Kapazitäten in der Hauptstadt demnach um 38 Prozent steigen, wenn es bei dem derzeitigen stationären Versorgungsanteil bleibt.«
Aber warum ist der Anstieg in Berlin so besonders ausgeprägt, was die stationäre Versorgung der Pflegebedürftigen angeht? In anderen Bundesländern ist das doch deutlich geringer ausgeprägt. Ein Hinweis zur Auflösung dieser Fragestellung: »Von den 50- bis 64-Jährigen – also denen, die 2030 im Pflegealter sind – lebte in der Single-Hauptstadt Berlin im Jahr 2014 mehr als jeder Dritte allein. Und mehr als jede fünfte der 58- bis 67-jährigen Frauen hatte keine Kinder.« Was damit angedeutet werden soll: Auch wenn die einzelnen Betroffenen vielleicht etwas anderes wollen, sie werden gar nicht umhin kommen, professionelle Pflege in Heimen in Anspruch nehmen zu müssen, weil bei vielen von ihnen schlichtweg die Voraussetzungen für eine Kombination von ambulanter und Angehörigen-Pflege nicht gegeben ist.

Und hier sind wir bei einer wichtigen Annahme der neuen Studie angekommen, die sich abweichend von dem, was an anderer Stelle und vor allem in der Politik angenommen und auch gefördert wird, darstellt:

»Anders als die Bundesregierung gehen die Wissenschaftler nicht davon aus, dass Heimpflege zunehmend „out“ werden und der Anteil von ambulant erbrachter Pflege durch Angehörige oder Nachbarn in Zukunft merklich steigen könnte. Im Gegenteil: Bundesweit sei eher ein Trend zu mehr professioneller Pflege zu beobachten … Zu berücksichtigen seien zudem eine weiter steigende Erwerbstätigenquote von Frauen und die wachsende Zahl von Alleinstehenden und Kinderlosen,« so Woratschka in seinem Artikel.

Und beim IW selbst finden wir das dann so formuliert:

»Die Politik setzt derzeit auf mehr ambulante Pflege, insbesondere durch Angehörige und Ehrenamtliche. Realistisch ist das nicht, warnt IW-Forscher Jochen Pimpertz: „Bislang fehlen empirische Beweise dafür, dass die familiäre oder nachbarschaftliche Pflege steigt.“ Bundesweit gibt es eher einen Trend hin zu mehr professioneller Pflege. Zudem spielen gesellschaftliche Entwicklungen eine Rolle: Die Zahl der Single-Haushalte steigt, genau wie die Gruppe der Kinderlosen. Partner und Kinder fallen damit immer häufiger als potenzielle Pfleger weg. Auch ist nicht absehbar, wie sich die steigende Erwerbstätigkeit von Frauen auf die Pflegebereitschaft auswirkt. Bislang übernehmen vor allem Töchter, Schwestern und Schwiegertöchter die Pflege, was sich allein rein zeitlich meist nicht mit einem Job vereinbaren lässt.«

Natürlich bewegen wir uns hier in einem Kernbereich der angesprochenen Grundproblematik von Annahmen, die man den Abschätzungen zugrunde legt. Der wichtigste Impuls der IW-Studie ist die abweichende Positionierung vom derzeit vorherrschenden Mainstream, dass es immer mehr ambulant und tendenziell weniger stationär geben wird. Diese Entwicklungsrichtung, die man – wie bereits angedeutet – für die Vergangenheit durchaus beobachten konnte, die aber sehr stark beeinflusst wurde durch eine grundsätzliche Verschiebung der pflegeheimrelevanten Grundgesamtheit im Sinne einer deutlichen Erhöhung des durchschnittlichen Heimeintrittsalters und der parallel abgelaufenen Ausweitung der ambulanten Angebote, würde sich also nach den Einwänden des IW so nicht fortschreiben lassen.

Vielleicht liegt die „Wahrheit“ wie so oft in der Mitte und wir werden eine Gleichzeitigkeit erleben – also beide Sektoren müssen ausgebaut werden.

Aber es gibt mit Blick auf den Bedarf an Pflegeheimplätzen noch einen weiteren Punkt, den man anmerken muss und der verdeutlichen kann, dass selbst die veröffentlichten Schätzungen des IW hinsichtlich der notwendigen Investitionen in die stationäre Pflegeinfrastruktur noch als Untergrenze zu verstehen sind. Das Institut spricht die Problematik, dass es ja nicht nur einen Zusatzbedarf geben kann aufgrund der steigenden Zahl an Pflegebedürftigen, sondern man korrekterweise immer auch den Ersatzbedarf die bestehende Infrastruktur einberechnen müsste, selbst an:

»Um den Bedarf an Pflegeheimplätzen künftig decken zu können, sind über den Aufbau zusätzlicher Kapazitäten hinaus auch bestandserhaltende Investitionen erforderlich. In welchem Umfang die bestehende Infrastruktur erneuert werden muss, lässt sich aber nicht zuverlässig schätzen, weil Daten über deren Zustand fehlen. Auf der Basis eines sehr einfachen Ansatzes ließe sich bei einer unterstellten Nutzungsdauer von 30 Jahren … und unter der Annahme, dass der aktuelle Bestand neuwertig ist und der Verzehr linear erfolgt, ein Reinvestitionsbedarf von etwa der Hälfte der bestehenden Infrastruktur bis zum Jahr 2030 ableiten. Diese überschlägige Rechnung lässt aber viele Fragen offen: zum Beispiel, ob Gebäude grundlegend erneuert werden müssen oder nur deren Ausstattung. Nicht zuletzt deshalb kommt eine Expertenbefragung zu der deutlich moderateren Einschätzung, dass bundesweit gut ein Drittel der Bestandskapazitäten den in der Branche üblichen Qualitätsanforderungen nicht mehr entspricht, wobei Pflegeheime in Ostdeutschland im Durchschnitt einen vergleichsweise guten Zustand aufweisen … Aufgrund der unbefriedigenden Datenlage wird deshalb auf eine Quantifizierung des Ersatzbedarfs verzichtet« (Kochskämper/Pimpertz 2015: 70).

Das muss man bei der Bewertung der Zahlen wissen, denn natürlich erhöht das den Investitionsbedarf (und zuvor den Planungsbedarf) erheblich, denn dieses Drittel verteilt sich, wie im Zitat bereits angedeutet, regional sehr unterschiedlich.

Wenn das IW schreibt, ausgehend von den 848.000 Pflegeheimplätzen müssten bundesweit bis zu 220.000 Plätze mehr in Pflegeheimen geschaffen werden, um den steigenden Bedarf zu decken (wobei der Zuwachs stetig erfolgt – bis 2030 müssen deutschlandweit zusätzlich jedes Jahr zwischen gut 10.000 und 13.000 Pflegeheimplätze in der Dauerpflege bereitgestellt werden), dann berücksichtigt das nicht, dass eine Angebotsverknappung im Bestand aufgrund politischer Entscheidungen weiteren Ausbaubedarf auslösen kann und wird, so beispielsweise die Tatsache, dass die in vielen älteren Heimen fehlenden Einzelzimmer in den kommenden Jahren geschaffen werden müssen, was auf alle Fälle die Kapazitäten begrenzen wird.

Natürlich kann und muss darüber gestritten werden, ob die Annahmen, von denen das IW ausgeht, plausibel sind. Hier werden sicherlich kritische Stimmen die Diskussion bereichern. Sollte aber die Prognose auch nur teilweise eintreten, was die Zunahme der Pflegeheimplätze und vor allem den Bedarf danach angeht, dann muss natürlich darauf hingewiesen werden, dass das ein weiteres Argument wäre für eine deutliche Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Pflege, denn man braucht Menschen, die diesen pflegerischen Bedarf auch abdecken können. Und hier sind wir bereits heute mit allen Anzeichen eines veritablen Pflegenotstands konfrontiert. Denn nicht nur, aber auch daraus resultiert, dass sich die Arbeitsbedingungen in den Heimen in den vergangenen Jahren erheblich verschlechtert haben in dem Sinne, dass es – um mit den Worten des Heimkritikers Klaus Dörner zu sprechen – zu einer „Konzentration der Unerträglichkeit“ für beide Seiten, also die Bewohner und die dort Beschäftigten gekommen ist. Und leider müssen wir derzeit zur Kenntnis nehmen, wie schwer es offensichtlich ist, wie bereits bestehenden Personalprobleme in diesem wichtigen Bereich der nicht zu lösen, dann zumindest deutlich zu reduzieren.

Möglicherweise wird der in der neuen Studie des IW ausgewiesene Bedarf an Pflegeheimplätzen tatsächlich so ansteigen, wie dargestellt – aber es wird vielleicht zu wenige Menschen geben, die Plätze auch zum Leben erwecken können. Dazu allerdings müssten wir an dieser Stelle erneut in die Welt der immer strittigen und unsicheren Annahmen eintreten.

Pflegestreik? Den brauchen wir möglicherweise bald nicht mehr – die Verhältnisse erledigen das zunehmend selbst

Derzeit tobt auf Twitter der verzweifelte Versuch, unter dem Hashtag #pflegestreik auf die Missstände in der Pflege aufmerksam zu machen und an die Medien zu appellieren, sich in ihrer Berichterstattung endlich dieses Themas anzunehmen. Außerdem wird diskutiert, ob nicht eigentlich endlich mal ein richtig großer, also echter Streik in der Pflege notwendig wäre.
Aber vielleicht erübrigt sich das ja – zynisch gesprochen – mit der Organisation eines größeren Arbeitskampfes (der aus ganz unterschiedlichen Gründen höchst unwahrscheinlich ist), denn die Verhältnisse schaffen zunehmend eine vergleichbare Situation, nämlich die Einstellung der pflegerischen Aktivitäten.

Dazu passt dann diese Meldung: Fachkräfte fehlen – Pflegeheim in Hüpstedt muss schließen. »Wegen des akuten Fachkräftemangels beim Pflegepersonal wird das Altenpflegeheim Dünwald in Hüpstedt (Unstrut-Hainich-Kreis) mit sofortiger Wirkung komplett geschlossen. Zur Einstellung des Geschäftsbetriebes hat sich die Pflegedienst Mieth GbR als Betreiberin auf Anraten der Heimaufsicht des Landes Thüringen in der vorigen Woche entschlossen.« Es habe immer wieder Prüfungen und Beschwerden zur pflegerischen Versorgung gegeben.

Einem anderen Artikel kann man entnehmen: »Nach einigen Kündigungen habe es zuletzt nur eine Pflege-Fachkraft gegeben, hieß es. Die Frau habe sowohl Früh- als auch Spätdienst gemacht. Normalerweise seien mindestens 5 Fachkräfte bei 25 Heimbewohnern vorgesehen.«

Es handelt sich um die erste Schließung eines Pflegeheimes in Thüringen überhaupt. Betroffen sind derzeit 25 Bewohner, die zum größten Teil bereits in anderen Heimen der Region untergebracht worden sind. Den meisten der 16 Mitarbeitern droht die Arbeitslosigkeit.

Eine berechtigte Frage könnte lauten: Schlimm, aber vielleicht ist das nur ein bedauerlicher Einzelfall. Das es sich um einen soclhen handelt, darauf deuten die ersten Einschätzungen hin, die man diesem Artikel entnehmen kann: Thüringer Pflegeheime warnen: Viel zu wenig Fachkräfte:

»Ein Personal-Notstand wie in Hüpstedt sei jedoch anderswo in Thüringen nicht zu erkennen, erklärten mehrere Experten. „Das ist ein trauriger und bedauernswerter Einzelfall“, betonte Robert Büssow, Pressesprecher der Krankenkasse Barmer GEK Thüringen. „Dieser Fall ist sicher ein krasses Einzelbeispiel von Missmanagement in der Thüringer Pflege“, unterstrich AOK-Sprecher Jürgen Frühauf.«

Da sollen wir jetzt aber beruhigt sein. Aber der Blick auf einige Hintergrund-Informationen zu Thüringen und der Pflegelandschaft dort verdeutlicht, dass wir hier – wie in vielen anderen Regionen auch – mit einem strukturellen Problem konfrontiert sind:

»In Thüringen arbeiten mehr als 27.000 Pflegekräfte in 829 Heimen. Knapp 87.000 Menschen sind pflegebedürftig.
Im bundesweiten Vergleich liegen die Gehälter der Pflege-kräfte ziemlich weit hinten. So verdient eine Fachkraft in Thüringen durchschnittlich 1.982 Euro brutto pro Monat. Das ist der viertletzte Platz unter allen Bundesländern.
In Hessen bringt es eine Pflege-Fachkraft im Schnitt auf 2.484 Euro, in Bayern auf 2.709 Euro. „Die weitere Abwanderung gut ausgebildeter Pflegefachkräfte aus Thüringen in benachbarte westliche Bundesländer ist damit vorgezeichnet“, schreibt der Paritätische Wohlfahrtsverband.«

Nach einer Studie der Friedrich-Schiller-Universität in Jena braucht Thüringen bis 2030 rund 8.000 zusätzliche Pflegekräfte.

Natürlich versucht auch die Politik auf die Entwicklungen und die grundsätzlichen Herausforderungen zu reagieren. In Thüringen gibt es nicht nur eine rot-rot-grüne Landesregierung, sondern auch den ersten Ministerpräsidenten aus den Reihen der Linkspartei. Und Bodo Ramelow hat sich einbringen wollen in die Debatte – mit einem Vorschlag, der wieder einmal zeigt, auf welchem Hilflosigkeitsniveau man angekommen ist: Griechische Lehrlinge sollen Pflegenotstand lösen.

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) will mit Lehrlingen aus Griechenland den eigenen Fachkräftebedarf sichern. Dem Arbeitsministerium in Athen wolle Ramelow ein Kooperationsangebot unterbreiten, bestätigte Regierungssprecher Alexander Fischer am Donnerstag in Erfurt. In Zusammenarbeit mit der Deutsch-Hellenischen Wirtschaftsvereinigung (DHW) bieten wir an, bei der Vermittlung von jungen Griechen auf Ausbildungsplätze in Thüringen zu helfen, vorrangig im Pflegebereich.

Immerhin – so könnte man hier zynisch anmerken – gibt es einen Schritt nach vorn: Denn in der Vergangenheit wurden die Hoffnungen auf die Rekrutierung chinesischer Altenpflegekräfte gerichtet, die Zuwendung nach Griechenland verkürzt die Entfernung, die man überwinden muss, doch ganz erheblich und außerdem sind die Griechen (noch) in der EU.

Die Vorkommnisse in Thüringen werden auch in ganz anderen Regionen von den dortigen Medien wahrgenommen und aufgegriffen, so beispielsweise von der Südwest-Presse, wo man einen Kommentar von Elisabeth Zoll unter der Überschrift Auf dem Rücken der Mitarbeiter lesen:

»Das ist ein unguter Vorbote – und er weist über Thüringen hinaus: Im Eichsfeldort Hüpstedt musste ein Pflegeheim schließen, weil Fachkräfte fehlten … Im thüringischen Fall mögen mehrere Faktoren zusammentreffen: kleiner Ort, abgelegene Lage, wirtschaftlich labile Situation des Betreibers. Doch das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass nicht nur dort der Pflegenotfall droht … Vielerorts sind Pflegeheime, was die Personalausstattung betrifft, auf Kante genäht – um es noch positiv zu formulieren … Fachkräfte fehlen an allen Ecken und Enden. Der Mangel kommt nicht von ungefähr. Schichtbetrieb, eine hohe körperliche und seelische Belastung, der immense Zeitdruck – und das alles zu vergleichsweise lausiger Bezahlung – führen dazu, dass selbst hochmotivierte Kräfte oft schon nach wenigen Jahren das Handtuch werfen oder mit Rücksicht auf die eigene Gesundheit beruflich zurückstecken. In vielen Heimen wurde in den vergangenen Jahren die Rechnung auf dem Rücken der Mitarbeiter gemacht.«

So weit, so im Prinzip bekannt. Und auch ihre Schlussfolgerung ist nicht neu: »Wäre es da nicht angebracht, eine Attraktivitätsoffensive für Pflegekräfte zu starten, angemessene Bezahlung inbegriffen?«

Ja, so ist es. Das sollte man tun.

Aber wie sagte schon der berühmte Philosoph und Politikwissenschaftler Peer Steinbrück: „Hätte, hätte, Fahrradkette“.

Noch mal zurück zu der Frage nach dem Einzelfall, der uns da aus Thüringen berichtet wurde:
Bereits im März musste in Langenhorn bei Hamburg das Altenheim Röweland schließen. Auch dort fehlten ausreichend qualifizierte Fachkräfte, um das Haus mit insgesamt 230 Betten weiter betreiben zu können.

Fachkräftemangel in der Pflege: Eigentlich müsste man … Aber in der wirklichen Realität senkt man dann lieber die Fachkraftquote in den Heimen

Ach, die Pflege. Auf Twitter wird seit einiger Zeit unter dem Hashtag #pflegestreik erbittert und mit vielen frustrierend daherkommenden Wortmeldung versucht, die Medien zu animieren, endlich mal und mehr über die katastrophale Arbeitssituation vieler Pflegekräfte zu berichten. Und immer wieder kommt die Botschaft rüber, dass eigentlich der nächste richtig große Arbeitskampf in diesem Bereich fällig wäre – wenn das nicht so unglaublich schwierig bis unmöglich wäre zu organisieren. In diesem Kontext war und ist der erste unbefristet angelegte Streik von Pflegekräfte an der Charité in Berlin ein wichtiger Ausgangspunkt für die weitere Entwicklung (vgl. hierzu den Blog-Beitrag Nicht mehr Geld, sondern mehr Leute: Der unbefristete Pflegestreik an der Charité in Berlin wird ausgesetzt. Eckpunkte für eine zukünftige Personalausstattung vereinbart vom 1. Juli 2015). Zugleich wird immer offensichtlicher, dass jenseits des teilweise sehr instrumentalisierenden Geredes von einem Fachkräftemangel ein solcher mehr als real existiert in einigen Bereichen, zu denen die Pflege sicherlich gehört. In 96 Berufen wird das Personal knapp, so beispielsweise Silvia Dahlkamp über eine neue Studie (Sebastian Bußmann: Fachkräfteengpässe in Unternehmen – Geschlechterunterschiede in Engpassberufen, 2015):

»Es trifft die üblichen Verdächtigten: Danach fehlen besonders im Alten- und Krankenpflegebereich qualifizierte Arbeitskräfte, und auch in den naturwissenschaftlich-technischen Berufen sieht es mau aus. Nach wie vor klagt das Handwerk: dort werden vor allem Sanitär-, Heizungs- und Klimatechniker gesucht … Freie Stellen im Pflegebereich (86 Prozent weiblich) bleiben vielfach frei. In anderen Gesundheitsberufen sieht es ähnlich düster aus. Auf der Top-20-Liste der Mangelberufe stehen unter anderem zahnmedizinische Fachangestellte (99,5 Prozent weiblich), Sprach- und Physiotherapeuten (93,9 Prozent weiblich). Auch die Zahl der Augenoptiker geht zurück.«

Mit einer handfest-praktischen, andere würden sagen naiven Herangehensweise könnte man auf die Idee kommen, jetzt werden alle Anstrengungen unternommen, die Zahl der qualifizierten Kräfte zu erhöhen, nicht nur durch mehr Ausbildungsplätze (die tatsächlich zugenommen haben), sondern auch durch eine dringend notwendige Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Und zu denen gehören nicht nur die monetären Rahmenbedingungen, sondern eines der größten Übel aus Sicht der Betroffenen ist der permanente und sich verschärfende Personalmangel.

Gerade für den Bereich der Pflegeheime kommt erschwerend hinzu, dass wir in den vergangenen Jahren konfrontiert waren mit einer für die Beschäftigten hoch problematischen Veränderung: Das durchschnittliche Heimeintrittsalter ist angestiegen, damit verbunden sind die Bewohner oftmals nur wenige Jahre oder kürzer im Heim, sie kommen oftmals mit mindestens Pflegestufe I, der Anteil der dementiell Erkrankten und damit eigentlich besonders pflege- und betreuungsintensiven Menschen hat erheblich zugenommen. Das erfordert nicht nur mehr Personal überhaupt, also hinsichtlich der Quantität, sondern auch fachlich entsprechend qualifiziertes Personal, denn hier werden eben nicht nur irgendwelche Hotellerie-Leistungen fällig, sondern die Pflegeintensität ist erheblich.

Nun gibt es für die in Pflegeheimen Beschäftigten eine so genannte „Fachkraftquote“, die in der aus dem Heimgesetz abgeleiteten Heimpersonalverordnung (HeimVO) verankert ist. Diese Verordnung regelt Mindeststandards für die personelle Ausstattung von Heimen für alte Menschen, für Pflegebedürftige oder für behinderte Volljährige:

In § 5 wird bestimmt, wie viele Fachkräfte bei der Betreuung der Heimbewohner mindestens beschäftigt werden müssen. In Heimen, in denen mehr als 20 Bewohner leben oder in denen mindestens vier pflegebedürftige Bewohnern leben, müssen mindestens die Hälfte der anwesenden Betreuungskräfte Fachkräfte sein. In Heimen mit pflegebedürftigen Bewohnern muss auch bei Nachtwachen mindestens eine Fachkraft ständig anwesend sein. In Heimen mit weniger Bewohnern muss mindestens eine Fachkraft in der Betreuung tätig sein.

Vereinfacht kann man sich also merken: Fachkraftquote = 50%. Wer aber zählt zu den Fachkräften im Sinne der Verordnung? In der Pflege sind Fachkräfte Altenpflegerinnen und Altenpfleger oder Gesundheits- und Krankenpflegerinnen und Gesundheits- und Krankenpfleger. Altenpflegehelferinnen und Altenpflegehelfer, Krankenpflegerhelferinnen und Krankenpflegehelfer sowie vergleichbare Hilfskräfte sind keine Fachkräfte im Sinne der Verordnung.

Nun muss man wissen, dass das Heimrecht 2006 von der Gesetzgebungskompetenz des Bundes in die der Länder übergegangen ist. Dort sind die personellen Mindestanforderungen für Heime nunmehr in Landesgesetzen geregelt, aber die Fachkraftquote taucht überall auf.

So auch im grün-rot regierten Baden-Württemberg. Dort galt bislang die einfache Formel: 50% Fachkräfte – 50% andere. Das aber ändert sich jetzt: Unter der neutral daherkommenden Überschrift Personaleinsatz in Heimen neu geregelt teilt das zuständige Ministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren mit: »Nach den Worten von Sozialministerin Katrin Altpeter ermöglicht die neue Vorschrift einen flexibleren Personaleinsatz, ohne dass die Qualität der Betreuung der Bewohnerinnen und Bewohner beeinträchtigt wird.« Ein „flexiblerer“ Personaleinsatz ohne Qualitätsbeeinträchtigungen? Da wird man hellhörig. Lesen wir weiter:

»So bleibe das Grundmodell des neuen Wohn-, Teilhabe-, und Pflegegesetzes des Landes (WTPG) zwar bestehen, wonach fünfzig Prozent der Beschäftigten für pflegende und sozial betreuende Tätigkeiten Fachkräfte sein müssen. Wenn im Kernbereich der Pflege aber tatsächlich Pflegefachkräfte eingesetzt werden und dazu in geringem Umfang andere Fachkräfte, wie zum Beispiel Ergotherapeuten, Heilerziehungspfleger, Pädagogen, Sozialarbeiter und Sprachtherapeuten, dann könne die Quote der Pflegefachkräfte von fünfzig Prozent künftig unterschritten werden. Sie dürfe grundsätzlich aber nicht unter vierzig Prozent fallen.«

Irgendwie wird da verschwurbelt formuliert, man kann es auch einfacher ausdrücken, was da der Landesgesetzgeber gemacht hat:

Bisher: 50% / 50% => neu: 40% / 60 %.

Die Flexibilisierungsanstrengungen des Gesetzgebers für die Heimbetreiber gehen aber noch weiter:

»Neue Vorgaben gibt es nach den Worten von Ministerin Altpeter auch für die Präsenzzeiten von Pflegefachkräften. Im Tagesdienst sieht die neue Personalverordnung demnach den Einsatz von einer Pflegefachkraft je 30 Bewohnerinnen und Bewohner vor. Dieser Schlüssel müsse jedoch nur im Tagesdurchschnitt eingehalten werden. Eine Pflegefachkraft dürfe sich nun zum Beispiel in „Ruhezeiten“ um mehr als 30 Bewohnerinnen und Bewohner kümmern, wenn zu anderen Tageszeiten, wo im Heim mehr Unterstützungs- und Pflegebedarf gebraucht wird, der Einsatz von Pflegefachkräften wieder aufgestockt wird.«

Und dann das Thema Nachtdienste, heftig umstritten angesichts der aus diesem Bereich immer wieder berichteten teilweise katastrophalen Unterbesetzungen (aktuell wurde dies gerade mit Blick auf die Nachtdienstbesetzungen in den Krankenhäusern kritisch thematisiert, dazu der Beitrag Man kann sich auch zu Tode sparen. Die alles überlagernde Kostensenkungslogik trifft in der Pflege beide Seiten der Medaille hart, die Patienten und die Pflegekräfte vom 7. März 2015). Für die Pflegeheime sieht die neue gesetzliche Regelung in Baden-Württemberg vor:

»Für jeweils vierzig Bewohnerinnen und Bewohner muss mindestens eine Pflegefachkraft bei Nacht da sein. Wo mehr Personen betreut werden müssen, können neben den Pflegefachkräften zur Hälfte auch andere Fachkräfte oder Assistenzkräfte eingesetzt werden. Dies sind zum Beispiel Dorfhelfer, Heimerzieher, Gerontologen, Heilerzieher, Sozialarbeiter (Fachkräfte) oder Alltagsbetreuer, Altenpflegehelfer, Gesundheits- und Krankenpflegehelfer (Assistenzkräfte).«

Es ist offensichtlich geworden, in welche Richtung die neuen Regelungen gehen. Man will schlichtweg die Freiheitsgrade erhöhen beim Einsatz irgendwelchen Personals. Aber angesichts der nur umrissenen Entwicklungslinien gerade im stationären Altenpflegebereich würde eher eine Anhebung der Fachkraftquote Sinn machen, aber doch nicht ihre Absenkung.

Dabei muss man fairerweise darauf hinweisen, dass die Fachkraftquote an sich auch in der fachlichen Diskussion nicht unumstritten ist. Vgl. dazu nur beispielsweise den Artikel Die Fachkraftquote auf dem Prüfstand über das 11. Symposium von KWA Kuratorium Wohnen im Alter mit dem Titel „Fachkraftquote –Qualitätsmaßstab oder Sackgasse?“, bei dem es um Alternativen zur Fachkraftquote ging. Klar erkennbar ging es um eine massive Infragestellung der Quote an sich, wie der folgende Passus verdeutlicht:

»Prof. Dr. Thomas Klie von der Evangelischen Hochschule in Freiburg kritisierte als Jurist schon allein die Tatsache, dass das Heimrecht ein Gewerbesonderrecht sei und nicht regeln könne, wie viel Personal vorgehalten werden müsse. Dies bedeute einen Eingriff in die unternehmerische Freiheit. Die Fachkraftquote folge zudem ausschließlich pragmatischen Kriterien, aber nicht wissenschaftlichen Gütekriterien: „Gefragt ist die Orientierung am individuellen Pflege- und Unterstützungsbedarf, zu dem auch die Teilhabe, d.h. soziale Betreuung gehört. Die Ermittlung dieses funktionsbezogenen Leistungsbedarfs ist aber nicht die Aufgabe des Landesgesetzgebers“, so Klies grundsätzliche Kritik von juristischer Seite. Für die Politik komme das Infragestellen der Fachkraftquote dem Schlachten einer heiligen Kuh gleich – obwohl sich die Quote in der Praxis als viel zu unflexibel erwiesen habe, neue Konzepte (z.B. Wohngruppen) behindere, fachlich nicht begründet werden könne und angesichts der fehlenden Fachkräfte zu einem immer größeren Problem für Einrichtungen werde. Erfreulich sei es daher, dass einige Bundesländer erste Schritte in eine neue Richtung gingen und die starre Quotenregelung etwas gelockert hätten, betonte Klie. In Baden-Württemberg heißt das Stichwort Flexibilisierung (Nachtwache), in Mecklenburg-Vorpommern findet eine Öffnung der Berufsgruppen statt (Einbeziehung der Hauswirtschafts-Fachkräfte), Bremen berücksichtigt neue Konzepte (Hausgemeinschaften) und Hamburg wird den Trägern mehr Verantwortlichkeit übergeben. „Auch wenn wir die heilige Kuh noch nicht angetastet haben, wollen wir die Fachkraftquote lockern“, erklärte Nina Gust von der Hamburger Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration bei der Podiumsdiskussion am Nachmittag. „Wir wollen künftig mehr Wert auf die Ergebnisqualität legen und auf dieser Grundlage weitere Vereinbarungen treffen, um die vielfältigen Wohnformen zu fördern.“«

Man muss sich die Ausführungen in aller Ruhe zu Gemüte führen – neben einer grundsätzlich berechtigten Skepsis gegen formale Quotenvorgaben allgemein und der durchaus berechtigten Frage nach der fachlichen Fundierung der 50% wird doch erkennbar, dass es um eine Auflösung dieser als Hürde seitens der Heimbetreiber wahrgenommenen Vorgabe geht, ohne dass man sehen kann, dass etwas besseres an dessen Stelle gesetzt werden würde. Die Flexibilisierung ist eine für die Personaleinsatzseite der Betreiber. Und natürlich haben die zunehmend und schon seit längerem Probleme, gerade Fachkraft-Stellen adäquat zu besetzen.

Greifen wir aus dem riesigen Fundus an Meldungen nur eine willkürlich heraus: Erfüllen der Fachkraft-Quote für Altenheime immer schwerer, konnte man im September 2012 mit Blick auf die Situation im Bundesland Hessen lesen. Und weiter:

»In den hessischen Senioren- und Behindertenheimen sinkt der Anteil der ausgebildeten Fachkräfte. Nur noch gut zwei Drittel (67 Prozent) aller Heime erreichten 2011 die vorgeschriebene Fachkräftequote von 50 Prozent oder mehr. 2010 waren noch in drei Viertel der Häuser die Mehrzahl der Beschäftigten vom Fach.«

In dem Artikel findet man auch die Quote verteidigende Stimmen:

»Die 50-Prozent-Quote halte das System im Gleichgewicht, erklärt Friedhelm Schrey, Geschäftsführer der EVIM-Altenhilfe (Evangelischer Verein für Innere Mission), die mehrere Heime im Rhein-Main-Gebiet betreibt: „Weniger wäre für eine fachlich qualifizierte Versorgung schlecht.“ … Trotz des Fachkräftemangels sollte die gesetzliche Quote von 50 Prozent nicht gesenkt werden, findet auch Inka Kinsberger, Leiterin des kirchlichen Altenzentrums an der Rosenhöhe in Darmstadt. „Sonst kann ja jeder pflegen.“ Die Arbeit verlange eine fundierte Ausbildung. Über die frühere Einstellung, dass man nur das „Herz am rechten Fleck“ haben müsse, sei der Beruf hinausgewachsen.«

Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) hat sich im vergangenen Jahr so zur Fachkraftquote positioniert: »Was einmal als Untergrenze des Anteils an qualifiziertem Pflegepersonal gedacht war, wurde vor allem auf Druck der Kostenträger schnell zur festen Quote. Angesichts der o.g. Veränderungen, aber noch mehr vor dem Hintergrund des Kostendrucks und des zunehmenden Mangels an Pflegefachper- sonen, wird die Fachkraftquote rhetorisch in Frage gestellt und teilweise in der Praxis bereits ausge- höhlt und unterlaufen, z.B. indem die anzuerkennenden Berufsqualifikationen ausgeweitet werden.« Der DBfK fordert, die Fachkraftquote
ausdrücklich als Pflegefachkraftquote mit einer Untergrenze von 50% zu definieren.

Aber wir sehen, die Entwicklungen vor Ort und nun auch in den Ländergesetzen bzw. den untergesetzlichen Regelungen in den Ländern laufen in die andere Richtung. Das ist gefährlich für die Pflege in einem doppelten Sinne: Zum einen wird an der Fachlichkeit weiter genagt, zu deren Schutz ja auch eine solche Mindestfachkraftquote gedacht ist und zum anderen wird dass im Zusammenspiel mit anderen, leider auch zu beobachtenden Fehlentwicklungen (beispielsweise die Instrumentalisierung der eigentlich zusätzlichen Betreuungskräfte für den Pflegebereich, wo sie aber gar nicht angesetzt werden dürfen/sollen, vgl. hierzu den Beitrag Profi-Pflegekräfte nicht mehr allein im Heim! Die zusätzlichen und ergänzenden Betreuungskräfte und das alte Dilemma: Gut starten und zuweilen falsch landen vom 31.05.2015) dazu führen, dass weiterhin nach dem Prinzip „Löcher stopfen“ verfahren wird, was zugleich die Überlastungsspirale noch schneller antreiben wird. Und dann werden weitere Fachkräfte das Arbeitsfeld verlassen oder schneller verlassen, als sie es sonst vielleicht getan hätten.

Man kann das sicher irgendwie noch eine Weile so weiter treiben. Aber wenn man genau hinschaut: Das System kollabiert, vor allem die Menschen, die darin arbeiten, kollabieren. Die Stimmung wird immer aggressiver. Man kann nur hoffen, dass die Pflegekräfte ihren systembedingten Frust nicht autoaggressiv gegen sich selbst richten, sondern dass sie das System herausfordern werden.

Profi-Pflegekräfte nicht mehr allein im Heim! Die zusätzlichen und ergänzenden Betreuungskräfte und das alte Dilemma: Gut starten und zuweilen falsch landen

Man kennt das (nicht nur) in der Sozialpolitik: Man hat eine gute Absicht und startet entsprechend und muss dann feststellen, dass die Umsetzung in der Praxis irgendwie zu ganz anderen als den angestrebten Ergebnissen führt. Nehmen wir zur Illustration ein Beispiel aus der Pflege. Es muss sicher nicht besonders hervorgehoben werden, weil mittlerweile als „Allgemeingut“ voraussehbar, dass es in der Altenpflege einen erheblichen Personalmangel gibt, vor allem in den Pflegeheimen, wo immer „schwierigere“ Fälle im Sinne einer steigenden Pflegeintensität der dort zu pflegenden Menschen beobachtbar sind. Das durchschnittliche Heimeintrittsalter steigt immer mehr an, viele, die dann kommen, haben einen deutlich höheren Pflegebedarf als früher und der Anteil der Menschen mit einer Demenzerkrankung wird immer größer. Das alles hat Folgen für den Bedarf an Pflegekräften. Immer wieder wurde und wird dabei kritisiert, dass neben der rein pflegerischen Versorgung, die oftmals angesichts der realen Personalsituation nur mit Müh und Not aufrechterhalten wird, andere wichtige Dinge wie Zuwendung oder soziale Aktivierung zu kurz kommen müssen. Da ist dann schlichtweg keine Zeit für sowas wie Vorlesen oder den pflegebedürftigen Menschen mal an die frische Luft zu bringen.

Das wurde schon vor Jahren auch in der Politik erkannt und man hat versucht, darauf zu reagieren – immer natürlich „im Rahmen des Möglichen“. Auslöser für erste Schritte im Sinne einer Verbesserung der Situation war vor dem Hintergrund des steigenden Anteils an Menschen mit einer Demenzerkrankung die Regelung, dass Heime seit 2008 Betreuungsassistenten beschäftigen dürfen. Zu deren Aufgaben gehört etwa, mit Bewohnern spazieren zu gehen, zu basteln oder Sport zu treiben. Zunächst gab es diese Betreuung nur für Menschen mit „eingeschränkter Alltagskompetenz“. Seit Anfang dieses Jahres ist sie für alle Pflegebedürftigen in stationären oder teilstationären Einrichtungen möglich, denn die Ausweitung ist ein Bestandteil des Pflegestärkungsgesetzes I der großen Koalition, das zum 1. Januar 2015 in Kraft gesetzt wurde.

Und in diesem gesetzgeberischen Kontext wird die Ausweitung des Ansatzes, zusätzliche und ergänzend tätige Betreuungskräfte in den Altenheimen einzusetzen, gebührend gefeiert. So kann man beispielsweise der vom Bundesministerium für Gesundheit im Januar 2015 veröffentlichten Broschüre Das Pflegestärkungsgesetz I. Das Wichtigste im Überblick entnehmen:

  • Das Erste Pflegestärkungsgesetz mobilisiert rund eine Milliarde Euro zusätzlich, unter anderem für sogenannte zusätzliche Betreuungsangebote in voll- und teilstationären Einrichtungen.
  • Die Zahl der zusätzlichen Betreuungskräfte steigt deutlich – von bisher rund 25.000 auf bis zu 45.000. Die Aufstockung durch dieses eigens weitergebildete Personal sorgt dafür, dass Pflegebedürftige noch besser bei ihren alltäglichen Aktivitäten unterstützt werden und sich ihre Lebensqualität erhöht.
  • Der Betreuungsschlüssel verbessert sich durch das Pflegestärkungsgesetz von 1 : 24 auf 1 : 20. Zudem stehen die zusätzlichen Betreuungsangebote in den stationären Einrichtungen ab 1. Januar 2015 allen Pflegebedürftigen offen. Das verbessert den Pflegealltag in den voll- und teilstationären Pflegeeinrichtungen deutlich. (BMG 2015: 13)

Das hört sich doch gut an. Genau diese zusätzlichen, ergänzenden Kräfte werden vor Ort dringend gebraucht. Vor allem von vielen Pflegebedürftigen, die ansonsten nicht in die Nähe der Chance auf etwas (mehr) Zuwendung kommen können. Es geht um etwas mehr Lebensqualität.

Offensichtlich baut die Bundesregierung hier einen Ansatz aus, der vor Jahren grundgelegt wurde. Seit Sommer 2008 haben Pflegeheime die Möglichkeit, Betreuungsassistenten zu beschäftigen, die sich speziell um Demenzkranke kümmern. Rechtsgrundlage war das Pflegeweiterentwicklungsgesetz (PfWG) mit dem § 87b SGB XI. Betreuungsassistenten müssen eine Qualifizierungsmaßnahme im Umfang von insgesamt 160 Stunden nachweisen, mit einem vorgeschalteten Orientierungspraktikum von 40 Stunden. Nicht selten hat man ehemals langzeitarbeitslose Menschen in dieses Tätigkeitsfeld vermittelt. Es handelt sich also um Arbeitskräfte unterhalb der Qualifikationsebene der Pflegehelfer. Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass man die Arbeit der Betreuungsassistenten abgrenzen muss gegenüber dem, was Pflegehelfer oder gar examinierte Fachkräfte machen (dürfen/müssen).
Die Heime bekommen einen festen Lohnkostenzuschuss, wenn sie diese Kräfte beschäftigen und die Betreuungsassistenten werden auf der Basis einer angelernten Kraft eingruppiert.

Schaut man in die aktuelle Pflegestatistik des Statistischen Bundesamtes, deren Werte sich auf das Jahresende 2013 beziehen, dann kann man den Angaben zur Personalsituation entnehmen, dass in den stationären Einrichtungen damals insgesamt 685.447 Beschäftigte (insgesamt, nicht nur Pflegekräfte) gezählt wurden. Eigens ausgewiesen werden in einer Größenordnung von 27.864 zusätzliche Betreuungskräfte nach § 87b SGB XI, also 4,1 Prozent des Gesamtpersonals im stationären Bereich (Statistisches Bundesamt, Pflegestatistik 2013, Deutschlandergebnisse, S. 23).

Und jetzt das: Altenheime setzen unqualifiziertes Personal ein, berichtet beispielsweise die Süddeutsche Zeitung: »In Altenheimen in Deutschland werden vermehrt angelernte Helfer für Pflegearbeiten eingesetzt, die sie gar nicht verrichten dürfen. Bundesweit steige die Zahl der sogenannten Betreuungsassistenten, die Heimbewohner sozial begleiten sollen … In vielen Heimen würden Aufgaben, die eigentlich ausgebildete Pfleger übernehmen sollen, von angelernten Helfern ausgeführt – was gegen das Gesetz verstoße. Die Betreuungsassistenten müssten etwa Bewohner allein waschen, im Bett lagern oder ihnen Medikamente verabreichen.« Das bezieht sich auf Recherchen, die in diesem Original-Artikel veröffentlicht wurden: Helfer ersetzen Profi-Pfleger in Altenheimen von Anette Dowideit. Die an sich begrüßenswerte Maßnahme einer Aufstockung der Betreuungsassistenten, die Erleichterung schaffen sollen, hat nicht selten Besorgnis erregende Folgen. »Denn die Betreuungsassistenten werden nach Recherchen … vielerorts rechtswidrig eingesetzt. Sie waschen bettlägerige Bewohner, lagern sie im Bett um, füttern sie oder verabreichen ihnen Medikamente. Alles Aufgaben, die aus gutem Grund ausgebildetem Fachpersonal vorbehalten sind.«

Das konfligiert mit der Tatsache, dass es sich ausdrücklich um Zusatzkräfte handeln soll. Auch der der Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) weist ausdrücklich darauf hin, die Betreuer seien lediglich als Ergänzung zu Altenpflegern vorgesehen, „sie dürfen kein Ersatz sein“.
Offensichtlich, so Dowideit in ihrem Artikel, sieht die Realität ganz anders aus:

»Es meldeten sich Dutzende Pfleger, die berichten, dass in ihren Heimen die Angelernten regelmäßig zur Lagerung Bettlägeriger eingeteilt würden – und diese dann häufig offene Wunden entwickelten, weil sie nicht fachgerecht gelegt und stabilisiert würden. Oder dass die Helfer bettlägerige, schwere Patienten allein aus den Betten und auf die Toilette hieven müssten, ohne die richtigen Handgriffe zu kennen … Pfleger Christian Hübner, der heute in einem Krankenhaus arbeitet, machte während seiner Ausbildung Station in fünf Pflegeheimen – und hat in vieren erlebt, dass die Angelernten gesetzeswidrig eingesetzt wurden. „In einer Einrichtung bekamen die Betreuungsassistenten morgens vier oder fünf bettlägerige Bewohner zugeteilt und mussten sie alleine waschen. Das ist nicht mal mehr grenzwertig“, findet er.«

Wie muss man das einordnen? In dem Artikel wird Johanna Knüppel vom Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe (DbfK) zitiert:

Sie »vermutet, dass die Bundesregierung sehr wohl vom Missbrauch der Betreuungsassistenten wisse – aber schlicht wegsieht. „Anstatt die Pflegefachkräfte in den Heimen tatsächlich zu entlasten, wird die Versorgung auf immer mehr pflegerische Laien übertragen“, sagt sie. Aus politischer Sicht habe eine solche Strategie gleich mehrere Vorteile: „Sie kaschiert die durch den Fachkräftemangel entstandene pflegerische Unterversorgung in vielen Heimen, sorgt für positive Schlagzeilen und gleichzeitig schafft sie Arbeitsplätze für Langzeitarbeitslose.“«

Für viele Arbeitgeber ist das ein betriebswirtschaftlich gesehen eine interessante Personalbeschaffungsvariante, vor allem dann, wenn man – auch wenn das eigentlich rechtlich nicht zulässig ist – faktisch Personallöcher in anderen Bereichen stopfen kann, wo das Personal auch deutlich teurer käme:

»Die Quereinsteiger verdienen in der Regel nicht mehr als den gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde, während ein examinierter Altenpfleger laut einer aktuellen Berechnung der Gewerkschaft Verdi inklusive aller Zulagen auf 17,50 Euro Stundenlohn kommen kann. Dazu kommt: Das Gehalt der Assistenten wird von den Pflegekassen bezuschusst – bei manchen Heimen laut GKV-Spitzenverband so stark, dass sie selbst gar kein Gehalt mehr zuzahlen müssen. Wie viel Zuschuss ein Heim erhält, handelt es mit den Pflegekassen vor Ort aus.«

Und wieder einmal haben wir ein starkes Gefälle hin zur (Nicht-)Kontrolle, denn was diese Kräfte tatsächlich tun, wird von keinem kontrolliert und steht auch bei den Prüfungen des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen nicht auf der Agenda, dort wird lediglich geschaut, ob die Betreuungsassistenten die vorgeschriebene Qualifizierungsmaßnahme absolviert haben. Nicht aber, wie sie genau eingesetzt werden.

Es handelt sich auch nicht um eine vernachlässigbare Größenordnung. Dowideit zitiert in ihrem Artikel eine Zahlenrelation, die zu denken geben sollte:

»Seit der Einführung dieses Berufs im Jahr 2008 war die Zahl bis Ende 2013 auf knapp 28.000 gestiegen. Und die Bundesregierung prognostiziert, dass es schon bald 45.000 sein werden – so viele wären es, wenn alle Heime die ihnen für ihre Bewohner zustehenden Kräfte demnächst einsetzen. Zum Vergleich: Die Zahl der ausgebildeten Altenpfleger, die in den 13.000 Heimen bundesweit arbeiten, liegt nur gut dreimal höher, nämlich bei 151.000.«

Dowideit berichtet in ihrem Artikel von konkreten Beispielen, wo seit Anfang des Jahres zahlreiche Betreuungsassistenten neu eingestellt wurden und werden, die dann Arbeit auf Abruf machen sollen. »Rund um die Uhr sollen die Angelernten einsatzbereit sein für die Heimkette, theoretisch auch mitten in der Nacht – obwohl sie ihren gesetzlich erlaubten Tätigkeiten, also mit den Bewohnern Karten spielen, gärtnern, ihnen vorlesen – zu dieser Zeit wohl kaum nachkommen können. Der Betriebsrat der Heimkette vermutet, dass die Betreuungsassistenten als billige Alternative zum Pfleger im Nachtdienst eingesetzt werden könnten.«

Manche Heimbetreiber sind auch ganz ehrlich, was sie wollen, bis man sie entdeckt: »Zum Beispiel die privatwirtschaftliche Kette Compassio mit Sitz in Ulm, die 24 Standorte betreibt. In einer Stellenanzeige, die sie auf einem Internetportal schaltete, ist zu lesen: „Sie sind für die soziale Betreuung unserer Bewohner verantwortlich und verrichten zudem grundlegende pflegerische Tätigkeiten.“ Eine Sprecherin des Unternehmens sagt dazu auf Anfrage, beim Formulieren der Anzeige sei ein Fehler unterlaufen. Die knapp 100 bei Compassio angestellten Betreuungsassistenten würden keinesfalls pflegerische Aufgaben übernehmen.«

Es hat seine eigene betriebswirtschaftliche Rationalität:  Wenn dieses zusätzliche Angebot an Personal auf Einrichtungen trifft, die in den Bereichen, für die das zusätzliche Personal gar nicht zuständig sein soll, erhebliche Personalmangelprobleme hat, dann liegt es nahe, dass es entweder „lebenspraktisch“ bedingt auch bei keiner Vorgängen Absicht zu zahlreichen Überschneidungen kommen kann zwischen dem, was Betreuungskräfte tun und was Pflegekräfte tun – gerade bei teamorientierten Arbeiten ist das zu arbeiten. Und mancher Arbeitgeber wird das auch bewusst nutzen, um Löcher zu stopfen.

Damit hier kein Missverständnis aufkommt: Der Ansatz und Einsatz zusätzlicher, ergänzender Betreuungsassistenten wird hier ausdrücklich befürwortet. Damit verbunden ist die Möglichkeit einer erheblichen Steigerung der Lebensqualität der Pflegebedürftigen in den Heimen.

Wenn, ja wenn man sich an das hält, was in den – ich kann nichts für den Titel – „Richtlinien nach § 87b Abs. 3 SGB XI zur Qualifikation und zu den Aufgaben von zusätzlichen Betreuungskräften in stationäre Pflegeeinrichtungen (Betreuungskräfte-Rl) vom 19. August 2008 in der Fassung vom 29. Dezember 2014″ im § 2 über die „Grundsätze der Arbeit und Aufgaben der zusätzlichen Betreuungskräfte“ normiert worden ist:

Die Aufgabe der zusätzlichen Betreuungskräfte ist es, die Anspruchsberechtigten zum Beispiel zu folgenden Alltagsaktivitäten zu motivieren und sie dabei zu betreuen und zu begleiten:
– Malen und basteln,
– handwerkliche Arbeiten und leichte Gartenarbeiten,
– Haustiere füttern und pflegen,
– Kochen und backen,
– Anfertigung von Erinnerungsalben oder -ordnern,
– Musik hören, musizieren, singen,
– Brett- und Kartenspiele,
– Spaziergänge und Ausflüge,
– Bewegungsübungen und Tanzen in der Gruppe,
– Besuch von kulturellen Veranstaltungen, Sportveranstaltungen
– Gottesdiensten, und Friedhöfen,
– Lesen und Vorlesen,
– Fotoalben anschauen.

Die Betreuungskräfte sollen den Anspruchsberechtigten für Gespräche über Alltägliches und ihre Sorgen zur Verfügung stehen, ihnen durch ihre Anwesenheit Ängste nehmen sowie Sicherheit und Orientierung vermitteln. Betreuungs- und Aktivierungsangebote sollen sich an den Erwartungen, Wünschen, Fähigkeiten und Befindlichkeiten der Anspruchsberechtigten unter Berücksichtigung ihrer jeweiligen Biographie, ggf. einschließlich ihres Migrationshintergrundes, dem Geschlecht sowie dem jeweiligen situativen Kontext orientieren.

Damit wäre sehr viel gewonnen. Wenn, ja wenn es darum gehen würde.