Drinnen sieht es wahrlich nicht rosig aus und von draußen wird gezerrt und gerüttelt. Die Leiharbeit vor gesetzlichen Änderungen und der DGB bringt seine Forderungen zu Papier

Zumindest die etwas älteren Semester werden sich alle erinnern an das Jahr 1985, als das Buch „Ganz unten“ von Günther Wallraff erschien und – man kann es so sagen – ein Ruck durch Deutschland ging angesichts der Schilderung desaströser Arbeitsbedingungen in der Undercover-Reportage, in der Wallraff als Türke „Ali“ unter anderem auch mit der Leiharbeit Bekanntschaft gemacht hat (vgl. anlässlich des 30jährigen Jubiläums das Interview mit ihm: „Ausländer sucht Drecksarbeit, auch für wenig Geld“). Auch heute noch hat die Leiharbeit (nicht nur) ein Image-Problem. Vor allem im Gefolge der erheblichen Expansion der Leiharbeit in den Jahren nach der großen Deregulierung im Zuge der „Hartz-Reformen“ 2003 ging ein gehöriger Anteil der zusätzlichen Leiharbeiter auf die offensichtliche Lohndumping-Strategie eines Teils der Unternehmen zurück, was dem eigentlichen Sinn der Leiharbeit, also die Abdeckung kurzfristiger Auftragsspitzen oder die temporäre Kompensation ausgefallener eigener Mitarbeiter, zuwiderläuft. Bei dieser Verschiebung hin zu einer dauerhaften Beschäftigung von Leiharbeitern (nicht zu verwechseln mit dauerhafter Beschäftigung der einzelnen Person) in den Entleihunternehmen ging es nicht nur um die Ausnutzung des Lohndifferentials zwischen Stamm- und flexibler Randbelegschaft sowie der Realisierung eines „atmenden Unternehmens“ aufgrund der hohen Flexibilität durch Leiharbeiter, von denen man sich ohne Probleme schnell wieder trennen bzw. umgekehrt die man schnell anheuern kann, wenn Bedarf besteht. Es wurde mit der expandierenden und weitgehend rechtlosen Randbelegschaft zugleich auch ein Druckmittel vergrößert gegen die Stammbelegschaft, die sich angesichts ihrer zumindest teilweisen Ersetzbarkeit zurückhalten sollte bei Forderungen gegenüber dem eigenen Arbeitgeber.

Insofern muss man von einer hoch problematischen Doppelwirkung der Leiharbeit ausgehen – zum einen in die Reihen der Stammbelegschaft hinein, zum anderen aber natürlich auch in Form oftmals deutlich schlechterer Arbeitsbedingungen für die Leiharbeiter selbst. Die Berichte darüber füllen eine ganze Bibliothek. Und auch der DGB, der sich mit dem Papier Risiken und Reformbedarf in der Leiharbeit nun zu Wort gemeldet hat, komprimiert in seinen Ausführungen die bekannten und immer wieder vorgetragenen „wunden Punkte“ hinsichtlich der Situation der Leiharbeiter selbst:

»Das besondere Dreiecksverhältnis zwischen Verleiher und Entleiher sowie der Leiharbeitskraft verlagert die Risiken des Arbeitsmarktes einseitig auf die Beschäftigten. So sind Leiharbeiter nach wie vor oft arbeitslos. Das Leitbild, ein Beschäftigter wird in verschiedenen Unternehmen eingesetzt, ist aber bei einem Verleiher dauerhaft angestellt, hat mit der Realität nichts zu tun. Die Risiken des flexiblen Arbeitsmarktes tragen die Beschäftigten, nicht die Arbeitgeber. Der Kündigungsschutz ist schwach. Rund die Hälfte der Arbeitsverhältnisse endet bereits vor Ablauf von drei Monaten. Insgesamt werden innerhalb eines Jahres rund eine Million Arbeitsverhältnisse beendet, obwohl nur 850.000 in der Branche beschäftigt sind. Leiharbeit ist nur selten eine Brücke in feste Beschäftigung, zumindest nicht bei dem Betrieb, in dem sie eingesetzt werden. Diese Brückenfunktion wird in der öffentlichen Debatte überschätzt. Leiharbeiter werden oft unterhalb ihrer Qualifikation eingesetzt. 40 Prozent der Leiharbeiter, die als Hilfskräfte eingesetzt werden, haben eine abgeschlossene Berufsausbildung. Darüber hinaus fehlen Entwicklungsmöglichkeiten und Weiterbildung. Auch die gesundheitlichen Risiken sind höher als bei allen Beschäftigten insgesamt. Auch die sozialen Risiken sind hoch. Sechs Prozent der Leiharbeiter müssen ihren Lohn durch Hartz-IV-Leistungen aufstocken, weil das Einkommen zu gering ist. Hierfür wenden die Steuerzahler 200 Mio. Euro pro Jahr auf. Bei Arbeitslosigkeit greift der Schutz der Arbeitslosenversicherung für viele nicht. 38 Prozent derjenigen, die arbeitslos werden, rutschen direkt in Hartz IV, obwohl sie vorher sozialversicherungspflichtig gearbeitet haben … Nach wie vor werden Leiharbeiter deutlich schlechter bezahlt als ver- gleichbare Beschäftigte in den Einsatzbetrieben.«

Und die Verleihunternehmen bedienen sich gerne und intensiv der Infrastruktur der Arbeitsagenturen und Jobcenter, man kann sogar soweit gehen zu sagen, ohne die würde das Geschäftsmodell nicht funktionieren:

»In keiner anderen Branche ist der Personalumschlag größer als im Verleihgewerbe. Allein den Arbeitsagenturen und Jobcentern melden die Verleiher im Jahresschnitt gut 700.000 Arbeitsstellen, Tendenz wieder steigend. Dies entspricht einem Anteil von rd. 35 Prozent aller deutschlandweit gemeldeten Stellen.
Arbeitslose sind ein wichtiges Rekrutierungsfeld für die Verleihbranche. 392.000 Arbeitslose haben innerhalb von 12 Monaten (Juni 2014 bis Mai 2015) als Leiharbeitskraft einen neuen Job gefunden. Jeder fünfte durch die BA vermittelte Arbeitslose, kommt somit in der Verleihbranche unter. Im Verleihgewerbe werden gut doppelt so viele Arbeitslose eingestellt wie im Verarbeitenden Gewerbe, obwohl diese Branche weit größer ist … Die Verleiher greifen … in starkem Maße auf Personengruppen zurück, die zuvor nicht oder instabil beschäftigt waren. Diese Arbeitnehmergruppen nehmen oftmals mangels anderer Alternativen auch schlechter bezahlte und nur vorübergehende Jobs an. Dies bedeutet aber nicht, dass sie stabil in den Arbeitsmarkt eingegliedert sind. Für den Verleiher sind Arbeitslose schnell verfügbar und können so kurzfristig und vorübergehend genutzt werden. Durch die hohe Verfügbarkeit dieser Gruppen können die Verleiher ihre Risiken leicht abwälzen. Sie haben kein Interesse daran, die Beschäftigen langfristig zu binden und auch bei Auftragsmangel zu halten.«

Soweit die Diagnose, die auch in vielen anderen Berichten schon anzutreffen ist. Was nun fordert der Deutsche Gewerkschaftsbund mit Blick auf die demnächst anstehende nächste Regulierungsrunde der  Leiharbeit?

»Die Koalitionsparteien haben u.a. vereinbart die Überlassungshöchstdauer gesetzlich auf 18 Monate zu begrenzen und die Leiharbeitskräfte nach spätestens neun Monaten beim Entgelt mit den Stammarbeitskräften des Einsatzbetriebes gleichzustellen.« (DGB 2015: 14)

Das wird mitgetragen und unterstützt – wobei die beabsichtige Begrenzung der Überlassungshöchstdauer (die es bis zu den Hartz-Gesetzen gegeben hatte und die mal bei 3 Monaten gestartet ist, um dann im Laufe der Jahre seit 1985 immer mal wieder angehoben zu werden (zum 1.1.2002, also vor der Arbeit der Hartz-Kommission auf 24 Monaten, bei einer Gleichstellung mit den Stammbeschäftigten nach 12 Monaten) durchaus kritisch diskutiert werden muss (vgl. dazu meinen Blog-Beitrag 18 Monate und nicht länger. Oder darf es doch mehr, also länger sein? Die Leiharbeit und die Versuche, sie zu re-regulieren vom 1. August 2015). Aber die Gewerkschaften fordern weitere Schritte (vgl. hierzu DGB 2015: 14):

  • Streikbrecherarbeiten durch Verleihbetriebe müssen gesetzlich verboten werden. Die Verleihbetriebe haben sich zwar im Tarifvertrag verpflichtet, keine Streikbrecher einzusetzen. Der Poststreik hat aber gezeigt, dass es Schlupflöcher gibt, so sind z.B. ausländische Leiharbeiter eingesetzt worden. Ein gesetzliches Verbot schafft hier Klarheit und Gleichbehandlung.
  • Leiharbeitskräfte müssen bei den betriebsverfassungsrechtlichen Schwellenwerten berücksichtigt werden. So werden Arbeitgeber daran gehindert, durch das Auslagern von Arbeit auf Verleihunternehmen die Betriebsräte zu schwächen.
  • Darüber hinaus soll es nicht mehr möglich sein, einen Werkvertrag nachträglich in Leiharbeit umzuwandeln. Dieses Schlupfloch hatten viele Unternehmen offen gehalten, wenn sie Werkverträge konstruiert haben, die zweifelhaft waren. Wenn es zu einer Beanstandung kam, wurde der Werkvertrag in Leiharbeit „umgewandelt“, dies hatte zur Folge, dass der Einsatzbetrieb die Beschäftigten nicht als eigene Arbeitskräfte übernehmen musste. Das Verbot der Umwandlung soll also insbesondere „schwarze Schafe“ abschrecken.

Zum letzten Punkt: Dieser Regelungsvorschlag, um den berühmten „Reserve-Fallschirm“ der Werkvertragsunternehmen, die in Wirklichkeit keine echten Werkverträge durchführen, sondern unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung betreiben, aus deren Arsenal zu entfernen, was natürlich einen erheblichen Druck auf die (faktisch entleihenden) Unternehmen aufbauen würde, die Korrektheit der Werkverträge sicherzustellen, wurde bereits vor Jahren vom Arbeitsrechtler Peter Schüren vertreten. Vgl. hierzu meine entsprechende Forderung in Sell, S.: Lohndumping durch Werk- und Dienstverträge? Problemanalyse und Lösungsansätze (= Remagener Beiträge zur Sozialpolitik 13-2013), Remagen 2013.

Diese Regelung ist schon längst überfällig, denn seit einigen Jahren expandieren die Werkverträge – auch deshalb, weil die seit 2011 an Fahrt aufnehmende Re-Regulierung der Leiharbeit, vor allem aber die Einführung von Branchenzuschlägen beispielsweise im Metallbereich die Leiharbeit aus Sicht der entleihenden Unternehmen erkennbar verteuert hat, so dass man sofort begann, neue Umgehungsstrategien zu identifizieren.

Möglicherweise wird die in den kommenden Wochen aus dem Bundesarbeitsministerium erwartete Regulierung der Leiharbeit im Sinne der erwähnten Punkte Überlassungshöchstdauer und Gleichstellung kommen und als Erfolg gefeiert werden, während in der Realität viele Unternehmen schon weiter gezogen sind und versuchen, die „zu teure“ Leiharbeit durch andere Beschäftigungsformate zu ersetzen. Auch wenn die Werkverträge ebenfalls gesetzgeberisch eingehegt werden sollen – das wird wesentlich schwieriger werden als eine Regulierung der Leiharbeit (vgl. dazu meine Beiträge Werkverträge als echtes Problem für Betriebsräte und Gewerkschaft. Und eine „doppelte Tariffrage“ für die IG Metall vom 24. September 2015 sowie Outsourcing mit Folgen: Werkverträge im Visier. Die IG Metall versucht, den Druck auf die Bundesregierung zu erhöhen vom 1. September 2015).

Ob der Bundesrechnungshof die Bundesagentur für Arbeit wirklich geißelt, sei dahingestellt. Aber in Ordnung ist das nicht: Lohnkostenzuschüsse für Leiharbeitsfirmen

Das ist mal eine Überschrift: Rechnungshof geißelt Bundesagentur für Arbeit. Da wird der eine oder andere sofort an gewisse körperliche Züchtigungspraktiken denken. Aber die sind hier wohl nicht gemeint, weil so was im zwischenbürokratischen Raum eher unüblich ist. Wahrscheinlich geht es dem Verfasser des Artikels um die Synonyme wie anprangern, bloßstellen, brandmarken oder desavouieren. Was ja auch schon heftig genug wäre. Werfen wir also einen Blick auf den Sachverhalt, von dem Thomas Öchsner in seinem Beitrag berichtet. Es geht um Lohnkostenzuschüsse der Arbeitsagenturen. Die sind ganz normal und zugleich auch an sich nicht problematisch, wenn sie denn eingesetzt werden, um bestimmten Arbeitslosen den Einstieg in eine neue Beschäftigung zu erleichtern.
Dahinter steht die plausible Annahme, dass ein Arbeitgeber eher davon zu überzeugen ist, einen Arbeitslosen einzustellen, wenn er für die erste Zeit der Beschäftigung einen Teil der anfallenden Lohnkosten als Zuschuss bekommt – immer ausgehend von der Annahme, dass der betreffende Arbeitslose aus welchen Gründen auch immer nicht in der Lage ist, von Anfang an die annähernd volle Leistung zu erbringen und entsprechend auch über einen längeren Zeitraum eingearbeitet werden muss. Wenn diese Voraussetzung erfüllt ist, dann spricht erst einmal nichts gegen das Instrumentarium des Lohnkostenzuschusses, es handelt sich um eine ökonomisch (und sozialpolitisch) durchaus begründbare Kompensation der sogenannten „Minderleistung“ des Arbeitslosen für eine begrenzte Zeit mit der Vorstellung, im Anschluss an die subventionierte Anfangszeit steht dann eine „normale“, also unbefristete Beschäftigung des Arbeitnehmers.
Aber im vorliegenden Fall geht es um eine ganz besondere Nutzung der Lohnkostenzuschüsse, die vom Bundesrechnungshof (BRH) kritisiert wird: »Auch Zeitarbeitsunternehmen, die bei ihnen angestellte Mitarbeiter als Leiharbeiter an andere Firmen verleihen, können die Zuschüsse bekommen. Der BRH hält davon allerdings gar nichts. Zeitarbeitsfirmen werden durch diese Eingliederungszuschüsse „ungerechtfertigt begünstigt“, heißt es in einem internen Prüfungsbericht des Bundesrechnungshofs.«

Die Rechnungsprüfer haben drei große Leiharbeitsunternehmen mit mehr als 7.000 Förderanträgen unter die Lupe genommen. Und die Förderung dieser Unternehmen gefällt den Rechnungsprüfern gar nicht:

»Das Unternehmen, das den Leiharbeiter einsetzt, müsse ihn einlernen und ihm womöglich fehlende Fachkenntnisse vermitteln. Es habe deshalb „den Aufwand für die Behebung der Minderleistung“. Trotzdem kassiere aber das Verleihunternehmen den Lohnkostenzuschuss, „ohne hierfür einen entsprechenden Aufwand zu haben“.«

Man habe den Eindruck gewonnen, dass Leiharbeitsfirmen den Zuschuss teilweise „in ihre Unternehmensstrategie eingebettet haben“. Was nichts anderes bedeutet: Mitnahmeeffekte auf Seiten der Leiharbeitsfirmen nach dem Motto, wenn man das abgreifen kann, dann macht man das auch. Die Prüfer weisen in dem der Süddeutschen Zeitung vorliegenden internen Prüfbericht darauf hin, dass Arbeitnehmer, bei denen eine Lohnkostenbezuschussung abgelehnt worden ist, trotzdem eingestellt worden sind.

»Es geht bei der kritisierten Praxis um viel Geld. 2014 hat die Arbeitsagentur nach eigenen Angaben für mehr als 127.000 Arbeitskräfte Lohnkostenzuschüsse ausgeschüttet. Gut zehn Prozent oder 13.500 waren Leiharbeiter, für die im Durchschnitt 34 Prozent des Bruttogehalts übernommen wurde.«

Natürlich soll man immer auch die andere Seite zu Wort kommen lassen. Was also sagt die BA zu den Vorwürfen der Rechnungsprüfer?

»Ein Sprecher der Bundesagentur wies die Kritik zurück. Die Förderung auch an Leiharbeitsfirmen zu zahlen, sei sinnvoll, weil so Arbeitslose Berufserfahrungen sammeln könnten.«

Das nun ist mit Blick auf die Leiharbeitsverhältnisse in der Realität eine euphemistische Sichtweise auf den Tatbestand. Diese würde nur dann fundiert sein, wenn die Arbeitslosen gleichsam unbefristet von den Leiharbeitsfirmen eingestellt werden und sich am Anfang selbst um die Qualifizierung des Personals kümmern würden, bevor diese an den Markt gehen.

Die Wirklichkeit sieht aber für die Mehrheit der Leiharbeiter ganz anders aus. Sie werden oftmals (in mehr als 50 Prozent der Fälle) innerhalb von drei Monaten wieder – wie heißt das so schön im Neudeutschsprech – „freigesetzt“ werden.

Die – vorsichtig formuliert – Fragwürdigkeit des Förderansatzes kann man sich in einem einfachen Denkschritt verdeutlichen: Die Leiharbeitsfirmen verdienen ihr Geld damit, dass sie Arbeitskräfte an Entleihunternehmen verleihen und dafür eine entsprechende Marge, also Gewinn, realisieren können, der auf der Tatsache basiert, dass man andere für sich arbeiten lässt. Der entleihende Unternehmer hat den offensichtlichen Vorteil, dass er über den Leiharbeiter verfügen und ihn auch direkt im Zentrum der Produktion bzw. Dienstleistungserstellung einsetzen, sich zugleich aber jederzeit ohne Probleme wieder von diesen Beschäftigten trennen kann, in dem er die Leiharbeiter „zurückgibt“.

Normalerweise müsste das Leiharbeitsunternehmen hingehen und – wenn notwendig – eine Überbrückung organisieren, bis sich eine Anschlussbeschäftigung ergibt. Aber viele Leiharbeitsfirmen machen genau das nicht, sondern sie setzen konsequent auf eine Synchronisation der Laufzeit der vorher akquiriertenVerträge mit dem Kundenunternehmen und der Beschäftigung der Leiharbeitnehmer. Anders formuliert: Wenn der Auftrag vorbei ist, dann werden auch wieder viele Leiharbeiter auf der Straße gesetzt. Das führt dann auch dazu, dass weit mehr als die Hälfte der Leiharbeitsverhältnisse weniger als drei Monate dauern.

Hinzu kommt: Während der Anteil der Leiharbeit an der Gesamtbeschäftigung bei unter drei Prozent liegt, ist es so, dass jede dritte bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldete offene Stelle auf die Leiharbeitsbranche entfällt (vgl. dazu den Artikel Bundesagentur für Arbeit: Jede dritte offene Stelle in der Leiharbeit). In manchen Gegenden ist es sogar jede zweite offene Stelle, die meldet wird, wie man der Abbildung entnehmen kann.

Die Deregulierung der Leiharbeit hatte ihren bisherigen Höhepunkt im Kontext der „Hartz-Reformen“. Am 1. Januar 2013 trat eine massive Deregulierung in Kraft: Wegfall des Synchronisationsverbots, des Wiedereinstellungsverbots sowie der Überlassungshöchstdauer. Damit haben sich die Freiheitsgrade der Leiharbeitsbranche erheblich erhöht – und die Unsicherheit der Beschäftigten spiegelbildlich auch.

Vor diesem Hintergrund machen Lohnkostenzuschüsse an Leiharbeitsfirmen keinen Sinn, sondern sie stellen entgegen ihrer eigentlichen Intention primär eine Subventionierung der Leiharbeitsunernehmen dar, nicht der betroffenen Arbeitnehmer.

Fazit: Diese Form der Subventionierung macht keinen erkennbaren Sinn und gehört abgeschafft. Sie hätte nur dann einen Sinn, wenn die Leiharbeitsfirmen ihre Beschäftigten dauerhaft anstellen wie andere Unternehmen auch. Die Leiharbeitsfirmen profitieren schon genug von der Zusammenarbeit mit den Arbeitsagenturen und Jobcentern, beispielsweise durch die kostenlose Inanspruchnahme der ganzen Infrastruktur und die Arbeitslosen sind nicht nur verpflichtet, auch Leiharbeitsjobs anzunehmen – oftmals finden sie vor Ort auch gar keine relevanten anderen Angebote.

Auf der Rutschbahn direkt in Hartz IV. Mehr als jeder fünfte Beschäftigte ist davon bei Arbeitslosigkeit betroffen. Was ein wenig helfen würde und wo die (System-)Grenze ein Dilemma ist

Also „normalerweise“ sollte es so sein, dass das Risiko der Erwerbsarbeitslosigkeit durch „vorrangige“ Sicherungssysteme aufgefangen wird, also durch die Arbeitslosenversicherung und nicht durch eine bedürftigkeitsabhängiges Fürsorgesystem wie Hartz IV. Mittlerweile haben sich diese Verhältnisse umgekehrt und fast 70% der registrierten Arbeitslosen befinden sich im Grundsicherungssystem (SGB II), während etwas mehr als 30% im Versicherungssystem (SGB III) abgesichert sind. Das hängt auch damit zusammen, dass aufgrund der Veränderungen in den unteren Etagen des Arbeitsmarktes seit Mitte der 1990er Jahre – vor allem deren Ausbreitung und der für viele dauerhaften Exklusion von stabileren Formen der Beschäftigung – die Voraussetzungen für den Bezug von Versicherungsleistungen nicht oder immer seltener erfüllt werden (können), wie beispielsweise die notwendige Vorbeschäftigungszeit innerhalb einer vom Gesetzgeber festgelegten Rahmenfrist, um beim Eintritt des „Schadensfalls“ Arbeitslosigkeit Leistungen zu bekommen.
Das führt dann zu solchen Meldungen, die auf eine neue Auswertung der Zugangsdaten in Arbeitslosigkeit beruhen, die vom DGB in regelmäßigen Abständen vorgenommen wird: Jeder fünfte Beschäftigte rutscht bei Arbeitslosigkeit sofort in Hartz IV: »Demnach waren in den ersten sechs Monaten des laufenden Jahres 264.000 Beschäftigte schon zu Beginn ihrer Arbeitslosigkeit auf Hartz IV angewiesen. Das waren 21,3 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten mit Jobverlust. Besonders angespannt ist die Lage in der Zeitarbeitsbranche. Dort wurden im ersten Halbjahr 183.000 Arbeitkräfte entlassen. Davon waren rund 68.000, also 37 Prozent, direkt im Anschluss auf staatliche Grundsicherung angewiesen.«

Wer das Original lesen möchte, kann die Auswertung der Zugangsdaten in Arbeitslosigkeit und vor allem die sozialpolitischen Schlussfolgerungen des DGB hier als PDF-Datei abrufen:

Wilhelm Adamy: 12 Monate mehr: Wie die Arbeitslosenversicherung besser vor Verarmung schützen kann. Auswertung aktueller Arbeitsmarktzahlen (1. Halbjahr 2015), Berlin 2015.

»Der Weg vom Beschäftigten zum Hartz-IV-Empfänger kann sehr kurz sein«, so Wilhelm Adamy in seiner Analyse: »Mehr als zwei Drittel der Beschäftigten, die sich neu arbeitslos melden müssen, haben eine berufliche Ausbildung oder waren als Spezialist oder Experte (z.B. Ingenieur) beschäftigt. Das Hartz IV-Risiko bei Eintritt der Arbeitslosigkeit nimmt zwar mit dem Qualifikationsniveau ab, liegt bei ehemaligen Fachkräften aber immer noch bei knapp einem Fünftel. Bei den arbeitslosen Helfern sind nach einer Beschäftigung am ersten Arbeitsmarkt sogar 42 Prozent auf staatliche Fürsorgeleistungen angewiesen.«

Und jetzt kommt ein Problem, auf das die derzeitige Debatte zielt:

»Viele mit und ohne Berufsabschluss haben zwar gearbeitet und ein ganzes Jahr Beiträge zur Versicherung gezahlt. Sie haben es aber nicht innerhalb der letzten zwei Jahre (der gesetzlichen Rahmenfrist) schaffen können, weil sie befristet oder unstetig beschäftigt waren. Infolge der zu kurzen Beitragszahlungen oder einer länger zurück liegenden Beschäftigung führt dies zum sofortigen Sturz in das Hartz-IV-System. Insbesondere prekär Beschäftigte, kurzfristig Beschäftigte und Leiharbeitskräfte kommen oftmals gar nicht in den Schutz der Versicherung.«

„Beeindruckend“ im negativen Sinne sind hier die für die Leiharbeit präsentierten Daten:

»Im Verleihgewerbe sind im ersten Halbjahr 2015 bereits 183.000 Leiharbeitskräfte arbeitslos geworden, rund 68.000 davon sind direkt auf Hartz IV angewiesen. Diese Zugänge aus Leiharbeit in Arbeitslosigkeit entsprechen fast einem Viertel des Beschäftigungsbestandes dieser Branche. Heuern und Feuern ist hier immer noch an der Tagesordnung, wenn im Schnitt ein Viertel der Belegschaft im Verleihgewerbe innerhalb eines halben Jahres Erfahrung mit Arbeitslosigkeit machen muss. Rund 37 Prozent der vormaligen Leiharbeitskräfte sind bei Eintritt der Arbeitslosigkeit zugleich auf Hartz IV angewiesen.«

Hinsichtlich des diskutierten und vom DGB auch geforderten Veränderungsbedarfs muss man darauf hingewiesen, dass es sich um den Vorschlag handelt, eine alte, also früher schon mal bestehende Regelung in der Arbeitslosenversicherung wieder einzuführen, also nichts wirklich Neues oder gar Revolutionäres. Dem DGB-Papier können wir dazu entnehmen:

»Laut Koalitionsvertrag sollen Beschäftigte künftig wieder 36 Monate Zeit haben, um zwölf Monate Beiträge in die Arbeitslosenversicherung einzuzahlen. Dieser Zeitraum ist die Voraussetzung, um Arbeitslosengeld I zu beziehen. Von dieser Reform würden insbesondere Menschen profitieren, die häufig nur für kurze Zeit eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung haben. Die so genannte Rahmenfrist lag vor 2006 ebenfalls bei 36 Monaten und wurde dann auf 24 Monate verkürzt.«

Der DGB „erinnert“ nun die Bundesregierung lediglich an das eigene Vorhaben, das man im Koalitionsvertrag beschlossen hat:

»Der DGB fordert, die gesetzliche Rahmenfrist endlich zu verlängern (im Koalitionsvertrag war Anfang 2015 als Start genannt worden). Das würde im Jahresschnitt die Zahl der Empfänger von Arbeitslosengeld I um etwa 50.000 erhöhen, die Ausgaben würden pro Jahr um rd. 300 Mio. Euro steigen. Gleichzeitig würde das Hartz-IV- System schrumpfen. Bund und Kommunen würden jährlich um fast 100 Mio. Euro entlastet.«

Man sollte aber vor dem Hintergrund der Gesamtzahl an Arbeitslosen und an Zugängen in Arbeitslosigkeit den Effekt einer solchen Veränderung nicht überbewerten – für die einzelnen Betroffenen wäre das sicher eine wichtige Verbesserung, aber das angesprochene Grundproblem einer seit vielen Jahren beobachtbaren Verschiebung der „Absicherung“ von Phasen der Erwerbslosigkeit aus der (eigentlich zuständigen) Arbeitslosenversicherung in die (eigentlich nur als letztes Auffangnetz vorgesehene) Fürsorge wird dadurch nur in einer überschaubaren Art und Weise etwas korrigiert.

Zu den Zahlen: Im 1. Halbjahr 2015 haben 1,238 Mio. Menschen ihren sozialversicherten Job verloren und sind arbeitslos geworden.  Mehr als ein Fünftel der Beschäftigten, die im ersten Halbjahr 2015 den Job verloren, sind schon zu Beginn der Arbeitslosigkeit in Hartz IV gerutscht. Absolut waren dies 264.000 bzw. 21,3 Prozent der sozialversichert Beschäftigten mit Jobverlust.
Was würde nun die eigentlich vereinbarte Verlängerung der Rahmenfrist von zwei auf drei Jahre bringen? Hier werden zwei Zahlen genannt: Im DGB-Papier findet man dazu den Hinweis: »Das würde im Jahresschnitt die Zahl der Empfänger von Arbeitslosengeld I um etwa 50.000 erhöhen.« In dem Artikel der Saarbrücker Zeitung wird eine etwas andere Zahl genannt: »Nach Angaben des DGB-Arbeitmarktexperten Wilhelm Adamy könnten dadurch im Jahresschnitt bis zu 35.000 Personen vor dem sofortigen Abdriften in Hartz IV bewahrt werden.«

35.000 bis 50.000 sind eine Menge. Aber nur ein Teil der Betroffenen:

Für die große Mehrheit der Arbeitslosen, die derzeit direkt „weitergereicht“ werden in das Hartz IV-System, bleibt das beschriebene Dilemma erheblicher Sicherungslücken in dem „eigentlich“ für ihr Problem zuständigen Versicherungssystem bestehen. Das Dilemma resultiert aus dem Versicherungscharakter der Arbeitslosenversicherung, die zwar eine Sozialversicherung ist, aber eben auch Versicherungsprinzipien folgen muss. Zugespitzt formuliert: Die Arbeitslosenversicherung ist ein geeignetes Aufgang- und (bei entsprechender Höhe der Leistungen) Absicherungssystem für die betroffenen Arbeitnehmer, wenn der Schadensfall der Arbeitslosigkeit nur als Ausnahmefall und dann temporär eintritt, also nach einer überschaubaren Zeit wieder beendet werden kann durch die Aufnahme einer neuen sozialversicherungspflichtigen Arbeit. Die Versicherung als solche stößt an ihre (System-)Grenze, wenn die Arbeitslosigkeitsphasen oft und dann auch noch lange anhaltend auftreten. Vor diesem strukturellen Problem stehen alle – grundsätzlich wichtigen und eigentlich notwendigen – Ansätze einer Weiterentwicklung der „tradierten“ Arbeitslosen- hin zu einer modernen „Beschäftigungsversicherung“, seit Jahren richtigerweise gefordert, aber bislang noch nicht wirklich überzeugend konzeptualisiert. Das ist keineswegs ein Plädoyer, darüber nicht weiter zu diskutieren. Aber derzeit bleibt hier ein großes Fragezeichen.

Eine „Beschäftigungsversicherung“ würde nicht nur vor dem Problem stehen, dass die Fälle besser abgesichert werden müssen, um die es bislang in diesem Beitrag ging, die also häufig und länger anhaltend arbeitslos werden aus einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung. Die ganze „Aufstocker“-Thematik aus dem Grundsicherungssystem müsste hier berücksichtigt werden, also die Mischung aus Erwerbstätigkeit und einer aufstockenden Leistungsgewährung angesichts der nicht ausreichend hohen Einkommen aus der Erwerbstätigkeit, sei sie nun sozialversicherungspflichtig, als geringfügige Beschäftigung oder in Form der Selbständigkeit ausgeübt.