Das waren wieder Schlagzeilen im Einwanderungsland Deutschland: „Keiner will einen Ali im Team haben„, „Du, Hakan, wir nehmen den Tim“ oder „Türkischer Name schmälert Chance auf Ausbildungsplatz„, um nur einige zu zitieren. Was ist passiert? Aus dem Forschungsbereich beim Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration sind die Ergebnisse einer neuen Untersuchung bekannt geworden: »Ein Korrespondenztest mit rund 3.600 Bewerbungen zeigt: Schüler mit einem türkischen Namen haben bei einer Bewerbung auf einen Ausbildungsplatz deutlich schlechtere Chancen, zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden als Schüler mit einem deutschen Namen«, so der Sachverständigenrat in seiner Mitteilung „Jugendliche mit Migrationshintergrund haben auch bei gleicher Qualifikation schlechtere Chancen auf einen Ausbildungsplatz„. Und hat auch sogleich eine „Lösung“ parat: »Um Diskriminierung zu vermeiden empfiehlt der SVR-Forschungsbereich anonymisierte Bewerbungsverfahren und verstärkte interkulturelle Schulung auf betrieblicher Ebene.« Aber ist es so einfach?
Die Studie belege – so kann man es der Pressemitteilung des Sachverständigenrates entnehmen -, „dass ein diskriminierungsfreier Zugang zur Ausbildung im dualen System in Deutschland noch nicht gewährleistet ist“. Aber kann ein solcher überhaupt je gewährleistet werden? Mit dieser Frage soll nun keineswegs Diskriminierung an sich legitimiert werden, sondern es geht um eine grundlegend skeptische Sicht auf das Ziel eines“diskriminierungsfreien“ Zugangs zu Ausbildung wie auch generell zum Arbeitsmarkt. Dieses Ziel kommt zwar wohlfeil daher, aber die Realitäten von Auswahlentscheidungen beinhalten bewusste (die man vielleicht verändern kann) wie auch und vor allem unbewusste (die wesentlich schwerer zu adressieren sind) Diskriminierungen – und das nicht nur in der – übrigens erst seit Anfang des 20. Jahrhunderts gebräuchlichen – durchweg negativen Konnotierung als „jemanden herabsetzen, benachteiligen, zurücksetzen“. Man darf an dieser Stelle darauf hinweisen: Das Wort Diskriminierung stammt von dem aus dem lateinischen Verb discriminare („trennen, absondern, abgrenzen, unterscheiden“) im Spätlateinischen abgeleiteten Verbalsubstantiv discriminatio („Scheidung, Absonderung.“) In jedem Auswahlverfahren haben wir es mit diskriminierenden Prozessen zu tun. Die lassen sich sachlogisch gar nicht vermeiden, es kann also „nur“ gehen um die Problematik „ungerechter“ Diskriminierungen bzw. um Selektionsprozesse, die zu falschen Ergebnissen führen, beispielsweise die Nicht-Nutzung eigentlich „besserer“ Bewerber/innen in einem Auswahlverfahren.
In der vorliegenden Studie wird auf einen ganz bestimmten diskriminierenden Faktor abgestellt: den Vorurteilen, die sich nicht an der einzelnen konkreten Person festmachen, sondern wo diese gleichsam in Sippenhaft ihrer Herkunft bzw. ihrer (scheinbaren) Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe genommen wird.
- Überall auf dem Arbeitsmarkt werden wir konfrontiert mit der Problematik von normativ aufgeladenen Stereotypen, die sich keinesfalls auf einen Bereich reduzieren lassen. Als Beispiel aus der aktuellen Diskussion sei an dieser Stelle auf den folgenden Artikel verwiesen: „Salutieren im Sandkasten. Vom Soldaten zum Erzieher“ von Almut Steinecke: »An der Bundeswehrfachschule werden Zeitsoldaten umgeschult. Pädagogen und Psychologen finden den Wechsel vom Kasernenhof zur Kita unangemessen.« Unabhängig von Detailfragen – die Kritiker der (wohlgemerkt: qualifizierten) Umschulung nehmen Menschen in eine Art Kollektivhaftung, da den bisherigen Soldaten der Bundeswehr generell die Eignung für die Arbeit in einer Kindertageseinrichtung oder einer Einrichtung der Jugendhilfe abgesprochen wird, da sie als „Soldaten“ nicht passungsfähig sozialisiert seien. Das ist bei genauerer Auseinandersetzung mit dem (an sich) so wichtigen Thema „Eignung“ für eine bestimmte Tätigkeit natürlich schlichtweg Unsinn, denn gerade im pädagogischen Bereich spielt neben einer entsprechend qualifizierten Ausbildung (an der im vorliegenden Fall nicht gespart wird) die individuelle persönliche Eignung eine zentrale Rolle. Und die kann man eben nur individuell beurteilen. Und es gibt kein logisches Argument, warum bisherige Soldaten per se nicht geeignet sein sollen, hingegen Abiturienten, die ein kindheitspädagogisches Bachelor-Studium absolviert haben, schon. Man müsste grundsätzlich bei beiden genau hinschauen und dann würde man nicht nur ungeeignete Ex-Soldaten identifizieren, sondern auch in einer Dauerschleife der nicht enden wollenden Adoleszenz hängen gebliebenen Abiturienten. Man kann es drehen und wenden wie man will: Auch hier haben wir es mit einem Diskriminierungsfall zu tun, mit dem kleinen, aber vom Ergebnis her nicht relevanten Unterschied, dass er von denen kommt, die es eigentlich „gut meinen“ mit dem Beruf. Vielleicht – das wäre aber ein ganz eigenes Thema – ist das sogar noch schlimmer als wenn es aus der anderen Ecke kommt.
Aber wieder zurück zu der neuen Studie. »Lukas gegen Ahmet, Hakan gegen Tim: Wer wird den Ausbildungsplatz bekommen? Nein, keine neue Castingshow, sondern eine Studie, bei der es letztlich drei Verlierer gibt: Ahmet, Hakan – und die Gesellschaft«, so Frauke Lüpke-Narberhaus in ihrem Bericht über die Studie. Was genau ist ermittelt worden?
Für die Studie wurden jeweils zwei Bewerbungen von gleich gut qualifizierten männlichen Bewerbern mit einem türkischen und einem deutschen Namen für die Ausbildungsberufe Kfz-Mechatroniker und Bürokaufmann bundesweit an rund 1.800 Unternehmen verschickt. Die Auswertung der Rückläufe auf die fiktiven Bewerbungen zeigte: Um eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch zu erhalten, muss ein Kandidat mit einem deutschen Namen durchschnittlich fünf Bewerbungen schreiben, ein Bewerber mit einem türkischen Namen hingegen sieben. Im Ausbildungsberuf Kfz-Mechatroniker ist die Benachteiligung stärker ausgeprägt: Hier muss ein Bewerber mit einem türkischen Namen etwa 1,5-mal so viele Bewerbungen schreiben wie ein Kandidat mit einem deutschen Namen. Bei einer Bewerbung um einen Ausbildungsplatz als Bürokaufmann sind es 1,3-mal so viele. „Diskriminierung tritt also nicht in allen Branchen gleichermaßen auf“, erläuterte Dr. Jan Schneider, Leiter des SVR-Forschungsbereichs und Autor der Studie. „Einen wichtigen Einfluss auf das Ausmaß der Ungleichbehandlung hat außerdem die Unternehmensgröße: Die Diskriminierungsrate ist bei kleinen Firmen mit weniger als sechs Mitarbeitern deutlich höher als bei mittleren und großen Unternehmen.“ (Quelle: http://www.svr-migration.de/content/?p=5401)
Quelle: http://www.svr-migration.de/content/?p=5401 |
Man könnte zumindest einen Teil der Befunde durchaus auch so interpretieren im Wissen um die vielen Vorurteile, die in vielen Köpfen herumschwirren, wenn man mit einem Namen konfrontiert wird, der beispielsweise auf eine türkisch-stämmige Herkunft deutet: Dass bei der Bewerbung auf eine Ausbildungsstelle für einen Bürokaufmann bei deutschem Namen im Schnitt sechs und bei einem türkischen Namen „nur“ eine mehr, also sieben Bewerbungen notwendig sind, erstaunt eher hinsichtlich des kleinen Unterschieds.
Die Forscher sind in ihrer Studie auf einen relativ klaren Zusammenhang gestoßen: »Je kleiner das Unternehmen, desto stärker die Diskriminierung: Das könnte daran liegen, vermuten die Forscher, dass größere Unternehmen ihre Bewerber nach einem stark formalisierten Verfahren auswählen, in das mehrere Mitarbeiter eingebunden sind. Dadurch ließe sich auch der Unterschied zwischen Kfz-Mechatronikern und Bürokaufmännern erklären: Die Kfz-Betriebe hatten im Durchschnitt weniger Mitarbeiter«, so die Zusammenfassung in dem Artikel von Frauke Lüpke-Narberhaus.
Die Wissenschaftler sind auch der Frage nach den – möglichen – Ursachen nachgegangen.
»Gründe für die Ungleichbehandlung gibt es viele. Die Bewerber mit türkischem Namen würden nicht gezielt ausgesiebt, glauben die Forscher, meist gäbe ein Bündel an Faktoren den Ausschlag: Unsicherheit, Vorurteile und Befürchtungen von der Sorte: Was werden die Kunden denken? Werden die Kollegen damit klarkommen?
Manchmal beruht die Ablehnung ganz einfach auf fehlender Erfahrung. Denn über zwei Drittel aller Ausbildungsbetriebe in Deutschland beschäftigen bisher keinen einzigen Azubi mit Migrationshintergrund – das gilt insbesondere für kleinen Betriebe und solche im Osten der Republik. Ganz anders sieht es bei großen Unternehmen aus, darum zeigen diese sich auch offener«, so Daniel Bax in seinem Artikel „Du, Hakan, wir nehmen den Tim„.
Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass die Wissenschaftler stark formalisierte Verfahren, wie man sie typischerweise in großen Unternehmen vorfindet, präferieren. Insofern überrascht ihr Lösungsvorschlag nicht: »Ein entscheidender Beitrag zur Verringerung von Diskriminierung in Bewerbungsverfahren ist die Anonymisierung von Bewerbungen. Doch fehlen insbesondere kleinen Unternehmen oft die personellen und finanziellen Ressourcen, anonymisierte Bewerbungsverfahren durchzuführen. Um den flächendeckenden Einsatz anonymisierter Bewerbungen voranzubringen, sollte eine kostengünstige EDV-Lösung entwickelt werden. Das wäre vor allem für kleine Unternehmen eine entscheidende Erleichterung.« Zum Themenfeld „anonymisierte Bewerbungen“ gibt es auf der Seite der Antidiskriminierungsstelle des Bundes eine eigene Seite mit weiterführenden Informationen. Dort findet man auch die 2012 veröffentlichten Ergebnisse einer Evaluierungsstudie über das Pilotprojekt „Anonymisierte Bewerbungsverfahren“: Für je 12 Monate haben Deutsche Post, Deutsche Telekom, L´Oréal, Mydays, Procter & Gamble, das Bundesfamilienministerium, die Bundesagentur für Arbeit in Nordrhein-Westfalen und die Stadtverwaltung von Celle neue Wege der Personalrekrutierung ausprobiert. Beim Pilotprojekt wurden über 8.500 Bewerbungen anonymisiert eingesehen, 246 Arbeits-, Ausbildungs- und Studienplätze wurden erfolgreich besetzt. Die Studie kommt zu vielversprechenden Befunden, was den Abbau der ersten Hürde im normalen Bewerbungsverfahren angeht.
Nun könnte man vielleicht argumentieren, dass Diskriminierung beispielsweise aufgrund der ethnischen Herkunft, des Geschlechts oder der sexuellen Orientierung an sich schon verboten sind, wir haben sogar seit dem 18. August 2006 das „Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz“ (AGG). Soweit die Theorie. Doch viele Unternehmen wissen, wie sie unerwünschte Kandidaten trotzdem praktisch aussortieren. Hierzu nur als ein Beispiel von vielen: „Unternehmen sieben nach Alter und Geschlecht„.
Nach den Schlussfolgerungen der neuen Studie könnten stärker formalisierte Verfahren tatsächlich einen Fortschritt dahingehend bringen, dass exkludierende Hürden abgebaut werden und damit die Zugangschancen für bestimmte bislang schon am Anfang diskriminierte Bewerber/innen verbessert werden können. Das verhindert immer noch nicht, dass sie dann im weiteren Gang des Verfahrens Opfer von Vorurteilen werden, es erhöht aber ihre Chancen, sich überhaupt präsentieren und einbringen zu können.
Aber – darauf sei abschließend hingewiesen – wie immer in der komplexen sozialen Realität gibt es zwei Seiten einer Entwicklung. Fortschritte durch eine stärkere Formalisierung und Fokussierung auf „nur“ die Qualifikationen kann positiv wirken, wird sie hingegen zu weit getrieben, eröffnen sich sogleich neue Problemfelder. Ein Beispiel hierfür ist der neue Trend des „Roboter Recruiting“, beispielsweise in dem Artikel „Wenn der Mensch von der Maschine eingestellt wird“ von Clare Devlin in der WirtschaftsWoche beschrieben: »Üblicherweise geht eine Bewerbung an den Personaler. Immer häufiger aber entscheidet der Computer mittels Statistik-Programm, wer genommen wird und wer nicht. Gleichförmigkeit statt Vielfalt ist die neue Devise.«
Aber zuerst der Blick auf die Versprechungen, die mit dieser Methode verkauft werden – und die scheinbar hervorragend passen als Antwort auf die bisherige Problematisierung von Diskriminierungen in Auswahlprozessen, wie sie auch in der neuen Studie entfaltet wurde. Als Beispiel wird das Unternehmen Xerox herangezogen, das Roboter Recruiting nutzt:
»Xerox nutzt eine Statistik-Software, mit der Lebensläufe analysiert und selektiert werden. Bewerber müssen ihre Unterlagen hierbei hochladen oder Online-Fragebögen ausfüllen. Der Vorteil für die Unternehmen: Es geht schneller und ist effizienter. Außerdem, so könnte man argumentieren, urteilt der Computer gerechter. Er selektiert Bewerber nicht anhand ihrer Herkunft, ihrer Hautfarbe oder ihrer Religion aus. Der Computer diskriminiert nicht, er fokussiert sich alleine auf die gesuchten Eigenschaften für Bewerber. Die wurden vorher programmiert. Weder das optische Auftreten, noch andere Faktoren wie Langzeitarbeitslosigkeit, Vorstrafen oder Brüche im Lebenslauf spielen eine Rolle beim Roboter Recruiting. Es ist nicht anfällig für Rollenklischees oder von Emotionen gelenkt, denn es gibt keinen ersten Eindruck.«
Xerox hat durch eine Statistik-Software ermittelt, welche Mitarbeiter besonders lange im Unternehmen arbeiten. Anschließend wurde untersucht, was die Personen gemeinsam haben. All diese Eigenschaften gelten als wichtig, also sollten diese auch die neuen Bewerber mitbringen.
Beim Roboter Recruiting zählen nur Zahlen, Daten und Fakten – und eben nicht der türkische Namen eines Bewerbers. Hört sich gut an. Erst einmal.
Aber wie immer gibt es sofort Reaktionen auf neue Systeme. »Im Internet kursieren zahlreiche Anleitungen, wie eine Bewerbung möglichst „roboterfreundlich“ gestaltet werden kann. Frei nach dem Motto: Bloß keine Phantasie, es lebe der Telegrammstil.«
Clare Devlin bringt das Dilemma dieser Personalauswahl auf den Punkt:
»Das große Problem dabei: Persönlichkeiten gehen verloren. Durch Gleichförmigkeit entsteht Sicherheit, aber keine Vielfalt, keine Abwechslung und keine Innovation.«
Und schlussendlich:
»… was ist, wenn der Kandidat zwar alle Kriterien erfüllt und trotzdem nicht ins Team passt? Wenn es auf menschlicher Ebene nicht stimmt? Dafür hat das Roboter Recruiting noch keine Lösung gefunden.«
Das wird das Roboter Recruiting auch nicht schaffen (können). Gerade bei Fragen wie der, ob jemand ins Team passt oder nicht, landet man wieder neben allen Rationalitäten auf der Gefühlsebene und damit bei ganz vielen kleinen und großen Vor-Urteilen. Die kann und muss man bearbeiten, aber wir sind Menschen und insofern wird man die Diskriminierungsprozesse nur abmildern, nicht aber beseitigen können. Auch wenn das schön wäre. Es wäre schon viel gewonnen, wenn Personalverantwortliche – auch durch solche Studien wie die hier besprochenen – etwas sensibler werden im Umgang mit den Chancen und Potenzialen, die in Bewerbern stecken, die ansonsten in der Dunkelheit verbleiben müssen.