Ein „Bürgereinkommen“, aber nicht für Lotterielose und mit harten Sanktionen: Hartz IV, italienische Variante

Die EU hat es wirklich nicht einfach in diesen Zeiten: Ein massiver Handelskonflikt mit den USA, das Gewürge mit Großbritannien um den anstehenden Brexit, erhebliche innere Spannungen (so zwischen einigen osteuropäischen Staaten wie Ungarn und Polen und den anderen EU-Staaten oder auch die Differenz zwischen den nord- und südeuropäischen Staaten vor allem hinsichtlich des Euros), die immer noch mehr als fragilen Stabilisierungsversuche Griechenland betreffend, Reformvorschläge des französischen Präsidenten Macron zur Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion und die Nicht-Antwort darauf aus Merkel-Deutschland. Und dann kam im vergangenen Jahr auch noch Italien auf die Tagesordnung der Problem-Baustellen. Dort wurde gewählt und herausgekommen ist eine Konstellation, die uns voraussichtlich noch lange beschäftigen wird, denn die beiden Gewinner der Wahlen sind zwei – nett formuliert – „populistische“ Parteien, die es offensichtlich miteinander versuchen wollen: die rechtsradikale Lega aus Norditalien und die Fünf-Sterne-Bewegung.

Vor allem in der Zentrale der EU war man im vergangenen Sommer alarmiert: Brüssel zittert vor dem neuen Italien, so ist ein Artikel dazu überschrieben. »Das kürzlich öffentlich gewordene Regierungsprogramm der beiden Parteien liest sich aus Brüsseler Sicht wie ein Horrorkatalog: Die Wahlversprechen würden zwischen 125 und 170 Milliarden Euro kosten, die Staatsverschuldung Italiens – ohnehin eine der höchsten der Welt – stiege in unvorstellbare Höhen. Lega-Chef Matteo Salvini und 5-Sterne-Chef Luigi Di Maio aber haben öffentlich erklärt, dass sie darin kein Problem sehen. Im Entwurf des Koalitionsvertrags stand gar, dass die Europäische Zentralbank 250 Milliarden Euro an italienischen Schulden erlassen und dass es Regeln für den Austritt aus dem Euro geben sollte.« Was man dann aber schnell wieder zurückziehen musste, denn das war reines Wunschdenken.

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Das „Starke-Familien-Gesetz“: Zwischen semantischen Kapriolen des Gesetzgebers und sicher gut gemeinten bürokratischen Verbesserungs-Klimmzügen

Die einen werden sagen, man kann es aber auch nie richtig machen: Da werden die Juristen für ihre zumeist sehr technokratisch daherkommenden Gesetzgebungswortungetüme kritisiert. Versuchen sie es hingegen in Umsetzung eines entsprechenden politischen Verlangens mit semantischen Höhepunkten einer (scheinbar) „Nah an den Leuten“-Wortwahl und generieren ein „Gute-Kita-Gesetz“ und kurz darauf ein „Starke-Familien-Gesetz“, dann werden sie auch wieder kritisiert, zumindest aber wird kübelweise Spott ausgegossen und von einer Infantilisierung ist die Rede. Was kommt als nächstes? Ein „Gutes-Diesel-Gesetz“ für die von Fahrverboten und einer sich in die Büsche schlagenden Automobilindustrie geplagten Diesel-Fahrer in diesem Land? Wird das „Gute-Gesetzgebungs-Gesetz“ den absoluten Höhepunkt darstellen?

Aber bleiben wir bei den Fakten: Das „Starke-Familien-Gesetz“ ist ja nur die Wohlfühl-Etikette, die man in den öffentlichen Ring geworfen hat, die „richtige“ Bezeichnung des Gesetzentwurfs, der vom Kabinett bewilligt wurde und nun in den weiteren Gesetzgebungsprozess eingespeist wird, geht so: „Gesetz zur zielgenauen Stärkung von Familien und ihren Kindern durch die Neugestaltung des Kinderzuschlags und die Verbesserung der Leistungen für Bildung und Teilhabe (Starke-Familien-Gesetz – StaFamG)“. Das hört sich nun schon weniger simpel an. 

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Erwerbsarbeit im unteren Lohnbereich soll sich mehr lohnen. Von Zuverdienstgrenzen, weiterführenden Reformvorschlägen und einigen Grundsatzfragen

Wenn man die vielstimmige „Hartz IV“-Debatte der letzten Monate Revue passieren lässt, dann taucht da immer wieder eine Komponente auf, deren Veränderung auf den ersten Blick zu erstaunlichen Koalitionen führt: der Zuverdienst und seine Begrenzungen im Grundsicherungssystem. In dem von Robert Habeck von den Grünen verfassten Positionspapier Anreiz statt Sanktionen, bedarfsgerecht und bedingungslos wird unter der Überschrift „Eine Frage der Gerechtigkeit: Wer arbeitet, muss davon profitieren“ ausgeführt: »Aktuell werden je nach Einkommenshöhe 80, 90 oder gar 100 Prozent des selbstverdienten Einkommens auf Hartz IV angerechnet. Während in Deutschland immer wieder über ein zu frühes Einsetzen eines Spitzensteuersatzes von 42 Prozent geredet wird, scheinen viele nicht zu wissen, dass gerade die Menschen, die am wenigsten verdienen, 80 Prozent und mehr ihres selbstverdienten Einkommens abgeben müssen. Wir halten diesen Zustand für ungerecht und demotivierend. In einem ersten Schritt wollen wir daher erreichen, dass alle Empfänger*innen mindestens 30 Prozent des selbst verdienten Einkommens behalten können. Das klingt immer noch wenig, aber ein Beispiel verdeutlicht, was das für die Betroffenen heißt. Heute verfügt eine vierköpfige Familie mit einer erwerbstätigen Person, die 1.500 Euro brutto verdient und die zusätzlich im Hartz-Bezug aufstocken muss, über 330 Euro netto mehr, als wenn niemand in der Familie arbeiten würde und das Einkommen allein aus der Grundsicherung käme. In unserem Vorschlag steigt nun diese Differenz auf 520 Euro. Wenn erst einmal eine Kindergrundsicherung eingeführt ist, steigt das verfügbare Einkommen der Familie sogar noch weiter.«

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Vom „solidarischen Grundeinkommen“ jetzt zum „Grundeinkommensjahr“? Neues aus der sozialdemokratischen Debattenwelt

Vor einigen Monaten wurde einen Moment lang heftig diskutiert über das Grundsicherungssystem, landläufig als Hartz IV tituliert. Sogar eine Abschaffung des bei vielen Menschen und vor allem bei enttäuschten Sozialdemokraten oder ihren (früheren) Wählern verhassten Erbes der Agenda 2010 der rot-grünen Bundesregierung unter Gerhard Schröder wurde in den medialen Raum gestellt. Auslöser waren Vorschläge des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Michael Müller (SPD). Der hatte bereits im Oktober 2017 geschrieben: »Ich halte in diesem Zusammenhang nichts von einem bedingungslosen Grundeinkommen … Sehr wohl kann ich mir aber ein solidarisches Grundeinkommen vorstellen.« Was man sich darunter vorstellen muss? » Ich bin sicher, jedem von uns fällt einiges ein, was wegen klammer staatlicher Kassen heute nicht möglich ist: Sperrmüllbeseitigung, Säubern von Parks, Bepflanzen von Grünstreifen, Begleit- und Einkaufsdienste für Menschen mit Behinderung, Babysitting für Alleinerziehende, deren Arbeitszeiten nicht durch Kita- Öffnungszeiten abgedeckt werden, vielfältige ehrenamtliche Tätigkeiten wie in der Flüchtlingshilfe, als Lesepatin oder im Sportverein als Übungsleiter und und und.« Der Kern des Vorschlags von Müller ist also eine spezifische Form der öffentlich geförderten Beschäftigung für einen Teil der langzeitarbeitslosen Menschen – spezifisch, weil die Tätigkeiten beschränkt sein sollen auf bestimmte „Zulieferer“-Arbeiten im kommunalen Bereich, die vor allem aus finanziellen Gründen derzeit nicht erledigt werden (können) und das dann begrenzt auf Menschen unter den Langzeitarbeitslosen, die derart viele und/oder schwerwiegende „Vermittlungshemmnisse“ haben, dass sie kaum oder absehbar keine Chancen mehr haben werden, auf dem „normalen“ Arbeitsmarkt landen zu können.

Dass das nichts mit einer „Abschaffung“ von Hartz IV zu tun hat und – wenn überhaupt – nur einen sehr kleinen Ausschnitt eines Systems adressiert, in dem sich über sechs Millionen ganz unterschiedliche Menschen und das teilweise seit vielen Jahren befinden, vorbeigeht, wurde hier bereits in diesem Beitrag vom 8. April 2018 ausführlich analysiert und bewertet: Die abgehobene und letztendlich verlogene Hartz IV-Debatte. Nun aber werden wir Zeugen eines weiteren Versuchs, die weitaus größere und bei vielen Menschen durchaus mit großen Sympathien versehene Grundeinkommensdebatte zu kapern und für die Neuausrichtungsdiskussion innerhalb der SPD zu nutzen.

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Von „Irgendwohin-Integrationen egal wie lange“ zu einem differenzierteren Blick darauf, wie viele Arbeitslose wie lange in Beschäftigung integriert werden

Ursprünglich sollte es nach den Vorstellungen der viel gescholtenen „Hartz-Kommission“ nur noch eine Anlaufstelle für alle Arbeitslosen geben. Eine „one-stop-agency“-Lösung für alle erwerbsfähigen Menschen, wie es in dem vom Vorsitzenden Peter Hartz und seinen Getreuen beliebten Unternehmensberater-Deutsch hieß. Dieser Vorschlag der Kommission im Jahr 2002 muss auch vor dem Hintergrund der damaligen Kritik an der Zweiteilung der Zuständigkeit für erwerbslose Menschen in Arbeitsämter und Sozialämter gesehen und eingeordnet werden. Nun wird der eine oder andere kopfschüttelnd auf den heutigen Zustand schauen, der ziemlich weit weg ist von dem, was die Theoretiker sich überlegt hatten. Die Sozialämter gibt es heute auch noch, daneben die zu Agenturen für Arbeit semantisch aufgemotzten Arbeitsämter ebenfalls, allerdings mit einem reduzierten „Kundenkreis“ – denn hinzugekommen sind  nun nach einer längeren Wackel- und Übergangszeit die Jobcenter, die für die vielen Menschen im Grundsicherungssystem (SGB II) und damit nicht nur für Arbeitslose zuständig sind. Das hat mit Blick auf die Arbeitslosen zu einer mit vielen „Schnittstellenproblemen“ belasteten Zweiteilung geführt – die „Versicherungs-Arbeitslosen“ werden von den Arbeitsagenturen nach dem SGB III betreut und die „Fürsorge“-Arbeitslosen landen in den Jobcentern, die zudem auch noch mal zweigeteilt sind, in Jobcenter, die von der Bundesagentur für Arbeit gemeinsam mit den Kommunen betrieben und in Jobcenter, die ausschließlich von der kommunalen Seite verantwortet werden. Deutschland ist ein Meister der Differenzierung.

Nun haben wir in den vergangenen Jahren seit 2011 eine von oben betrachtet wirklich gute Arbeitsmarktentwicklung gesehen, die mit dazu beigetragen hat, dass sich die Integrationschancen von Arbeitslosen deutlich verbessert haben. Auch diese Aussage ist einmal sehr allgemein gehalten und bedarf des genaueren Hinschauens.

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