Ob der Bundesrechnungshof die Bundesagentur für Arbeit wirklich geißelt, sei dahingestellt. Aber in Ordnung ist das nicht: Lohnkostenzuschüsse für Leiharbeitsfirmen

Das ist mal eine Überschrift: Rechnungshof geißelt Bundesagentur für Arbeit. Da wird der eine oder andere sofort an gewisse körperliche Züchtigungspraktiken denken. Aber die sind hier wohl nicht gemeint, weil so was im zwischenbürokratischen Raum eher unüblich ist. Wahrscheinlich geht es dem Verfasser des Artikels um die Synonyme wie anprangern, bloßstellen, brandmarken oder desavouieren. Was ja auch schon heftig genug wäre. Werfen wir also einen Blick auf den Sachverhalt, von dem Thomas Öchsner in seinem Beitrag berichtet. Es geht um Lohnkostenzuschüsse der Arbeitsagenturen. Die sind ganz normal und zugleich auch an sich nicht problematisch, wenn sie denn eingesetzt werden, um bestimmten Arbeitslosen den Einstieg in eine neue Beschäftigung zu erleichtern.
Dahinter steht die plausible Annahme, dass ein Arbeitgeber eher davon zu überzeugen ist, einen Arbeitslosen einzustellen, wenn er für die erste Zeit der Beschäftigung einen Teil der anfallenden Lohnkosten als Zuschuss bekommt – immer ausgehend von der Annahme, dass der betreffende Arbeitslose aus welchen Gründen auch immer nicht in der Lage ist, von Anfang an die annähernd volle Leistung zu erbringen und entsprechend auch über einen längeren Zeitraum eingearbeitet werden muss. Wenn diese Voraussetzung erfüllt ist, dann spricht erst einmal nichts gegen das Instrumentarium des Lohnkostenzuschusses, es handelt sich um eine ökonomisch (und sozialpolitisch) durchaus begründbare Kompensation der sogenannten „Minderleistung“ des Arbeitslosen für eine begrenzte Zeit mit der Vorstellung, im Anschluss an die subventionierte Anfangszeit steht dann eine „normale“, also unbefristete Beschäftigung des Arbeitnehmers.
Aber im vorliegenden Fall geht es um eine ganz besondere Nutzung der Lohnkostenzuschüsse, die vom Bundesrechnungshof (BRH) kritisiert wird: »Auch Zeitarbeitsunternehmen, die bei ihnen angestellte Mitarbeiter als Leiharbeiter an andere Firmen verleihen, können die Zuschüsse bekommen. Der BRH hält davon allerdings gar nichts. Zeitarbeitsfirmen werden durch diese Eingliederungszuschüsse „ungerechtfertigt begünstigt“, heißt es in einem internen Prüfungsbericht des Bundesrechnungshofs.«

Die Rechnungsprüfer haben drei große Leiharbeitsunternehmen mit mehr als 7.000 Förderanträgen unter die Lupe genommen. Und die Förderung dieser Unternehmen gefällt den Rechnungsprüfern gar nicht:

»Das Unternehmen, das den Leiharbeiter einsetzt, müsse ihn einlernen und ihm womöglich fehlende Fachkenntnisse vermitteln. Es habe deshalb „den Aufwand für die Behebung der Minderleistung“. Trotzdem kassiere aber das Verleihunternehmen den Lohnkostenzuschuss, „ohne hierfür einen entsprechenden Aufwand zu haben“.«

Man habe den Eindruck gewonnen, dass Leiharbeitsfirmen den Zuschuss teilweise „in ihre Unternehmensstrategie eingebettet haben“. Was nichts anderes bedeutet: Mitnahmeeffekte auf Seiten der Leiharbeitsfirmen nach dem Motto, wenn man das abgreifen kann, dann macht man das auch. Die Prüfer weisen in dem der Süddeutschen Zeitung vorliegenden internen Prüfbericht darauf hin, dass Arbeitnehmer, bei denen eine Lohnkostenbezuschussung abgelehnt worden ist, trotzdem eingestellt worden sind.

»Es geht bei der kritisierten Praxis um viel Geld. 2014 hat die Arbeitsagentur nach eigenen Angaben für mehr als 127.000 Arbeitskräfte Lohnkostenzuschüsse ausgeschüttet. Gut zehn Prozent oder 13.500 waren Leiharbeiter, für die im Durchschnitt 34 Prozent des Bruttogehalts übernommen wurde.«

Natürlich soll man immer auch die andere Seite zu Wort kommen lassen. Was also sagt die BA zu den Vorwürfen der Rechnungsprüfer?

»Ein Sprecher der Bundesagentur wies die Kritik zurück. Die Förderung auch an Leiharbeitsfirmen zu zahlen, sei sinnvoll, weil so Arbeitslose Berufserfahrungen sammeln könnten.«

Das nun ist mit Blick auf die Leiharbeitsverhältnisse in der Realität eine euphemistische Sichtweise auf den Tatbestand. Diese würde nur dann fundiert sein, wenn die Arbeitslosen gleichsam unbefristet von den Leiharbeitsfirmen eingestellt werden und sich am Anfang selbst um die Qualifizierung des Personals kümmern würden, bevor diese an den Markt gehen.

Die Wirklichkeit sieht aber für die Mehrheit der Leiharbeiter ganz anders aus. Sie werden oftmals (in mehr als 50 Prozent der Fälle) innerhalb von drei Monaten wieder – wie heißt das so schön im Neudeutschsprech – „freigesetzt“ werden.

Die – vorsichtig formuliert – Fragwürdigkeit des Förderansatzes kann man sich in einem einfachen Denkschritt verdeutlichen: Die Leiharbeitsfirmen verdienen ihr Geld damit, dass sie Arbeitskräfte an Entleihunternehmen verleihen und dafür eine entsprechende Marge, also Gewinn, realisieren können, der auf der Tatsache basiert, dass man andere für sich arbeiten lässt. Der entleihende Unternehmer hat den offensichtlichen Vorteil, dass er über den Leiharbeiter verfügen und ihn auch direkt im Zentrum der Produktion bzw. Dienstleistungserstellung einsetzen, sich zugleich aber jederzeit ohne Probleme wieder von diesen Beschäftigten trennen kann, in dem er die Leiharbeiter „zurückgibt“.

Normalerweise müsste das Leiharbeitsunternehmen hingehen und – wenn notwendig – eine Überbrückung organisieren, bis sich eine Anschlussbeschäftigung ergibt. Aber viele Leiharbeitsfirmen machen genau das nicht, sondern sie setzen konsequent auf eine Synchronisation der Laufzeit der vorher akquiriertenVerträge mit dem Kundenunternehmen und der Beschäftigung der Leiharbeitnehmer. Anders formuliert: Wenn der Auftrag vorbei ist, dann werden auch wieder viele Leiharbeiter auf der Straße gesetzt. Das führt dann auch dazu, dass weit mehr als die Hälfte der Leiharbeitsverhältnisse weniger als drei Monate dauern.

Hinzu kommt: Während der Anteil der Leiharbeit an der Gesamtbeschäftigung bei unter drei Prozent liegt, ist es so, dass jede dritte bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldete offene Stelle auf die Leiharbeitsbranche entfällt (vgl. dazu den Artikel Bundesagentur für Arbeit: Jede dritte offene Stelle in der Leiharbeit). In manchen Gegenden ist es sogar jede zweite offene Stelle, die meldet wird, wie man der Abbildung entnehmen kann.

Die Deregulierung der Leiharbeit hatte ihren bisherigen Höhepunkt im Kontext der „Hartz-Reformen“. Am 1. Januar 2013 trat eine massive Deregulierung in Kraft: Wegfall des Synchronisationsverbots, des Wiedereinstellungsverbots sowie der Überlassungshöchstdauer. Damit haben sich die Freiheitsgrade der Leiharbeitsbranche erheblich erhöht – und die Unsicherheit der Beschäftigten spiegelbildlich auch.

Vor diesem Hintergrund machen Lohnkostenzuschüsse an Leiharbeitsfirmen keinen Sinn, sondern sie stellen entgegen ihrer eigentlichen Intention primär eine Subventionierung der Leiharbeitsunernehmen dar, nicht der betroffenen Arbeitnehmer.

Fazit: Diese Form der Subventionierung macht keinen erkennbaren Sinn und gehört abgeschafft. Sie hätte nur dann einen Sinn, wenn die Leiharbeitsfirmen ihre Beschäftigten dauerhaft anstellen wie andere Unternehmen auch. Die Leiharbeitsfirmen profitieren schon genug von der Zusammenarbeit mit den Arbeitsagenturen und Jobcentern, beispielsweise durch die kostenlose Inanspruchnahme der ganzen Infrastruktur und die Arbeitslosen sind nicht nur verpflichtet, auch Leiharbeitsjobs anzunehmen – oftmals finden sie vor Ort auch gar keine relevanten anderen Angebote.

Elfenbeinturm gegen altes Zunftdenken? Zur Debatte über Teilqualifizierungen für Flüchtlinge

Man könnte es für eine dieser typischen und oftmals entnervenden, weil nicht wirklich weiterführenden reflexhaften Debatten halten: Aus dem Elfenbeinturm der Wissenschaft kommt ein Vorschlag zum Umgang mit einem drängenden gesellschaftlichen Problem – und die etablierten Akteure gehen sofort in Abwehrstellung und fahren mit der „Geht auf gar keinen Fall“-Planierraupe über das zarte Gewächs. Unter gegenseitigen, zuweilen öffentlichkeitswirksam inszenierten Vorwürfen im Spektrum von irrlichternde Theoretiker und eigennutzoptimierende Besitzstandwahrer verschwindet dann das Thema des Streits von der Bildfläche. Aber zuweilen macht man dann die Erfahrung, dass Teile dessen, über das gestritten wurde, zu einem späteren Zeitpunkt dann doch Eingang finden in die Gesetzgebung, natürlich in bearbeiteter, also modifizierter Form. Und hin und wieder erkennt man an dem Streit auch Grundsatzprobleme unserer gesellschaftlichen Konfiguration, die auch scheitern kann an einer sich verändernden Wirklichkeit. Diese einführenden Hinweise sollen für ein Thema sensibilisieren, dessen Behandlung in der öffentlichen Arena immer buntere Blüten treibt, was nicht verwunderlich ist angesichts der ganz handfest-praktischen Probleme des „Handlings“, wie aber auch der vielen Erwartungen – und das dann noch garniert mit einer enormen Emotionalisierung innerhalb der Bevölkerung, was wiederum die Politiker nervös werden lässt.
Es ist unschwer zu erraten, dass es hier um Flüchtlinge geht, konkreter um einen Teil der Flüchtlinge betreffend, die (möglichst schnell) in den Arbeitsmarkt integriert werden sollen.

Was ist passiert? Aus dem ifo-Institut für Wirtschaftsforschung in München unter (Noch-)Leitung des  umtriebigen Hans-Werner Sinn ist hinsichtlich der von allen sicher gewollten Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen ein Vorschlag gekommen, wie man diese ermöglichen und beschleunigen könne. Schon für die erste Stufe, die gezündet wurde, hat man sich des politisch (und auch innerhalb der Wissenschaft) höchst kontrovers diskutierten Reizthemas „Mindestlohn“ angenommen. In einem Artikel mit der knackigen Überschrift Ohne Abstriche beim Mindestlohn finden viele Zuwanderer keine Arbeit doziert er: »Viele Migranten sind schlecht qualifiziert und haben Sprachprobleme. Damit sie trotzdem eine Arbeit finden, bedarf es einer stärkeren Lohnspreizung in Deutschland.«
Der neue Vorstoß kommt nun von Ludger Wößmann, den Leiter des ifo Zentrums für Bildungsökonomik. Der hat ausgeführt:

„Bei der beruflichen Qualifikation dürfen wir uns keinen Illusionen hingeben“, sagt Wößmann. Ein großer Teil der Flüchtlinge komme mit geringen Qualifikationen. „Deshalb brauchen wir jetzt pragmatische Lösungen, um möglichst vielen Flüchtlingen eine Chance auf eine schnelle Integration in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen.“

Da kann man mitgehen. Aber die Frage ist natürlich immer, was versteht man unter pragmatischen Lösungen, wie sieht das konkret aus. Wößmann versucht das zu leisten, folgt man dem Artikel Flüchtlinge brauchen schnellen Zugang zu Kitas, Schulen und Berufsausbildung auf der ifo-Website:

»Dazu gehöre die einjährige Aussetzung von Hemmnissen wie Wartefristen und Vorrang-Prüfungen und die Gleichsetzung von Flüchtlingen mit Langzeit-Arbeitslosen bei der Ausnahmeregelung vom Mindestlohn, damit Unternehmen bereit sind, Flüchtlinge einzustellen. Für junge erwachsene Flüchtlinge sollten ein- bis zweijährige teilqualifizierende Berufsausbildungen kurzfristig massiv ausgebaut werden. „Wir können nicht alle Flüchtlinge zu Mechatronikern ausbilden, aber für teilqualifizierte Landschaftsgärtner oder Helfer in der Alten- und Krankenpflege könnte es am deutschen Arbeitsmarkt viel Potenzial geben“, sagt Wößmann.«

Das ist eine Steilvorlage für die Gewerkschaften, wie man sich vorstellen kann. Der DGB hat auch prompt reagiert: Keine „Schmalspur-Ausbildung“ für Flüchtlinge. Offensichtlich ist man im Gewerkschaftslager ziemlich angefressen, was die harsche Formulierung der stellvertretenden DGB-Vorsitzende Elke Hannack erklären mag:

„Was beim Mindestlohn nicht gelungen ist, versuchen arbeitgebernahe Bildungsforscher nun bei der Ausbildung durchzusetzen: Wichtige soziale Standards sollen geschliffen werden, um Flüchtlinge als billige Arbeitskräfte auszubeuten. Flüchtlinge dürfen keine Auszubildenden zweiter Klasse werden. Die Folgen einer solchen Sonderregelung wären fatal: Unterhalb einer vollwertigen Ausbildung gäbe es dann noch einen parallelen Markt mit Häppchen-Ausbildungen, die die Menschen auf schlechte Arbeit in prekären Verhältnissen vorbereiten. Echte Perspektiven entstehen für Flüchtlinge so nicht. Zudem könnten ’normale‘ Ausbildungsplätze durch die Billig-Variante verdrängt werden.“

Aber die Gewerkschaften bleiben nicht allein in ihrer Ablehnung der Wößmann’schen Vorschläge. Sie bekommen Geleitschutz von der Arbeitgeber-Seite, kann man dem Artikel Teilqualifizierung für Flüchtlinge: Kritik vom ZDH und DGB entnehmen:

»Auch der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) hält eine Teilqualifizierung von Flüchtlingen nicht für sinnvoll. „Die berufliche Ausbildung mit dem Ziel des Gesellenabschlusses ist eine ganzheitliche Ausbildung, die über die Dauer von in der Regel drei Jahren Theorie und Praxis umfassend miteinander verzahnt“, erläutert Hans Peter Wollseifer, Präsident des ZDH. Am Ende ihrer Lehrzeit seien die jungen Menschen fit für das Berufsleben. „Teilausbildungen können dies nicht leisten“, betont der Handwerkspräsident. Auch der ZDH ist der Meinung: Jungen Flüchtlingen wäre mit Teilqualifizierungen vor allem im Hinblick auf eine spätere Berufstätigkeit nicht geholfen. Zwar könnten im Vorfeld erbrachte Leistungen berücksichtigt und die Lehrzeit damit gegebenenfalls verkürzt werden. Wollseifer: „Für junge Flüchtlinge dürfte das aber nur in Ausnahmen der Fall sein, da hier in der Regel erst einmal die für einen guten Ausbildungsabschluss erforderlichen Deutschkenntnisse erworben werden müssen.“«

Da sind wir bei einem zentralen Punkt angekommen. Der Flaschenhals für eine gelingende Integration in den Arbeitsmarkt wird die Sprache sein. Und hier muss man sich zwei elementaren Herausforderungen stellen: Zum einen ist das Angebot an Sprachkursen angesichts der Menge an Flüchtlingen und damit der eigentlichen Bedarfe völlig unterdimensioniert, aber auch die Fachkräfte dafür lassen sich nicht per Knopfdruck produzieren. Zum anderen muss man sehen, dass diese unverzichtbare Vorbereitung für die meisten sich daran anschließenden Qualifizierungsbemühungen nicht nur (erst einmal) Geld kostet, sondern vor allem auch Zeit, die eine schnelle Integrationsperspektive doch arg eintrüben muss. Deutsch ist eine schwere Sprache und für viele Flüchtlinge eine besonders schwere. Wir mögen uns alle einfach mal spiegelbildlich vorstellen, wir würden in arabische Länder gehen (müssen) und sollten dann deren Sprache erlernen.

Man kann es drehen und wenden wie man will: Natürlich ist es so, dass wir Zeit und erhebliche Investitionen aufbringen müssen, um einen Großteil der Flüchtlinge, die bleiben werden, vorzubereiten und schrittweise in Lohn und Brot zu bringen. Wir reden hier über mehrjährige Zeiträume. Natürlich wird es immer auch Branchen oder einzelne Tätigkeitsfelder geben, wo man Flüchtlinge, die keine oder nur marginale Deutsch-Kenntnisse haben, arbeiten lassen kann. Um nur ein Beispiel zu Illustration zu nennen: Man kann sich schon vorstellen, dass es eine solche Konstellation geben kann in einer Großküche eines Caterina-Unternehmens. Dort gibt es Arbeiten, für die man nicht wirklich Deutsch sprechen muss. Wenn man dort Flüchtlinge einstellen und beschäftigen würde, könnte und müsste man das sogar verbinden mit Sprachkursen, die parallel zur Arbeit zu absolvieren wären, ähnlich wie bei einer dualen Berufsausbildung die Praxisphasen im Betrieb und die Zeiten in der Berufsschule abwechselnd den Arbeits- und Lernalltag der Auszubildenden bestimmen.

Zugleich kann man sich aber auch vorstellen, was es bedeutet, wenn man hier aus scheinbar plausiblen Flexibilitätsüberlegungen die Anforderungen absenkt oder auf begleitende Qualifizierungsmaßnahmen sogar ganz verzichtet, denn die Betroffenen haben dann ja einen Job. Und wenn dann die Flüchtlinge, von denen sicherlich sehr viel hoch motiviert und bereit sind, jede Beschäftigung anzunehmen, auch noch „billiger zu haben“ wären, weil man bei ihnen den Mindestlohn ausgesetzt hat, dann wird klar, in welche Richtung aus einer nachvollziehbaren betriebswirtschaftlichen Logik heraus die Auswahlentscheidung der Unternehmen beispielsweise im Vergleich mit anderen Arbeitslosen ausfallen wird, was wiederum faktisch den Konkurrenzdruck in den unteren Etagen des Arbeitsmarktes nach oben treiben wird.

Wir sind erst am Anfang einer langen Wegstrecke und man sollte neben allen Versuchen, im Einzelfall schnell und unbürokratisch vorzugehen und den einen oder anderen in Arbeit zu bringen, den Blick auf das Ziel einer nachhaltigen Integration nicht aus den Augen verlieren. Welche unterschiedlichen Maßnahmen eigentlich ergriffen werden müss(t)en, verdeutlicht beispielsweise die Auflistung in diesem Positionspapier des DGB: DGB Bundesvorstand: Teilhabechancen eröffnen. Zugänge in Bildung, Ausbildung, Studium und Qualifizierung für junge Flüchtlinge schaffen, Berlin, 14.09.2015.

Und der Beitrag soll beendet werden mit einem Blick auf die als zentrale Gelingensbedingung für eine erfolgreiche Integration in Arbeit von allen Seiten herausgestellten Sprachkurse. Hier erreicht uns eine frohe Botschaft:
„Sprachförderung als Basis für Integration in Arbeit“ – wer kann da nicht zustimmen? So ist eine Pressemitteilung der Bundesagentur für Arbeit überschrieben. Und dann erfahren wir: Der Verwaltungsrat der Bundesagentur für Arbeit (BA) hat beschlossen, Sprachkurse für Flüchtlinge schnell und flächendeckend anzubieten. Gerade die sind dringend erforderlich, um überhaupt erst mal die Voraussetzungen zu schaffen für eine mögliche Integration in den Arbeitsmarkt. Viele Medien werden die frohe Botschaft unter die Leute bringen.

Da ist man fast geneigt, von einer kritischen Kommentierung abzusehen, nur um das Glück nicht zu stören. Aber dieser Impuls verblasst nach einem kurzen Moment. Eine kritische Anmerkung sollte wenigstens gemacht werden.

Um die einordnen zu können, zuvor ein Blick auf das, was da beabsichtigt ist:
Der Verwaltungsrate hat entschieden, dass die BA ihr Engagement bei der Sprachförderung »einmalig« ausweiten wird. Denn eigentlich ist das nicht ihre Aufgabe. Grundlage »dafür ist die geplante Rechtsänderung im SGB III im Rahmen des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes. Diese Änderung ermöglicht es der BA, zeitlich begrenzt Sprachkurse für Flüchtlinge zu fördern, wenn diese Kurse bis zum 31. Dezember 2015 beginnen.«

Annelie Buntenbach vom DGB-Bundesvorstand, derzeit Vorsitzende des Verwaltungsrats, wird mit diesen Worten zitiert:

„Wichtig dabei ist: Es handelt sich bei der Förderung um zusätzliche Mittel, die wir aus unserer Interventionsreserve im Haushalt freigeben. Damit entstehen auch keine Nachteile in der Förderung für andere Arbeitsuchende.“

Bei so einer Argumentation nach dem Muster der Vorwärtsverteidigung könnte der Berufsskeptiker aus dem Stand-by-Modus erwachen und die Frage stellen, was sind denn das für Mittel und woher kommen die?

»Es wird erwartet, dass bis zu 100.000 Menschen von dieser ersten Sprachförderung profitieren können. Ziel ist es, erste Kenntnisse der deutschen Sprache zu vermitteln. Die voraussichtlichen Kosten der Förderung werden zwischen 54 Millionen und 121 Millionen Euro liegen – je nach Ausgestaltung der Maßnahmen und nach der Teilnehmerzahl, die in diesem Jahr erreicht werden kann.«

Eine ordentliche Summe, aber angesichts des Bedarfs und was man damit machen kann, sicher eine sinnvolle Ausgabe. Denn die Sprachförderung der Flüchtlinge ist eine ganz zentrale gesamtgesellschaftliche Aufgabe, sie ist ja nicht nur für die Aufnahme irgendeines Jobs eine wichtige Voraussetzung, auch andere wichtige Aspekte einer von den meisten Menschen angestrebten (und zunehmend von vielen Politikern auch immer stärker eingeforderten) Integration der Flüchtlinge in unsere Gesellschaft setzen Sprachkenntnisse voraus.

Wenn das so ist, dann muss dieses Angebot – das unbedingt noch deutlich stärker ausgebaut werden muss, um das hier unmissverständlich zu formulieren – aus Steuermitteln finanziert werden.
Jeder, der weiß, was sich hinter dem Begriff „Verschiebebahnhof“ verbirgt, ahnt, was jetzt kommt. Die Millionen fließen nicht aus der Schatulle des Bundesfinanzministers, die sich aus Steuereinnahmen speist, sondern es handelt sich um Beitragsmittel der Arbeitslosenversicherung. Diese werden für eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe – sagen wir es ruhig in der alten ordnungspolitisch fundierten Terminologie – zweckentfremdet. Für etwas, das gefälligst über Steuermittel finanziert werden müsste, sollte, hätte …

Aber haben wir nicht eben lesen können, dass es sich um zusätzliche Mittel handelt, also keine Nachteile für Arbeitslose entstehen?

Die Auflösung liegt in dem Begriff „Interventionsreserve“. Hierbei handelt es sich um Beitragsmittel der Versicherten, die man zurückgelegt hat, um im Falle einer neuen Krise auf dem Arbeitsmarkt über Geldreserven zu verfügen. Denn einen Bundeszuschuss gibt es für die BA nicht mehr, der wurde abgeschafft.

Man nimmt also Geld aus dem Sparschwein der Arbeitslosenversicherung, nur um den Bundesfinanzminister seine Glücksgefühle über die hingerechnete „schwarze Null“ nicht zu versauen, die sein Lebenswerk krönen soll.

Auch wenn Ordnungspolitik verstaubt und muffig daherkommt – das ist keine korrekte Finanzierung, wieso sollen nur die Beitragszahler für Sprachkurse zahlen? Und mal in die Zukunft gedacht: Wenn man die Reserven der Arbeitslosenversicherung plündert, wird man den Beitragssatz bei einer schlechteren Arbeitsmarktlage schneller erhöhen müssen. Wetten, dass dann wieder bitterlich geklagt wird über die steigenden „Lohnnebenkosten“, deren Anstieg „natürlich“ dringend über „Reformen“ abgebremst werden muss, damit die Arbeitgeber nicht „überlastet“ werden?

Ruf mich (lieber nicht) an. Vom Recht auf Durchwahl in Zeiten der Jobcenter

Die Jobcenter – diese letzten Außenposten unseres Sozialstaates – sind schon eigenartige Gebilde. Auf der einen Seite sind sie die sichtbaren Zitadellen des Hartz IV-Systems und stehen immer wieder vor Ort und auch ganz grundsätzlich in der Kritik, nicht nur seitens der Betroffenen, sondern auch aus Wissenschaft und Politik. Auf der anderen Seite müssen sie eine Menge ausbaden, so eine hyperkomplexe Gesetzgebung mit einer Vielzahl an unbestimmten Rechtsbegriffen, die in der Realität dann mit mehr oder eben weniger Leben zu füllen sind. Oder eine kapitale Unterfinanzierung vor allem der einen Seite des „Fordern und Fördern“. Zugleich sind sie Objekt einer „BWL-besoffenen“ Ausrichtung von Verwaltung, symbolhaft am deutlichsten erkennbar an der Etikettierung der Menschen, die Leistungen aus dem Grundsicherung bedürfen, als „Kunden“. Bei diesem Begriff denkt der Normalbürger nicht selten an Zuschreibungen wie der „Kunde ist König“. Und das im Jobcenter, wird jetzt der eine oder andere denken. Genau. Allein schon diese eben durchaus naheliegende Assoziation verdeutlicht die leider nicht nur semantische Verirrung, die wir in diesem Bereich beklagen müssen.

Man muss sich klar machen, dass es bei vielen Kontakten zum Jobcenter nicht um ein Coaching-Seminar nach dem Motto, was würden sie denn gerne machen wollen, geht. Sondern um existenzielle Geldleistungen. Um das Dach über dem Kopf, das man möglicherweise zu verlieren droht. Um nur einige wenige Beispiele zu nennen. Es ist unmittelbar einleuchtend, dass diese Konfiguration zu einem Dilemma werden muss, wenn man beide Seite berücksichtigt. Also vereinfachend gesagt: Aus der Perspektive der betroffenen Menschen kann und ist es nicht selten existenziell, die eigenen Probleme besprechen zu können, was voraussetzt, dass man Zugang hat zu jemanden, mit dem man kommunizieren kann. Also den Sachbearbeiter oder den Fallmanager, der für einen „zuständig“ ist. Auf der anderen Seite des Schreibtisches ist es aber zugleich eben auch so, dass genau das angesichts der enormen Heterogenität der Fälle den Laden blockieren kann, dass man nicht mehr zu seiner anderen Arbeit kommen kann, dass es nicht möglich ist, in einer notwendigen Ruhe Fälle oder Menschen zu bearbeiten.

Genau um dieses Dilemma geht es letztendlich, wenn man eine solche Nachricht serviert bekommt: Vom Recht auf Durchwahl, so hat Thomas Öchsner seinen Artikel überschrieben. Und weiter erfahren wir: »Müssen Jobcenter interne Nummern nennen? Ein Rechtsanwalt hat bereits 70 Klagen eingereicht. Jetzt kann er seinen ersten Erfolg vorweisen.«

Bevor wir uns vertiefen in den aktuellen Fall, den Öchsner hier aufgreift, muss eingefügt werden, dass der eine oder andere „alte Hase“ stutzen und die Frage aufwerfen wird, war da nicht schon mal was genau in diese Richtung – und sogar vom gleichen Verfasser? Eine Kompetenz übrigens, die in unserer schnelllebigen Zeit immer mehr ausdünnt. Ja, da war was.

Am 22. Januar 2013 hat Thomas Öchsner einen Artikel veröffentlicht unter der Überschrift Auskunft unter dieser Nummer. Und damals konnten wir lesen: »Beim persönlichen Sachbearbeiter durchklingeln, um drängende Fragen zeitnah zu klären? Bislang war das Arbeitssuchenden nicht möglich – die Jobcenter hielten die Durchwahlen ihrer Mitarbeiter mit Verweis auf den Datenschutz unter Verschluss. Ein Gerichtsurteil könnte die Telefon-Praxis nun kundenfreundlicher machen.« Ausgangspunkt für seine Überlegungen war: Das Leipziger Verwaltungsgericht hatte entschieden, dass das Jobcenter Leipzig die Durchwahlnummern seiner Sachbearbeiter herausgeben muss. Die grundsätzliche Frage, um die es damals ging: Dürfen Ämter die persönlichen Dienstnummern ihrer Mitarbeiter geheim halten oder widerspricht dies dem Informationsfreiheitsgesetz?

»Im Fall des Jobcenters meinten die Leipziger Richter, die Durchwahlnummern der Bearbeiter würden nicht unter den persönlichen Datenschutz fallen. Auch habe der Informationsanspruch der Bürger Vorrang vor der inneren Organisation des Jobcenters.«

Erreicht hat diese Aussage ein Mann, dessen Name gleich wieder auftauchen wird: Der Leipziger Rechtsanwalt Dirk Feiertag.  Eine schnelle Hilfe für Arbeitslose werde „durch die Abfertigung der Betroffenen in einem Callcenter systematisch verhindert“, so wurde er damals zitiert. Auch Anfang des Jahres 2013 gab es natürlich eine Gegenposition, die der Bundesagentur für Arbeit (BA), die hier nicht unterschlagen werden soll:

»Die Behörde weist darauf hin, dass die insgesamt 76 Callcenter für Arbeitslose und Hartz-IV-Empfänger jährlich gut 30 Millionen Anrufe erhielten. Mehr als 80 Prozent der Anfragen ließen sich sofort klären. Jeder Jobsuchende könne über die Hotline einen persönlichen Gesprächstermin mit seinem Vermittler buchen, der nur so Zeit und Ruhe hätte, mit dem Arbeitslosen zu reden.«

Vor diesem erneut grundsätzlichen Hintergrund ist klar, dass das Jobcenter Leipzig diese Entscheidung nicht hat akzeptieren wollen und wir werden aus dem Artikel entlassen mit dem Hinweis, dass man deshalb Revision eingelegt habe.

Und im September 2015 taucht eben dieser Rechtsanwalt Dirk Feiertag erneut auf in einem Artikel – der wie der 2013 von Thomas Öchsner geschrieben wurde: Vom Recht auf Durchwahl. Er hält die Hotline- und Callcenter-Arechitektur der meisten Jobcenter, die sich diesem System unterworfen haben,  für „alles andere als bürgerfreundlich“. Wenn die telefonische Kommunikation besser wäre, ließen sich viele Konflikte in den Jobcentern schnell ausräumen, so Feiertag. Und offensichtlich ist er ein Mann der juristischen Tat, denn er hat »bundesweit mittlerweile etwa 70 Klagen gegen Jobcenter eingereicht, um die Herausgabe von Durchwahlen gerichtlich zu erzwingen. Stets beruft er sich dabei auf das Informationsfreiheitsgesetz. Jetzt kann er seinen ersten rechtskräftigen Erfolg vorweisen.« Und es geht nicht um den 2013 beschriebenen Fall aus Leipzig, sondern:

»Das Verwaltungsgericht Regensburg verpflichtete das Jobcenter im Landkreis Regen, die Diensttelefonnummern der Mitarbeiter herauszurücken und fand dabei klare Worte: So hielten die Richter die Behauptung des Jobcenters, es gebe eine solche Liste nicht, für „verwunderlich und nicht nachvollziehbar“. Weder sei durch eine Herausgabe die öffentliche Sicherheit gefährdet, noch sei ein erhöhter Arbeitsaufwand oder ein etwaiges Interesse schutzwürdig, „von direkten Kontaktaufnahmen von Kunden verschont zu bleiben“. Dieses Urteil hat die Behörde nun akzeptiert. Gegen die Nichtzulassung der Berufung geht das Jobcenter nicht mehr vor.«

Andere Verwaltungsgerichte gaben Feiertags Klägern ebenfalls recht. Aber offensichtlich geht es hier zu wie im Fußball: Ein Spiel gewonnen, dann verloren, denn:

»In der zweiten Instanz hatte der Rechtsanwalt jedoch bislang weitgehend das Nachsehen, so zum Beispiel beim Oberverwaltungsgericht (OVG) Nordrhein-Westfalen. Dessen 8. Senat wies darauf hin, dass die Weitergabe von Informationen nicht die Funktionsfähigkeit einer Massenverwaltung gefährden dürfe. Genau dies sei der Fall, wenn viele Leistungsempfänger anrufen würden, „zu denen mitunter auch Personen mit querulatorischer Neigung zählen“. Wegen der unterschiedlichen Rechtsprechung sei aber „eine Klärung durch das Bundesverwaltungsgericht geboten“.«

Gegen die Entscheidung des OVG NRW hat der Anwalt Feiertag bereits Revision eingelegt und damit wandert das nun weiter nach oben. »Vielleicht entscheidet das Bundesverwaltungsgericht schon 2016, ob es ein Recht auf Durchwahl gibt«, so schließt der Artikel.

Falsche Daten? Egal. Untiefen der Statistik über arbeitsmarktpolitische Maßnahmen und das Prinzip des Aussitzens

Bekanntlich sind Statistiken – bei aller Kritik im Einzelfall – eine absolut notwendige, unverzichtbare Basis für politische Entscheidungen. Das gilt gerade in der Arbeitsmarktpolitik. Wie viele Arbeitslose erhalten beispielsweise eine Fördermaßnahme? Und wie hat sich die Zahl wie auch die konkrete Art und Weise der Förderung in den vergangenen Monaten und Jahren entwickelt? Hierzu gibt es eine an sich sehr ausdifferenzierte Förderstatistik der Bundesagentur für Arbeit. So weit, so gut.
Wenn da nicht die Lebenswirklichkeit wäre, in der es nie ideal zu geht und auch nicht gehen kann. Natürlich werden Fehler gemacht, wo Daten produziert werden müssen. Auch das ist an sich nicht problematisch. Aber problematisch wird es dann, wenn man fehlerhafte Daten erkennt, sie aber nicht korrigiert. Und wenn es sich dann nicht um vernachlässigbar kleine Fehler handelt, dann ist das nicht nur begründungsdürftig, sondern nicht akzeptabel.

O-Ton Arbeitsmarkt hat sich dieses Themas angenommen – mit einigen wirklich erschreckenden Ergebnissen: Statistik über arbeitsmarktpolitische Maßnahmen: Falsche Daten? Egal!, so ist der Artikel vom 18. Juli 2015 überschrieben. Die regionalen Statistiken der Bundesagentur für Arbeit zu arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen enthalten immer wieder falsche Daten einzelner Jobcenter. Liefern diese nicht innerhalb von drei Monaten die richtigen Werte nach, bleiben sie unkorrigiert. Das verfälscht die gesamte Bundesstatistik, so die Kritik.

Ein besonders krasser Fall, der in dem Artikel beschrieben wird:

»Beispiel Groß-Gerau in Hessen: Bei der Förderung von Arbeitsverhältnissen, einer Maßnahme der öffentlich geförderten Beschäftigung, meldete das dortige Jobcenter im Mai und Juni 2013 einen Anstieg der Teilnehmerzahlen von 16 auf rund 1.000 Personen! In allen übrigen Monaten nahmen im Mittel 15 Personen teil. Die zuständige Regionaldirektion bestätigte, dass die beiden Werte fehlerhaft seien. Die Maßnahme hatte zu diesem Zeitpunkt bundesweit etwa 6.000 Teilnehmer. Ein Plus von 1.000 Teilnehmern, die es tatsächlich gar nicht gibt, fällt da deutlich ins Gewicht. Entsprechend stieg auch die bundesweite Teilnehmerzahl im Mai auffällig. Korrigiert wurden diese stark fehlerhaften Daten auch nach Hinweis der Hochschule Koblenz bis heute nicht.«

Also man muss jetzt nicht wirklich weiter nachdenken – aber eine Differenz von 1.000 zu in Wirklichkeit 16 Personen ist an sich schon nicht akzeptabel und hat enorme Auswirkungen bis hinauf in die Bundesstatistik denn so viele Förderung der Arbeitsverhältnisse-Fälle gibt es gar nicht, so dass eine solche Verzerrung erheblich zu Buche schlägt. »Der Statistikservice der Bundesagentur für Arbeit bestätigte … den Fehler – hält ihn aber für tolerierbar. Der Fall Groß-Gerau sei zwar problematisch, die Regel sei dies aber nicht. Grundsätzlich gebe es Über- und Untererfassungen, die sich auf Bundesebene wieder ausglichen.« Nun muss man keine Zahlenkunde studiert haben, um zu erkennen, dass dies eine sehr eigenwillige Interpretation darstellt. Wenn bundesweit 6.000 Förderfälle ausgewiesen werden und darunter aber 1.000-16 Förderfälle aus einem Jobcenter sind, die es gar nicht gibt, dann ist das kein Problem, sondern eine statistische Katastrophe!

Noch ein Beispiel?

»Beispiel Halberstadt in Sachsen-Anhalt: Bei mehreren Maßnahmen tauchen im Januar 2015 sehr hohe und von den Vormonaten stark abweichende Werte bei den Zugängen in arbeitsmarktpolitische Maßnahmen auf. Die Gesamtzahl der Neuzugänge in arbeitsmarktpolitische Maßnahmen im dortigen Jobcenter Harz stieg deshalb zwischen Dezember 2014 und Januar 2015 von 675 auf über 4.600. Auch hier bestätigte die zuständige Regionaldirektion, das Jobcenter habe das gesamte bisherige Jahr falsche Werte geliefert.«

Das ist alles nicht in Ordnung. Entsprechend meine kritische Einordnung des Sachverhalts in dem Artikel von O-Ton Arbeitsmarkt: »Man muss sich offenbar Monat für Monat fragen, ob die Bundesstatistik Teilnehmer an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen enthält, die es tatsächlich nie gegeben hat. Das ist keine Lappalie, denn auf Basis dieser Daten werden arbeitsmarktpolitische Entscheidungen getroffen. Wenn falsche Daten die Bundesstatistik teils massiv verzerren, kann das zu falschen Schlüssen auf politischer Ebene führen, die zahlreiche Langezeitarbeitslose betreffen.«

Ganz weg, ein wenig weg, so lassen, wie es ist oder noch härter auch für die Älteren. Sanktionen im Hartz IV-System vor dem Arbeits- und Sozialausschuss des Bundestages

Eines der am heftigsten umstrittenen Themen im Grundsicherungssystem sind die Sanktionen. Für die einen ein Ding der Unmöglichkeit, dass man das Existenzminimum weiter beschneidet bis hin zu einer „Totalsanktionierung“. Von Totalsanktionen waren im vergangenen Jahr 7.500 Hartz-IV-Bezieher betroffen, davon knapp 4.000 unter 25 Jahren. Die andere Seite sieht in den Sanktionen ein notwendiges Element, mit dem der notwendige Druck aufgebaut werden kann, sich regelkonform im Sinne des Grundsicherungssystems zu verhalten. Diese Lagerbildung mit einigen Grautönen dazwischen wurde erneut deutlich bei einer Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales des Deutschen Bundestages im Kontext der Forderungen nach einer generellen Abschaffung der Sanktionen durch die Fraktion Die Linke (18/3549, 18/1115) sowie seitens der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen nach einem Sanktionsmoratorium, außerdem sollen die Kürzungen künftig auf höchstens zehn Prozent des Regelsatzes begrenzet werden (18/1963).

Mehr als eine Million Sanktionen wurden im vergangenen Jahr gegen Hartz-IV-Bezieher verhängt – weil sie einen Termin im Jobcenter versäumten, eine arbeitsmarktpolitische Maßnahme verweigerten oder einen angebotenen Job ablehnten – wobei man darauf hinweisen muss, dass der größte Anteil der verhängten Sanktionen – also Leistungskürzungen – auf den Tatbestand eines Meldeversäumnisses zurückzuführen ist, nicht etwa auf die Ablehnung eines Stellenangebots. Und auch die Verweigerung einer Maßnahme kann ja durchaus – wie Praktiker wissen – nicht nur in einer allgemeinen Unlust des Leistungsbeziehers begründet sein, sondern durchaus auch in dem, was als „Maßnahme“ gemacht werden soll.

Wie dem auch sein: »Bei einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales … sprach sich eine Mehrheit der geladenen Experten für die Beibehaltung von Sanktionsmöglichkeiten im Bereich der Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II) aus. Vertreter aus dem Bereich der Wirtschaft nannten das System der Sanktionen ausgewogen. Auch Landkreistag und Städtetag sprachen sich – ebenso wie der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) gegen eine generelle Abschaffung oder ein Moratorium der Sanktionen aus«, berichtet der Pressedienst des Bundestages in seinem Bericht Streit um SGB II-Sanktionen. Es gab aber auch davon abweichende Stellungnahmen.

Eine klare Ablehnung der Sanktionsregelungen kam von der Diakonie Deutschland. In deren Stellungnahme zur Anhörung heißt es mehr als deutlich:

»Das Grundrecht auf ein soziokulturelles Existenzminimum darf nicht beschnitten werden. Sanktionen führen zunehmend in existenzgefährdende Armut und Wohnungslosigkeit. Zudem gibt es keinen wissenschaftlichen Beleg für positive Effekte von Sanktionen auf die Leistungsberechtigten. Daher setzt sich die Diakonie Deutschland für die Abschaffung von Sanktionen im SGB II, eine Verringerung von Sanktionsinstrumenten und bessere Hilfen für Langzeitarbeitslose ein. Jede Begrenzung der bisherigen Sanktionspraxis ist bereits ein wichtiger Fortschritt im Vergleich zu einer Situation, in der sämtliche existenzsichernden Leistungen gestrichen werden können und Menschen in existenzbedrohliche Not geraten. Die Diakonie Deutschland begrüßt den Beschluss des Sozialgerichts Gotha vom 26. Mai dieses Jahres, das Bundesverfassungsgericht zur Frage der grundsätzlichen Zulässigkeit von Sanktionen anzurufen.«

Soweit wie die evangelische Konkurrenz wollte die katholische Seite, vertreten durch die Caritas, dann nicht gehen. Die Caritas fokussiert neben partiellen Abmilderungen bestehender allgemeiner Sanktionsregelungen vor allem auf die besondere Situation der jungen Menschen unter 25, für die es im SGB II ein verschärftes Sanktionsregime gibt: Diese verschärften Sanktionen für Jugendliche seien nicht vertretbar. Sie könnten durchaus kontraproduktiv wirken, wenn etwa durch einen Verlust der Wohnung die Jugendlichen in kriminelle Bereiche abrutschen. In ihrer Stellungnahme schreibt die Caritas unter Nummer 1 der Forderungen: »Die Sonderregelungen für Jugendliche sind noch in dieser Legislaturperiode abzuschaffen. Zu scharfe Sanktionierung wirkt bei Jugendlichen kontraproduktiv. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass ein Teil der Jugendlichen bei scharfer Sanktionierung das Vertrauen zu den Jobcentern verliert. Der Kontakt zu ihnen geht verloren und sie „verabschieden“ sich aus der Förderung. Eine Basis für wirksame Zusammenarbeit mit jungen Menschen besteht nicht mehr.«

Diese Ausführungen haben offensichtlich Stefan von Borstel, der als einer der wenigen über die Anhörung berichtet hat, offensichtlich zu seiner fragend ausgestalteten Überschrift inspiriert: Führen Hartz-IV-Sanktionen zu Straftaten?  Seine Wahrnehmung aus der Anhörung: »Viele Experten plädierten aber für eine Entschärfung der Sanktionen – insbesondere für Arbeitslose unter 25 Jahren. Gerade bei Jugendlichen könnten harte Sanktionen dazu führen, dass sie sich vollständig zurückzögen und in die Kriminalität abtauchten, um sich das Lebensnotwendigste zu besorgen. Nach einer aktuellen Studie sind rund 20.000 junge Menschen komplett aus der Betreuung von Jobcenter oder Jugendamt herausgefallen. Über ihren Verbleib weiß man nichts.« Dazu auch der Blog-Beitrag Durch alle Netze gefallen, vergessen und jetzt ein wenig angeleuchtet: Der Blick auf die „entkoppelten Jugendlichen“ vom 11.06.2015.

Von mehreren Seiten wurde auch diese Forderung vertreten: Die Gelder für die Unterkunft sollten im Sanktionsfall nicht gekürzt werden, damit die Hartz-IV-Empfänger nicht auch noch ihre Wohnung verlieren und in die Obdachlosigkeit abrutschten, so Sozialverbände, Kommunen und Bundesagentur für Arbeit.

Irgendwo in der Mitte hat sich der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) verortet. »Für eine stärkere Gewichtung des Förderns im System des „Forderns und Förderns“ sprach sich der Vertreter des DGB aus. Die Eingliederungsvereinbarungen müssten individueller als bisher auf den Einzelnen zugeschnitten seien. Außerdem sollten Leistungskürzungen nach Ansicht des DGB auf maximal 30 Prozent beschränkt werden«, berichtet der Pressedienst des Bundestages.

Erwartbar anders die Position der Arbeitgeber, auch hinsichtlich der Forderung nach einer Abschwächung des rigiden Sanktionsregimes für die Unter-25-Jährigen. Dazu der Pressedienst des Deutschen Bundestages in seinem Bericht über die Anhörung:

»Aus Sicht der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA) sind die „großen Erfolge“ bei der Integration Langzeitarbeitsloser in den Arbeitsmarkt auch auf die Sanktionen zurückzuführen. Diese seien ein Kernelement des Prinzips von „Fördern und Fordern“, hieß es von der BDA ebenso wie vom Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH). Die Regelung, wonach Unter-25-Jährige härtere Sanktionen befürchten müssen als Über-25-Jährige, ist nach Meinung der Vereinigung der Bayrischen Wirtschaft angemessen. Auch die BDA vertrat die Ansicht, dass diese Sanktionen zu einer stärkeren Kooperation der Arbeitssuchenden mit den Jobcentern führen würden. Von einer Abschwächung solle daher abgesehen werden, sagte die BDA-Vertreterin.«

Aber wer jetzt denkt, die Arbeitgeber gerieren sich am radikalsten hinsichtlich der Sanktionsfrage, der hat nicht mit den kommunalen Spitzenverbänden gerechnet – ein echtes Trauerspiel, wenn man bedenkt, dass in deren Beritt auch die Jugendhilfe fällt und man einfach mal mit seinen eigenen Leuten vor Ort hätte sprechen müssen, wie denn so die harten Sanktionen „wirken“ bei den jungen Menschen:

»Sowohl der Deutsche Städtetag als auch der Deutsche Landkreistag kritisierten die unterschiedliche Behandlung von jungen und älteren Arbeitslosen. Schon im Interesse der Verwaltungsvereinfachung sollten künftig auch für die Älteren die strengeren Regelungen der Unter-25-Jährigen gelten, forderte die Vertreterin des Städtetages. BDA und ZDH schlossen sich der Forderung an.«

Also nicht die härteren Regelungen für die Jugendlichen runter fahren, sondern die für die Erwachsenen entsprechend nach oben anpassen. Das kann man beim besten Willen nur durch eine funktionärsbedingte erhebliche Eintrübung der Sicht auf die Realitäten vor Ort erklären.

Alle schriftlichen Stellungnahmen wurden in der Ausschussdrucksache 18(11)394 veröffentlicht.

Nichts Neues, alte Positionierungen werden hier aufgewärmt, vgl. dazu beispielsweise nur den Blog-Beitrag Das große Durcheinander auf der Hartz IV-Baustelle.  Sanktionen verschärfen oder ganz abschaffen, mit (noch) mehr Pauschalen das administrative Schreckgespenst Einzelfallgerechtigkeit verjagen oder den „harten Kern“ der Langzeitarbeitslosen aus dem SGB II in das SGB XII „outsourcen“? vom 19.06.2014, also vor genau einem Jahr.

So wird das nichts, wenn einem an der entscheidenden Grundsatzfrage gelegen ist: Sanktionen im Grundsicherungssystem ja oder nein? Diese Grundsatzfrage berührt ein zentrales Konstruktionsprinzip des auf dem SGB II basierenden Grundsicherungssystems: Es handelt sich um ein „nicht-bedingungsloses Grundeinkommen“, zumindest für nicht wenige unter den Hartz IV-Empfänger, für die der Leistungsbezug nicht nur eine überschaubare transitorische Lebensphase ist. Das ist unvermeidlich: Würde man, wie das die Linke fordert, generell alle Sanktionen abschaffen, dann wäre das ein erheblicher Schritt in Richtung auf ein „bedingungsloses Grundeinkommen“. Tragende Säulen der bestehenden Hartz IV-Architektur würden zusammenbrechen, deshalb auch der Widerstand der Arbeitgeber, aber auch – so die These hier – die vorsichtige Positionierung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) irgendwo zwischen Baum und Borke.

Einen weiterführenden Schritt wird es wohl erst geben, wenn sich das Bundesverfassungsgericht der Grundsatzfrage annimmt bzw. annehmen muss, gibt es nun doch den Vorlagenbeschluss S 15 AS 5157/14 des Sozialgerichts Gotha an das Bundesverfassungsgericht, in dem explizit die Verfassungswidrigkeit der Sanktionsregelung postuliert und eben zur Prüfung vorgelegt wird. Dazu auch ausführlicher der Blog-Beitrag: Hartz IV: Sind 40% von 100% trotzdem noch eigentlich 100% eines „menschenwürdigen Existenzminimums“? Ob die Sanktionen im SGB II gegen die Verfassung verstoßen, muss nun ganz oben entschieden werden.
Wir werden uns noch gedulden müssen in dieser Angelegenheit.

Nachtrag (03.07.2015):
Eine Teilnehmerin an der Anhörung des Ausschusses hat mich per Mail darauf hingewiesen, dass eine Aussage, die dem Artikel des Pressedienstes des Bundestags entnommen und hier zitiert wurde, nicht stimmen könne – hinsichtlich der verschärften Sanktionen für die Unter-25-Jährigen.
Offensichtlich ist den Verfassern des Beitrags in einer ersten Version – aus der ich zitiert habe – ein Fehler unterlaufen. Die Passage, die ich dieser ersten Variante entnommen und in meinem Beitrag (s.o.) zitiert habe, ging so:


»Sowohl der Deutsche Städtetag als auch der Deutsche Landkreistag kritisierten die unterschiedliche Behandlung von jungen und älteren Arbeitslosen. Schon im Interesse der Verwaltungsvereinfachung sollten künftig auch für die Älteren die strengeren Regelungen der Unter-25-Jährigen gelten, forderte die Vertreterin des Städtetages. BDA und ZDH schlossen sich der Forderung an.«


Wenn man die gleiche Quelle jetzt anschaut, dann findet man diese (inhaltlich richtige) Variante:


»Sowohl der Deutsche Städtetag als auch der Deutsche Landkreistag kritisierten die unterschiedliche Behandlung von jungen und älteren Arbeitslosen. Schon im Interesse der Verwaltungsvereinfachung sollten künftig auch für die Jüngeren die Regelungen der Über-25-Jährigen gelten, forderte die Vertreterin des Städtetages.«


Damit wäre klar gestellt, dass die kommunalen Spitzenverbände keineswegs eine Übertragung des schärferen Sanktionsregimes auf die älteren Hartz IV-Empfänger fordern, sondern umgekehrt eine „Abschwächung“ für die Jüngeren befürworten. Man hätte sich vom Pressedienst des Bundestages allerdings gewünscht, dass er auf die zwischenzeitlich offensichtlich vorgenommene Korrektur wenigstens in Form einer Fußnote offenlegt, so muss man den Eindruck bekommen, dass die jetzt vorhandene Formulierung von Anfang an so da drin stand. Dem war nicht so.