Mit der Lebenswirklichkeit ist das so eine Sache. Zur Forderung der Bundesagentur für Arbeit, die Kita-Öffnungszeiten an diese anzupassen.

Die Bundesagentur für Arbeit (BA) sorgt sich um den Arbeitsmarkt. Und hin und wieder meldet sie sich mit konkreten Vorschlägen zu Wort. Anlässlich der Veröffentlichung des Berichts Der Arbeitsmarkt in Deutschland – Fachkräfte in der Kinderbetreuung und -erziehung hat die BA in einer Pressemitteilung unter der Überschrift Kita-Betreuungszeiten an die Lebenswirklichkeit anpassen offensichtlich ihr Herz für Alleinerziehende entdeckt. Und was man zu lesen bekommt, hört sich erst einmal gut an: „Die oft starren Betreuungszeiten in Kitas passen nicht zur heutigen Lebens- und Arbeitswelt. Wir brauchen mehr Absicherung der Betreuung in Randzeiten und an Wochenenden. Nur so können wir Arbeitskräftepotenziale insbesondere unter den Alleinerziehenden aktivieren“, appelliert Heinrich Alt, Vorstandsmitglied der BA. Nun wird der eine oder die andere eine gewisse Distanz an den Tag legen angesichts des technokratisch daherkommenden Vokabulars des Herrn Alt – Alleinerziehende als „Arbeitskräftepotenzial“, das es zu „aktivieren“ gilt. Na ja. Aber wir wollen uns nicht in einer semantischen Kritik verlieren, sondern den konkret daherkommenden Vorschlag der obersten Arbeitslosenverwalter einmal genauer unter die Lupe nehmen unter Berücksichtigung der Tatsache, dass es eben nicht nur eine Lebenswirklichkeit gibt, sondern ganz unterschiedliche. Beispielsweise die in den Kindertageseinrichtungen und in der Kindertagespflege, die hier offensichtlich zum Objekt einer bestimmten Begierde geworden sind.

Ganz offensichtlich verfolgt die Bundesagentur für Arbeit eine gezielte Strategie und belässt es nicht nur bei einer allgemeinen Aufforderung nach irgendwie mehr Betreuung. Das wird deutlich, wenn man sich die weiteren Ausführungen vor Augen führt:

»Länder und Kommunen könnten sich intensiver mit der Qualifizierung und Vermittlung von Tagesmüttern und Tagesvätern auseinandersetzen. Durch eine enge Verzahnung der jeweiligen Betreuungsangebote werden so Betreuungslücken geschlossen und bedarfsgerechte Angebote insbesondere zu Randzeiten bereitgehalten.
Als potenzielle Fachkräfte in der Kindererziehung sollten insbesondere Menschen in den Blick genommen werden, die im Wege einer Umschulung in den Erzieherberuf wechseln wollen. Um sie gezielt zu unterstützen, sollten alle Bundesländer verkürzte, zweijährige Ausbildungsgänge anbieten. Vorhandene Berufserfahrung muss bei einer Umschulung Berücksichtigung finden. Mit der verkürzten Ausbildung kann eine vollumfängliche Förderung durch die Bundesagentur für Arbeit gesichert werden.
„Es gibt ein großes Reservoir an motivierten Arbeitsuchenden, für die eine Qualifizierung im Erzieherberuf in Frage kommt. Wir haben derzeit leider nicht überall genügend Ausbildungskapazitäten. Außerdem klemmt es noch bei der Zertifizierung staatlicher Schulen und der erforderlichen Ko-Finanzierung durch die Länder.«

Man kann das auch so übersetzen: Die Zielsetzung ist eine „Mobilisierung“ der Kindertagespflege für die so genannte „Randzeitenbetreuung“, ein immer wieder gerne geäußerter Gedanke in der instrumentalisierenden Debatte über die Kindertagespflege. Man muss sich das so vorstellen, dass die Kinder der Arbeitskräfte, die beispielsweise durch die Verlängerung der Ladenöffnungszeiten bis in die Abendstunden tätig sein müssen, in der Kita oder außerhalb der Kita von Kindertagespflegepersonen betreut werden sollen.  Die Rekrutierung zusätzlicher Kindertagespflegepersonen sollen von den Ländern und Gemeinden organisiert werden. Außerdem wird ganz offensichtlich der Bedarf an zusätzlichen Fachkräften im Bereich der Kindertageseinrichtungen gesehen, hier in Gestalt der Erzieher bzw. Erzieherinnen. Zusätzliche Kräfte für diesen Bereich sollen über den Weg der Umschulung gewonnen werden – hier gibt es allerdings ganz offensichtlich zwei zentrale Probleme und die Bundesagentur möchte die in einem Abwasch erledigen: Zum einen ist die Ausbildung zum Erzieher eine dreijährige fachschulische Ausbildung, während Umschulungen in der Regel maximal zwei Jahre gefördert werden dürfen.  Die BA fordert nun eine generelle Verkürzung der Umschulung zur Erzieherin auf zwei Jahre, die dann auch von ihr auf den förderungswürdig gestaltet werden können. Dafür sind natürlich entsprechende Ausbildungskapazitäten notwendig, die wiederum von den Ländern zu schaffen wären. Und von diesen natürlich auch finanziert werden müssten.

Was ist von diesen Vorschlägen zu halten? Das hört sich doch alles erst einmal ganz vernünftig an und offensichtlich gibt es einen erheblichen Bedarf an Arbeitskräften in diesem Bereich, nicht nur hinsichtlich einer Ausweitung von Betreuungszeiten, sondern bereits im bestehenden System, vor allem natürlich im Zusammenhang mit der Einführung eines Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz ab dem vollendeten ersten Lebensjahr seit dem 1. August 2013.

Genau hier stoßen wir auf eine andere Lebenswirklichkeit, deren Berücksichtigung zu einer skeptischen Einschätzung der Vorschläge überleitet. Nachdem die öffentliche Aufmerksamkeit für den gesamten Bereich der Kindertagesbetreuung nach dem Inkrafttreten des Rechtsanspruchs im vergangenen Jahr und der (scheinbar) ohne große Probleme erfolgten Realisierung des Rechtsanspruchs stark abgenommen hat, muss man in aller Deutlichkeit darauf hinweisen, dass die Verhältnisse im bestehenden System bereits teilweise skandalös sind. Vereinfacht gesagt, um nur einen, allerdings ganz zentralen Aspekt herauszugreifen: Betrachtet man beispielsweise die Personalschlüssel und die aus ihnen abgeleitete Fachkraft-Kind-Relation, dann muss man über alle Bundesländer – bei einer erheblichen Streuung zwischen diesen – zu dem Ergebnis kommen, dass die derzeitige Personalausstattung mindestens um ein Drittel zu schlecht ist gegenüber dem, was in der fachwissenschaftlichen Diskussion für erforderlich gehalten wird. Dies ist besonders deshalb dramatisch, weil der neue Rechtsanspruch und auch die tatsächliche Inanspruchnahme sich auf Kinder bezieht, die unter drei Jahre alt sind und damit in einem Alter, in dem sie extrem vulnerabel sind gegenüber der Betreuungssituation, in der sie sich befinden (müssen).

Gleichzeitig sind wir mit dem Problem konfrontiert, dass es im Bereich der Kindertageseinrichtungen keine sachlogisch fundierten, sondern lediglich historisch zu verstehende Personal-Standards gibt, die dazu führen, dass angesichts immer jüngere Kinder, die zugleich auch immer länger in den Einrichtungen verbleiben, das Personal einer systematischen Überforderung ausgesetzt wird. Gerade die Befürworter eines Ausbaus der Kindertagesbetreuung weisen seit Jahren immer wieder und in letzter Zeit zunehmend aggressiver darauf hin, dass wir uns in vielen Einrichtungen aufgrund der faktischen Rahmenbedingungen im Bereich der Kindeswohlgefährdung bewegen. Nicht zu vergessen ist die Tatsache, dass spätestens seit der Rezeption der Pisa-Befunde in Deutschland eine bildungspolitische Aufladung der Kitas stattgefunden hat, die sich in zahlreichen Bildungsplänen niedergeschlagen hat und die – eigentlich – in der täglichen Arbeit umgesetzt werden müssen.

Parallel dazu ist die Erwartungshaltung, was Bildungsangebote angeht, bei einem Teil der Eltern erheblich angestiegen. In dieser Gemengelage ist es offensichtlich, dass das oberste Ziel in dieser Zeit in einer Verbesserung der bestehenden Strukturen bestehen muss. Anders gesagt: Sollte zusätzliches Personal qualifiziert werden können, dann benötigt man dieses derzeit und auf absehbare Zeit, um im Kontext der bestehenden Angebote die Qualität so weit zu entwickeln und sicherzustellen, dass wir aus dem unmittelbaren Gefahrenfeld der Kindeswohlgefährdung herauskommen können. Sollte man aber in dieser Situation möglicherweise zur Verfügung stehendes zusätzliches Personal dafür verwenden wollen, die Öffnungszeiten der Einrichtung noch weiter als bislang schon auszuweiten, dann wird das nicht nur die eigentlich erforderliche Qualitätsentwicklung abbremsen, sondern es würde die Situation noch zusätzlich verschärfen. Man kann sich dies an folgendem Zusammenhang deutlich machen: Die meisten Kindertageseinrichtungen sind betriebswirtschaftlich gesehen „Klitschen“, das bedeutet, dass in diesen Kleinbetrieben weniger als zehn Beschäftigte tätig sind.

Viele der Erzieherinnen arbeiten heute in Teilzeit, ihr Anteil hat in den vergangenen Jahren kontinuierlich zugenommen. Schon die in den letzten Jahren stattgefunden Verlängerung der Öffnungszeiten hat zu einer betriebswirtschaftlich problematischen Entkopplung von Öffnungszeiten der Einrichtungen und der Betreuungszeiten auf Seiten des Personals geführt, mit der nicht zu vermeidenden Konsequenz von Personalwechseln im Laufe eines Tages. Dies mag für fünf- oder sechsjährige Kinder  kein Problem sein, ganz anders stellt sich die Situation allerdings bei den sehr jungen Kindern dar, also den ein-oder zweijährigen Kindern, die sich zunehmend in den Einrichtungen befinden. Die Stellen ganz andere Anforderungen, nicht nur hinsichtlich der pflegerischen Arbeiten, sondern auch hinsichtlich dessen, was in der Fachdiskussion beispielsweise unter der Begrifflichkeit der „Bezugserzieherin“ diskutiert wird.

Aber auch die – bereits in der Vergangenheit immer wieder gerne vorgeschlagene – Instrumentalisierung der Kindertagespflegepersonen für die so genannte „Randzeitenbetreuung“ geht an der Lebenswirklichkeit in diesem Bereich weitgehend vorbei.Unabhängig von der Tatsache, dass viele Kindertagespflege Personen derzeit um das Überleben kämpfen, weil einerseits Nachfrage nach ihren Leistungen weggebrochen ist aufgrund des Ausbaus an Kita-Plätzen für unter dreijährige Kinder und andererseits die Vergütung seitens der öffentlichen Hand immer noch sehr niedrig angesiedelt ist, würde eine Umsetzung des Randzeiten-Betreuungskonzepts erhebliche Mittel erfordern, denn bereits die gegenwärtig ganz überwiegend als viel zu niedrig kritisierte Vergütung der Kindertagespflege Personen geht aus von dem Modell einer achtstündigen Betreuung über den Tag, und dass im Regelfall mit bis zu fünf Kindern. Wenn nun die Tagespflegeperson die Randzeitenbetreuung einzelner Kinder in den Abendstunden, in denen die Mütter arbeiten gehen müssen, übernehmen sollen, dann müsste man logischerweise für diese Stunden ganz erhebliche Beträge aufbringen, damit die betroffene Tagespflegeperson überhaupt in die Nähe einer Perspektive, von diesem Geld leben zu können, kommen können.

Dies nun wieder verweist auf das grundlegende Finanzierungsdilemma, mit dem wir im System der Kindertagesbetreuung konfrontiert sind. Auch hier wieder vereinfachend gesagt: Der Hauptkostenträger in diesem Feld sind die Kommunen und dann mit Abstand die Bundesländer. Der Bund ist erst seit einigen Jahren an den investiven Ausbaukosten im Vorfeld der Einführung eines Rechtsanspruchs mit eigenen Mitteln beteiligt und seit 2014 mit einem – allerdings völlig zu niedrigen – Betrag für die anteilige Finanzierung der Betriebskosten, allerdings auf dem leider sehr intransparenten Weg einer Veränderung der Steuerverteilung zwischen Bund und Ländern, so dass gar nicht sichergestellt sein kann, dass die – wie bereits erwähnt: völlig unterdimensionierten – Geldmittel des Bundes auch wirklich in diesem Bereich ankommen und nicht vorher für andere Zwecke abgezweigt worden sind.

Silke Hock zitiert mich in ihrem Artikel Arbeitsagentur fordert flexiblere Öffnungszeiten für Kitas mit folgenden Worten:

»Als … „nicht finanzierbar“ wertet Sozialwissenschaftler Stefan Sell den Vorstoß der BA. „Schon jetzt gibt es Qualitätsprobleme. Außerdem steuern wir auf einen Fachkräftemangel zu.“ Nach Angaben Sells, Professor für Volkswirtschaft, Sozialpolitik und Sozialwissenschaften am Rhein-Ahr-Campus Remagen, bedeuten erweiterte Öffnungszeiten einen erheblichen Personalbedarf.
Zudem hätten Erhebungen ergeben, dass die Betreuung bis 20 Uhr zwar gefordert, aber in der Praxis nur von drei bis vier Eltern nachgefragt werde. Selbst für diese Mini-Gruppen müsse jede Kita zwei Fachkräfte abstellen. „Wer soll das bezahlen? Ich fürchte, dass wir nur noch auf die Quantität statt auf die Qualität schauen“, sagt Sell.«

Auch wenn man sich viel mehr und ganz anderes vorstellen kann und möchte, in der jetzigen Situation ist es von entscheidender Bedeutung, das schon extrem angespannte System nicht weiter zu überladen mit neuen Aufgaben und ressourcenfressenden Aktivitäten. Oder anders gesagt: Bitte jetzt nicht den dritten vor dem zweiten Schritt machen.

„Entschärfter“ sanktionieren beim Existenzminimum? Das Bundesarbeitsministerium streut ein „Diskussionspapier“ über mögliche Veränderungen bei den Hartz IV-Sanktionen

Es kommt Bewegung in die Debatte über ein hoch kontroverses Thema: Sanktionen im Grundsicherungssystem. Für die einen sind sie von zentraler Bedeutung für das „Fordern“ im Hartz IV-System, um Druck auszuüben und auch um zu „bestrafen“, wenn man sich nicht regelkonform verhält. Für die anderen gibt es nur den Weg einer Abschaffung der Sanktionen und sie argumentieren, es kann nicht sein, Menschen das Existenzminimum zu entziehen. Irgendwo dazwischen sind diejenigen, die zwar keine grundsätzliche Abschaffung von Sanktionen unterstützen, aber mit guten empirischen Argumenten darauf hinweisen, dass die Sanktionspraxis durch eine erhebliche Streuung zwischen den Jobcentern (und sogar innerhalb von Jobcentern) charakterisiert ist, die nicht durch entsprechende Unterschiede zwischen den Personengruppen erklärt werden kann und insofern deutliche Hinweise auf eine willkürliche Ausgestaltung vorliegen. Hinzu kommt: Zahlreiche Sanktionen werden von den Sozialgerichten wieder einkassiert und waren demnach offensichtlich rechtlich nicht fundiert (dazu Hohe Erfolgsquoten bei Klagen und Widersprüchen gegen Sanktionen). Um welche Dimension es hier geht, verdeutlicht ein Blick auf die Zahlen: »Gut eine Million Mal haben die Jobcenter im vergangenen Jahr Leistungen gekürzt, in mehr als zwei Dritteln aller Fälle, weil Arbeitslose Termine unentschuldigt platzen ließen. Im Durchschnitt wurden 2013 fast 9000 Personen pro Monat die Zahlung ganz gestrichen«, so Thomas Öchsner in seinem Artikel Nahles will Hartz-IV-Sanktionen entschärfen. Auch der von vielen Medien immer wieder aufgegriffene Zuwachs an Sanktionen in den vergangenen Jahren basiert fast ausschließlich auf so genannten Meldeversäumnissen (dazu Mehr Sanktionen gegen „Hartz IV“-Bezieher wegen Arbeitsverweigerung?). Auch hier wurde schon grundsätzlich über den Streit über den (Un-)Sinn der Sanktionen berichtet (Das große Durcheinander auf der Hartz IV-Baustelle).

Öchsner berichtet in seinem Artikel, dass die strengeren Sonderregeln für unter 25-Jährige besonders umstritten sind. Denn den Jüngeren dürfen die Vermittler schon nach dem ersten gravierenden Verstoß gegen die Auflagen das Arbeitslosengeld II komplett für drei Monate kappen. Nach der zweiten Pflichtverletzung kann es auch vorübergehend kein Geld mehr für Miete und Heizung geben – mit der Folge, dass durch solche Maßnahmen Wohnungs- und Obdachlosigkeit vorprogrammiert sind. Union und SPD haben deshalb in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt, zumindest die Sanktionsregeln für unter 25-Jährige „auf ihre Wirkung und möglichen Anpassungsbedarf hin“ zu überprüfen.

Zu dieser Frage gibt es neben vielen normativen Stellungnahmen auf neuere Forschungsbefunde, von denen hier beispielhaft zwei zitiert werden sollen:

  • Zum einen die Expertise Sanktionen im SGB II. Verfassungsrechtliche Legitimität, ökonomische Wirkungsforschung und Handlungsoptionen von Oliver Ehrentraut et al. (2014). »Sie geben einen Überblick über den Umfang und die Entwicklung der Sanktionen im Bereich der Grundsicherung, über unterschied- liche Positionen und Standpunkte, über die zentralen Argumente in der juristischen Debatte sowie über die Wirkungen von Sanktionen und die Schwierigkeiten bei der Interpretation der Ergebnisse. So weisen beispielsweise eine Reihe von Untersuchungen nach, dass Sanktionen im SGB II Auswirkungen auf die Beschäftigungsaufnahme haben. Allerdings wäre es verkürzt, dies schon als Beleg für den „Erfolg“ von Sanktionen zu werten. Die vertiefte Analyse lässt nicht nur einen lückenhaften Forschungsstand zu bestimmten Fragen erkennen, sondern nicht selten zudem eine ausschließlich auf quantitative Wirkungen verengte Forschungsperspektive. Sogenannte „nicht-intendierte“ Effekte wie z.B. gesundheitliche Folgen, Verschuldung oder Rückzug vom Arbeitsmarkt werden eher selten in die Untersuchungen einbezogen. Diese verengte Perspektive schränkt nicht nur die Interpretationsmöglichkeiten, sondern auch die Ableitung von Konsequenzen für die Gesetzgebung und die Verwaltungspraxis erheblich ein. Über Alternativen zu Sanktionen – so der Eindruck aus den vorliegenden Befunden – wird kaum nachgedacht«, so Ruth Brandherd im Vorwort zu der Expertise (Ehrentraut et al. 2014: 5).
  • Anlässlich einer Anhörung des Ausschusses für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landtags von Nordrhein-Westfalen vom 23. Mai 2014 hat sich auch das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit zu dem Thema geäußert: Joachim Wolff: Sanktionen im SGB II und ihre Wirkungen, Nürnberg 2014. Erkennbar ist eine „Sowohl-als-auch“-Positionierung des BA-eigenen Instituts: »Die Befunde einiger quantitativer Studien weisen darauf hin, dass Bezieherinnen und Bezieher von Arbeitslosengeld (ALG) II aufgrund einer Leistungsminderung verstärkt in Beschäftigung übergehen. Eine Befragung von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in Nordrhein-Westfalen liefert ferner Anhaltspunkte dafür, dass ein Teil der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten den im Sozialgesetzbuch II festgelegten gesetzlichen Pflichten ohne die Sanktionsmöglichkeit nicht nachkommen würde. Verschiedene Befragungsstudien verdeutlichen allerdings, dass sehr hohe Leistungsminderungen in Höhe von 60 Prozent des Regelsatzes, Wegfall des Regelsatzes bis hin zur „Totalsanktion“ besondere Einschränkungen der Lebensbedingungen der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten mit sich bringen können. Darunter fallen unter anderem verschärfte seelische Probleme, eingeschränkte Ernährung, Sperren der Energieversorgung und in Einzelfällen Obdachlosigkeit. Die Erkenntnisse sprechen nicht für ein generelles Aussetzen der Sanktionen im ALG-II-Bezug. Bei einer Reform der Sanktionsregeln sollte es vielmehr darum gehen, sehr starke Einschränkungen der Lebensbedingungen durch Sanktionen zu vermeiden und gleichzeitig eine Anreizwirkung der Sanktionen im Blick zu behalten« (Wolff 2014: 4). 

Und was tut sich nun aktuell auf der Ebene der Regierungspolitik? »Das von Andrea Nahles (SPD) geführte Bundesarbeitsministerium will … in Zukunft unnötige Härten vermeiden, das Strafsystem vereinfachen und die Sanktionen teilweise lockern. Dies geht aus dem Konzept des Ministeriums „zur Weiterentwicklung des Sanktionenrechts“ in der staatlichen Grundsicherung hervor«, so Öchsner in seinem Artikel. Und konkretisierend erfahren wir:

»Bislang wird den Hartz-IV-Empfängern der Regelsatz von derzeit 391 Euro für einen Alleinstehenden nach einem bestimmten Prozentsatz gekürzt, beim ersten Meldeversäumnis zum Beispiel um zehn Prozent. Dies hält das Ministerium für „verwaltungsaufwendig“ und „fehleranfällig“. Künftig sollen die Mitarbeiter in den Jobcentern den Hartz-IV-Satz pauschal um zum Beispiel 50 oder 100 Euro mindern können. Die strengeren Sonderregeln für unter 25-Jährige sollen ganz entfallen. Es wird also nicht mehr nach Lebensalter entschieden, was einige Verfassungsrechtler schon lange als Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz kritisieren. Rechte und Pflichte sollen künftig „für alle Leistungsberechtigten in gleicher Weise“ gelten, heißt es in dem Regierungspapier …«.

Also das bedeutet vor allem eine „Entschärfung“ des Verwaltungsaufwandes für die Jobcenter, die offensichtlich davon entlastet werden sollen, einen bestimmten Prozentsatz von einem konkreten Leistungsbetrag ausrechnen zu müssen. „Entschärfter“ sanktionieren mit einer Pauschale, so muss man das wohl zusammenfassen. Der Wegfall der Sonderregelungen für Jugendliche und junge Erwachsene wäre allein rechtssystematisch längst überfällig.
Aber es geht weiter – mit einer wichtigen „guten“ Botschaft für die Betroffenen und einer erneuten Verwaltungsentlastungsinaussichtstellung für die Jobcenter aus dem Hause Nahles:

»Das Arbeitsministerium will künftig auch vermeiden, dass Hartz-IV-Empfänger auf Grund von Sanktionen auf der Straße landen können. Die staatliche Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung werde „nicht mehr von den Sanktionen erfasst“, schreiben Nahles‘ Beamte. „Damit wird auch die Gefahr von Wohnungsverlusten auf Grund von Sanktionen vermieden.“ Weiterer Vorteil: Die Mitarbeiter in den Jobcentern müssen weniger rechnen, weil in einem Hartz-IV-Haushalt mit mehr als einer Person die nach einer Kürzung übrig gebliebenen Ausgaben für die Miete und Heizung nicht mehr auf die übrigen Bewohner aufzuteilen sind. Am Prinzip der Lebensmittelgutscheine, die es nach Sanktionen auf Antrag im Wert von maximal 196 Euro pro Monat gibt, will das Ministerium aber offensichtlich festhalten: Auch künftig seien „zur Sicherung des Existenzminimums Sachleistungen zu erbringen, deren Höhe angemessen sein muss“, heißt es in dem Papier.«

Es muss an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass es sich um ein „Diskussionspapier“ handelt, erst im Herbst dieses Jahres soll ein Referentenentwurf vorgelegt werden. Wie sich die Union dazu positioniert, ist noch nicht bekannt.

Aus der Opposition kommt bedenkenswerte Kritik, aber zugleich auch ein Hinweis, warum die Bundesregierung offenbar bereit ist, die schärferen Sonderregelungen für junge Menschen abzuschaffen – wieder einmal wohl weniger aufgrund von Einsicht, als denn aus Angst vor den Männern und Frauen aus Karlsruhe:

„Der Grundbedarf muss immer gesichert sein. Das ist auch in dem Konzept des Bundesarbeitsministeriums nicht der Fall“, sagt Wolfgang Strengmann-Kuhn, sozialpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag. Das Bundesarbeitsministerium wolle nur einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zu den Sondersanktionen für unter 25-Jährige zuvorkommen, die verfassungsrechtlich fragwürdig seien. Der Grünen-Politiker fordert, die Sanktionen grundsätzlich zu überprüfen und sie vorerst durch ein Moratorium außer Kraft zu setzen.

Von Jobcentern, nach denen nichts mehr kommt, zukünftigen Modellprogrammen, die bisherige Modellprogramme substituieren und dem ewigen Dilemma von Person und System oder Angebot und Nachfrage. Und von ganz unterschiedlichen Menschen

»Es gibt einen Anreiz, all jene zu vernachlässigen, bei denen eine Vermittlung eher unwahrscheinlich oder ausgeschlossen ist. Genau diese Leute werden aber in Zukunft das größte Problem sein.«
Einer von mehreren wichtigen Sätzen in einem Interview mit dem Jobcenter-Leiter von Gelsenkirchen, Reiner Lipka, das unter der bezeichnenden Überschrift „Wir versündigen uns“ veröffentlicht worden ist.

Der Hinweis auf die seiner Meinung nach falschen bzw. problematischen Anreize beziehen sich nicht auf irgendwelche Dritte, sondern auf die Institution, in der er selbst arbeitet: »… weil wir zu sehr auf die Arbeitslosenzahlen fixiert sind, tun wir im Moment zu oft das Falsche … Die Jobcenter in Deutschland konzentrieren sich darauf, so viele Menschen wie möglich in Arbeit zu bringen. Danach werden wir alle bewertet, es gibt Rankings: Je weniger Arbeitslose, desto besser.«

Aber er bleibt nicht im Abstrakten stecken, sondern verdeutlicht am Beispiel seiner Stadt Gelsenkirchen, dass es hier um Menschen geht, mit ihren eigenen Geschichten, zugleich eingebettet in eine Umgebung, die für viele der Betroffenen gar nicht erst den Hauch einer Chance eröffnen kann:

»Wenn Sie von hier durch die Fußgängerzone zum Bahnhof gehen, können Sie die Transferempfänger abzählen: Jede vierte Familie in Gelsenkirchen bekommt Hartz IV, viele davon seit Jahren. Wir haben in Gelsenkirchen durch den Wegfall der Zechen und Montanarbeitsplätze 60.000 Arbeitsplätze verloren. Danach hat die Stadt versucht, neue Branchen anzuziehen: Glasindustrie, Bekleidungsindustrie, Solartechnik. Das hat alles nicht funktioniert. Deshalb haben wir heute 75.000 sozialversicherungspflichtige Jobs und 32.000 Hartz-IV-Empfänger.«

Was das für den einzelnen Menschen bedeuten kann, illustriert Lipka an diesem Beispiel:

»Das ist … die 50-jährige alleinstehende Frau, die früher in der Bekleidungsindustrie gearbeitet hat und heute keine Stelle findet. McDonald’s nimmt sie nicht, weil sie dem Unternehmen nicht gut genug ist. Das Callcenter will sie nicht, weil ihre Sprachkompetenz nicht ausreicht. In die Gastronomie können wir nicht vermitteln, weil das Aussehen nicht dem entspricht, was der Arbeitgeber sich wünscht. Es ist doch zynisch, dieser Frau zu sagen: „Jetzt streng dich doch mal was an.“«

Oder wie wäre es mit den Männern, die jahrelang an der Blechpresse gearbeitet haben, die es heute nicht mehr gibt?

Das Gelsenkirchener Jobcenter muss sich eben nicht um „die“ Hartz IV-Empfänger kümmern, den „den“ Hartz IV-Empfänger gibt es nicht. Sondern vor Ort sieht es aus seiner Perspektive so aus:

»Von den 32.000 Hartz-IV-Empfängern können wir 8.000 gar nicht vermitteln, weil sie etwa krank sind oder als 18-Jährige noch zur Schule gehen. Bleiben 24.000. Die besten 6.000 davon können wir noch in Arbeit bringen, wenngleich oft nur für kurze Zeit. Im Durchschnitt sind die Leute fünf Monate beschäftigt, bis sie zu uns zurückkommen.«

Das stellt sich natürlich die Frage: Was tun? Wie kann, wie muss man sich als Jobcenter aufstellen?
Auch dazu hat er eine klare Meinung:

»Die Arbeitsvermittler sind doch heute längst nicht mehr nur Arbeitsvermittler. Sie sind Lehrer, Seelsorger, alles in einem. Die Bundesagentur stellt sich zwar noch immer auf den Standpunkt, dass wir Arbeitsvermittler nicht die Reparaturkolonnen der Republik sein können. Die Frage lautet aber: Wer soll es sonst sein? Nach uns kommt doch keiner. 40 Prozent aller Kinder, die in Gelsenkirchen geboren werden, wachsen in einer Hartz-IV-Familie auf. Ich würde gerne wissen: Was soll aus denen werden?«

Und das leitet über zu dem, was er an Handlungsnotwendigkeiten und Handlungsmöglichkeiten für die Arbeitsvermittlung im Jobcenter sieht.

Er plädiert zum einen deutlich für mehr öffentlich geförderte Beschäftigung: »Wir brauchen wieder mehr öffentliche Beschäftigung. Wenn die Unternehmen die Jobs nicht schaffen, muss es eben der Staat tun. Wir haben so viele Arbeitslose, die gerne etwas tun würden – sie wären so dankbar. Und wir sollten darüber nachdenken, ob reichere Kommunen nicht den ärmeren helfen können.«
Dies zu fordern ist wichtig und setzt einen Punkt – genau so wie die Stellungnahme des nordrhein-westfälischen Arbeitsministers Guntram Schneider (SPD):

»In NRW fehlen Möglichkeiten, Arbeitsplätze für Langzeitarbeitslose zu schaffen. Derzeit seien in NRW rund 300.000 Langzeitarbeitslose gemeldet, sagte Arbeitsminister Guntram Schneider (SPD) … Das sei etwa ein Drittel der bundesweit Betroffenen. „Wir haben eben andere Verhältnisse als in München oder auf der Schwäbischen Alb“, sagte Schneider dazu. Der Bund müsse mehr Mittel bereitstellen – vor allem für Nordrhein-Westfalen. Nötig seien Zehntausende Plätze im sogenannten sozialen Arbeitsmarkt.« (Quelle: Langzeitarbeitslosigkeit: Schneider fordert Hilfe vom Bund)

Die Problemlage in NRW schreit förmlich nach Initiativen in diesem Bereich: »NRW hat deutschlandweit die meisten Langzeitarbeitslosen: 40 Prozent der 777.000 Arbeitslosen waren Ende Juli bereits länger als ein Jahr ohne Arbeit. Die Bundesagentur für Arbeit sieht das Hauptproblem in der fehlenden Ausbildung. 60 Prozent der Langzeitarbeitslosen in NRW haben keine berufliche Ausbildung – bei Arbeitslosen unter 25 Jahren haben sogar 75 Prozent keine Berufsaubildung. „51 Prozent der Arbeitslosen suchen eine Helferstelle, wir haben aber insgesamt nur 15 Prozent Angebote für Ungelernte“, warnte  Werner Marquis von der NRW-Regionaldirektion der Bundesanstalt«, so Wilfried Giebels in seinem Artikel Fast jeder zweite Arbeitslose in NRW findet keinen neuen Job.

Hintergrund der Forderung nach mehr öffentlicher Beschäftigung ist die Berichterstattung über erhebliche Kürzungen im Bereich der öffentlich geförderten Beschäftigung (über die übrigens schon seit langem fundiert auf der Website O-Ton Arbeitsmarkt informiert wird), so beispielsweise in dem FAZ-Artikel Regierung fördert Langzeitarbeitslose weniger, der sich auf die Antwort des Bundesarbeitsministeriums auf eine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Brigitte Pothmer von den Grünen stützt:

»Während vor vier Jahren noch gut 350.000 Langzeitarbeitslose etwa mit geförderten Arbeitsgelegenheiten oder sogenannter Bürgerarbeit auf eine neue Beschäftigung vorbereitet wurden, waren es zur Jahresmitte 2014 nur noch 136.000 … Die seinerzeit von der schwarz-gelben Regierung beschlossenen Einschnitte haben sich nach dem Regierungswechsel fortgesetzt: Allein seit Mitte 2013 ging die Zahl der geförderten Stellen um 26.500 oder gut 16 Prozent zurück.«

An dieser Stelle kann und muss man dann aber auch die Frage stellen, warum denn die nordrhein-westfälische SPD, die ja in der deutschen Sozialdemokratie nicht ganz unbedeutend ist, nicht viel stärker bei den Koalitionsverhandlungen auf Schritte hin zu einer anderen und für mehr öffentlich geförderte Beschäftigung gedrängt hat. Die SPD hat aber bei den Koalitionsverhandlungen im vergangenen Jahr dieses Thema nicht mal ansatzweise verfolgt, offensichtlich waren Mindestlohn und „Rente mit 63“ wesentlich wichtiger und kräftezehrender, obgleich sie noch bis zur Bundestagswahl in der Opposition heftig für einen „sozialen Arbeitsmarkt“ geworden hat. Die Kritik an dem bisherigen Nichtstun der sozialdemokratischen Bundesarbeitsministerin Nahles im Bereich der Förderung von Langzeitarbeitslosen ist wohl mittlerweile in Berlin angekommen und das Ministerium versucht nun, beruhigend zu wirken, was man bekanntlich am besten dadurch macht, dass man energische Aktivitäten – ankündigt, die am besten auch noch von Dritten bezahlt werden (müssen). Dann kommen solche Artikel auf den Markt: Andrea Nahles plant neues Programm für Langzeitarbeitslose. Zum Jahresende. Natürlich lohnt es sich, nicht nur die Überschriften, sondern weiter im Text zu lesen: »Das Bundesarbeitsministerium will dem zum Jahresende auslaufenden Förderprogramm „Bürgerarbeit“ für Langzeitarbeitslose ein neues nachfolgen lassen. Das neue Programm im Rahmen des Europäischen Sozialfonds (ESF) solle im Herbst vorgestellt werden, sagte eine Sprecherin des Ressorts am Freitag in Berlin.« Also im Klartext: Ein altes Programm fällt weg, ein neues ist auf dem Weg.

Unbestreitbar hat sich der Problemdruck dergestalt weiter erhöht, dass wir eine nicht wegzudiskutierende Verfestigung und Verhärtung der Langzeitarbeitslosigkeit beobachten müssen, eine dauerhaft exkludierte Gruppe von Arbeitslosen, für die dann auch noch parallel die Förderangebote eingedampft worden sind. Hinzu kommt, dass das Förderrecht für Maßnahmen im SGB II in den vergangenen Jahren weiter restriktiv ausgestaltet wurde seitens des Gesetzgebers, mit der Folge, dass vieles Sinnvolles gar nicht gemacht werden darf und das, was man noch machen darf, dadurch, dass es ganz weit weg sein muss vom „normalen“ Arbeitsmarkt, nicht unbedingt integrationsfördernd wirkt, was man aber bei Bedarf, z.B. wenn man sparen will, den Maßnahmen wieder in die Schuhe schieben kann.

Ein aktuelles Beispiel für dieses perfide Vorgehen liefert bezeichnenderweise jemand, der ganz genau weiß, wie das läuft – Heinrich Alt, Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit (BA) und für das SGB II zuständig: »Die geförderten Arbeitsgelegenheiten, im Volksmund „Ein-Euro-Jobs“ genannt, führten, statistisch gesehen, in weniger als zehn Prozent der Fälle zu einem erfolgreichen Einstieg in eine sozialversicherungspflichtige Arbeit. „Sie führen eher zu einer Parallelarbeitswelt“, sagte Alt«, wenn man dem Artikel Regierung fördert Langzeitarbeitslose weniger von Dietrich Creutzburg folgt. Nein, Herr Alt, so geht das nicht. Das ist eine bewusste Schützenhilfe für die Regierung wider besseren Wissens, denn: Die beklagte Parallelarbeitswelt wird doch von den förderrechtlichen Vorgaben des Gesetzgebers und der Umsetzung in den Jobcentern verursacht, man denke hier nur an die Auswirkungen von „Wettbewerbsneutralität“ und „Zusätzlichkeit“, eine Kritik, die von 99,1% der Experten, die sich in diesem Bereich wirklich auskennen und arbeiten, bestätigt werden wird. Und das weiß auch der Herr Alt. Und zweitens: Gerade die Arbeitsgelegenheiten („Ein-Euro-Jobs“) sollen/müssen auf Zielgruppen unter den Langzeitarbeitslosen angewendet werden, bei denen es oftmals aufgrund ihrer „Vermittlungshemmnisse“, wie das im Amtsdeutsch heißt, gar nicht um eine kurz- oder vielleicht mittelfristige Integration in eine „richtige“ Erwebsarbeit auf dem ersten Arbeitsmarkt geht und gehen kann, sondern um Vorstufen, die mal hoffentlich dort enden, also um eine Stabilisierung der Erwerbsfähigkeit. Dann müsste man aber den „Erfolg“ dieser Maßnahmen ganz anders messen und darf das nicht reduzieren auf eine Zielgröße, die gar nicht mit der Maßnahme verbunden war. So was nennt man Rosstäuscherei.

Von interessierter Seite werden solche zusammengebogenen „Argumente“ gerne benutzt, um eine ziemlich uninformierte Sicht auf die Dinge unter die Leute zu bringen. So kann man bei Dietrich Creutzburg lesen, der extra einen Kommentar unter dem bezeichnend-zynischen Titel „Produktiver Stellenabbau“ verfasst und veröffentlicht hat: »… was die alte Regierung aus Union und FDP im Zuge eines Sparpakets begonnen hatte, setzt die neue Regierung mindestens bis dato fort. So viel Konsequenz verdient Respekt. In der aktuellen Arbeitsmarktlage gibt es … auch keinen Grund, Arbeitslose massenhaft in Beschäftigungstherapien fest- und damit aus der Arbeitslosenstatistik herauszuhalten.«

Aber abschließend wieder zurück zu Reiner Lipka vom Jobcenter in Gelsenkirchen. Er hat Ideen und probiert diese auch aus, wie man anders umgehen kann mit den Langzeitarbeitslosen – zugleich ist das ein lehrreiches Beispiel für ein letztendlich nicht lösbares Grunddilemma von Arbeitsmarktpolitik, wenn sie denn fokussiert wird (bzw. werden muss) auf die „Angebotsseite“ des Arbeitsmarktes, also auf die Arbeitnehmern und die Arbeitslosen und gleichzeitig kaum oder keine Instrumente auf der Nachfrageseite hat, also bei den Arbeitsplätzen.

Lipka bezieht sich explizit auf den aus dem angelsächsischen Raum kommenden „Work-first“-Ansatz, keineswegs eine irgendwie neue Erfindung (vgl. dazu beispielsweise bereits den Beitrag Der „Work first“-Ansatz für erwerbsfähige Leistungsberechtigte im SGB II, der 2011 in der Zeitschrift G.I.B-Info veröffentlicht worden ist oder auch die Darstellung bei Frank Nitzsche: „Es ist Ihr Job, einen Job zu finden“. Positive Bilanz nach 18 Monaten Modellprojekt „Ansätze zur Aktivierung und berufliche Eingliederung als eigenständige Dienstleistung der Jobcenter“ in NRW, in: G.I.B. Info, Heft 2/2013, S. 28 ff.). Lipka präsentiert uns das wieder mit handfesten Beispielen aus der Praxis. Wenn man mit den Menschen redet und ihnen zuhört, dann kommt oft raus, dass die Probleme ganz andere sind: Gewichtsprobleme, Schuldenprobleme:

»Ich halte es zum Beispiel für unfair, eine stark übergewichtige Kundin oder Kunden immer wieder zu einer Bewerbung im Einzelhandel zu schicken. Das ist für sie ein Spießrutenlauf. Es ist besser, zuerst bei ihren persönlichen Problemen zu helfen. Wir bieten deshalb mittlerweile Kurse in Ernährungsberatung, Farb- und Stilberatung oder Kosmetik an. Wir haben sogar schon Walking-Stöcke besorgt … Eine Frau hat neulich 45 Kilo abgenommen, jetzt hat sie eine Stelle als Erzieherin gefunden.«

Es spricht ein weiteres Problem an: Dass ein Hartz-IV-Empfänger oft wenig mobil ist.

»Wir geben finanzielle Anreize  an Arbeitslose, für Arbeitsaufnahmen außerhalb der Stadtgrenzen. Und wir versuchen es mit neuen Ideen: Wir besorgen manchen Arbeitslosen zum Beispiel seit Kurzem einen Mietwagen, drei Monate lang. Die sind dann stolz wie Oskar, wenn wir ihnen den Schlüssel in die Hand drücken. Die kommen nach Hause und sagen: Schau mal, mein eigener Dienstwagen. Den habe ich vom Jobcenter … Wir haben das 200 Mal gemacht bisher, nur einmal ist einer für eine Spritztour nach Süddeutschland durchgebrannt. Das Entscheidende ist doch, dass wir die Menschen ermutigen, ihre Probleme anzugehen.«

Man könnte die Liste der Beispiele aus diesem Handlungszusammenhang noch lange erweitern. Allerdings ist es natürlich so, dass diese modern daherkommende Ansätze auch an die Systemgrenzen des gegebenen Arbeitsmarktes stoßen. Anders formuliert: Wenn – aus welchen Gründen auch immer – schlichtweg zu wenig Arbeitsplätze zur Verfügung stehen, dann kann man noch so viel an den Menschen rumfummeln und sie wieder motivieren und sie vielleicht sogar begeistern, es ist wie mit einer Brücke, die man über einen Fluss baut – das andere Ufer muss auch erreichbar sein. Deshalb ist immer auch die Nachfrageseite des Arbeitsmarktes hoch relevant – und sei es – worauf Lipka ja auch hinweist – in Form einer vernünftigen öffentlich geförderten Beschäftigung.

Offizielle Arbeitslose statistisch auf der Flucht, viele tatsächliche Arbeitslose im Niemandsland der Nicht-Zählung und viel wichtiger: Die Baustelle Hartz IV zwischen vielen kleinen geplanten Änderungen und dem Ruf nach einer grundsätzlichen Reform

„Die Arbeitslosigkeit ist allein aus jahreszeitlichen Gründen angestiegen. Der Arbeitsmarkt steht insgesamt stabil da.“ Mit diesen Worten wird der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit (BA), Frank-J. Weise, anlässlich der Präsentation der neuen Arbeitsmarktzahlen für den Juli 2014 in der Pressemitteilung Der Arbeitsmarkt im Juli 2014: Arbeitslosigkeit steigt allein aus jahreszeitlichen Gründen zitiert. Dann wird die Zahl genannt, die im Anschluss durch die Medien geistert: 2.871.000 Arbeitslose gibt es. Aber eigentlich sind es mehr. Denn einige Zeilen später weist die BA selbst darauf hin, dass es 3.756.000 Personen sind, was ja ein paar mehr sind als die erstgenannte Zahl. Die BA nennt das dann „Unterbeschäftigung“ und da sind eben auch die enthalten, die sich „in entlastenden arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen und in kurzfristiger Arbeitsunfähigkeit“ befinden, aber natürlich weiterhin arbeitslos sind. Aber damit noch nicht genug. Während die meisten Medien immer noch nicht einmal bis zu dieser, die Wirklichkeit schon etwas besser abbildenden Zahl der Arbeitslosen vordringen, sondern bei den niedrigeren 2,8 Millionen hängen bleiben, kann man der Verlautbarung der BA eine noch größere Zahl entnehmen, die dann vollends zu verwirren scheint und gleichzeitig zu dem hier besonders interessierenden Thema Hartz IV überleitet.

»Die Zahl der Bezieher von Arbeitslosengeld II in der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) lag im Juli bei 4.395.000 … In der Grundsicherung für Arbeitsuchende waren 1.963.000 Menschen arbeitslos gemeldet … Ein Großteil der Arbeitslosengeld II-Bezieher ist nicht arbeitslos.« Wir werden auch darüber informiert, wie es zu dieser Lücke kommen kann: »Das liegt daran, dass diese Personen erwerbstätig sind, kleine Kinder betreuen, Angehörige pflegen oder sich noch in der Ausbildung befinden.« Wir haben also neben den 909.000 Arbeitslosen, die sich (noch) in der Arbeitslosenversicherung befinden, nicht nur fast 4,4 Mio. erwerbsfähige Menschen, die Arbeitslosengeld II bekommen, obgleich nur eine Minderheit von ihnen als offizielle Arbeitslose geführt werden, sondern mit Blick auf das Grundsicherungssystem kommen noch mehr als 1,7 Mio. nicht erwerbsfähige Leistungsempfänger hinzu, die Sozialgeld bekommen, vor allem Kinder. Zusammen macht das 6,1 Millionen Menschen im Hartz IV-System. Die Abbildung der BA verdeutlicht etwas die Verhältnisse. Und dieses System soll nun – wieder einmal – vom Gesetzgeber an mehreren Stellen verändert werden, während gleichzeitig der Sozialverband Deutschland (SoVD) eine umfassende Hartz-Reform fordert.

Weniger Bürokratie, strengere Auflagen – so hat Rainer Woratschka seinen Artikel betitelt und will damit bereits in der Schlagzeile auf die Ambivalenz hinweisen, die sich mit den derzeit diskutierten und im Herbst in das Gesetzgebungsverfahren einzubringenden Änderungen einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe der Arbeits- und Sozialministerkonferenz unter Beteiligung von Kommunen und Bundesagentur für Arbeit verbindet. Die Liste der geplanten Rechtsvereinfachungen, die das Bundesarbeitsministerium während des Sommers in Gesetzesform gießen soll, umfasst 36 Punkte. Für die derzeit mehr als 6,1 Mio. Hartz IV-Empfänger verbergen sich hinter diesen Punkten mehr Großzügigkeit, aber auch schärfere Vorgaben. Das generelle Ziel der Veränderungen sei angeblich, mehr Zeit für die Betreuung der Arbeitsuchenden in den Jobcentern freizuschaufeln, wogegen man ja nun erst einmal nichts haben kann. Beginnen wir mit einigen positiven Veränderungen des bestehenden Rechts:

»Die Pfändbarkeit von Hartz-IV-Bezügen soll künftig generell ausgeschlossen und nicht mehr Einzelprüfungen unterzogen werden, bei denen man ohnehin fast immer zu dem gleichen Ergebnis kam. Und auch die Sanktionen bei sogenannten „Pflichtverletzungen“ sollen entschärft werden. So ist künftig nur noch ein einheitlicher Minderungsbetrag pro Fall und unabhängig von etwaigen Wiederholungen vorgesehen. Und gesonderte Sanktionsregeln für unter 25-Jährige soll es auch nicht mehr geben. Damit kommen die Regierenden einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zuvor, das die bisherigen Sonderregeln womöglich kassiert hätte.«

Aber es gibt auch eine andere Seite der neuen Änderungsvorschläge:

»Tatsächlich mündet mancher Vorschlag zur Beseitigung unsinniger Detailhuberei für Betroffene auch in eine Verschärfung. So soll die Regelung, Hartz- IV-Bezieher beim Umzug in eine teurere Wohnung selbst dann auf den Differenzkosten sitzen zu lassen, wenn die neue Unterkunft von Größe und Preis her als „angemessen“ eingestuft wird, nun auch auf diejenigen ausgeweitet werden, die in eine „unangemessene“ Wohnung ziehen. Auch sie sollen nicht mehr die „angemessenen“, sondern nur noch die Kosten ihrer früheren, billigeren Wohnung erstattet bekommen … Auch Nachzahlungen aufgrund von Grundsatzurteilen, mit denen die bisherige Verwaltungspraxis korrigiert wird, soll es künftig seltener geben. Die Politik will vermeiden, dass die Jobcenter „massenhaft Leistungen rückwirkend neu berechnen müssen“.«

Die Kritik an diesem Sammelsurium lässt nicht lange auf sich warten: Von einem „Apparatschik-Klein-Klein“ und der puren Glättung von Verwaltungsabläufen spricht beispielsweise Ulrich Schneider vom Paritätischen Wohlfahrtsverband und der sozialpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion der Grünen, Wolfgang Strengmann-Kuhn wird mit den Worten zitiert, der Ertrag der Arbeitsgruppe sei „mehr als dürftig“.

„Klein-klein“ und „mehr als dürftig“ hinsichtlich der vorgeschlagenen Änderungen im SGB II muss man auch vor dem Hintergrund der folgenden Überschriften lesen: Hartz-IV-Bilanz »niederschmetternd«Bankrotterklärung oder Verband zieht verheerende Hartz-IV-Bilanz. Das hört sich nicht gut an. Hintergrund dieser Artikel ist ein neues Positionspapier des Sozialverbands Deutschland (SoVD):

Sozialverband Deutschland (SoVD): Neuordnung der Arbeitsmarktpolitik. Inklusion statt Hartz IV, Berlin, Juli 2014

Verfasserinnen des Papiers sind Ursula Engelen­-Kefer und Gabriele Hesseken. Es sind vor allem drei Punkte, um die herum der Sozialverband seine Forderungen sortiert:

  1. Arbeitslose Menschen dürfen nicht länger als Menschen mit Defiziten betrachtet und ausgesondert werden. Die Stärkung ihrer Kompetenzen und Fähigkeiten muss im Vordergrund der künftigen Arbeits­marktpolitik stehen. Dies erfordert ein ausreichendes Angebot an qualifizierter Arbeit mit fairer Ent­lohnung und menschenwürdigen Arbeitsbedingungen.
  2. Langzeitarbeitslose Menschen, die über einen längeren Zeitraum erwerbstätig waren und Beiträge zur Arbeitslosenversicherung gezahlt haben, müssen finanziell besser gestellt werden. Für sie muss es eine zusätzliche Geldleistung zu „Hartz IV“ geben, um ihr Armutsrisiko abzufedern.
  3. Die Vermittlung und Betreuung von Langzeitarbeitslosen ist erheblich zu verbessern. Die Betreuungs­-, Vermittlungs­- und Eingliederungsleistungen sind für sämtliche Arbeitslosen allein bei der Bundesagentur für Arbeit anzusiedeln.

An dieser Stelle kann keine Gesamtauseinandersetzung mit der Gesamtheit der SoVD-Vorschläge geleistet werden, aber an zwei aus den Vorschlägen herausgegriffenen Beispielen soll durchaus kritisch aufgezeigt werden, dass es sich weniger um eine fundamentale Hartz-Reform handelt, die hier gefordert wird, sondern eher um ein „add on“-Modell, bei dem also auf das weiter bestehende System etwas raufgepackt werden soll und zugleich werden alte Schlachten hinsichtlich der Frage, wer denn nun die Hartz IV-Empfänger „betreuen“ soll – die Bundesagentur für Arbeit oder die Kommunen oder beide zusammen – erneut zugunsten des „Arbeitsamtsmodells“ auf die Tagesordnung gesetzt, was sicher auch damit zu tun hat, dass eine der Verfasserinnen Ursula Engeln-Kefer ist, die früher jahrelang als stellvertretende DGB-Bundesvorsitzende innerhalb der Bundesanstalt für Arbeit im Verwaltungsrat gewirkt hat. Diese einseitige Positionierung für die BA erscheint irgendwie etwas gestrig.

Vorweg allerdings sei besonders hervorgehoben, dass ein Paradigmen- und Perspektivenwechsel mit Blick auf die betroffenen Menschen im Grundsicherungssystem eingefordert wird und es werden konkrete Veränderungsvorschläge gemacht, die weit über das hinausgehen, was wir seitens der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Kenntnis nehmen müssen. Damit wird hier die besondere Problematik adressiert, dass eine leider immer größere Gruppe von langzeitarbeitslosen Menschen offensichtlich auf Dauer exkludiert werden vom Arbeitsmarkt und man gleichzeitig die Förderbedingungen und die dafür zur Verfügung stehenden Mittel immer weiter begrenzt hat, wodurch sich in den Jahren seit 2010 zunehmend ein Teufelskreis der „Verfestigung“ und der „Verhärtung“ von Langzeitarbeitslosigkeit herausgebildet hat.

Nun aber zu den beiden – exemplarischen – Anfragen an die Reformvorschläge:

Auf der Seite 20 des Positionspapiers findet man diesen Hinweis: „Öffentlich geförderte Beschäftigung weiterentwickeln“. Und ein erster Blick scheint zu belegen, dass hier eine der ansonsten nur wenigen die öffentlich geförderte Beschäftigung befürwortende Positionierungen erfolgt: »Besonders schwer haben es Langzeitarbeitslose, die trotz erheblicher Vermittlungsbemühungen der Arbeitsverwaltung derzeit kaum noch Aussicht darauf haben, in den ersten Arbeits­markt integriert zu werden. Der SoVD setzt sich für die Schaffung öffentlich geförderter und sozial­ versicherungspflichtiger Beschäftigung mit tarif­- bzw. ortsüblichen Löhnen für diesen Personenkreis ein. Diese müssen die Ein­-Euro­-Jobs ersetzen. Es muss ein Anspruch auf eine sozialversicherungs­pflichtige öffentlich geförderte Beschäftigung geschaffen werden, um die Beschäftigungsfähigkeit der benachteiligten Personengruppen zu verbessern, ihre Qualifikationen zu erweitern und damit ihre Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Die Annahme einer öffentlich geför­derten Beschäftigung mit Sozialversicherungspflicht muss freiwillig sein.« So weit, so gut. Dann aber fällt das Papier in den alten Geist der auf dem Kopf stehenden öffentlich geförderten Beschäftigung zurück, denn es wird gefordert: »Um der latenten Gefahr der Verdrängung von regulärer Arbeit durch öffentlich geförderte Beschäftigung entgegenzuwir­ken, sind nur solche Beschäftigungsverhältnisse zu fördern, in deren Rahmen wettbewerbsneutrale, zusätzliche und im öffentlichen Interesse liegende Arbeiten erledigt werden.« Also Wettbewerbsneutralität – übrigens erst mit der letzten restriktiven Ausgestaltung des Förderrechts von einer untergesetzlichen Norm „geadelt“ durch die direkte Implementierung im Gesetz – wird seit Jahren von sehr vielen Experten und vor allem Praktikern als eine der zentralen Ursachen dafür identifiziert, dass wir konfrontiert werden mit teilweise hanebüchen ausgestalteten Maßnahmen, die so weit weg sein müssen vom ersten Arbeitsmarkt, dass sie mit großer Sicherheit auch den Betroffenen kaum neue Perspektiven eröffnen können. Hier sind die Forderungen des SoVD weit hinter dem zurückgeblieben, was seit Jahren im Fachdiskurs debattiert und entwickelt worden ist.

Das zweite Beispiel betrifft die Forderung, – so könnte man es scheinbar zynisch formulieren, hier aber erst einmal ohne irgendeinen Unterton gemeint – ein „Zwei-Klassen-System“ innerhalb der Grundsicherung einzuführen. Und diese Forderung wird intuitiv bei vielen Menschen auf eine zustimmende Wahrnehmung stoßen, die sich vor allem speist aus der tiefen Verankerung des Äquivalenzprinzips in der deutschen Kollektivseele. Der SoVD fordert (S. 26-31) zahlreiche Verbesserungen im bestehenden Arbeitslosengeld II-System, um dann eine weitere, neue Komponente vorzuschlagen: das »Arbeitslosengeld II Plus«. Dazu erfahren wir:

»Der SoVD fordert die Einführung einer zusätzlichen unbefristeten Geldleistung („Arbeitslosen­geld II Plus“), die neben dem Arbeitslosengeld II gewährt wird und im Anschluss an den Bezug von Arbeitslosengeld I beansprucht werden kann. Mit dem Arbeitslosengeld II Plus soll anerkannt wer­ den, dass die ehemaligen Arbeitslosengeld I­Empfänger bzw. die ­empfängerinnen durch oftmals langjährige Erwerbstätigkeit einen erheblichen Beitrag zur Finanzierung der Arbeitslosenversicherung geleistet haben. Mit dem Arbeitslosengeld II Plus soll gleichzeitig ein Teil der Einkommenseinbußen ausgeglichen werden, die regelmäßig beim Übergang vom Arbeitslosengeld I in den Bezug von Arbeitslosengeld II entsteht. Der Höhe nach muss sich das Arbeitslosengeld II Plus vor allem an dem zuvor bezogenen Arbeitslo­sengeld I orientieren. Dabei könnte als Richtschnur für die Höhe des Arbeitslosengeldes II Plus der ehemalige befristete Zuschlag dienen. Dieser errechnete sich im ersten Bezugsjahr aus zwei Drit­teln der Differenz zwischen dem vormaligen Arbeitslosengeld I zuzüglich Wohngeld und dem nach Bedürftigkeit zustehenden Arbeitslosengeldes II. Gleichzeitig war er auf Höchstbeträge beschränkt, nämlich auf 160 Euro für Alleinstehende, 320 Euro für Paare plus 60 Euro für jedes minderjäh­rige Kind. Im Gegensatz zum ehemaligen befristeten Zuschlag, der nach einem Bezugsjahr halbiert wurde, sollte das Arbeitslosengeld II Plus in voller Höhe und zeitlich unbefristet gewährt werden.« (S. 31 f.)
Man will also für eine bestimmte Gruppe unter den Leistungsempfängern deren monetäre Besserstellung durch Zuschläge auf die weiterhin bestehende Grundsicherungsleistung. Die wird zwar hinsichtlich der Leistungshöhe kritisiert, nicht aber als solche in Frage gestellt, was aber auch bedeutet, dass man akzeptiert, dass es sich um eine bedürftigkeitsabhängige Fürsorgeleistung handelt. Offensichtlich will man gleichsam einen „Echoeffekt“ aus dem Versicherungssystem in das Grundsicherungssystem verlängern und das nicht nur für eine bestimmte wie auch immer definierte Übergangsphase, sondern dauerhaft soll dieser Zuschlag fließen. Da kann man schon auf die Idee kommen, dass es hier noch einen erheblichen Diskussionsbedarf gibt.

Ob „Klein-klein“ oder aber die Verbesserungsvisionen des Sozialverbands Deutschland – offensichtlich wird der jetzt anstehende 10. Geburtstag von Hartz IV nicht der letzte bleiben.

Es muss ein guter Tag für die Langzeitarbeitslosen gewesen sein. Also auf dem Papier. Das ist bekanntlich geduldig

Auch wenn immer wieder über das so genannte „Jobwunder“ in Deutschland geschrieben und diskutiert wird – eine Gruppe unter den Arbeitslosen hat in den vergangenen Jahren definitiv so gut wie gar nicht profitieren können von der ansonsten durchaus erfreulichen Arbeitsmarktentwicklung in unserem Land. Die Rede ist hier von den Langzeitarbeitslosen. Arbeitsmarktexperten sprechen schon seit längerem von einer massiven „Verfestigung“ bzw. „Verhärtung“ der Arbeitslosigkeit.  Ein Teil der Arbeitslosen wird komplett abgekoppelt von der Integration in Beschäftigung. Hierbei handelt es sich keineswegs um eine zu vernachlässigende Größe.  So hat beispielsweise eine Ende des vergangenen Jahres veröffentlichte Studie der Hochschule Koblenz ergeben, dass rund 1,7 Millionen Menschen im Grundsicherungssystem in den vergangenen drei Jahren mehr als 90 % der Zeit ohne irgendeine Beschäftigung waren. Über 609.000 erwerbslose Menschen haben mehr als vier so genannte Vermittlungshemmnisse. Über 435.000 Menschen zählen nach dieser Studie  zu den arbeitsmarktfernen Personen, die mittelfristig, viele sogar auf Dauer keine realistische Perspektive haben, wieder irgendeinen Job auf dem ersten Arbeitsmarkt zu bekommen. In den Haushalten dieser Menschen leben mehr als 305.000 Kinder unter 15 Jahren, die besonders  negativ von der Situation in ihrem Elternhaus betroffen sind.

Gleichzeitig wurden Milliardenbeträge gekürzt im Bereich der Arbeitsförderung für Menschen im Grundsicherungssystem. Immer offensichtlicher wird das Dilemma, dass auf der einen Seite eine zunehmende Zahl an Arbeitslosen in die Langzeitarbeitslosigkeit abrutscht und dort auch nicht mehr herauskommt, gleichzeitig aber kaum noch Möglichkeiten einer gezielten Förderung dieser Menschen zur Verfügung stehen. Dies nicht nur aufgrund fehlender Finanzmittel, sondern gleichzeitig wurde das Förderrecht gerade im Bereich der öffentlich geförderten Beschäftigung seitens des Bundesgesetzgebers noch restriktiver ausgestaltet, so dass sinnvolle Maßnahmen oftmals schlichtweg nicht mehr möglich sind.

Die erwähnte Studie kann hier abgerufen werden:

Obermeier, T.; Sell, S. und Tiedemann, B.: Messkonzept zur Bestimmung der Zielgruppe für eine öffentlich geförderte Beschäftigung. Methodisches Vorgehen und Ergebnisse der quantitativen Abschätzung (= Remagener Beiträge zur Sozialpolitik 14-2013), Remagen, 2013

Nunmehr scheint es aber Grund zur Hoffnung zu geben, folgt man den Medienberichten, die im Anschluss an eine gemeinsame Pressekonferenz von Bundesagentur für Arbeit, Deutscher Städtetag und Deutscher Landkreistag erschienen sind: „Staat soll Langzeitarbeitslose besser fördern„, „Bundesagentur will mehr Hilfe für Langzeitarbeitslose“ oder von der anderen Seite „Kommunen wollen neue Initiative für Hartz-IV-Empfänger„. Da ist sogar von einem „Maßanzug für Langzeitabeitslose“ die Rede. Das hört sich doch insgesamt sehr positiv und dem wachsenden Problemdruck in diesem Bereich angemessen an. Schauen wir also einmal genauer hin.

Die Bundesagentur für Arbeit (BA) hat ihre Pressemitteilung so überschrieben: „Hilfen für Langzeitarbeitslose verbessern – Hohes Engagement der Jobcenter allein kann Probleme nicht lösen„. Auch hier wird auf den enormen Problemdruck innerhalb des Grundsicherungssystems hingewiesen: »Drei Millionen erwerbsfähige Menschen erhalten seit zwei oder mehr Jahren Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Rechnet man die Kinder hinzu, sind rund vier Millionen Menschen langfristig auf diese Leistungen angewiesen.« Die BA weist darauf hin, dass von den Langzeitbeziehern, die vermittelt worden sind, aber etwa die Hälfte innerhalb eines Jahres wieder in die Grundsicherung zurückkommt. Und auch auf die bereits angesprochene prekäre Finanzlage wird seitens des Deutschen Städtetages hingewiesen: »Von 2010 bis 2013 sank die Anzahl der Arbeitslosen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende um lediglich 8 Prozent. Im gleichen Zeitraum wurden die Mittel für Fördermaßnahmen aber um etwa 40 Prozent reduziert, von 6,6 Milliarden Euro auf 3,9 Milliarden Euro.«
Die beiden kommunalen Spitzenverbände bringen die von vielen kritischen Beobachtern der Arbeitsmarktpolitik seit Jahren immer wieder vorgetragenen Schwachstellen auf den Punkt:

»Die Strategien für Menschen, die nur kurze Zeit arbeitslos sind, lassen sich nicht einfach auf Langzeitarbeitslose übertragen. Aktuell sind die arbeitsmarktpolitischen Instrumente der Jobcenter an viele Auflagen seitens des Gesetzgebers und an eher kurze Zeiträume gebunden. Schwer zu vermittelnden Langzeitarbeitslosen kann aus Sicht der Kommunen damit zu wenig geholfen werden. Der Bund sollte den Jobcentern deshalb die Entwicklung flexibler und längerfristiger Strategien zugestehen.«

Und sie fordern mit Blick auf die Vergangenheit mehr Geld – vom Bund: »Hatte der Bund zur Einführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende noch ein Budget von durchschnittlich 3.200 Euro pro Leistungsempfänger für Aktivierung, Eingliederung und Leistungsgewährung im Jahr veranschlagt, standen im Jahr 2012 nur noch 1.700 Euro zur Verfügung.«
Für etwa eine Million Menschen, die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende erhalten, sei eine Vermittlung in den Arbeitsmarkt äußerst schwierig. Während die BA in Gestalt von Heinrich Alt „neue Ideen über Zugangswege in Arbeit, mehr Perspektiven in Betrieben“ fordert,  sind für die Kommunen »die drohende Verfestigung der Langzeitarbeitslosigkeit und damit verbundene soziale Folgen eine der wichtigsten Herausforderungen. Viele Menschen, die sehr lange nicht mehr in der Arbeitswelt waren, brauchen neben der Vermittlung in Qualifizierungen oder in Arbeit eine intensive und individuell passgenaue Unterstützung.«

Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Dr. Stephan Articus, wird mit den folgenden Worten zitiert:

»Um Langzeitarbeitslosen mit sozialen und beruflichen Integrationsproblemen Chancen auf Teilhabe in Arbeitsprozessen zu ermöglichen, halten die Städte es für sinnvoll, auch die öffentlich geförderte Beschäftigung weiterzuentwickeln. Solche Angebote können dazu beitragen, sich dem ersten Arbeitsmarkt wieder anzunähern. Und für Menschen, die dort nicht mehr Fuß fassen können, sind sie eine Alternative zu Ausgrenzung und sozialer Isolation.«

Der Deutsche Landkreistag sekundiert mit Blick auf den „harten Kern“ der Langzeitarbeitslosen, »dass es eine Gruppe schwer zu vermittelnder Langzeitarbeitsloser gibt, für die der erste Arbeitsmarkt unabhängig von bestehenden Fördermitteln und Instrumenten nicht erreichbar ist. Diese Menschen benötigen längerfristige Angebote.« Gefordert wird »ein tragfähiges Konzept für öffentlich geförderte Beschäftigung. Denn auf dem regulären Arbeitsmarkt werden viele Langzeitarbeitslose realistischerweise keinen Job finden.«

Ja, ja und nochmals ja. Die immer wieder vorgetragenen Punkte aus der Arbeitsmarktdebatte der vergangenen Jahre tauchen hier in konzentrierter Form wieder auf.

Und nun? Was tun? Da wird es schon dünner bzw. angesichts der intensiven Diskussionen und der vorliegenden konkreten Modelle eines „zweiten“ oder wie er auch immer heißen soll Arbeitsmarkt muss man den Kopf schütteln angesichts solcher Worte des BA-Vorstandsmitglieds Heinrich Alt zur öffentlich geförderten Beschäftigung, die Katharina Schüler in ihrem Artikel „Kommunen wollen neue Initiative für Hartz-IV-Empfänger“ zitiert:

»Bislang leide der zweite Arbeitsmarkt jedoch unter dem Paradox, dass nur Tätigkeiten, die keine normale Beschäftigung gefährden, gefördert werden dürften, sagte Alt. Arbeitslose lesen beispielsweise in Heimen vor oder sammeln Müll in den Parks ein. Die Art der Tätigkeiten verringere die Chancen, dass der Übergang vom zweiten in den ersten Arbeitsmarkt gelinge. Auch das Prestigeprojekt der früheren Arbeitsministerin Ursula von der Leyen, die Arbeitslose zu Bürgerarbeitern machen wollte, erwies sich als Flop. „Hier müssen wir nochmal neu nachdenken“, sagte Alt.«

Da muss man angesichts der vielen Modelle nicht wirklich neu nachdenken, sondern man braucht mehr Mittel und vor allem rechtlich auch die entsprechenden Möglichkeiten, beispielsweise in professionellen Beschäftigungsunternehmen mit dem „ersten Arbeitsmarkt“ zusammen arbeiten zu können. Da hätte man sich schon eine klare Forderung an den Bundesgesetzgeber gewünscht: Abschaffung der „Zusätzlichkeit“ und der „Wettbewerbsneutralität“ von Maßnahmen der öffentlich geförderten Beschäftigung, damit man die Andockstellen an das „real life“ des Arbeitsmarktes endlich bestimmen und ausbauen kann.

Das wäre nur ein Beispiel für konkrete Forderung auch und gerade an die Große Koalition, die man hätte formulieren können und müssen. Statt dessen bekommen wir wieder einmal viel Lyrik serviert, gerade von Heinrich Alt, dem für das SGB II zuständige Vorstandsmitglied. In dem Artikel „Maßanzug für Langzeitabeitslose“ wird er mit den folgenden Worten zitiert: „Mit Konfektionsware kommen wir in der Grundsicherung nicht weiter“. „Wir brauchen eher was wie den Maßanzug, der vor Ort geschneidert werden sollte.“ Wohlfeile Formulierungen, wenn man sich die Realität in vielen Jobcentern anschaut.

Fazit: Nicht nur die enormen Mittelkürzungen in der Arbeitsmarktpolitik der vergangenen Jahre müssen rückgängig gemacht werden, weil man ansonsten keine halbwegs vertretbaren Maßnahmen für die Betroffenen entwickeln und anbieten kann. Aber gleichzeitig muss endlich das Förderrecht so eingedampft werden, dass man die vielen (übrigens seit Jahren geforderten) Freiheitsgrade in der Arbeit vor Ort endlich mal bekommt. Viele Jobcenter-Mitarbeiter sagen einem, auch wenn wir wollen, wir dürfen nicht. Hinsichtlich der erforderlichen Bearbeitung der vielen, wieder einmal richtig beschriebenen Probleme braucht es Flexibilität und Entscheidungsspielräume vor Ort.

Aber – auch wenn man nicht depressiv enden soll – selbst wenn das gelingen würde, wofür es derzeit keine Anhaltspunkte gibt, bleibt das Problem, dass viele Jobcenter-Mitarbeiter in den kommenden Monaten gar nicht mehr dazu kommen können, neue Wege zu gehen bzw. auszuprobieren. Weil sie absaufen in der internen Arbeit. Das, was hier angedeutet werden soll, ist ein sich abzeichnendes Drama der innersystemischen Paralyse und das hat einen Namen: „Allegro“. In der Musik ist Allegro eine Tempobezeichnung mit der Bedeutung schnell. Das ist vielleicht der Wunsch der BA-Spitze und der sie begleitenden Unternehmensberater. Die (fast schon zynische) Wahl des Programmnamens „Allegro“ ist irgendwie konsequent aus der Perspektive der da oben, denn das Wort kommt ursprünglich aus der italienischen Sprache und bedeutet „fröhlich, lustig, heiter“.

Aber das, was auf die Jobcenter zukommt, sieht ganz und gar nicht nach einem „fröhlichen, lustigen und heiteren“ Arbeiten am „Kunden“ aus. Denn „Allegro“ ist eine neue Software, in der Langfassung steht das für „ALG2-Leistungsverfahren Grundsicherung Online“. Und eine ganz neue Software verheißt gerade in der Einführungsphase nicht wirklich was Gutes.

»Wegen einer Software-Umstellung bei den Jobcentern könnte es im April zu Problemen bei der Auszahlung von Hartz-IV-Leistungen kommen. Betroffen seien vor allem die Ballungsräume und Großstädte, warnt Personalratschef Lehmensiek im Deutschlandfunk. Es gehe um vier Millionen Empfänger und deren Kinder«, so kann man es dem Vorspann zu einem Interview mit Uwe Lehmensiek, entnehmen. Im April soll der Testbetrieb beginnen. Zwar soll die neue Software parallel zur alten eingeführt werden, um die Probleme des Startjahres 2005 zu vermeiden. Dennoch kommt es in den Jobcentern zu einer Menge Mehrarbeit durch die EDV-Umstellung – womöglich zu so viel Mehrarbeit, dass über diese Umstellung auch die Hartz-IV-Auszahlungen in Mitleidenschaft gezogen werden könnten. Denn in den Jobcentern muss diese gewaltige Umstellung – inklusive der händischen Eingabe der vorhandenen Daten in das neue System – mit Bordmitteln und „neben“ dem Tagesgeschäft erfolgen.

Die Umstellung erfolgt händisch und parallel zum normalen Betrieb, da kein Budget für zusätzliche Fachkräfte eingeplant wurde. Dort, wo die Jobcenter zusätzlich Personal eingestellt hätten, laufe die Finanzierung aus dem „Eingliederungstitel“, also dem bereits zusammengestrichenen Topf für Fördermaßnahmen, denn diese Mittel sind „deckungsfähig“ mit den Verwaltungskosten.

Zu diesem problematischen Punkt berichtete das Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe (BIAJ): » Insgesamt 445 Millionen Euro sind aus dem Haushaltstitel mit der Zweckbestimmung „Leistungen zur Eingliederung in Arbeit“ (darunter „Leistungen zur Engliederung nach dem SGB II“) in den Haushaltstitel mit der Zweckbestimmung „Verwaltungskosten für die Durchführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende“ (Bundesanteil) umgeschichtet worden.« Und weiter: »Die „Verwaltungskosten“ der insgesamt 410 Jobcenter betrugen demnach im Haushaltsjahr 2013 … in etwa 5,3 Milliarden Euro. Noch nie zuvor wurde vom Bund und den Kommunen so viel für diesen Zweck („Verwaltungskosten für die Durchführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende“) ausgegeben wie im neunten „Hartz IV-Jahr“.«

Bevor die Umstellung überhaupt beginnt, würden die Mitarbeiter geschult und Akten auf den neuesten Stand gebracht. Hier gebe es noch großen Nacharbeitungsbedarf. Wenn der Testbetrieb im April beginnt, seien dann, vor allem in Großstädten, Fehler und Zeitverzögerungen zu erwarten.
Wenn Bescheide und Geldleistungen in großem Umfang zu spät oder fehlerhaft herausgehen, erwartet Lehmensiek „Aggression und Gewalt, das wollen wir verhindern. Deswegen ist das unsere größte Sorge, dass es mit der Zahlung nicht klappt.“, erläutert er im Interview.

Dazu noch eine Ergänzung, gefunden im neuesten Newsletter von Harald Thomé: Kommt es durch Computerpannen und nicht rechtzeitiger Zahlung zu wirtschaftlichen Schäden bei den Betroffenen, z.B.  in Form von Rückbuchungsgebühren, Mahngebühren des Energieversorgers oder Vermieters, Zinsen wegen Kontoüberziehung, dann ist das Jobcenter dafür ersatzpflichtig. Der Ersatzanspruch begründet sich über § 40 Abs. 1 S. 1 SGB II iVm § 60 S. 2 SGB X iVm § 839 BGB iVm ständiger Rechtsprechung des BSG zum sozialrechtlichen Herstellungsanspruch.
Wahrscheinlich muss man dann noch mehr umbuchen aus dem Eingliederungstitel.

Das sind keine guten Rahmenbedingungen für neue Wege, um Langzeitarbeitslose wieder in Beschäftigung zu bringen.