Ältere Arbeitnehmer im Sandwich-Dilemma zwischen der Aussicht auf eine bessere Zukunft und einer für viele heute enttäuschenden Realität

Man kennt das – da wird seit einigen Jahren immer wieder und immer öfter über die Folgen des demografischen Wandels für die Arbeitswelt diskutiert und die einen werfen beunruhigende Bilder an die Wand, während die anderen der Demografie nicht über den Weg trauen und in jeder Bezugnahme darauf gleich irgendwelche bösen Absichten vermuten. Wie so oft liegt die Wahrheit wohl in der Mitte. Die Abbildung hinsichtlich der Altersverteilung der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Rheinland-Pfalz illustriert exemplarisch auf einen Blick, welche Veränderungen sich allein in den wenigen Jahren seit 2000 abgespielt haben.

Die meisten Beschäftigten sind zwischen 45 und 55 Jahre alt und sie werden in den kommenden Jahren gemeinsam älter werden in den Unternehmen und angesichts der erheblichen Eingriffe in das Rentenrecht – die nur episodisch für einige Jahrgänge und von denen auch nur für ein Teil durch die Rente mit 63 abgemildert werden – werden viele so lange wie es nur irgendwie geht durchhalten müssen im Job. Das wird ganz neue Anforderungen stellen auch an die Unternehmen, die bislang aus dem „jungen Vollen“ schöpfen konnten und das – im Zusammenspiel mit kulturellen Faktoren wie einer Dominanz des Defizitmodells mit Blick auf ältere Arbeitnehmer (allerdings nicht bezogen auf das Management und die Führungskräfte) – wird sich nur sehr langsam auflösen und der notwendige Paradigmenwechsel vor allem in den Köpfen der Entscheider wird dauern und widerständig ablaufen – trotz aller wiederkehrenden Thematisierung, wie wichtig doch die älteren Arbeitnehmer sind und vor allem wie wichtig sie werden.

Aber die Übergangszeit nicht nur hin zu einer notgedrungenen Akzeptanz einer älter werdenden Arbeitswelt und der damit verbundenen Probleme und Herausforderungen, sondern darüber hinaus hin zu einer aktiv-gestaltenden und positiv die Veränderungen aufgreifenden Haltung wird sich noch ziehen wie Kaugummi, denn die Prägung der letzten Jahrzehnte wird man nicht per Knopfdruck ablegen können, auch wenn ein schnellerer Übergang sehr helfen würde, die notwendigen Anpassungen rechtzeitig in die Wege leiten zu können, denn natürlich wird man erhebliche Veränderungen vornehmen müssen, wenn beispielsweise die meisten Beschäftigten eines Unternehmens älter als 55 sein werden – wobei die alternsgerechte Gestaltung der Arbeitswelt auch unglaubliche Chancen eröffnen kann. Man denke hier nur an die sich immer öfter stellenden Vereinbarkeitsfragen von Beruf und Familie, die sich nicht um kleine Kinder und Kinderbetreuung drehen, sondern um die Sorge um pflegebedürftige Angehörige. Das zu gestalten kostet Zeit und je länger die Verweigerungshaltung durch den dominierenden Blick zurück in eine Vergangenheit, die nicht wiederkommen wird, anhält, desto schwieriger wird es, vernünftige Lösungen zu entwickeln.

Und in dieser Übergangszeit, in der wir uns gerade befinden, wird es für viele Menschen irritierende, weil sich scheinbar widersprechende Meldungen geben, so wie dieser Artikel aus der Süddeutschen Zeitung mit einer bezeichnenden Überschrift: Fachkraft über 50 sucht Fachkräftemangel: Thomas Öchsner berichtet hier am Beispiel von Wolfgang Popp, 54, Diplom-Mathematiker mit Jahrzehnten Berufserfahrung, wie schwierig sich die Situation für viele ältere Arbeitnehmer derzeit gestaltet, wenn sie einen neuen Arbeitsplatz suchen – und wir sprechen hier nicht von Un- oder Angelernten, sondern von Menschen mit einer Qualifikation, die in dem so genannten MINT-Bereich liegt, also da, wo nach der Verlautbarungsrhetorik der Wirtschaftsverbände angeblich ein gravierender Fachkräftemangel herrscht. Aber offensichtlich ist das Alter weiterhin ein eigenständig diskriminierender Faktor bei der Arbeitsuche:

»Popp hat 27 Jahre bei Siemens gearbeitet. Er hat Software entwickelt, Budgets kontrolliert, Projekte koordiniert, Prozesse gemanagt, internationale Kollegen geschult. Doch die akademische Fachkraft mit viel Berufserfahrung hat offenbar einen großen Makel: Der Vater von zwei Kindern ist 54 Jahre alt – und damit zu alt für die allermeisten Arbeitgeber … 2012 … passierte (das), womit der Siemensianer nie gerechnet hätte. Er verlor wie 1300 andere Mitarbeiter in München seinen Job bei dem Gemeinschaftsunternehmen Nokia Siemens Networks (NSN) und landete in einer Transfergesellschaft, die helfen sollte, den ehemaligen NSN-Mitarbeitern eine neue Stelle zu verschaffen. Bei der Mehrheit ist dies gelungen. 500 sind nach Angaben der Münchner IG Metall aber noch wie Popp auf Arbeitssuche, die allermeisten bestens ausgebildete Fachkräfte, Ingenieure für Elektrotechnik, Physiker und eben auch Mathematiker. Davon seien die meisten über 50 Jahre, sagt ein Sprecher der Initiative, die sich selbst als Fachkräfte im Bereich Informations- und Telekommunikationstechnik (ITK) im besten Alter sieht (www.bestager-itk.de).«

Diese Erfahrung ist nicht nur bitter für die Betroffenen, sondern auch so typisch für die Übergangszeit, denn auf der einen Seite bejubeln sich die Politiker und Verbandsfunktionäre für eine steigende Zahl an älteren Beschäftigten, die aber weniger durch sie als schlichtweg dadurch steigt, dass es immer mehr ältere Arbeitnehmer gibt und die auch tendenziell immer länger arbeiten. Gleichzeitig aber ist weiterhin für die älteren Arbeitnehmer, die ihren Job verloren haben, der Wiedereinstieg ungleich schwieriger bis teilweise unmöglich, trotz ihrer Qualifikationen, was an den Einstellungshürden liegt, die man vor ihnen aufbaut. Das ist eine besonders bittere Erfahrung für die älteren Arbeitslosen, die jetzt in dieser nicht selten existenzbedrohenden Situation stecken. Was nutzen ihnen die Versprechungen, dass es in den kommenden Jahren tendenziell immer besser werden muss angesichts der Verschiebungen in der Altersstruktur. Sie befinden sich in einer üblen Sandwich-Dilemma-Situation, die von Martin Brussig und Katarina Eggers im Altersübergangsreport 2014-02 mit dem Titel „Langfristige Entwicklungen bei Neueinstellungen von Älteren. Altersungleichheit bei Neueinstellungen geht leicht zurück“ so formuliert wird:

»Angesichts einer wachsenden Alterserwerbsbeteiligung ist zu erwarten, dass Ältere nicht nur länger im Betrieb verbleiben, sondern auch in zunehmendem Ausmaß neu eingestellt werden. Entgegen der Annahme, dass angesichts einer steigenden Alterserwerbsbeteiligung auch die Eintrittsraten der Älteren gestiegen seien, lässt sich derzeit noch kein klarer Trend bei der Einstellungshäufigkeit von Älteren erkennen. Zwar nimmt die Anzahl der älteren neu Eingestellten zu, dem stehen aber demografisch bedingt und wegen längerer Erwerbsphasen steigende Zahlen an älteren Beschäftigten gegenüber … Gleichwohl ist in jeder Betriebsgrößenklasse, auch den Großbetrieben, die Altersungleichheit langfristig zurückgegangen. Der Anteil der bereits im Betrieb beschäftigten Älteren hängt mit den Eintrittsraten der Älteren jedoch nicht zusammen. Neueinstellungen verhalten sich spiegelbildlich zur Beschäftigungsstabilität, d.h. sie kommen dort häufig vor, wo die Beschäftigungsstabilität niedrig ist.«

Ein Urteil mit weitreichenden Folgen für eine alternde Arbeitswelt. Zugleich ein Lehrstück für das Spannungsdreieck von Einzelfallgerechtigkeit, Fürsorgepflicht des Arbeitgebers und betriebliche Überforderung

Die Arbeitswelt in Deutschland wird – man kann es drehen und wenden wie man will – immer stärker von älteren Belegschaften gekennzeichnet sein. Liegt derzeit das Durchschnittsalter der Beschäftigten in vielen Unternehmen zwischen 45 und 50 Jahre, wird sich das in wenigen Jahren auf 55 Jahre und älter verschoben haben. Die Baby Boomer-Generation, dessen geburtenstärkster Jahrgang 1964 dieses Jahr die 50 vollendet, prägt quantitativ das Gesicht vieler Betriebe. Diese Entwicklung stellt vielfältige Anforderungen an die Unternehmen, der „Boom“ des betrieblichen Gesundheitsmanagements zumindest auf der Ebene seiner Thematisierung in den vergangenen Jahren ist ein Beispiel für die Suche nach Antworten, wie man mit den Herausforderungen umgehen kann.
Und wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass es abweichend von der Normalitätsannahme einer Erwerbsarbeit, die am Tag zur jeweils gleichen Zeit von Montag bis Freitag verrichtet wird, zahlreiche Abweichungen hinsichtlich Länge und Verteilung der Arbeitszeit gibt. Man denke an die mit der Ausdehnung der Ladenöffnungszeiten im Einzelhandel verbundene Zunahme der Arbeit in den Abendstunden, an die Wochenendarbeit oder auch an die unregelmäßige Arbeit auf Abruf, um nur einige Beispiele zu nennen. Eine ganz besondere Bedeutung hat immer noch, in Teilbereichen sogar zunehmend, die immer wieder als besonders belastend herausgestellte Schichtarbeit. Und deren Organisation wird durch eine neue Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts massiv herausgefordert werden.

Und dieses Urteil des höchsten Arbeitsgerichts in Deutschland (10 AZR 637/13 ) hat es wahrlich in sich. Schon der erste Satz kommt wie in Stein gemeißelt daher und wird zahlreiche Folgefragen aufwerfen, die über den Einzelfall, der zur Entscheidung anstand, hinausreichen werden:

»Kann eine Krankenschwester aus gesundheitlichen Gründen keine Nachtschichten im Krankenhaus mehr leisten, ist sie deshalb nicht arbeitsunfähig krank. Sie hat Anspruch auf Beschäftigung, ohne für Nachtschichten eingeteilt zu werden« (Bundesarbeitsgericht: Pressemitteilung Nr. 16/14).

Zum konkreten Sachverhalt erfahren wir: »Die Beklagte betreibt ein Krankenhaus der sog. Vollversorgung mit etwa 2.000 Mitarbeitern. Die Klägerin ist bei der Beklagten seit 1983 als Krankenschwester im Schichtdienst tätig. Arbeitsvertraglich ist sie im Rahmen begründeter betrieblicher Notwendigkeiten zur Leistung von Sonntags-, Feiertags-, Nacht-, Wechselschicht- und Schichtarbeit verpflichtet. Nach einer Betriebsvereinbarung ist eine gleichmäßige Planung ua. in Bezug auf die Schichtfolgen der Beschäftigten anzustreben. Das Pflegepersonal bei der Beklagten arbeitet im Schichtdienst mit Nachtschichten von 21.45 Uhr bis 6.15 Uhr. Die Klägerin ist aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage, Nachtdienste zu leisten, weil sie medikamentös behandelt wird.«

Der Pflegedirektor hatte sie nach einer betriebsärztlichen Untersuchung nach Hause geschickt, weil sie wegen ihrer Nachtdienstuntauglichkeit arbeitsunfähig krank sei. Die Klägerin bot demgegenüber ihre Arbeitsleistung – mit Ausnahme von Nachtdiensten – ausdrücklich an.

Der 10. Senat des Bundesarbeitsgerichts hat die Wertung als Arbeitsunfähigkeit verworfen:

»Die Klägerin ist weder arbeitsunfähig krank noch ist ihr die Arbeitsleistung unmöglich geworden. Sie kann alle vertraglich geschuldeten Tätigkeiten einer Krankenschwester ausführen. Die Beklagte muss bei der Schichteinteilung auf das gesundheitliche Defizit der Klägerin Rücksicht nehmen.«

Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) hat seine Stellungnahme zu der Entscheidung überschrieben mit „Arbeitgeber haben eine Fürsorgepflicht!„. Der DBfK begrüßt die Entscheidung des BAG. „Das Urteil nimmt … pflegerische Einrichtungen in die Pflicht. Die Arbeitgeber haben eine Fürsorgeverpflichtung ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gegenüber, die leider in den vergangenen Jahren allzu häufig ökonomischen Interessen untergeordnet wurde. Dem schiebt das Bundesarbeitsgericht nun einen Riegel vor und betont, dass dem Arbeitgeber Rücksichtnahme auf gesundheitliche Einschränkungen von Beschäftigten durchaus zuzumuten sei“. Mit diesen Worten wird Johanna Knüppel vom DBfK zitiert. Und weiter: „Nachtdienste sind aus vielen Gründen belastend. Die unzureichende Personalbemessung der letzten Jahre hat das noch verstärkt und bei vielen Pflegefachpersonen zu berufsbedingten gesundheitlichen Einschränkungen geführt. Nicht umsonst empfehlen Arbeitsmediziner seit Jahren, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Alter von 50+ bzw. nach vielen Jahren Schichtdienst möglichst keinen Nachtdienst mehr leisten zu lassen. Bei einem guten Generationen-Mix und bedarfsgerechter Anzahl und Qualifikation des vorgehaltenen Personals wäre das auch umsetzbar …“.
Aber ist es wirklich so einfach?

Wir werden hier konfrontiert mit einer Entscheidung, der der richterlichen Logik einer Würdigung des Einzelfalls folgt und damit sicher seine Berechtigung hat, gerade für die Betroffene. Aber ein Krankenhaus ist ein Unternehmen mit vielen Beschäftigten und man muss sich auch mal die andere Seite mit ihren Problemen anschauen: Die Pflegekräfte bilden ein Kollektiv, aus dem heraus die Schichten abgedeckt werden müssen. Wenn man nun konfrontiert wird mit immer mehr Mitarbeitern, die ärztlich attestiert bekommen, dass sie zwar tagsüber, nicht aber nachts arbeiten können, dann schrumpft logischerweise die Grundgesamtheit an Pflegekräften, aus der heraus die Nachtschichten zu leisten sind. Wenn man gleichzeitig eine alternde Belegschaft hat, bei der es aufgrund der Alterskorrelation bestimmter Erkrankungen häufiger zu Schichtbefreiuungstatbeständen kommt, dann kann man sich vorstellen, unter welchen Druck die Belegschaft gesetzt wird, in diesem Fall die jüngeren Kräfte, die dann immer mehr Ausfälle kompensieren sollen/müssen. Gleichzeitig aber kann und soll sich der Arbeitgeber ja auch nicht von den älteren Beschäftigten trennen – eine wirklich schwierige Personalsteuerungsproblematik zeichnet sich hier ab.

Wenn der DBfK – für sich genommen sicher auch nachvollziehbar – fordert, dass »… Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Alter von 50+ bzw. nach vielen Jahren Schichtdienst möglichst keinen Nachtdienst mehr leisten zu lassen«, dann muss man sich die Konsequenzen einer solchen Forderung verdeutlichen, wenn man a) die älteren Beschäftigten nicht entlassen will/darf und b) gleichzeitig das Leistungsangebot rund um die Uhr sicherstellen muss. Eigentlich bräuchte man dann eine erhebliche Überdeckung an Personal (und das muss dann aus jüngeren Jahrgängen kommen), um Ausfälle kompensieren zu können.

Dieses Urteil wird weitreichende Folgen haben, denn die Wechselschichtarbeit ist in der Arbeitswelt verbreitet und die Entscheidung lässt sich auch auf andere Branchen und Unternehmen übertragen. Damit werden viele Betriebe aus der Industrie und den Dienstleistungen die Folgen dieser Entscheidungen zu spüren bekommen. Das Bundesarbeitsgericht bestätigt diese Einordnung, so der Hinweis in einem FAZ-Artikel: »Das Urteil hat nach Angaben einer Sprecherin des Bundesarbeitsgerichts eine „wegweisende Wirkung“ für alle Schichtarbeiter und ist nicht allein auf die Krankenpflege beschränkt.«

»Im Jahr 2011 arbeiteten 58 Prozent aller Erwerbstätigen mindestens gelegentlich in Abend- oder Nachtarbeit, in Wechselschicht oder auch zu sogenannten atypischen Arbeitszeiten, also samstags, sonntags oder feiertags. Die zweithäufigste Form der Schichtarbeit nach der Abendarbeit ist die Wechselschicht, der sich 14 Prozent der Erwerbstätigen zuordnen lassen«, so Carina Leser, Anita Tisch und Silke Tophoven: Schichtarbeit und Gesundheit. Beschäftigte an der Schwelle zum höheren Erwerbsalter (= IAB-Kurzbericht 21/2013).

Die meisten Beschäftigten in Wechselschicht arbeiten nach wie vor im produzierenden Gewerbe, beispielsweise in der Automobil- oder Elektroindustrie. Für die Bereiche „Öffentliche und private Dienstleistungen” sowie im „Handel und Gastgewerbe” wird eine Zunahme der Wechselschichtbeschäftigung festgestellt.

»Mit der Tertiarisierung der Schichtarbeit, also der Verschiebung hin zum Dienstleistungssektor, ist ein allmählicher Anstieg des Frauenanteils in Schichtarbeit verbunden. Hierfür dürften betriebliche Trends zur Flexibilisierung der Arbeitszeiten und eine Ausdehnung der Betriebsnutzungszeiten wie die längeren Ladenöffnungszeiten ebenso verantwortlich sein wie Änderungen in der Regulierung von Arbeit, etwa die Abschaffung des Nachtarbeitsverbotes für Frauen im Jahr 1992« (Leser/Tisch/Tophoven 2013: 2).

Quelle: Leser/Tisch/Tohoven (2013: 2)

In Kontext der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts interessant ist der Blick die Gruppe der Beschäftigten im Alter zwischen 50 bis 64 Jahre. Die Daten zeigen, dass 13 Prozent von ihnen ständig oder regelmäßig in Wechselschicht arbeiten.

Seit 1998 hat sich die Zahl der 50- bis unter 65-Jährigen in Wechselschicht mehr als verdoppelt, und zwar von 594.000 auf 1,29 Millionen, so die IAB-Studie.

Man kann es drehen und wenden wie man will – die aus Sicht des einzelnen Arbeitnehmers durchaus völlig nachvollziehbare Entscheidung, aus einem Teil des Wechselschichtsystems oder gar vollständig daraus befreit zu werden, wird in vielen Betrieben, deren gesamte Arbeitsorganisation auf dem Wechselschichtsystem basiert, zu erheblichen Personalplanungsproblemen führen, aber auch möglicherweise massive innerbetriebliche Spannungen zwischen den Beschäftigtengruppen auslösen.

Diskriminierung: Wenn Tim statt Hakan genommen wird und der Ali nicht passt. Und Bundeswehr-Soldaten auch nicht. Aber wenn die Maschine den Menschen aussucht, dann schlägt die Gleichförmigkeit die Vielfalt

Das waren wieder Schlagzeilen im Einwanderungsland Deutschland: „Keiner will einen Ali im Team haben„, „Du, Hakan, wir nehmen den Tim“ oder „Türkischer Name schmälert Chance auf Ausbildungsplatz„, um nur einige zu zitieren. Was ist passiert? Aus dem Forschungsbereich beim Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration sind die Ergebnisse einer neuen Untersuchung bekannt geworden: »Ein Korrespondenztest mit rund 3.600 Bewerbungen zeigt: Schüler mit einem türkischen Namen haben bei einer Bewerbung auf einen Ausbildungsplatz deutlich schlechtere Chancen, zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden als Schüler mit einem deutschen Namen«, so der Sachverständigenrat in seiner Mitteilung „Jugendliche mit Migrationshintergrund haben auch bei gleicher Qualifikation schlechtere Chancen auf einen Ausbildungsplatz„. Und hat auch sogleich eine „Lösung“ parat: »Um Diskriminierung zu vermeiden empfiehlt der SVR-Forschungsbereich anonymisierte Bewerbungsverfahren und verstärkte interkulturelle Schulung auf betrieblicher Ebene.« Aber ist es so einfach?

Die Studie belege – so kann man es der Pressemitteilung des Sachverständigenrates entnehmen -, „dass ein diskriminierungsfreier Zugang zur Ausbildung im dualen System in Deutschland noch nicht gewährleistet ist“. Aber kann ein solcher überhaupt je gewährleistet werden? Mit dieser Frage soll nun keineswegs Diskriminierung an sich legitimiert werden, sondern es geht um eine grundlegend skeptische Sicht auf das Ziel eines“diskriminierungsfreien“ Zugangs zu Ausbildung wie auch generell zum Arbeitsmarkt. Dieses Ziel kommt zwar wohlfeil daher, aber die Realitäten von Auswahlentscheidungen beinhalten bewusste (die man vielleicht verändern kann) wie auch und vor allem unbewusste (die wesentlich schwerer zu adressieren sind) Diskriminierungen – und das nicht nur in der – übrigens erst seit Anfang des 20. Jahrhunderts gebräuchlichen – durchweg negativen Konnotierung als „jemanden herabsetzen, benachteiligen, zurücksetzen“. Man darf an dieser Stelle darauf hinweisen: Das Wort Diskriminierung stammt von dem aus dem lateinischen Verb discriminare („trennen, absondern, abgrenzen, unterscheiden“) im Spätlateinischen abgeleiteten Verbalsubstantiv discriminatio („Scheidung, Absonderung.“) In jedem Auswahlverfahren haben wir es mit diskriminierenden Prozessen zu tun. Die lassen sich sachlogisch gar nicht vermeiden, es kann also „nur“ gehen um die Problematik „ungerechter“ Diskriminierungen bzw. um Selektionsprozesse, die zu falschen Ergebnissen führen, beispielsweise die Nicht-Nutzung eigentlich „besserer“ Bewerber/innen in einem Auswahlverfahren.

In der vorliegenden Studie wird auf einen ganz bestimmten diskriminierenden Faktor abgestellt: den Vorurteilen, die sich nicht an der einzelnen konkreten Person festmachen, sondern wo diese gleichsam in Sippenhaft ihrer Herkunft bzw. ihrer (scheinbaren) Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe genommen wird.

  • Überall auf dem Arbeitsmarkt werden wir konfrontiert mit der Problematik von normativ aufgeladenen Stereotypen, die sich keinesfalls auf einen Bereich reduzieren lassen. Als Beispiel aus der aktuellen Diskussion sei an dieser Stelle auf den folgenden Artikel verwiesen: „Salutieren im Sandkasten. Vom Soldaten zum Erzieher“ von Almut Steinecke: »An der Bundeswehrfachschule werden Zeitsoldaten umgeschult. Pädagogen und Psychologen finden den Wechsel vom Kasernenhof zur Kita unangemessen.« Unabhängig von Detailfragen – die Kritiker der (wohlgemerkt: qualifizierten) Umschulung nehmen Menschen in eine Art Kollektivhaftung, da den bisherigen Soldaten der Bundeswehr generell die Eignung für die Arbeit in einer Kindertageseinrichtung oder einer Einrichtung der Jugendhilfe abgesprochen wird, da sie als „Soldaten“ nicht passungsfähig sozialisiert seien. Das ist bei genauerer Auseinandersetzung mit dem (an sich) so wichtigen Thema „Eignung“ für eine bestimmte Tätigkeit natürlich schlichtweg Unsinn, denn gerade im pädagogischen Bereich spielt neben einer entsprechend qualifizierten Ausbildung (an der im vorliegenden Fall nicht gespart wird) die individuelle persönliche Eignung eine zentrale Rolle. Und die kann man eben nur individuell beurteilen. Und es gibt kein logisches Argument, warum bisherige Soldaten per se nicht geeignet sein sollen, hingegen Abiturienten, die ein kindheitspädagogisches Bachelor-Studium absolviert haben, schon. Man müsste grundsätzlich bei beiden genau hinschauen und dann würde man nicht nur ungeeignete Ex-Soldaten identifizieren, sondern auch in einer Dauerschleife der nicht enden wollenden Adoleszenz hängen gebliebenen Abiturienten. Man kann es drehen und wenden wie man will: Auch hier haben wir es mit einem Diskriminierungsfall zu tun, mit dem kleinen, aber vom Ergebnis her nicht relevanten Unterschied, dass er von denen kommt, die es eigentlich „gut meinen“ mit dem Beruf. Vielleicht – das wäre aber ein ganz eigenes Thema – ist das sogar noch schlimmer als wenn es aus der anderen Ecke kommt.

Aber wieder zurück zu der neuen Studie. »Lukas gegen Ahmet, Hakan gegen Tim: Wer wird den Ausbildungsplatz bekommen? Nein, keine neue Castingshow, sondern eine Studie, bei der es letztlich drei Verlierer gibt: Ahmet, Hakan – und die Gesellschaft«, so Frauke Lüpke-Narberhaus in ihrem Bericht über die Studie. Was genau ist ermittelt worden?

Für die Studie wurden jeweils zwei Bewerbungen von gleich gut qualifizierten männlichen Bewerbern mit einem türkischen und einem deutschen Namen für die Ausbildungsberufe Kfz-Mechatroniker und Bürokaufmann bundesweit an rund 1.800 Unternehmen verschickt. Die Auswertung der Rückläufe auf die fiktiven Bewerbungen zeigte: Um eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch zu erhalten, muss ein Kandidat mit einem deutschen Namen durchschnittlich fünf Bewerbungen schreiben, ein Bewerber mit einem türkischen Namen hingegen sieben. Im Ausbildungsberuf Kfz-Mechatroniker ist die Benachteiligung stärker ausgeprägt: Hier muss ein Bewerber mit einem türkischen Namen etwa 1,5-mal so viele Bewerbungen schreiben wie ein Kandidat mit einem deutschen Namen. Bei einer Bewerbung um einen Ausbildungsplatz als Bürokaufmann sind es 1,3-mal so viele. „Diskriminierung tritt also nicht in allen Branchen gleichermaßen auf“, erläuterte Dr. Jan Schneider, Leiter des SVR-Forschungsbereichs und Autor der Studie. „Einen wichtigen Einfluss auf das Ausmaß der Ungleichbehandlung hat außerdem die Unternehmensgröße: Die Diskriminierungsrate ist bei kleinen Firmen mit weniger als sechs Mitarbeitern deutlich höher als bei mittleren und großen Unternehmen.“ (Quelle: http://www.svr-migration.de/content/?p=5401)

Quelle: http://www.svr-migration.de/content/?p=5401

Man könnte zumindest einen Teil der Befunde durchaus auch so interpretieren im Wissen um die vielen Vorurteile, die in vielen Köpfen herumschwirren, wenn man mit einem Namen konfrontiert wird, der beispielsweise auf eine türkisch-stämmige Herkunft deutet: Dass bei der Bewerbung auf eine Ausbildungsstelle für einen Bürokaufmann bei deutschem Namen im Schnitt sechs und bei einem türkischen Namen „nur“ eine mehr, also sieben Bewerbungen notwendig sind, erstaunt eher hinsichtlich des kleinen Unterschieds.

Die Forscher sind in ihrer Studie auf einen relativ klaren Zusammenhang gestoßen: »Je kleiner das Unternehmen, desto stärker die Diskriminierung: Das könnte daran liegen, vermuten die Forscher, dass größere Unternehmen ihre Bewerber nach einem stark formalisierten Verfahren auswählen, in das mehrere Mitarbeiter eingebunden sind. Dadurch ließe sich auch der Unterschied zwischen Kfz-Mechatronikern und Bürokaufmännern erklären: Die Kfz-Betriebe hatten im Durchschnitt weniger Mitarbeiter«, so die Zusammenfassung in dem Artikel von Frauke Lüpke-Narberhaus.
Die Wissenschaftler sind auch der Frage nach den – möglichen – Ursachen nachgegangen.

»Gründe für die Ungleichbehandlung gibt es viele. Die Bewerber mit türkischem Namen würden nicht gezielt ausgesiebt, glauben die Forscher, meist gäbe ein Bündel an Faktoren den Ausschlag: Unsicherheit, Vorurteile und Befürchtungen von der Sorte: Was werden die Kunden denken? Werden die Kollegen damit klarkommen?

Manchmal beruht die Ablehnung ganz einfach auf fehlender Erfahrung. Denn über zwei Drittel aller Ausbildungsbetriebe in Deutschland beschäftigen bisher keinen einzigen Azubi mit Migrationshintergrund – das gilt insbesondere für kleinen Betriebe und solche im Osten der Republik. Ganz anders sieht es bei großen Unternehmen aus, darum zeigen diese sich auch offener«, so Daniel Bax in seinem Artikel „Du, Hakan, wir nehmen den Tim„.

Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass die Wissenschaftler stark formalisierte Verfahren, wie man sie typischerweise in großen Unternehmen vorfindet, präferieren. Insofern überrascht ihr Lösungsvorschlag nicht: »Ein entscheidender Beitrag zur Verringerung von Diskriminierung in Bewerbungsverfahren ist die Anonymisierung von Bewerbungen. Doch fehlen insbesondere kleinen Unternehmen oft die personellen und finanziellen Ressourcen, anonymisierte Bewerbungsverfahren durchzuführen. Um den flächendeckenden Einsatz anonymisierter Bewerbungen voranzubringen, sollte eine kostengünstige EDV-Lösung entwickelt werden. Das wäre vor allem für kleine Unternehmen eine entscheidende Erleichterung.« Zum Themenfeld „anonymisierte Bewerbungen“ gibt es auf der Seite der Antidiskriminierungsstelle des Bundes eine eigene Seite mit weiterführenden Informationen. Dort findet man auch die 2012 veröffentlichten Ergebnisse einer Evaluierungsstudie über das Pilotprojekt „Anonymisierte Bewerbungsverfahren“: Für je 12 Monate haben Deutsche Post, Deutsche Telekom, L´Oréal, Mydays, Procter & Gamble, das Bundesfamilienministerium, die Bundesagentur für Arbeit in Nordrhein-Westfalen und die Stadtverwaltung von Celle neue Wege der Personalrekrutierung ausprobiert. Beim Pilotprojekt wurden über 8.500 Bewerbungen anonymisiert eingesehen, 246 Arbeits-, Ausbildungs- und Studienplätze wurden erfolgreich besetzt. Die Studie kommt zu vielversprechenden Befunden, was den Abbau der ersten Hürde im normalen Bewerbungsverfahren angeht.

Nun könnte man vielleicht argumentieren, dass Diskriminierung beispielsweise aufgrund der ethnischen Herkunft, des Geschlechts oder der sexuellen Orientierung an sich schon verboten sind, wir haben sogar seit dem 18. August 2006 das „Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz“ (AGG). Soweit die Theorie. Doch viele Unternehmen wissen, wie sie unerwünschte Kandidaten trotzdem praktisch aussortieren. Hierzu nur als ein Beispiel von vielen: „Unternehmen sieben nach Alter und Geschlecht„.

Nach den Schlussfolgerungen der neuen Studie könnten stärker formalisierte Verfahren tatsächlich einen Fortschritt dahingehend bringen, dass exkludierende Hürden abgebaut werden und damit die Zugangschancen für bestimmte bislang schon am Anfang diskriminierte Bewerber/innen verbessert werden können. Das verhindert immer noch nicht, dass sie dann im weiteren Gang des Verfahrens Opfer von Vorurteilen werden, es erhöht aber ihre Chancen, sich überhaupt präsentieren und einbringen zu können.

Aber – darauf sei abschließend hingewiesen – wie immer in der komplexen sozialen Realität gibt es zwei Seiten einer Entwicklung. Fortschritte durch eine stärkere Formalisierung und Fokussierung auf „nur“ die Qualifikationen kann positiv wirken, wird sie hingegen zu weit getrieben, eröffnen sich sogleich neue Problemfelder. Ein Beispiel hierfür ist der neue Trend des „Roboter Recruiting“, beispielsweise in dem Artikel „Wenn der Mensch von der Maschine eingestellt wird“ von Clare Devlin in der WirtschaftsWoche beschrieben: »Üblicherweise geht eine Bewerbung an den Personaler. Immer häufiger aber entscheidet der Computer mittels Statistik-Programm, wer genommen wird und wer nicht. Gleichförmigkeit statt Vielfalt ist die neue Devise.«
Aber zuerst der Blick auf die Versprechungen, die mit dieser Methode verkauft werden – und die scheinbar hervorragend passen als Antwort auf die bisherige Problematisierung von Diskriminierungen in Auswahlprozessen, wie sie auch in der neuen Studie entfaltet wurde. Als Beispiel wird das Unternehmen Xerox herangezogen, das Roboter Recruiting nutzt:

»Xerox nutzt eine Statistik-Software, mit der Lebensläufe analysiert und selektiert werden. Bewerber müssen ihre Unterlagen hierbei hochladen oder Online-Fragebögen ausfüllen. Der Vorteil für die Unternehmen: Es geht schneller und ist effizienter. Außerdem, so könnte man argumentieren, urteilt der Computer gerechter. Er selektiert Bewerber nicht anhand ihrer Herkunft, ihrer Hautfarbe oder ihrer Religion aus. Der Computer diskriminiert nicht, er fokussiert sich alleine auf die gesuchten Eigenschaften für Bewerber. Die wurden vorher programmiert. Weder das optische Auftreten, noch andere Faktoren wie Langzeitarbeitslosigkeit, Vorstrafen oder Brüche im Lebenslauf spielen eine Rolle beim Roboter Recruiting. Es ist nicht anfällig für Rollenklischees oder von Emotionen gelenkt, denn es gibt keinen ersten Eindruck.«

Xerox hat durch eine Statistik-Software ermittelt, welche Mitarbeiter besonders lange im Unternehmen arbeiten. Anschließend wurde untersucht, was die Personen gemeinsam haben. All diese Eigenschaften gelten als wichtig, also sollten diese auch die neuen Bewerber mitbringen.
Beim Roboter Recruiting zählen nur Zahlen, Daten und Fakten – und eben nicht der türkische Namen eines Bewerbers. Hört sich gut an. Erst einmal.

Aber wie immer gibt es sofort Reaktionen auf neue Systeme. »Im Internet kursieren zahlreiche Anleitungen, wie eine Bewerbung möglichst „roboterfreundlich“ gestaltet werden kann. Frei nach dem Motto: Bloß keine Phantasie, es lebe der Telegrammstil.«

Clare Devlin bringt das Dilemma dieser Personalauswahl auf den Punkt:

»Das große Problem dabei: Persönlichkeiten gehen verloren. Durch Gleichförmigkeit entsteht Sicherheit, aber keine Vielfalt, keine Abwechslung und keine Innovation.«

Und schlussendlich:

»… was ist, wenn der Kandidat zwar alle Kriterien erfüllt und trotzdem nicht ins Team passt? Wenn es auf menschlicher Ebene nicht stimmt? Dafür hat das Roboter Recruiting noch keine Lösung gefunden.«

Das wird das Roboter Recruiting auch nicht schaffen (können). Gerade bei Fragen wie der, ob jemand ins Team passt oder nicht, landet man wieder neben allen Rationalitäten auf der Gefühlsebene und damit bei ganz vielen kleinen und großen Vor-Urteilen. Die kann und muss man bearbeiten, aber wir sind Menschen und insofern wird man die Diskriminierungsprozesse nur abmildern, nicht aber beseitigen können. Auch wenn das schön wäre. Es wäre schon viel gewonnen, wenn Personalverantwortliche – auch durch solche Studien wie die hier besprochenen – etwas sensibler werden im Umgang mit den Chancen und Potenzialen, die in Bewerbern stecken, die ansonsten in der Dunkelheit verbleiben müssen.