„Integrationsarbeit“ statt „80 Cent-Arbeitsgelegenheiten“? Und die Untiefen des Versuchs einer integrationsgesetzlichen Abbildung der Lebenswirklichkeit

Das Bundesarbeitsministerium bewirbt
auf der ministerialen Website
das anstehende Integrationsgesetz mit großen
Versprechungen: »Es fördert den schnellen Zugang zum Arbeitsmarkt und die
Integration durch Arbeit. Dafür wird das Angebot an Integrations- und
Sprachkursen verbessert und ausgebaut.  Der Weg in eine Berufsausbildung
wird durch eine gezieltere Förderung und mehr Aufenthaltssicherheit eröffnet.
Zusätzliche 100.000 Arbeitsgelegenheiten für Berechtigte nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz ermöglichen erste Einblicke in den deutschen
Arbeitsmarkt.« Die in dem Konzept enthaltenen zusätzlichen 100.000 Arbeitsgelegenheiten
wurden in dem Beitrag „Nirwana-Arbeitsgelegenheiten“
zwischen Asylbewerberleistungsgesetz und SGB II. Eine dritte Dimension der
„Ein-Euro-Jobs“ und die dann auch noch 20 Cent günstiger?
vom 12.
Juni 2016 bereits kritisch auseinandergenommen. In diesem Zusammenhang stellt
sich natürlich die Anschlussfrage, was man denn alternativ machen sollte und
könnte, um die Arbeitsmarktintegration der Flüchtlinge zu fördern. Da gibt es
dann beispielsweise den Vorschlag der „Integrationsarbeit“ in expliziter
Abgrenzung zu dem geplanten Einsatz des Instrumentariums der
Arbeitsgelegenheiten. Dieser Vorschlag ist auch deshalb genauer anzuschauen,
weil er nicht etwa aus der Ecke der „üblichen Verdächtigen“ kommt, denen es vor
allem um Förderung und Ausweitung der arbeitsmarktpolitischen Aktivitäten geht.
Denn der Verfasser, Steffen J. Roth, ist seit 2002 Geschäftsführer des die
Fahne der Ordnungspolitik hochhaltenden Instituts
für Wirtschaftspolitik an der Universität zu Köln
. Roth hat 2002 promoviert
zum Thema „Beschäftigungsorientierte Sozialpolitik. Gemeinnützige Beschäftigung
als Brücke zwischen Sozialsystem und Arbeitsmarkt“ und daran schließen seine
aktuellen Überlegungen die „Integrationsarbeit“ betreffend an.

Roth hat sich jetzt unter dem vielversprechenden Titel Wie
die Integration der Flüchtlinge gelingen kann
in einem Gastbeitrag in der
FAZ zu Wort gemeldet. Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist diese sicher von
vielen geteilte Diagnose:

»Ein großer Teil der Flüchtlinge wird dauerhaft bleiben oder
zumindest vorübergehend geduldet werden. Die wenigsten werden einen schnellen
Zugang zum Arbeitsmarkt finden. Wenn wir in der Integrationspolitik keine neuen
Wege gehen, werden Hunderttausende leistungsfähiger und leistungswilliger
Menschen über Jahre hinweg Leistungen aus den Sozialsystemen beziehen werden,
ohne sich selbst und der aufnehmenden Gemeinschaft helfen zu können.«

Damit sind natürlich erhebliche Kosten verbunden und man
kann nun versuchen, auf der Ausgabenseite Mittel einzusparen oder aber »auf der
Ertragsseite Wege … erschließen, dank derer die Zuwanderer ihren Hilfebedarf
aus eigener Kraft reduzieren und der aufnehmenden Gesellschaft etwas
zurückgeben können.« Der letzte Punkt ist sein konzeptioneller
Anknüpfungspunkt.

Und dass wir Handlungsbedarf haben, begründet Roth auch mit
Bezug auf Argumentationslinien, die in der Arbeitsmarktpolitik seit Jahrzehnten
vorgetragen werden, um Investitionen beispielsweise in öffentlich geförderte
Beschäftigung eines Teils der Arbeitslosen zu legitimieren:

»Aus sozialwissenschaftlicher Sicht ist außerdem zu
erwarten, dass eine anhaltende Untätigkeit der Flüchtlinge negative Folgen auf
deren Integrations- und Beschäftigungsfähigkeit hat. Anhaltende unfreiwillige
Untätigkeit wirkt sich negativ auf die psychische und physische Gesundheit der
Betroffenen aus und bewirkt Resignationseffekte … Studien zeigen darüber
hinaus signifikante Effekte auf Persönlichkeitsveränderungen, die einer
zukünftigen Beschäftigung entgegenstehen können.«

Man muss sich einfach mal jenseits aller sicherlich
hilfreichen Studien vorstellen, man wäre in ein fremdes Land geflüchtet, in
einer Sammelunterkunft untergebracht, Monate darauf wartend, überhaupt einen
Asylantrag stellen zu können, der dann noch bearbeitet werden muss. Und den
ganzen Tag nichts zu tun zu haben. Die Zeit totschlagen zu müssen. Man kann
sich selbst vorstellen, dass das ein nicht selten im wahrsten Sinne des Wortes
krank machendes Setting ist.
Deshalb muss man alles versuchen, um die Betroffenen so
schnell wie möglich in Beschäftigung zu integrieren, so die Argumentation von
Roth, der dann von „Integrationsarbeit“ spricht – auch, aber nicht nur, als »Möglichkeit,
die zermürbende und lähmende Zeit des untätigen Abwartens zu beenden«. Was soll
„Integrationsarbeit“ sein?

»Sie bietet arbeitsfähigen Flüchtlingen eine breite Palette
Tätigkeiten, erschließt ihnen unmittelbar sinnstiftende und
integrationsfördernde Arbeit im Dienste der sie aufnehmenden Gemeinschaft. Da
die Tätigkeiten der Integrationsarbeit im schlechtesten Fall kostenneutral für
die öffentlichen Haushalte sein sollen und bestenfalls sogar Ersparnisse oder
Einnahmen generieren, können alle arbeitsfähigen Flüchtlinge an solchen
Maßnahmen teilhaben. Im Kern geht es darum, den Betroffenen Tätigkeiten zu
eröffnen, in denen ein Wert geschaffen wird, für den auch eine
Zahlungsbereitschaft der Bevölkerung besteht. Da die Versorgung der Flüchtlinge
durch Sach- oder Geldleistungen im Rahmen des Asylbewerberleistungsgesetzes,
durch Arbeitslosengeld II oder Sozialhilfe gewährleistet wird, sollen die in
der Integrationsarbeit erwirtschafteten Leistungen und Entgelte prinzipiell
nicht den Teilnehmern persönlich, sondern der sie unterstützenden Gemeinschaft
zukommen.«

Nun könnte man an dieser Stelle einwerfen, dass das doch
auch mit den geplanten Arbeitsgelegenheiten (AGH) angestrebt wird, sogar mit
dem Unterschied, dass die Teilnehmer an den AGH noch eine
Mehraufwandsentschädigung von 80 Cent bekommen sollen, in dem Modell von Roth
sind die nicht vorgesehen. Aber der erste Blick täuscht, denn wie bereits in
dem kritischen
Beitrag vom 12.06.2016
dazu ausführlich dargelegt, leiden die
Arbeitsgelegenheiten als Instrument unter dem bestehenden restriktiven
Förderrecht mit seinen Anforderungen wie Zusätzlichkeit, öffentliches Interesse
und vor allem der Wettbewerbsneutralität.
Genau diese seit vielen Jahren in der
arbeitsmarktpolitischen Fachdiskussion zu Recht kritisierten Begrenzungen mit
ihren teilweise kontraproduktiven Effekten auf eine echte
Arbeitsmarktintegration werden auch von Steffen J. Roth aufgegriffen und in
Frage gestellt.
Dazu trägt er in seinem Beitrag einen interessanten
Gedankengang vor, der darauf abstellt, in welchen Blockaden wir uns derzeit
bewegen:

»Nehmen wir an, ein Flüchtling erfährt die Hilfsbereitschaft
einer Anwohnerin seiner Unterkunft, die ihn ehrenamtlich bei Behördengängen und
beim Erwerb der deutschen Sprache unterstützt. Nehmen wir weiterhin an, dieser
Flüchtling würde bei einem Spaziergang bemerken, wie sich ebenjene hilfsbereite
Person mit schweren Einkaufstaschen abmüht. Er entscheidet ohne zu zögern, der
Frau zu helfen, und bringt ihren Einkauf nach Hause. Sie bedankt sich
freundlich, bietet ihm einen Tee an, man unterhält sich. Im Gespräch erfährt
der Flüchtling, dass es der Frau schwerfällt, den Rasen zu mähen. Er bietet an,
diese Arbeit zu übernehmen. Die Frau willigt ein und freut sich zu beobachten,
wie emsig der junge Mann die Aufgabe erledigt. Bei der Verabschiedung drückt
ihm die Frau zehn Euro in die Hand. Der junge Mann lehnt höflich ab.
Schließlich wollte er sich für die zuvor erfahrene Hilfsbereitschaft
erkenntlich zeigen. Die Frau wiederum will die Tatkraft des jungen Mannes nicht
ausnutzen. Die beiden einigen sich schließlich darauf, dass die Frau die zehn
Euro dem Flüchtlingsnetzwerk vor Ort spenden wird.«

Und genau an dieser Stelle der bis hierher schönen
Geschichte betreten die bekannten Einwände die Bühne des Geschehens:

»Ein unromantisch-kritischer Geist wird … mahnend auf
eventuelle unerwünschte gesellschaftliche Folgen aufmerksam machen: Wieso
unterrichtet die Anwohnerin Deutsch und hilft bei Behördengängen? Verdrängt
solche ehrenamtliche Tätigkeit nicht professionelle Deutschlehrer und Anwälte
oder Sozialarbeiter? Und kann die Anwohnerin diese Tätigkeiten überhaupt auf
einem ausreichend hohen Niveau ausüben? Welche Folgen hat es, wenn der
Flüchtling der Frau beim Einkauf oder Rasenmähen hilft? Schließlich bietet der
örtliche Supermarkt einen kostenpflichtigen Heimlieferservice an. Vom Angebot
kommerzieller Gärtner ganz zu schweigen. Wieso bietet die Frau dem jungen Mann
ein Entgelt an? So ein entgeltlicher Leistungsaustausch kann als Schwarzarbeit
und Sozialversicherungsbetrug angesehen werden. Wieso lehnt der Flüchtling das
angebotene Geld ab? Unterwirft er sich nicht menschenunwürdig, wenn er
unentgeltlich arbeitet, und drückt er nicht das allgemeine Lohnniveau?«

Bei den Arbeitsgelegenheiten (z.B. bei den nach § 16d SGB
II) hat man diese Einwände institutionalisiert in Form der einschränkenden
förderrechtlichen Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit die möglichen
„Kollisionen“ mit dem „normalen“ Arbeitsmarkt oder Verdrängungseffekte auf dem
Arbeitsmarkt der Kommunen verhindert oder zumindest vermieden werden sollen,
wofür man allerdings einen hohen Preis zu zahlen hat hinsichtlich der
Sinnhaftigkeit und der Werthaltigkeit der dann noch verbleibenden
Einsatzfelder. Das hat Konsequenzen, auch Roth kritisiert die am Beispiel der
geforderten „Zusätzlichkeit“ mit der Schlussfolgerung, diese bedinge »ein
systematisches Verbot produktiver Einsätze. Je mehr eine Arbeit wertgeschätzt
wird, umso weniger genügt sie dem gesetzgeberischen Anspruch.«
Er plädiert für eine ganz andere Sichtweise auf
Zusätzlichkeit:

»Zusätzlich im volkswirtschaftlichen Sinne wäre im Gegenteil
jede Arbeitsleistung, die der Gesellschaft einen höheren Nutzen stiftet, als
sie an Kosten verursacht … Je produktiver die Teilnehmer in ihrer Tätigkeit
sind, desto höher der Zusatznutzen für die Gemeinschaft. Aus
gesamtwirtschaftlicher Sicht verdrängen die Maßnahmenteilnehmer keine reguläre
Beschäftigung, sie ermöglichen zusätzliche Leistungen.«

Auch die im bestehenden Recht verankerte Begrenzung auf kommunale
und steuerrechtlich als gemeinnützig eingestufte Träger wird von ihm
kritisiert.
Wie will Roth nun seine – im Vergleich zu den heute gegebenen
Arbeitsgelegenheiten deutlich erweiterte – „Integrationsarbeit“ umsetzen? Er
greift dabei auf einen Ansatz zurück, den wir schon seit vielen Jahrzehnten
kennen, in der alten Welt der Bundesanstalt für Arbeit waren das beispielsweise
die „ABM-Ausschüsse“ und heute gibt es im SGB II die „örtlichen Beiräte“ (nach
§ 18d SGB II):

Er plädiert dafür, dass ein »kommunales Gremium aus lokalen
Vertretern der Politik, der Gewerkschaften, der Unternehmen, der Kammern und
der Arbeitsagenturen über die Einsatzmöglichkeiten der Flüchtlinge bestimmen.
Je nach Struktur der Kommune können weitere Interessenvertreter aufgenommen
werden. Deren Kenntnisse der lokalen Begebenheiten können genutzt werden, um
Bedarfe zu identifizieren, die durch den Einsatz von Flüchtlingen gedeckt
werden können, ohne größere Verwerfungen zu provozieren.«
Die Kommunen sollten möglichst freie Hand haben, wie sie die
Integrationsarbeit konkret umsetzen. »Die Akteure vor Ort werden dabei mit
Augenmaß vorgehen und erkennbare Beeinträchtigungen etablierter Unternehmen vor
Ort genauso vermeiden wie wiederholte Arbeitseinsätze bei denselben
Auftraggebern gegen zu geringe Verleihgebühren. Es kann vor Ort darüber
entschieden werden, ob die Teilnehmer zusätzliche Anreize in Form von
Zertifikaten zur Dokumentation ihrer Tätigkeiten sowie privilegierten oder über
Bildungsgutscheine subventionierten Zugang zu weiterführenden Sprachkursen
erhalten.«
Das klingt natürlich für den einen oder anderen reichlich
ungenau und wenig normiert, aber das ist auch in anderen Konzepten ein
wesentliches Element für einen möglichst flexiblen und nicht die Luft
abschnürenden Förderrahmen (vgl. dazu beispielsweise die Vorschläge in Stefan
Sell: Hilfe zur
Arbeit 2.0. Plädoyer für eine Wiederbelebung der §§ 18-20 BSHG (alt) in einem
SGB II (neu)
. Remagener Beiträge zur Sozialpolitik 19-2016, Remagen 2016).

Aus einer systematischen Sicht wäre das zu ergänzen um die
grundsätzliche Frage nach der Sinnhaftigkeit der bestehenden institutionellen
Vielgestaltigkeit der Zuständigkeiten für Flüchtlinge, Asylbewerber,
Asylberechtigte, Geduldete usw. Dazu bereits mein Hinweis in dem Beitrag vom
12.06.2016: »Am Ende landen die meisten Flüchtlinge alle im Hartz IV-System,
also im Rechtskreis des SGB II, außer sie können sich als anerkannte
Asylbewerber auf dem Arbeitsmarkt alleine finanzieren, was einigen, sicher in
den nächsten Jahren aber nicht vielen gelingen wird. Warum also nicht die
Jobcenter von Anfang an für die arbeitsmarktliche Betreuung und Begleitung der
Flüchtlinge zuständig machen? Das wäre konsequent und man vermeidet die
zahlreichen Probleme, die sich allein aus dem Rechtskreiswechsel und der heute
schon vorhandenen und nun auch noch auszubauenden Teil-Zuständigkeit der BA mit
ihren Arbeitsagenturen ergeben.«
Und warum das so wichtig ist, dass man flexible und nicht zu
detailliert ausgestaltete Regelungen braucht, kann man auch an einem anderen,
benachbarten Beispiel aus dem großen Themenfeld Integration von Flüchtlingen in
Arbeit besichtigen. Konkret geht es um die Ermöglichung und Absicherung des
Zugangs von Flüchtlingen zu einer gerade auf dem deutschen Arbeitsmarkt so
wichtigen Berufsausbildung. Das geplante Integrationsgesetz der Bundesregierung
geht hier offensichtlich in die von vielen geforderte Richtung: Asylbewerber,
die bald nach ihrer Ankunft eine Berufsausbildung beginnen, sollen nicht durch
eine Abschiebung aus der Ausbildung herausgerissen werden. So hatten es
Wirtschaftsvertreter immer wieder gefordert, und so sieht es das geplante neue
Integrationsgesetz nun auch im Grundsatz vor. Denn ansonsten wären viele
Betriebe nicht bereit, Asylbewerber auszubilden, bevor ihre Bleibeperspektive
rechtssicher geklärt ist. Hinzu kommt: Wer erfolgreich seine Prüfung macht,
soll noch für zwei Jahre hierzulande in seinem Ausbildungsberuf arbeiten
dürfen. So positiv beginnt der Artikel Streit
über Abschiebeschutz für Lehrlinge
, dessen Überschrift aber schon andeutet,
dass es dann doch nicht so einfach kommt wie gedacht:

»Gewerkschaften, Arbeitgeber und Grüne halten die geplante
Neuregelung für nicht praxistauglich und fordern daher eine Nachbesserung. Sie
sieht vor, dass betroffene Lehrlinge unabhängig vom Grund des
Ausbildungsabbruchs sofort abgeschoben werden. Betriebe müssen den Abbruch der
Ausländerbehörde melden. Falls sie dies versäumen, droht ihnen ein Bußgeld von
30.000 Euro.«

Das grundsätzliche Problem lässt sich hier leicht erkennen:
Wenn man regelt, dass eigentlich aus anderen Gründen abzuschiebende Personen,
weil sie eine Ausbildung machen, nicht abgeschoben werden dürfen, stellt sich
sogleich die Folgefrage, wie denn mit dem Fall umgegangen werden soll, dass der
Betroffene die Ausbildung abbricht und damit der eigentliche Schutzgrund
wegfällt.
Die Arbeitgeber halten grundsätzlich eine Meldepflicht als
Vorkehrung gegen einen möglichen Missbrauch des Abschiebeschutzes für Auszubildende
für nachvollziehbar, stören sich aber an der im Gesetzentwurf vorgesehenen
Bußgeldandrohung. Eine bußgeldbewehrte Meldepflicht der Betriebe hingegen werde
das Verhältnis zwischen Ausbilder und Lehrling unnötig belasten und von einer
Ausbildung von Asylbewerbern und Geduldeten abschrecken.
Auch der DGB verneint nicht grundsätzlich, dass ein
Ausbildungsabbruch auch Folgen für den Abschiebeschutz haben solle, weist aber
darauf hin:

»Mit der geplanten Regelung werde aber nicht ausreichend
berücksichtigt, dass „ein Abbruch der Ausbildung häufig aufgrund schlechter
Bedingungen oder mangelnder Ausbildungsqualität erfolgt“. Deswegen sei
zumindest klarzustellen, dass sich ein Wechsel in einen anderen
Ausbildungsbetrieb nicht negativ auf die Duldung auswirke.«

Die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Grünen im
Bundestag, Brigitte Pothmer, wird mit dem Vorschlag zitiert, »Abbrechern eine
Frist von sechs Monaten einzuräumen, in denen sie sich um eine Ersatzausbildung
bemühen können. Pothmer weist darauf hin, dass schon bisher jede vierte
Berufsausbildung vorzeitig ende – aus vielfältigen Gründen, die auch mit dem
Ausbildungsbetrieb und der Berufswahl zu tun haben könnten.«
Dieses Beispiel zeigt erneut, dass der Teufel im Detail
versteckt ist und je genauer man bestimmte Fallkonstellationen zu regeln
versucht, um so mehr Folgeprobleme tun sich auf. Am 20. Juni 2016 wird es im
Bundestag eine Anhörung zum Integrationsgesetzentwurf geben und man darf
gespannt sein, ob man das beschriebene Problem einer Lösung und wenn ja,
welcher, zuführen kann. 

„Nirwana-Arbeitsgelegenheiten“ zwischen Asylbewerberleistungsgesetz und SGB II. Eine dritte Dimension der „Ein-Euro-Jobs“ und die dann auch noch 20 Cent günstiger?

Immer wenn man denkt, noch kleinteiliger, gesetzestechnisch hypertrophierter und inhaltlich korinthenkackerhafter geht es nicht in der Sozialpolitik, wird man eines Besseren belehrt. Bereits der als Rechtsvereinfachung gestartete und als Rechtsverschärfung und -verkomplizierung gelandete Versuch eines gegenwärtig im Bundestag liegenden 9. SGB II-Änderungsgesetzes wäre hier einzuordnen (vgl. dazu den Blog-Beitrag Entbürokratisierung des SGB II und mehr Luft für die Jobcenter? Von Luftbuchungen, Mogelpackungen und einem trojanischen Pferd vom 14. Februar 2016). Aber nun hat man sich die „Arbeitsgelegenheiten“ – umgangssprachlich als „Ein-Euro-Jobs“ bezeichnet – vorgenommen. Und offensichtlich ist man bestrebt, hinsichtlich des Komplexitätsgrades wie auch mit Blick auf die inhaltliche Fragwürdigkeit einen veritablen Quantensprung hinzulegen.
Es geht um das geplante „Integrationsgesetz“ die Flüchtlinge betreffend (vgl. hierzu Gesetzentwurf eines Integrationsgesetzes, BT-Drucksache 18/8615 vom 31.05.2016).

Das neben dem Bundesinnenministerium federführende Bundesarbeitsministerium verkündet unter der Überschrift Das neue Integrationsgesetz fördert und fordert: »Zusätzliche 100.000 Arbeitsgelegenheiten für Berechtigte nach dem Asylbewerberleistungsgesetz ermöglichen erste Einblicke in den deutschen Arbeitsmarkt.« Das nun überrascht den einen oder anderen, vor allem aber den sachkundigen Beobachter der arbeitsmarktpolitischen Landschaft, denn die „Arbeitsgelegenheiten“ – im SGB II die letztendlich einzige verbliebene Form der öffentlich geförderten Beschäftigung – haben von ihrer Anlage bzw. ihrem vom Gesetzgeber gewollten Zuschnitt nun eher nicht die Aufgabe, dem deutschen Arbeitsmarkt irgendwie nahezukommen, sondern aufgrund der förderrechtlichen Anforderungen (vgl. hierzu § 16d SGB II, nach dessen Absatz 1 erwerbsfähige Leistungsberechtigte in Arbeitsgelegenheiten zugewiesen werden können, »wenn die darin verrichteten Arbeiten zusätzlich sind, im öffentlichen Interesse liegen und wettbewerbsneutral sind.«) müssen sie sogar möglichst weit weg sein von dem, was in der „normalen“ Wirklichkeit des Arbeitsmarktes passiert, damit sie nicht gegen die Wettbewerbsneutralität (§ 16d Abs. 4 SGB II) verstoßen.

Und der Blick in das Gesetz belehrt uns auch darüber, dass es gar nicht das Ziel dieser Maßnahmen sein soll (und kann), die Teilnehmer möglichst schnell und direkt in den Arbeitsmarkt einzugliedern, so Absatz 1 des § 16 d SGB II: »Erwerbsfähige Leistungsberechtigte können zur Erhaltung oder Wiedererlangung ihrer Beschäftigungsfähigkeit, die für eine Eingliederung in Arbeit erforderlich ist, in Arbeitsgelegenheiten zugewiesen werden.«

Der entscheidende Punkt ist die Zielvorgabe „Erhaltung oder Wiedererlangung ihrer Beschäftigungsfähigkeit“, also gleichsam eine der Integration in den „normalen“ Arbeitsmarkt vorgelagerte Aufgabe, die Heranführung, Vorbereitung und Unterstützung einer später mal hoffentlich stattfindenden Integration in Arbeit.

Immer wieder werden die „Ein-Euro-Jobs“ in Medienberichten kritisiert, dass die mit ihnen verbundenen Integrationsquoten sehr niedrig seien, folglich das Instrument als gescheitert anzusehen sei. Die Bundesagentur für Arbeit hingegen schreibt hierzu in ihrer Eingliederungsbericht 2014 zutreffend: »Die geringe Eingliederungsquote von Arbeitsgelegenheiten lässt sich auch darauf zurückführen, dass eine sofortige Integration in den ersten Arbeitsmarkt nicht das primäre Ziel dieser Maßnahme ist. Die Zielsetzung von Arbeitsgelegenheiten ist vielmehr die (Wieder-) Herstellung und Aufrechterhaltung der Beschäftigungsfähigkeit von arbeitsmarktfernen Personen.« (S. 10).
Vor diesem konzeptionellen Hintergrund der Arbeitsgelegenheiten ist die Erwartung des BMAS, die geplanten 100.000 Plätze würden „erste Einblicke in den deutschen Arbeitsmarkt“ ermöglichen, nur als weltfremd zu bezeichnen.

Offensichtlich werden wir in diesem Bereich der Arbeitsmarktpolitik von allen Seiten mit massiven Wissenslücken konfrontiert. Zwei Beispiele: Unter der Überschrift „Geflüchtete engagieren sich bereits“ findet man ein Interview mit Bernd Mesovic, stellvertretender Geschäftsführer von Pro Asyl. Darin wird er u.a. mit diesen Worten zitiert: »Es ist noch nicht klar, wo diese Beschäftigungen angeboten werden sollen. Für die Privatwirtschaft könnten sie eine Möglichkeit sein, den Mindestlohn zu unterlaufen. Doch eine solche „Billiglohnabteilung Flüchtlinge“ wollen wir nicht.« Das könnte man mit guten Gründen nicht wollen, aber es erübrigt sich dahingehend, dass Arbeitsgelegenheiten gerade nicht in der Privatwirtschaft durchgeführt werden dürfen. In einem anderen Artikel – Neuer Billiglohnsektor in Planung – wird die Linke-Politikerin Sevim Jagdelen dahingehend zitiert, »mit den geplanten 100.000 Ein-Euro-Jobs werde ein Billiglohnsektor geschaffen, durch den die Lohnspirale weiter nach unten gehe. Flüchtlinge würden in Konkurrenz zur einheimischen Bevölkerung gesetzt.« Nein, das werden sie nicht. Das wäre beispielsweise der Fall, wenn man den Mindestlohn für Flüchtlinge aussetzen würde. Aber nicht durch AGHs.  Noch schlimmer kommt so eine Einschätzung daher: In dem Artikel über den Entwurf eines Integrationsgesetzes unter der Überschrift Was halten Experten von den Reformen? wird auch Carola Burkert, immerhin die Leiterin der Arbeitsgruppe „Migration und Integration“ am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit so zitiert: »Den Vorschlag, niedrigschwellige Arbeitsgelegenheiten (sogenannte Ein-Euro-Jobs) aus Bundesmitteln zu finanzieren, sehe ich dagegen kritisch … solche Jobs (wurden) für Personen geschaffen, die keine Chancen haben, eine nicht-geförderte Stelle am sogenannten ersten Arbeitsmarkt zu erlangen. Das erhoffte Ziel, dass es diesen Personen dann gelingen würde, im „ersten Arbeitsmarkt“ Fuß zu fassen, wurde jedoch nicht erreicht. Deshalb wurden die Ein-Euro-Jobs als Maßnahme zur Arbeitsmarkintegration abgeschafft.« Nein, das wurden sie nicht und eine Arbeitsgruppenleiterin im Forschungsinstitut der Bundesagentur für Arbeit sollte das auch wissen.

Angesichts der eklatanten Wissenslücken in diesem Bereich überrascht es denn auch nicht, dass in der bisherigen Berichterstattung der eigentliche Skandal nicht erkannt und vorgetragen wurde: Die neuen Arbeitsgelegenheiten eigener Art, wie sie mit dem Integrationsgesetz geplant werden, machen überhaupt keinen Sinn. Da werden 100.000 Plätze geplant, die man eigentlich nicht oder nur mit einer sehr kleinen Zahl besetzen kann. Darauf wurde bereits in diesen beiden Blog-Beiträgen kritisch hingewiesen: Die Bundesarbeitsministerin fordert „Ein-Euro-Jobs“ für Flüchtlinge. Aber welche? Und warum eigentlich sie? Fragen, die man stellen sollte vom 13. Februar 2016 sowie Die Bundesarbeitsministerin macht es schon wieder: „Ein-Euro-Jobs“ für Flüchtlinge ankündigen, die noch nicht im Hartz IV-System sind. Was soll das? vom 23. März 2016.

Um zu verstehen, dass der Bund gerade dabei ist, „Nirwana-Arbeitsgelegenheiten“ zu schaffen, muss man sich leider mit den Zuständigkeiten befassen:

Für die Flüchtlinge am Anfang ist das SGB II, also das Hartz IV-System und mit ihm die Jobcenter, gar nicht relevant. Die Flüchtlinge schlagen erst dann im Hartz IV-System auf, wenn sie als Asylberechtigte anerkannt sind. Am Anfang sind bzw. wären sie theoretisch Asylbewerber – theoretisch deshalb, weil viele von ihnen  Monate warten müssen, bis sie überhaupt einen Asylantrag stellen können beim BAMF, bis dahin sind sie noch nicht einmal Asylbewerber. Da gilt dann aber das Asylbewerberleistungsgesetz. Und für die Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge beispielsweise in den Erstaufnahmestellen und vor Ort in den Unterkünften sind die Bundesländer und Kommunen zuständig, wobei der Bund an der Finanzierung beteiligt ist, da er den Bundesländern dafür Gelder zur Verfügung stellt, die diese dann in ganz unterschiedlicher Form und Umfang an die Kommunen weiterleiten (sollen).

Nun gibt es im  im § 5 Asylbewerberleistungsgesetz einen Paragrafen, der genau so überschrieben ist wie der § 16 d SGB II: Arbeitsgelegenheiten.
Eingedenk der Ausführungen, die hier schon zu den Anforderungen an Arbeitsgelegenheiten im SGB II gemacht wurden, achte man genau auf die Ausformulierung des § 5 AsylbLG:

»In Aufnahmeeinrichtungen im Sinne des § 44 des Asylgesetzes und in vergleichbaren Einrichtungen sollen Arbeitsgelegenheiten insbesondere zur Aufrechterhaltung und Betreibung der Einrichtung zur Verfügung gestellt werden … Im übrigen sollen soweit wie möglich Arbeitsgelegenheiten bei staatlichen, bei kommunalen und bei gemeinnützigen Trägern zur Verfügung gestellt werden, sofern die zu leistende Arbeit sonst nicht, nicht in diesem Umfang oder nicht zu diesem Zeitpunkt verrichtet werden würde.«

Der aufmerksame Leser wird sofort gemerkt haben, dass was fehlt. Genau, die Wettbewerbsneutralität der Arbeitsgelegenheiten ist hier eben nicht verankert, was bedeutet, dass man durchaus wesentlich mehr machen kann als im SGB II aufgrund der dort eingebauten restriktiven Bedingungen. Also machen könnte, wenn man denn wollte, handelt es sich doch um keine Leistung mit Rechtsanspruch. sondern um eine Ermessensleistung. Und machen könnten das die Kommunen, denn die sind am Anfang für dieFlüchtlinge, die ihnen zugewiesen werden, zuständig und das Jobcenter erst dann, wenn die in den anerkannten Status wechseln, was aber ziemlich lange dauern kann, wie wir gesehen haben. 
Nun kann man durchaus so argumentieren: Viele Flüchtlinge leiden darunter, dass sie in den ersten Monaten hier bei uns keiner Arbeit nachgehen können. Insofern wäre Beschäftigung zu organisieren eine wichtige, wenn nicht zentrale Aufgabe, auch mit Blick auf die Folgekosten, die ein Nichtstun hier generieren können.  Vgl. dazu als ein Beispiel den Artikel Flüchtlinge: Gute Medizin allein reicht nicht zur Integration von Susanne Werner in der Ärzte Zeitung. Darin geht es primär um die schleppend bis gar nicht realisierte Gesundheitskarte für Flüchtlinge (vgl. zu diesem Thema den Blog-Beitrag Die Flüchtlinge und ihre gesundheitliche Versorgung zwischen Behandlungsschein und Karte vom 15, Mai 2016). Bei Werner findet sich dieses Zitat:

„Wenn Asylsuchende zu lange von jeglicher Arbeit ausgeschlossen werden und nicht in die Gesellschaft integriert werden, macht sie das seelisch kaputt“, sagte Professor Barbara John vom Paritätischen Wohlfahrtsverband.

Das sind alles Argumente für einen Ausbau der Beschäftigungsangebote. Insofern kann man doch nur ja sagen zu 100.000 AGH-Stellen für die Flüchtlinge. Aber neben der Tatsache, dass es sich in der heute dominierenden und durch das Förderrecht auch determinierten Verfasstheit des Instruments um eines handelt, das für viele Flüchtlinge eher kontraproduktiv ist, muss man verstehen, dass die Art und Weise, wie Berlin das umsetzen will, kontraproduktiv für eine möglichst gelingende Integration ist und zudem schwerwiegende Zuständigkeitsfragen aufwirft bzw. diese einfach negiert.

Wir haben derzeit zwei Formen von Arbeitsgelegenheiten – die nach § 5 AsylbLG und die nach § 16 d SGB II, also im Hartz IV-System. Die letzteren werden von den Jobcentern gemanagt. Bei den Kommunen gibt es hier und da AGHs für Flüchtlinge, in vielen gar keine, andere hingegen haben das Potenzial erkannt. In Frankfurt sind z.B. über 200 Beschäftigungsplätze von der Kommune geschaffen worden. Und seitens der Jobcenter ist die Zahl der AGHs in den vergangenen Jahren nach unten gefahren worden. Im Mai 2016 wurden deutschlandweit gerade einmal etwas mehr als 80.000 Beschäftigte in Arbeitsgelegenheiten gezählt. Vor diesem Hintergrund wären dann 100.000 zusätzliche AGH-Beschäftigte, wie jetzt vom Bund geplant, eine vergleichsweise sehr große Hausnummer. Gerade dann muss die Frage interessieren, für wen die geschaffen werden sollen und wer das umsetzt.

Und das eigentliche Problem ist eines dieser für Deutschland so typischen Schnittstellenprobleme: Wenn der Flüchtling als (noch nicht) anerkannter Asylbewerber oder im Vorstatus des noch nicht Asylantragsstellers unter den Fittichen der Kommunen ist, dann könnten die das heute schon vorhandene Instrumentarium des AsylbLG auch nutzen. Wenn sie das aber tun, dann können sie Maßnahmen machen, die teilweise weit über das hinausreichen, was die Jobcenter aufgrund der SGB II-Rechtslage machen können (beispielsweise kann man auf der Basis des bestehenden Rechts durchaus ie Beschäftigung mit Sprachschulungs- oder anderen Qualifizierungselementen kombinieren), was wiederum zu einem echten Problem wird, wenn der Betroffene während der Laufzeit der AGH (nach AsylbLG) in den Rechtskreis SGB II wechselt, denn die dürfen eigentlich nicht so weitgehend fördern wie derzeit im kommunalen Raum. Wenn sich die Jobcenter an die enge Gesetzesinterpretation halten würden, müssten viele Maßnahmen abgebrochen werden, weil sie nicht den Anforderungen entsprechen (können), die wir in dem kommunalen Rechtskreis haben.

Das grundlegende Problem der neuen, geplanten 100.000 „Bundes-AGH-Teilnehmer“ ist nun, dass die

a) für eine Klientel geplant werden, die es eigentlich nicht oder zumindest immer weniger geben wird und
b) dass mit der Durchführung nicht die Kommunen bzw. die Jobcenter (also die zuständigen Institutionen für die heute schon bestehenden AGHs) beauftragt werden sollen, sondern die Bundesagentur für Arbeit (BA) soll das machen.

Man will also ganz offensichtlich eine dritte Dimension der AGHs schaffen. Diese verwunderliche Regelung nennt man „Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen (FIM)“, die als ein Arbeitsmarktprogramm des Bundes von der BA abgewickelt werden sollen.

Man muss sich über die Konsequenzen klar vor Augen führen – würde das so umgesetzt, dann bekommen wir einen Wachstumsschub in den bürokratischen Strukturen. Warum?
Die Zuweisung (und auch die eventuelle Sanktionierung) der Flüchtlinge in die Maßnahmen soll über die kommunalen Sozialämter erfolgen, die das AsylbLG administrieren. Zur Umsetzung müssten bei der BA entsprechende behördliche Strukturen aufgebaut, Einkaufsprozesse geplant und umgesetzt, Kontrollsysteme installiert werden. Bei den kommunalen Sozialämtern müssten für die Kommunikation mit der BA, die Zuweisung und die Sanktionierung ebenfalls Strukturen geschaffen werden.

Und mit Blick auf die (potenziellen) Teilnehmer an diesen „Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen“: Es dürfen ausschließlich Asylantragsteller sein, aber unter Ausschluss derjenigen, die aus „sicheren Herkunftsstaaten“ kommen und derjenigen, die zur Ausreise aufgefordert sind. Das nun wiederum hat fast schon den Charakter eines Schildbürgerstreichs, denn diese Gruppe müsste nach allem, was angekündigt wurde und wird, immer kleiner werden, hat das BAMF doch die Devise ausgegeben, die Anträge immer schneller abzuarbeiten und zu bescheiden, so dass auch der Rechtskreiswechsel vom AsylbLG in das SGB II immer schneller erfolgen wird/müsste.

Man plant also Maßnahmen für eine Gruppe, die angeblich derzeit abgeschafft wird.

Aber es kommt noch heftiger: Ein-Euro-Jobs für Flüchtlinge sind nur 80-Cent-Jobs, so hat Thomas Öchsner seinen Artikel überschrieben über eine geplante Regelung, die aus dem bereits skizzierten Absurdistan ein bürokratisches Absurdistan hoch zwei machen würde:

»Derzeit bekommen die mehr als 80 000 Ein-Euro-Jobber in Deutschland meist 1,05 Euro pro Stunde. In Einzelfällen können es auch knapp zwei Euro sein. Gezahlt wird dabei eine „Mehraufwandsentschädigung“, das Geld gilt nicht als Arbeitslohn oder Taschengeld. Auch Asylbewerber mit so einer auf maximal sechs Monate befristeten Arbeitsgelegenheit bekamen bislang 1,05 Euro. Der von Nahles und Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) vorgelegte Entwurf für das Integrationsgesetz sieht nun aber vor, asylsuchenden Teilnehmern künftig nur noch 80 Cent zu zahlen. Ausnahme: Der Ein-Euro-Jobber kann „höhere notwendige Aufwendungen“ im Einzelnen nachweisen«, so Öchsner.

Aber warum eine Kürzung von 20 Prozent bei der Mehraufwandsentschädigung? Sowohl bei der Begründung wie aber auch bei den aus so einer Regelung resultierenden Konsequenzen für die vor Ort, die das umsetzen müssten, werden wir Zeuge, was eine außer Kontrolle geratene Ministerialbürokratie anrichten kann, wenn sich ihr kleinteiliges Denken Bahn bricht:

»Die Bundesregierung argumentiert dabei so: Die allermeisten Asylbewerber werden in ihren Aufnahmeeinrichtungen oder Gemeinschaftsunterkünften eingesetzt. Sie reinigen dann zum Beispiel Gemeinschaftsräume oder helfen bei der Essensausgabe. Dabei würden ihnen in der Regel nur geringe Mehrausgaben entstehen, „da die erforderlichen Arbeitsmittel, zum Beispiel Arbeitskleidung oder -geräte, von den Trägern der Einrichtungen gestellt werden und Fahrtkosten oder Kosten für auswärtige Verpflegung nicht anfallen“, heißt es im Entwurf für das neue Gesetz. Deshalb sei es gerechtfertigt, den pauschal ausgezahlten Beitrag auf 80 Cent je Stunde zu senken. Arbeite der Asylbewerber aber außerhalb solcher Einrichtungen und habe tatsächlich höhere Aufwendungen, etwa für Fahrtkosten oder spezielle Arbeitskleidung, könne er sich einen höheren Betrag auf Antrag auszahlen lassen.«

Abgesehen von dem enormen Verwaltungsaufwand, der ausgelöst wird durch die Regelung, bei allen abweichenden Fällen den höheren Betrag „auf Antrag“ auszahlen zu lassen – die Bundesregierung schlägt hier eine lächerliche Kapriole, denn sie definiert einen Ausnahmefall und macht den an anderer Stelle aber zum Normalfall. Eben hat sich zur Begründung der Kürzung ja noch argumentiert, dass die allermeisten Asylbewerber in den Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften eingesetzt werden im Rahmen der AGH. Aber zum neuen Programm erfahren wir:

Laut »der Richtlinie zum 100.000-Job-Programm ist aber geplant, dass maximal 25 Prozent der neuen Arbeitsgelegenheiten in einer Aufnahmeeinrichtung oder Gemeinschaftsunterkunft anzubieten sind. Mindestens 75 Prozent sollen hingegen außerhalb solcher Unterkünfte ablaufen.«

Man widerspricht sich also selbst. Für diesen offensichtlich hanebüchenen Befund kann es nur zwei Erklärungsansätze geben: Entweder haben die Gesetzesentwurfsverfasser selbst den Überblick verloren und je nach Regelungsgegenstand potenzieren sie ihre kleinteiligen Regelungsversuche, so dass wir mit den Folgeschäden einer außer Kontrolle geratenen Ministerialbürokratie konfrontiert wären.

Oder aber jemand hat aus politischen Gründen die Ansage gemacht, man brauche vor dem Hintergrund des Aufstiegs der AfD und der Kritik an Flüchtlingsmaßnahmen eine Regelung, die beispielsweise bei dem, was die Betroffenen bekommen, erkennen lässt, dass Flüchtlinge dann in der Welt der Maßnahmen eine eigene, zweite Klasse an AGH-Beschäftigten sind.

Man muss sich den Wahnsinn einmal ausmalen: Wir bekommen dann drei Arten von Arbeitsgelegenheiten (AGH nach AsylbLG, AGH nach SGB II und neu die AGH nach Bundesprogramm), drei zuständige Institutionen (kommunale Sozialämter, Jobcenter und neu die Arbeitsagenturen).

Unterm Strich werden hier eklatante Vermögensschäden seitens der öffentlichen Hand durch den enormen und sinnlosen Bürokratieschub produziert.

Und was bei diesem ganzen Kuddelmuddel vergessen wird: Eigentlich liegt ein grundlegender Lösungsansatz auf der Hand, der aber noch nicht einmal diskutiert wird. Am Ende landen die meisten Flüchtlinge alle im Hartz IV-System, also im Rechtskreis des SGB II, außer sie können sich als anerkannte Asylbewerber auf dem Arbeitsmarkt alleine finanzieren, was einigen, sicher in den nächsten Jahren aber nicht vielen gelingen wird. Warum also nicht die Jobcenter von Anfang an für die arbeitsmarktliche Betreuung und Begleitung der Flüchtlinge zuständig machen? Das wäre konsequent und man vermeidet die zahlreichen Probleme, die sich allein aus dem Rechtskreiswechsel und der heute schon vorhandenen und nun auch noch auszubauenden Teil-Zuständigkeit der BA mit ihren Arbeitsagenturen ergeben.

Wenn man das verbinden würde mit einer radikalen Instrumentenreform im SGB II, die es den Jobcentern endlich ermöglichen würde, das sinnvolle Arsenal an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen flexibel und ohne die hypertrophierten förderrechtlichen Begrenzungen und den vielen hyperkomplexen Sonderprogrammen für extrem selektiv definierte „Zielgruppen“, die wir heute haben, umzusetzen, dann wäre eine deutliche Verbesserung erreichbar (vgl. zu der angesprochenen radikalen Instrumentenreform die Vorschläge in Stefan Sell: Hilfe zur Arbeit 2.0. Plädoyer für eine Wiederbelebung der §§ 18-20 BSHG (alt) in einem SGB II (neu). Remagener Beiträge zur Sozialpolitik 19-2016, Remagen).

„Gute“ und andere Flüchtlinge, diese und solche Migranten? Differenzierungen bei Immanuel Kant, in der Bevölkerung und ihre mögliche Bedeutung für die (Nicht-)Integration

Immer dann, wenn für ganz unterschiedliche Menschen und für sehr verschiedene Sachverhalte große, scheinbar eindeutige Begriffe verwendet werden, ist Vorsicht geboten. Denn nicht selten macht man sich zusätzliche Probleme, wenn man nicht wenigstens etwas differenziert, sondern alles und alle über einen Kamm zu scheren versucht. Im Kontext der Zuwanderung nach Deutschland kann man zeigen, wie unterkomplex und zugleich auch problemgenerierend das Reden von „den Flüchtlingen“ und „der Integration“ ist. Diese Verdichtung unter jeweils einen Begriff hat Folgen – auch für die medialen Verstärkungsprozesse, die sich beobachten lassen.

Ein Beispiel dazu: Überall kann man lesen oder hören, im vergangenen Jahr, also 2015, seien 1,1 Million Flüchtlinge zu uns gekommen. Diese Zahl wird abgeleitet aus den Bruttoerfassungen im sogenannten EASY-System, das der Erstverteilung von Asylbegehrenden dient. Nun ist das bekanntlich mit der Erfassung immer schon so eine Sache, besonders schwierig wird das natürlich in Ausnahmesituationen, wie wir sie im vergangenen Jahr erlebt haben, als täglich tausende Neuankömmlinge den deutschen Staatsboden betreten haben und zu registrieren waren. Dass dabei zahlreiche Fehlerquellen auftreten (können), ist jedem Praktiker sofort verständlich und auch in der Presse wurde auf die Problematik frühzeitig hingewiesen, wenn man mit den Zahlen arbeitet, vgl. hierzu beispielsweise den Artikel Nicht ganz EASY. Das muss dann zu solchen Meldungen wie beispielsweise von Pro Asyl führen: Erhebliche Unschärfen bei den Asylzahlen 2015. Letztendlich steht dahinter das Grundproblem, das wir auch aus anderen Bereichen kennen: Brutto ist nicht gleich netto. Der Migrationsforscher Herbert Brückner vom IAB hat den eben nicht trivialen Unterschied verdeutlicht an einer überschlägigen Berechnung, ausgehend von den (immer noch) genannten 1,1 Mio. Flüchtlingen, die nach Deutschland gekommen seien. Unter Berücksichtigung der nicht-erfassten Zuzüge abzüglich der Doppelzählungen, Weiterreisen sowie der unterschiedlichen Ausreisen kommt er auf eine Größenordnung von 777.000 Menschen, die man als Nettozuwachs bei der Flüchtlingsbevölkerung ansetzen könne.

Dennoch – auch wenn das jetzt die Sache weiter verkompliziert – sind durchaus deutlich mehr als eine Million Menschen nach Deutschland zugewandert. Wie das nun wieder?
Weil die ganze Diskussion der Frage, wie viele sind denn nun nach Deutschland gekommen, verengt worden ist auf „die Flüchtlinge“, vor allem die vielen Menschen, die über die sogenannte „Balkan-Route“ gekommen sind.

Aber es gibt noch andere, die gekommen sind und die muss man natürlich – vor allem aber auch, wenn es um die „Integrationsfrage“ geht – berücksichtigen. Nämlich Menschen aus anderen EU-Ländern, aus europäischer Sicht eine Art „Binnenwanderung“.

Die Nettozuwanderung aus den anderen EU-Ländern nach Deutschland erreichte 2015 mit 355.123 Menschen einen bisherigen Höchstwert. Die muss man natürlich dazu addieren. Und darunter sind nicht nur, aber auch „Armutsflüchtlinge“ aufgrund des enormen Wohlstandsgefälles innerhalb der EU, man denke hier nur an die immer wieder hochkochende und sehr reduzierte Debatte über arme Bulgaren und Rumänen, die nach Deutschland gekommen sind.

Und das ist ganz offensichtlich nicht nur ein quantitativer Aspekt, sondern das hat handfeste Auswirkungen bis hin zu gesetzgeberischen Aktivitäten, wie wir derzeit beobachten können (vgl. dazu den Blog-Beitrag Nicht nur (medialer) Missbrauch mit dem Missbrauch von Sozialleistungen. Aber wer „missbraucht“ was und wen? Und die Gesetzgebungsmaschinerie darf auch nicht fehlen vom 22. Mai 2016, in dem berichtet wird von dem Referentenentwurf ein „Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch“ betreffend, das aber viele real vorhandene Probleme gar nicht erreichen kann). Und dieser Punkt ist eine gute Überleitung zu dem hier interessierenden Aspekt der Unterscheidung zwischen solchen und anderen Migranten innerhalb der Bevölkerung, aber auch hinsichtlich des großen Integrationsthemas, denn die erwähnten aktuellen gesetzgeberischen Versuche müssen genau in diesem Kontext verortet werden, denn sie sind ein Reflex auf die im politischen und medialen Raum geführten Diskussionen über eine behauptete „Zuwanderung in unser Sozialsystem“.

Und wie sieht es aus mit der Differenzierung zwischen den einzelnen Migranten (und ihren Gründen, hierher zu kommen)? Dazu liegen mittlerweile neue Befunde aus der Forschung vor. 
So haben Ruth Ditlmann, Ruud Koopmans, Ines Michalowski, Anselm Rink und Susanne Veit ihre Erkenntnisse aus einer repräsentativen Umfrage mit 1.500 Teilnehmern ausgewertet, die gebeten worden sind, fiktive Profile von Flüchtlingen zu le­sen und zu entscheiden, ob Asyl und Unterkunft gewährt werden soll: Verfolgung vor Armut. Ausschlaggebend für die Offenheit der Deutschen ist der
Fluchtgrund, so haben sie ihren Beitrag in den WZB-Mitteilungen (S. 24-27) dazu überschrieben. 
Ausgangspunkt der Forscher sind Theorien zu Konflikten zwischen Gruppen. Diese Theorien »betonen, dass die Einstellungen gegenüber als fremd wahrgenommenen Menschen stark von Ängsten und dem Gefühl von Wettbewerb und Bedrohung beeinflusst werden. Dabei kann unterschieden werden zwischen eher rational­-ökonomi­schen und eher symbolisch­-kulturellen Konfliktlinien. Diese zwei Arten von potenziellen Konfliktlinien finden sich auch in Debatten über die möglichen Folgen des starken Zustroms von Asylsuchenden. Auch hier werden sowohl Sorgen über die ökonomischen Folgen ihrer Aufnahme diskutiert als auch die Sorge, dass kulturelle Unterschiede zwischen Asylsuchenden und Einheimischen zu Konflikten führen könnten.«
Zu den Ergebnissen kann man der Veröffentlichung entnehmen:

»Offensichtlich gibt es eine klare Präferenz für Asylsuchende, die aufgrund politischer Verfolgung ihr Heimatland verlassen haben. Die durchschnittliche Unterstützung des Asylgesuchs für politisch Verfolgte liegt bei 94 Prozent … dabei (ist es) vollkommen unerheblich, ob der oder die Asylsuchende gut oder schlecht ausgebildet, christlichen oder muslimischen Glaubens und männlich oder weiblich ist. Den Ergebnissen unserer Umfrage zufolge sind bei der Beurteilung des Asylanspruchs politisch Verfolgter Geschlecht, Religion und Ausbildungsgrad augenscheinlich nicht relevant. Das Bild verschiebt sich jedoch, wenn die Flucht wirtschaftliche Gründe hat. Wenn die … Person aus wirtschaftlichen Gründen ihre Heimat verlassen hat, sinkt der Wille, dieser Person Asyl zu gewähren, auf 52 Prozent … Die Einstellung gegenüber Asylsuchenden, die vor der wirtschaftlichen Lage in ihrem Land geflohen sind, variiert mit Ausbildungsniveau und Religion der fiktiven Asylsuchenden. Besser ausgebildete Asylsuchende, die mit größerer Wahrscheinlichkeit in den deutschen Arbeitsmarkt integriert werden können, werden deutlich bevorzugt. Auch wird bei Fehlen eines politischen Fluchtgrunds ein Augenmerk auf die Religion der nach Deutschland kommenden Personen gelegt: Christen werden Muslimen vorgezogen.«

Fazit der Wissenschaftler: »Der Fluchtgrund zählt: Im Vergleich zur außerordentlich positiven Haltung gegenüber politisch Verfolgten sinken die Zustimmungswerte der Befragten drastisch, wenn es sich um Menschen handelt, die vor wirtschaftlicher Not geflohen sind. Die Zustimmungswerte sinken um weitere 20 Prozentpunkte, wenn diese Personen zudem keine Berufsausbildung und dadurch schlechtere Aussichten auf dem Arbeitsmarkt haben.«

Allerdings machen die Forscher eine Anmerkung, die man berücksichtigen muss bei der Interpretation der Befunde: »Einschränkend ist anzumerken, dass die Befragung vor der Silvesternacht 2015 stattfand, in der es zu einer Reihe von sexuellen Übergriffen auf Frauen unter anderem durch Asylsuchende kam. Die daran anschließende gesellschaftliche Debatte könnte die Einstellungen im Jahr 2016 gegenüber Asylsuchenden beeinflusst haben.«

Aber wir verfügen auch über neuere, aus diesem Jahr stammende Daten. Seit Beginn 2016 untersucht das „Stimmungsbarometer zu Geflüchteten in Deutschland“ monatlich die mit dem Thema Migration verbundenen Einstellungen, Erwartungen und Befürchtungen der Bürger in Deutschland. Auf der Grundlage der dritten Welle im März 2016 berichten Jürgen Gerhards, Silke Hans und Jürgen Schupp in ihrem Beitrag über Einstellungen der BürgerInnen in Deutschland zur Aufnahme von Geflüchteten. Eine Zusammenfassung der Befunde kann man diesem Artikel entnehmen, dessen Überschrift zum Nachdenken einlädt: Die Deutschen halten es bei der Aufnahme von Flüchtlingen mit Kant: »Eine repräsentative Studie zeigt: Die Deutschen treffen feine Unterscheidungen zwischen verschiedenen Migrantengruppen.«

Und wie sehen die aus?

Zuvor muss man kurz erläutern, was denn der alte Kant mit dieser Frage zu tun hat. Dazu die Verfasser: »Kant hat vor mehr als 200 Jahren (1795) in seiner kleinen Schrift „Zum ewigen Frieden“ die zentralen Gründe für die Legitimität der Zuwanderung unterschiedlicher Gruppen formuliert. Zu unterscheiden ist demnach zwischen Kriegsflüchtlingen und Verfolgten einerseits sowie Migranten andererseits. Dieser fundamentale Unterschied bildet auch die Grundlage des momentan geltenden Rechts.«

Die Bezugnahme auf Kant legt einen wichtigen Unterscheidungspunkt offen, der in der bisherigen Debatte etwas bis völlig untergeht:

»Sowohl Flüchtende aufgrund von Krieg und Bürgerkrieg als auch Schutzsuchende wegen Verfolgung haben ein verbrieftes Recht, in einem anderen Land aufgenommen zu werden. Kant hatte dieses Recht als Weltbürgerrecht beschrieben. Es steht allen Menschen der Erde zu, die in ihrem Land verfolgt werden und hat insofern universellen Charakter. Das Recht auf Schutz und Aufnahme bedeutet aber nicht automatisch die Erlaubnis, dauerhaft zu bleiben. Entsprechend spricht auch Kant bereits von einem Besuchsrecht: „Das Weltbürgerrecht soll auf Bedingungen der allgemeinen Hospitalität eingeschränkt sein“. Ein Land ist folglich nicht verpflichtet, eine verfolgte Person weiterhin zu beherbergen, wenn der Grund der Verfolgung hinfällig geworden ist. Insofern handelt es sich um ein temporäres Recht, das an den Grund der Verfolgung gekoppelt ist. Ist abzusehen, dass der Verfolgungsgrund längerfristig bestehen wird, kann dies aus pragmatischen Gründen dazu führen, dass das Gastrecht ausgedehnt wird, um die Integration in die Aufnahmegesellschaft zu fördern. Dies tangiert aber nicht den Grundsatz der Temporalität des Aufenthaltsrechts.«

Und bereits bei Kant gab es die andere Gruppe an Migranten, die eben nicht unter dem Flüchtlings-Status gebucht werden können (und müssen):

»Von den Flüchtenden kategorial zu trennen sind diejenigen Migranten, die aus anderen Gründen als Krieg oder Verfolgung ihren Lebensmittelpunkt in ein anderes Land verlagern möchten. Sie haben weder nach dem gegenwärtig geltenden internationalen Recht noch nach Kants Vorstellungen eines Weltbürgerrechts einen universell geltenden Anspruch, in einem anderen Land aufgenommen zu werden. Ob solche Migranten von einem Land aufgenommen werden und nach welchen Kriterien die Auswahl erfolgt, obliegt allein den Nationalstaaten und dem nationalen Recht. Das universell geltende Weltbürgerrecht und das Völkerrecht werden damit ergänzt durch das nationalstaatliche Recht. Dass bei der Definition für die Auswahl von Migranten das nationale Interesse eine Rolle spielen kann und legitimer Weise darf, wird zwar von Kant und in den geltenden Rechtsordnungen nicht explizit erwähnt, ergibt sich aber aus der Rechtslogik. Nicht die Gemeinschaft aller Weltbürger bildet hier den Bezugspunkt der Rechtsetzung, sondern die Bürger eines Nationalstaates. Und diese orientieren sich in erster Linie am Wohlergehen des eigenen Landes.«

Diese im Grunde einfache, aber folgenreiche Differenzierung in Flüchtlinge und andere Migranten ist offensichtlich im gegenwärtigen Bewusstsein der Bürger in Deutschland tief verankert, wenn man denn den Ergebnissen einer im März 2016 durchgeführten repräsentativen Bevölkerungsbefragung von ca. 2.000 Personen folgt:

»81 Prozent und damit die überdeutliche Mehrheit der Befragten sind der Auffassung, dass Menschen, die wegen eines bewaffneten Konflikts aus ihrem Heimatland nach Deutschland geflohen sind, ein Bleiberecht gewährt werden sollte. Auch Personen, die unter den Schutz der Genfer Flüchtlings­konvention fallen, sollen aus der Sicht einer deutlichen Mehrheit der Bürger in Deutschland aufgenommen werden, auch wenn die Unterstützung mit 63 Prozent signifikant geringer ausfällt als bei den Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlingen. Zudem differenzieren die Befragten hier nach den verschiedenen Gründen für eine politische Verfolgung … So wird eine Verfolgung aufgrund eines Engagements für die Menschenrechte eher als legitimer Grund für ein Bleiberecht in Deutschland gesehen als eine Verfolgung aufgrund gewerkschaftlicher Aktivitäten. Trotz dieser Differenzierungen scheint das Weltbürgerrecht auf Zuflucht insgesamt im Bewusstsein der deutlichen Mehrheit der Bürger Deutschlands fest verankert zu sein.«

Und wenn auch die Mehrheit der Bürger die mit der Aufnahme verbundenen Risiken deutlich größer sieht als die möglichen Chancen, führt das nicht zu einer Ablehnung dieser Menschen: »Diese skeptische Sicht hat allerdings kaum Auswirkungen auf die Bereitschaft, Menschen beim Vorliegen legitimer Gründe ein Bleiberecht in Deutschland zu gewähren.«

Und wie sieht es mit dem von Kant herausgestellten „Besuchsrecht“ für die Verfolgten und Schutzbedürftigen aus, also der eben nur temporären Aufnahme?

»Lediglich 28 Prozent sprechen sich für ein dauerhaftes Bleiberecht aus, 17 Prozent sind unentschieden und 55 Prozent meinen, dass die Flüchtlinge und Verfolgten Deutschland wieder verlassen sollten, wenn der Grund für die Flucht obsolet geworden ist.«

Nun gibt es ja auch noch die anderen Migranten, die zu uns kommen, um der Armut zu entfliehen oder schlichtweg mehr aus ihrem Leben machen wollen. Auch hier scheint sich der alte Kant festgesetzt zu haben in den Köpfen der Menschen:

»Menschen, die einen auf dem deutschen Arbeitsmarkt stark nachgefragten Beruf wie zum Beispiel den der Krankenschwester ausüben, sind als Zuwanderer in Deutschland willkommen. 69 Prozent der Befragten sprechen sich für ein Bleiberecht für diese Gruppe aus. Umgekehrt verhält es sich mit Personen, die in Deutschland für sich selbst eine bessere Lebensperspektive sehen. Nur 21 Prozent der einheimischen Bevölkerung gesteht dieser Gruppe ein Recht zu, nach Deutschland kommen zu dürfen. Während im ersten Fall Nützlichkeitserwägungen und das Eigeninteresse des Nationalstaats die Gründe für die hohe Zustimmung bilden, wird das Eigeninteresse der Migranten, ihr Leben zu verbessern, gerade nicht als legitimer Grund der Zuwanderung angesehen.«

Jürgen Gerhards, Silke Hans und Jürgen Schupp konstatieren abschließend eine »offensichtliche Besonnenheit der Mehrheit der Bevölkerung in der Zuwanderungs- und Flüchtlingsfrage« und ermuntern die Politik zu einer „klugen Differenzierung“.

Aber was kann das nun wieder bedeuten angesichts der derzeit überall proklamierten „Integration“? Wenn man die Sache logisch zu Ende denkt, könnte das auch bedeuten, die „Integration“ eben nicht als ein alle und alles umfassendes Postulat einzufordern und instrumentell zu unterfüttern, sondern man könnte aus der skizzierten Argumentation durchaus vertretbar argumentieren, dass sich die Menschen, denen aus Schutzgründen legitimerweise Aufenthalt gewährt wird, zwar einzupassen haben in unsere Gesellschaft, aber dass es bei ihnen – nimmt man den Gedanken des „Besuchsrechts“ auf – nicht darum geht oder gehen muss, sie zu dauerhaften Mitgliedern unserer Gesellschaft zu machen.

Also ganz praktisch: Man gewährt den Syrern Asyl, aber geht davon aus, dass sie irgendwann einmal wieder zurück gehen (müssen), sollten sich die Schutzgründe aufgrund einer veränderten Situation in ihrem Land erübrigt haben.

Das nun hört sich einfacher an als es ist. Denn Politik (und letztendlich wir alle als Gesellschaft) stehen vor dem Problem, dass wir nicht wissen, ob und wann (und für wen) sich die Situation einstellen wird, dass man das temporäre Gastrecht wieder entziehen kann. Das kann im genannten Beispiel Syrien eine lange Zeit sein. Und dann sind ja auch noch die individuellen Schutzgründe, die auch bei einer Beseitigung der Bürgerkriegssituation fortdauern werden.

Ganz offensichtlich gibt es ein am Ende nicht auflösbares Dilemma, denn wenn man den Unterscheidungspunkt mit dem temporären Schutz wirklich so nimmt, wie er gemeint war, könnte man durchaus argumentieren, dass gerade nicht zu viele Integrationsbemühungen stattfinden sollten, um den notwendigerweise irgendwann einmal anstehenden Trennungsprozess nicht zu schwer zu machen. Wenn aber auf der anderen Seite viele der eigentlich nur temporär zu schützenden Menschen auf viele Jahre, vielleicht sogar für immer in unserer Gesellschaft bleiben werden (müssen), dann wären unterlassene Integrationsanstrengungen mit hohen Folgekosten für das Gastland verbunden.

Angesichts dieses Dilemmas kann es eigentlich nur eine Antwort geben – vor dem Hintergrund der enormen Unsicherheit muss man die Integrationsbemühungen für möglichst alle öffnen, auch wenn ein Teil von ihnen sicher nicht hier bleiben wird. Man also die mit Integration verbundenen Ressourcen versenkt hat, aber man kann eben erst hinterher wissen, ob das der Fall war.

Die Bundesregierung mit ihrer Integrationspolitik bewegt sich genau in diesem Spannungsfeld. Sie hat im Anschluss an eine Klausurtagung der Großen Koalition im Schloss Meseberg die Meseberger Erklärung zur Integration veröffentlicht, mit der die anstehende Ausgestaltung des Integrationsgesetzes beschrieben wird. Darin heißt es, um ein Beispiel für die praktischen Schwierigkeiten aufzuzeigen:

»Sprach- und Wertevermittlung sind zentrales Fundament für eine erfolgreiche Integration in die Gesellschaft sowie in Bildung, Ausbildung, Studium und Arbeitsmarkt. Daher werden wir die Zugangsmöglichkeiten für die Teilnahme an Integrationskursen verbessern. Die Möglichkeit, Asylberechtigte, anerkannte Flüchtlinge oder subsidiär Schutzberechtigte zur Teilnahme am Integrationskurs zu verpflichten, wird erweitert beziehungsweise für Asylbewerber mit guter Bleibeperspektive neu geschaffen.«

Zu welchen Kapriolen das führen kann, wurde im Beitrag Die Mühen der Ebene. Integration in einem Paragrafenwerk und in den Niederungen der Sprach- und Integrationskurse. Für die soll sich was verbessern, aber nicht alle werden sie bekommen können vom 26. Mai 2016 am Beispiel der Afghanen erläutert, denn haben offiziell gemessen keine „guten Bleibeperspektiven“, denn ihre Gesamyschutzquote liegt zwar ganz knapp, aber eben unter den notwendigen 50 Prozent. Die „wirkliche“ Schutzquote ist zwar höher, wird aber nicht als Ein- oder Ausschlusskriterium herangezogen. Und man kann und muss das erweitern. Was ist mit denen, die zwar keinen Asylgrund haben, eigentlich abzuschieben sind, aber dennoch aus anderen Gründen dann doch bleiben werden als „Geduldete“?

Wenn man das alles zu Ende denkt, dann bleibt nur die – manche mögen das resignativ nennen – Konsequenz, die ganzen Unterscheidungsversuche zu unterlassen, allen einen Zugang zu Integrationsangeboten zu ermöglichen. Aber, folgt man der Differenzierung von Kant und der Mehrheit der Bevölkerung auch heute, muss man dennoch bereit sein zu sagen, dass das alles für bestimmte Menschen bedeuten kann und wird, später – trotzt vielleicht hervorragend gelungener Integration – das Land wieder verlassen zu müssen. Damit haben wir übrigens schon Erfahrungen gemacht, man denke hier an die Rückführung der Flüchtlinge im Kontext des Jugoslawien-Krieges, die teilweise mehrere Jahre hier waren.

Man sieht, wir bewegen uns hier auf schwankendem Grund. Aber man muss darüber diskutieren und auch streiten, man sollte die unterschiedlichen Akzeptanzniveaus in der Mehrheitsbevölkerung zugleich nicht aus den Augen verlieren und darüber streiten, was das für die Umsetzung einer Integrationspolitik bedeuten kann.