In der Zeit um den Ersten Weltkrieg entstand das, was wir heute als „Internationaler Frauentag“ bezeichnen – im Kampf um die Gleichberechtigung und das Wahlrecht für Frauen. Die Vereinten Nationen haben diesen Tag später zum Tag der Vereinten Nationen für die Rechte der Frau und den Weltfrieden erhoben (1977). Natürlich gibt es eine eigene Website zum International Women’s Day. Zyniker bezeichnen ihn heute auch als Tag der Rosenindustrie, weil davon viele an diesem Tag abgesetzt werden (über die katastrophalen Bedingungen, unter denen heute Rosen hergestellt werden, um sie günstig z.B. in Deutschland absetzen zu können, informieren viele kritische Berichte, beispielsweise der Fernsehbeitrag Billig-Rosen: Afrikaner zahlen mit ihrer Gesundheit). Aber man darf und sollte an die Wurzeln erinnern, die vielen sicher nicht mehr bekannt sind: »Der erste Frauentag wurde … am 19. März 1911 in Dänemark, Deutschland, Österreich-Ungarn und der Schweiz gefeiert. Mit der Wahl des Datums sollte der revolutionäre Charakter des Frauentags hervorgehoben werden, denn der Vortag, der 18. März, war der Gedenktag für die Gefallenen während der Märzrevolution 1848. Außerdem hatte auch die Pariser Kommune 1871 im März begonnen.«
Ein zentrales Thema ist immer wieder die Situation der Frauen auf dem Arbeitsmarkt – angesichts der Bedeutung der Erwerbsarbeit für eine eigenständige Lebensführung, für eine ausreichende soziale Absicherung bis hin zur Verwirklichung dessen, was man mit den Begriffen „Gleichstellung“ oder „Gleichberechtigung“ zu fassen versucht, ist das auch nicht überraschend. Und folgt man den aktuellen Presseberichterstattungssplittern, dann sieht das bei uns in Deutschland richtig gut aus. Aber Schein und Sein unterscheiden sich nicht nur von der Buchstabenzusammensetzung.
Werfen wir beispielsweise einen Blick auf die Mitteilungen der Statistiker im Umfeld des Internationalen Frauentages 2014. Die deutschen Bundesstatistiker haben sich durch zwei hoffnungsvoll stimmende Pressemitteilungen hervorgetan:
45 % der Frauen leben von ihrer eigenen Erwerbstätigkeit
Im Jahr 2012 deckten in Deutschland 45 % der Frauen ihren Lebensunterhalt überwiegend durch die eigene Erwerbs- und Berufstätigkeit. Das teilt das Statistische Bundesamt (Destatis) auf Basis von Daten des Mikrozensus anlässlich des Internationalen Frauentages am 8. März mit. Im Vergleich zu 1996 – seitdem sind vergleichbare Auswertungen möglich – ist dieser Anteil deutlich gestiegen. Damals lebten 39 % der Frauen überwiegend von ihrer eigenen Erwerbs- und Berufstätigkeit.
Weitere 29 % der Frauen bestritten im Jahr 2012 (1996: ebenfalls 29 %) ihren Lebensunterhalt hauptsächlich durch eine Rente oder Pension. Für 18 % der Frauen (1996: 24 %) waren Einkünfte von Angehörigen (insbesondere des Ehe- beziehungsweise Lebenspartners) die Haupteinkommensquelle. 8 % der Frauen (1996: ebenfalls 8 %) lebten überwiegend von sonstigen Einkünften, wie zum Beispiel Arbeitslosengeld, Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (Hartz IV) oder von Vermögenseinkünften (beispielsweise Zinsen oder Mieteinnahmen).
(Quelle: Destatis, 04.03.2014)
Und die hier hat besondere Resonanz gefunden in den Medien:
Erwerbstätigkeit von Frauen in Deutschland deutlich über EU-Durchschnitt
Im Vergleich zu den anderen Staaten der Europäischen Union (EU) sind Frauen in Deutschland überdurchschnittlich häufig erwerbstätig. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) anlässlich des Internationalen Frauentages am 8. März mitteilt, waren im Jahr 2012 in Deutschland 17,7 Millionen Frauen im Alter von 20 bis 64 Jahren erwerbstätig. Das entsprach 71,5 % dieser Altersgruppe. Noch höher waren die Erwerbstätigenquoten nur in den Niederlanden (71,9 %), Dänemark (72,2 %), Finnland (72,5 %) und vor allem Schweden (76,8 %). Der EU-Durchschnitt lag bei 62,3 %.
Die Erwerbstätigkeit von Frauen in Deutschland hat in den letzten zehn Jahren deutlich zugenommen. 2002 lag die Erwerbstätigenquote von Frauen in Deutschland noch bei 61,8 %. Die stärkste Zunahme wiesen dabei die älteren Frauen auf. Die Erwerbstätigenquote der 60- bis 64-Jährigen stieg von 14,5 % im Jahr 2002 auf 38,7 % im Jahr 2012 an. Trotz des starken Anstiegs sind Frauen aber weiterhin deutlich seltener erwerbstätig als Männer. Die Erwerbstätigenquote der Männer von 20 bis 64 Jahren in Deutschland lag 2012 bei 81,8 %.
(Quelle: Destatis, 07.03.2014)
Das hört sich doch prima an. Alles gut in Deutschland.
Allerdings scheinen die Bundesstatistiker-Kollegen im benachbarten Österreich (Statistik Austria) zumindest bei den Meldungen etwas „problembewusster“ zu sein, denn deren Pressemitteilung vom 05.03.2014 ist wesentlich informativer so überschrieben: Erwerbsbeteiligung von Frauen steigt durch mehr Teilzeit; Lohnunterschiede nur leicht rückläufig; Frauen auch bei gleichem Bildungsabschluss seltener in Führungspositionen.
Hört sich schon weniger toll an, entspricht aber weitaus deutlicher der Realität, die wir auch in Deutschland beobachten müssen.
Die Abbildung über den Beschäftigungsumfang (Voll- und Teilzeit) nach Geschlecht differenziert für die abhängig Erwerbstätigen verdeutlicht schon das, was die österreichischen Bundesstatistiker bereits in den Titel ihrer Pressemitteilung gepackt haben: Das Beschäftigungswunder der Frauen in Deutschland ist primär ein Teilzeitwunder.
Hierzu hat das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit bereits im Jahr 2011 ausgeführt:
„(Das) Arbeitsvolumen der Frauen (hat sich) in den letzten Jahren nicht wesentlich erhöht. Das ist insbesondere darauf zurückzuführen, dass die Vollzeiterwerbstätigkeit der Frauen in Deutschland zwischen 1991 und 2010 um 20 Prozent zurückgegangen ist und gleichzeitig geringfügige Beschäftigung und Teilzeitarbeit zugenommen haben.“
Man muss sich in aller Deutlichkeit klar machen, was hier beschrieben wird: Die Vollzeiterwerbstätigkeit der Frauen ist – unter Berücksichtigung der gleichzeitig gestiegenen Erwerbsbeteiligung – zurückgegangen und in den zurückliegenden Jahren haben wir eine gewaltige Expansion der Teilzeitarbeit gesehen – vor allem in Form der überaus problematischen geringfügigen Beschäftigung („Minijobs“).
Das korrespondiert mit nachdenklich stimmenden Befunden aus der Sozialforschung über die Entwicklung der Rollenmodelle. Hierzu sei die folgende instruktive Arbeit besonders empfohlen:
➔ Wirth, Heike und Tölke, Angelika: Egalitär arbeiten – familienzentriert leben: Kein Widerspruch für ostdeutsche Eltern. Analysen zu Erwerbskonstellationen von Eltern in Deutschland. In: Informationsdienst Soziale Indikatoren (ISI), 49, 2013, S. 7-11
Die beiden Wissenschaftlerinnen untersuchen die Entwicklung bestimmter Erwerbsarrangements in Ost- und Westdeutschland nach der Wiedervereinigung bis heute. Sie unterscheiden dafür drei Erwerbsarrangements: (1): Traditionell (vollzeittätiger Mann, nichterwerbstätige Frau), (2) Semi-traditionell (vollzeittätiger Mann; teilzeittätige Frau) sowie (3) Egalitär (beide Partner sind zu gleichen Anteilen erwerbstätig, nämlich entweder beide Teilzeit oder beide Vollzeit). Durchaus plausibel sind Erwartungen, dass es seit Anfang der 1990er Jahre zu einer Abnahme des traditionellen Modells gekommen ist und dich das egalitäre Modell weiter ausgebreitet hat. Aber die Befunde der beiden sind – vor allem für Westdeutschland – ernüchternd: Für Westdeutschland zeigen die Daten neben dem erwartbaren Rückgang des traditionellen Erwerbsarrangements aber auch einen Rückgang des egalitären Erwerbsarrangements in den Familien! Wirth und Tölke bringen es so auf den Punkt:„Wiesen 1991 noch 16% der Paare mit einem Kind im Vorschulalter ein egalitäres Erwerbsmuster auf, sind es 2009 nur 10%; bei Paaren mit Kindern im Schulalter geht der Anteil von 22% (1991) auf 15% (2009) zurück. Um es pointiert zu formulieren: Der Anteil der egalitären Erwerbsarrangements von Eltern in Westdeutschland ist in der Gegenwart geringer als vor 20 Jahren.“
Das hört sich nicht unbedingt an wie eine halbwegs lineare Fortschrittsbewegung.
Natürlich kann und muss man darüber diskutieren, wie es zu solchen faktischen Entwicklungen kommen kann, was das für die Frauen bzw. für bestimmte Frauengruppen bedeutet und welche arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Konsequenzen man ziehen könnte (und welche man sollte, aber auch, mit welchen grundsätzlichen Problemen das verbunden ist). Hierzu abschließend zwei Vortragsempfehlungen, wo sich die Referenten im Umfeld des „Equal Pay Day 2014“ zu grundsätzlichen Fragen sowie speziell zu den überaus problematischen Minijobs äußern:
➔ Stefan Sell: Wiedereinstieg – wenn individuelle Wünsche auf die Strukturen des Arbeitsmarktes treffen (29.11.2013, Düsseldorf)
Dieser 50-Minutenfilm informiert Sie ganz grundsätzlich über die sich wechselseitig verstärkenden Ursachen der Entgeltlücke: nicht nur die Berufswahl und die unterschiedlichen regionalen Herausforderungen an Erwerbswillige wie auch die erhebliche Beanspruchung von Eltern schulpflichtiger Kinder als pädagogische Hilfskräfte erweisen sich häufig als Karrierebremsen — Minijobs und Teilzeitfallen leisten einen besonders problematischen Beitrag. Manche gut gemeinte Reformidee verlagert die Probleme nur – statt sie zu lösen.
➔ Carsten Wippermann: „Minijob“ – der Lockruf des schnellen Taschengeldes und seine Folgen (22.11.2013, Frankfurt)
Carsten Wippermann präsentiert seine Studie zu „Frauen im Minijob – Motive und (Fehl-)Anreize für die Aufnahme geringfügiger Beschäftigung im Lebenslauf“. Er legt dar, dass die fatalen Folgen gemeinsam getroffener Entscheidungen zur Aufteilung von Erwerbs- und Familienarbeit, die im Augenblick der Entscheidung ökonomisch durchaus sinnvoll sein können, erst im weiteren Lebensverlauf wirken. Da ganz überwiegend verheiratete Frauen der „Honigspur“ der Minijobs folgen (d.h. den Fehlanreizen erliegen), kann die Eheschließung sich als Risiko für die Erwerbstätigkeit von Frauen erweisen.