Das große Durcheinander auf dem Arbeitsmarkt – und die vielen Baustellen jenseits des Gewohnten. Von Crowdworkern, Pauschalisten, der ominösen Industrie 4.0 und dem Kampf um feste Strukturen in Zeiten zunehmender Verflüssigung von Arbeit

Früher war ganz sicher nicht alles besser – aber es war irgendwie einfacher und geordneter und verlässlicher, wenn das auch nicht selten auf Kosten der individuellen Entfaltungsmöglichkeiten ging. Eine Vielzahl an vorgezeichneten Bahnen lenkten die Lebens- und damit auch Berufswege der Menschen. Man konnte sich nur schwer aus den Leitplanken seiner Herkunft, seiner Familie befreien und musste Dinge tun, die einem auferlegt wurden, ohne dass man überhaupt gefragt wurde. Nun könnten Berufsskeptiker bereits an dieser Stelle darauf hinweisen, dass bei aller Unübersichtlichkeit auch und gerade heute solche Dinge wie der familiale Hintergrund und die Schichtzugehörigkeit eine mindestens genau so bedeutsame, wenn nicht sogar stärkere Rolle spielen, aber das ist hier nicht der Punkt.

Es geht um die schlichte, allerdings nicht triviale Feststellung, dass wir uns mit Blick auf die Arbeitsmärkte an einer dieser Zeitenwenden befinden, die allerdings nicht als ein klares Entweder-Oder, ein Hier-und-Drüben, ein Weiß und Schwarz daherkommen, sondern die wie alle hochkomplexen sozialen Veränderungen in den ausdifferenzierten gesellschaftlichen Systemen eher ruckelnd, auf leisen Sohlen, mit völlig unterschiedlichen Tempi und garniert mit scheinbaren Rückwärtsbewegungen hier und da ablaufen und angesichts der anschwellenden Unübersichtlichkeit und der daraus resultierenden zahlreichen Gegenbeispiele eher zu einer Sedierung der Beobachter und Akteure führt hinsichtlich der langsam, aber sicher an Fahrt aufnehmenden grundlegenden Veränderungen der Arbeitswelt.

Um es an dieser Stelle zuzuspitzen: So notwendig und kräftezehrend beispielsweise der Kampf um den gesetzlichen Mindestlohn war, so wichtig das Streiten für betriebliche Mitbestimmung und tarifliche Ordnungsstrukturen ist, was die tägliche Arbeit – und auch die Berichterstattung in diesem Blog – prägt, so notwendig bleibt doch die Wahrnehmung und die Auseinandersetzung mit diesem noch sehr ungenauen Gefühl, dass in Zeiten, die man mit Chiffren belegt wie Crowdworking, Industrie 4.0 usw., die gewachsenen Ordnungselemente brüchiger werden oder sich gar aufzulösen beginnen, an die man aber die zumeist als Verteidigungskämpfe ausgerichteten sozialpolitischen Kämpfe bindet und auch binden muss, wenn man die gewachsenen, oftmals in der Vergangenheit hart erkämpften Strukturen und Prozesse gegen Übergriffe und Abbauversuche zu verteidigen versucht.

Nehmen wir nur als ein Beispiel die Arbeitszeit. Gerade die jüngste große Schlacht um den gesetzlichen Mindestlohn hat gezeigt, welche Bedeutung eine Normierung und Abgrenzung von Arbeitszeit in einem „klassischen“ Sinne hat. Der Mindestlohn ist als ein Stundenlohn konzeptualisiert worden und mithin ist die Dokumentation sowie daraus abgeleitet die Kontrolle der Einhaltung sowie die Verfolgung einer Abweichung von den mit einem Euro-Betrag belegten Arbeitsstunden unauflösbar verbunden mit der konkreten Ausgestaltung des Mindestlohngesetzes. Man kann zeigen, dass von Ausnahmen abgesehen weniger die Höhe des Lohnes pro Stunde das wirkliche Problem vieler Unternehmen darstellt, sondern der durch eine ehrliche Dokumentation sichtbar werdende Konflikt mit den Vorschriften des Arbeitszeitgesetzes. Man denke hier nur an die Probleme der Gastronomie.

Auch hier kann man zuspitzen: Der gesetzliche Mindestlohn folgt der Logik des „Kettenhemdes“ der tariflich geregelten Arbeitszeit der „alten Welt“ (wobei hier gleich angemerkt werden soll, dass der Terminus „alte Welt“ hier nicht negativ konnotiert ist, also keine abwertende Bedeutung hat, denn diese alte Welt hat eine ganze Reihe an handfesten Vorteilen für die große Masse der Bevölkerung). Also eine klare, eindeutige – im industriellen Arbeitszeitregime durch die Stech- oder Stempeluhr symbolisierte – Abgrenzung von Arbeitszeit (in aller Regel in einer Fabrik, einem Büro, einem vom eigenen anderen Leben irgendwie abgegrenzten Raum) zur „Freizeit“. Nicht umsonst gibt es ausgehend vom Normalfall einer derart normierten Arbeitszeit (in der Regel von 8 bis 16 Uhr als Kernbereich) für alle abweichenden Fallkonstellationen, man denke hier an Nachtarbeit, Wochenendarbeit, Schichtarbeit, monetäre Zuschläge im Sinne eines Nachteilsausgleichs. Und man muss der Ehrlichkeit halber an dieser Stelle darauf hinweisen, allem Gerede über angebliche „neue Welten“ zum Trotz arbeiten immer noch viele Menschen in diesem strukturierten und gerade in der Industrie wohlgeordneten Gehäuse. Aber verweilen wir einen Moment beim Beispiel Industrie, die ja gerade in der deutschen Volkswirtschaft eine bedeutsame Rolle spielt: Neben der relativ gesehen wohlgeordneten Arbeitszeitwelt der Stammbelegschaft hat sich seit vielen Jahren darum herum eine wachsende Schicht der Randbelegschaften aufgebaut, für die oftmals gilt, dass deren Arbeitszeiten länger, oftmals unregelmäßiger sind und vor allem zu den ungünstigeren Zeiträumen platziert werden.

Und wenn man dann den Blick weitet, dann fallen einem sofort und in aller Deutlichkeit die Ausfaserungen des Normalmodells auf. Wie wäre es beispielsweise mit der „Mindestlohn-Arbeitszeit“ in ihrer offiziellen Ausprägung und der vielerorts beklagten Schattenwelt der unbezahlten Mehrarbeit als eine der wichtigsten Versuche des Unterlaufens des Mindestlohnes? Wobei – das kann hier nicht vertieft, sondern nur angerissen werden – auch diese Schattenwelt zahlreiche Farbtöne enthält, die vom klassischen Missbrauch eines kostensenkungsfixierten Arbeitgebers reicht bis hin zu durchaus lebenspraktischen win-win-Arrangements zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die man beispielsweise in vielen kleineren Unternehmen der Gastronomie finden kann.

Oder wie wäre es mit den – betriebswirtschaftlich erst einmal absolut rationalen, für die Betroffenen allerdings hoch problematischen – Entwicklungen im Einzelhandel, „Arbeitszeitpakete“ zu schnüren unterhalb der Vollzeitgrenze, die aber nicht mehr an eine vorgegebene Lage, geschweige denn an den Korridor der alten Normalarbeitszeit gekoppelt sind, korrespondierend mit der gewaltigen Verlängerung der Ladenöffnungszeiten in den zurückliegenden Jahren. Oder an dieser Stelle mehr als passend: Wie wäre es mit der „Amazon-induzierten Sonntagsarbeit in den Innenstädten“? Hierbei handelt es sich derzeit (noch) um eine Forderung, in Zukunft die regelmäßige Öffnung der Geschäfte am Sonntag zu ermöglichen, damit die Kunden dort einkaufen können, was sie ansonsten schon tun können 24 Stunden pro Tag an sieben Tagen in der Woche – allerdings im Internet.

Oder noch schlimmer und ganz weit weg von den konzeptionellen Grundlagen des gesetzlichen Mindestlohnes: Wie wäre es mit dem „Arbeitszeit-Irrlicht“ bei den Selbständigen? Hier tut sich ein eigenes Universum auf, das von der undokumentierten Selbstausbeutung innerhalb des Familienunternehmens aus dem migrantischen Gemüsehändlermilieu bis hin zu den langen, aber in Teilbereichen selbstbestimmt fragmentierten Arbeitszeiten in der Kreativwirtschaft reicht.

Man könnte das jetzt erheblich erweitern und ausdifferenzieren – der Punkt an dieser Stelle ist: Viele Regelwerke, die wir in der Sozialpolitik haben, orientieren sich an Arbeitszeitformen, die sich in der Vergangenheit herausgebildet haben bzw. die von der Gewerkschaftsbewegung erkämpft worden sind. Und die stoßen nun zwangsläufig und in aller Regel unter heftigen Schmerzen auf neue arbeitsweltliche Konstellationen. Die vielbeschriebenen, im Vergleich dazu empirisch allerdings eher noch in embryonaler Größenordnung befindlichen Crowdworker mögen hier als Beispiel genannt werden, Vgl. dazu den Artikel Flexibel, selbstbestimmt, von Zuhause aus – schöne neue Arbeitswelt? In diesem Artikel wird Carolin Kresse porträtiert. Sie ist eine Click- oder auch Crowdworkerin. Sie schreibt Texte für Auftraggeber, die sie nicht kennt. Ihre Jobs bekommt sie über ein Onlineportal (in diesem Fall Textbroker, es gibt aber auch zahlreiche andere Portale, die sich in diesem Segment tummeln).

»Nach dem Soziologie- und Journalismus-Studium hatte sich die 24-Jährige auf zwei, drei Stellen beworben, aber sie bekam keine Rückmeldung. Also baute sie das Texten im Internet zur Freiberuflichkeit aus. 20 Stunden in der Woche reichen ihr – damit verdient sie etwa 1.000 Euro netto. Genug, findet sie: „Am meisten reizt mich, dass ich von zu Hause aus arbeiten kann … Beim Texten habe ich den Vorteil, dass ich zu Hause sein und mir meine Arbeit so einteilen kann, wie es mir am besten passt.«

Natürlich müssen an dieser Stelle auch die kritischen Töne kommen, vor allem aus dem gewerkschaftlichen Lager:

»… bislang hätten viele Freiberufler, die bei Portalen angemeldet sind, oft nur wenig Rechte, sagt Vanessa Barth vom IG-Metall-Vorstand: „Im Vergleich zum Arbeitsverhältnis haben sie als Crowdarbeiter keine Absicherung, keine Entgeltfortzahlung bei Krankheit, keine Beiträge zur Sozialversicherung. Die Verdienste sind aber bei den meisten nicht so hoch, dass sie sich selbst ausreichend absichern könnten.“ Auch Carolin Kresse weiß das. Deswegen sieht sie sich eher als Einzelkämpferin und weniger als Teil der Crowd – also der Gruppe von anderen Netzarbeitern.«

Das Ziel der IG Metall ist es, die Arbeitsbedingungen dieser Netzarbeiter zu verbessern. Man kann sich ohne große Verrenkungen vorstellen, was für eine herkulische Aufgabe das darstellt.

Bleiben wir bei den Gewerkschaften, die ja auch als ein zentraler Bausteine der „alten Welt“ bezeichnet werden können – wie auch die Arbeitgeberverbände auf der anderen Seite. Und beide arbeiten sich gerade ab am Thema „Industrie 4.0“.

Digitalisierung zur Deregulierung nutzen – das scheint die Strategie der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA) zu sein. Durch Technikeinsatz verändern sich Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen radikal. Die Mitbestimmung müsse sich dem Tempo der Digitalisierung anpassen, so die BDA. Das ist deshalb besonders bemerkenswert, weil ansonsten der industrielle Kernbereich in Deutschland angesichts des hohen Organisationsgrades der Gewerkschaften in der Vergangenheit eher ein Lehrbuchbeispiel für konfliktvermeidende Sozialpartnerschaft war und sicher in vielen Bereichen heute auch noch ist. Aber- so Marcus Schwarzbach in seinem Artikel Gewünschte Deregulierung:

»Die Hoffnung der Gewerkschaften, sich durch Qualifizierungstarifverträge speziell für digitale Arbeit profilieren zu können, wird von den Unternehmen zerstört. Beschäftigte durch Weiterbildung auf die neue Arbeitswelt vorbereiten zu können, sieht die BDA zwar als »Königsweg zur Anpassung an die Digitalisierung«. Dabei sollen die Kosten aber nicht zu hoch sein. Da die Mitarbeiter von Weiterbildung ebenso profitierten wie der Betrieb, will die BDA, »dass die Beschäftigten mehr Freizeit für die eigene Weiterbildung einbringen«.

Und besonders schmerzhaft für die Gewerkschaften:

»Durch Digitalisierung sollen Werk- und Dienstverträge »an Bedeutung« zunehmen, deshalb dürfe ihr »Einsatz nicht in Frage gestellt werden«, spitzt die BDA ihre Position zu. Während sie von den Angestellten volle Flexibilität fordert, die für diese auch immer eine Einschränkung etwa bei der Lebensplanung bedeutet, weist sie Regeln für sich selbst von sich: »Zeitarbeit und insbesondere die sachgrundlose Befristung müssen auch künftig für die Gestaltung der Arbeitsbeziehungen ohne neue Beschränkungen zur Verfügung stehen.«

Das ist starker Tobak, vor allem angesichts der Tatsache, dass sich gerade die Industriegewerkschaften auf eine andere Schiene gesetzt haben (oder wurden?): So arbeitet Constanze Kurz, Gewerkschaftssekretärin beim IG-Metall-Vorstand gemeinsam mit Unternehmensvertretern an der Kampagne »Produktionsarbeit der Zukunft – Industrie 4.0«, berichtet Marcus Schwarzbach in seinem Artikel.

An anderen Frontabschnitten sieht die Lage noch weitaus düsterer aus. Beispielsweise im Hotel- und Gaststättenwesen. Hier haben die Gewerkschaften ein doppeltes Problem. Zum einen ist der Organisationsgrad der Beschäftigten erheblich niedriger als in den klassischen Industriebranchen (übrigens verbunden mit einem analogen Problem auf der „anderen Seite“ in Form einer Tarifflucht vieler Arbeitgeber) und zudem bekommt man hier die Folgen der Ausweitung des Niedriglohnsektors seit Mitte der 1990er Jahre voll zu spüren. Hier werden dann auch zahlreiche Umgehungsstrategien den Mindestlohn betreffend ausprobiert und praktiziert. In diesem Kontext wäre eine Stabilisierung und darauf aufbauend eine Stärkung des Tarifsystems von entscheidender Bedeutung – und ein Instrumentarium, um das gleichsam „von hinten“ zu erreichen, wäre die stärkere Nutzung der Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen, denn das würde mittel- und langfristig die Tarifflucht der Arbeitgeber umkehren können. Aber auch hier bewegt sich – trotz einer Absichtserklärung im Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD hinsichtlich einer Vereinfachung und stärkeren Nutzung der Allgemeinverbindlichkeitserklärung und einer gesetzlichen Neuregelung zum 1. Januar 2015 – bislang so gut wie nichts.

Ein aktuelles Beispiel für die fortbestehende Blockade kommt aus dem Saarland: Heftiger Streit um Löhne in der Saar-Gastronomie, so hat Joachim Wollschläger seinen Artikel überschrieben.
Die Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) Saarland wirft der Vereinigung der saarländischen Unternehmensverbände (VSU) vor, auskömmliche Gehälter zu verhindern. Was ist passiert? Die NGG im Saarland wirft der VSU vor, sie »habe durch ihr Veto verhindert, dass die Tarifverträge der unteren drei Entgeltgruppen im Hotel- und Gastgewerbe nicht für allgemeinverbindlich erklärt worden seien … Und das nicht aus sachlichen Gründen, sondern nur aus Prinzip, um nicht im Saarland Vorreiter zu werden, so der Vorwurf.«

Der Pressemitteilung der NGG (VSU betreibt rückwärtsgewandte Blockadepolitik) kann man entnehmen:

»Die Tarifvertragsparteien hatten unter anderem das Ziel, mit einem allgemeinverbindlichem Einstiegsentgelt für Fachkräfte in Höhe von 9,40 €/h, die Attraktivität einer Ausbildung im Gastgewerbe zu steigern und sicherzustellen, dass Fachkräfte flächendeckend mehr Entgelt erhalten als den gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 8,50 €/h. Mit dem ersten Einstieg in die AVE sollte außerdem ein fairer Wettbewerb gewährleistet werden und dem öffentlichen Interesse nach einem zukunftsfähigen Gastgewerbe Rechnung getragen werden. Die AVE der unteren 2 Entgeltgruppen sollte zudem eine Mindestentlohnung für Mitarbeiter im Gastgewerbe ohne Ausbildung oberhalb des gesetzlichen Mindestlohns festschreiben.«

Man muss an dieser Stelle besonders hervorheben: Im Vorfeld des Antrags auf Allgemeinverbindlichkeitserklärung (AVE) – wohlgemerkt nicht des gesamten Tarifvertrags, sondern der drei unteren Entgeltgruppen – hatte die Gewerkschaft NGG gemeinsam mit dem Hotel- und Gaststättenverband Dehoga Saar einen Tarifvertrag ausgehandelt und gleichzeitig beschlossen, diesen für die untersten drei Entgeltgruppen für allgemeinverbindlich erklären zu lassen. Mit dem Ziel, dass Fachkräfte deutlich über dem gesetzlichen Mindestlohn bezahlt werden. Es handelt sich also um eine konzertierte Aktion der beiden Tarifvertragsparteien, nicht nur der Gewerkschaft.

Aber hier wird ein systematisches Problem der Allgemeinverbindlichkeitserklärung offensichtlich. Zwar hat man eine Hemmschwelle beseitigt, aber eben nur eine. Konkret am Beispiel dessen, was im Saarland abläuft:

»Der Gesetzgeber hat zur Erleichterung einer AVE zudem mit Wirkung zum 1. Januar 2015 die starre Quotenregelung, wo nach 50 % der Beschäftigten einer Branche im antragsstellenden Arbeitgeberverband organisiert sein müssen, zu Gunsten des öffentlichen Interesses aufgegeben.
Leider wurde branchenfremden Verbänden weiterhin eine Veto-Möglichkeit im Gesetz eingeräumt, wie sie die Vereinigung saarländischer Arbeitgeberverbände (VSU) in der Anhörung zur AVE am 9. Juli 2015 im saarl. Wirtschaftsministerium, auch genutzt hat. DEHOGA- Saarland und NGG haben im Rahmen der Anhörung ausführlich Stellung zum Antrag bezogen. Beide Tarifvertragsparteien sind allerdings nicht stimmberechtigt, was aus Sicht der NGG eine Sollbruchstelle im Gesetz darstellt«, so die NGG Saarland in ihrer Pressemitteilung.

Aber wieder zurück mit Blick auf die „neue“ Arbeitswelt. Gleichsam als Scharnier zwischen den „alten“ und „neuen“ Welt fungieren bereits heute viele, die von einem Tarifvertrag nur träumen können und die zugleich als Experimentierfeld dienen, um zum einen seitens der Unternehmen Personalkosten zu senken und die Risiken aus einem klassischen Arbeitsverhältnis zu verlagern auf die Schultern der „Arbeitnehmer“, die dann immer häufiger unter der Hülle der Selbständigkeit segeln  müssen. Die Medien und hier vor allem die Journalisten sind ein Beispiel dafür. Die Leiharbeiter des Journalismus, so haben Anne Fromm, Jürn Kruse und Anja Krüger ihren Artikel über das Problem Scheinselbständigkeit in den Redaktionsstuben überschrieben. Sie berichten über das System der „Pauschalisten“ oder „feste Freie“, ohne die kaum etwas bei Tageszeitungen und News-Seiten gehen würde. »Pauschalisten erledigen in vielen Zeitungen die tägliche Arbeit, die notwendig ist, damit ihre Zeitung, ihre Nachrichtenseite Tag für Tag in der gewohnten Qualität erscheint. Sie schreiben und recherchieren, redigieren Texte anderer Autoren, planen und bestücken die Seiten, sind blattmacherisch tätig, bestimmen die Themen, über die berichtet wird und betreuen Praktikanten. Festangestellte Mitarbeiter, für die der Verlag ganz regulär Sozialversicherungsbeiträge abführt, Redakteure genannt, sind sie trotzdem nicht.«

Die Vorteile – für den Arbeitgeber – liegen auf der Hand und werden von Fromm und Kruse so beschrieben:

»Indem die Verlage sie als freie Mitarbeiter beschäftigen, sparen sie Buchhaltungsaufwand und eine Menge Geld: Bei einem Bruttogehalt von 3.000 Euro monatlich pro Redakteur sind das etwa 580 Euro an Sozialabgaben. Aufs Jahr gerechnet spart das Unternehmen so fast 7.000 Euro für jeden scheinselbstständigen Mitarbeiter. Darüber hinaus umgehen die Verlage den Arbeitnehmerschutz: Urlaubs- und Krankengeld sind nicht vertraglich geregelt, Kündigungsfristen oft ebenso wenig.«

Und jetzt wird es sozialpolitisch hoch relevant:

»Das System funktioniert, weil die Künstlersozialkasse (KSK) einspringt. Sie übernimmt für freischaffende Künstler und Publizisten den Arbeitgeberanteil der Sozialversicherungsbeiträge. Für die Betroffenen selbst besteht also zunächst kein finanzieller Nachteil. Das ist einer der Gründe, warum sich kaum jemand öffentlich beklagt. Die Krux aber ist: Die KSK wird zwar zum Teil über pauschale Abgaben von den Verlagen finanziert, aber auch zu 20 Prozent aus Bundesmitteln. Im Jahr 2015 werden das laut KSK-Prognose 186,89 Millionen Euro sein. Wenn man so will, holen sich die Verlage mithilfe dieses Tricks staatliche Subventionen ab, die ihnen so nicht zustehen. Es geht bei dem rechtswidrigen Pauschalistenmodell also nicht nur um Knebelverträge für Mitarbeiter, es geht vor allem um groß angelegten Sozialbetrug.«

Aufgrund der derzeit laufenden Ermittlungen und Verfahren wegen möglicher Scheinselbständigkeit mit erheblichen Rechtsfolgen für die Unternehmen reagieren einige Verlage damit, dass sie sich von den „festen Freien“ trennen, die schon geraume Zeit bei ihnen tätig sind. »Dass das Problem auch zugunsten statt zulasten der freien Mitarbeiter gelöst werden kann, zeigen Tagesspiegel und Zeit Online. Als beim Tagesspiegel im vergangenen Winter eine Buchprüfung anstand, wurden viele Pauschalisten als feste Redakteure angestellt. Auch Zeit Online wandelt derzeit Pauschalisten-Stellen in feste Beschäftigungsverhältnisse um«, schreiben Fromm und Kruse in ihrem Artikel. Sie beschreiben in ihrem Artikel aber auch, dass sich die Betroffenen bislang kaum wehren gegen das System und thematisieren damit an einem konkreten Beispiel eine generelle Unwucht in der „schönen neuen Arbeitswelt“: Immer dann, wenn die Beschäftigung- bzw. Vertragsverhältnisse individualisiert werden, entsteht ein Machtgefälle zuungunsten der „Arbeitnehmer“, dem sich die meisten geschlagen geben müssen. Das ist immer auch eine Frage von Angebot und Nachfrage und nur diejenigen Arbeitnehmer, die zu Berufen mit einer Flaschenhalsfunktion gehören, werden mit einer für sie guten Lösung abgefunden werden, wenn nicht kollektive Strukturen dafür sorgen, das für die anderen zu übernehmen.

Auch in der vieldiskutierten Welt der vor uns liegenden „Industrie 4.0“ bzw. allgemeiner gesprochen der Digitalisierung zahlreicher Arbeitsprozesse, um das mal von der Industrie im engeren Sinne zu lösen, werden wir wieder mit dem Phänomen der „Arbeitszeit“ und dem arbeite- wie auch sozialrechtlichen Umgangs mit ihr konfrontiert. Als ein Beispiel sei hier auf den Artikel Wir brauchen ein neues Arbeitsrecht der beiden Rechtsanwälte Oliver Simon und Maximilian Koschker hingewiesen, die erkennen lassen, welche offenen rechtlichen Baustellen wir hier vorfinden. Daraus nur ein Passus, der die Probleme mit der „Arbeitszeit“ skizziert:

»Anschaulich wird dies etwa beim Thema „Mobiles Arbeiten“. Denn das vereint gleich eine ganze Reihe regelungsbedürftiger Fragestellungen. Und das Arbeiten jenseits des Büros wird nach Experteneinschätzung bis 2025 bei rund einem Drittel aller Beschäftigten die typische Arbeitsform sein.
Sobald Mitarbeiter von unterwegs (zum Beispiel auf Zugfahrten) oder von zu Hause aus Arbeitsaufträgen nachgehen oder auch nur außerhalb der regelmäßigen Bürozeiten erreichbar sind, stellt sich die Frage, ob sie im herkömmlichen Sinne „arbeiten“. Sollte etwa die bloße Erreichbarkeit Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes darstellen, so wäre die Einhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen Ruhezeit zwischen zwei Arbeitseinsätzen faktisch kaum noch möglich. Sollte diese dauerhafte Erreichbarkeit dann auch als Arbeitszeit zu vergüten sein, könnte das die Unternehmen teuer zu stehen kommen.
Hier gelten die folgenden Grundsätze: Erreichbarkeitszeiten, in denen es zu keinem Arbeitseinsatz des Mitarbeiters kommt, sind weder arbeitszeit-, noch vergütungsrechtlich relevant. Dies gilt selbst dann, wenn der Arbeitgeber die Erreichbarkeit außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit ausdrücklich eingefordert hat. Demgegenüber sind solche Zeiten für die Einhaltung der gesetzlichen Höchstarbeits- und Ruhezeiten zu berücksichtigen, in denen der Arbeitnehmer tatsächlich mit Kunden telefoniert oder berufliche E-Mails beantwortet hat – diese Zeiten sind auch vergütungspflichtig.«

Erneut wird erkennbar, die Referenzpunkte der bisherigen tarif- und sozialrechtlichen Ausgestaltung wie die „Arbeitsstunden“ werden nicht nur immer wackeliger, sie verlieren auch teilweise ihre Aussagekraft.

Und auch die grundsätzliche Frage, wie man sozialpolitisch mit diesen Fragen umgehen kann, stellt sich immer dringlicher. Aus einer fundamentalen sozialpolitischen Perspektive wird dies beispielsweise angesprochen von Nicolas Colin und Bruno Paliers in ihrem Beitrag „Flexicurity“ ist die Antwort. Die Frage: Wie kann eine adäquate Sozialpolitik im digitalen Zeitalter aussehen?

Einen Schritt vor und einen zur Seite. Eine römisch-katholische Tanzbewegung? Nein, das kirchliche Arbeitsrecht wird (etwas) bewegt

»Kirchliche Kitas, Schulen und Krankenhäuser werden größtenteils aus öffentlichen Mitteln finanziert. Die Kirchen bestimmen aber über die Moralvorstellungen ihrer Angestellten und verlangen deren Kirchenmitgliedschaft. Sind diese Sonderrechte noch zeitgemäß?« So lautet die Fragestellung eines längeren Beitrags von Gaby Mayr unter der Überschrift Die Sonderrechte der Amtskirchen, der vom Deutschlandradio Kultur ausgestrahlt worden ist. Ein immer wieder vorgetragenes Thema von grundsätzlicher Bedeutung, das besonders dann ins Bewusstsein gerufen wird, wenn die Amtskirche mal wieder sanktionierend tätig geworden ist (vgl. dazu aus der jüngsten Vergangenheit nur den Artikel Erzieherinnen wegen ihres Privatlebens gekündigt. Darin werden zwei unterschiedliche Fälle behandelt: Eine lesbische Erzieherin verliert ihren Job in einem Kinderhort, weil sie ihre Freundin heiratet, was auf großes Unverständnis und Kritik stößt. Einer anderen Erzieherin, die in einer Einrichtung der Diakonie arbeitet, wird gekündigt, weil sie in ihrer Freizeit Pornos dreht. In diesem Fall sei die Kündigung rechtmäßig, so das Landesarbeitsgericht in München).

Gaby Mayr beleuchtet in ihrer Reportage die gesamt Bandbreite dessen, was als „Kirchenprivilegien“ kontrovers diskutiert wird, beispielsweise dass der Staat mit seinen Finanzbehörden für die Kirchen den Kassenwart gibt (Stichwort Kirchensteuereinzug). Übrigens: Der staatliche Steuereinzug wurde in einem Konkordat von 1933 zwischen der Hitlerregierung und dem Heiligen Stuhl geregelt. Es ist der einzige internationale Vertrag der Nazi-Regierung, der nicht aufgehoben wurde.
Der Schwerpunkt des Beitrags liegt aber auf dem Sonderrecht der Kirchen hinsichtlich des Arbeitsrechts – dazu gehört auch und in diesen Tagen besonders prominent das Streikverbot der Mitarbeiter konfessionell gebundener Einrichtungen, was wir in den kommenden Tagen erleben werden, wenn die Erzieher/innen der kommunalen Kindertageseinrichtungen in einen unbefristeten Arbeitskampf ziehen werden. Ihre Kolleginnen aus den katholischen und evangelischen Einrichtungen können da nur als Zaungäste die Daumen drücken.

Hinsichtlich des eigenen Sonderarbeitsrechts der Kirchen ist viel überkommene Tradition im Spiel, die man zu Recht kritisieren kann und muss – aber auch, das macht die Sache noch schlimmer – auch viel Willkür. Hierzu ein Beispiel aus dem Beitrag von Gaby Mayr:

»Bei den beiden großen christlichen Kirchen folgen Gesetzgeber und Gerichte häufig dem, was die Kirchen selber für ihr gutes Recht halten. So gab im Oktober 2014 das Verfassungsgericht einem katholischen Krankenhaus Recht, das einen Chefarzt wegen seiner Wiederverheiratung nach der Scheidung entlassen hatte. Das falle unter das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen, urteilte Karlsruhe.«

Das ist die eine Seite der Medaille. Nun könnte man an dieser Stelle argumentieren, schlimm genug, dass man für eine Angelegenheit aus dem Privatleben dermaßen und möglicherweise existenzbedrohend sanktioniert werden kann. Aber wenn dann wenigstens die Praxis des Umgangs mit dem Thema einheitlich und verlässlich wäre – also wenn die Lage so wäre, dass jeder, der sich auf eine Tätigkeit in einem konfessionell gebundenen Unternehmen einlässt, weiß, das es diese Konsequenzen haben wird. Aber dem ist in praxi gerade nicht so. Ich kenne zahlreiche Chefärzte katholischer Krankenhäuser, die in – aus katholischer Sicht – völlig „unverantwortlichen“ privaten Verhältnissen leben. Und kein Hahn kräht danach. Weil auch die katholischen Träger von Gesundheits- und Sozialeinrichtungen wissen genau, was das Wort Fachkräftemangel bedeutet. Und wenn sie die Positionen nicht anders besetzt bekommen, dann drücken sie auch gerne mal zwei Augen ganz dicke zu.

Aber jetzt kommt Hoffnung auf, wenn man denn den Überschriften trauen darf: Deutsche Bischöfe ändern kirchliches Arbeitsrecht oder Katholische Kirche geht auf geschiedene Mitarbeiter zu, um nur zwei Berichte zu zitieren. Was ist passiert? Hat man endlich ein Einsehen, dass 99% der Katholiken sowieso anders leben, als es die kirchliche Moral sich so vorstellt? Akzeptiert man, dass die Menschen ein Recht haben, selbst zu entscheiden, wie sie ihr Privatleben verbringen?
Die Antwort wird nicht überraschen, denn sie fällt typisch katholisch aus: Ein bisschen schon und man weiß um diese an sich verwerflichen Dinge, aber man will es auch nicht übertreiben mit dem Entgegenkommen. Signale der Ermunterung und Hoffnung, dass es vorangeht, aussenden und die Zügel in der Hand zu halten hoffend, so kann man das vielleicht beschrieben.

Schauen wir uns den Sachverhalt an, um den es geht:

Die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) hat eine Änderung des kirchlichen Arbeitsrechts beschlossen – das hört sich doch erst einmal vielversprechend an. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) klärt uns auf vgl. dazu den Beitrag Deutsche Bischöfe ändern kirchliches Arbeitsrecht): »Reformen gibt es insbesondere im Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen und Angestellten, die in eingetragenen Lebenspartnerschaften leben. Außerdem sollen die Gewerkschaften – als Reaktion auf ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts von 2012 – mehr Mitsprache bei der Aushandlung der Arbeitsbedingungen erhalten.«

Wie immer im Leben muss man ins Kleingedruckte schauen: Beschlossen wurde eine Änderung der sogenannten „Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse“ (Grundordnung – GrO). Da stehen jetzt die Neuerungen drin. Aber: Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken appellierte an die 27 Oberhirten, ein einheitliches kirchliches Arbeitsrecht in Deutschland zu erhalten. Sicher ist das nicht. Denn vergangene Woche hatten nur «mehr als zwei Drittel» der Diözesanbischöfe für die Reform gestimmt. Sollte der ein oder andere Bischof die neue Grundordnung nicht in Kraft setzen, gilt in seinem Bistum die alte Rechtslage.

Scheidung und erneute standesamtliche Heirat soll in katholischen Krankenhäusern, Kindergärten oder Schulen in Deutschland nur noch in Ausnahmefällen ein Kündigungsgrund sein. So kann man es jetzt lesen. Aber man muss schon genauer hinschauen, beispielsweise in die Mitteilung der Deutschen Bischofskonferenz: »Die erneute standesamtliche Heirat nach einer zivilen Scheidung ist zukünftig grundsätzlich dann als schwerwiegender Loyalitätsverstoß zu werten, wenn dieses Verhalten nach den konkreten Umständen objektiv geeignet ist, ein erhebliches Ärgernis in der Dienstgemeinschaft oder im beruflichen Wirkungskreis zu erregen und die Glaubwürdigkeit der Kirche zu beeinträchtigen. Dasselbe gilt für das Eingehen einer eingetragenen Lebenspartnerschaft.«
Man muss das mal eine Zeit lang auf sich wirken lassen – ein „erhebliches Ärgernis in der Dienstgemeinschaft“. Klarheit sieht anders aus. Nicht Fisch, nicht Fleisch.

Angekündigt werden auch Verbesserungen im kollektiven Arbeitsrecht – und da geht es vor allem um die (Nicht-)Rolle der Gewerkschaften. Hierzu erfahren wir:

Öffnungen gibt es auch mit Blick auf die Beteiligung der Gewerkschaften, die bei der Gestaltung der kirchlichen Arbeitsbedingungen mit am Tisch sitzen wollen. In Zukunft sollen sie – je nach gewerkschaftlichem Organisationsgrad der kirchlichen Angestellten – in den arbeitsrechtlichen Kommissionen von Kirche und Caritas repräsentiert sein. Zugleich heißt es aber in der neuen Grundordnung, dass «kirchliche Dienstgeber keine Tarifverträge mit Gewerkschaften abschließen. Streik und Aussperrung scheiden ebenfalls aus.»

Fortschritt sieht anders aus. Bewegung ja, aber eben eher tänzerische Pirouetten.
Aber man kann es auch gelassen sehen. Spätestens, wenn der „doppelte Fachkräftemangel“ die konfessionell gebundenen Einrichtungen immer stärker erreicht, wird es weitere Bewegungen geben müssen. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.

Der Blick verengt sich auf den mehrtägig angelegten Streik der Lokführer. Und gleichzeitig wird im Parlament das Streikrecht und seine (eingeschränkte) Zukunft auf die Tagesordnung gesetzt

Alle Augen sind auf den nun im Güterverkehr angelaufenen und morgen auch den Personenverkehr erreichenden mehrtägigen Ausstand der Lokführergewerkschaft GDL gerichtet. Wie auch immer man dazu steht – ein Aspekt taucht immer wieder auf, wenn es um die Frage geht, warum die GDL diese enorme Eskalation der Arbeitskampfmaßnahme vorantreibt: Gemeint ist der Hinweis auf das „Tarifeinheitsgesetz“ der Bundesregierung, das diese derzeit durch den Bundestag schleust.  Bereits ab 1. Juli soll das Tarifeinheitsgesetz nach dem Willen der Koalitionäre in Kraft treten. Heute fand nun im Ausschuss für Arbeit und Soziales des Bundestages eine Sachverständigenanhörung statt. Unter der Überschrift Kontroverse zur Tarifeinheit berichtet der Pressedienst des Parlaments darüber. Ergänzend auch die Stellungnahmen der Sachverständigen zum Entwurf eines Tarifeinheitsgesetzes. Zur Diskussion stand außerdem ein Antrag der Fraktion Die Linke (18/4184) und ein Antrag von Bündnis 90/Die Grünen (18/2875). Darin sprechen sich die Fraktionen gegen die geplante Gesetzesinitiative aus. Im Mittelpunkt stand aber das, was die Bundesregierung beabsichtigt:
»Der derzeit vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Tarifeinheit (18/4062) sollte noch nicht das letzte Wort zu diesem Thema sein. So lassen sich, vereinfacht gesagt, die Äußerungen der Sachverständigen in einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales am Montagmittag zusammenfassen.«

Klar für das Gesetz sprachen sich der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) aus. Bei der BDA verwundert das nicht, das Votum des DGB überrascht dann schon etwas, wenn man weiß, dass es innerhalb der Gewerkschaften erhebliche Widerstände gibt, vor allem gegen die – seitens der Kritiker behauptete – faktische Einschränkung des Streikrechts.

Erhebliche Zweifel wurden auch von einigen geladenen Sachverständigen vorgetragen:

»Gregor Thüsing, Direktor des Instituts für Arbeitsrecht und Recht der sozialen Sicherheit der Universität Bonn, sprach sich zwar grundsätzlich für das Ziel aus, die Zersplitterung der Tariflandschaft gesetzlich verhindern zu wollen. Er äußerte jedoch in einigen Punkten deutliche Zweifel an den im Entwurf vorgeschlagenen Mitteln. So bezeichnete er einige „Sicherungsmittel“, die die Verfassungskonformität des Entwurfs gewährleisten sollen, als „absurd“. Ein einklagbares Recht der Minderheitsgewerkschaft, ihre Forderungen mündlich vortragen zu dürfen sei genauso funktionslos wie das Recht einer Gewerkschaft, den von ihr nicht mit beeinflussten Tarifvertrag einer Konkurrenzgewerkschaft nachzuzeichnen.«

»Am deutlichsten äußerten der Arbeitsrechtler Wolfgang Däubler und Gerhart Baum, ehemaliger Bundesinnenminister, ihre Kritik. So verwies Däubler darauf, dass die Arbeitgeberseite künftig durch legale Maßnahmen die Struktur der Arbeitnehmerseite so beeinflussen könne, dass die von ihr geschätzte Gewerkschaft die Mehrheit im Betrieb habe. Das greife aber in die Unabhängigkeit der Gewerkschaften ein und lasse sich nicht mit dem Grundgesetz vereinbaren, sagte Däubler. Außerdem sei es fraglich, wie festgestellt werden solle, welche Gewerkschaft die Mehrheitsgewerkschaft sei. Noch unklar sei, welche Arbeitnehmer als betriebszugehörig gezählt würden, was mit den „Karteileichen“ geschehe oder mit jenen, die sich weigerten, ihre Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft offenzulegen.«

Der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum »kritisierte, dass das mehrheitlich bestehende gute Kooperationsklima zwischen den Tarifpartnern durch das geplante Gesetz gestört werde und die Gefahr bestehe, dass die Öffentlichkeit allgemein gegen das Streikrecht mobilisiert werden soll. „Das betrifft dann auch den DGB“, sagte Baum.«

Ebenfalls zu Wort gemeldet hat sich heute die ehemalige stellvertretende DGB-Bundesvorsitzende Ursula Engeren-Kefer in ihrem Blog unter der mehr als eindeutigen Überschrift Hände weg vom Streikrecht. Sie wägt die Vor- und Nachteile der Tarifeinheit ab, findet aber klare Worte beim Thema Streikrecht:

»In jedem Fall ist es jedoch eine unzulässige Einschränkung des grundgesetzlich verbrieften Rechts auf Vereinigungs- und Tarifvertragsfreiheit, wenn den Spartengewerkschaften per Gesetz das eigenständige Streikrecht genommen werden soll. Die vorgesehene Regelung in den Eckpunkten zu einem derartigen Gesetz, die bereits im Sommer vom BMAS vorgelegt worden waren, ist über das zuträgliche Maß hinausgegangen. Danach wären die Spartengewerkschaften zu der Einhaltung des Tariffriedens während der Laufzeit des Tarifvertrages der Mehrheitsgewerkschaft gezwungen und hätten deren Tarifergebnis übernehmen müssen.  Dies wäre dem faktischen „Tod“ derartiger Spartengewerkschaften gleichzusetzen. Warum soll ein Arbeitnehmer für die Mitgliedschaft in einer Spartengewerkschaft dann überhaupt Beiträge zahlen? Damit würde eine grundgesetzwidrige Einschränkung des Rechts auf Vereinigungsfreiheit und Tarifautonomie  erfolgen … Jede gesetzliche Einschränkung des Streikrechtes der Spartengewerkschaften verstößt  gegen § 9 des Grundgesetzes und die dem zugrundliegenden Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), 87 und 98. Gewerkschaften ohne Streikrecht haben keine Existenzberechtigung.«

Engelen-Kefer präsentiert aber auch einen Lösungsansatz jenseits des Weiter so:

»Die Bundesregierung ist daher gut beraten, wenn  sie von ihrem diesbezüglichen Vorhaben Abstand nimmt und den Gesetzentwurf  entsprechend abschwächt. Dabei könnte es durchaus berechtigt sind, von Mehrheits- und Spartengewerkschaft zu verlangen, sich regelmäßig über die Tarifpolitik abzustimmen. Ziel muss dabei sein, die Interessen der zu betreuenden Menschen sowie der zu erbringenden Dienstleistungen, der übrigen Mitarbeiter und der wirtschaftlichen sowie finanziellen Rahmenbedingungen zu beachten. Zum Beispiel könnten  für den Fall des Konfliktes geeignete Schiedsverfahren vorgesehen werden.«

Große Zweifel an dem Tarifeinheitsgesetz wurde hier schon an anderer Stelle formuliert, beispielsweise am 05.03.2015 in dem Beitrag Schwer umsetzbar, verfassungsrechtlich heikel, politisch umstritten – das ist noch nett formuliert. Das Gesetz zur Tarifeinheit und ein historisches Versagen durch „Vielleicht gut gemeint, aber das Gegenteil bekommen“.

Besonders relevant vor dem Hintergrund zum einen des aktuellen Gesetzgebungsverfahrens, von dem man plausibel annehmen kann, dass es die parlamentarische Hürde nehmen wird, zum anderen aber auch der Wutwelle, die jetzt gegen die GDL und deren Mega-Streik aufgebaut und die sich in den kommenden Tagen entfalten wird (wobei hier nur angemerkt werden kann, dass es auch die GDL verteidigende Kommentierungen gibt, beispielsweise Bahnvorstand will Unterwerfung von Pascal Beucker, Ein Lob des Streiks von Andreas Oswald oder Danke, GDL von Tom Strohschneider), sind die Hinweise in dem Beitrag vom 20.04.2015: Die Katze aus dem Sack lassen. Unionspolitiker fordern eine explizite Verankerung des Streikverbots für kleine Gewerkschaften und in der „Daseinsvorsorge“ Einschränkungen des Streikrechts für alle: Der Wirtschaftsflügel der CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat ein Streikverbot für die kleineren Gewerkschaften innerhalb eines Betriebes gefordert. Das geht aus einem Positionspapier hervor, das der Wirtschaftsflügel an den Vorsitzenden der Unionsfraktion Volker Kauder geschickt hat, kann man dem Beitrag entnehmen. Zudem fordern die Unionspolitiker, dass das Streikrecht im Bereich der „Daseins­vorsorge“ eingeschränkt wird, beim Luft- und Bahnverkehr zum Beispiel, aber ebenso im Erziehungswesen, der Energie- und Wasserversorgung und der medizinischen Versor­gung. Das Papier des Wirtschaftsflügels der Union ist erfrischend deutlich: „Der Ergänzungsvorschlag für die Daseinsvorsorge erfasst Streikfälle mit besonderer Breitenwirkung“. Die sollen in die Mangel genommen werden.

Dazu passt dann leider auch der Artikel Ziel: Kampf dem Arbeitskampf von Claudia Wrobel. Sie berichtet von einem „Hearing zum Entwurf des Tarifeinheitsgesetzes“, zum dem der Deutsche Beamtenbund und Tarifunion (dbb) in Berlin geladen hatte. Die  Bundestagsfraktionen von SPD und CDU/CSU hatten keine Vertreter zu dem Symposium geschickt. Wrobel notiert am Ende ihres Artikels, dass viele an dem Symposium Teilnehmenden oft »bemerkten …, dass es der Bundesregierung vor allem darum gehe, die Streiks der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) einzuschränken. Allerdings traue sie sich nicht, dies öffentlich zuzugeben.«

Man kann nur weiterhin hoffen, dass die Gewerkschaften und vor allem die Spitze des DGB erkennt, auf was für eine schiefe Bahn man sich hier hat setzen lassen.

Die kollektiv-schöne und die individuell-willkürliche Seite der Arbeitsverhältnisse – und die Realitäten dazwischen. Oder: Was der Tarifabschluss in der Metallindustrie mit Privatdetektiven zu tun hat

In der vergangenen Wochen hat es immer wieder hier und da Warnstreiks der in der IG Metall organisierten Arbeitnehmer gegeben – und nun wurde nach fünfzehnstündigen Verhandlungen ein erstes Tarifergebnis erzielt. 3,4 Prozent mehr Geld ab April 2015 bei einer Laufzeit von zwölf Monaten, eine Einmalzahlung von 150 Euro für die drei Monate Januar bis März 2015, erste Schritte in Richtung geförderter Bildungsteilzeit sowie eine verbesserte Altersteilzeit, so lassen sich die wichtigsten Bausteine des Abschlusses für die 800.000 Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie in Baden-Württemberg  – mit bundesweiter Pilotfunktion – zusammenfassen. Diese Regelungen werden erwartbar gelten für die bundesweit 3,7 Millionen Beschäftigte der Metall- und Elektroindustrie. Damit sind mögliche Streiks in dieser zentralen Industriebranche vom Tisch. Die Gewerkschaft kann mit diesem Ergebnis angesichts der drei zentralen Ausgangsforderungen – mehr Geld (die Forderung belief sich auf 5,5 Prozent), eine bessere Altersteilzeitregelung und als neues Instrument die Einführung einer geförderten Bildungsteilzeit – zufrieden sein. Die Beschäftigten kommen angesichts der derzeitigen und für die kommenden Monaten erwartbar niedrigen Inflation zu einem ordentlichen Reallohnanstieg. Beim Thema Altersteilzeit sei es gelungen, den bestehenden Tarifvertrag zu verbessern.
„Die Beschäftigten in den unteren Entgeltgruppen würden besser gestellt. Sie kommen nun auf circa 90 Prozent ihres Nettoentgelts und können sich so den verdienten Ausstieg aus dem Arbeitsleben leisten“, so wird Detlef Wetzel, Erster Vorsitzender der IG Metall, zitiert. Die Arbeitgeber wollten die Anzahl der Anspruchsberechtigten reduzieren, es bleibt aber bei der bisherigen Vier-Prozent-Quote. Am wenigsten erreichen konnte die IG Metall bei der neuen Komponente einer geförderten Bildungsteilzeit. Hier konnte man die grundsätzliche Blockade der Arbeitgeberseite aufbrechen, aber noch nicht wirklich mehr. Wobei das auch nicht überraschend ist, denn der Widerstand gegen dieses neuartige Instrument auf der Arbeitgeberseite ist aus durchaus nicht von der Hand zu weisenden Gründen (noch) stark ausgeprägt und auch der Gewerkschaft war klar, dass sie ihre Mitglieder kaum zu einem großen Arbeitskampf hätte motivieren können, wenn ein Tarifabschluss nur an der Bildungsteilzeit gescheitert wäre, denn das ist auch für viele Arbeitnehmer keine Herzensangelegenheit – anders als mehr Geld und Ausstiegsoptionen vor dem Rentenalter.

Der neue Tarifabschluss in der Metall- und Elektroindustrie steht stellvertretend für mehrere volkswirtschaftlich und sozialpolitisch relevante Aspekte. Zum einen verdeutlicht er die Vorteile einer (noch) funktionierenden Tarifautonomie. Arbeitgeber und Gewerkschaften wissen – meistens – am besten, wo der Kompromisspunkt liegt zwischen den je für sich berechtigten Interessen der Unternehmen und der Beschäftigten, gerade bei den flächendeckenden Tarifverträgen in einzelnen Branchen wird überwiegend ein vertretbarer Kompromiss innerhalb des nie auflösbaren Dilemmas zwischen Betriebs- und Volkswirtschaft aufgrund des Doppelcharakters der Löhne ausgehandelt.

Außerdem hat die IG Metall erneut unter Beweis gestellt, dass sie eine wortgewaltig auftretende, zugleich aber auch eng an die betrieblichen Realitäten angekoppelte Industriegewerkschaft ist, die verantwortungsvoll agiert. Natürlich beschwören die Arbeitgeberfunktionäre im Nachgang, dass man unter dem Druck drohender Arbeitskampfmaßnahmen über die „Schmerzgrenze“ des eigentlich Vertretbaren hinausgehen musste, aber angesichts der Lage in der Branche insgesamt können die meisten Unternehmen sicher mit dem nunmehr gefundenen Tarifergebnis leben, ansonsten hätte es nicht so schnell eine Einigung gegeben. Ein weiterer Aspekt: Das Tarifergebnis verdeutlicht auch, wie wichtig und nützlich ein ordentlicher Organisationsgrad der Beschäftigten einer Branche in einer Gewerkschaft ist bzw. sein kann – für die Beschäftigten.

In welchem Ausmaß auch immer – aber es ist durchaus plausibel, dem vergleichsweise zu anderen Branchen (noch) hohen Kollektivierungsgrad in der Metallindustrie einen eigenständigen Anteil an den positiven Merkmalen, die diese Branche auszeichnen, zuzuschreiben: »Rund 3,7 Millionen Menschen erwirtschafteten 2013 in knapp 24.000 Betrieben einen Jahresumsatz von rund 999 Milliarden Euro. Das Jahresbruttoeinkommen der Beschäftigten beträgt im Schnitt rund 50.000 Euro. Fast immer sind die Arbeitsverhältnisse laut Arbeitgeberverband unbefristet (95,5 Prozent) und Vollzeit (93,3 Prozent). 17 Prozent der Beschäftigten sind akademisch ausgebildet und weitere 60 Prozent ausgebildete Fachkräfte. Nur noch rund ein Fünftel ist angelernt. Dieser Anteil wird weiter schrumpfen, erwarten IG Metall und Arbeitgeber«, können wir einem Artikel entnehmen. Und gerade zum letzten Punkt liefert der neue Tarifabschluss ebenfalls Belege, wie sinnvoll eine tarifliche Strukturierung sein kann, denn wenn auch die von der IG Metall geforderte Bildungsteilzeit allenfalls embryonal verwirklicht wird, so hat man sich auf der anderen Seite auf Modelle zur Weiterbildung von Un- und Angelernten verständigt.

Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) in der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung hat passend zum neuen Tarifabschluss in diesen Tagen eine Analyse der Lohnentwicklung in den vergangenen Jahren vorgelegt, aus der auch die nebenstehende Abbildung entnommen wurde: Reallöhne erstmals wieder höher als im Jahr 2000. »14 Jahre hat es gedauert: Ende 2014 lagen die durchschnittlichen Bruttolöhne je Beschäftigtem preisbereinigt um 1,4 Prozent höher als 2000 … Schwierige wirtschaftliche Rahmenbedingungen und die Deregulierung am Arbeitsmarkt hatten … (in den 2000er Jahren) die Entwicklung der Arbeitseinkommen gebremst. Der Niedriglohnsektor wuchs. Am Tiefpunkt der Entwicklung im Jahr 2009 hatten die realen Bruttolöhne um 4,3 Prozent niedriger gelegen als 2000«, so die Wissenschaftler des WSI. Und dann der hier entscheidende Punkt: »Stärker sind die Tariflöhne und -gehälter gestiegen. Sie waren 2014 real um 10,9 Prozent höher als im Jahr 2000. Meist beobachteten die Experten des WSI-Tarifarchivs in diesem Zeitraum eine negative Lohndrift. Das heißt: Die Bruttoeinkommen, in die unter anderem auch die Löhne der nicht nach Tarif bezahlten Arbeitnehmer einfließen, blieben hinter den Tarifeinkommen zurück.« Diesen Befund kann man in der Abbildung sehr gut erkennen. In den vergangenen anderthalb Jahrzehnten sank die Tarifbindung. Ein wichtiger Grund dafür, dass Steigerungen bei den Tariflöhnen nur zum Teil auf die Bruttoverdienste durchschlugen, so der WSI-Tarifexperte Reinhard Bispinck.

Viele Arbeitnehmer in anderen Branchen sollten die Erfahrungen, die man hier gesammelt hat, als Anregung verstehen, sich selbst stärker (wieder) in den Gewerkschaften zu organisieren, denn nur, wenn der Organisationsgrad eine kritische Masse erreicht, können die Gewerkschaften ihre Rolle überhaupt ausüben.

Nun wird sich der eine oder die andere fragen, was denn der Tarifabschluss der IG Metall mit Privatdetektiven zu tun hat, wie es der Titel des Blog-Beitrags in den Raum stellt. Es geht dabei um ein – scheinbar – völlig anderes Thema aus der Arbeitswelt, mit dem wir in diesen Tagen konfrontiert wurden und das die individuelle Seite des Arbeitsverhältnisses in einem unangenehmen Bereich beleuchtet, also gleichsam das andere Ende des Spektrums, denn bisher haben wir uns mit der kollektiven Seite am Beispiel des neuen Tarifabschlusses auseinandergesetzt: Observation durch einen Detektiv mit heimlichen Videoaufnahmen, so trocken – wie so oft – hat das Bundesarbeitsgericht seine Pressemeldung zu einem neuen Urteil (8 AZR 1007/13) überschrieben.

Die Entscheidung der obersten Arbeitsrichter: »Ein Arbeitgeber, der wegen des Verdachts einer vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit einem Detektiv die Überwachung eines Arbeitnehmers überträgt, handelt rechtswidrig, wenn sein Verdacht nicht auf konkreten Tatsachen beruht. Für dabei heimlich hergestellte Abbildungen gilt dasselbe. Eine solche rechtswidrige Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts kann einen Geldentschädigungsanspruch („Schmerzensgeld“) begründen.«
Zuerst ein Blick auf den konkreten Sachverhalt, der dem Urteil des BAG zugrunde liegt:

»Die Klägerin war bei der Beklagten seit Mai 2011 als Sekretärin der Geschäftsleitung tätig. Ab dem 27. Dezember 2011 war sie arbeitsunfähig erkrankt, zunächst mit Bronchialerkrankungen. Für die Zeit bis 28. Februar 2012 legte sie nacheinander sechs Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor, zuerst vier eines Facharztes für Allgemeinmedizin, dann ab 31. Januar 2012 zwei einer Fachärztin für Orthopädie. Der Geschäftsführer der Beklagten bezweifelte den zuletzt telefonisch mitgeteilten Bandscheibenvorfall und beauftragte einen Detektiv mit der Observation der Klägerin. Diese erfolgte von Mitte bis Ende Februar 2012 an vier Tagen. Beobachtet wurden ua. das Haus der Klägerin, sie und ihr Mann mit Hund vor dem Haus und der Besuch der Klägerin in einem Waschsalon. Dabei wurden auch Videoaufnahmen erstellt. Der dem Arbeitgeber übergebene Observationsbericht enthält elf Bilder, neun davon aus Videosequenzen. Die Klägerin hält die Beauftragung der Observation einschließlich der Videoaufnahmen für rechtswidrig und fordert ein Schmerzensgeld, dessen Höhe sie in das Ermessen des Gerichts gestellt hat. Sie hält 10.500 Euro für angemessen.«

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts in diesem Fall: »Die Observation einschließlich der heimlichen Aufnahmen war rechtswidrig. Der Arbeitgeber hatte keinen berechtigten Anlass zur Überwachung.« Der zentrale Punkt der Entscheidung: Ohne konkreten Verdacht sei die Überwachung eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. »Dadurch sind die Rechte der Arbeitnehmer gestärkt, ebenso die arbeitsrechtliche Relevanz der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eines Arztes. Ihr ist erst einmal grundsätzlich Glauben zu schenken, solange keine Tatsachen dagegen sprechen. Für Arbeitgeber, die einen Angestellten verdächtigen, „krank zu feiern“, wird es riskanter, ihn beschatten zu lassen«, so Henry Bernhard in einem Beitrag für den Deutschlandfunk. Es ist ein heikles, gleichsam vermintes Gelände, in dem man sich bewegt. Das „Sowohl-als-auch“-Dilemma kann man dem Interview „Ein Bauchgefühl rechtfertigt keine Spionage“ mit der Arbeitsrechtlerin Monika Birnbaum entnehmen.

Heribert Prantl spricht in seiner Kommentierung Gesetz aus der Altsteinzeit von einem „erfreulich klaren Urteil“ des Bundesarbeitsgerichts. Er ordnet das so ein:

»Dieser gerichtliche Schutz ist notwendig, weil der Gesetzgeber säumig ist. Praktiken, wie sie in den vergangenen Jahren eingerissen sind, hätten längst per Gesetz verboten werden müssen. Seit den Lidl-Bahn-Telekom-Skandalen vor etwa fünf Jahren weiß die Öffentlichkeit, wovor der Datenschutz schützen muss; aber der Gesetzgeber hat nichts getan: Der Datenschutz muss davor schützen, dass Angestellte auf dem Klo und in den Umkleidekabinen ihrer Firma von Videokameras gefilmt werden. Der Datenschutz muss davor schützen, dass die Chefs den Telefon- und Telekommunikationsverkehr ihrer Angestellten umfassend und systematisch abhören, kontrollieren und auswerten lassen. Der Datenschutz muss davor schützen, dass Personalchefs Dossiers über die Macken und Krankheiten ihrer Beschäftigten anlegen.
Aber nichts davon findet man bis heute im Datenschutzgesetz. Dieses Gesetz stammt von 1977; das ist, wenn es um Informationen geht, die Altsteinzeit. Eine Transformation ins 21. Jahrhundert hat das Gesetz nie erfahren; die Novellierung von 2009 war unzureichend. Der Arbeitnehmerdatenschutz ist daher bisher eine Sache der Gerichte geblieben.«

Und damit spricht er eine wichtige Dimension an, die wiederum verdeutlicht, dass es hier einen Link gibt zum kollektiven Ende des Arbeitsverhältnisses: Der Schutz der Arbeitsverhältnisse in ihrer Gesamtheit in einem Unternehmen ist sein Thema und damit der Schutz des an sich im Nachteil befindlichen Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber. Und angesichts der tatsächlichen Überwachungsexzesse in vielen Unternehmen in den vergangenen Jahren kann man dem nur zustimmen. Keine Frage. Aber auch Prantl deutet ein grundsätzliches Problem an, wenn er schreibt: »Gewiss: Bisweilen gibt es Grund zum Misstrauen. Aber Überwachungsmaßnahmen ohne konkrete Anhaltspunkte sind und bleiben unzulässig.« Das ist ja auch die Argumentation des Bundesarbeitsgerichts. Aber was bedeutet das nun konkret – und zwar für den Arbeitgeber, der gerade nicht willkürlich einen Arbeitnehmer abstrafen will, sondern der vielleicht sogar begründet den konkreten Verdacht hat, dass ein Mitarbeiter betrügerisch handelt, in dem er oder sie eine Arbeitsunfähigkeit vortäuscht? Und seien wir ehrlich – natürlich gibt es diese Fälle, die dann übrigens nicht nur zu Lasten des Arbeitgebers, sondern auch der anderen Arbeitnehmer im Unternehmen gehen. Wann liegt denn ein „konkreter Verdacht“ vor, der eine – grundsätzlich übrigens nicht verbotene Überwachung durch einen Privatdetektiv – rechtfertigen würde?

Man darf gespannt sein, ob das in einer annähernd handhabbaren Art und Weise konkretisiert wird. Unabhängig davon zeigt sich an dieser Stelle die Sinnhaftigkeit einer gleichsam zweiten Ebene der Kollektivierung auf der Arbeitnehmerseite. Denn neben den Gewerkschaften, die auf der tarifvertraglichen Ebene unterwegs sind, gibt es – grundsätzlich – die Betriebsräte in den Unternehmen. Und die sind nach dem Betriebsverfassungsgesetz nicht nur verpflichtet, die Interessen der Arbeitnehmer zu vertreten, sondern auch vertrauensvoll mit dem Unternehmen zusammenzuarbeiten. Und hierzu könnte auch gehören, dass der Arbeitgeber bei aus seiner Sicht berechtigten konkreten Zweifeln am Tun eines einzelnen Arbeitnehmers zur Aufklärung des Sachverhalts mit dem Betriebsrat zusammenzuarbeiten, um den ansonsten naheliegenden Verdacht eines willkürlichen Handelns gegen eine bestimmte Person zu entkräften.

Allerdings zeigt sich an dieser Stelle wieder einmal ein Schaden der Entwicklung der vergangenen Jahre: Die Zahl der Beschäftigten und der Betriebe, in denen es einen Betriebsrat gibt, hat in den vergangenen Jahren abgenommen und immer mehr Arbeitgeber verfolgen auch aktiv die Strategie, das gesetzlich verankerte Recht, einen Betriebsrat ins Leben zu rufen, mit allen Mitteln zu blockieren. Das rächt sich dann an anderer Stelle. Man kann eben nicht alles haben.

Foto: Screenshot von der Webseite der IG Metall am 24.02.2015 

3,40 Euro Stundenlohn sind sittenwidrig. Und wer so was macht als Arbeitgeber, handelt „subjektiv verwerflich“. Genau so ist das

Der heutige Tag eignet sich doch hervorragend für eine „frohe“ Botschaft:
3,40 Euro Stundenlohn ist sittenwidrig, melden viele Zeitungen mit Bezug auf ein Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf. Das ist doch mal eine Ansage.

Das Landesarbeitsgericht hat dazu eine Pressemitteilung herausgegeben – Sittenwidrige Vergütung für Schulbusbegleiterin -, der wir den Sachverhalt entnehmen können, um den es hier geht.

»Die Klägerin war bei der Beklagten vom 10.02.2012 bis zum 31.10.2012 als Busbegleitung beschäftigt. Ihre Aufgabe bestand darin, während einer morgendlichen Tour gemeinsam mit einer Busfahrerin geistig und körperlich behinderte Schüler an verschiedenen Zustiegspunkten abzuholen und zur Schule zu bringen. Nachmittags waren die Schüler nach Beendigung des Unterrichts wieder abzuholen und nach Hause zu fahren. Die Klägerin erhielt hierfür zwei Tourpauschalen pro Arbeitstag in Höhe von jeweils 7,50 Euro. Das Arbeitsentgelt erhielt die Klägerin nur bei erbrachter Arbeitsleistung. Entgeltfortzahlung für Feiertage und Arbeitsunfähigkeit erhielt sie nicht. Bezahlter Erholungsurlaub wurde nicht gewährt.«

Das fand die Klägerin nicht nur nicht in Ordnung, sondern ein sittenwidriges Verhalten des Arbeitgebers: »Die Klägerin verlangt eine Vergütung gemäß dem Tarifstundenlohn für das private Omnibusgewerbe in Nordrhein-Westfalen von 9,76 Euro brutto, weil die ihr gezahlte Vergütung sittenwidrig sei.«

Das Gericht hat sich beraten und ist zu einem eindeutigen Ergebnis gekommen:

»Der tatsächliche Stundenverdienst der Klägerin an Einsatztagen von 3,40 Euro war sittenwidrig niedrig. Der objektive Wert der Arbeitsleistung betrug 9,76 Euro brutto pro Stunde. Das allgemeine Lohnniveau wird durch den Tarifstundenlohn des privaten Omnibusgewerbes in Nordrhein-Westfalen bestimmt, weil mehr als 50 % der Arbeitgeber kraft Mitgliedschaft im tarifschließenden Arbeitgeberverband organisiert sind. Die subjektive Verwerflichkeit ist gegeben.«

Über die „subjektive Verwerflichkeit“ sollte sich der eine oder andere Anbieter solcher Dienstleistungen Gedanken machen – gerade auch wohlfahrtsverbandliche Anbieter, denn von denen werden hier und da ähnlich niedrige Vergütungen gerade im Bereich der Behindertentransporte berichtet. Also geht in euch und beseitigt die „subjektive Verwerflichkeit“, ansonsten müssen das andere machen.
Für die Klägerin hat das Urteil ganz handfeste Konsequenzen:

»Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hat der Klägerin weitere 3.982,12 Euro brutto an Vergütung und 369,00 Euro brutto Urlaubsabgeltung zugesprochen. Der der Klägerin gezahlte Lohn von 15,00 Euro pro Arbeitstag (zwei Tourpauschalen), war sittenwidrig niedrig, weil die Klägerin täglich eine Arbeitsleistung von 4 Stunden und 25 Minuten erbrachte.«

Allerdings ist das erst einmal ein Weihnachtsgeschenk unter Vorbehalt, denn der letzte Satz der Pressemitteilung des Landesarbeitsgerichts lautet:
Das Landesarbeitsgericht hat die Revision zugelassen. Dann wollen wir mal hoffen, dass es die Diagnose einer „subjektiven Verwerflichkeit“ auch nach oben schafft, wenn denn das betroffene Unternehmen diesen Weg beschreiten sollte.