Pflegestreik? Den brauchen wir möglicherweise bald nicht mehr – die Verhältnisse erledigen das zunehmend selbst

Derzeit tobt auf Twitter der verzweifelte Versuch, unter dem Hashtag #pflegestreik auf die Missstände in der Pflege aufmerksam zu machen und an die Medien zu appellieren, sich in ihrer Berichterstattung endlich dieses Themas anzunehmen. Außerdem wird diskutiert, ob nicht eigentlich endlich mal ein richtig großer, also echter Streik in der Pflege notwendig wäre.
Aber vielleicht erübrigt sich das ja – zynisch gesprochen – mit der Organisation eines größeren Arbeitskampfes (der aus ganz unterschiedlichen Gründen höchst unwahrscheinlich ist), denn die Verhältnisse schaffen zunehmend eine vergleichbare Situation, nämlich die Einstellung der pflegerischen Aktivitäten.

Dazu passt dann diese Meldung: Fachkräfte fehlen – Pflegeheim in Hüpstedt muss schließen. »Wegen des akuten Fachkräftemangels beim Pflegepersonal wird das Altenpflegeheim Dünwald in Hüpstedt (Unstrut-Hainich-Kreis) mit sofortiger Wirkung komplett geschlossen. Zur Einstellung des Geschäftsbetriebes hat sich die Pflegedienst Mieth GbR als Betreiberin auf Anraten der Heimaufsicht des Landes Thüringen in der vorigen Woche entschlossen.« Es habe immer wieder Prüfungen und Beschwerden zur pflegerischen Versorgung gegeben.

Einem anderen Artikel kann man entnehmen: »Nach einigen Kündigungen habe es zuletzt nur eine Pflege-Fachkraft gegeben, hieß es. Die Frau habe sowohl Früh- als auch Spätdienst gemacht. Normalerweise seien mindestens 5 Fachkräfte bei 25 Heimbewohnern vorgesehen.«

Es handelt sich um die erste Schließung eines Pflegeheimes in Thüringen überhaupt. Betroffen sind derzeit 25 Bewohner, die zum größten Teil bereits in anderen Heimen der Region untergebracht worden sind. Den meisten der 16 Mitarbeitern droht die Arbeitslosigkeit.

Eine berechtigte Frage könnte lauten: Schlimm, aber vielleicht ist das nur ein bedauerlicher Einzelfall. Das es sich um einen soclhen handelt, darauf deuten die ersten Einschätzungen hin, die man diesem Artikel entnehmen kann: Thüringer Pflegeheime warnen: Viel zu wenig Fachkräfte:

»Ein Personal-Notstand wie in Hüpstedt sei jedoch anderswo in Thüringen nicht zu erkennen, erklärten mehrere Experten. „Das ist ein trauriger und bedauernswerter Einzelfall“, betonte Robert Büssow, Pressesprecher der Krankenkasse Barmer GEK Thüringen. „Dieser Fall ist sicher ein krasses Einzelbeispiel von Missmanagement in der Thüringer Pflege“, unterstrich AOK-Sprecher Jürgen Frühauf.«

Da sollen wir jetzt aber beruhigt sein. Aber der Blick auf einige Hintergrund-Informationen zu Thüringen und der Pflegelandschaft dort verdeutlicht, dass wir hier – wie in vielen anderen Regionen auch – mit einem strukturellen Problem konfrontiert sind:

»In Thüringen arbeiten mehr als 27.000 Pflegekräfte in 829 Heimen. Knapp 87.000 Menschen sind pflegebedürftig.
Im bundesweiten Vergleich liegen die Gehälter der Pflege-kräfte ziemlich weit hinten. So verdient eine Fachkraft in Thüringen durchschnittlich 1.982 Euro brutto pro Monat. Das ist der viertletzte Platz unter allen Bundesländern.
In Hessen bringt es eine Pflege-Fachkraft im Schnitt auf 2.484 Euro, in Bayern auf 2.709 Euro. „Die weitere Abwanderung gut ausgebildeter Pflegefachkräfte aus Thüringen in benachbarte westliche Bundesländer ist damit vorgezeichnet“, schreibt der Paritätische Wohlfahrtsverband.«

Nach einer Studie der Friedrich-Schiller-Universität in Jena braucht Thüringen bis 2030 rund 8.000 zusätzliche Pflegekräfte.

Natürlich versucht auch die Politik auf die Entwicklungen und die grundsätzlichen Herausforderungen zu reagieren. In Thüringen gibt es nicht nur eine rot-rot-grüne Landesregierung, sondern auch den ersten Ministerpräsidenten aus den Reihen der Linkspartei. Und Bodo Ramelow hat sich einbringen wollen in die Debatte – mit einem Vorschlag, der wieder einmal zeigt, auf welchem Hilflosigkeitsniveau man angekommen ist: Griechische Lehrlinge sollen Pflegenotstand lösen.

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) will mit Lehrlingen aus Griechenland den eigenen Fachkräftebedarf sichern. Dem Arbeitsministerium in Athen wolle Ramelow ein Kooperationsangebot unterbreiten, bestätigte Regierungssprecher Alexander Fischer am Donnerstag in Erfurt. In Zusammenarbeit mit der Deutsch-Hellenischen Wirtschaftsvereinigung (DHW) bieten wir an, bei der Vermittlung von jungen Griechen auf Ausbildungsplätze in Thüringen zu helfen, vorrangig im Pflegebereich.

Immerhin – so könnte man hier zynisch anmerken – gibt es einen Schritt nach vorn: Denn in der Vergangenheit wurden die Hoffnungen auf die Rekrutierung chinesischer Altenpflegekräfte gerichtet, die Zuwendung nach Griechenland verkürzt die Entfernung, die man überwinden muss, doch ganz erheblich und außerdem sind die Griechen (noch) in der EU.

Die Vorkommnisse in Thüringen werden auch in ganz anderen Regionen von den dortigen Medien wahrgenommen und aufgegriffen, so beispielsweise von der Südwest-Presse, wo man einen Kommentar von Elisabeth Zoll unter der Überschrift Auf dem Rücken der Mitarbeiter lesen:

»Das ist ein unguter Vorbote – und er weist über Thüringen hinaus: Im Eichsfeldort Hüpstedt musste ein Pflegeheim schließen, weil Fachkräfte fehlten … Im thüringischen Fall mögen mehrere Faktoren zusammentreffen: kleiner Ort, abgelegene Lage, wirtschaftlich labile Situation des Betreibers. Doch das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass nicht nur dort der Pflegenotfall droht … Vielerorts sind Pflegeheime, was die Personalausstattung betrifft, auf Kante genäht – um es noch positiv zu formulieren … Fachkräfte fehlen an allen Ecken und Enden. Der Mangel kommt nicht von ungefähr. Schichtbetrieb, eine hohe körperliche und seelische Belastung, der immense Zeitdruck – und das alles zu vergleichsweise lausiger Bezahlung – führen dazu, dass selbst hochmotivierte Kräfte oft schon nach wenigen Jahren das Handtuch werfen oder mit Rücksicht auf die eigene Gesundheit beruflich zurückstecken. In vielen Heimen wurde in den vergangenen Jahren die Rechnung auf dem Rücken der Mitarbeiter gemacht.«

So weit, so im Prinzip bekannt. Und auch ihre Schlussfolgerung ist nicht neu: »Wäre es da nicht angebracht, eine Attraktivitätsoffensive für Pflegekräfte zu starten, angemessene Bezahlung inbegriffen?«

Ja, so ist es. Das sollte man tun.

Aber wie sagte schon der berühmte Philosoph und Politikwissenschaftler Peer Steinbrück: „Hätte, hätte, Fahrradkette“.

Noch mal zurück zu der Frage nach dem Einzelfall, der uns da aus Thüringen berichtet wurde:
Bereits im März musste in Langenhorn bei Hamburg das Altenheim Röweland schließen. Auch dort fehlten ausreichend qualifizierte Fachkräfte, um das Haus mit insgesamt 230 Betten weiter betreiben zu können.

Fachkräftemangel in der Pflege: Eigentlich müsste man … Aber in der wirklichen Realität senkt man dann lieber die Fachkraftquote in den Heimen

Ach, die Pflege. Auf Twitter wird seit einiger Zeit unter dem Hashtag #pflegestreik erbittert und mit vielen frustrierend daherkommenden Wortmeldung versucht, die Medien zu animieren, endlich mal und mehr über die katastrophale Arbeitssituation vieler Pflegekräfte zu berichten. Und immer wieder kommt die Botschaft rüber, dass eigentlich der nächste richtig große Arbeitskampf in diesem Bereich fällig wäre – wenn das nicht so unglaublich schwierig bis unmöglich wäre zu organisieren. In diesem Kontext war und ist der erste unbefristet angelegte Streik von Pflegekräfte an der Charité in Berlin ein wichtiger Ausgangspunkt für die weitere Entwicklung (vgl. hierzu den Blog-Beitrag Nicht mehr Geld, sondern mehr Leute: Der unbefristete Pflegestreik an der Charité in Berlin wird ausgesetzt. Eckpunkte für eine zukünftige Personalausstattung vereinbart vom 1. Juli 2015). Zugleich wird immer offensichtlicher, dass jenseits des teilweise sehr instrumentalisierenden Geredes von einem Fachkräftemangel ein solcher mehr als real existiert in einigen Bereichen, zu denen die Pflege sicherlich gehört. In 96 Berufen wird das Personal knapp, so beispielsweise Silvia Dahlkamp über eine neue Studie (Sebastian Bußmann: Fachkräfteengpässe in Unternehmen – Geschlechterunterschiede in Engpassberufen, 2015):

»Es trifft die üblichen Verdächtigten: Danach fehlen besonders im Alten- und Krankenpflegebereich qualifizierte Arbeitskräfte, und auch in den naturwissenschaftlich-technischen Berufen sieht es mau aus. Nach wie vor klagt das Handwerk: dort werden vor allem Sanitär-, Heizungs- und Klimatechniker gesucht … Freie Stellen im Pflegebereich (86 Prozent weiblich) bleiben vielfach frei. In anderen Gesundheitsberufen sieht es ähnlich düster aus. Auf der Top-20-Liste der Mangelberufe stehen unter anderem zahnmedizinische Fachangestellte (99,5 Prozent weiblich), Sprach- und Physiotherapeuten (93,9 Prozent weiblich). Auch die Zahl der Augenoptiker geht zurück.«

Mit einer handfest-praktischen, andere würden sagen naiven Herangehensweise könnte man auf die Idee kommen, jetzt werden alle Anstrengungen unternommen, die Zahl der qualifizierten Kräfte zu erhöhen, nicht nur durch mehr Ausbildungsplätze (die tatsächlich zugenommen haben), sondern auch durch eine dringend notwendige Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Und zu denen gehören nicht nur die monetären Rahmenbedingungen, sondern eines der größten Übel aus Sicht der Betroffenen ist der permanente und sich verschärfende Personalmangel.

Gerade für den Bereich der Pflegeheime kommt erschwerend hinzu, dass wir in den vergangenen Jahren konfrontiert waren mit einer für die Beschäftigten hoch problematischen Veränderung: Das durchschnittliche Heimeintrittsalter ist angestiegen, damit verbunden sind die Bewohner oftmals nur wenige Jahre oder kürzer im Heim, sie kommen oftmals mit mindestens Pflegestufe I, der Anteil der dementiell Erkrankten und damit eigentlich besonders pflege- und betreuungsintensiven Menschen hat erheblich zugenommen. Das erfordert nicht nur mehr Personal überhaupt, also hinsichtlich der Quantität, sondern auch fachlich entsprechend qualifiziertes Personal, denn hier werden eben nicht nur irgendwelche Hotellerie-Leistungen fällig, sondern die Pflegeintensität ist erheblich.

Nun gibt es für die in Pflegeheimen Beschäftigten eine so genannte „Fachkraftquote“, die in der aus dem Heimgesetz abgeleiteten Heimpersonalverordnung (HeimVO) verankert ist. Diese Verordnung regelt Mindeststandards für die personelle Ausstattung von Heimen für alte Menschen, für Pflegebedürftige oder für behinderte Volljährige:

In § 5 wird bestimmt, wie viele Fachkräfte bei der Betreuung der Heimbewohner mindestens beschäftigt werden müssen. In Heimen, in denen mehr als 20 Bewohner leben oder in denen mindestens vier pflegebedürftige Bewohnern leben, müssen mindestens die Hälfte der anwesenden Betreuungskräfte Fachkräfte sein. In Heimen mit pflegebedürftigen Bewohnern muss auch bei Nachtwachen mindestens eine Fachkraft ständig anwesend sein. In Heimen mit weniger Bewohnern muss mindestens eine Fachkraft in der Betreuung tätig sein.

Vereinfacht kann man sich also merken: Fachkraftquote = 50%. Wer aber zählt zu den Fachkräften im Sinne der Verordnung? In der Pflege sind Fachkräfte Altenpflegerinnen und Altenpfleger oder Gesundheits- und Krankenpflegerinnen und Gesundheits- und Krankenpfleger. Altenpflegehelferinnen und Altenpflegehelfer, Krankenpflegerhelferinnen und Krankenpflegehelfer sowie vergleichbare Hilfskräfte sind keine Fachkräfte im Sinne der Verordnung.

Nun muss man wissen, dass das Heimrecht 2006 von der Gesetzgebungskompetenz des Bundes in die der Länder übergegangen ist. Dort sind die personellen Mindestanforderungen für Heime nunmehr in Landesgesetzen geregelt, aber die Fachkraftquote taucht überall auf.

So auch im grün-rot regierten Baden-Württemberg. Dort galt bislang die einfache Formel: 50% Fachkräfte – 50% andere. Das aber ändert sich jetzt: Unter der neutral daherkommenden Überschrift Personaleinsatz in Heimen neu geregelt teilt das zuständige Ministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren mit: »Nach den Worten von Sozialministerin Katrin Altpeter ermöglicht die neue Vorschrift einen flexibleren Personaleinsatz, ohne dass die Qualität der Betreuung der Bewohnerinnen und Bewohner beeinträchtigt wird.« Ein „flexiblerer“ Personaleinsatz ohne Qualitätsbeeinträchtigungen? Da wird man hellhörig. Lesen wir weiter:

»So bleibe das Grundmodell des neuen Wohn-, Teilhabe-, und Pflegegesetzes des Landes (WTPG) zwar bestehen, wonach fünfzig Prozent der Beschäftigten für pflegende und sozial betreuende Tätigkeiten Fachkräfte sein müssen. Wenn im Kernbereich der Pflege aber tatsächlich Pflegefachkräfte eingesetzt werden und dazu in geringem Umfang andere Fachkräfte, wie zum Beispiel Ergotherapeuten, Heilerziehungspfleger, Pädagogen, Sozialarbeiter und Sprachtherapeuten, dann könne die Quote der Pflegefachkräfte von fünfzig Prozent künftig unterschritten werden. Sie dürfe grundsätzlich aber nicht unter vierzig Prozent fallen.«

Irgendwie wird da verschwurbelt formuliert, man kann es auch einfacher ausdrücken, was da der Landesgesetzgeber gemacht hat:

Bisher: 50% / 50% => neu: 40% / 60 %.

Die Flexibilisierungsanstrengungen des Gesetzgebers für die Heimbetreiber gehen aber noch weiter:

»Neue Vorgaben gibt es nach den Worten von Ministerin Altpeter auch für die Präsenzzeiten von Pflegefachkräften. Im Tagesdienst sieht die neue Personalverordnung demnach den Einsatz von einer Pflegefachkraft je 30 Bewohnerinnen und Bewohner vor. Dieser Schlüssel müsse jedoch nur im Tagesdurchschnitt eingehalten werden. Eine Pflegefachkraft dürfe sich nun zum Beispiel in „Ruhezeiten“ um mehr als 30 Bewohnerinnen und Bewohner kümmern, wenn zu anderen Tageszeiten, wo im Heim mehr Unterstützungs- und Pflegebedarf gebraucht wird, der Einsatz von Pflegefachkräften wieder aufgestockt wird.«

Und dann das Thema Nachtdienste, heftig umstritten angesichts der aus diesem Bereich immer wieder berichteten teilweise katastrophalen Unterbesetzungen (aktuell wurde dies gerade mit Blick auf die Nachtdienstbesetzungen in den Krankenhäusern kritisch thematisiert, dazu der Beitrag Man kann sich auch zu Tode sparen. Die alles überlagernde Kostensenkungslogik trifft in der Pflege beide Seiten der Medaille hart, die Patienten und die Pflegekräfte vom 7. März 2015). Für die Pflegeheime sieht die neue gesetzliche Regelung in Baden-Württemberg vor:

»Für jeweils vierzig Bewohnerinnen und Bewohner muss mindestens eine Pflegefachkraft bei Nacht da sein. Wo mehr Personen betreut werden müssen, können neben den Pflegefachkräften zur Hälfte auch andere Fachkräfte oder Assistenzkräfte eingesetzt werden. Dies sind zum Beispiel Dorfhelfer, Heimerzieher, Gerontologen, Heilerzieher, Sozialarbeiter (Fachkräfte) oder Alltagsbetreuer, Altenpflegehelfer, Gesundheits- und Krankenpflegehelfer (Assistenzkräfte).«

Es ist offensichtlich geworden, in welche Richtung die neuen Regelungen gehen. Man will schlichtweg die Freiheitsgrade erhöhen beim Einsatz irgendwelchen Personals. Aber angesichts der nur umrissenen Entwicklungslinien gerade im stationären Altenpflegebereich würde eher eine Anhebung der Fachkraftquote Sinn machen, aber doch nicht ihre Absenkung.

Dabei muss man fairerweise darauf hinweisen, dass die Fachkraftquote an sich auch in der fachlichen Diskussion nicht unumstritten ist. Vgl. dazu nur beispielsweise den Artikel Die Fachkraftquote auf dem Prüfstand über das 11. Symposium von KWA Kuratorium Wohnen im Alter mit dem Titel „Fachkraftquote –Qualitätsmaßstab oder Sackgasse?“, bei dem es um Alternativen zur Fachkraftquote ging. Klar erkennbar ging es um eine massive Infragestellung der Quote an sich, wie der folgende Passus verdeutlicht:

»Prof. Dr. Thomas Klie von der Evangelischen Hochschule in Freiburg kritisierte als Jurist schon allein die Tatsache, dass das Heimrecht ein Gewerbesonderrecht sei und nicht regeln könne, wie viel Personal vorgehalten werden müsse. Dies bedeute einen Eingriff in die unternehmerische Freiheit. Die Fachkraftquote folge zudem ausschließlich pragmatischen Kriterien, aber nicht wissenschaftlichen Gütekriterien: „Gefragt ist die Orientierung am individuellen Pflege- und Unterstützungsbedarf, zu dem auch die Teilhabe, d.h. soziale Betreuung gehört. Die Ermittlung dieses funktionsbezogenen Leistungsbedarfs ist aber nicht die Aufgabe des Landesgesetzgebers“, so Klies grundsätzliche Kritik von juristischer Seite. Für die Politik komme das Infragestellen der Fachkraftquote dem Schlachten einer heiligen Kuh gleich – obwohl sich die Quote in der Praxis als viel zu unflexibel erwiesen habe, neue Konzepte (z.B. Wohngruppen) behindere, fachlich nicht begründet werden könne und angesichts der fehlenden Fachkräfte zu einem immer größeren Problem für Einrichtungen werde. Erfreulich sei es daher, dass einige Bundesländer erste Schritte in eine neue Richtung gingen und die starre Quotenregelung etwas gelockert hätten, betonte Klie. In Baden-Württemberg heißt das Stichwort Flexibilisierung (Nachtwache), in Mecklenburg-Vorpommern findet eine Öffnung der Berufsgruppen statt (Einbeziehung der Hauswirtschafts-Fachkräfte), Bremen berücksichtigt neue Konzepte (Hausgemeinschaften) und Hamburg wird den Trägern mehr Verantwortlichkeit übergeben. „Auch wenn wir die heilige Kuh noch nicht angetastet haben, wollen wir die Fachkraftquote lockern“, erklärte Nina Gust von der Hamburger Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration bei der Podiumsdiskussion am Nachmittag. „Wir wollen künftig mehr Wert auf die Ergebnisqualität legen und auf dieser Grundlage weitere Vereinbarungen treffen, um die vielfältigen Wohnformen zu fördern.“«

Man muss sich die Ausführungen in aller Ruhe zu Gemüte führen – neben einer grundsätzlich berechtigten Skepsis gegen formale Quotenvorgaben allgemein und der durchaus berechtigten Frage nach der fachlichen Fundierung der 50% wird doch erkennbar, dass es um eine Auflösung dieser als Hürde seitens der Heimbetreiber wahrgenommenen Vorgabe geht, ohne dass man sehen kann, dass etwas besseres an dessen Stelle gesetzt werden würde. Die Flexibilisierung ist eine für die Personaleinsatzseite der Betreiber. Und natürlich haben die zunehmend und schon seit längerem Probleme, gerade Fachkraft-Stellen adäquat zu besetzen.

Greifen wir aus dem riesigen Fundus an Meldungen nur eine willkürlich heraus: Erfüllen der Fachkraft-Quote für Altenheime immer schwerer, konnte man im September 2012 mit Blick auf die Situation im Bundesland Hessen lesen. Und weiter:

»In den hessischen Senioren- und Behindertenheimen sinkt der Anteil der ausgebildeten Fachkräfte. Nur noch gut zwei Drittel (67 Prozent) aller Heime erreichten 2011 die vorgeschriebene Fachkräftequote von 50 Prozent oder mehr. 2010 waren noch in drei Viertel der Häuser die Mehrzahl der Beschäftigten vom Fach.«

In dem Artikel findet man auch die Quote verteidigende Stimmen:

»Die 50-Prozent-Quote halte das System im Gleichgewicht, erklärt Friedhelm Schrey, Geschäftsführer der EVIM-Altenhilfe (Evangelischer Verein für Innere Mission), die mehrere Heime im Rhein-Main-Gebiet betreibt: „Weniger wäre für eine fachlich qualifizierte Versorgung schlecht.“ … Trotz des Fachkräftemangels sollte die gesetzliche Quote von 50 Prozent nicht gesenkt werden, findet auch Inka Kinsberger, Leiterin des kirchlichen Altenzentrums an der Rosenhöhe in Darmstadt. „Sonst kann ja jeder pflegen.“ Die Arbeit verlange eine fundierte Ausbildung. Über die frühere Einstellung, dass man nur das „Herz am rechten Fleck“ haben müsse, sei der Beruf hinausgewachsen.«

Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) hat sich im vergangenen Jahr so zur Fachkraftquote positioniert: »Was einmal als Untergrenze des Anteils an qualifiziertem Pflegepersonal gedacht war, wurde vor allem auf Druck der Kostenträger schnell zur festen Quote. Angesichts der o.g. Veränderungen, aber noch mehr vor dem Hintergrund des Kostendrucks und des zunehmenden Mangels an Pflegefachper- sonen, wird die Fachkraftquote rhetorisch in Frage gestellt und teilweise in der Praxis bereits ausge- höhlt und unterlaufen, z.B. indem die anzuerkennenden Berufsqualifikationen ausgeweitet werden.« Der DBfK fordert, die Fachkraftquote
ausdrücklich als Pflegefachkraftquote mit einer Untergrenze von 50% zu definieren.

Aber wir sehen, die Entwicklungen vor Ort und nun auch in den Ländergesetzen bzw. den untergesetzlichen Regelungen in den Ländern laufen in die andere Richtung. Das ist gefährlich für die Pflege in einem doppelten Sinne: Zum einen wird an der Fachlichkeit weiter genagt, zu deren Schutz ja auch eine solche Mindestfachkraftquote gedacht ist und zum anderen wird dass im Zusammenspiel mit anderen, leider auch zu beobachtenden Fehlentwicklungen (beispielsweise die Instrumentalisierung der eigentlich zusätzlichen Betreuungskräfte für den Pflegebereich, wo sie aber gar nicht angesetzt werden dürfen/sollen, vgl. hierzu den Beitrag Profi-Pflegekräfte nicht mehr allein im Heim! Die zusätzlichen und ergänzenden Betreuungskräfte und das alte Dilemma: Gut starten und zuweilen falsch landen vom 31.05.2015) dazu führen, dass weiterhin nach dem Prinzip „Löcher stopfen“ verfahren wird, was zugleich die Überlastungsspirale noch schneller antreiben wird. Und dann werden weitere Fachkräfte das Arbeitsfeld verlassen oder schneller verlassen, als sie es sonst vielleicht getan hätten.

Man kann das sicher irgendwie noch eine Weile so weiter treiben. Aber wenn man genau hinschaut: Das System kollabiert, vor allem die Menschen, die darin arbeiten, kollabieren. Die Stimmung wird immer aggressiver. Man kann nur hoffen, dass die Pflegekräfte ihren systembedingten Frust nicht autoaggressiv gegen sich selbst richten, sondern dass sie das System herausfordern werden.

Profi-Pflegekräfte nicht mehr allein im Heim! Die zusätzlichen und ergänzenden Betreuungskräfte und das alte Dilemma: Gut starten und zuweilen falsch landen

Man kennt das (nicht nur) in der Sozialpolitik: Man hat eine gute Absicht und startet entsprechend und muss dann feststellen, dass die Umsetzung in der Praxis irgendwie zu ganz anderen als den angestrebten Ergebnissen führt. Nehmen wir zur Illustration ein Beispiel aus der Pflege. Es muss sicher nicht besonders hervorgehoben werden, weil mittlerweile als „Allgemeingut“ voraussehbar, dass es in der Altenpflege einen erheblichen Personalmangel gibt, vor allem in den Pflegeheimen, wo immer „schwierigere“ Fälle im Sinne einer steigenden Pflegeintensität der dort zu pflegenden Menschen beobachtbar sind. Das durchschnittliche Heimeintrittsalter steigt immer mehr an, viele, die dann kommen, haben einen deutlich höheren Pflegebedarf als früher und der Anteil der Menschen mit einer Demenzerkrankung wird immer größer. Das alles hat Folgen für den Bedarf an Pflegekräften. Immer wieder wurde und wird dabei kritisiert, dass neben der rein pflegerischen Versorgung, die oftmals angesichts der realen Personalsituation nur mit Müh und Not aufrechterhalten wird, andere wichtige Dinge wie Zuwendung oder soziale Aktivierung zu kurz kommen müssen. Da ist dann schlichtweg keine Zeit für sowas wie Vorlesen oder den pflegebedürftigen Menschen mal an die frische Luft zu bringen.

Das wurde schon vor Jahren auch in der Politik erkannt und man hat versucht, darauf zu reagieren – immer natürlich „im Rahmen des Möglichen“. Auslöser für erste Schritte im Sinne einer Verbesserung der Situation war vor dem Hintergrund des steigenden Anteils an Menschen mit einer Demenzerkrankung die Regelung, dass Heime seit 2008 Betreuungsassistenten beschäftigen dürfen. Zu deren Aufgaben gehört etwa, mit Bewohnern spazieren zu gehen, zu basteln oder Sport zu treiben. Zunächst gab es diese Betreuung nur für Menschen mit „eingeschränkter Alltagskompetenz“. Seit Anfang dieses Jahres ist sie für alle Pflegebedürftigen in stationären oder teilstationären Einrichtungen möglich, denn die Ausweitung ist ein Bestandteil des Pflegestärkungsgesetzes I der großen Koalition, das zum 1. Januar 2015 in Kraft gesetzt wurde.

Und in diesem gesetzgeberischen Kontext wird die Ausweitung des Ansatzes, zusätzliche und ergänzend tätige Betreuungskräfte in den Altenheimen einzusetzen, gebührend gefeiert. So kann man beispielsweise der vom Bundesministerium für Gesundheit im Januar 2015 veröffentlichten Broschüre Das Pflegestärkungsgesetz I. Das Wichtigste im Überblick entnehmen:

  • Das Erste Pflegestärkungsgesetz mobilisiert rund eine Milliarde Euro zusätzlich, unter anderem für sogenannte zusätzliche Betreuungsangebote in voll- und teilstationären Einrichtungen.
  • Die Zahl der zusätzlichen Betreuungskräfte steigt deutlich – von bisher rund 25.000 auf bis zu 45.000. Die Aufstockung durch dieses eigens weitergebildete Personal sorgt dafür, dass Pflegebedürftige noch besser bei ihren alltäglichen Aktivitäten unterstützt werden und sich ihre Lebensqualität erhöht.
  • Der Betreuungsschlüssel verbessert sich durch das Pflegestärkungsgesetz von 1 : 24 auf 1 : 20. Zudem stehen die zusätzlichen Betreuungsangebote in den stationären Einrichtungen ab 1. Januar 2015 allen Pflegebedürftigen offen. Das verbessert den Pflegealltag in den voll- und teilstationären Pflegeeinrichtungen deutlich. (BMG 2015: 13)

Das hört sich doch gut an. Genau diese zusätzlichen, ergänzenden Kräfte werden vor Ort dringend gebraucht. Vor allem von vielen Pflegebedürftigen, die ansonsten nicht in die Nähe der Chance auf etwas (mehr) Zuwendung kommen können. Es geht um etwas mehr Lebensqualität.

Offensichtlich baut die Bundesregierung hier einen Ansatz aus, der vor Jahren grundgelegt wurde. Seit Sommer 2008 haben Pflegeheime die Möglichkeit, Betreuungsassistenten zu beschäftigen, die sich speziell um Demenzkranke kümmern. Rechtsgrundlage war das Pflegeweiterentwicklungsgesetz (PfWG) mit dem § 87b SGB XI. Betreuungsassistenten müssen eine Qualifizierungsmaßnahme im Umfang von insgesamt 160 Stunden nachweisen, mit einem vorgeschalteten Orientierungspraktikum von 40 Stunden. Nicht selten hat man ehemals langzeitarbeitslose Menschen in dieses Tätigkeitsfeld vermittelt. Es handelt sich also um Arbeitskräfte unterhalb der Qualifikationsebene der Pflegehelfer. Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass man die Arbeit der Betreuungsassistenten abgrenzen muss gegenüber dem, was Pflegehelfer oder gar examinierte Fachkräfte machen (dürfen/müssen).
Die Heime bekommen einen festen Lohnkostenzuschuss, wenn sie diese Kräfte beschäftigen und die Betreuungsassistenten werden auf der Basis einer angelernten Kraft eingruppiert.

Schaut man in die aktuelle Pflegestatistik des Statistischen Bundesamtes, deren Werte sich auf das Jahresende 2013 beziehen, dann kann man den Angaben zur Personalsituation entnehmen, dass in den stationären Einrichtungen damals insgesamt 685.447 Beschäftigte (insgesamt, nicht nur Pflegekräfte) gezählt wurden. Eigens ausgewiesen werden in einer Größenordnung von 27.864 zusätzliche Betreuungskräfte nach § 87b SGB XI, also 4,1 Prozent des Gesamtpersonals im stationären Bereich (Statistisches Bundesamt, Pflegestatistik 2013, Deutschlandergebnisse, S. 23).

Und jetzt das: Altenheime setzen unqualifiziertes Personal ein, berichtet beispielsweise die Süddeutsche Zeitung: »In Altenheimen in Deutschland werden vermehrt angelernte Helfer für Pflegearbeiten eingesetzt, die sie gar nicht verrichten dürfen. Bundesweit steige die Zahl der sogenannten Betreuungsassistenten, die Heimbewohner sozial begleiten sollen … In vielen Heimen würden Aufgaben, die eigentlich ausgebildete Pfleger übernehmen sollen, von angelernten Helfern ausgeführt – was gegen das Gesetz verstoße. Die Betreuungsassistenten müssten etwa Bewohner allein waschen, im Bett lagern oder ihnen Medikamente verabreichen.« Das bezieht sich auf Recherchen, die in diesem Original-Artikel veröffentlicht wurden: Helfer ersetzen Profi-Pfleger in Altenheimen von Anette Dowideit. Die an sich begrüßenswerte Maßnahme einer Aufstockung der Betreuungsassistenten, die Erleichterung schaffen sollen, hat nicht selten Besorgnis erregende Folgen. »Denn die Betreuungsassistenten werden nach Recherchen … vielerorts rechtswidrig eingesetzt. Sie waschen bettlägerige Bewohner, lagern sie im Bett um, füttern sie oder verabreichen ihnen Medikamente. Alles Aufgaben, die aus gutem Grund ausgebildetem Fachpersonal vorbehalten sind.«

Das konfligiert mit der Tatsache, dass es sich ausdrücklich um Zusatzkräfte handeln soll. Auch der der Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) weist ausdrücklich darauf hin, die Betreuer seien lediglich als Ergänzung zu Altenpflegern vorgesehen, „sie dürfen kein Ersatz sein“.
Offensichtlich, so Dowideit in ihrem Artikel, sieht die Realität ganz anders aus:

»Es meldeten sich Dutzende Pfleger, die berichten, dass in ihren Heimen die Angelernten regelmäßig zur Lagerung Bettlägeriger eingeteilt würden – und diese dann häufig offene Wunden entwickelten, weil sie nicht fachgerecht gelegt und stabilisiert würden. Oder dass die Helfer bettlägerige, schwere Patienten allein aus den Betten und auf die Toilette hieven müssten, ohne die richtigen Handgriffe zu kennen … Pfleger Christian Hübner, der heute in einem Krankenhaus arbeitet, machte während seiner Ausbildung Station in fünf Pflegeheimen – und hat in vieren erlebt, dass die Angelernten gesetzeswidrig eingesetzt wurden. „In einer Einrichtung bekamen die Betreuungsassistenten morgens vier oder fünf bettlägerige Bewohner zugeteilt und mussten sie alleine waschen. Das ist nicht mal mehr grenzwertig“, findet er.«

Wie muss man das einordnen? In dem Artikel wird Johanna Knüppel vom Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe (DbfK) zitiert:

Sie »vermutet, dass die Bundesregierung sehr wohl vom Missbrauch der Betreuungsassistenten wisse – aber schlicht wegsieht. „Anstatt die Pflegefachkräfte in den Heimen tatsächlich zu entlasten, wird die Versorgung auf immer mehr pflegerische Laien übertragen“, sagt sie. Aus politischer Sicht habe eine solche Strategie gleich mehrere Vorteile: „Sie kaschiert die durch den Fachkräftemangel entstandene pflegerische Unterversorgung in vielen Heimen, sorgt für positive Schlagzeilen und gleichzeitig schafft sie Arbeitsplätze für Langzeitarbeitslose.“«

Für viele Arbeitgeber ist das ein betriebswirtschaftlich gesehen eine interessante Personalbeschaffungsvariante, vor allem dann, wenn man – auch wenn das eigentlich rechtlich nicht zulässig ist – faktisch Personallöcher in anderen Bereichen stopfen kann, wo das Personal auch deutlich teurer käme:

»Die Quereinsteiger verdienen in der Regel nicht mehr als den gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde, während ein examinierter Altenpfleger laut einer aktuellen Berechnung der Gewerkschaft Verdi inklusive aller Zulagen auf 17,50 Euro Stundenlohn kommen kann. Dazu kommt: Das Gehalt der Assistenten wird von den Pflegekassen bezuschusst – bei manchen Heimen laut GKV-Spitzenverband so stark, dass sie selbst gar kein Gehalt mehr zuzahlen müssen. Wie viel Zuschuss ein Heim erhält, handelt es mit den Pflegekassen vor Ort aus.«

Und wieder einmal haben wir ein starkes Gefälle hin zur (Nicht-)Kontrolle, denn was diese Kräfte tatsächlich tun, wird von keinem kontrolliert und steht auch bei den Prüfungen des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen nicht auf der Agenda, dort wird lediglich geschaut, ob die Betreuungsassistenten die vorgeschriebene Qualifizierungsmaßnahme absolviert haben. Nicht aber, wie sie genau eingesetzt werden.

Es handelt sich auch nicht um eine vernachlässigbare Größenordnung. Dowideit zitiert in ihrem Artikel eine Zahlenrelation, die zu denken geben sollte:

»Seit der Einführung dieses Berufs im Jahr 2008 war die Zahl bis Ende 2013 auf knapp 28.000 gestiegen. Und die Bundesregierung prognostiziert, dass es schon bald 45.000 sein werden – so viele wären es, wenn alle Heime die ihnen für ihre Bewohner zustehenden Kräfte demnächst einsetzen. Zum Vergleich: Die Zahl der ausgebildeten Altenpfleger, die in den 13.000 Heimen bundesweit arbeiten, liegt nur gut dreimal höher, nämlich bei 151.000.«

Dowideit berichtet in ihrem Artikel von konkreten Beispielen, wo seit Anfang des Jahres zahlreiche Betreuungsassistenten neu eingestellt wurden und werden, die dann Arbeit auf Abruf machen sollen. »Rund um die Uhr sollen die Angelernten einsatzbereit sein für die Heimkette, theoretisch auch mitten in der Nacht – obwohl sie ihren gesetzlich erlaubten Tätigkeiten, also mit den Bewohnern Karten spielen, gärtnern, ihnen vorlesen – zu dieser Zeit wohl kaum nachkommen können. Der Betriebsrat der Heimkette vermutet, dass die Betreuungsassistenten als billige Alternative zum Pfleger im Nachtdienst eingesetzt werden könnten.«

Manche Heimbetreiber sind auch ganz ehrlich, was sie wollen, bis man sie entdeckt: »Zum Beispiel die privatwirtschaftliche Kette Compassio mit Sitz in Ulm, die 24 Standorte betreibt. In einer Stellenanzeige, die sie auf einem Internetportal schaltete, ist zu lesen: „Sie sind für die soziale Betreuung unserer Bewohner verantwortlich und verrichten zudem grundlegende pflegerische Tätigkeiten.“ Eine Sprecherin des Unternehmens sagt dazu auf Anfrage, beim Formulieren der Anzeige sei ein Fehler unterlaufen. Die knapp 100 bei Compassio angestellten Betreuungsassistenten würden keinesfalls pflegerische Aufgaben übernehmen.«

Es hat seine eigene betriebswirtschaftliche Rationalität:  Wenn dieses zusätzliche Angebot an Personal auf Einrichtungen trifft, die in den Bereichen, für die das zusätzliche Personal gar nicht zuständig sein soll, erhebliche Personalmangelprobleme hat, dann liegt es nahe, dass es entweder „lebenspraktisch“ bedingt auch bei keiner Vorgängen Absicht zu zahlreichen Überschneidungen kommen kann zwischen dem, was Betreuungskräfte tun und was Pflegekräfte tun – gerade bei teamorientierten Arbeiten ist das zu arbeiten. Und mancher Arbeitgeber wird das auch bewusst nutzen, um Löcher zu stopfen.

Damit hier kein Missverständnis aufkommt: Der Ansatz und Einsatz zusätzlicher, ergänzender Betreuungsassistenten wird hier ausdrücklich befürwortet. Damit verbunden ist die Möglichkeit einer erheblichen Steigerung der Lebensqualität der Pflegebedürftigen in den Heimen.

Wenn, ja wenn man sich an das hält, was in den – ich kann nichts für den Titel – „Richtlinien nach § 87b Abs. 3 SGB XI zur Qualifikation und zu den Aufgaben von zusätzlichen Betreuungskräften in stationäre Pflegeeinrichtungen (Betreuungskräfte-Rl) vom 19. August 2008 in der Fassung vom 29. Dezember 2014″ im § 2 über die „Grundsätze der Arbeit und Aufgaben der zusätzlichen Betreuungskräfte“ normiert worden ist:

Die Aufgabe der zusätzlichen Betreuungskräfte ist es, die Anspruchsberechtigten zum Beispiel zu folgenden Alltagsaktivitäten zu motivieren und sie dabei zu betreuen und zu begleiten:
– Malen und basteln,
– handwerkliche Arbeiten und leichte Gartenarbeiten,
– Haustiere füttern und pflegen,
– Kochen und backen,
– Anfertigung von Erinnerungsalben oder -ordnern,
– Musik hören, musizieren, singen,
– Brett- und Kartenspiele,
– Spaziergänge und Ausflüge,
– Bewegungsübungen und Tanzen in der Gruppe,
– Besuch von kulturellen Veranstaltungen, Sportveranstaltungen
– Gottesdiensten, und Friedhöfen,
– Lesen und Vorlesen,
– Fotoalben anschauen.

Die Betreuungskräfte sollen den Anspruchsberechtigten für Gespräche über Alltägliches und ihre Sorgen zur Verfügung stehen, ihnen durch ihre Anwesenheit Ängste nehmen sowie Sicherheit und Orientierung vermitteln. Betreuungs- und Aktivierungsangebote sollen sich an den Erwartungen, Wünschen, Fähigkeiten und Befindlichkeiten der Anspruchsberechtigten unter Berücksichtigung ihrer jeweiligen Biographie, ggf. einschließlich ihres Migrationshintergrundes, dem Geschlecht sowie dem jeweiligen situativen Kontext orientieren.

Damit wäre sehr viel gewonnen. Wenn, ja wenn es darum gehen würde.

Die Pflege allein zu Haus. Diesseits und jenseits der auch am diesjährigen Tag der Pflege vorgetragenen warmen Worte braut sich was zusammen

Der internationale Aktionstag „Tag der Pflege“ („International Nurses Day“, eigentlich müsste man also richtigerweise von „Tag der Krankenschwestern und -pfleger sprechen) am 12. Mai wird in Deutschland seit 1967 veranstaltet. Es ist der Geburtstag von Florence Nightingale, der Begründerin der systematischen Krankenpflege. Solche mehr oder weniger sinnvollen Tage des … werden dann gerne genutzt, um den Müttern, Vätern (kommt diese Woche auch noch) oder wem auch immer seine Aufwartung zu machen und auf die Schulter zu klopfen.

Aber sie können auch einen Impuls setzen, einen etwas genaueren Blick zu werfen auf das, was da meistens als toll, wertvoll und unverzichtbar semantisch eingenebelt wird. Gerade im Bereich „der“ Pflege ist das auch wahrlich dringend angezeigt. Wobei die Anführungsstriche bereits andeuten, dass es mit „der“ Pflege gar nicht so einfach ist.

Welche Pflege meinen wir denn? Die in den Krankenhäusern oder Psychiatrien? Die in den Altenpflegeheimen oder ambulanten Pflegedienste, die wiederum nicht nur die Pflegebedürftigen nach dem SGB XI betreuen, sondern auch in die häusliche Krankenpflege nach dem SGB V involviert sind und damit die versorgen, die immer schneller aus den unter Fallpauschalenbedingungen agierenden Kliniken wieder ausgestoßen werden (müssen)? Oder meinen wir vielleicht die „24-Stunden-Pflege“ eines demenzkranken Familienangehörigen in seinem häuslichen Umfeld mithilfe einer osteuropäischen Pflege- oder Betreuungskraft? Oder die Pflege der vielen Angehörigen, die das allein machen, ohne auf professionelle Unterstützung zurückzugreifen? Bereits diese erste Annäherung verdeutlicht, dass wir es mit einem mehr als unübersichtlichen Gelände zu tun haben.

Sozialpolitisch im engeren Sinne besonders relevant sind dann beispielsweise solche Äußerungen:

»Mit eindringlichen Worten hat die Freie Wohlfahrtspflege in NRW Reformen bei der Pflege angemahnt. „Es wird einen gesellschaftlichen Knall geben», warnte der Vorsitzende der Freien Wohlfahrtspflege, Ludger Jutkeit, am Dienstag in Düsseldorf. Bis 2030 werde die Zahl der Pflegebedürftigen im bevölkerungsreichsten Bundesland nach offiziellen Behörden-Schätzungen auf 700.000 ansteigen, bis 2050 sogar auf 930.000. Unter dem Motto „Wir für Sie“ haben die Mitgliedsverbände am Dienstag eine landesweite „Initiative für eine gute Pflege heute und in Zukunft“ gestartet.
Dringend nötig sei eine Aufwertung des Pflegeberufs, forderte Jutkeit. Mehr wohnortnahe Pflegeangebote seien ebenso notwendig wie eine stärkere Einbindung von Ehrenamtlichen. „Sonst werden wir das nicht schaffen“, betonte der Vorsitzende der Freien Wohlfahrtspflege. Bereits jetzt werden knapp 580.000 kranke und alte Menschen in NRW gepflegt. Knapp ein Drittel lebt nicht mehr zu Hause, sondern in Heimen.«

Dabei ist das noch eine sehr zurückhaltend formulierte Stellungnahme mit kritischen Tönen. Aus den Reihen der Pflege selbst kommen da ganz andere Stimmen und auch die Medienberichte als gesellschaftliches (Problem-)Beobachtungssystem zeichnen überwiegend ein düsteres Bild von der Pflege. Hier nur einige Beispiele aus der aktuellen Fernseh-Berichterstattung:

Kontraste: Streit um abgelegene Dörfer für Demenzkranke (07.05.2015)
Zur Betreuung und Pflege von Demenzkranken gibt es in Deutschland erste „Demenzdörfer“. In diesen Einrichtungen soll den Erkrankten in einem Maße Sicherheit und Bewegungsfreiheit ermöglicht werden, was sie in konventionellen Heimen nicht finden. „Demenzdörfer“ liegen meist abseits, dort, wo bauen preiswert ist. Die Betreiber werden hart kritisiert: Inklusion sei da nicht möglich, die Kranken würden einfach abgeschoben. Obwohl gerade die dort alles finden, was sie brauchen.

Zu wenig Pfleger für zu viele Heimbewohner – bereits jetzt ist zu spüren, was angesichts immer älter werdender Generationen auf uns zukommt. Das Problem: Es entscheiden sich viel zu wenige Menschen für einen Job als Pflegekraft. die story stellt die Frage: Was macht diesen Job so unattraktiv? Djamila Benkhelouf und Philipp Kafsack begleiten zwei erfahrene Pflegekräfte bei ihrer Arbeit in einem Haus für demenziell erkrankte Menschen und bekommen einen intensiven Einblick in diesen emotional und körperlich extrem herausfordernden Beruf. Gleichzeitig überprüft die story die groß angekündigte Pflegereform der Bundesregierung auf deren Praxistauglichkeit und trifft eine Frau, die Deutschland verlassen hat, weil sie die miserablen Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte hier nicht mehr ertragen hat. die story will wissen: Sind die Pfleger Opfer eines völlig veralteten und falsch organisierten Pflegesystems? Und was bringt die Pflegereform tatsächlich?
Alte Menschen, die krank oder dement sind, brauchen Pflege. In Deutschland sind das zweieinhalb Millionen. Doch die Rente reicht oft nicht aus, um die Kosten zu decken, etwa eine Unterbringung im Heim. Deshalb sind heute schon 40 Prozent der Pflegebedürftigen auf das Sozialamt angewiesen. Und es werden immer mehr. Die Autoren Hauke Wendler und Carsten Rau haben gefragt: Was läuft bei der Pflege falsch? Was sollten Betroffene und ihre Angehörigen wissen?

Report Mainz: Riskante Nächte im Pflegeheim (14.04.2015)
In vielen Pflegeheimen arbeiten viel zu wenig Nachtwachen, teilweise ist eine Pflegekraft für 90 Bewohner verantwortlich. Die bayerische Pflegeministerin will das jetzt ändern.

WDR tag 7: Pflege macht arm (07.04.2015)
Sieben Jahre lang hat sie ihre schwerkranke Mutter gepflegt, rund um die Uhr. Jetzt aber, nach dem Tod der Mutter, nimmt Renate Lonn die Fäden ihres Lebens wieder auf. Sie will raus aus Hagen. Die Realität aber treibt sie ins Jobcenter, sie muss Hartz IV anmelden.

Wir sind noch gar nicht auf Betriebstemperatur beim Verlinken der aktuellen Beiträge, stoppen aber an dieser Stelle in Anbetracht des wahrscheinlichen Einwands des einen oder der anderen, dass das eben eine sehr verzerrte Wahrnehmung dessen sei, was Pflege ist, denn Medien neigen bekanntlich dazu, oft oder ausschließlich einen eher skandalisierenden, zumindest einen nur problem- bzw. defizitfokussierten Zugang zum Thema zu wählen.
Aber auch die eher wissenschaftlich fundierte Literatur ist da nur graduell – nicht aber von der Richtung – anders, natürlich mit einem höheren Differenzierungsgrad versehen. Aus der Vielzahl an Studien zu den sehr unterschiedlichen Bereichen seien hier nur neuere Arbeiten zu einem Teil des Pflegesystems exemplarisch herausgegriffen, der immer im Schatten der Pflegedebatte steht: Die zahlreichen osteuropäischen Pflegekräfte und Haushaltshilfen, die in vielen deutschen Familien dafür sorgen, dass Pflegebedürftige zu Hause versorgt werden können und (noch) nicht ins Heim müssen.
Patrycja Kniejska thematisiert in ihrer im Mai 2015 veröffentlichten Expertise die All-inclusive-Pflege aus Polen in der Schattenzone. Ergebnisse von Interviews mit polnischen Pflegekräften, die in deutschen Privathaushalten beschäftigt sind. In diesem Kontext sei auch auf die im Juli 2014 publizierte Expertise Haushaltsnahe Dienstleistungen durch Migrantinnen in Familien mit Pflegebedürftigkeit. 24 Stunden verfügbar – Private Pflege in Deutschland von Andrea von der Malsburg und Michael Isfort hingewiesen. Man muss sich an dieser Stelle darüber im Klaren werden, dass die meisten dieser Menschen in halb-legalen bzw. illegalen Verhältnissen arbeiten (müssen), die seit Jahren beklagt werden und die es mit sich bringen, dass die Betroffenen hier bei uns eigentlich – wenn es denn jemand kontrollieren würde – ständig mit einem Bein im Gefängnis stehen.

Die Politik ist seit vielen Jahren über diesen Tatbestand informiert, vergleiche dazu beispielsweise meine Ausführungen in dem bereits 2010 erschienenen Paper Abschied von einer „Lebenslüge“ der deutschen Pflegepolitik. Plädoyer für eine „personenbezogene Sonderregelung“ und für eine aktive Gestaltung der Beschäftigung von ausländischen Betreuungs- und Pflegekräften in Privathaushalten). Faktisch nutzen wir in erheblichem Umfang das immer noch enorme Wohlstandsgefälle zwischen Osteuropa und uns in Form der Beschäftigung von osteuropäischen Pflegekräften und Haushaltshilfen zu unseren Gunsten aus, aber die politischen Entscheidungsträger agieren weiterhin im Grunde nach dem Vogel-Strauß-Prinzip.  Gleichzeitig sind die betroffenen Menschen aus Osteuropa in der unguten Situation, dass sie im Regelfall alleine auf sich gestellt in Privathaushalten arbeiten, ohne dass es eine systematische Einbettung und Begleitung durch Außenstehende gibt, was selbstverständlich Ausbeutungssituationen befördert. Hinzu kommt die Tatsache, dass die Frauen in ihren Herkunftsländern erhebliche Lücken reißen, den viele von Ihnen haben kleine Kinder, die sie oft monatelang zurücklassen müssen. Außerdem fehlen viele von ihnen in den Pflegesystem ihrer Länder. Das teilen Sie dann mit den vielen Ärzten aus Osteuropa, die mittlerweile in deutschen Krankenhäusern den Zusammenbruch des medizinischen Versorgungssystems gerade in den ländlichen Regionen bei uns verhindern. 

An dieser Stelle soll ein Blick auf die mehr als heterogenen Pflegewelt geworfen – und mit einem besonderen Fokus auf die Menschen, die in der Pflege arbeiten – die Frage gestellt werden, was denn die zentrale Baustellen in der Pflegelandschaft sind. Nicht wirklich überraschend landen wir da bei einigen wenigen zentralen Entwicklungen, die wir auch aus anderen Handlungsfeldern der Sozialpolitik kennen, die aber in der Pflege – sowohl in den Krankenhäusern wie auch in der Altenpflege – massive Schneisen geschlagen haben, mit der Folge einer erheblichen Druckzunahme im Kessel.

Wenn man es auf den Punkt bringen muss, dann lässt sich sagen, dass in den beiden großen Bereichen der Pflege in den vergangenen Jahren Prozesse stattgefunden haben, die dazu führen, dass nicht nur generell davon gesprochen werden muss, dass zu wenig Pflegepersonal vorhanden ist, sondern dieses dann auch noch ständig unter Volllast-Bedingungen arbeiten muss. Man kann sich das sowohl mit Blick auf die Krankenhäuser wie auch auf die Altenheime ganz einfach verdeutlichen:
  • Anfang des Jahrtausends wurde die Finanzierung der Krankenhäuser in Deutschland fundamental umgestellt, von der bis dahin dominierenden Finanzierung über tagesgleiche Pflegesätze in zu einem Fallpauschalensystem auf DRG-Basis. Die Absicht, die mit diesem Systemwechsel damals verbunden war, wurde keineswegs verschwiegen: Es ging um eine bewusste Ökonomisierung der Krankenhäuser dergestalt, dass die Kosten der Krankenhausbehandlung dadurch gesenkt werden sollten, dass die Patienten immer kürzer zu behandeln sind und gleichzeitig auf die Kliniken ein enormer Spezialisierungsdruck ausgeübt wurde. Beide Effekte sind eingetreten – allerdings mit der für das Pflegepersonal durchaus als fatal zu bezeichnenden Folge, dass die – wie gesagt beabsichtigte – deutliche Erhöhung der Umschlagsgeschwindigkeit der Patienten dazu geführt hat, dass man in den Krankenhäusern nur noch mit pflegeintensiven Fällen konfrontiert ist und der in früheren Zeiten immer vorhandene Puffer an Patienten, die letztendlich in den letzten Tagen ihres Aufenthalts lediglich Hotellerie-Leistungen in Anspruch genommen haben, nicht mehr vorhanden ist. In der Konsequenz für das natürlich dazu, dass das Pflegepersonal permanent unter Druck arbeiten muss, weil es eine Konzentration im Sinne einer deutlichen Zunahme der Pflegeintensität gegeben hat.
  • Einen durchaus vergleichbaren Prozess haben die Altenheime in Deutschland in den vergangenen zwanzig Jahren durchgemacht. wenn man früher ein Altenheim betreten hat, dann wurde man mit einer typischen Drittel-Mischung der Bewohner konfrontiert. Ein Drittel der Menschen waren noch so fit, dass sie im wesentlichen nur auf Hotellerie-Leistungen angewiesen waren  Und in unterschiedlicher Art und Weise durchaus am gesellschaftlichen Leben innerhalb des Heims teilnehmen konnten. Ein weiteres Drittel der Bewohner war normal und das andere schwer pflegebedürftig. Wenn man heute in ein Pflegeheim in Deutschland kommt, dann wird man mit einer ganz anderen Konstellation konfrontiert: Das durchschnittliche Heimeintrittsalter liegt bei über 85 Jahren und die meisten Bewohner sind in der Pflegestufe zwei oder drei und der Anteil der Demenz Kranken beläuft sich oft auf über 60 %. Wir sehen etwas, was der Heimkritiker Klaus Dörner als „Konzentration der Unerträglichkeit“ für beide Seiten im Pflegeprozess, also für die Bewohner wie auch für die Pflegekräfte, bezeichnet hat. Eine – wohl gemerkt aus Sicht der Institutionen und der dort arbeitenden Menschen – „gesunde“ Mischung der Bewohnerschaft ist heute nicht mehr gegeben. Auch hier haben die Pflegeintensität und die damit verbundenen Belastungsprofile ganz enorm zugenommen. 
Insofern kann man – summa summarum – die an vielen Stellen von den Pflegekräften vorgetragenen Klagen über eine dauerhafte Überlastung absolut nachvollziehen. Angesichts der deutlichen Verschiebung der Grundgesamtheit ihrer „Kunden“ in Richtung auf schwerere Fälle bringt es mit sich, dass immer mehr Pflegekräfte im wahrsten Sinne des Wortes „auf dem Zahnfleisch gehen“.
Was wäre die eigentliche Konsequenz, die man aus einer solchen Situation beziehen müsste? Natürlich, die Gewerkschaften als Vertreter der Arbeitnehmer müssten versuchen, die Arbeitsbedingungen des Personals (wieder) zu verbessern. Aber die in diesem Bereich zuständige Gewerkschaft Verdi bewegt sich eben nicht auf einem normalen Markt, sondern die Finanzierung der Krankenhäuser wie auch der Pflegeheime wird im wesentlichen determiniert über administriere Preise, die vom Staat bzw. den Sozialversicherungen – wenn auch formal in Verhandlungen – diktiert werden. Und wie soll beispielsweise ein Pflegeheim, dessen Gesamtkosten anteilig zu 70 % oder mehr aus Personalkosten besteht, die Vergütungen der Pflegekräfte deutlich anheben, wie es vielleicht bzw. sicher angebracht wäre, wenn die so genannten „Kostenträger“ über harte Budgetregeln eine solche Maßnahme aufgrund der begrenzten Refinanzierung gar nicht zulassen.

Gerade in solchen Systemen zeigt sich die besondere Bedeutung und Sinnhaftigkeit von – idealerweise auf fachwissenschaftlicher Basis kalkulierter – Standards, beispielsweise einer konkreten Verpflichtung, bestimmte Personalschlüssel zu realisieren. Gerade im Krankenhausbereich wird darüber seit vielen Jahren erbittert diskutiert und gestritten. Und natürlich versucht die Krankenhaus-Seite jeden Vorstoß in diese Richtung abzublocken und zu verhindern.
Aber wir sehen erste zarte Pflänzchen des Widerstands gegen die ständige Verweigerungshaltung hinsichtlich der angesprochenen Standards der Personalausstattung. Vgl. dazu mit Blick auf die Krankenhäuser den Diskussionsbeitrag Personalbesetzungsstandards für den Pflegedienst der Krankenhäuser: Zum Stand der Diskussion und möglichen Ansätzen für eine staatliche Regulierung von Michael Simon aus dem vergangenen Jahr oder auch die Studie Instrumente zur Personalbemessung und ‐finanzierung in der Krankenhauspflege in Deutschland von Dominik Thomas, Antonius Reifferscheid, Natalie Pomorin und Jürgen Wasem.
Auch die Beschäftigten selbst haben in jüngster Zeit die Initiative in diesem Bereich ergriffen und das, was beispielsweise an der Charité in Berlin abgelaufen ist, kann gar nicht hoch genug bewertet werden: »Die Krankenschwestern und -pfleger gehen auf die Barrikaden: Sie wollen kommende Woche streiken. Es geht ihnen nicht um mehr Geld, sondern um mehr Personal auf den Stationen«, so  Jörn Boewe und Johannes Schulten in ihrem Artikel Diagnose: Heilung kaum mehr möglich. Da wurde im Vorfeld über den damals noch geplanten Streik der Pflegekräfte an der Charité berichtet. Und die Forderung hinter der damaligen Streikandrohung geht so:

»Es ist ein ungewöhnlicher Ausstand. Denn es geht dabei nicht um mehr Geld, sondern um mehr Personal auf den Stationen. Eine Pflegekraft soll auf einer Normalstation nicht mehr als fünf Patienten betreuen, auf Intensivstationen zwei, fordert die Gewerkschaft Verdi. Nachts soll niemand mehr allein auf einer Station eingesetzt werden. Derzeit betreut eine Pflegekraft an der Charité im Schnitt zwölf Patienten.«

Und die Pflegekräfte haben durchaus konsequent ihr Anliegen vorangetrieben: „Gravierender Warnstreik“ an der Charité – 400 Operationen fallen aus, so eine der vielen Schlagzeilen. »Der Charité-Ausstand ist im Kern ein politischer Streik – er fordert nicht nur die Universitätsklinik, sondern das Gesundheitswesen heraus. Zu Recht«, so die Kommentierung von Hannes Heine unter der Überschrift Ein krankes System:

»Manchmal macht eine Handvoll engagierter Männer und Frauen einen Unterschied, der bald Hunderttausende, mittelbar gar Millionen betreffen wird. Als am Montag der Streik an der Charité begann, könnte das so ein Moment gewesen sein: Die Schwestern und Pfleger der Universitätsklinik legten die Arbeit nicht etwa nieder, weil sie mehr Lohn wollten – obwohl viele von ihnen auch damit einverstanden wären. Die Streikenden fordern hingegen mehr Kollegen auf den Stationen. Sie wollen nachts nicht mit 25 Patienten allein sein, sie wollen mit Schwerkranken reden, ohne gleich zum nächsten Patienten hetzen zu müssen, sie wollen Überstunden abbauen, statt anzuhäufen. Kurz: Sie wollen ein anderes Gesundheitssystem.«

Und er fügt an: »Bislang ist es nur den Ärzten gelungen, aus den gedeckelten Töpfen mehr zu erkämpfen. Die Pflegekräfte aber werden kaum irgendwo in der westlichen Welt so verheizt wie in Deutschland. Selbst in den USA gehen Kliniken pfleglicher mit ihrem Personal um.«
Und auch in der Altenpflege geht es immer wieder und immer stärker um dieses eine Thema: mehr Personal ist erforderlich.

Warum aber tut sich dann so wenig? Neben vielen anderen Aspekten muss man schlichtweg zur Kenntnis nehmen, dass das Arbeitsfeld, in dem sich die Pflegekräfte bewegen, eben nicht vergleichbar ist mit einer Automobilfabrik bei Daimler oder VW, die man durchaus lahmlegen kann durch eine Streikaktion, ohne dass deshalb die Republik zum Stillstand kommt oder neben den Schäden für die Arbeitgeber irgendwelche weiteren Auswirkungen auf die Bürger zu beobachten sind. Denn, seien wir ehrlich: Ein Streik in einem Pflegeheim ist erst einmal eine apokalyptische Vorstellung für die Betroffenen, die ja 24 Stunden am Tag den Pflegekräften im positiven wie negativen Sinne ausgeliefert sind. Und auch viele Pflegekräfte äußern genau an dieser Stelle ihre Vorbehalte bzw. ihrer Ablehnung von „klassischen“ Streikaktionen.
Vor diesem Hintergrund werden viele Pflegekräfte überaus aufmerksam den derzeit laufenden und mittlerweile unbefristeten Streik der Erzieher/innen in den kommunalen Kindertageseinrichtungen beobachten und verfolgen. Denn die sind mit den gleichen Problemen konfrontiert, die wir auch in der Pflege antreffen. Sollte es den Gewerkschaften Verdi und GEW gewinnen, die streikenden Erzieherinnen zu einem halbwegs akzeptablen Tarifergebnis zu führen, dann wird sich über kurz oder lang auch und gerade bei den Pflegekräften, die in teilweise noch desaströseren  Arbeitsbedingungen fest hängen, ein großer Arbeitskampf entwickeln, um anzuschließen an die neuere Entwicklung bestimmter Berufe oder Branchen, denen es nicht nur, aber auch aufgrund ihrer Streikfähigkeit gelungen ist, der Gegenseite zu signalisieren, dass man eben nicht mehr alles mit ihnen machen kann.
Der Pflege bzw. korrekter: den Menschen, die pflegen,  wäre genau das wirklich zu wünschen.

Teilkasko-Dilemmata: Die Pflege zwischen steigenden Heimkosten und Eltern, die ihre Kinder brauchen bzw. die von den Sozialämtern gebraucht werden

Bewohner von Pflegeheimen müssen immer mehr selbst zahlen, so Timot Szent-Ivanyi in seinem Artikel Kosten für Pflegeheime steigen deutlich. Dabei sind die Leistungen aus der Pflegeversicherung doch erst zum 1. Januar 2015 angehoben worden. Aber die Heimbewohner  müssen mehr aus der eigenen Tasche bezahlen als vor dem Inkrafttreten der Reform. Das zumindest zeigen Berechnungen des Verbandes der privaten Krankenversicherung (PKV). Die Zahlen aus der PKV-Pflegedatenbank gelten für alle Versicherten, da die private und die gesetzliche Pflegeversicherung die gleichen Leistungen haben. Szent-Ivanyi berichtet über die Situation am Beispiel der rund 380 Pflegeheime, wobei die Daten auch zeigen, dass die durchschnittlichen Heimkosten in der Hauptstadt über dem bundesdeutschen Durchschnitt liegen. Die Ursache für die steigenden Eigenbeträge der Pflegebedürftigen ist einfach: Die Kosten für einen Heimplatz steigen stärker als die Leistungen aus der Pflegeversicherung. »Die wachsenden Eigenanteile bestätigen einen längerfristigen Trend: Die Leistungen der Pflegeversicherung werden schleichend entwertet, weil die Kosten stärker steigen als die Zuweisungen aus der Pflegeversicherung. Berechnungen haben ergeben, dass die Leistungen seit Einführung der Pflegeversicherung im Jahre 1995 mehr als 25 Prozent an Wert verloren haben. Auch die zum 1. Januar diesen Jahres erfolgte Erhöhung der Zahlungen um vier Prozent hat den Wertverfall nicht stoppen können«, bilanziert Timot Szent-Ivanyi.

Man kann das angesprochene Auseinanderlaufen von Heimkosten und Leistungen aus der Pflegeversicherung am Beispiel von Berlin verdeutlichen:

»Zum 1. Januar 2015 wurden mit der Pflegereform die Zuweisungen für einen Heimplatz je nach Pflegestufe zwischen 41 und 62 Euro angehoben. In der höchsten Pflegestufe III werden derzeit beispielsweise 1.612 Euro gezahlt. Die durchschnittlichen Heimkosten kletterten jedoch stärker, und zwar abhängig vom Pflegebedarf zwischen 56 und 77 Euro. Wer die Pflege nach der Stufe I benötigt, muss derzeit in Berlin für einen Heimplatz im Schnitt 2.756 Euro zahlen. In Stufe II sind 3.336 Euro fällig, in Stufe III 3.750 Euro. Im Bundes-Schnitt sind die Heime jeweils rund 300 Euro billiger.
Damit steigen die Anteile, die die Hilfebedürftigen in Berlin selbst aufbringen müssen, trotz verbesserter Pflegeleistungen an. Der Eigenanteil in Pflegestufe I wächst um rund 15 Euro auf 1.692 Euro, in der Stufe II um 18 Euro auf 2.006 Euro und um 15 Euro auf 2.138 Euro in der Stufe III.«

Das sind erhebliche Beträge, die natürlich bei vielen Menschen weit über dem liegen, was sie an Renten haben. Kann ein Pflegebedürftiger diese Beträge nicht aus seinen Alterseinkünften und/oder seinem Vermögen zahlen, ist er auf Sozialhilfe angewiesen. Die Sozialämter können sich das Geld bei den Kindern zurückholen, womit wir schon bei der nächsten großen Baustelle wären.

Kathrin Gotthold greift dieses in den vor uns liegenden Jahren mit Sicherheit an individueller Betroffenheit und gesellschaftlicher Brisanz gewinnende Thema in ihrem – etwas reißerisch überschriebenen – Artikel So riskieren Eltern die Existenz ihrer Kinder ausführlich auf.

»2,63 Millionen pflegebedürftige Mitmenschen gab es bereits Ende 2013 in Deutschland. Das sind 125.000 mehr als 2011 – ein Anstieg um fünf Prozent. Im Jahr 1999 zählte Deutschland noch rund zwei Millionen Pflegebedürftige. Prognosen zufolge steigt ihre Zahl bis 2050 um weitere rund zwei Millionen.«

Gotthold bezieht sich dabei auf die aktuellsten Daten der Pflegestatistik 2013, deren Deutschlandergebnisse vom Statistischen Bundesamt vor kurzem veröffentlicht worden sind. Für das Thema hier besonders relevant: 764.000 Pflegebedürftige, das sind 29% aller Pflegebedürftigen, wurden vollstationär in 13.000 Pflegeheimen mit 675.000 Beschäftigten betreut.

Können Eltern im Alter die Kosten für die Pflege oder die Heimunterbringung nicht mehr aufbringen, wendet sich das Sozialamt an die Kinder. Und dann merken erst viele, dass es nicht nur eine Unterhaltsverpflichtung der Eltern gegenüber ihren Kindern gab, sondern es gibt auch den umgekehrten Weg, den „Elternunterhalt“ nach § 1601 BGB – und immer mehr Sozialämter gehen konsequent diesen Weg, um sich ein Teil der steigenden Ausgaben für die Hilfe zur Pflege von den Kindern wieder zurückzuholen und diese an der Finanzierung vor allem der teuren Heimkosten zu beteiligen. Dabei kann nicht nur auf das Einkommen der Kinder zurückgegriffen werden, sondern abzüglich bestimmter Schonwerte auch auf deren Vermögen. So kann das Sozialamt verlangen, dass Kinder ein Ferienhaus oder auch ein unbebautes Grundstück verkaufen. Sicher geschützt ist hingegen das selbst genutzte Familienheim. Unterhaltspflichtig sind nur die Kinder des Berechtigten. Schwiegerkinder sind davon nicht betroffen (BGH, Urteil vom 14.01.2004, Az. XII ZR 69/01). Aber das ist dem Grunde nach nicht begrenzt auf die eigenen Eltern: Grundsätzlich besteht nach dem Gesetz auch eine Unterhaltspflicht der Enkel gegenüber ihren Großeltern. Weil die näheren Verwandten gemäß § 1606 Abs. 2 BGB vor den entfernteren Verwandten haften, müssen Enkelkinder für den Unterhalt der Großeltern aber nur dann zahlen, wenn deren Kinder selbst nicht verpflichtet sind, weil ihr Einkommen und Vermögen zu gering sind.

»Ein im Pflegeheim untergebrachter Elternteil hat Anspruch auf Unterhalt in Höhe der notwendigen Heimkosten zuzüglich eines Barbetrags für die Bedürfnisse des täglichen Lebens (BGH, Urteil vom 19.02.2003, Az. XII ZR 67/00). Letzterer beläuft sich nach § 27b Abs. 2 S. 2 SGB XII derzeit auf mindestens 107,73 Euro im Monat. Die Summe soll die Aufwendungen für Körper- und Kleiderpflege, Zeitschriften, Schreibmaterial und den sonstigen Bedarf des täglichen Lebens decken. Häufig geht der Sozialhilfeträger zunächst in Vorleistung und holt sich das Geld dann von den Kindern zurück. Die zuständige kommunale Behörde macht laut § 94 SGB XII den Anspruch des Heimbewohners seinen Kindern gegenüber geltend und hat auch das Recht, von diesen Auskunft über ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse zu verlangen«, so Britta Beate Schön in ihrem Beitrag Unterhalt von Kindern für ihre Eltern. In einem ersten Schritt wird das bereinigte Nettoeinkommen der Kinder berechnet und davon dann der Selbstbehalt abgezogen nach Maßgabe der Düsseldorfer Tabelle. »Dem Unterhaltspflichtigen steht seit dem 1. Januar 2015 ein Selbstbehalt von 1.800 Euro und für den Ehepartner von 1.440 Euro pro Monat zu. Der Familienselbstbehalt beläuft sich damit derzeit monatlich auf 3.240 Euro. Hinzu kommen Freibeträge für eigene Kinder, die sich ebenfalls nach der Düsseldorfer Tabelle richten.« Und dann kommt die entscheidende Vorschrift: »Tatsächlich an Unterhalt zahlen müssen Kinder von diesem bereinigten und um den Selbstbehalt verminderten Nettoeinkommen die Hälfte.« Beispiel: »Bei einem bereinigten Nettoeinkommen von 2.000 Euro und einem Selbstbehalt von 1.800 Euro ergibt sich ein Unterhaltsanspruch in Höhe von 50 Prozent von 200 Euro, also 100 Euro im Monat.«

Kathrin Gotthold befürchtet in ihrem Artikel eine „Welle von Pflegeverweigerern“ auf die deutschen Gerichte zurollen. Dabei ist eine grundsätzliche Verweigerung des Elternunterhalts nach der bereits vorliegenden Rechtsprechung nur auf wenige, sehr eng abgegrenzte Fallkonstellationen beschränkt. Dazu Britta Beate Schön in ihrem Beitrag: »Elternunterhalt kann nur durch schwere Verfehlungen gegen das Kind nach § 1611 BGB verwirkt werden. Das ist jedoch auf Ausnahmefälle beschränkt (BGH, Urteil vom 15.09.2010, Az. XII ZR 148/09). Eine schwere Verfehlung liegt selbst dann nicht vor, wenn der Vater den Kontakt zu seinem Kind seit 40 Jahren abgebrochen hat und ihn durch Testament bis auf den gesetzlichen Pflichtteil enterbt hat (BGH, Urteil vom 12.02.2014, Az. XII ZB 607/12). Das Kind musste trotzdem zahlen.«

Wenn man sich vor Augen führt, in welchem Ausmaß in den vor uns liegenden Jahren die Zahl der Pflegebedürftigen ansteigen wird und wie viele Menschen darunter sein werden, bei denen die Lücke zwischen dem, was sie aus der eigenen Rente, geringem bis gar nicht vorhandenen Vermögen und den Leistungen aus der Pflegeversicherung zur Abdeckung der Pflegekosten beitragen könnten, und den erwartbar weiter stark ansteigenden Pflegekosten erheblich sein wird, dann muss man keine Studie machen, um zu erkennen, dass die Inanspruchnahme der Kinder über den Elternunterhalt erheblich an Bedeutung gewinnen wird. Und damit zwangsläufig auch die Konfliktintensität, die hier grundsätzlich begründet liegt. Wenn es auch – wie bereits dargelegt – nur sehr wenige Möglichkeiten gibt, sich dem Elternunterhalt zu entziehen, werden dennoch die Gerichtsverfahren deutlich zunehmen, da die Betroffenen mit den Sozialämtern über die konkrete Festlegung der Unterhaltsverpflichtung streiten werden. Dafür werden alleine die vielen Rechtsanwälte sorgen, die sich auf dieses Themenfeld bereit spezialisiert haben bzw. das tun werden. Allerdings gibt es auch Möglichkeiten, wenn man denn zahlen muss, den Staat an den dann zu übernehmenden Pflegekosten zu beteiligen, in dem man diese steuerlich geltend macht (vgl. hierzu den Beitrag So beteiligen Sie den Staat an den Pflegekosten von Barbara Brandstetter).

Darüber hinaus ist das Thema von einer grundsätzlichen sozialpolitischen Bedeutung, zeigt sich an dieser Stelle doch erneut, was es bedeutet, dass die Pflegeversicherung eine Teilkaskoversicherung ist, also eben gerade nicht die gesamten Kosten der Pflegebedürftigkeit, sondern diese nur anteilig abdeckt.

Die scheinbar einfachste Möglichkeit des Umgangs mit dem erwartbar ansteigenden Problemdruck wäre eine Dynamisierung der Leistungen aus der beitragsfinanzierten Pflegeversicherung an die Entwicklung der Pflegekosten, vor allem der Heimkosten. Eine solche Regelung ist nicht nur aus Gründen der Budgetbegrenzung relativ unwahrscheinlich. Sie würde auch zu nicht-trivialen Verteilungseffekten führen, denn von einer Anhebung der Leistungen der Pflegeversicherung würden eben auch und gerade diejenigen profitieren, die über höhere Einkommen und Vermögen verfügen, die sie dann nicht mehr zur Gegenfinanzierung der Pflegekosten einbringen müssten.
Wieder einmal zeigt sich an diesem Beispiel die gleichsam doppelte Bedeutung der Kinder: Zum einen stellen sie die Beitragszahler in der umlagefinanzierten Pflegeversicherung und sorgen damit auch für die Aufbringung der Mittel für die Kinderlosen. Und dann werden sie im Bedarfsfall und bei Erfüllung der Voraussetzungen auch noch ergänzend zum Unterhalt der eigenen Eltern in Anspruch genommen.

Abbildung: Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV): Lücken der Pflegepflichtversicherung (25.04.2015)