Sand im Flughafen-Getriebe. Wenn das von privatisierten Billigheimern an die Wand gedrückte Bodenpersonal den Flugverkehr lahmlegt

Im Jahr 2016 stieg die Zahl der von deutschen Flughäfen abreisenden Passagiere um 3,4 Prozent auf 111,9 Millionen. Das ist nach Angaben des Statistischen Bundesamtes ein neuer Rekordwert. 88,2 Millionen Passagiere entfielen auf den Auslandsverkehr,  23,7 Millionen Passagiere auf den innerdeutschen Luftverkehr. Und darunter sind viele, die nicht nur, aber auch aus beruflichen Gründen in die Hauptstadt fliegen (müssen). Und die haben gerade ein Problem. Am vergangenen Freitag wurde der Flugverkehr für 24 Stunden lahm gelegt, weil das Bodenpersonal die Arbeit verweigert hat. Und wer geglaubt hat, erst einmal eine Zeit lang Ruhe zu haben, wurde am Wochenende mit der nächsten Streikankündigung konfrontiert, die am heutigen Montag Realität geworden ist. Rund 2.000 Beschäftigte des Bodenpersonals an den Flughäfen in Tegel und Schönefeld sind im Ausstand – eigentlich sollte es Dienstag dann wieder normal weitergehen, aber zwischenzeitlich muss man diese Meldung zur Kenntnis nehmen: Streik in Tegel und Schönefeld wird bis Mittwoch verlängert. Das mag den einen oder anderen an die Piloten der Lufthansa oder die Lokführer der GDL erinnern. Aber hier ist die DGB-Gewerkschaft ver.di verantwortlich für die Arbeitskampfmaßnahmen und nicht etwa eine (angeblich) rabiate Spartengewerkschaft, sondern es lohnt aus mehreren Gründen ein Blick auf das, was sich da an den Berliner Flughäfen abspielt.

Beginnen wir mit der Feststellung, dass der jetzt ausgebrochene Arbeitskampf mit der Folge erheblicher Einschränkungen (nicht nur) für die Flugreisenden seit langem absehbar und konsequent ist. Auf den Punkt gebraucht hat das Gerd Appenzeller in seinem Kommentar Dieser Streik war lange absehbar: »Eine unüberlegte Privatisierung wirkt sich jetzt aus. So einfach lässt sich der Streik in Tegel und Schönefeld erklären.« Und weiter:

»Als sich die Länder Berlin und Brandenburg als Miteigentümer der Berliner Flughäfen und die Lufthansa im Jahr 2008 gemeinsam für die Privatisierung der Bodenleistungen auf den Berliner Airports entschieden, machten sie einen guten Schnitt. Die Passagiere leider nicht. Die Gesellschaft Globe Ground, die nach allgemeiner Einschätzung bis dahin ihren Verpflichtungen ordentlich nachkam, wurde zerschlagen. Heute sind auf den Flughäfen in Tegel und Schönefeld mehrere miteinander konkurrierende Unternehmen tätig, die sich um das Be- und Entladen der Koffer, den Check-in und das Einweisen der Flugzeuge kümmern. Alle haben sie Schwierigkeiten, geeignetes Personal zu finden, denn sie zahlen schlecht und machen dennoch Verluste.«

Und Appenzeller legt den Finger auf eine offene Wunde, bei deren Entstehung die Fluggesellschaften eine große Rolle spielen, die derzeit (noch) kaum auftauchen in der Berichterstattung:

»Der Druck durch die Fluggesellschaften auf die Kostenstruktur ist groß. Sie wollen für die Bodendienste möglichst wenig zahlen, das drückt die Gehälter. Der Stundenlohn liegt um elf Euro, Verdi verlangt jetzt eine Erhöhung um einen Euro. Die will die Arbeitgeberseite lediglich über vier Jahre gestreckt hinnehmen. Da viele der 2000 Jobs am Boden nur Teilzeitbeschäftigungen sind, können die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter davon nicht existieren. Sie brauchen einen zweiten Job oder Geld vom Amt.«

An dieser Stelle zeigt sich auch ein Dilemma, in dem sowohl die Gewerkschaft wie auch ihr unmittelbares Gegenüber, also die Unternehmen, die das Bodenpersonal beschäftigen, stecken: Die Gewerkschaft kann und muss zu Recht eine deutliche Verbesserung der Arbeitsbedingungen, in diesem Fall der Vergütung fordern und zu erkämpfen versuchen, die unternehmerische Gegenseite aber hat ihrerseits das Problem, dass sie aufgrund des massiven Preisdrucks seitens ihrer Auftraggeber sogar mit dem praktizierten Billigheimer-Modell Verluste macht, da die Preise nicht auskömmlich sind. Insofern muss an dieser Stelle natürlich die eigentlich entscheidende Frage aufgeworfen werden, welche Verantwortung die Fluggesellschaften, die ja auf die Dienstleistung in Anspruch nehmen, haben. Appenzeller bilanziert völlig zutreffend:

»Was wir in Berlin erleben, ist die klassische Folge einer unüberlegten Privatisierung. Damit konnte man die Löhne der Mitarbeiter drücken, aber der Service wurde schlechter. Qualität hat eben ihren Preis. Und da ist noch die Sicherheitsfrage. Verdi klagt, dass einzig in Berlin der Flughafen die Personalhoheit auf dem Boden aus der Hand gegeben habe. Angesichts der Gefahren durch den Terrorismus eine fahrlässige Entscheidung.«

Und keiner kann sagen, dass das ein Problem sei, das irgendwie aktuell vom Himmel gefallen ist. Beispielsweise berichtete das Politikmagazin Frontal 21 (ZDF) am 21. Oktober 2014 in einem Beitrag unter der Überschrift Auf Kosten der Sicherheit – Billige Arbeitskräfte am Flughafen. Damals wurde über einen Kampf des Bodenpersonals gegen Lohndumping berichtet. »Dem Arbeitgeber sind seine erfahrenen Mitarbeiter zu teuer. Deshalb ersetzt er sie zunehmend durch billigere Angestellte und Leiharbeiter. Das aber kostet Sicherheit, wenn die ohne ausreichende Überprüfung in sicherheitsrelevante Bereiche kommen.«

Der damalige Bericht in einer Kurzfassung: Bis 2008 gehörte das Bodenpersonal zur Lufthansa und zur staatlichen Flughafengesellschaft Berlin-Brandenburg – mit gute Arbeitsbedingungen und guten Löhne. Dann wurde ihre Firma, die GlobeGround, privatisiert und an die WISAG verkauft. Die WISAG ist einer der größten Dienstleister Deutschlands mit 48.000 Mitarbeitern – von der Reinigungskraft bis zum Flughafenpersonal. Nach der Übernahme spaltet die WISAG die GlobeGround kurzerhand auf, gründet Subunternehmen: die AGSB für das Vorfeld, die AWSB für die Werkstatt und die APSB für den Check-in. An diese drei Subunternehmen vergibt die GlobeGround Aufträge für Arbeiten am Flughafen – und kann sie ihnen auch wieder entziehen. Und genau das ist der APSB widerfahren. Alle 220 Check-in-Mitarbeiter verlieren so ihre gut dotierten Arbeitsverträge. Das Check-in übernimmt eine neue Firma, deren Mitarbeiter verdienen deutlich weniger. Man kann es auch so ausdrücken: Das privatisierte Unternehmen privatisiert weiter. Man spaltet weitere Untergesellschaften ab, in denen es dann noch schlechtere Arbeitsbedingungen gibt.

Mittlerweile tummeln sich fünf unterschiedliche Unternehmen rund um die Bodendienste auf den Berliner Flughäfen, die WISAG Aviation Service Holding GmbH, die AHS Aviation Handling Services, die Swissport International Ltd., die AeroGround Berlin GmbH sowie die GROUND SOLUTION, die dann teilweise noch mit Untergesellschaften operieren. Die fünf Unternehmen haben sich zusammengeschlossen im Forum der Bodenverkehrsdienstleister Berlin-Brandenburg, über die auch mit der Gewerkschaft verhandelt wird.

Um was es geht? Die Beschäftigten beim Check-in, beim Be- und Entladen der Flugzeuge und anderen Arbeiten auf dem Vorfeld erhalten derzeit im Durchschnitt etwa elf Euro pro Stunde. Die Gewerkschaft fordert bei einer Vertragslaufzeit von zwölf Monaten einen Euro mehr pro Stunde für die Mitarbeiter des Bodenpersonals. Die Arbeitgeber boten zuletzt die schrittweise Erhöhung der Löhne in allen Entgeltgruppen an – bei einer Laufzeit von drei Jahren und mit einem Gesamtvolumen von acht Prozent mehr Geld.

Über welche Arbeitsbedingungen sprechen wir hier eigentlich? Wie die aussehen erklärt auch, warum 98,6 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder in der Urabstimmung für einen Streik votiert haben. Dazu beispielsweise der Artikel Harte Arbeit, Schichtdienste, 1000 Euro netto von Peter Neumann. Er berichtet von einem Mitarbeiter Mitarbeiter der Firma Wisag Ramp Service:

»„In Tegel bin ich für viele Dinge zuständig. Ich sorge dafür, dass Flugzeuge sicher starten können und koordiniere viele Abläufe. Zum Beispiel achte ich darauf, dass das Gepäck im Laderaum richtig verteilt ist, damit das Flugzeuge nicht in Schieflage gerät. Das ist eine wichtige Aufgabe! 2013 ist in Afghanistan ein Frachtflugzeug abgestürzt, weil offenbar die Ladung verrutscht war.
Ich passe auf, dass Ladegrenzen eingehalten und Gefahrguttransporte richtig verstaut werden. Es geht um einen reibungslosen Verkehr, dass die Flugzeuge pünktlich starten, aber auch um Sicherheitsvorschriften, die einzuhalten sind.
Je nachdem, wann ich welche Schichten haben, bekomme ich pro Monat bis zu 1300 Euro brutto. Netto bleiben mir meist so um die 1000 Euro.  Meine wöchentliche Arbeitszeit beträgt 37,5 Stunden.
Ich arbeite im Schichtsystem. Es gibt viele verschiedene Anfangszeiten. Es kann sein, dass ich morgens um 4.30 Uhr da sein muss, an anderen Tagen erst um 19.30 Uhr. Die Arbeitszeit kann bis 23.30 Uhr dauern. Zum Glück wohne ich nicht sehr weit weg … Über die Wohnung, in der ich jetzt lebe, bin ich froh. Jemand hat mir dabei geholfen, sie zu bekommen. Auf dem freien Markt hätte ich sie mit meinem Lohn nie bekommen … Viele haben als Fachpraktikant in Tegel angefangen. Man muss voll arbeiten, bekommt aber nur Hartz IV und ein Praktikantengehalt, insgesamt um die 800 Euro pro Monat. Normal ist auch, dass man erst mal befristete Arbeitsverträge bekommt, für sechs Monate, ein Jahr, zwei Jahre. Viele von uns haben befristete Verträge, und sie haben Angst, dass sie beim nächsten Mal leer ausgehen. Einige haben nicht an den Warnstreiks teilgenommen, weil sie vom Arbeitgeber unter Druck gesetzt worden sind. Jemand hat mal ausgerechnet, dass jeder Mitarbeiter in der Ladegruppe, der Gepäckverladung, täglich um die fünf Tonnen bewegt. In diesem Bereich, im „Keller“, wie wir hier sagen,  arbeiten vor allem Leiharbeiter. Alle von uns spüren den permanenten Zeitdruck, damit die Maschinen schnell wieder starten.«

Wohlgemerkt, nur ein Beispiel von vielen. Vor diesem Hintergrund ist dann dieser Kommentar mehr als nachvollziehbar: Das Bodenpersonal verdient eine Gehaltserhöhung, so Frederik Bombosch, der auch daran erinnert, dass das alles nicht im luftleeren Raum passiert: »Wie kommt man für 9,99 Euro nach Köln, für 29 Euro nach Lissabon, für 299 Euro nach Miami? Ganz einfach: auf Kosten anderer Leute. Der Boom der Luftfahrt in den vergangenen zwanzig Jahren ist nicht einfach so passiert. Er ist eine Folge der Deregulierung. Und diese hat zwar das wochenendliche Städtehopping bequemer gemacht als je zuvor, aber – huch! – sie erfolgte auf Kosten der Arbeitnehmer … (Auf den Flughäfen) arbeiten Menschen, die sich lange vor dem Morgengrauen aus dem Bett quälen, die durch die engen Laderäume der Flugzeuge kriechen und sich die Rücken ruinieren, wenn sie schwere Koffer wuchten. Menschen, die für die Sicherheit der Fluggäste garantieren müssen – und viele von ihnen gehen mit einem Gehalt nach Hause, das es ihnen selbst nicht erlaubt, jemals mit dem Flugzeug irgendwo hin zu verreisen.« Er geht in seinem Kommentar aber auch auf die bereits angesprochenen schwierigen Bedingungen auf der Unternehmensseite ein –  die Arbeitgeber werden die berechtigten Forderungen der Gewerkschaft nicht erfüllen können, »wenn sich bestimmte Mechanismen nicht ändern. Es ist beispielsweise kein Naturgesetz, dass sich an den Berliner Flughäfen gleich fünf Unternehmen einen Wettbewerb liefern. Die Europäische Union fordert lediglich, dass an zwei Firmen Lizenzen vergeben werden.«

Und dann kommt die entscheidende Schlussfolgerung:

»Es sind aber auch ganz andere Strukturen denkbar. Derzeit beauftragen die Fluggesellschaften die Bodendienstleister. Aber auch die Flughafengesellschaften könnten diese Aufgabe übernehmen – und dann bei den Ausschreibungen Sozialstandards festlegen. So ließe sich der absurde Zustand abstellen, dass in einer boomenden Branche die Gehälter seit Jahren stagnieren. Was einst dereguliert wurde, lässt sich auch problemlos wieder regulieren. Es braucht nur ein bisschen Mut dazu.«

Hier schließt sich übrigens der Kreis zu anderen Entwicklungen, die aus Berlin berichtet werden und die auch was mit Auslagerung von Unternehmensteilen zu tun haben, mit denen man Löhne drücken wollte und auch gedrückt hat. Das ist ein beliebter betriebswirtschaftlicher Mechanismus – auch im Krankenhausbereich. Und da gibt es in Berlin die landeseigene Charité.

»Unter dem Sparzwang des früheren rot-roten Senats wurden die Boten, Wachleute und Reiniger 2006 aus dem Charité-Tarifsystem ausgegliedert und von der eigens gegründeten CFM beschäftigt. Die Tochter gehört zu 51 Prozent der Universitätsklinik, zu 49 Prozent einem Privatkonsortium aus Dussmann, Vamed und Hellmann. Die Charité selbst ist vollständig im Landesbesitz. Viele der 2800 CFM-Mitarbeiter erhalten hunderte Euro weniger Lohn im Monat als die Kollegen, die nach dem Charité-Stammtarif bezahlt werden. Derzeit bekommt ein CFM-Reiniger etwa zehn Euro brutto die Stunde, wie in der Branche üblich. Nach Charité-Stammtarif wären es jedoch rund 15 Euro«, berichtet Hannes Heine in seinem Artikel Senat kauft Charité-Tochterfirma CFM zurück.

Die Charité-Tochter CFM mit fast 2.800 Mitarbeitern soll voraussichtlich 2019 (wieder) vollständig dem Land gehören. Dazu plant der Senat, einen einstelligen Millionenbetrag an die privaten Eigner zu zahlen. Das Verfahren läuft noch, bis Sommer soll Klarheit bestehen. Aber auch wenn das Land wieder alleiniger Besitzer der Charité-Tochterfirma wird, ein Zurück in die alte Welt wird nicht erwartet, man spekuliert eher über einen Kompromiss: »Als wahrscheinlich gilt …, dass der Charité-Tarif nach unten geöffnet wird, dass die Reiniger dann zwar vom Stammhaus bezahlt werden, aber eben nicht 15 Euro, sondern möglicherweise 12,50 Euro bekämen.«

Wie dem auch sei, das Beispiel zeigt, dass wir es hier auch mit einer politischen Frage zu tun haben, dass Politik gestalten kann, wenn sie denn will. Mit Blick auf das Bodenpersonal muss dafür gesorgt werden, dass halbwegs anständige Arbeitsbedingungen auch durchgesetzt werden können auf dem gnadenlosen Schlachtfeld des Wettbewerbs der Fluggesellschaften um „noch billiger“ als bisher. Hier kann und muss man mehr Ordnung auf dem Arbeitsmarkt schaffen, was ja ansonsten gerne Gegenstand vieler Sonntagsreden ist.

Der Taylorismus lebt? Und dann im Büro? Eine Studie meint genau das gefunden zu haben

Überall wird man in den Medien mit Digitalisierung oder Arbeit 4.0 konfrontiert – bei den einen als apokalyptisch daherkommende Version der „Uns geht mal wieder die Arbeit aus“-Vorhersagen, bei anderen als eher als eine Verheißung auf ein interessanteres und anspruchsvolleres Arbeitsleben, in dem wir von den niederen Tätigkeiten befreit werden.
Und nun haben sich Wissenschaftler mit der Zukunft der Arbeit im Büro beschäftigt. Und was haben sie gefunden? Der Büroalltag von Millionen Menschen ist dabei, sich komplett zu verändern. Immer mehr Unternehmen messen die Leistung ihrer Mitarbeiter und standardisieren jede Tätigkeit – der Effizenz wegen. Was der Einzelne leistet, wird genau nachvollziehbar – und endet für viele Arbeitnehmer in großem Stress. So zumindest die Zusammenfassung einiger Befunde in dem Artikel Der Büroalltag wird zur Akkordarbeit von Alexander Hagelüken. „Es wurde irgendwie ein Dauerstress“, zitiert er einen Software-Entwickler über seine Arbeit. „Alle vier Wochen muss was gezeigt werden und man hat immer diese Deadline.“ Früher dagegen sei es nur einmal am Ende der Entwicklung einer Software richtig stressig geworden – „und dann war es gut“. Effizienzkonzepte aus der Industrie krempeln die Tätigkeit der Kopfarbeiter um. Ihr Job wird schneller, messbarer – und im Zweifel anstrengender. Aber die Wissenschaftler sind offensichtlich nicht einseitig auf die dunkle Seite der Medaille fixiert, folgt man diesem Bericht über die Studie: Neue digitale Arbeitsorganisation im Büro zwischen „Empowerment“ und „digitalem Fließband“: »Einerseits droht unter den Stichworten „lean“ und „agil“ die Organisation von Kopfarbeit an einem „digitalen Fließband“, andererseits zeichnen sich neue Möglichkeiten für mehr Selbstbestimmung und ein „Empowerment“ der Beschäftigten ab.«

Wenn der Büromensch bisher morgens in die Firma kam, bestimmte er oft selbst, wie er seine Tätigkeit erledigte. Für einen Austausch mit Kollegen war ebenso Zeit wie für Beschleunigung oder Verringerung des Tempos oder Gedanken über Innovationen. Nun wird die Arbeit immer häufiger zum Akkord wie in der Fabrik – bei dem das Tempo vorgegeben (und womöglich einfach erhöht) wird, die Leistung messbar ist und der Büromensch kaum Einfluss hat, so Alexander Hagelüken in seinem Artikel.

»Vorreiter sind Softwarefirmen, die Produkte früher in langjährigen Laufzeiten entwickelten. Inzwischen zerlegen sie das in einzelne Teile von zwei bis vier Wochen. So entsteht der Dauerstress, von dem der Entwickler spricht, der alle paar Wochen eine Deadline schaffen muss. Gleichzeitig wird der Stand der Arbeit durch digitale Technologie jeden Tag offengelegt – was der Einzelne macht, ist genau feststellbar.
Diese Transparenz zerstört den Schleier, hinter dem Experten bisher werkelten, und ermöglicht scharfe Leistungsvorgaben. Die Taktung der Arbeit verhindert jeden persönlichen Rhythmus.«

Die betriebswirtschaftliche Logik hinter dieser Entwicklung ist relativ simpel: »Die Übertragung schlanker Produktion aus den Fabriken auf die Büros, wobei jeder Schritt ständig hinterfragt und optimiert wird. Und das Konzept der Agilität: Schneller, innovativer und immer auf sich rasch wandelnde Weltmärkte reaktionsbereit zu sein.« Fragt sich nur, ob und wenn ja, wie lange die Leute das mitmachen bzw. durchhalten.

Im Original findet man die Studie hier:

Andreas Boes, Tobias Kämpf, Barbara Langes und Thomas Lühr (2016): „Lean“ und „agil“ im Büro. Neue Formen der Organisation von Kopfarbeit in der digitalen Transformation. Working Paper Forschungsförderung Nr. 23, Düsseldorf: Hans-Böckler-Stiftung, Oktober 2016

Die Hans-Böckler-Stiftung berichtet in ihrer Zusammenfassung der Studie: »Der Wandel macht auch vor den Verwaltungsbereichen nicht Halt. Die Arbeit in den Personal- und Finanzabteilungen oder im Vertrieb werde „immer standardisierter und prozessorientierter“ … Der konkrete Arbeitsgegenstand, zum Beispiel eine Reisekostenabrechnung oder eine Bestellung, wird hier digitalisiert und in den „Workflow“ eingespeist; so genannte Ticket-Systeme versorgen den Einzelnen, „wie an einem Fließband“, kontinuierlich mit Aufträgen. Komplementär dazu werden auch hier einzelne Elemente der GPS auf die Büros übertragen. Insbesondere das „Shopfloor-Management“ und Kennzahlen sorgen für einen transparenten Arbeitsprozess in den Angestelltenbereichen.«

Und Hagelüken berichtet aus der Studie: »Die Leistungsmessung reicht von der Aufzeichnung der Bewegungen der PC-Maus in Callcentern oder der Bearbeitungszeiten von Tickets im IT-Support bis zur Überprüfung der Herzfrequenz des Mitarbeiters. Die Standardisierung kostet Jobs: „In einem unserer Fallunternehmen wurde die Verschwendung in der Verwaltung auf 30 Prozent beziffert und dies zum Anlass für umfangreiche Rationalisierungen genommen“, heißt es in der Studie. Servicecenter würden im internen Sprachgebrauch als Fabriken bezeichnet und oft in Niedriglohnländer verlagert.«

Das ist keine neue oder erst bevorstehende Entwicklung, sondern man kann diese Verlagerung schon seit Jahren beobachten. Lufthansa will 1100 Stellen in ausländische Service-Center verlagern, könnt man beispielsweise am 26.1.2012 der FAZ entnehmen: »Die bereits mit Finanzprozessen befassten Servicezentren der Lufthansa befinden sich in Krakau, Bangkok und Mexiko. Ihre Arbeit soll auf Tätigkeiten im Einkauf und Personalwesen ausgeweitet werden. Schon bislang werden beispielsweise Dienstreisen der Lufthanseaten über die Zentren in Bangkok und Mexiko abgerechnet.« Und die Unternehmensberater bespielen dieses Feld seit Jahren. Nur als ein Beispiel von vielen sei hier PricewaterhouseCoopers (pwc) zitiert: »Prozesse automatisieren und standardisieren, Kosten reduzieren, Qualität verbessern. Das sind häufig die Gründe für Unternehmen, ihr Finanz- und Rechnungswesen in Shared Service Center zu verlagern …  Die größten Einsparungen erreichen Unternehmen mit Shared Service Centern im Asien-Pazifik-Raum und in Osteuropa. Das zeigt die PwC-Studie „Shared service centres – the 2nd generation“.« Auch aus der Schweiz werden diese Entwicklungen berichtet: Auch Büroangestellte konkurrieren nun mit Polen, so die Neue Zürcher Zeitung am 10.08.2015: »Credit Suisse und UBS verlegen Bürostellen nach Polen und Indien, Lafarge-Holcim in die Slowakei, eine Flugzeug-Wartungsfirma nach Serbien: Nach der Fabrikarbeit wandern jetzt auch Bürotätigkeiten aus der Schweiz ab.« Der Artikel berichtet über ein Beispiel aus Polen: »Wroclaw ist zwar kein Finanzzentrum, und doch dürfte die Credit Suisse einer der grössten Arbeitgeber in der polnischen Stadt sein. 3600 Personen beschäftigt die Bank dort in ihrem «Center of Excellence», mehr als viermal so viel wie vor drei Jahren. Die Angestellten erledigen für verschiedene Geschäftseinheiten unterschiedliche Büroarbeiten in den Bereichen Zahlungsverkehr, IT, Personalwesen, Buchhaltung und Publikationen. Es handelt sich also nicht um ein blosses Callcenter, wie man das auf den ersten Blick erwarten würde. 70% der Angestellten des Hubs, der betriebswirtschaftlich betrachtet ein sogenanntes Shared-Service-Center ist, besitzen einen Hochschulabschluss.«

Aber auch die Diskussion über die mehr als fragwürdige Entwicklung der Büroarbeit und der Bedingungen, unter denen die Büromenschen ihrem Tagwerk nachgehen müssen, ist nicht neu und wird seit Jahren geführt. Vgl. beispielsweise mit Blick auf die Büroarbeit schon den Blog-Beitrag Von „Work hard. Have fun. Make history“ bei Amazon zur Proletarisierung der Büroarbeit in geistigen Legebatterien. Streifzüge durch die „moderne“ Arbeitswelt vom 23. November 2013.

Die Vorstellung von die vielen Jobs für die mit den weißen Kragen, die in klimatisierten Büros arbeiten dürfen, auf deren Work-Life-Balance Rücksicht genommen wird, denen man PE-Maßnahmen und sogar zunehmend betriebliches Gesundheitsmanagement in den wunderlichsten Formen zukommen lässt, wird kontinuierlich gestört, zumindest irritiert, wenn man mal den Blick nach links oder rechts schweifen lässt. Man kann sich als ein Beispiel dafür den bereits 2013 veröffentlichten lesenswerten Artikel Willkommen in der Bürofabrik von Dieter Schnaas anschauen. »Der Fortschritt ist keine Schnecke, sondern ein Huhn – meinen Forscher, die unter “Office Innovation” die Unterbringung ihrer Mitarbeiter in “Bürolandschaften mit Raumgliederungselementen” verstehen.« Schnaas spricht zutreffend von einer „Proletarisierung der Büroarbeit“ und sinniert über die Zukunft geistiger Legebatterien. Mit einem erfrischenden semantischen Zynismus macht der Verfasser eine tour d’horizon durch die angeblich schöne neue Büro-Arbeitswelt.

Das Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) in Stuttgart beherbergt ein “multidisziplinäres Forscherteam” im “Competence Center Workspace Innovation” an Konzepten zur Optimierung unserer Arbeitswelten. Und was sagen die zum „Büro der Zukunft“? »Das Büro der Zukunft zeichne sich durch “kollaborative Arbeit in Teambüros”, “räumliche  Flexibilität bei der Arbeitsplatzauswahl”, durch “Bereiche, die zur Kreativität anregen und Inspiration ermöglichen” und durch “Zonen” aus, in denen “Recreation bereitgestellt” wird.« Hört sich doch toll an.

Dieter Schnaas hat eine andere Lesart parat:

»Ins Normaldeutsche übersetzt heißt das: Großraumbüros ohne festen Arbeitsplatz,  aber mit geteilter Chaise-Lounge für den gezielten Geistesblitz und mit Ruhebezirken für den effektiven Fünf-Minuten-Schlaf sind so ziemlich genau das, was sich deutsche Spitzenforscher unter dem “Büro der Zukunft” vorstellen … Die gleichzeitige Verheiligung des kreativ arbeitenden Individuums und seine totale Degradierung zu einem Kosten- und Produktionsfaktor, zu einer zahlenhaften, vermessbaren, buchhalterischen Größe, machen einen schier sprachlos.«

Seine Fassungslosigkeit bezieht sich darauf, dass auf die Entproletarisierung der Arbeiterschaft nun die Proletarisierung der Büroarbeit folgen soll. Denn darum gehe es doch bei der »Implementierung von Kollektivarbeitsflächen: um die Standardisierung von Denkprozessen zur Erzielung von Skaleneffekten, um das Heben von Produktivitätsreserven durch das Ausmerzen von Störfaktoren. Anders gesagt: Früher, im Industriekapitalismus, ging die körperliche Gesundheit der Arbeiter vor die Hunde. Heute, im Wissenskapitalismus, dem linierte Fachkompetenz heilig und Bildung ein Gräuel ist, geht der Geist zugrunde.«

Und in dem brillanten Text aus dem Jahr 2013 findet sich eine auch heute noch mehr als zutreffende, ätzende Diagnose der Zwei-Welten-Problematik:

Man müsse sich aufregen, so Schnaas, über die »… Unverschämtheit, mit der die “liberale Elite” wochentags das Gegenteil von dem exekutiert, von dem sie sonntags unredlich spricht. Sie redet gern in höchsten Tönen von der “Freiheit des Individuums” – und richtet es im Arbeitsalltag zu einem möglichst monoton schnurrenden Wegarbeiter ab. Nachdenken, Zögern, Zaudern, das alles sind für einen ausgezeichneten Büroproletarier keine Qualitäten, sondern Funktionsstörungen. Es ist gewiss kein Zufall, dass die “cubicle offices” als “trading rooms” besonders von Finanzdienstleistern geschätzt werden: Die Börsen sind heute ja geradezu sprichwörtlich als exklusive Bezirke definiert, in denen die Mitarbeiter auf alles Menschliche (Gefühle) verzichten, um die Optimierung abstrakter Zwecke auf die Profitspitze zu treiben.«

Aber getrieben durch Berater, Kopiereffekte und eine sehr einseitige betriebswirtschaftliche Verwertungslogik geht die Entwicklung immer weiter in eine höchst problematische Richtung – die mit einer Entmenschlichung der Arbeit und der Arbeitsplätze einhergeht (die bei den einen und vielleicht kurzfristig tatsächlich höhere Produktivität zu generieren in der Lage ist, viele allerdings auf der Strecke lassen muss und das Gegenteil von jeder Form der Nachhaltigkeit darstellt).

Die Ergebnisse dieser Entwicklung lassen sich überall studieren – und sie sollten eigentlich alle Warnlampen aufleuchten lassen, wenn die denn noch funktionieren würden. Beispielsweise der Arbeitsort an sich, das Büro. Ich bin im Büro – holt mich hier raus!, so ist ein Artikel von Patrick Spät überschrieben, der sich an dieser Frage abarbeitet: »Großraumbüros sind seelenlose Nicht-Orte, die krank machen. Warum sind sie trotz aller Nachteile bei den Unternehmen so angesagt?«
Es ist die immer wiederkehrende Frage, warum wir Dinge tun, von denen wir eigentlich wissen, dass sie nicht gut sind:

»Die „Bürolandschaften“, wie sie euphemistisch genannt werden, haben völlig zu Recht einen schlechten Ruf, denn sie machen krank. Eine Metastudie aus dem Jahr 2009 hat gezeigt, dass rund 90 Prozent der Beschäftigten über körperliche und psychische Probleme klagen. Am stressigsten ist der hohe Geräuschpegel. Selbst eine mittlere Lärmintensität von 55 Dezibel – die von den Beschäftigen gar nicht bewusst als stressig wahrgenommen wird – führt zu einem deutlich erhöhten Adrenalinspiegel. In Großraumbüros herrschen jedoch häufig bis zu 70 Dezibel vor, also die Lautstärke eines Rasenmähers. Deshalb verdoppeln sich in solchen Büros die Fehlerquoten bei kognitiven Aufgaben, verglichen mit einem ruhigen Arbeitsplatz. Es grenzt an vorsätzlicher Körperverletzung, dass der Gesetzgeber die Lärmgrenze von 55 Dezibel für Büros wieder aus der Arbeitsstättenverordnung gestrichen hat. Wenn nicht gerade der Lärm nervt, saugen die Klimaanlage oder das künstliche Neonlicht die letzten Lebensgeister aus dem Körper. Bazillen flirren durch den Raum und die Kollegen fetzen sich tagtäglich über die ideale Raumtemperatur. Kein Wunder, dass die Käfighaltung zu einem deutlich erhöhten Krankenstand führt.«

Und wenn in der neuen Studie von Boes et al. neben aller Kritik darauf hingewiesen wird, dass es ja auch »neue Möglichkeiten für mehr Selbstbestimmung und ein „Empowerment“ der Beschäftigten« geben würde, so kann ein Blick in die Geschichte der modernen Großraumbüros dafür sensibilisieren, dass man oftmals mit einer guten Absicht startet – und ganz woanders landet. Dazu Patrick Spät:

»1959 errichtete die Hamburger Firma Quickborner Team für das Verlagshaus Bertelsmann die weltweit erste „Bürolandschaft“ in Gütersloh, eine monofunktionale Fläche mit Topfpflanzen, schalldämpfenden Teppichböden und genormten Schreibtischen, die gezielt asymmetrisch angeordnet waren.
Nach diesem Vorbild einer angeblich „humanisierten Arbeitswelt“ entstanden die US-amerikanischen cubicles, jene aus US-Filmen bekannten, nur durch dünne Wände voneinander getrennten Arbeitsboxen. Die Raumteiler können zwar ein bisschen Privatsphäre zurückholen, doch sie vermitteln nicht nur das Gefühl einer Legebatterie, sondern führen obendrein zu einer noch schlechteren Luftzirkulation und schneiden die Menschen vollends vom Tageslicht ab. Derzeit schließt sich der Kreis der Geschichte, denn die Großraumbüros erleben in Deutschland ein Comeback – und es ist abermals das Quickborner Team, das solche Räume für Siemens, Vodafone, BASF, Unilever und öffentliche Behörden designt.«

Aber wie erklärt sich dann die im Kontext dieser Erkenntnisse dennoch ausbreitende Entwicklung hin zu mehr Großraumbüros? Erneut werden wir mit den Folgen der BWLisierung der Gesellschaft konfrontiert, folgt man der Argumentation von Spät: »Offenbar haben die BWLer penibel genau errechnet, dass der erhöhte Verschleiß der Mitarbeiter durch andere Faktoren wieder wettgemacht wird. In Großraumbüros lassen sich mehr Leute auf weniger Raum packen. Im Vergleich zu Einzel- oder Zweierbüros sparen die Unternehmen dadurch 20 Prozent der Bau- und späteren Energiekosten. Noch mehr Kosten lassen sich mit Großraumbüros einsparen, in denen die Mitarbeiter keinen eigenen Schreibtisch mehr haben, sondern sich allmorgendlich eine neue Ecke zum Arbeiten suchen müssen, denn die Urlaubs- und Fehlzeiten sind bereits in die künstlich verknappten Arbeitsplätze einkalkuliert. Mit der täglichen „Reise nach Jerusalem“ sollen die Lohnarbeiter durchaus den latenten Eindruck vermittelt bekommen, dass sie lediglich ersetzbare Rädchen sind – in Zeiten knapper und umkämpfter Jobs erhöht das den Druck.«

Insofern ist diese Formulierung überspitzt, zugleich aber durchaus den Punkt treffend: »Bluthochdruck, kognitiver Verschleiß und Rückenleiden sind die Staublunge der modernen Arbeitswelt.«

Foto: © Stefan Sell

Ran an die mit Steuermitteln gefüllten Futtertröge oder: Wir machen auch Flüchtlinge … Die Unternehmensberaterrepublik und ein sich verselbständigendes Staatsversagen

McKinsey kommt. Allein das genügt, um bei vielen Menschen ganz bestimmte Assoziationen auszulösen, beispielsweise die von smarten Unternehmensberatern, die durch Werkhallen und Büros ziehen und eine Schneise der Entlassungen hinterlassen. Der deutsche Schriftsteller Rolf Hochhuth hatte sein Theaterstück, dass 2004 uraufgeführt wurde, so betitelt, obgleich die Unternehmensberatung selbst gar nicht in dem Stück auftaucht, in dem es um Massenentlassungen im Zuge von Fusionen geht, die in einer eigentlich florierenden Wirtschaftslage zum Zweck der Gewinnsteigerung durchgeführt werden. Allein der Name reicht. In der „normalen“ Wirtschaft erfüllen McKinsey & Co. seit langem ihre Aufgabe, den Auftraggebern die Ideen und die Legitimationsfolien für „Umstrukturierungen“ zu liefern, mit für viele Arbeitnehmer oftmals sehr bitteren Folgen. Aber das bleibt nicht begrenzt auf die Welt der Profit-Wirtschaft. Die Meckies dringen seit Jahren – protegiert von höchsten politischen Stellen – auch zunehmend in Kernbereiche der Staatswesens ein. Mit dem gleichen Geschäftsmodell, mit dem sie in der „normalen“ Wirtschaft ihre krakenhafte Erfolgsgeschichte haben schreiben können. 

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