18 Monate und nicht länger. Oder darf es doch mehr, also länger sein? Die Leiharbeit und die Versuche, sie zu re-regulieren

Von der Absicht über die Aufweichung hin zu einem
weichgespülten Umsetzungsergebnis? Sollte nach diesem durchaus bekannten Muster
auch die von der Großen Koalition angestrebte Neuregelung der Leiharbeit
ablaufen? Es gibt Hinweise darauf, aber die Gefechtslage ist insgesamt
komplizierter, auch durch eine unterschiedliche Rechtsprechung verschiedener
Gerichtsebenen.
Aber werfen wir zuerst einmal einen Blick auf die Absicht,
die am Anfang der Geschichte stand: Im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und
SPD aus dem Dezember 2013 findet man unter der Überschrift „Arbeitnehmerüberlassung
weiterentwickeln“ (S. 49-50) die folgende Absichtserklärung:

»Wir präzisieren im AÜG die Maßgabe, dass die Überlassung
von Arbeitnehmern an einen Entleiher vorübergehend erfolgt, indem wir eine
Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten gesetzlich festlegen. Durch einen
Tarifvertrag der Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche oder aufgrund eines
solchen Tarifvertrags in einer Betriebs- bzw. Dienstvereinbarung können unter Berücksichtigung
der berechtigten Interessen der Stammbelegschaften abweichende Losungen
vereinbart werden … Die Koalition will die Leiharbeit auf ihre Kernfunktionen
hin orientieren. Das AÜG wird daher an die aktuelle Entwicklung angepasst und
novelliert:
Die Koalitionspartner sind sich darüber einig, dass
Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer künftig spätestens nach neun Monaten
hinsichtlich des Arbeitsentgelts mit den Stammarbeitnehmern gleichgestellt
werden.«

Vielen sind die 18 Monate hängen geblieben als (geplante)
Obergrenze für die Beschäftigung eines entliehenen Arbeitnehmers in einem
Unternehmen, nicht aber die dann folgende Inaussichtstellung einer Öffnung nach
oben, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind wie beispielsweise eine
tarifvertragliche Regelung. 

Insofern muss man vor diesem Hintergrund – und
angesichts der Tatsache, dass die Koalition die im Koalitionsvertrag normierten
Punkte so abarbeitet, wie sie aufgeschrieben wurden, also vor allem nicht oder
nur marginal darüber hinausreichend – die Vorwürfe, die Bundesarbeitsministerin
Andrea Nahles (SPD) sei „eingeknickt“ und wolle bei den Arbeitgebern „gut
Wetter“ machen, als sie angekündigt hat, dass auch eine über 18 Monate
hinausreichende Beschäftigung eines Leiharbeitnehmers möglich gemacht werden
könne im anstehenden Gesetzgebungsverfahren (vgl. dazu beispielsweise Nahles
will Leiharbeit auch über 18 Monate hinaus zulassen
oder das Interview mit
ihr: „Wer
Tarif zahlt, hat Spielraum“
), doch mal relativieren. Denn genau diese
Abweichung nach oben wurde – wie man dem Zitat aus dem Koalitionsvertrag
entnehmen kann – von vornherein als Option mit aufgenommen.

Insofern hält sich Nahles an die Vereinbarungen und gutmütig
interpretiert könnte man die in die Diskussion geworfene differenzierte
Höchstüberlassungsdauer in Abhängigkeit von tarifvertraglichen Regelungen oder
entsprechenden Betriebsvereinbarungen als Stärkungsversuch der generell schwer
unter Druck befindlichen Tarifvertragslandschaft verstehen.

Skeptisch veranlagte Beobachter der Materie werden
vielleicht einwenden, dass diese Öffnungsklausel angesichts der letztendlich
immer bestehenden und nicht aufhebbaren Machtasymmetrie zwischen Arbeitnehmer-
und Arbeitgeberseite im Unternehmen dazu führen kann (und wird), dass die
Stammbelegschaft und deren Interessenvertretung ein Interesse daran haben, dem
Arbeitgeber bei der möglichst flexiblen Nutzung bestimmter Randbelegschaften
über das Instrument einer letztendlich dauerhaften Inanspruchnahme im Status eines
entliehenen Arbeitnehmers entgegen zu kommen, um die eigenen (besseren)
Arbeitsbedingungen zu sichern.
Grundsätzliche Kritiker des Leiharbeitssystems werden
hingegen argumentieren, dass eine Höchstüberlassungsdauer von 18 Monaten (und
möglicherweise noch länger) vor dem Hintergrund der „klassischen“
Funktionalität von Leih- bzw. Zeitarbeit im Sinne einer temporären
Inanspruchnahme für Vertretungsfälle oder unerwarteter Auftragsspitzen viel zu
lange ausgestaltet ist und weiter dazu einladen wird, aus einer temporären eine
dauerhafte Beschäftigung zu machen, ohne aber als entleihendes Unternehmen die
normalen Arbeitgeberrisiken eines direkten Beschäftigungsverhältnisses tragen
zu müssen. Das muss dann auch eines der entscheidenden Motive sein für diese
Form der Nutzung von Leiharbeit, denn auch wenn in der Vergangenheit durchaus
zu Recht auf die Lohndumping-Komponente von Leiharbeit in den entleihenden
Betrieben hingewiesen wurde, muss man heute – nach einigen
Re-Regulierungsrunden – zu dem Ergebnis kommen, dass sich die Kosten für den
Einsatz von Leiharbeitern deutlich erhöht haben.

Und alle, die „nur“ auf die
Löhne der Leiharbeiter schauen, müssen zur Kenntnis nehmen, dass es in mehreren
Branchen mittlerweile von den Gewerkschaften durchgesetzte „Branchenzuschläge“
gibt, die eine Annäherung an „equal pay“ in Abhängigkeit einer längeren
Beschäftigung vorsehen, die – nehmen wir den Metall- und Elektrobereich – nach
neun Monaten den um Sonderzahlungen und andere Vergünstigungen für die
Stammbelegschaft bereinigten Verdienst der „Normalbeschäftigten“ für die
Leiharbeiter durchaus erreichbar macht. Hinzu kommt: Für die entleihenden
Unternehmen stellen sich die Leiharbeiter kostenrechnerisch keineswegs als
„billiger“ dar wie die eigenen Mitarbeiter, denn zu den Kosten für die
Leiharbeiter kommen natürlich noch die Kostenbestandteile, die an den Verleiher
gehen, einschließlich seiner Marge. Insofern muss es in vielen Fällen andere
Motive geben für den Einsatz von Leiharbeitnehmern, wie eben beispielsweise die
Flucht aus den Arbeitgeberrisiken.

Man könnte an dieser Stelle aber auch ganz formal
argumentieren und darauf hinweisen, dass das, was seitens des
Bundesarbeitsministeriums derzeit an gesetzgeberischen Konkretisierungen einer
Höchstüberlassungsdauer vorbereitet wird, doch nur aus der Tatsache resultiert,
dass seit 2011 im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz normiert ist, dass
Entleihungen „vorübergehend“ sein sollen. So heißt es im § 1 Abs. 1 AÜG: „Die
Überlassung von Arbeitnehmern an Entleiher erfolgt vorübergehend.“ Nur wurde
dieser Begriff bislang nicht näher bestimmt, was jetzt also gleichsam nachgeholt
werden soll.

Aber an dieser Stelle wird es unübersichtlich, weil wir mit
einer nicht kohärenten Rechtsprechung konfrontiert werden und nun auch noch die
EU-Kommission ihre eigene Richtlinie betreffend überraschende Signale aussendet.

Zur Erinnerung: Seit Ende 2011 dürfen Arbeitgeber
Leiharbeitnehmer nur noch „vorübergehend“ einsetzen. Wie lange das
ist, ließ der Gesetzgeber unklar. Das BAG urteilte im Juli 2013, dass hinter
dem Begriff jedenfalls mehr steckt als ein folgenloser Programmsatz. Markus
Kappenhagen hat sich mit der BAG-Entscheidung in seinem Artikel „Unbegrenzt“
ist nicht „vorübergehend“
auseinandergesetzt.

Wie lange
„vorübergehend“ ist, hat das BAG nicht bestimmt.

»Ein Einsatz von Leiharbeitnehmern ohne jede zeitliche
Begrenzung ist unzulässig, so das BAG vergangene Woche. Der Betriebsrat ist
daher berechtigt, seine Zustimmung zur Einstellung eines Leiharbeitnehmers nach
§ 99 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) zu verweigern, wenn der Arbeitgeber die
geplante Beschäftigung als dauerhaft deklariert (Urt.
v. 10.07.2013, Az. 7 ABR 91/11
). In dem aktuellen Fall hatte der
Arbeitgeber ausdrücklich geäußert, er beabsichtige, die Leiharbeitnehmerin ohne
jegliche zeitliche Begrenzung anstelle einer Stammkraft einzusetzen. Daher
konnte es sich das BAG leicht machen: Was zeitlich unbegrenzt ist, kann nicht
„vorübergehend“ sein. Das Merkmal diene dem Schutz der
Leiharbeitnehmer und solle eine Aufspaltung der Belegschaft des Entleihers in
eine Stammbelegschaft und eine entliehene Belegschaft verhindern. Die Praxis
hat damit allerdings noch immer keine Wegweisung, wie lange
„vorübergehend“ sein kann. Klar ist nur, dass es eine zeitliche
Begrenzung geben muss.«

Diese Entscheidung des BAG spielte eine Rolle in einem anderen
Verfahren, über das André Zimmermann in seinem Artikel Dauerhafte
Leiharbeit ist zulässig!
berichtet:

»Ende 2014 hatte eine Leiharbeitnehmerin die Bundesrepublik
vor dem Landgericht (LG) Berlin wegen unzureichender Umsetzung der
Leiharbeitsrichtline 2008/104/EG auf Schadensersatz verklagt (Az. 28 O 6/15).
Sie ist bei einem Zeitarbeitsunternehmen angestellt und seit mehreren Jahren in
einer Klinik auf demselben Arbeitsplatz tätig. Sie wird nach Tarifverträgen der
Zeitarbeit bezahlt – und verdient deutlich weniger als Stammarbeitnehmer. Die
Vergütungsdifferenz der letzten drei Jahre von rund EUR 30.000,00 verlangt sie
nun als Schadensersatz vom Staat.«

Die Klägerin bezog sich auf die EU-Leiharbeitsrichtlinie,
die – so ihre Argumentation – „equal pay“ vorschreibe und damit eine solche
Ungleichbehandlung wie in ihrem Fall nicht zulasse. Der Gesetzgeber habe es
versäumt, einen dauerhaften Einsatz von Leiharbeitnehmern zu schlechteren
Bedingungen zu verbieten und Sanktionen in Form von Ansprüchen der
Leiharbeitnehmer gesetzlich festzuschreiben.

Dass keine Sanktionen vorgesehen sind, ist auch bei einer
weiteren wichtigen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts hoch relevant
gewesen: Es geht hier um das Urteil
vom 10.12.2013, 9 AZR 51/13
. Dessen Leitsatz lautet so: »Besitzt ein
Arbeitgeber die erforderliche Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung, kommt
zwischen Leiharbeitnehmer und Entleiher kein Arbeitsverhältnis zustande, wenn
der Einsatz des Leiharbeitnehmers entgegen der Regelung in § 1 Abs. 1 Satz 2
AÜG nicht nur vorübergehend erfolgt.« Das BAG verweist dabei auf § 10 Abs. 1
Satz 1 AÜG, dem man entnehmen dann, dass die Rechtsfolge Entstehung eines
unbefristeten Arbeitsverhältnis beim entleihenden Unternehmen ausschließlich
bei fehlender Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis des Verleihers eintreten kann.

Der Gesetzgeber hat bei einer nicht nur vorübergehenden
Arbeitnehmerüberlassung bewusst nicht die Rechtsfolge der Begründung eines
Arbeitsverhältnisses mit dem Entleiher angeordnet. Das Unionsrecht gibt kein
anderes Ergebnis vor, denn die europäische Leiharbeitsrichtlinie gibt ebenfalls
keine Sanktionierung vor, sondern delegiert das an die Mitgliedsstaaten.
Markus Kappenhagen schrieb zu dem „überraschenden“ Urteil
des BAG aus dem Dezember 2013 zulasten der Leiharbeiter in seinem Artikel Auch
nach drei Jahren kein Arbeitsvertrag
:

»Ein Unternehmen verleiht 90 Prozent seiner Mitarbeiter an
Kliniken und Heime in Trägerschaft eines Landkreises, und ist gleichzeitig eine
100-prozentige Tochter der Gesellschaft, die die Krankenhäuser betreibt, und
ansonsten nicht am Markt als Verleiher tätig. Im Arbeitsvertrag des klagenden
IT-System-Administrators waren die Kliniken ausdrücklich bezeichnet. Sein
Einsatz dort war nicht befristet, nach dreieinhalb Jahren wurde sein
Überlassungsvertrag jedoch gekündigt. Unmittelbar nach der Kündigung schrieb
die Klinik die Stelle wieder aus und wies dabei darauf hin, dass die Anstellung
über das konzerneigene Verleihunternehmen erfolgen werde.«

Kappenhagen spricht davon, dass diese BAG-Entscheidung überrascht,
»bot der konkrete Sachverhalt durchaus Anhaltspunkte dafür, dass die
Beteiligten die gesetzliche Regelungen umgehen wollten.« Ein Erklräungsansatz:
»Die Erfurter Richter hielten es aber schlicht nicht für ihre Aufgabe, anstelle
des Gesetzgebers Rechtsfolgen zu formulieren. Angesichts der Vielzahl möglicher
Sanktionen müsse dieser schon selbst tätig werden.«
Wieder zurück zu dem Beitrag
von André Zimmermann und der Berichterstattung über die Klägerin vor dem
Landgericht Berlin:

»Anfang 2015 hat die Klägerin dann bei der EU-Kommission
zusätzlich die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens nach Art. 258
AEUV gegen die Bundesrepublik wegen Verstoßes gegen die Leiharbeitsrichtlinie
beantragt. Die Bundesrepublik habe bewusst und richtlinienwidrig keine
effektiven Sanktionen gegen dauerhafte Überlassung von Arbeitnehmern zu
schlechteren Bedingungen geschaffen. Eine dauerhafte Schlechterstellung von
Leiharbeitnehmern stehe im eklatanten Widerspruch zu den Zielen der Richtlinie.«

Dieser Ansatz der Klägerin erscheint prima facie nicht
unplausibel, hatte doch die EU-Kommission in ihrem neuesten Bericht
über die Anwendung der Richtlinie 2008/104/EG über Leiharbeit
ausgeführt, dass
„bestimmte, häufig angewandte Ausnahmen vom Gleichbehandlungsgrundsatz in
einigen Fällen möglicherweise dazu geführt (haben), dass die Anwendung der
Richtlinie keine effektive Verbesserung des Schutzes der Leiharbeitnehmer
herbeigeführt hat.“
Die Stellungnahme der EU-Kommission, an die sich ja der
Antrag der Klägerin gerichtet hat, fällt dann doch überraschend aus. Die
Kommission argumentiert, dass »die Richtlinie keine Beschränkung der Dauer der
Überlassung von Leiharbeitnehmern an die entleihenden Unternehmen vor(sieht).
Die Mitgliedstaaten seien daher nicht verpflichtet, eine Höchstdauer für die
Überlassung von Leiharbeitnehmern festzulegen. Eine dauerhafte Überlassung sei
nicht richtlinienwidrig, sodass die Mitgliedstaaten auch nicht verpflichtet
seien, hierfür Sanktionen vorzusehen.«
Diese Stellungnahme der EU-Kommission wird die
Bundesarbeitsministerin möglicherweise noch in Bedrängnis bringen können:

»Eine
arbeitsplatzbezogene Höchstdauer, wie sie teilweise gefordert wird, dürfte
nicht vereinbar sein mit der Richtlinie und der Auffassung der Kommission.
Allenfalls eine arbeitnehmerbezogene Einsatzlimitierung dürfte zulässig sein.«

Was ist das jetzt wieder für eine Unterscheidung? Das
dahinter stehende grundlegende Problem ist wie so oft im juristischen Raum eine
Abgrenzungsfrage. Markus Kappenhagen hat das in seinem Artikel Auch
nach drei Jahren kein Arbeitsvertrag
so beschrieben:

»Eine solche gesetzliche 18-monatige Grenze wird nicht ohne
Folgefragen bleiben: Soll damit nur verhindert werden, dass ein einzelner
Leiharbeiter mehr als 18 Monate überlassen wird, so dass der Entleiher einfach
die Person auswechseln könnte? Oder muss der Beschäftigungsbedarf auf einem
konkreten Arbeitsplatz „vorübergehend“ sein, so das die Stelle nach
18 Monaten als Dauerarbeitsplatz gilt und mit einem regulären Mitarbeiter
besetzt werden muss (letzterer Auffassung ist das Landesarbeitsgericht Hamburg,
Urt. v. 29.08.2013, Az. 1 TaBV 3/13). Und schließlich: Was soll die Folge sein,
wenn Unternehmen die Höchstverleihdauer überschreiten? Wird der Gesetzgeber so
weit gehen, dann das fingierte Arbeitsverhältnis zum Entleiher anzuordnen?«

Was könnte passieren, wenn es also keine arbeitsplatzbezogene
Höchstdauer geben wird, sondern wenn, dann nur eine arbeitnehmerbezogene
Einsatzlimitierung? »Der Verleiher kann demselben Entleiher dann nach Ablauf
der 18 Monate einen anderen Leiharbeitnehmer überlassen, ohne dass die
vorangegangene Überlassung angerechnet wird. Auch eine Mehrfachüberlassung
desselben Leiharbeitnehmers wäre dann wohl zulässig.«

Das hört sich nicht alles irgendwie nicht sehr überzeugend
an und schafft sogleich neue Probleme bei bestimmten Fallkonstellationen, von
denen eine hier exemplarisch aufgerufen werden soll – vor allem in Anbetracht
der Vermutung, dass genau solche Fälle auch den Überlegungen aus dem
Bundesarbeitsministerium zugrunde liegen, die geplante 18-Monate-Grenze wieder
nach oben aufweichen zu können.

Die meisten Menschen denken bei Leiharbeit an Arbeitnehmer,
die eher im unteren Qualifikations- und Einkommensbereich arbeiten. Und
tatsächlich ist es ja auch so, dass die Helferberufe überdurchschnittlich stark
vertreten sind. Aber es gibt Arbeitnehmerüberlassung eben auch am anderen Ende
der Skala. Nehmen wir als Beispiel die Ingenieure. Sehr viele Ingenieure
arbeiten nicht in den Unternehmen, für die sie tätig sind, direkt, sondern bei
so genannten „Ingenieurdienstleistern“, die ihre Leute beispielsweise an die
Automobilhersteller entweder über Werk- bzw. Dienstverträge abgeben (etwa 70
Prozent der Umsätze) oder aber über die Arbeitnehmerüberlassung (26% der
Umsätze), folgt man den Erkenntnissen der Lünendonk-Studie 2015 „Führende
Anbieter von Technologie-Beratung und Engineering Services in Deutschland“,
über deren Befunde in dem Artikel Markt
für Ingenieurdienstleistung wächst moderat. Lünendonk-Studie: Umsatz steigt um
5 Prozent auf 9,3 Milliarden Euro
berichtet wird. Aufgrund der komplexen
Projekte sind Laufzeiten von zwei Jahren und mehr keine Seltenheit in der
Engineering-Branche. Wenn ein Auftraggeber durch eine Höchstüberlassungsdauer
nach 18 Monaten zwangsweise per Gesetz gut eingearbeitete Ingenieure in den
Projekten verlieren würde, dann entstünde daraus für die Ingenieurdienstleister
eine erhebliche Problematik, zusätzlich zu der Tatsache, dass die
Fluktuationsquote bei 17 Prozent liegt und zwei Drittel der abgängigen
Ingenieure beim Kundenunternehmen landet, bei dem sie vorher als Leiharbeiter
tätig waren. Dass man in diesen Kreisen erhebliche Widerstände gegen die
geplante 18-Monate-Regelung an den Tag legt, kann man durchaus nachvollziehen.

Auf der anderen Seite stehen die vielen am unteren Ende der
Leiharbeiterwelt und deren Beschäftigungszeit bei einem Verleiher liegt in über
der Hälfte aller Fälle bei unter drei Monaten. Das bedeutet, die profitieren
gar nicht von der 18-Monate-Grenze und sie haben auch nichts von den
Branchenzuschlägen, da die erst stufenweise relevant werden nach einer längeren
Beschäftigungszeit in dem entleihenden Unternehmen.

Wir werden uns überaschen lassen (müssen), wie man in der
Großen Koalition diese nicht unkomplizierte Gemengelage aufzulösen versuchen
wird.

Arbeitswelten: In der Fleischindustrie ist alles besser geworden! Wirklich? Und beim Daimler sprudeln die Gewinne – und die Fremdvergabe boomt

Viele werden sich erinnern an die Reportagen, Dokumentationen und Artikel, in denen die Verhältnisse im „Billigschlachthaus“ Deutschland angeprangert wurden, vor allem die Ausbeutung osteuropäischer Werkvertragsarbeiter, nicht nur hinsichtlich einer extrem niedrigen Bezahlung, sondern auch angesichts teilweise nur noch als kriminell zu bezeichnender Unterbringungsverhältnisse. Und keiner möge behaupten, dass mediale Berichterstattung nichts verändern kann – sie kann Druck aufbauen, Politiker zum Jagen tragen, Verbesserungen auslösen. Das war gerade in dieser Schmuddel-Branche der Fall (vgl. dazu auch den Beitrag Billig, billiger, Deutschland. Wie sich die Umsätze in der deutschen Fleischindustrie verdoppeln konnten und warum der Mindestlohn ein fragiler Fortschritt ist vom 15.11.2014). Zugleich lehrt die Erfahrung, dass man immer wieder die Dinge auf Wiedervorlage legen muss, um nachzuschauen, ob die Veränderungen nur angekündigt oder temporärer Natur waren und sich zwischenzeitlich eventuell die alten Verhältnisse wieder eingestellt haben. »Etwa ein Jahr ist es her, dass die Fleischbranche feierlich Besserung gelobte: Die Ausbeutung osteuropäischer Billiglöhner, von Subunternehmen in die Schlachthöfe geschickt, sollte ein Ende haben, ebenso die Unterbringung der Menschen in Schrottimmobilien zu Wuchermieten.« So beginnt ein Artikel von Karl Doeleke, mit der allerdings die Hoffnungen relativierenden Überschrift Zweifel an Reformen in der Fleischindustrie. Damals wurde ein Verhaltenskodex der Fleischwirtschaft ins Leben gerufen, der auch Mindestlohn und soziale Standards für Wohnungen regelt. Überwacht werden soll der von unabhängigen Wirtschaftsprüfern. Hört sich gut an. Nun aber hat die „Hannoversche Allgemeine Zeitung“ das gemacht, was bereits angedeutet wurde – den Sachverhalt nicht nur auf Wiedervorlage legen, sondern ihn auch mit Leben füllen, in dem einige scheinbar einfache Fragen gestellt werden: Werden die Regeln im Kodex alle umgesetzt? Welche Schlachtkonzerne verpflichten ihre Subunternehmer dazu? Wie wird die Einhaltung überwacht? Die Antworten darauf fielen sparsam aus.

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Deutsche Post DHL bald allein zu Haus? Noch nicht. Zur Post-Variante modernen Streikbrechertums. Dazu gehört: Festes Schuhwerk mitbringen

Gegen die Ausgliederung von Unternehmensteilen haben mittlerweile mehr als 32.000 der insgesamt etwa 140.000 inländischen Beschäftigte der Post ihre Arbeit niedergelegt. So die Angaben der Gewerkschaft ver.di. Die Fronten zwischen Verdi und der Post sind verhärtet. Um seine Lohnkosten zu drücken und auf Dauer mit der billigeren Konkurrenz auf dem Paketmarkt mithalten zu können, hat der Konzern die Paketzustellung teilweise in neue Regionalgesellschaften mit niedrigeren Löhnen ausgelagert. Die Hintergründe sind hier in mehreren Beiträgen dargestellt und eingeordnet worden, vgl. beispielsweise Endlich viele neue Jobs. Und dann wieder: Aber. Die Deutsche Post DHL als Opfer und Mittäter in einem Teufelskreis nach unten vom 25.01.2015, Billiger, noch billiger. Wo soll man anfangen? Karstadt, Deutsche Post DHL, Commerzbank … und Primark treibt es besonders konsequent vom 08.02.105 oder Die Deutsche Post DHL schiebt den Paketdienst auf die Rutschbahn nach unten und einige sorgen sich um Ostergrüße, die liegenbleiben könnten vom 30.03.2015.
Seit drei Wochen nun bestreikt die Gewerkschaft ver.di die Deutsche Post DHL.

Und die Folgen werden immer offensichtlicher, zumindestens berichten viele Medien über einen enormen Rückstau an Sendungen in den Verteilzentren und teilweise müssen Lagerhallen angemietet werden für die Postsendungen, die ihren Empfänger nicht erreichen können. Der Konzern versucht dagegen zu halten, erst am Wochenende wieder durch Sonntagsarbeit bis hin zur Beschäftigung von Freiwilligen und Mitarbeitern aus „Kundenunternehmen“ – aber vor allem durch den Einsatz von Streikbrechern aus Osteuropa. Und da geht es – neben dem Sonderfall des Einsatzes von Beamten – wieder um Leiharbeit und Werkverträge. Wenn man diese Instrumente kombiniert mit der Ausnutzung des enormen Wohlstandsgefälles zwischen Deutschland und Osteuropa, dann bekommt man die Umrisse modernen Streikbrechertums.

In der Print-Ausgabe der FAZ vom 26.06.2015 wird darüber in dem Artikel „Freiwillige Paketzusteller dringend gesucht“ berichtet. Und das, was man dort zu lesen bekommt, entbehrt nicht bei allem Ernst der Lage einer gewissen Situationskomik:

»Der Konzern trommelt seine Hilfstruppen zusammen, um sich auf die vierte Streikwoche vorzubereiten. „Die Lage ist unverändert – speziell in der Paketzustellung“, heißt es in einer Rundmail, mit der die Post um neue Freiwillige in der Paketzustellung wirbt. Gesucht werden Ausputzer für Hamburg, Düsseldorf, Nürnberg und Berlin, mindestens für drei Tage, möglichst aber für die ganze kommende Woche. Wohnen werden sie auf Kosten der Post im Hotel, die Buchung „erfolgt über die Kollegen direkt vor Ort“. Damit die Pakete in der fremden Stadt auch ankommen, muss improvisiert werden. Navigationsgeräte sind bei der Post anscheinend Mangelware. „Um die Zustelladressen finden zu können“, sollen die Freiwilligen von zu Hause mitbringen, was so da ist, egal ob Smartphone oder TomTom, „idealerweise mit Fahrzeugladegerät“, steht in der Mail. Auch Dienstkleidung ist rar. T-Shirts mit DHL/Post-Logo stünden „vermutlich“ zur Verfügung, aber alles andere, vor allem festes Schuhwerk, sollen die Freiwilligen in den Koffer packen.«

Beamte und Freiwillige füllen im Arbeitskampf derzeit einige Lücken. Gegen den Beamteneinsatz als Streikbrecher klagt Verdi vor dem Arbeitsgericht Bonn, das kommenden Donnerstag entscheiden will, vgl. hierzu den Artikel Ver.di bringt Streit um Beamteneinsatz erneut vor Gericht. Wohl wesentlich relevanter ist der Einsatz von ausländischen Streikbrechern.

»Zusätzlich greift der Konzern in großem Stil auf Leiharbeitnehmer zurück. Nach Recherchen von Verdi sind rund 2.300 dieser Aushilfen im Einsatz, darunter viele aus Osteuropa. Fast 2.000 Leiharbeitnehmer seien allein in den Paketzentren beschäftigt.«

Anwendung findet dabei das Instrumentarium der Leiharbeit in Kombination mit Werkverträgen. Denn die Rechtslage ist an sich kompliziert. Aus der deutschen Binnenperspektive ist erst einmal hervorzuheben, dass das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz ausführt, dass Leiharbeiter nicht gegen ihren Willen als Streikbrecher eingesetzt werden dürfen. Nun wird man bereits an dieser Stelle mit einer ordentlichen Portion Zweifel anmerken können und müssen, dass es wie so oft einen Unterschied geben kann und wird zwischen Theorie und Praxis, denn auch wenn Leiharbeiter theoretisch das Recht haben, sich einem solchen Einsatz zu verweigern, dann wird es in praxi angesichts der prekären Lage, in der sich viele Leiharbeiter befinden, zweifelhaft sein, ob sie eine solche Verweigerung auch tatsächlich realisieren können.

In dem FAZ-Artikel wird dazu auch ein Konzernsprecher der Deutschen Post selbst zitiert:

Die Post arbeite seit Jahren mit unterschiedlichen Zeitarbeitsfirmen in der EU zusammen, auch im Falle von Streiks greife man auf deren Mitarbeiter zurück. „Dabei hält sich die Deutsche Post AG an alle gesetzlichen Vorschriften, das heißt, wir setzen nicht rechtswidrig Streikbrecher ein.“

Die über den DGB-Tarifvertrag gebundenen Leiharbeitsfirmen stellen keine Arbeitnehmer für bestreikte Arbeitsplätze ab. Deshalb geht ja die Deutsche Post auch einen anderen Weg: Die Post kooperiert entweder mit nichttarifvertragsgebundenen Unternehmen oder sie zieht einen Werkvertrag dazwischen. Dadurch läuft die Streikklausel des DGB-Tarifvertrages und ebenso das gesetzlich normierte Leistungsverweigerungsrecht für Leiharbeitnehmer ins Leere.

Welche Formen das dann praktisch annehmen kann, schildert Kirsten Bialdiga in ihrem Artikel Aushilfen aus dem Container: »Während Tausende Mitarbeiter streiken, setzt die Post slowakische Saisonarbeiter ein. Ein Teil von ihnen lebt in beengten Unterkünften. Betriebsräte sind deshalb empört: Der Konzern nutze „die Notsituation dieser Leute“ aus«, so beginnt ihr Bericht.

»Kanariengelb sind sie angestrichen, die Container. Gelb wie die Farbe der Deutschen Post. Doch in diesen Containern im Münsterland lagern keine Päckchen oder Briefe. In diesen Containern wohnen Saisonarbeiter aus der Slowakei, die für die Post arbeiten. Dicht an dicht stehen die Behausungen, in mehreren Reihen an unbefestigten Wegen auf dem Gelände eines Gartenbaubetriebes. Zur Schicht im Paketzentrum im nahegelegenen Greven werden die Arbeiter von einem Bus abgeholt, später wieder zurückgebracht.
Drinnen im Container ist es dunkel, das Auge muss sich erst an das Dämmerlicht gewöhnen. Im hinteren Teil stehen vier Stockbetten, davor ein paar primitive Regale. Der Raum in der Mitte ist so schmal, dass schon eine Person sich kaum umdrehen kann, ohne irgendwo anzustoßen. Geschweige denn vier. So viele sind es, die sich mitunter einen dieser Wohncontainer teilen.«

Offensichtlich arbeitet die Deutsche Post hier mit Bedingungen, wie man sie in Deutschland sonst eher beim Spargelstechen oder in der Fleischindustrie findet. Werden sie wenigstens ordentlich bezahlt? Keine Frage, so die Post: »Der Stundenlohn betrage für alle Arbeiter inklusive der Zuschläge und Zulagen 13 Euro.«

Kirsten Bialdiga befragt die Arbeiter in den Containern. Auf den ersten Blick scheint das zu stimmen, was die Post behauptet: » Er verdiene zehn Euro in der Stunde plus Zuschläge, sagt er. Also in etwa 13 Euro«, so wird ein Arbeiter zitiert. Also alles in Ordnung? Offensichtlich nicht, denn:

»Doch dann gibt der slowakische Arbeiter etwas zu Protokoll, das die Rechnung verändern würde. Für den Wohncontainer, sagt der junge Mann, zahle er pro Tag zehn Euro Miete. Das wären 300 Euro im Monat. Dass die Arbeiter für ihre beengte Unterkunft zahlen müssen, bestätigte auch ein Insider, der nicht Arbeitnehmerkreisen zuzurechnen ist.«

Und am Ende des Artikels wieder der Hinweis auf das, was man als „Asymmetrie“ am Arbeitsmarkt bezeichnen kann – oder aber schlicht als Ausnutzung des Wohlstandsgefälles zwischen hier und Osteuropa, auf dem weite Bereiche des modernen Tagelöhnertums in unserem Land basieren: Der Arbeiter, der gegenüber der Journalistin Auskunft erteilt hat, »braucht Geld, und deshalb ist er in Deutschland. So sehen es auch seine Kollegen. Nicht alle sind daher über seine Auskünfte erfreut. Ein Landsmann stellt sich den Besuchern in den Weg, er will, dass sie gehen. Zu groß sei die Sorge, dass es Konsequenzen geben könnte, dass sie ihren Job verlieren.«