Ein Urteil mit weitreichenden Folgen für eine alternde Arbeitswelt. Zugleich ein Lehrstück für das Spannungsdreieck von Einzelfallgerechtigkeit, Fürsorgepflicht des Arbeitgebers und betriebliche Überforderung

Die Arbeitswelt in Deutschland wird – man kann es drehen und wenden wie man will – immer stärker von älteren Belegschaften gekennzeichnet sein. Liegt derzeit das Durchschnittsalter der Beschäftigten in vielen Unternehmen zwischen 45 und 50 Jahre, wird sich das in wenigen Jahren auf 55 Jahre und älter verschoben haben. Die Baby Boomer-Generation, dessen geburtenstärkster Jahrgang 1964 dieses Jahr die 50 vollendet, prägt quantitativ das Gesicht vieler Betriebe. Diese Entwicklung stellt vielfältige Anforderungen an die Unternehmen, der „Boom“ des betrieblichen Gesundheitsmanagements zumindest auf der Ebene seiner Thematisierung in den vergangenen Jahren ist ein Beispiel für die Suche nach Antworten, wie man mit den Herausforderungen umgehen kann.
Und wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass es abweichend von der Normalitätsannahme einer Erwerbsarbeit, die am Tag zur jeweils gleichen Zeit von Montag bis Freitag verrichtet wird, zahlreiche Abweichungen hinsichtlich Länge und Verteilung der Arbeitszeit gibt. Man denke an die mit der Ausdehnung der Ladenöffnungszeiten im Einzelhandel verbundene Zunahme der Arbeit in den Abendstunden, an die Wochenendarbeit oder auch an die unregelmäßige Arbeit auf Abruf, um nur einige Beispiele zu nennen. Eine ganz besondere Bedeutung hat immer noch, in Teilbereichen sogar zunehmend, die immer wieder als besonders belastend herausgestellte Schichtarbeit. Und deren Organisation wird durch eine neue Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts massiv herausgefordert werden.

Und dieses Urteil des höchsten Arbeitsgerichts in Deutschland (10 AZR 637/13 ) hat es wahrlich in sich. Schon der erste Satz kommt wie in Stein gemeißelt daher und wird zahlreiche Folgefragen aufwerfen, die über den Einzelfall, der zur Entscheidung anstand, hinausreichen werden:

»Kann eine Krankenschwester aus gesundheitlichen Gründen keine Nachtschichten im Krankenhaus mehr leisten, ist sie deshalb nicht arbeitsunfähig krank. Sie hat Anspruch auf Beschäftigung, ohne für Nachtschichten eingeteilt zu werden« (Bundesarbeitsgericht: Pressemitteilung Nr. 16/14).

Zum konkreten Sachverhalt erfahren wir: »Die Beklagte betreibt ein Krankenhaus der sog. Vollversorgung mit etwa 2.000 Mitarbeitern. Die Klägerin ist bei der Beklagten seit 1983 als Krankenschwester im Schichtdienst tätig. Arbeitsvertraglich ist sie im Rahmen begründeter betrieblicher Notwendigkeiten zur Leistung von Sonntags-, Feiertags-, Nacht-, Wechselschicht- und Schichtarbeit verpflichtet. Nach einer Betriebsvereinbarung ist eine gleichmäßige Planung ua. in Bezug auf die Schichtfolgen der Beschäftigten anzustreben. Das Pflegepersonal bei der Beklagten arbeitet im Schichtdienst mit Nachtschichten von 21.45 Uhr bis 6.15 Uhr. Die Klägerin ist aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage, Nachtdienste zu leisten, weil sie medikamentös behandelt wird.«

Der Pflegedirektor hatte sie nach einer betriebsärztlichen Untersuchung nach Hause geschickt, weil sie wegen ihrer Nachtdienstuntauglichkeit arbeitsunfähig krank sei. Die Klägerin bot demgegenüber ihre Arbeitsleistung – mit Ausnahme von Nachtdiensten – ausdrücklich an.

Der 10. Senat des Bundesarbeitsgerichts hat die Wertung als Arbeitsunfähigkeit verworfen:

»Die Klägerin ist weder arbeitsunfähig krank noch ist ihr die Arbeitsleistung unmöglich geworden. Sie kann alle vertraglich geschuldeten Tätigkeiten einer Krankenschwester ausführen. Die Beklagte muss bei der Schichteinteilung auf das gesundheitliche Defizit der Klägerin Rücksicht nehmen.«

Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) hat seine Stellungnahme zu der Entscheidung überschrieben mit „Arbeitgeber haben eine Fürsorgepflicht!„. Der DBfK begrüßt die Entscheidung des BAG. „Das Urteil nimmt … pflegerische Einrichtungen in die Pflicht. Die Arbeitgeber haben eine Fürsorgeverpflichtung ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gegenüber, die leider in den vergangenen Jahren allzu häufig ökonomischen Interessen untergeordnet wurde. Dem schiebt das Bundesarbeitsgericht nun einen Riegel vor und betont, dass dem Arbeitgeber Rücksichtnahme auf gesundheitliche Einschränkungen von Beschäftigten durchaus zuzumuten sei“. Mit diesen Worten wird Johanna Knüppel vom DBfK zitiert. Und weiter: „Nachtdienste sind aus vielen Gründen belastend. Die unzureichende Personalbemessung der letzten Jahre hat das noch verstärkt und bei vielen Pflegefachpersonen zu berufsbedingten gesundheitlichen Einschränkungen geführt. Nicht umsonst empfehlen Arbeitsmediziner seit Jahren, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Alter von 50+ bzw. nach vielen Jahren Schichtdienst möglichst keinen Nachtdienst mehr leisten zu lassen. Bei einem guten Generationen-Mix und bedarfsgerechter Anzahl und Qualifikation des vorgehaltenen Personals wäre das auch umsetzbar …“.
Aber ist es wirklich so einfach?

Wir werden hier konfrontiert mit einer Entscheidung, der der richterlichen Logik einer Würdigung des Einzelfalls folgt und damit sicher seine Berechtigung hat, gerade für die Betroffene. Aber ein Krankenhaus ist ein Unternehmen mit vielen Beschäftigten und man muss sich auch mal die andere Seite mit ihren Problemen anschauen: Die Pflegekräfte bilden ein Kollektiv, aus dem heraus die Schichten abgedeckt werden müssen. Wenn man nun konfrontiert wird mit immer mehr Mitarbeitern, die ärztlich attestiert bekommen, dass sie zwar tagsüber, nicht aber nachts arbeiten können, dann schrumpft logischerweise die Grundgesamtheit an Pflegekräften, aus der heraus die Nachtschichten zu leisten sind. Wenn man gleichzeitig eine alternde Belegschaft hat, bei der es aufgrund der Alterskorrelation bestimmter Erkrankungen häufiger zu Schichtbefreiuungstatbeständen kommt, dann kann man sich vorstellen, unter welchen Druck die Belegschaft gesetzt wird, in diesem Fall die jüngeren Kräfte, die dann immer mehr Ausfälle kompensieren sollen/müssen. Gleichzeitig aber kann und soll sich der Arbeitgeber ja auch nicht von den älteren Beschäftigten trennen – eine wirklich schwierige Personalsteuerungsproblematik zeichnet sich hier ab.

Wenn der DBfK – für sich genommen sicher auch nachvollziehbar – fordert, dass »… Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Alter von 50+ bzw. nach vielen Jahren Schichtdienst möglichst keinen Nachtdienst mehr leisten zu lassen«, dann muss man sich die Konsequenzen einer solchen Forderung verdeutlichen, wenn man a) die älteren Beschäftigten nicht entlassen will/darf und b) gleichzeitig das Leistungsangebot rund um die Uhr sicherstellen muss. Eigentlich bräuchte man dann eine erhebliche Überdeckung an Personal (und das muss dann aus jüngeren Jahrgängen kommen), um Ausfälle kompensieren zu können.

Dieses Urteil wird weitreichende Folgen haben, denn die Wechselschichtarbeit ist in der Arbeitswelt verbreitet und die Entscheidung lässt sich auch auf andere Branchen und Unternehmen übertragen. Damit werden viele Betriebe aus der Industrie und den Dienstleistungen die Folgen dieser Entscheidungen zu spüren bekommen. Das Bundesarbeitsgericht bestätigt diese Einordnung, so der Hinweis in einem FAZ-Artikel: »Das Urteil hat nach Angaben einer Sprecherin des Bundesarbeitsgerichts eine „wegweisende Wirkung“ für alle Schichtarbeiter und ist nicht allein auf die Krankenpflege beschränkt.«

»Im Jahr 2011 arbeiteten 58 Prozent aller Erwerbstätigen mindestens gelegentlich in Abend- oder Nachtarbeit, in Wechselschicht oder auch zu sogenannten atypischen Arbeitszeiten, also samstags, sonntags oder feiertags. Die zweithäufigste Form der Schichtarbeit nach der Abendarbeit ist die Wechselschicht, der sich 14 Prozent der Erwerbstätigen zuordnen lassen«, so Carina Leser, Anita Tisch und Silke Tophoven: Schichtarbeit und Gesundheit. Beschäftigte an der Schwelle zum höheren Erwerbsalter (= IAB-Kurzbericht 21/2013).

Die meisten Beschäftigten in Wechselschicht arbeiten nach wie vor im produzierenden Gewerbe, beispielsweise in der Automobil- oder Elektroindustrie. Für die Bereiche „Öffentliche und private Dienstleistungen” sowie im „Handel und Gastgewerbe” wird eine Zunahme der Wechselschichtbeschäftigung festgestellt.

»Mit der Tertiarisierung der Schichtarbeit, also der Verschiebung hin zum Dienstleistungssektor, ist ein allmählicher Anstieg des Frauenanteils in Schichtarbeit verbunden. Hierfür dürften betriebliche Trends zur Flexibilisierung der Arbeitszeiten und eine Ausdehnung der Betriebsnutzungszeiten wie die längeren Ladenöffnungszeiten ebenso verantwortlich sein wie Änderungen in der Regulierung von Arbeit, etwa die Abschaffung des Nachtarbeitsverbotes für Frauen im Jahr 1992« (Leser/Tisch/Tophoven 2013: 2).

Quelle: Leser/Tisch/Tohoven (2013: 2)

In Kontext der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts interessant ist der Blick die Gruppe der Beschäftigten im Alter zwischen 50 bis 64 Jahre. Die Daten zeigen, dass 13 Prozent von ihnen ständig oder regelmäßig in Wechselschicht arbeiten.

Seit 1998 hat sich die Zahl der 50- bis unter 65-Jährigen in Wechselschicht mehr als verdoppelt, und zwar von 594.000 auf 1,29 Millionen, so die IAB-Studie.

Man kann es drehen und wenden wie man will – die aus Sicht des einzelnen Arbeitnehmers durchaus völlig nachvollziehbare Entscheidung, aus einem Teil des Wechselschichtsystems oder gar vollständig daraus befreit zu werden, wird in vielen Betrieben, deren gesamte Arbeitsorganisation auf dem Wechselschichtsystem basiert, zu erheblichen Personalplanungsproblemen führen, aber auch möglicherweise massive innerbetriebliche Spannungen zwischen den Beschäftigtengruppen auslösen.

Diskriminierung: Wenn Tim statt Hakan genommen wird und der Ali nicht passt. Und Bundeswehr-Soldaten auch nicht. Aber wenn die Maschine den Menschen aussucht, dann schlägt die Gleichförmigkeit die Vielfalt

Das waren wieder Schlagzeilen im Einwanderungsland Deutschland: „Keiner will einen Ali im Team haben„, „Du, Hakan, wir nehmen den Tim“ oder „Türkischer Name schmälert Chance auf Ausbildungsplatz„, um nur einige zu zitieren. Was ist passiert? Aus dem Forschungsbereich beim Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration sind die Ergebnisse einer neuen Untersuchung bekannt geworden: »Ein Korrespondenztest mit rund 3.600 Bewerbungen zeigt: Schüler mit einem türkischen Namen haben bei einer Bewerbung auf einen Ausbildungsplatz deutlich schlechtere Chancen, zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden als Schüler mit einem deutschen Namen«, so der Sachverständigenrat in seiner Mitteilung „Jugendliche mit Migrationshintergrund haben auch bei gleicher Qualifikation schlechtere Chancen auf einen Ausbildungsplatz„. Und hat auch sogleich eine „Lösung“ parat: »Um Diskriminierung zu vermeiden empfiehlt der SVR-Forschungsbereich anonymisierte Bewerbungsverfahren und verstärkte interkulturelle Schulung auf betrieblicher Ebene.« Aber ist es so einfach?

Die Studie belege – so kann man es der Pressemitteilung des Sachverständigenrates entnehmen -, „dass ein diskriminierungsfreier Zugang zur Ausbildung im dualen System in Deutschland noch nicht gewährleistet ist“. Aber kann ein solcher überhaupt je gewährleistet werden? Mit dieser Frage soll nun keineswegs Diskriminierung an sich legitimiert werden, sondern es geht um eine grundlegend skeptische Sicht auf das Ziel eines“diskriminierungsfreien“ Zugangs zu Ausbildung wie auch generell zum Arbeitsmarkt. Dieses Ziel kommt zwar wohlfeil daher, aber die Realitäten von Auswahlentscheidungen beinhalten bewusste (die man vielleicht verändern kann) wie auch und vor allem unbewusste (die wesentlich schwerer zu adressieren sind) Diskriminierungen – und das nicht nur in der – übrigens erst seit Anfang des 20. Jahrhunderts gebräuchlichen – durchweg negativen Konnotierung als „jemanden herabsetzen, benachteiligen, zurücksetzen“. Man darf an dieser Stelle darauf hinweisen: Das Wort Diskriminierung stammt von dem aus dem lateinischen Verb discriminare („trennen, absondern, abgrenzen, unterscheiden“) im Spätlateinischen abgeleiteten Verbalsubstantiv discriminatio („Scheidung, Absonderung.“) In jedem Auswahlverfahren haben wir es mit diskriminierenden Prozessen zu tun. Die lassen sich sachlogisch gar nicht vermeiden, es kann also „nur“ gehen um die Problematik „ungerechter“ Diskriminierungen bzw. um Selektionsprozesse, die zu falschen Ergebnissen führen, beispielsweise die Nicht-Nutzung eigentlich „besserer“ Bewerber/innen in einem Auswahlverfahren.

In der vorliegenden Studie wird auf einen ganz bestimmten diskriminierenden Faktor abgestellt: den Vorurteilen, die sich nicht an der einzelnen konkreten Person festmachen, sondern wo diese gleichsam in Sippenhaft ihrer Herkunft bzw. ihrer (scheinbaren) Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe genommen wird.

  • Überall auf dem Arbeitsmarkt werden wir konfrontiert mit der Problematik von normativ aufgeladenen Stereotypen, die sich keinesfalls auf einen Bereich reduzieren lassen. Als Beispiel aus der aktuellen Diskussion sei an dieser Stelle auf den folgenden Artikel verwiesen: „Salutieren im Sandkasten. Vom Soldaten zum Erzieher“ von Almut Steinecke: »An der Bundeswehrfachschule werden Zeitsoldaten umgeschult. Pädagogen und Psychologen finden den Wechsel vom Kasernenhof zur Kita unangemessen.« Unabhängig von Detailfragen – die Kritiker der (wohlgemerkt: qualifizierten) Umschulung nehmen Menschen in eine Art Kollektivhaftung, da den bisherigen Soldaten der Bundeswehr generell die Eignung für die Arbeit in einer Kindertageseinrichtung oder einer Einrichtung der Jugendhilfe abgesprochen wird, da sie als „Soldaten“ nicht passungsfähig sozialisiert seien. Das ist bei genauerer Auseinandersetzung mit dem (an sich) so wichtigen Thema „Eignung“ für eine bestimmte Tätigkeit natürlich schlichtweg Unsinn, denn gerade im pädagogischen Bereich spielt neben einer entsprechend qualifizierten Ausbildung (an der im vorliegenden Fall nicht gespart wird) die individuelle persönliche Eignung eine zentrale Rolle. Und die kann man eben nur individuell beurteilen. Und es gibt kein logisches Argument, warum bisherige Soldaten per se nicht geeignet sein sollen, hingegen Abiturienten, die ein kindheitspädagogisches Bachelor-Studium absolviert haben, schon. Man müsste grundsätzlich bei beiden genau hinschauen und dann würde man nicht nur ungeeignete Ex-Soldaten identifizieren, sondern auch in einer Dauerschleife der nicht enden wollenden Adoleszenz hängen gebliebenen Abiturienten. Man kann es drehen und wenden wie man will: Auch hier haben wir es mit einem Diskriminierungsfall zu tun, mit dem kleinen, aber vom Ergebnis her nicht relevanten Unterschied, dass er von denen kommt, die es eigentlich „gut meinen“ mit dem Beruf. Vielleicht – das wäre aber ein ganz eigenes Thema – ist das sogar noch schlimmer als wenn es aus der anderen Ecke kommt.

Aber wieder zurück zu der neuen Studie. »Lukas gegen Ahmet, Hakan gegen Tim: Wer wird den Ausbildungsplatz bekommen? Nein, keine neue Castingshow, sondern eine Studie, bei der es letztlich drei Verlierer gibt: Ahmet, Hakan – und die Gesellschaft«, so Frauke Lüpke-Narberhaus in ihrem Bericht über die Studie. Was genau ist ermittelt worden?

Für die Studie wurden jeweils zwei Bewerbungen von gleich gut qualifizierten männlichen Bewerbern mit einem türkischen und einem deutschen Namen für die Ausbildungsberufe Kfz-Mechatroniker und Bürokaufmann bundesweit an rund 1.800 Unternehmen verschickt. Die Auswertung der Rückläufe auf die fiktiven Bewerbungen zeigte: Um eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch zu erhalten, muss ein Kandidat mit einem deutschen Namen durchschnittlich fünf Bewerbungen schreiben, ein Bewerber mit einem türkischen Namen hingegen sieben. Im Ausbildungsberuf Kfz-Mechatroniker ist die Benachteiligung stärker ausgeprägt: Hier muss ein Bewerber mit einem türkischen Namen etwa 1,5-mal so viele Bewerbungen schreiben wie ein Kandidat mit einem deutschen Namen. Bei einer Bewerbung um einen Ausbildungsplatz als Bürokaufmann sind es 1,3-mal so viele. „Diskriminierung tritt also nicht in allen Branchen gleichermaßen auf“, erläuterte Dr. Jan Schneider, Leiter des SVR-Forschungsbereichs und Autor der Studie. „Einen wichtigen Einfluss auf das Ausmaß der Ungleichbehandlung hat außerdem die Unternehmensgröße: Die Diskriminierungsrate ist bei kleinen Firmen mit weniger als sechs Mitarbeitern deutlich höher als bei mittleren und großen Unternehmen.“ (Quelle: http://www.svr-migration.de/content/?p=5401)

Quelle: http://www.svr-migration.de/content/?p=5401

Man könnte zumindest einen Teil der Befunde durchaus auch so interpretieren im Wissen um die vielen Vorurteile, die in vielen Köpfen herumschwirren, wenn man mit einem Namen konfrontiert wird, der beispielsweise auf eine türkisch-stämmige Herkunft deutet: Dass bei der Bewerbung auf eine Ausbildungsstelle für einen Bürokaufmann bei deutschem Namen im Schnitt sechs und bei einem türkischen Namen „nur“ eine mehr, also sieben Bewerbungen notwendig sind, erstaunt eher hinsichtlich des kleinen Unterschieds.

Die Forscher sind in ihrer Studie auf einen relativ klaren Zusammenhang gestoßen: »Je kleiner das Unternehmen, desto stärker die Diskriminierung: Das könnte daran liegen, vermuten die Forscher, dass größere Unternehmen ihre Bewerber nach einem stark formalisierten Verfahren auswählen, in das mehrere Mitarbeiter eingebunden sind. Dadurch ließe sich auch der Unterschied zwischen Kfz-Mechatronikern und Bürokaufmännern erklären: Die Kfz-Betriebe hatten im Durchschnitt weniger Mitarbeiter«, so die Zusammenfassung in dem Artikel von Frauke Lüpke-Narberhaus.
Die Wissenschaftler sind auch der Frage nach den – möglichen – Ursachen nachgegangen.

»Gründe für die Ungleichbehandlung gibt es viele. Die Bewerber mit türkischem Namen würden nicht gezielt ausgesiebt, glauben die Forscher, meist gäbe ein Bündel an Faktoren den Ausschlag: Unsicherheit, Vorurteile und Befürchtungen von der Sorte: Was werden die Kunden denken? Werden die Kollegen damit klarkommen?

Manchmal beruht die Ablehnung ganz einfach auf fehlender Erfahrung. Denn über zwei Drittel aller Ausbildungsbetriebe in Deutschland beschäftigen bisher keinen einzigen Azubi mit Migrationshintergrund – das gilt insbesondere für kleinen Betriebe und solche im Osten der Republik. Ganz anders sieht es bei großen Unternehmen aus, darum zeigen diese sich auch offener«, so Daniel Bax in seinem Artikel „Du, Hakan, wir nehmen den Tim„.

Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass die Wissenschaftler stark formalisierte Verfahren, wie man sie typischerweise in großen Unternehmen vorfindet, präferieren. Insofern überrascht ihr Lösungsvorschlag nicht: »Ein entscheidender Beitrag zur Verringerung von Diskriminierung in Bewerbungsverfahren ist die Anonymisierung von Bewerbungen. Doch fehlen insbesondere kleinen Unternehmen oft die personellen und finanziellen Ressourcen, anonymisierte Bewerbungsverfahren durchzuführen. Um den flächendeckenden Einsatz anonymisierter Bewerbungen voranzubringen, sollte eine kostengünstige EDV-Lösung entwickelt werden. Das wäre vor allem für kleine Unternehmen eine entscheidende Erleichterung.« Zum Themenfeld „anonymisierte Bewerbungen“ gibt es auf der Seite der Antidiskriminierungsstelle des Bundes eine eigene Seite mit weiterführenden Informationen. Dort findet man auch die 2012 veröffentlichten Ergebnisse einer Evaluierungsstudie über das Pilotprojekt „Anonymisierte Bewerbungsverfahren“: Für je 12 Monate haben Deutsche Post, Deutsche Telekom, L´Oréal, Mydays, Procter & Gamble, das Bundesfamilienministerium, die Bundesagentur für Arbeit in Nordrhein-Westfalen und die Stadtverwaltung von Celle neue Wege der Personalrekrutierung ausprobiert. Beim Pilotprojekt wurden über 8.500 Bewerbungen anonymisiert eingesehen, 246 Arbeits-, Ausbildungs- und Studienplätze wurden erfolgreich besetzt. Die Studie kommt zu vielversprechenden Befunden, was den Abbau der ersten Hürde im normalen Bewerbungsverfahren angeht.

Nun könnte man vielleicht argumentieren, dass Diskriminierung beispielsweise aufgrund der ethnischen Herkunft, des Geschlechts oder der sexuellen Orientierung an sich schon verboten sind, wir haben sogar seit dem 18. August 2006 das „Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz“ (AGG). Soweit die Theorie. Doch viele Unternehmen wissen, wie sie unerwünschte Kandidaten trotzdem praktisch aussortieren. Hierzu nur als ein Beispiel von vielen: „Unternehmen sieben nach Alter und Geschlecht„.

Nach den Schlussfolgerungen der neuen Studie könnten stärker formalisierte Verfahren tatsächlich einen Fortschritt dahingehend bringen, dass exkludierende Hürden abgebaut werden und damit die Zugangschancen für bestimmte bislang schon am Anfang diskriminierte Bewerber/innen verbessert werden können. Das verhindert immer noch nicht, dass sie dann im weiteren Gang des Verfahrens Opfer von Vorurteilen werden, es erhöht aber ihre Chancen, sich überhaupt präsentieren und einbringen zu können.

Aber – darauf sei abschließend hingewiesen – wie immer in der komplexen sozialen Realität gibt es zwei Seiten einer Entwicklung. Fortschritte durch eine stärkere Formalisierung und Fokussierung auf „nur“ die Qualifikationen kann positiv wirken, wird sie hingegen zu weit getrieben, eröffnen sich sogleich neue Problemfelder. Ein Beispiel hierfür ist der neue Trend des „Roboter Recruiting“, beispielsweise in dem Artikel „Wenn der Mensch von der Maschine eingestellt wird“ von Clare Devlin in der WirtschaftsWoche beschrieben: »Üblicherweise geht eine Bewerbung an den Personaler. Immer häufiger aber entscheidet der Computer mittels Statistik-Programm, wer genommen wird und wer nicht. Gleichförmigkeit statt Vielfalt ist die neue Devise.«
Aber zuerst der Blick auf die Versprechungen, die mit dieser Methode verkauft werden – und die scheinbar hervorragend passen als Antwort auf die bisherige Problematisierung von Diskriminierungen in Auswahlprozessen, wie sie auch in der neuen Studie entfaltet wurde. Als Beispiel wird das Unternehmen Xerox herangezogen, das Roboter Recruiting nutzt:

»Xerox nutzt eine Statistik-Software, mit der Lebensläufe analysiert und selektiert werden. Bewerber müssen ihre Unterlagen hierbei hochladen oder Online-Fragebögen ausfüllen. Der Vorteil für die Unternehmen: Es geht schneller und ist effizienter. Außerdem, so könnte man argumentieren, urteilt der Computer gerechter. Er selektiert Bewerber nicht anhand ihrer Herkunft, ihrer Hautfarbe oder ihrer Religion aus. Der Computer diskriminiert nicht, er fokussiert sich alleine auf die gesuchten Eigenschaften für Bewerber. Die wurden vorher programmiert. Weder das optische Auftreten, noch andere Faktoren wie Langzeitarbeitslosigkeit, Vorstrafen oder Brüche im Lebenslauf spielen eine Rolle beim Roboter Recruiting. Es ist nicht anfällig für Rollenklischees oder von Emotionen gelenkt, denn es gibt keinen ersten Eindruck.«

Xerox hat durch eine Statistik-Software ermittelt, welche Mitarbeiter besonders lange im Unternehmen arbeiten. Anschließend wurde untersucht, was die Personen gemeinsam haben. All diese Eigenschaften gelten als wichtig, also sollten diese auch die neuen Bewerber mitbringen.
Beim Roboter Recruiting zählen nur Zahlen, Daten und Fakten – und eben nicht der türkische Namen eines Bewerbers. Hört sich gut an. Erst einmal.

Aber wie immer gibt es sofort Reaktionen auf neue Systeme. »Im Internet kursieren zahlreiche Anleitungen, wie eine Bewerbung möglichst „roboterfreundlich“ gestaltet werden kann. Frei nach dem Motto: Bloß keine Phantasie, es lebe der Telegrammstil.«

Clare Devlin bringt das Dilemma dieser Personalauswahl auf den Punkt:

»Das große Problem dabei: Persönlichkeiten gehen verloren. Durch Gleichförmigkeit entsteht Sicherheit, aber keine Vielfalt, keine Abwechslung und keine Innovation.«

Und schlussendlich:

»… was ist, wenn der Kandidat zwar alle Kriterien erfüllt und trotzdem nicht ins Team passt? Wenn es auf menschlicher Ebene nicht stimmt? Dafür hat das Roboter Recruiting noch keine Lösung gefunden.«

Das wird das Roboter Recruiting auch nicht schaffen (können). Gerade bei Fragen wie der, ob jemand ins Team passt oder nicht, landet man wieder neben allen Rationalitäten auf der Gefühlsebene und damit bei ganz vielen kleinen und großen Vor-Urteilen. Die kann und muss man bearbeiten, aber wir sind Menschen und insofern wird man die Diskriminierungsprozesse nur abmildern, nicht aber beseitigen können. Auch wenn das schön wäre. Es wäre schon viel gewonnen, wenn Personalverantwortliche – auch durch solche Studien wie die hier besprochenen – etwas sensibler werden im Umgang mit den Chancen und Potenzialen, die in Bewerbern stecken, die ansonsten in der Dunkelheit verbleiben müssen.

Die „Kreativwirtschaft“ und die dort herrschenden Zustände als Menetekel für viele andere?

Anfang Mai ist es wieder soweit – dann findet in Berlin das diesjährige „Familientreffen“ der Internet-Gemeinde und Kreativen bzw. der, die sich dafür halten, statt: Die „re:publica 14„. Wieder mit vielen spannenden und partiell skurrilen Themen. Und natürlich wird es erneut – wenn auch zumeist am Rande – um „berufspolitische“ Fragen gehen, schlagen sich doch viele der Anwesenden mehr schlecht als recht durch die kreative und das heißt eben oftmals auch mehr als prekäre Existenz.
In diesem Kontext lohnt der Blick auf ein lesenswertes Interview mit dem Tourneeveranstalter Berthold Seliger, der eine umfassende und grundlegende Abrechnung mit dem Musikbusiness vorgelegt hat. Seliger hat mit seinem Buch „Das Geschäft mit der Musik – Ein Insiderbericht“ eine interessante Einführung in fast alle Facetten des Geschäfts mit der Musik geliefert. Er analysiert die aktuellen Geschäftsmodelle und befasst sich mit der Rolle der Künstler und Kulturarbeiter, aber auch mit ihrer miserablen sozialen Situation. Das Interview ist unter der Überschrift „Eine Arbeitswelt inszenieren, in der sich Sklaverei wie Freiheit anfühlt“ auf Telepolis veröffentlicht worden. Eine seiner zentralen Thesen lautet: Die „Kreativwirtschaft“ habe eine Türöffnerrolle für neoliberalen Arbeitsverhältnisse gespielt.

Bevor wir uns dieser These genauer widmen sei eine Annäherung an den immer öfter auftauchenden Begriff der „Kreativwirtschaft“, der auch von Seliger verwendet wird, versucht. Es gibt eine gleichsam „halbamtliche“ Definition dessen, was man sich darunter vorstellen soll, denn im Dezember 2007 wurde der Schlussbericht der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ als Bundestags-Drucksache veröffentlicht und da findet man auf den Seiten 333 ff. ein eigenes Kapitel zum Thema „Kultur- und Kreativwirtschaft“. Wobei der Definitionsversuche staubtrocken daherkommt:

Im allgemeinen Gebrauch des Begriffs Kulturwirtschaft respektive Kreativwirtschaft werden in Deutschland diejenigen Kultur- bzw. Kreativunternehmen erfasst, „… welche überwiegend erwerbswirtschaftlich orientiert sind und sich mit der Schaffung, Produktion, Verteilung und/oder medialen Verbreitung von kulturellen/kreativen Gütern und Dienstleistungen befassen.“ (S. 340)

Na ja. Nicht wirklich prickelnd, dieser Definitionsanlauf. Man kann es natürlich auch empirisch versuchen. So hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) im Jahr 2007 eine Studie über die Bedeutung der Kreativwirtschaft in und für Berlin veröffentlicht. Unter den sieben führenden kreativwirtschaftlichen Zentren lag Berlin gemessen an der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung hinter der Region München an zweiter Stelle, zugleich aber mit der höchsten Dynamik. »Dies gilt zumindest für die privatwirtschaftlichen Teile der Branche, bei den öffentlichen Institutionen machen sich dagegen die Sparmaßnahmen des Berliner Senats bemerkbar«, schrieben Geppert und Mundelius in ihrem Beitrag „Berlin als Standort der Kreativwirtschaft immer bedeutender„. Hinsichtlich der Arbeitsverhältnisse ist der folgende Passus interessant:

»Fast die Hälfte der in der Kreativwirtschaft Berlins Tätigen sind Selbständige oder freie Mitarbeiter; in den übrigen Wirtschaftsbereichen ist der Anteil dieser Gruppen weniger als halb so groß. Insgesamt arbeitet jeder zehnte Erwerbstätige Berlins in der Kreativwirtschaft. Damit ist dieser Zweig inzwischen größer als das verarbeitende Gewerbe der Stadt.«

An dieser Stelle lässt sich das aktuelle, von Reinhard Jellen geführte Interview mit Berthold Seliger gut andocken, der ja wie bereits erwähnt von einer „Türöffnerrolle“ der Kreativwirtschaft für neoliberale Arbeitsverhältnisse spricht. Seine Sichtweise von den Künstlern als „Kulturarbeiter“ ist eigenwillig und gewinnbringend. Er führt in dem Gespräch dazu aus:

»Die Künstler und Kulturarbeiter stehen als flexible und selbstverantwortliche Subjekte Modell für eine Neuorganisation der Gesellschaft … Im Kern sind die meisten in der Kreativindustrie tätigen Menschen ja „Arbeiter“, wenn man diesen altmodischen Begriff wieder einführen möchte, nämlich „Kulturarbeiter“, ein Begriff, den zu verwenden ich bevorzuge – ob Aufnahmeleiter oder Arbeiterin im Presswerk, ob die Verkäufer in den Plattenfirmen, die sich so gern als „Produktmanager“ bezeichnen, in Wahrheit aber natürlich alles andere als Manager sind, sondern Verkäufer eines industriell hergestellten Produkts, bis hin zu den Komponisten und Interpreten, die ja nach dem Stand der kulturellen Produktionsverhältnisse am ehesten privilegierte produzierende Facharbeiter im Sektor Dienstleistungen sind, wenn man sie soziologisch einordnen möchte, und keineswegs Unternehmer. Sich selbst würden aber all die lohnabhängigen Arbeiter und Manager, die in der Musikindustrie arbeiten, und all die Künstler jedoch kaum als „Arbeiter“, sondern eben als „Manager“ bezeichnen oder im Fall der Künstler als „Selbständige“, als „Unternehmer“. Und da sind wir eben mitten in der Ideologie des neoliberalen Kapitalismus – die Zuschreibung ist ja: Selbst schuld, wenn du arm bleibst! Selbst schuld, wenn du einen unattraktiven Job machst! Du bist Unternehmer deiner selbst! Du bist für deine Selbstoptimierung, für dein neoliberales Selbst verantwortlich. Und all die „Kreativen“, wie es immer so schön heißt, spielen vergnügt die ihnen vom System zugewiesene Rolle als autarke „Miniaturkapitalisten“.«

Die Fakten, die Seliger vorträgt, sprechen für sich. Er verweist auf die vielen »schlecht bezahlten Jobs – im Extremfall: unbezahlte oder skandalös gering bezahlte Praktika – in der „Kreativwirtschaft“, oder Musiker, deren durchschnittliches Jahreseinkommen laut KSK eben nur 12.005 Euro beträgt.« Nur etwa die Hälfte der in der Kulturbranche tätigen Menschen haben irgendeine Form eines festen Arbeitsverhältnisses, nicht selten mit einer Bezahlung knapp über oder unter dem Hartz IV-Niveau. Die andere Hälfte firmiert als „Selbständige“, zwei Drittel in prekären Verhältnissen. Natürlich stellt sich hier die Frage, warum denn überhaupt so viele trotz dieser offensichtlichen Realitäten den Weg suchen und nehmen in diesen Bereich. Darauf Seliger: »Die „Kreativwirtschaft“ hat es … geschafft, den Menschen vorzugaukeln, dass sie Teil von etwas ganz Tollem sind …«. Insofern verwundert es auch nicht, dass man nach Seligers Beobachtung fast nur noch Vertreter der Mittelschicht in der Kreativwirtschaft findet.

Die Anbindung an den neoliberalen Zeitgeist der zurückliegenden Jahre stellt sich für Seliger so dar:

»Der Arme ist selber schuld, er kann sich aber durch Selbstoptimierung aus seiner Lage retten. Man muss einfach nur besser werden, mehr Fortbildungen machen, hart an sich arbeiten, dann klappt es auch mit dem Job. Es ist das Glücksversprechung der kreativen Klasse, das hierzulande im ersten Jahrzehnt unseres Jahrtausends auch massenpsychologisch die Oberhand gewann. Richard Florida übrigens, der den Begriff der „kreativen Klasse“ erfand, musste gerade zugegeben, dass sich die positiven Effekte, die er sich damals erhoffte, nicht eingestellt haben.«

Zugleich sieht er die Kraft des Kapitalismus, seine alles einverleibende Energie:

»Ich glaube, die Kulturindustrie saugt immer alles auf und macht daraus ein eigenes Ding, eine industrielle Ware. Bis Punk mit dem Clash-Stück „Should I Stay Or Should I Go“ in der Levis-Werbung angekommen war, hat es noch 10 oder 15 Jahre gedauert, bei Grunge dauerte es nur noch etwa ein Jahr.
Die Perfektion, mit der etwas irgendwie Widerborstiges und Rebellisches zum Teil des Mainstreams gemacht und zu etwas Affirmativen umgebogen wird, nötigt mir Respekt ab. Den Kapitalismus darf man eben niemals unterschätzen, und die Kulturindustrie ist eine Speerspitze des Kapitalismus.«

Kommen wir zur Sozialpolitik im engeren Sinne. Reinhard Jellen stellt eine Frage, die kommen muss und zugleich auf etwas verweist, was man gerade in der Kreativwirtschaft mit viel Sympathie besetzt vorfinden kann:

»Sie wenden sich in Ihrem Buch gegen die Subventionierung von Popmusik. Anderseits erklärt Owen Heatherley in seinem Buch über die Band „Pulp“ den Qualitätsschwund in der britischen Popmusik durch den Umstand, dass der Bezug von Arbeitslosengeld als Haupteinnahmequelle von jungen Musikern durch verpflichtende Arbeitsmaßnahmen ersetzt wurde. Könnten Sie sich nicht vorstellen, dass man mit dem bedingungslosen Grundeinkommen, die hiesige Musikszene einigermaßen aufmischen könnte?«

Da ist es also wieder, das bedingungslose Grundeinkommen, das einem immer wieder als „Lösung“ der Existenzprobleme vieler Kreativer vorgeschlagen wird. Verständlicherweise sympathisieren viele Angehörige der kreativwirtschaftlichen Szene mit der Vorstellung eines bedingungslosen Grundeinkommens, wäre man dann doch die wichtigsten Alltagssorgen los und kann dann auch mit den bereits akzeptierten niedrigen Gagen und sonstigen Geldzuflüssen über die Runden kommen. So die Hoffnung. Aber Seliger lässt sich gar nicht auf dieses Glatteis führen, sondern beschreibt lieber den französischen Ansatz, geboren in den 1980er und 1990er Jahren: Man führte Mindestgagen ein, und es gibt eine Art „Arbeitslosengeld“ für die meist selbständigen Pop- und Rockmusiker, wenn die eine Mindestzahl von Konzerten pro Jahr (zwischen 60 bis 70) geben. Dieses Mindesteinkommen auch in der auftrittslosen Zeit muss natürlich finanziert werden: »Finanziert wird das unter anderem durch durchaus üppige spezielle Steuern, zum Beispiel auf die Ticketpreise und vor allem auf die Gagen aller Bands. Es ist eine Art Künstler-Sozialversicherung.«

Spannende Gedanken. Widergelagert zu dem, was passiert seitens des kreativwirtschaftlich-industriellen Komplexes auf der einen Seite, aber auch der Lethargie und Verinselung aufs er Seite der atomisierten Kreativ-Individuen, von denen jeder versucht, sich durchs Leben zu schlagen.

Es erübrigt sich fast schon von alleine vor diesem Hintergrund darauf hinzuweisen, dass es gerade in diesem Bereich sehr schwierig sein wird, einen Mindestlohn durchzusetzen, um das mal mit einer anderen aktuellen sozialpolitischen Baustelle zu verknüpfen.

Handelt es sich bei dem, was wir unter dem Brennglas der Kreativwirtschaft erleben, um einen Menetekel für viele andere Arbeitnehmer bzw. Arbeitskraftunternehmer, wie es ja auch von Seliger mit seiner These in den Raum gestellt wird?

Es gibt zumindest eine noch länger zurückreichende Traditionslinie der Arbeitsmarktforschung, die damals bereits in diese Richtung argumentiert hat: Hier sei beispielsweise auf die Arbeit von Carroll Haak und Günther Schmid aus dem Wissenschaftszentrum für Sozialforschung Berlin hingewiesen, die 1999 als Discussion Paper veröffentlicht worden ist:

Carroll Haak und Günther Schmid (1999): Arbeitsmärkte für Künstler und Publizisten – Modelle einer zukünftigen Arbeitswelt? P99-506, Berlin: Wissenschaftszentrum für Sozialforschung Berlin

Die Künstler und Publizisten hatten damals das Interesse der beiden Wissenschaftler geweckt, weil sie „ideales“ Anschauungsmaterial lieferten für die Arbeitsthese der beiden – dass Strukturmerkmale von Künstlerarbeitsmärkten zumindest teilweise paradigmatisch für den zukünftigen Arbeitsmarkt sein werden:

»Viele Künstler und Publizisten arbeiten als ehrenamtliche Mitarbeiter im Kulturbereich, erzielen Einkünfte durch niedrig bezahlte Dienstleistungen oder treten auf den Markt als die „neuen Selbständigen“. Dabei bewegen sie sich häufig zwischen Sequenzen von Erwerbs- und Nichterwerbszeiten und arbeiten traditionell unter Arbeitsbedingungen, die nicht dem Normalarbeitsverhältnis entsprechen. Ihre Beschäftigungsverhältnisse und ihr Erwerb beruhen häufig nicht auf unbefristeten Vollzeitarbeitsverhältnissen. Somit vollzieht sich ihre Arbeit oft in einem organisatorischen Umfeld, das weder der lohnabhängigen noch der selbständig unternehmerischen Tätigkeit entspricht.«

Auf der Basis ihrer damaligen Analysen hat gerade Günter Schmid dann den Gedanken der „Übergangsarbeitsmärkte“ entwickelt und weiter ausdifferenziert und am Ende ihrer Studie kommen die beiden zu einer Beschreibung der eigentlich erforderlichen Umbaumaßnahmen unserer sozialen Sicherungssysteme, die man heute – im Jahr 2014 – so gut wie eins zu eins neu abdrucken kann:

»Die Möglichkeit, zwischen unterschiedlichen produktiven Tätigkeiten (bezahlt oder unbezahlt, abhängig oder selbständig) wählen zu können, ist eine weitere Anforderung an eine zeitgemäße Vollbeschäftigung. Vollbeschäftigung ist deshalb nicht als ein Zustand kontinuierlicher und abhängiger Vollzeiterwerbstätigkeit zu verstehen, sondern als ein fließendes Gleichgewicht, das eine Vielzahl von Beschäftigungsformen kennt und deren freie Wahl je nach Lebensumständen und wirtschaftlicher Lage ermöglicht. Die institutionelle Inszenierung von Übergängen zwischen verschiedenen Beschäftigungs- und Betätigungsformen sowie deren Absicherung durch ein erweitertes Arbeits- und Sozialrecht ist daher zentraler Bestandteil einer modernen Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik« (Haak/Schmid 1999: 38).

An der Aufgabenzuschreibung für eine moderne Sozialpolitik aus dem Jahr 1999 hat sich nicht wirklich viel geändert. Im Jahr 2014.

Internationaler Frauentag oder Tag der Rosenindustrie. Anmerkungen zu einigen scheinbar trockenen Zahlen und was hinter ihnen steht

In der Zeit um den Ersten Weltkrieg entstand das, was wir heute als „Internationaler Frauentag“ bezeichnen –  im Kampf um die Gleichberechtigung und das Wahlrecht für Frauen. Die Vereinten Nationen haben diesen Tag später zum Tag der Vereinten Nationen für die Rechte der Frau und den Weltfrieden erhoben (1977). Natürlich gibt es eine eigene Website zum International Women’s Day. Zyniker bezeichnen ihn heute auch als Tag der Rosenindustrie, weil davon viele an diesem Tag abgesetzt werden (über die katastrophalen Bedingungen, unter denen heute Rosen hergestellt werden, um sie günstig z.B. in Deutschland absetzen zu können, informieren viele kritische Berichte, beispielsweise der Fernsehbeitrag Billig-Rosen: Afrikaner zahlen mit ihrer Gesundheit). Aber man darf und sollte an die Wurzeln erinnern, die vielen sicher nicht mehr bekannt sind: »Der erste Frauentag wurde … am 19. März 1911 in Dänemark, Deutschland, Österreich-Ungarn und der Schweiz gefeiert. Mit der Wahl des Datums sollte der revolutionäre Charakter des Frauentags hervorgehoben werden, denn der Vortag, der 18. März, war der Gedenktag für die Gefallenen während der Märzrevolution 1848. Außerdem hatte auch die Pariser Kommune 1871 im März begonnen.«

Ein zentrales Thema ist immer wieder die Situation der Frauen auf dem Arbeitsmarkt – angesichts der Bedeutung der Erwerbsarbeit für eine eigenständige Lebensführung, für eine ausreichende soziale Absicherung bis hin zur Verwirklichung dessen, was man mit den Begriffen „Gleichstellung“ oder „Gleichberechtigung“ zu fassen versucht, ist das auch nicht überraschend. Und folgt man den aktuellen Presseberichterstattungssplittern, dann sieht das bei uns in Deutschland richtig gut aus. Aber Schein und Sein unterscheiden sich nicht nur von der Buchstabenzusammensetzung. 

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Immer diese Studien. Jetzt werden die Akademiker durch die mediale Niedriglohndebatte gezogen. Dabei ist die Neuigkeit ein alter, trotzdem bemerkenswerter Anteil

Seit Jahren wird in der Arbeitsmarktdebatte immer wieder das Stichwort „Niedriglohnbeschäftigung“ aufgerufen. Naturgemäß gehen die Vorstellungen darüber, ab wann ein „Niedriglohn“ beginnt – oder eben nicht – sehr weit auseinander. Was für die einen viel ist, mag für die anderen sehr wenig sein. Offensichtlich handelt es sich um ein letztendlich nur durch Festlegung auflösbares Dilemma. Eine solche gibt es auf der EU-Ebene und die verwendet man auch in der Arbeitsmarktforschung: Die „Niedriglohnschwelle“ ist definiert als zwei Drittel des mittleren Stundenlohns (Median), wobei die Betonung auf Median und nicht dem arithmetischen Mittel liegt, das wir ansonsten oftmals bei der Durchschnittsbildung verwenden. Es handelt sich also – wie auch die Schwellenwerte in der Armutsforschung – um ein relatives Konzept. Die Armut im (relativ) reichen Deutschland ist eben eine andere als im (nicht nur relativ) armen Rumänien. Und so ist das auch mit dem Niedriglohn. Wer nun genauer wissen möchte, wie es um die Niedriglohnbeschäftigung bestellt ist in unserem Land, der kann und muss schon seit Jahren zu den jährlich wiederkehrenden Berechnungen des Instituts für Arbeit und Qualifikation (IAQ) greifen, die das routiniert haben. Deren Zahlen werden dann immer wieder zitiert, wenn es um das Thema Niedriglöhne geht. Und auch jetzt wieder bezieht man sich auf das IAQ und mit einem lauten Echo wird die Message durch die Medien getrieben: „Hunderttausende Akademiker arbeiten für Niedriglöhne„, meldet die Süddeutsche Zeitung, sekundiert von Spiegel Online „Neue Studie: Hunderttausende Akademiker arbeiten zu Niedriglöhnen“ und die Frankfurter Rundschau spricht gar von „Lohndumping nach der Universität„. Die Ursprungsmeldung wurde übrigens von der Online-Ausgabe der WELT in die Welt gesetzt. Was ist passiert? Ein Generalangriff auf die akademischen Schichten? Schauen wir genauer hin.

Die absolute Kurzfassung lautet: „Mehr als 600.000 Akademiker bekamen 2012 Niedriglöhne gezahlt. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Studie. Besonders Frauen seien betroffen“, so die Süddeutsche Zeitung. Fast jeder zehnte Akademiker habe 2012 weniger als 9,30 Euro in der Stunde bekommen – da haben wir sie also, die „Niedriglohnschwelle“. Wer darunter verdient ist ein Niedriglöhner. Und weiter erfahren wir: 8,6 Prozent der Arbeitnehmer mit Hochschulabschluss seien 2012 davon betroffen gewesen, in absoluten Zahlen waren das etwa 688.000 Menschen. Eine veritable Großstadt sozusagen. Und dann kommt eine wichtige Information:

„Es gibt seit Jahren eine konstante Gruppe von akademisch ausgebildeten Arbeitnehmern, die zu geringen Löhnen arbeiten“, wird die IAQ-Expertin Claudia Weinkopf in dem Spiegel Online-Artikel zitiert. Die Zahl schwanke seit Jahren grob zwischen sieben und fast zwölf Prozent. Da haben wir wieder das IAQ als Referenzpunkt – neben dem Hinweis, dass es sich hinsichtlich des Anteils eben nicht um eine Neuigkeit handelt, sondern um einen bereits seit Jahren beobachteten Anteilswert innerhalb der von Niedriglöhnen betroffenen Grundgesamtheit.

Datenquelle sind die Berechnungen des IAQ, die seit Jahren regelmäßig vom Institut als „IAQ-Report“ veröffentlicht werden. Der bislang letzte, im Netz verfügbare Bericht stammt aus dem Juni 2013 und bezieht sich hinsichtlich der dort ausgewiesenen Werte noch auf das Jahr 2011:

Thorsten Kalina und Claudia Weinkopf: Niedriglohnbeschäftigung 2011 (= IAQ-Report 2013-01), Duisburg 2013

Dort findet man – wie angemerkt bezogen auf das Jahr 2011 – in der Zusammenfassung die folgenden Informationen:

Im Jahr 2011 arbeiteten 23,9% aller abhängig Beschäftigten in Deutschland für einen Niedriglohn von unter 9,14 € (bundesweite Niedriglohnschwelle). Die Zahl der Niedriglohnbeschäftigten betrug im Jahr 2011 knapp 8,1 Millionen. Die durchschnittlichen Stundenlöhne im Niedriglohnsektor lagen auch im Jahr 2011 mit 6,46 € in West- und 6,21 € in Ostdeutschland weit unter der Niedriglohnschwelle. Nach Qualifikation differenziert ist das Niedriglohnrisiko zwischen 2001 und 2011 am stärksten für Beschäftigte mit abgeschlossener Berufsausbildung gestiegen und nach Arbeitszeitform für Vollzeitbeschäftigte. Mehr als jede/r fünfte Beschäftigte hätte bei Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 € pro Stunde Anspruch auf eine Lohnerhöhung.

Hinsichtlich der Datenbasis für diese Aussagen kann man den Berichten auch entnehmen, dass sich die Forscher des IAQ auf der Basis des sozio-ökonomischen Panels (SOEP) bewegen. Das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) ist eine repräsentative Wiederholungsbefragung, die bereits seit 30 Jahren läuft. Im Auftrag des DIW Berlin werden jedes Jahr in Deutschland über 20.000 Personen aus rund 11.000 Haushalten von TNS Infratest Sozialforschung befragt. Die Daten geben Auskunft zu Fragen über Einkommen, Erwerbstätigkeit, Bildung oder Gesundheit.

Wie immer im statistischen Leben spielt die Abgrenzung der Grundgesamtheit eine Rolle. Im Bericht für das Jahr 2011 schreibt das IAQ: »In früheren Analysen hatten wir auch Schüler/innen, Studierende und Rentner/innen ausgeschlossen mit der Begründung, dass diese typischerweise nur einen Nebenjob ausüben.« Mit Blick auf die aktuelle Mindestlohndebatte hatte man die aber im 2013 erstellten Report wieder aufgenommen. Sie merken an: »Ohne diese Gruppen lag die Niedriglohnschwelle mit 9,23 € pro Stunde etwas höher und der Niedriglohnteil betrug 24,6%.«

Das IAQ macht regelmäßig auch Aussagen zur Niedriglohnbeschäftigung nach Qualifikationsstufen.
Das für die allgemeine Niedriglohndebatte in Deutschland interessanteste Ergebnis hinsichtlich der Qualifikationsebenen findet sich in diesem Zitat: »Insgesamt bleibt es bei dem Befund, dass Niedriglöhne in Deutschland keineswegs überwiegend gering Qualifizierte oder Jüngere betreffen. Vielmehr ist die große Mehrheit der Niedriglohnbeschäftigten formal qualifiziert und stammt aus den mittleren Altersgruppen. Im Niedriglohnsektor werden auch keineswegs ausschließlich „einfache“ Tätigkeiten geleistet. Die im SOEP gestellte Frage, ob für die Ausübung der eigenen Tätigkeit eine Berufsausbildung oder eine höherwertige Ausbildung erforderlich ist, bejahten im Jahr 2011 mit 48,5% knapp die Hälfte aller Niedriglohnbeschäftigten.«

Und – das zeigt die Abbildung mit den Anteilswerten – auch Menschen mit einem Hochschulabschluss sind unter den Niedriglohnbeschäftigten vertreten.

Das bedeutet aber nicht – wie man aus der Titelei beispielsweise der Frankfurter Rundschau ableiten könnte – Lohndumping nach der Universität, denn das wissen wir schlichtweg nicht. Das könnte man nur dann behaupten, wenn man wüsste, wo und wie die Arbeitnehmer/innen mit Hochschulabschluss eingesetzt werden. Wenn aber – zugespitzt formuliert – alle in den Daten ausgewiesenen Hochschulabsolventen als Döner-Verkäufer, Putzhilfen oder Taxifahrer arbeiten würden, dann wären diese Beschäftigungen eine Erklärung für ihren Niedriglohnstatus. Anders würde sich der Fall darstellen, wenn die Hochschulabsolventen tatsächlich ausbildungsadäquat eingesetzt werden und dennoch weniger als die 9,30 Euro in der Stunde bekommen würden.

Diese Unterscheidung ist generell von Bedeutung, denn die aktuellen Irritationen, die von den hier zitierten Zahlen zu den Akademikern und ihrer Betroffenheit von Niedriglohnbeschäftigung über die Medienberichterstattung ausgelöst werden, resultieren aus der nicht passungsfähigen Verknüpfung von Akademiker und Niedriglohn in der Wahrnehmung vieler Beobachter (was aber auch gar nicht gegeben sein muss, wenn man wüsste, um welche Beschäftigungsfelder es sich handelt). Die gleiche Problematik haben wir bei der immer wieder gerne zitierten Statistik, dass die Betroffenheit von Arbeitslosigkeit bei den Akademikern am niedrigsten sei.

Quelle: Weber, B. und Weber, E. (2013): Bildung ist der beste Schutz
vor Arbeitslosigkeit (= IAB-Kurzbericht 4/2013), Nürnberg, Abb. 1, S. 2

Die Abbildung aus der Veröffentlichung von Weber, B. und Weber, E. (2013): Bildung ist der beste Schutz vor Arbeitslosigkeit (= IAB-Kurzbericht 4/2013) verdeutlicht diese gerne rezipierte Sichtweise – und die Unterschiede sind ja auch gewaltig: Während bei denjenigen, die über keinen Berufsabschluss verfügen, die Arbeitslosenquote bei fast 20% lag, also jeder vierte aus dieser Gruppe von registrierter Arbeitslosigkeit betroffen war, belief sich für das hier ausgewiesene Jahr 2011 die Quote bei den Akademikern lediglich auf 2,4%. Ein Vielfaches weniger als bei den Geringqualifizierten. Aber eines beantwortet diese beeindruckende Zahl von nur 2,4% offizieller Arbeitslosenquote unter den Akademikern natürlich nicht: Was machen die statt der Arbeitslosigkeit? Also wenn sie arbeiten – wo und wie arbeiten sie? Ausbildungsadäquat? Oder in einem ganz anderem Bereich, der nichts mit ihrem Studium zu tun hat? Darüber können wir schlichtweg nichts sagen. Das wäre aber schon von Bedeutung – beispielsweise auch im Kontext der allgemeinen Akademisierungsdebatte.

Also bleiben wir bei dem, was wir wissen: Auch ein Studium kann vor einer Niedriglohnbetroffenheit nicht vollständig schützen. Desweiteren sehen wir auch hier ein Abbild der geschlechtsbezogenen Spaltung des Arbeitsmarktes, denn: Den IAQ-Zahlen zufolge ist unter Akademikerinnen das Risiko, zu Niedriglöhnen zu arbeiten, fast doppelt so hoch wie unter Männern: Während 11,4 Prozent der Frauen mit Hochschulabschluss auf dem Niedriglohnsektor arbeiten, sind es bei den Männern nur 6,1 Prozent.

Und abschließend ein zweiter Aspekt, der zum Nachdenken Anlass geben sollte:

»Die Zahl der arbeitslosen Akademiker erhöhte sich 2013 im Jahresdurchschnitt gegenüber dem Vorjahr um 21.400 auf 191.100 Menschen … Dies sei ein Anstieg um 13 Prozent. Grund sei unter anderem die deutlich gestiegene Absolventenzahl.«