Flüchtlingspolitik: Von der „guten“ Seite neben den ganzen Hiobsbotschaften. Und warum es nicht ausreicht, sich darauf zu verlassen

Wir sind beim Thema Flüchtlinge konfrontiert mit einer auf der einen Seite beängstigenden Situation, die dadurch charakterisiert ist, dass die Übergriffe auf Flüchtlinge bzw. auf (geplante) Unterkünfte  ansteigen und wir in eine gefährliche Zone der „Ansteckung“ und damit einer verselbständigenden Ausbreitung kommen. Auf der anderen Seite gibt es eine unglaubliche Welle der Hilfsbereitschaft und des Engagements für die Menschen vor Ort, dessen Breite und Bedeutung man gar nicht überschätzen kann. Und es wird eine wichtige Aufgabe werden, diese positive Seite zu bestärken, zu schützen und zu promovieren auch und gerade durch die Medien. Dazu gleich mehr.
Aber zuerst der bedrückende Blick auf das, was wir derzeit zur Kenntnis nehmen müssen von der Schattenseite, um daran anschließend auf die andere Seite zu wechseln.

In den vergangenen Monaten waren bundesweit wiederholt Flüchtlingsheime beschmiert, beschädigt oder angezündet worden – unter anderem in Meißen, Tröglitz, Hoyerswerda und Solingen. Zuletzt wurden mehrfach Schüsse auf eine Unterkunft im sächsischen Böhlen abgegeben. Fast täglich gehen solche Hiobsbotschaften ein, beispielsweise aus dem bayerischen Reichertshofen: »In den früheren Gasthof sollten bald Asylbewerber einziehen: Bei einem Brandanschlag auf ein geplantes Flüchtlingsheim in Bayern brannte ein Gebäude völlig aus.« Oder wie wäre es mit einer solchen Meldung: HSV verhindert Zeltstadt für Flüchtlinge: »Der Fußballbundesligist HSV hat der Stadt Hamburg untersagt, eine Flüchtlingsunterkunft auf einem Parkplatz zu errichten, den der Verein selbst von der Hansestadt gepachtet hat.« Oder besonders perfide: Jugendliche bewerfen Helfer des Roten Kreuzes mit Steinen, die damit betraut waren, Zelte für Flüchtlinge aufzubauen, wird aus dem ostdeutschen Halberstadt berichtet. Und auch aus Teilen der Politik kommen mehr als bedenkliche Signale in diesem Kontext: CSU will härtere Linie gegen Flüchtlinge. Seehofer fordert „rigorose Maßnahmen“, dazu auch die Kommentierung von Heribert Prantl: Bayern, das deutsche Ungarn.
Das alles ist übrigens keineswegs ein deutsches Phänomen. So wird aus Italien berichtet: »In mehreren Städten in Italien haben Anwohner und rechtsextreme Gruppen gewalttätig gegen die Unterbringung von Flüchtlingen demonstriert.« Und besonders hart treiben es die Ungarn, die nicht nur einen vier Meter hohen Grenzzaun nach Serbien errichten lassen, um die Flüchtlinge gar nicht erst auf ungarischen Boden kommen zu lassen, sondern die konsequent den Weg in Richtung Lagerbildung beschritten haben: Ungarn verbannt Flüchtlinge aus den Städten. »Die Bevölkerung soll nicht mehr durch Flüchtlinge „gestört“ werden, so sieht es die ungarische Regierung. Deshalb werden die Migranten in Zeltlagern untergebracht – in Randgebieten wie an der Grenze zu Serbien.« Man könnte ohne Ende fortfahren.

Aer es gibt auch andere, gegenläufige Entwicklungen. Wie bereits erwähnt eine große Welle der Hilfsbereitschaft und des zivilgesellschaftlichen Engagements vor Ort durch unzählige Flüchtlingsinitiativen und auch Widerstand beispielsweise gegen Proteste direkt vor den Flüchtlingsunterkünften. Und auch Teile der  Politik setzen sich ein für eine schnellere und bessere Integration der Flüchtlinge – bzw. der Flüchtlinge, die erwartbar hier bleiben können oder zumindest geduldet werden. Und überall trifft man auf die richtige und wichtige Erkenntnis: Auf die Sprache kommt es an. Man wird nur dann eine halbwegs realistische Chance auf Integration und hierbei vor allem auf Integration in Beschäftigung haben (die wiederum die Vorurteile abzubauen helfen kann, dass diese Menschen nur „auf Kosten“ der anderen leben), wenn die betroffenen Menschen über ausreichende Sprachkenntnisse verfügen.

Hier ist – so wird der eine oder andere einwerfen an dieser Stelle – eben „der“ Staat zuständig, wobei es den in Deutschland so nicht gibt, sondern in föderalen Ausformungen. Wer also ist genau dafür zuständig. Bund- Länder-Gemeinden? Bundesagentur für Arbeit? Bundesamt für Migration und Flüchtlinge? Und schon ist man drin in den Zuständigkeitsfragen, hinter denen in aller Regel Finanzierungsfragen stehen. Wie schwer sich die etablierten Strukturen und Systeme damit tun, kann man an diesem Beispiel erkennen: Schulen kämpfen für Aufnahme von Willkommensklassen, wird aus Berlin berichtet. Mehrere Schulen hatten ihren Bezirken und der Bildungsverwaltung angeboten, Flüchtlingsklassen zu betreuen und erwarteten, dass ihr Engagement begeistert aufgenommen würde. Stattdessen gab es Absagen. Es gebe angeblich „keinen Bedarf“. Das Argument des „fehlenden Bedarfs“ gibt es auch in Berlin-Mitte – ausgerechnet in dem Bezirk, in dem gerade erst hunderte Schulplätze für Erstklässler fehlten.

Auf der anderen Seite gibt es gerade in Bayern, die sich auf einer anderen, der semantischen Ebene gerade eher mit Brandstifterei beschäftigen, zu berichten, dass dort zahlreiche eigene Klassen für Asylbewerber und andere Flüchtlinge eingerichtet worden sind.

Und aus Bayern kommt ein weiteres positives Beispiel. Ein Bestseller hilft Flüchtlingen Deutsch zu lernen, berichtet beispielsweise die Berliner Zeitung über das so genannte „Tannhauser Modell“: »Landauf, landab bekommen Flüchtlinge Deutsch-Unterricht von Ehrenamtlichen, einen Anspruch auf Kurse haben sie zunächst nicht. Drei Lehrer aus Bayern haben dafür ein spezielles Arbeitsbuch entwickelt – und können sich vor der Nachfrage kaum retten.«

Die Geschichte dahinter ist wie so oft in der Welt des Ehrenamtes:

»Zwei ehemalige Schulleiter aus Schwaben geben Flüchtlingen … Sprachunterricht. Sie fanden aber keine speziellen Unterrichtsmaterialien und haben kurzerhand ein eigenes Arbeitsheft entwickelt und drucken lassen – das nun reißenden Absatz findet. Schon nach etwas mehr als einem Monat wurde vom „Deutschkurs für Asylbewerber – Thannhauser Modell“ die dritte Auflage gedruckt. „Ganz Deutschland will dieses Heft“, sagt noch ganz überrascht Karl Landherr, der pensionierte Rektor der Grundschule in der 6000-Einwohner-Stadt Thannhausen.«

Es geht hier um ehrenamtliche Sprachkurse – und die sind verdammt wichtig, denn einen Anspruch auf Integrationskurse gebe es nur für anerkannte Flüchtlinge, was sich derzeit schrittweise erst zu verändern beginnt.

Und was ist zur Überbrückung in Tannhausen passiert?

»In Thannhausen wurden vor einem Jahr die beiden früheren Schulleiter gefragt, ob sie sich um die in einem ehemaligen Gasthaus untergebrachten Flüchtlinge aus Afrika kümmern können. Landherr und Hörtrich schauten sich die von Verlagen angebotenen Lehrbücher an und waren unzufrieden: zu hohes Niveau, zu umfangreich, zu teuer, zu wenig Platz für Notizen, keine ergänzenden Erklärungen in Englisch. Zusammen mit der Lehrerin Isabell Streicher entwickelten sie ihr eigenes „Workbook“.«

»Nun wird in der schwäbischen Kleinstadt die frühere Gaststube regelmäßig in ein Klassenzimmer umgewandelt, durchschnittlich etwa 10 … Flüchtlinge nehmen an dem dreimal die Woche angebotenen Deutschkurs teil … Auch aktuelle Themen werden in Thannhausen schnell aufgegriffen. Nachdem in Deutschland bei den heißen Temperaturen der vergangenen Wochen mehrere Flüchtlinge ertrunken sind, gibt es eine Stunde am See, um den Afrikanern die Gefahren beim Schwimmen klar zu machen.«

Weitere Informationen zu „Deutschkurs für Asylbewerber – Thannhauser Modell“ gibt es auf der Webseite www.deutschkurs-asylbewerber.de. Auch der Deutschlandfunk hat diesen Ansatz aufgegriffen und darüber berichtet: Thannhauser Modell – Erfolgreiches Konzept für Deutschunterricht von Flüchtlingen (16.07.2015).

Es gibt so viele andere Orte und Formate, wo und mit denen eine vergleichbar gute Arbeit geleistet wird. Dazu hier die Empfehlung für eine Sendung des Bayerischen Rundfunks:

Ein Ticket für die Zukunft: Junge Asylbewerber an der Berufsschule in Bad Tölz (07.07.2015)
Sie stammen aus Afghanistan, Syrien oder Nigeria – jugendliche Flüchtlinge besuchen die Asylbewerberklasse der Berufsschule Bad Tölz. Dort werden die jungen Männer und Frauen auf eine Berufsausbildung vorbereitet.

Die Reportage vermittelt ein differenziertes und durchaus mit zahlreichen Grautönen ausgestattetes Bild. Und wenn man die Geschichten rekapituliert, dann wird aus einer grundsätzlichen Perspektive klar, was hier in diesem Bereich Not tut: ausreichend Zeit und einen „Kümmerer“, der begleiten kann, Bindungen aufzubauen in der Lage ist, die notwendig sind, um eine halbwegs realistische Einschätzung der Menschen abgeben zu können.
Das aber zeigt zugleich auch bei aller ausgesprochenen Sympathie für Ansätze aus dem ehrenamtlichen Bereich: Wir alle wissen, dass die ehrenamtlichen Strukturen zwar häufig sehr innovativ sind, zugleich muss aber immer wieder zur Kenntnis genommen werden, dass es sich um sehr instabile Strukturen zu handeln scheint, eben aufgrund der Freiwilligkeit und natürlich aufgrund der enormen Personenabhängigkeit. Hier käme jetzt wieder „der“ Staat ins Spiel.

Ist der Internationale Frauentag zum Valentinstag degeneriert? Auf alle Fälle: Jenseits der wenigen Aufsichtsräte spielt sich das wahre Leben ab. Und da geht es oft um über die Runden kommen

Heute ist der Internationale Frauentag – viele salbungsvolle Worte sind gesprochen worden. Und die Verabschiedung der Frauenquote im Bundestag am Freitag (Fußnote: Einer Quote für die Besetzung von Aufsichtsräten in gut 100 großen, börsennotierten Konzernen;vgl. dazu bereits kritisch Erde an Raumschiff Berlin: Die Geschlechterfrage ist weitaus komplexer als man zu glauben meint zu müssen. Vor allem für die vielen unterhalb der Aufsichtsräte sehr großer Unternehmen) wurde dann als passender Beweis des Fortschritts in der „Frauenfrage“ herausgestellt. Auf Twitter gab es dazu von Frank Lübberding einen durchaus nachdenklich stimmenden Tweet.  Der Frauentag auf dem Niveau vom Valentinstag? Eine solche Be- und Abwertung muss man nicht teilen, sehr wohl sollte aber die Perspektive auf die vielen Frauen, die niemals in die Nähe von Aufsichtsratspöstchen kommen werden, sondern deren Hauptbeschäftigung darin besteht, irgendwie über die Runden zu kommen, in den Mittelpunkt gestellt werden. Und gerade für die unter den geschätzt 99,9% der Frauen könnte man viele Beispiele finden.

Die Gewerkschaft GEW hat eines von eben ganz vielen denkbaren Beispielen herausgegriffen und angesichts der sozialpolitischen Relevanz soll das hier aufgerufen werden: Es geht um die Honorarlehrkräfte insbesondere in der öffentlich finanzierten Weiterbildung. Vier von fünf der 150.000 hauptberuflichen Honorarlehrkräfte in der Weiterbildung sind Frauen. »Von den Honoraren bleibt häufig weniger als der Mindestlohn von 8,50 Euro in der Stunde übrig. Damit liegt das Einkommen vieler akademisch qualifizierter Frauen auf Hartz-IV-Niveau.« Sagt die Gewerkschaft in ihrer Pressemitteilung GEW: „Überwiegend Frauensache: prekäre Arbeitsbedingungen in der Weiterbildung“.

Und was wäre eine Gewerkschaft ohne Forderungen?

„Wir fordern ein Mindesthonorar von 30 Euro in der Stunde sowie eine Beteiligung der Arbeitgeber an den Sozialversicherungsbeiträgen, die die Honorarlehrkräfte zahlen müssen“, so wird Frauke Gützkow, für Frauenpolitik verantwortliches GEW-Vorstandsmitglied der GEW zitiert.
Man kann und sollte die Forderung nach einem „Mindesthonorar“ tatsächlich als eine Ergänzung zur Großbaustelle „Mindestlohn“ sehen: »In der Weiterbildung würden Honorarkräfte nur für die Zeit bezahlt, in der sie Kurse geben … Vorbereitung und Nachbereitung des Unterrichts, Beratung von Kursteilnehmerinnen und –teilnehmern sowie Verwaltungstätigkeiten seien in den Honoraren nicht berücksichtigt. Zudem gebe es weder eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall noch beteiligten sich die Arbeitgeber an den Sozialversicherungsbeiträgen der Honorarkräfte.« So die Erläuterung der GEW zu ihrer Forderung.

Und dann kommt ein wichtiger Hinweis auf einen ganz besonderen – und man denke an die aktuellen Entwicklungen im Bereich der Zuwanderung und der Flüchtlingspolitik ganz besonders brisanten – Teilbereich der Weiterbildungsbranche: die „Integrationskurse“. Dazu die GEW:

„Skandalös ist die Situation der rund 22.000 Lehrkräfte, die Integrationskurse leiten. Viele müssen ihr Einkommen bei einem Durchschnittshonorar von 20 Euro mit Sozialhilfeleistungen aufstocken. In diesem Bereich arbeiten zu 85 Prozent Frauen … So produziert der öffentliche Auftraggeber, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), Einkommens- und Altersarmut.“

Die Gewerkschaft weist darauf hin, dass das BAMF eine akademische Qualifikation sowie einen weiteren Nachweis im Bereich Deutsch als Fremdsprache für Lehrkräfte, die Integrationskurse geben, voraussetze.

Zu den Integrationskursen und den dort vorherrschenden wirklich teilweise skandalösen Bedingungen vgl. auch meinen Blog-Beitrag Integration wollen alle. Und Integrationskurse für Migrantinnen werden gekürzt. Das passt nicht. Das gilt auch für die Existenz der pädagogischen Tagelöhner vom 27.02.2015.

Wie gesagt, nur ein Beispiel von ganz vielen über die reale Frauenfrage jenseits der Aufsichtsräte und der Quoten.

Integration wollen alle. Und Integrationskurse für Migrantinnen werden gekürzt. Das passt nicht. Das gilt auch für die Existenz der pädagogischen Tagelöhner

Jenseits der großen, zumeist sehr grobschlächtigen Debatten über das Für und Wider von Zuwanderung und den – angeblich – erheblichen Integrationsproblemen eines Teils der Menschen, die nach Deutschland gekommen sind, liegen die Mühen der Ebene. Und eine wichtige Rolle spielen die Integrationskurse, die von ganz unterschiedlichen Trägern angeboten werden (vgl. zu den unterschiedlichen Integrationskursen die statistische Informationen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge).  Ein ganz besonderes Angebot in diesem Bereich sind niedrigschwellige Integrationskurse für Frauen. Mit diesen Kursen will man Einwanderinnen ansprechen, die durch konventionelle Integrationsangebote oft nicht erreicht werden. Die Bundesregierung selbst ist begeistert von diesem Angebot und erläutert die Zielsetzung so: »Insbesondere sollen bildungsferne Frauen aus ihrer Isolation geholt und zur Inanspruchnahme weiterführender allgemeiner Integrationsangebote ermutigt und unterstützt werden. Die Kurse vermitteln dabei Kenntnisse über die deutsche Gesellschaft, über das Bildungssystem und dienen der Stärkung der Erziehungskompetenz, der Rechte der Frauen sowie der Gewaltprävention«, so die Ausführungen in der Antwort auf die Kleine Anfrage „Bundesförderung für sogenannte niedrigschwellige Integrationskurse für Frauen“ der Grünen im Deutschen Bundestag (BT-Drs. 18/4056 vom 20.02.2015). In Zeiten, in denen Deutschland als zweitgrößtes Einwanderungsland nach den USA gilt, da mehr als 200.000, dieses Jahr möglicherweise bis zu 300.000 Asylbewerber  kommen – und Zehntausende als Ehepartner aus dem Ausland -, machen solche Angebote Sinn. Aber die Realität sieht mal wieder anders aus – wie Roland Preuß in seinem Artikel Lernen schwer gemacht mitteilen muss. Zum Einstieg nur einige wenige frustrierende Fakten: »Die Bundesregierung hat Mittel für Integrationskurse für Migrantinnen deutlich gekürzt. Konnten 2012 noch fast 2100 solcher Kurse angeboten werden, so waren es im vergangenen Jahr nur noch 975.«

An diese Entwicklung sollte man sich erinnern, wenn mal wieder die mangelhaften Deutschkenntnisse oder die Abschottung bestimmter Personengruppen in der öffentlichen Debatte kritisiert und vorwurfsvoll herausgestellt wird. Gerade die von den Kürzungen betroffenen niedrigschwelligen Angebote haben Frauen erreichen können, die ansonsten schlichtweg nirgendwo auftauchen (können).

Und damit nicht genug. Das Fallbeil der Kürzungen wütet auch an anderen Stellen:

»Bei den frühen Angeboten für Migranten läuft es ähnlich: Die sogenannte Migrationsberatung soll Einwanderern frühzeitig den Weg zu einer Integration in Deutschland weisen, es werden Vereinbarungen geschlossen, die Aufgaben und Ziele festhalten, denn der Weg durch die deutsche Bürokratie ist für Migranten mitunter mehr als unübersichtlich. Im Koalitionsvertrag hatte man noch vereinbart, dass alle Neuzuwanderer eine solche „Erstberatung“ erhalten sollen – doch auch hier fehlt offenbar das Geld.

Die Zahl der Beraterstellen ist in den vergangenen fünf Jahren sogar geschrumpft, auf weniger als 500, obwohl die Bundesrepublik mittlerweile die größte Zuwandererzahl seit 20 Jahren zu bewältigen hat. Rein rechnerisch hat jeder Berater mittlerweile 300 Fälle im Jahr zu betreuen, vorgesehen waren einmal 60. In den Anlaufstellen werde „deutlich mehr Beratungsarbeit geleistet“, räumt auch das Innenministerium ein. „Qualitätsverluste können nicht ausgeschlossen werden.“«

„Die Zahl der Beratungsfälle stieg um 60 Prozent, doch die Bundesregierung streicht die zur Durchführung notwendigen Personalstellen“, so wird Volker Beck von den Grünen in dem Artikel zitiert.

Und wenn wir schon dabei sind, sei an dieser Stelle auf ein weiteres, den gesamten Bereich der Integrationskurse betreffendes Strukturproblem aufgerufen. Es geht um die Arbeitsbedingungen der Lehrkräfte in diesem gesellschaftspolitisch so wichtigen und pädagogisch so herausfordernden Bereich. Darüber informiert die Initiative Bildung Prekär, die sich sehr kritisch mit den Arbeitsbedingungen auseinandersetzt. Wie steht es um diejenigen, auf deren Schultern die Aufgabe der so wichtigen und vor allen geforderten Sprachvermittlung ruht, also die Deutschlehrer in den Integrationskursen? Dazu beispielhaft der Beitrag Integrationskurslehrer: Jahrelang ohne Arbeitsvertrag! von Aglaja Beyes, einer freiberufliche Journalistin, Autorin und Kursleiterin von Integrationskursen in Wiesbaden. Sie beschreibt die Situation der Lehrkräfte so:

»Diese Lehrer sind nach ihrem arbeitsrechtlichen Status gar keine Lehrer. Sie sind fast ausschließlich Kursleiter ohne Festanstellung. Ob bei Volkshochschulen, der Caritas oder dem Goethe-Institut: Einen regulären Arbeitsvertrag hat fast niemand, nicht einmal einen befristeten. Stattdessen gibt es Honorarverträge über jeweils einige hundert Unterrichtsstunden, was wenigen Monaten entspricht. Ein Honorarvertrag folgt dem anderen, als “Kettenverträge” über Jahre, manchmal über ein Jahrzehnt und mehr. Das BAMF … überweist pro Teilnehmer und Unterrichtsstunde 2,94 Euro an die jeweiligen Träger, zum Beispiel die Volkshochschulen … Ob die Lehrkräfte von dem bewilligten Geld angestellt werden oder jahrelang Kettenverträge als Scheinselbständige bekommen, interessiert weder das Bundesamt noch das Innenministerium … am Jahresende (gibt es) für das Finanzamt eine Bescheinigung über “nebenberufliche Tätigkeit” – obwohl Vollzeitarbeit.«

Aglaja Beyes spricht in ihrem Beitrag von Scheinselbständigkeit – und das ganze Arrangement hat sehr negative Folgen: »Deutschlehrer ohne Arbeitsvertrag, geschweige denn Tarifvertrag, haben keinen Anspruch auf Geld im Krankheitsfall. Sie schleppen sich krank zur Arbeit … Junge Mütter und Väter haben keinen Anspruch auf Erziehungsgeld. Und auf alle wartet Altersarmut. Von ihren mageren Honoraren hätten sie den Arbeitgeber- und den Arbeitnehmeranteil für die Rentenversicherung abführen müssen. Dazu ist nicht jeder in der Lage … Und wie steht es mit der Mitbestimmung? Ebenfalls Fehlanzeige. Betriebsräte sind für Menschen ohne Arbeitspapiere nicht zuständig. Schutzbestimmungen am Arbeitsplatz greifen ebenfalls nicht. Die Folge: Viele Kollegen unterrichten an bestimmten Wochentagen regelmäßig bis zu vierzehn Unterrichtsstunden in drei Schichten …  Eine Arbeitslosenversicherung gibt es nicht, Kündigungsschutz genauso wenig.«
Sie zitiert eine Kollegin in ihrem Artikel mit der zusammenfassenden Bilanzierung: „Wir sind Tagelöhner, wir müssen nehmen, was kommt“.

Und der Artikel endet mit einer Erfahrung, die man leider oft machen muss im Getriebe der Politik:
»Im September 2012 stellte die SPD-Fraktion im Bundestag als Opposition einen Antrag zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Lehrkräften in Integrationskursen. Darin wird die schwarz-gelbe Bundesregierung aufgefordert, ein Konzept vorzulegen, “wie die Quote festangestellter Lehrer erhöht werden kann.” Seit über einem Jahr ist die SPD inzwischen selbst Teil der Regierung. Auf das Konzept warten wir immer noch – gespannt.«

Dass sich hinsichtlich der Integrationskurse ein gewaltiger Bedarf aufgestaut hat, verdeutlicht dann auch so eine Meldung: Arbeitsagentur fordert Sprachförderung von Flüchtlingen: »Die Arbeitsagentur fordert Investitionen im dreistelligen Millionenbereich für die Sprachförderung für Asylsuchende und Flüchtlinge. Sonst drohten viel höhere Folgekosten.« Die Bundesagentur verweist auf eine weitere Schwachstelle im bestehenden System: »Aktuell gibt es erhebliche Förderungslücken bei der Deutschförderung von Asylbewerbern und Geduldeten. Sie haben keinen Zugang zu Integrationskursen, in denen vor allem allgemeinsprachliche Grundlagen vermittelt werden. Diese ersten elementare Deutschkenntnisse sind aber Voraussetzung für die Teilnahme an berufsbezogenen Sprachkursen.« Was man tun sollte, sagt die BA auch: »Um diese Hürden für alle Asylsuchenden abzubauen, müsste aus Steuermitteln jährlich ein dreistelliger Millionenbetrag zusätzlich für allgemeine und berufsbezogene Sprachförderung aufgewendet werden. Laut Bundesagentur für Arbeit sind das notwendige und sinnvolle Grundinvestitionen. Denn wenn die Integration in den Arbeitsmarkt und die Gesellschaft nicht gelinge, drohe ein Vielfaches an Folgekosten.«

Ach ja: Zum Auftakt der Bildungsmesse Didacta am Dienstag in Hannover hatte sich Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) für eine bessere Integration von Zuwanderern in das deutsche Bildungssystem ausgesprochen. Womit wir wieder am Anfang dieses Beitrags angekommen wären.