Armutsrenten: Wenn vorleistungsabhängige Renten und vorleistungsunabhängige Grundsicherung immer mehr verschmelzen. Und was das (auch) mit dem Rentenniveau zu tun hat

Winfried Schmähl war viele Jahre Vorsitzender des Sozialbeirats der Bundesregierung und ist einer der wenigen wirklichen Rentenexperten. Die man vor allem dann erkennen kann, wenn sie aufgrund der Durchdringung der zugegeben komplizierten Systeme in unserer sozialpolitischer Landschaft frühzeitig den Finger auf Entwicklungen und deren nicht gutes Ende legen, wenn viele noch gar nicht sehen, was da wie und wo auf die Schiene gesetzt wird. Und Schmähl war ein frühzeitiger Warner vor den Folgen von Systemveränderungen in der Gesetzlichen Rentenversicherung.

Im Jahr 2012 begann Winfried Schmähl einen Beitrag für die Zeitschrift „Wirtschaftsdienst“ mit diesen kompakten Worten: »Bei ihrer Gründung 1889 dominierte in der Gesetzlichen Rentenversicherung das Ziel, Armut bei Invalidität und im Alter zu lindern. Dies wurde erst 1957 mit der großen Rentenreform anders. Seitdem dienen Renten nicht mehr nur als Zuschuss zur Finanzierung des Lebensunterhalts, sondern als Lohnersatz. Seit der Jahrtausendwende haben verschiedene Reformen den Weg zurück zur Rente als Zuschuss vorgezeichnet.« Dieser Hauptthese folgend ist der Beitrag dann auch zutreffend überschrieben mit: Von der Rente als Zuschuss zum Lebensunterhalt zur „Zuschuss-Rente“. Und er hat bereits damals auf einen Sachverhalt hingewiesen, der uns in der aktuellen rentenpolitischen Diskussion bewegt bzw. bewegen sollte. 

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Von Armutsgefährdungsquoten und bedenklichen Entwicklungen hinter den großen Zahlen

Das Armutsrisiko war – gemessen an der Armutsgefährdungsquote – im Jahr 2016 in den südlichen Bundesländern Baden-Württemberg mit 11,9 Prozent und Bayern mit 12,1 Prozent am geringsten. Das bundesweit höchste Armutsrisiko wies Bremen mit 22,6 Prozent auf, gefolgt von Sachsen-Anhalt mit 21,4 Prozent und Mecklenburg-Vorpommern mit 20,4 Prozent. So findet man das am Anfang einer dieser typisch-trockenen Pressemitteilungen des Statistischen Bundesamtes: Armutsgefährdung in den Bundes­ländern weiter unterschiedlich, so ist die überschrieben. Die neuen Zahlen zur „Armutsgefährdungsquote“ wurden in vielen Medien aufgegriffen. Glückliches Baden-Württemberg – so die Überschrift im Handelsblatt. Zugleich wird dort aber auch gleich am Anfang des Beitrags darauf hingewiesen: »Insgesamt verharrt die Armut in Deutschland auf hohem Niveau.« Und dem Artikel kann man außerdem entnehmen: »Als von Armut bedroht gilt danach jemand, dessen Einkommen 60 Prozent des mittleren Einkommens (Median) unterschreitet. Im Bundesdurchschnitt verharrt die Armutsgefährdungsquote bei 15,7 Prozent – so hoch wie 2015. In den Jahren davor ist sie stetig gestiegen.« Andere Schlagzeilen von heute: Armut in Berlin: Fast jeder Fünfte von Armut bedroht, so der in Berlin erscheinende Tagesspiegel: »In Berlin lebt fast jeder Fünfte am Rand des Existenzminimums. Berlin liegt dabei an vierter Stelle nach Bremen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpormmern.«

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Kinderarmut steigt deutlich, Altersarmut wächst, Armutsquote der Gesamtbevölkerung stagniert auf hohem Niveau

»Die Kinderarmut in Deutschland hat 2016 erneut spürbar zugenommen. Der Anteil der Kinder und Jugendlichen, die unter der Armutsgefährdungsgrenze leben, stieg um 0,6 Prozentpunkte auf 20,3 Prozent. Das entspricht rund 2,7 Millionen Personen unter 18 Jahren.« Das berichtet die Hans-Böckler-Stiftung mit Bezug auf eine Auswertung offizieller Zahlen durch das Wirtschaftswachstum- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI). Unter der Überschrift Armut in Deutschland: Bei Kindern deutlicher Anstieg durch Zuwanderung, Altersarmut wächst ebenfalls leicht erfahren wir weiter, dass man die Zahlen zur Kinderarmut allerdings differenziert betrachten muss: »Grund für den Anstieg ist, dass sich die große Zahl der in letzter Zeit nach Deutschland geflüchteten Kinder und Jugendlichen jetzt in der Sozialstatistik niederschlägt. Dagegen sind die Armutsquoten unter Kindern und Jugendlichen, die keinen Migrationshintergrund haben oder als Kinder von Migranten in Deutschland geboren wurden, leicht rückläufig.« 

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Ein weiterer Vermessungsversuch der kommenden Altersarmut und der von ihr Betroffenen mit leider erwartbaren Ergebnissen

»Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel sieht anders als die SPD keinen Bedarf für eine große Rentenreform nach der Bundestagswahl im Herbst. „An der gesetzlichen Rente haben wir bis 2030 die Reformschritte eigentlich gemacht, die ich für notwendig erachte“, sagte Merkel beim Industrietag in Berlin … Merkel sagte, das Rentensystem sei dank der Reformen der vergangenen Jahre stabil aufgestellt … „Es gibt aus unserer Sicht bis 2030 keine Notwendigkeit, das Rentensystem jetzt wieder zu verändern“, sagte Merkel.« So ein Zitat aus dem Artikel Merkel sieht keinen Änderungsbedarf bei der Rente vom 20. Juni 2017. Und gerne sekundieren Teile der Medien mit Berichten, in denen vor einer Dramatisierung des „angeblichen“ Problems der Altersarmut gewarnt wird und überhaupt geht es doch „den“ Rentnern so gut wie nie. Also alles gut.

Irgendwie erinnert das an das bekannte Muster von den drei Affen – nichts hören, nichts sehen und nichts sagen. Da müssen dann andere immer wieder Wasser in den angeblichen Rentenwein kippen. Dann können solche Schlagzeilen herauskommen: Zahl armer Rentner wird deutlich ansteigenAltersarmut nimmt in Deutschland drastisch zu oder Altersarmut trifft besonders alleinstehende Frauen. Die Quelle für diese und andere Berichte kann man hier finden: Wandel der Arbeitswelt lässt Altersarmut in Deutschland steigen, so hat die Bertelsmann-Stiftung eine Pressemitteilung überschrieben, in der über die Ergebnisse einer neuen Studie berichtet wird, die vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin gemeinsam mit dem Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim erstellt und von der Stiftung in Auftrag gegeben worden ist. 

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Die Armut aus der Perspektive der statistischen Umlaufbahn und mit Blick auf die Betroffenen: Von den großen Zahlen und den vielen kleinen Einzelfällen

Um es gleich voran zu stellen: Es gibt nicht lösbare Dilemmata. Man kann und muss sich diese bewusst machen, aber man wird das eine nicht zugunsten des anderen aufheben können und umgekehrt. Die Armutsforschung und gerade die armutspolitische Debatte wären hier als Beispiel zu nennen: Da gibt es zum einen den Blick von oben auf die großen Zahlen, mit denen man versucht, eine überaus komplexe und zugleich immer viele Einzelfälle umfassende gesellschaftliche Problematik wie „die“ Armut quantitativ abzubilden. Das führt dann nicht nur zu den immer wiederkehrenden und letztendlich nicht beantwortbaren Fragen nach dem Muster: Wie viele Menschen sind denn nun arm? Sondern auch zu einem unvermeidbaren methodischen Streit, ob man überhaupt Armut richtig misst, was dann gerne im politischen Streit über die Zahlen instrumentalisiert wird. Wir haben das jüngst erst wieder erleben müssen im Umfeld des nach langen Geburtswehen veröffentlichten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung. Und zum anderen sind da Millionen Einzelfälle, bei deren genauerer Betrachtung jedem klar wird, dass wir mit Armut und Ausgrenzung aus dem gesellschaftlichen Leben konfrontiert sind – und jeder der davon Betroffenen kann sich aber auch gar nichts davon kaufen, dass es „uns“ angeblich immer besser geht oder gar, dass es bei uns doch eigentlich gar keine „richtige“ Armut geben würde. Mit diesem Dilemma sind nicht nur wir konfrontiert – sondern auch die Menschen in Österreich. 

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