Integration wollen alle. Und Integrationskurse für Migrantinnen werden gekürzt. Das passt nicht. Das gilt auch für die Existenz der pädagogischen Tagelöhner

Jenseits der großen, zumeist sehr grobschlächtigen Debatten über das Für und Wider von Zuwanderung und den – angeblich – erheblichen Integrationsproblemen eines Teils der Menschen, die nach Deutschland gekommen sind, liegen die Mühen der Ebene. Und eine wichtige Rolle spielen die Integrationskurse, die von ganz unterschiedlichen Trägern angeboten werden (vgl. zu den unterschiedlichen Integrationskursen die statistische Informationen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge).  Ein ganz besonderes Angebot in diesem Bereich sind niedrigschwellige Integrationskurse für Frauen. Mit diesen Kursen will man Einwanderinnen ansprechen, die durch konventionelle Integrationsangebote oft nicht erreicht werden. Die Bundesregierung selbst ist begeistert von diesem Angebot und erläutert die Zielsetzung so: »Insbesondere sollen bildungsferne Frauen aus ihrer Isolation geholt und zur Inanspruchnahme weiterführender allgemeiner Integrationsangebote ermutigt und unterstützt werden. Die Kurse vermitteln dabei Kenntnisse über die deutsche Gesellschaft, über das Bildungssystem und dienen der Stärkung der Erziehungskompetenz, der Rechte der Frauen sowie der Gewaltprävention«, so die Ausführungen in der Antwort auf die Kleine Anfrage „Bundesförderung für sogenannte niedrigschwellige Integrationskurse für Frauen“ der Grünen im Deutschen Bundestag (BT-Drs. 18/4056 vom 20.02.2015). In Zeiten, in denen Deutschland als zweitgrößtes Einwanderungsland nach den USA gilt, da mehr als 200.000, dieses Jahr möglicherweise bis zu 300.000 Asylbewerber  kommen – und Zehntausende als Ehepartner aus dem Ausland -, machen solche Angebote Sinn. Aber die Realität sieht mal wieder anders aus – wie Roland Preuß in seinem Artikel Lernen schwer gemacht mitteilen muss. Zum Einstieg nur einige wenige frustrierende Fakten: »Die Bundesregierung hat Mittel für Integrationskurse für Migrantinnen deutlich gekürzt. Konnten 2012 noch fast 2100 solcher Kurse angeboten werden, so waren es im vergangenen Jahr nur noch 975.«

An diese Entwicklung sollte man sich erinnern, wenn mal wieder die mangelhaften Deutschkenntnisse oder die Abschottung bestimmter Personengruppen in der öffentlichen Debatte kritisiert und vorwurfsvoll herausgestellt wird. Gerade die von den Kürzungen betroffenen niedrigschwelligen Angebote haben Frauen erreichen können, die ansonsten schlichtweg nirgendwo auftauchen (können).

Und damit nicht genug. Das Fallbeil der Kürzungen wütet auch an anderen Stellen:

»Bei den frühen Angeboten für Migranten läuft es ähnlich: Die sogenannte Migrationsberatung soll Einwanderern frühzeitig den Weg zu einer Integration in Deutschland weisen, es werden Vereinbarungen geschlossen, die Aufgaben und Ziele festhalten, denn der Weg durch die deutsche Bürokratie ist für Migranten mitunter mehr als unübersichtlich. Im Koalitionsvertrag hatte man noch vereinbart, dass alle Neuzuwanderer eine solche „Erstberatung“ erhalten sollen – doch auch hier fehlt offenbar das Geld.

Die Zahl der Beraterstellen ist in den vergangenen fünf Jahren sogar geschrumpft, auf weniger als 500, obwohl die Bundesrepublik mittlerweile die größte Zuwandererzahl seit 20 Jahren zu bewältigen hat. Rein rechnerisch hat jeder Berater mittlerweile 300 Fälle im Jahr zu betreuen, vorgesehen waren einmal 60. In den Anlaufstellen werde „deutlich mehr Beratungsarbeit geleistet“, räumt auch das Innenministerium ein. „Qualitätsverluste können nicht ausgeschlossen werden.“«

„Die Zahl der Beratungsfälle stieg um 60 Prozent, doch die Bundesregierung streicht die zur Durchführung notwendigen Personalstellen“, so wird Volker Beck von den Grünen in dem Artikel zitiert.

Und wenn wir schon dabei sind, sei an dieser Stelle auf ein weiteres, den gesamten Bereich der Integrationskurse betreffendes Strukturproblem aufgerufen. Es geht um die Arbeitsbedingungen der Lehrkräfte in diesem gesellschaftspolitisch so wichtigen und pädagogisch so herausfordernden Bereich. Darüber informiert die Initiative Bildung Prekär, die sich sehr kritisch mit den Arbeitsbedingungen auseinandersetzt. Wie steht es um diejenigen, auf deren Schultern die Aufgabe der so wichtigen und vor allen geforderten Sprachvermittlung ruht, also die Deutschlehrer in den Integrationskursen? Dazu beispielhaft der Beitrag Integrationskurslehrer: Jahrelang ohne Arbeitsvertrag! von Aglaja Beyes, einer freiberufliche Journalistin, Autorin und Kursleiterin von Integrationskursen in Wiesbaden. Sie beschreibt die Situation der Lehrkräfte so:

»Diese Lehrer sind nach ihrem arbeitsrechtlichen Status gar keine Lehrer. Sie sind fast ausschließlich Kursleiter ohne Festanstellung. Ob bei Volkshochschulen, der Caritas oder dem Goethe-Institut: Einen regulären Arbeitsvertrag hat fast niemand, nicht einmal einen befristeten. Stattdessen gibt es Honorarverträge über jeweils einige hundert Unterrichtsstunden, was wenigen Monaten entspricht. Ein Honorarvertrag folgt dem anderen, als “Kettenverträge” über Jahre, manchmal über ein Jahrzehnt und mehr. Das BAMF … überweist pro Teilnehmer und Unterrichtsstunde 2,94 Euro an die jeweiligen Träger, zum Beispiel die Volkshochschulen … Ob die Lehrkräfte von dem bewilligten Geld angestellt werden oder jahrelang Kettenverträge als Scheinselbständige bekommen, interessiert weder das Bundesamt noch das Innenministerium … am Jahresende (gibt es) für das Finanzamt eine Bescheinigung über “nebenberufliche Tätigkeit” – obwohl Vollzeitarbeit.«

Aglaja Beyes spricht in ihrem Beitrag von Scheinselbständigkeit – und das ganze Arrangement hat sehr negative Folgen: »Deutschlehrer ohne Arbeitsvertrag, geschweige denn Tarifvertrag, haben keinen Anspruch auf Geld im Krankheitsfall. Sie schleppen sich krank zur Arbeit … Junge Mütter und Väter haben keinen Anspruch auf Erziehungsgeld. Und auf alle wartet Altersarmut. Von ihren mageren Honoraren hätten sie den Arbeitgeber- und den Arbeitnehmeranteil für die Rentenversicherung abführen müssen. Dazu ist nicht jeder in der Lage … Und wie steht es mit der Mitbestimmung? Ebenfalls Fehlanzeige. Betriebsräte sind für Menschen ohne Arbeitspapiere nicht zuständig. Schutzbestimmungen am Arbeitsplatz greifen ebenfalls nicht. Die Folge: Viele Kollegen unterrichten an bestimmten Wochentagen regelmäßig bis zu vierzehn Unterrichtsstunden in drei Schichten …  Eine Arbeitslosenversicherung gibt es nicht, Kündigungsschutz genauso wenig.«
Sie zitiert eine Kollegin in ihrem Artikel mit der zusammenfassenden Bilanzierung: „Wir sind Tagelöhner, wir müssen nehmen, was kommt“.

Und der Artikel endet mit einer Erfahrung, die man leider oft machen muss im Getriebe der Politik:
»Im September 2012 stellte die SPD-Fraktion im Bundestag als Opposition einen Antrag zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Lehrkräften in Integrationskursen. Darin wird die schwarz-gelbe Bundesregierung aufgefordert, ein Konzept vorzulegen, “wie die Quote festangestellter Lehrer erhöht werden kann.” Seit über einem Jahr ist die SPD inzwischen selbst Teil der Regierung. Auf das Konzept warten wir immer noch – gespannt.«

Dass sich hinsichtlich der Integrationskurse ein gewaltiger Bedarf aufgestaut hat, verdeutlicht dann auch so eine Meldung: Arbeitsagentur fordert Sprachförderung von Flüchtlingen: »Die Arbeitsagentur fordert Investitionen im dreistelligen Millionenbereich für die Sprachförderung für Asylsuchende und Flüchtlinge. Sonst drohten viel höhere Folgekosten.« Die Bundesagentur verweist auf eine weitere Schwachstelle im bestehenden System: »Aktuell gibt es erhebliche Förderungslücken bei der Deutschförderung von Asylbewerbern und Geduldeten. Sie haben keinen Zugang zu Integrationskursen, in denen vor allem allgemeinsprachliche Grundlagen vermittelt werden. Diese ersten elementare Deutschkenntnisse sind aber Voraussetzung für die Teilnahme an berufsbezogenen Sprachkursen.« Was man tun sollte, sagt die BA auch: »Um diese Hürden für alle Asylsuchenden abzubauen, müsste aus Steuermitteln jährlich ein dreistelliger Millionenbetrag zusätzlich für allgemeine und berufsbezogene Sprachförderung aufgewendet werden. Laut Bundesagentur für Arbeit sind das notwendige und sinnvolle Grundinvestitionen. Denn wenn die Integration in den Arbeitsmarkt und die Gesellschaft nicht gelinge, drohe ein Vielfaches an Folgekosten.«

Ach ja: Zum Auftakt der Bildungsmesse Didacta am Dienstag in Hannover hatte sich Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) für eine bessere Integration von Zuwanderern in das deutsche Bildungssystem ausgesprochen. Womit wir wieder am Anfang dieses Beitrags angekommen wären.

Unauffällig, nicht sichtbar, verdeckt. Und es werden mehr. Frauen und Obdachlosigkeit

Über Wohnungs- und Obdachlosigkeit wird nicht bzw. wenn, dann nur sehr verzerrt berichtet. Und in den wenigen Berichten geht es fast ausschließlich um Männer. Frauen tauchen so gut wie nie auf. Aber es gibt sie. Christina Hoffmann hat ihren Artikel über obdachlose Frauen überschrieben mit Die Unauffälligen. Rund drei Viertel aller Obdachlosen in Deutschland sind Männer. Frauen ohne Wohnung sind unauffällig, ja fast: nicht sichtbar. Hoffmann notiert in ihrem Artikel:
»Mit Wissenschaftlern und Sozialpädagogen kann man gut und lange über Obdachlosigkeit von Frauen sprechen. Die weiblichen Betroffenen selbst schweigen lieber; es ist schwierig, eine obdachlose Frau für ein Interview zu gewinnen … Für die Mehrheit der Frauen ohne Wohnung gilt: Sie haben eine große Scham ob ihrer Situation und eine noch größere Angst, erkannt zu werden.«

In einer Großstadt wie Berlin mit einer sehr ausdifferenzierten Wohnungsnotfallhilfe gibt es auch Einrichtungen wie „FrauenbeDacht“, die sich speziell an Frauen ohne Bleibe richten. In einem Berliner Altbau verteilen sich auf fünf Etagen 43 Einzelzimmer mit Bett, Schrank, Tisch und einem Stuhl. Außerdem gibt es Gemeinschaftsküchen und Aufenthaltsräume, zudem zwei Zimmer für eine Mutter mit Kind.

Eigentlich wollen Politik und Medien immer sofort erst einmal wissen – wie viele sind es denn, um die es hier geht. Die Sucht nach den Zahlen, nicht selten müssen es große Zahlen sein, damit überhaupt ein Resonanzkörper in Schwingungen versetzt wird. Aber über die wohnungs- und obdachlosen Menschen gibt es keine Bundesstatistik. Immer wieder muss man deshalb auf die Schätzungen der Bundesarbeitsgemeinschaft für Wohnungslosenhilfe (BAG W) zurückgreifen. Die kam bei ihrer Schätzung im Jahr 2012 auf ungefähr 284.000 Betroffene, Männer und Frauen. »Seit einigen Jahren trifft es immer mehr Frauen. Mitte der neunziger Jahre waren nach Schätzung der BAG W zwölf bis 15 Prozent der Obdachlosen Frauen; heute ist es schon ein Viertel«, berichtet Hoffmann.

Wie kommt es zu den Steigerungen? Als eine Möglichkeit zur Erklärung wird genannt: Die Art und Weise, wie Männer und Frauen leben, gleicht sich immer weiter an. Aber auch und nicht überraschend für jeden, der sehenden Auges durch unsere Städte geht: der angespannte Wohnungsmarkt. Vgl. dazu auch den Gastbeitrag Die vergessenen 360.000 – Ein Einblick in das Leben von Menschen ohne Wohnung von Rebekka Wilhelm und Lena Amberge vom 18.12.2014 bei O-Ton Arbeitsmarkt in der Rubrik Menschen am Rande kommen zu Wort.

„Die Obdachlosigkeit kommt immer nach einer langen, langen Geschichte“, so wird die Sozialwissenschaftlerin Brigitte Sellach in dem Artikel zitiert, die biografische Interviews mit betroffenen Frauen durchführt. „Beziehungsprobleme mit Demütigungen, Gewalt und Ohnmacht bringen Frauen in die Wohnungslosigkeit.“ Die Soziologie diagnostiziert überdies sogenannte „Ausschlussprozesse“ der Gesellschaft: Langzeitarbeitslose, körperlich und geistig Behinderte und vor allem psychisch Kranke gehörten irgendwann nicht mehr dazu.
Ein besonders Frauen betreffendes Phänomen wird in dem Artikel von Christina Hoffmann auch erwähnt: „Verdeckte Obdachlosigkeit“. »Frauen schlüpfen bei Männern unter, die sie misshandeln oder ausnutzen. Ein Schlafplatz im Tausch gegen Sex oder Hausarbeit. Diese Frauen fallen nicht auf, weder in der Statistik noch im Straßenbild.«

Von damaligen Mauern, beseitigten Mauern und fortbestehenden Mauern (nicht nur) in den Köpfen

Auch wenn am heutigen Tag 25 Jahre Öffnung der Mauer gefeiert wird – was danach kam, war und ist oftmals geprägt durch eine negative Berichterstattung und man muss natürlich auch sehen, dass sich das Leben von Millionen Ostdeutschen in den vergangenen 25 Jahre ganz erheblich verändert hat (was man von vielen Westdeutschen nicht unbedingt sagen kann). Mehrere Millionen Menschen haben in dieser Zeit ihren Arbeitsplatz verloren und viele, vor allem die Älteren, haben danach nie wieder richtig einen Fuß auf den arbeitsmarktlichen Boden bekommen. Viele Berufe der ehemaligen DDR und damit auch die dahinter stehenden Biografien der Menschen wurden im Zuge der Wiedervereinigung entwertet. Große Teile der Industrie in den ostdeutschen Bundesländer verschwanden von der Landkarte. Und die Schaffung neuer Strukturen und vor allem neuer Arbeitsplätze erweist sich bis heute als ein schwieriges Unterfangen. Infolgedessen liegen die Löhne in den meisten Branchen auch heute noch teilweise deutlich niedriger als im Westen. Und nicht vergessen werden sollte, dass viele Menschen, gerade jüngere und gut ausgebildete, die ostdeutschen Bundesländer verlassen haben, um dahin zu gehen, wo die Jobs sind. Das führte vor allem in den 1990er Jahren zu einem massiven Entzug von Menschen. So könnte man jetzt weitermachen mit den negativen Aspekten der Folgen der Wiedervereinigung – aber bekanntlich sollte man sich hüten, nur einseitig auf etwas zu schauen. Wo sind die positiven Aspekte?


Vielleicht hilft uns – hinsichtlich der ökonomischen Dimensionen – der folgende Beitrag aus dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW):
Die Wiedervereinigung – eine ökonomische Erfolgsgeschichte, so ist der DIW Wochenbericht Nr. 40/2014 gleichsam euphemistisch überschrieben, mit Beiträgen von Karl Brenke, Marcel Fratzscher, Markus M. Grabka, Elke Holst, Sebastian Hülle, Stefan Liebig, Maximilian Priem, Anika Rasner, Pia S. Schober, Jürgen Schupp, Juliane F. Stahl und Anna Weiber überschrieben. Bei so vielen Autoren muss das gewichtig sein. In diesem Heft findet sich auch der Artikel Ostdeutschland – ein langer Weg des wirtschaftlichen Aufholens von Karl Brenke. Der schreibt in seiner Einleitung:

»Der wirtschaftliche Rückstand Ostdeutschlands gegenüber Westdeutschland ist 25 Jahre nach dem Fall der Mauer immer noch groß. Beim Bruttoinlandsprodukt je Einwohner werden 71 Prozent und bei der Produktivität etwa drei Viertel des westdeutschen Niveaus erreicht. Der Aufholprozess kommt nur noch sehr langsam voran. Der entscheidende Grund für die geringe Produktivität ist der Mangel an hochqualifizierten Tätigkeiten. Zudem ist die ostdeutsche Wirtschaft vergleichsweise kleinteilig strukturiert. Das verfügbare Einkommen je Einwohner liegt in Ostdeutschland bei 83 Prozent des westdeutschen Wertes. An dieser Relation hat sich seit Ende der 90er Jahre nichts Wesentliches geändert. Die Arbeitslosigkeit ist in Ostdeutschland noch relativ hoch, in den vergangenen Jahren ist sie aber stärker als in Westdeutschland zurückgegangen. Dies ist allerdings zum Teil Folge des schrumpfenden Erwerbspersonenpotentials; besonders deutlich geht die Zahl der Jugendlichen zurück.

Die Erwartung zur Zeit der Wende, dass der Osten bei Wirtschaftskraft und Lebensstandard rasch zum Westen aufschließen wird, hat sich nicht erfüllt. Sie war auch übertrieben, denn man ging davon aus, dass eine traditionell dünn besiedelte Transformationsregion in relativ kurzer Zeit eine der leistungsfähigsten Ökonomien der Welt einholen könnte. Gleichwohl gibt es große Anpassungsfortschritte. Insbesondere ist in Ostdeutschland eine Re-Industrialisierung gelungen. Eine große Herausforderung stellt der demografische Wandel dar. Die Zahl junger Erwerbspersonen geht in Ostdeutschland deutlich stärker zurück als in Westdeutschland. Um Fachkräfte zu halten oder anzuziehen, muss in Ostdeutschland das Angebot attraktiver Arbeitsplätze mit guter Entlohnung gesteigert werden. Höhere Löhne müssen allerdings mit höherer Produktivität einhergehen und diese wiederum erfordert eine verstärkte Innovationstätigkeit.«

Auch der Beitrag von Maximilian Priem und Jürgen Schupp Alle zufrieden – Lebensverhältnisse in Deutschland, der über die Lebenszufriedenheit der Menschen in Ost- und Westdeutschland auf der Grundlage ihrer eigenen Einschätzung berichtet, kommt zu einem insgesamt erfreulichen Ergebnis:

»25 Jahre nach dem Fall der Mauer haben sich die Lebensverhältnisse in Ost- und Westdeutschland noch nicht vollständig angeglichen. Das war freilich in realistischer Betrachtung auch nicht zu erwarten. Trotz steigender Lebenszufriedenheit in den neuen Bundesländern konnte der Ost-West-Unterschied noch nicht nivelliert werden. Dies belegen die aktuellsten vom DIW Berlin in Zusammenarbeit mit TNS Infratest Sozialforschung erhobenen Daten der Langzeitstudie Sozio-oekonomisches Panel (SOEP). Demnach sind Menschen in Ostdeutschland im Jahr 2013 signifikant weniger zufrieden als in Westdeutschland, obwohl ihre Zufriedenheit so hoch ist wie noch nie im Zeitraum der Erhebung, die dort im Juni 1990 – kurz vor der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion – erstmals durchgeführt wurde. Weitere subjektive Indikatoren zeigen Differenzen in der Zufriedenheit mit dem Haushaltseinkommen, der Gesundheit und der Kinderbetreuung. Angeglichen hat sich die Zufriedenheit mit der Wohnung, der Haushaltstätigkeit, Arbeit und Freizeit. Die Menschen in Ostdeutschland sorgen sich stärker um die eigene wirtschaftliche Situation und Kriminalität, während die Sorge um Ausländerfeindlichkeit und den Arbeitsplatz in ganz Deutschland abgenommen hat. Die SOEP-Befragungen zeigen: Die Lebensverhältnisse in Deutschland sind aus Sicht der Menschen weitgehend angeglichen. Trotz etlicher Probleme im Detail, wozu in den nächsten Jahren insbesondere die Entwicklung der Neurenten in Ostdeutschland zählen wird, ist die deutsche Wiedervereinigung eine ungewöhnliche Erfolgsgeschichte.«

Auch das Institut für Wirtschaftsforschung Halle hat ebenfalls im Umfeld des heutigen Tages eine interessante Broschüre veröffentlicht, in der wichtige Forschungsergebnisse aus diesem Institut, das ja seinen Sitz hat in Ostdeutschland hat, über die ökonomischen Folgen der Wiedervereinigung zusammengefasst sind:

IWH: 25 Jahre nach dem Mauerfall: Wirtschaftliche Integration Ostdeutschlands im Spiegel der Forschung am IWH, 2014

Bereits angesprochen wurde die Thematik der Lohnentwicklung in Ostdeutschland. Hierzu gibt es eine neue Veröffentlichung vom Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) von Universität Duisburg-Essen:

Gerhard Bosch, Thorsten Kalina und Claudia Weinkopf: 25 Jahre nach dem Mauerfall – Ostlöhne holen nur schleppend auf (= IAQ-Report 2014-15), Duisburg, 2014.

Die IAQ-Forscher haben interessante Befunde zusammengetragen (vgl. Bosch/Kalina/Weinkopf 2014: 1):

»Die Stundenlöhne in Ostdeutschland haben sich von knapp 54% im Jahr 1992 bis auf 77% im Jahr 2012 an das Westniveau angenähert. Ein Großteil der Annäherung erfolgte in den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung; seit 1995 hat sich der Angleichungsprozess deutlich verlangsamt. Ohne Änderungen in der Lohnpolitik werden die Ostlöhne erst im Jahre 2081 das Westniveau erreichen.

Der ostdeutsche öffentliche Dienst ist Vorreiter bei der Angleichung der Löhne; im ostdeutschen produzierenden Gewerbe stockt hingegen schon seit Mitte der 1990er Jahre der Angleichungsprozess.

In beiden Landesteilen hat die Ungleichheit der Lohnverteilung zugenommen. Am stärksten stiegen die oberen Löhne im Osten, am geringsten hingegen die unteren Löhne im Westen. Wir beobachten also nicht mehr alleine einen Aufholprozess des Ostens, sondern auch den Lohnverfall für Geringverdienende im Westen.

Die ostdeutschen Frauen erreichen 2012 bei den mittleren Verdiensten bereits 85,5% des westdeutschen Niveaus. Aufgrund des schnelleren Aufholprozesses bei den Frauenlöhnen ist der gender pay gap in Ostdeutschland erheblich geringer als in Westdeutschland.

Der gesetzliche Mindestlohn kann neuen Schwung in den Aufholprozess bringen, weil erheblich mehr ostdeutsche (29,3%) als westdeutsche Beschäftigte (16,9%) davon profitieren werden.«

Die vom IAQ präsentierten Befunde markieren einen wichtigen Punkt: Wir sind nach 25 Jahren weit weg von einer einheitlichen Asymmetrie zuungunsten des Ostens und zugunsten des Westens. Dies verdeutlicht das folgende Zitat: »Am stärksten stiegen die oberen Löhne im Osten, am geringsten hingegen die unteren Löhne im Westen.«

Vergleichbare Differenzierungen sehen wir auch in der Rentenversicherung, dem wichtigsten Teilbereich des Alterssicherungssystems. Hierzu beispielsweise der Beitrag Geschlechtsspezifische Rentenlücke in Ost und West von Anika Rasner:

»25 Jahre nach dem Mauerfall kommen Männer in Ost- und Westdeutschland in der wichtigsten Säule des deutschen Alterssicherungssystems auf ein vergleichbares Niveau. Im Durchschnitt übertreffen die Renten ostdeutscher Frauen die der Westdeutschen hingegen deutlich. Die geschlechtsspezifischen Unterschiede in den Rentenanwartschaften ostdeutscher Männer und Frauen werden im Kohortenvergleich geringer. Dieser Rückgang ist allerdings weniger das Ergebnis höherer Rentenanwartschaften ostdeutscher Frauen, sondern eher Folge deutlicher Einbußen bei den ostdeutschen Männern. Trotz allem werden die Rentenanwartschaften ostdeutscher Frauen auch in Zukunft deutlich höher als die westdeutscher Frauen liegen. In Westdeutschland bleibt die geschlechtsspezifische Rentenlücke im Kohortenvergleich hingegen konstant groß. Die westdeutschen Frauen der Babyboomer-Jahrgänge können den Abstand zu den Männern trotz zunehmender Erwerbsbeteiligung nur unwesentlich verkleinern« (Rasner 2014: 976).

Diese wenigen Daten mögen genügen, um dafür zu werben, den Blick auf fortbestehende, aber auch neu justierte Mauern gerade in der sozialpolitischen Landschaft zu schärfen, die Vergangenheit zur Kenntnis zu nehmen und zu berücksichtigen, sich aber nicht in ihr zu verlieren.