Kinderlosigkeit, Geburtenrate, Geburten – ein (scheinbares) Durcheinander auf der demografischen Großbaustelle

Endlich mal positive Nachrichten mag der eine oder andere gedacht haben: »Der Anteil kinderloser Frauen in Deutschland ist in den vergangenen Jahren nicht weiter gestiegen. Akademikerinnen bekommen sogar wieder mehr Nachwuchs«, so beispielsweise ein Artikel unter der Überschrift Trend zur Kinderlosigkeit gestoppt. »Etwa jede fünfte Frau bleibe „endgültig kinderlos“ – eine Quote, die sich seit einigen Jahren stabilisiert habe … Außerdem gingen mehr Frauen mit Kleinkindern arbeiten und Akademikerinnen bekämen mehr Kinder. Die Statistikbehörde sieht darin nicht nur eine Folge der Zuwanderung, sondern auch positive Effekte durch den Ausbau der Kinderbetreuung. Dazu habe „nicht zuletzt die Verbesserung der Bedingungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, vor allem durch den Ausbau der Kinderbetreuung, beigetragen“.« Das hört sich doch gut an. Manche lassen sich gar zu solchen Headlines hinreißen: Der neue Trend zum Kind. Bei so viel Euphorie lohnt es sich, genauer hinzuschauen. Also werfen wir einen Blick auf die Daten des Urhebers dieser Meldungen, dem Statistischen Bundesamt.

Die neuen Daten wurden auf der Pressekonferenz „Kinderlosigkeit, Geburten und Familien – Ergebnisse des Mikrozensus 2016“ des Statistischen Bundesamtes am 26. Juli 2017 präsentiert. Wer es ganz ausführlich haben möchte, der kann auf diese Veröffentlichung zurückgreifen:

Statistisches Bundesamt (2017): Kinderlosigkeit, Geburten und Familien. Ergebnisse des Mikrozensus 2016, Wiesbaden, Juli 2017

»Seit einigen Jahren zeichnet sich in Deutschland ein leichter Geburtenanstieg ab. Die zusammengefasste Geburtenziffer erreichte im Jahr 2015 erstmals seit 1982 den Wert von
1,5 Kindern je Frau, die Zahl der Geborenen stieg wieder auf das Niveau der Jahrtausendwende. Im Mikrozensus 2016 wurden Frauen zum dritten Mal seit 2008 zur Geburt von Kindern befragt. Eine wesentliche Erkenntnis ist, dass sich der langjährige Trend zu einer zunehmenden Kinderlosigkeit derzeit nicht fortsetzt. Bei den akademisch gebildeten Frauen geht die Kinderlosigkeit sogar zurück.« Mit diesen Worten wird Georg Thiel vom Statistischen Bundesamt zitiert.

Schauen wir etwas genauer hin. Datengrundlage ist der Mikrozensus. Er ist mit rund
800.000 Befragten die größte jährliche Haushaltserhebung in Deutschland. Nun hat man sich vor allem die Entwicklung der Kinderlosenquote angeschaut. Das hört sich einfacher an als es auf den ersten Blick erscheint.

Wir haben hier ein vergleichbares Problem wie bei der sogenannten Geburtenrate, von der es auch zwei unterschiedliche gibt. Zum einen schaut man sich bei der „zusammengefassten Geburtenziffer“ für ein Kalenderjahr an, wie viele Kinder die Frauen im Alter von 15 bis 49 Jahre haben. Die zusammen­gefasste Geburten­ziffer in Deutschland lag 2015 mit 1,50 Kindern je Frau – und damit unter dem Durchschnitt der EU. Die höchste Geburten­ziffer verzeichnete Frankreich, hier wurden durchschnittlich 1,96 Kinder je Frau geboren. Es folgten Irland (1,92 Kinder je Frau), Schweden (1,85) sowie das Großbritannien (1,80). Die niedrigsten Geburten­ziffern verzeichneten Portugal (1,31 Kinder je Frau), Polen und Zypern (jeweils 1,32). Es handelt sich also um eine Querschnittsgröße zu einem bestimmten Jahr, darin enthalten sind alle Frauen in dem genannten Altersbereich.

Daneben gibt es die „endgültige Geburtenziffer“, die zum Ausdruck bringt, wie viele Kinder die Frauen abschließend zur Welt gebracht haben. Erreicht ein Jahrgang das 50. Lebensjahr, entspricht die so berechnete zusammengefasste Geburtenziffer der endgültigen Kinderzahl, die dieser Jahrgang durchschnittlich zur Welt gebracht hat. Das kann man natürlich nur berechnen für Frauen, die diese Altersgruppe auch schon erreicht haben, bei jüngeren Frauen ist das (noch) nicht möglich.

Die Abbildung verdeutlicht eine interessante Entwicklung: Auf der einen Seite erkennt man seit einigen Jahren einen Anstieg der zusammengefassten Geburtenziffer, zugleich aber scheint der Sinkflug der endgültigen Geburtenziffer für die Frauenjahrgänge, bei denen man diese Zahl bestimmen kann, ungebrochen.

Zurück zur Kinderlosigkeit. Dazu erfahren wir vom Statistischen Bundesamt: »Die Kinderlosigkeit in Deutschland ist in den letzten Jahren nicht weiter angestiegen. Nachdem die endgültige Kinderlosenquote in den vergangenen 30 Jahren kontinuierlich zugenommen hatte – zwischen den Jahrgängen 1937 und 1967 hat sie sich von 11 % auf 21 % fast verdoppelt – nahm sie bei den in den späten 1960er und in den 1970er Jahren geborenen Frauen nicht mehr zu. Vor allem im früheren Bundesgebiet, wo der Anteil der Frauen ohne Kind an allen Frauen besonders hoch ist, zeichnet sich eine Stabilisierung der Kinderlosenquote ab.« Die Statistiker weisen allerdings auch darauf hin: »Dennoch gehört Deutschland damit neben der Schweiz, Italien und Finnland zu den Ländern mit der höchsten Kinderlosigkeit in Europa.«

Die Kinderlosenquote der 45- bis 49-Jährigen war 2016 in den Stadtstaaten mit 28 % am höchsten. Spitzenreiter war Hamburg mit 31 %. In den westdeutschen Flächenländern betrug die Kinderlosenquote 21 % und in den ostdeutschen Flächenländern 12 %.
In allen Bundesländern ist die Kinderlosigkeit in den urbanen Regionen durchweg höher als in den ländlichen. Besonders auffallend waren 2016 diese Unterschiede in Bayern mit 15 % kinderlosen Frauen auf dem Land und 30 % in den Städten.

»Im Jahr 2016 betrug die endgültige Kinderlosenquote der 45- bis 49-jährigen Akademikerinnen
26 %. Sie lag damit leicht unter dem Niveau des Jahres 2012 (27 %)«, schreiben die Bundesstatistiker. Darauf basieren übrigens die meisten Meldungen – ein überschaubarer Anstieg.

Nun gibt es nicht nur Akademikerinnen in unserem Land. Zu den anderen erfahren wir:

»Die endgültige Kinderlosenquote bei den Nicht-Akademikerinnen insgesamt stieg zwischen den Jahrgängen 1937 bis 1964 fast kontinuierlich. Anschließend stabilisierte sie sich und schwankte bei den Jahrgängen 1965 bis 1974 zwischen 19 % und 20 %. Ein anderes Bild zeigt sich jedoch, wenn nur die in Deutschland geborenen oder als Kind zugewanderten Frauen ohne akademischen Abschluss betrachtet werden. Ihre Kinderlosenquote war zwischen den Jahrgängen 1965 und 1974 nicht stabil, sondern stieg von 20 % auf 22 %.«

Und dann kommt ein wichtiger Satz, den man sich merken sollte: »Der steigende Trend in der Kinderlosigkeit der Nicht- Akademikerinnen ist somit noch nicht gestoppt. Er wird lediglich durch eine niedrigere Kinderlosigkeit der Zuwanderinnen gedämpft.«

Trotz der nach wie vor hohen Kinderlosigkeit werden auch heute etwa 80 % aller Frauen im Laufe ihres Lebens Mutter. Für die demografische Entwicklung aber auch relevant ist die Frage nach der Entwicklung der (endgültigen) durchschnittlichen Kinderzahl je Mutter. Dazu klären uns die Statistiker so auf:

»Zwischen 2008 und 2016 stieg der Anteil der Mütter mit 1 Kind bei den Müttern im Alter zwischen 45 und 49 Jahren von 29 % auf 32 %. Gleichzeitig sanken die Anteile der Mütter mit 2 Kindern von 49 % auf knapp 48 % und der Mütter mit 3 oder mehr Kindern von 22 % auf 20 %. Die endgültige durchschnittliche Kinderzahl je Mutter fiel dabei leicht von 2,03 auf 1,96 Kinder je Mutter.« Wenn man das im Zusammenspiel mit der Kinderlosenquote berücksichtigt, dann wird der Verlauf der endgültigen Kinderzahl in West- und Ostdeutschland wie in der Abbildung dargestellt, verständlich.

Wie lauten die Schlussfolgerungen der Statistiker? »Der leichte Geburtenanstieg seit 2012 hängt nicht nur mit der stärkeren Zuwanderung, sondern auch mit Veränderungen im Geburtenverhalten der Gesamtbevölkerung zusammen. Der seit 30 Jahren anhaltende Trend zur höheren Kinderlosigkeit setzte sich in den letzten Jahren nicht mehr fort.« Dann kommt dieser einschränkende Hinweis:

»Die erreichten Verhältnisse sind noch sehr fragil. Die stabile Kinderlosenquote bei den Nicht-Akademikerinnen hängt vor allem mit einer niedrigen Kinderlosigkeit der Zuwanderinnen zusammen. Bei den in Deutschland geborenen Nicht-Akademikerinnen nimmt die Kinderlosigkeit dagegen weiter zu.«

Was die ansonsten diskutierten Eckpunkte der demografischen Entwicklung angeht, so besteht auch im Lichte der dargestellten neuen Daten kein Grund, eine Trendwende zu verkünden. Immer noch liegt die Geburtenrate deutlich unter den 2,1 Kindern je Frau, die für eine Bestandserhaltung der Bevölkerung rechnerisch notwendig wären. Hinzu kommen die Auswirkungen der Alterung der Bevölkerung.

Eigentlich könnt ihr zufrieden sein. Oder doch nicht? Eine Studie zur Intensivpflege. Ein Lehrstück zu unterschiedlichen Wahrnehmungen der Pflegewelt

53 Prozent der Kliniken haben Probleme Pflegestellen im Intensivbereich zu besetzen, so wird Thomas Reumann, Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), anlässlich der Vorstellung des Gutachtens Personalsituation in der Intensivpflege und Intensivmedizin, das die DKG beim Deutschen Krankenhausinstitut (DKI) in Auftrag gegeben hat, in der Pressemitteilung Fachkräftemangel – eine Herausforderung für alle zitiert.

Ein Gutachten der Krankenhausträger? Müsste da nicht eigentlich eher Entwarnung signalisiert werden? Die können doch kein Interesse daran haben, die Kliniken in ein problematisches Licht zu rücken? Bevor die Schnappatmung bei dem einen oder anderen Krankenhausmanager einsetzt, wird denn auch sofort eine Klarstellung nachgeschoben:

»Wie die repräsentative Studie zeigt, ist die Versorgung der Patienten objektiv gut. Im Jahresdurchschnitt 2015 lag das Verhältnis von Intensivpatienten zu Pflegekräften bei 2,2 Fällen pro Schicht und Pflegekraft (VK). Die Empfehlung der Fachgesellschaft Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) eines Pflegekraft-zu-Patienten-Verhältnisses von 2 Fällen pro Schicht und Pflegekraft wird im Mittel in etwa erreicht. Das DKI-Gutachten belegt außerdem, dass drei Viertel aller Krankenhäuser die Fachkraftquote in der Intensivpflege erfüllen. Diese liegt durchschnittlich bei 44 Prozent je Krankenhaus (zum Vergleich: Die DIVI empfiehlt mindestens 30 Prozent).«

Also doch alles gut. Oder doch nicht? Denn dann kommt dieser Hinweis von der DKG: »Bundesweit sind in der Intensivpflege derzeit 3.150 Stellen vakant und können nicht besetzt werden.« 

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Panikmache mit (scheinbar) wissenschaftlichem Flankenschutz. Die bösen Sozialabgaben mal wieder und das Jobkiller-Motiv

Ältere Semester werden schon bei dem Begriff mit den Augen rollen, begleitet uns dieser doch seit Jahrzehnten in höchst aufgeladener Form durch die wirtschafts- und sozialpolitische Debatte: Lohnnebenkosten. Man spricht auch von „indirekten Arbeitskosten“. Das Arbeitgeber-Institut der deutschen Wirtschaft verwendet den Terminus „Personalzusatzkosten“ und versteht darunter alles, was zusätzlich zum (Brutto-)Lohn für tatsächlich geleistete Arbeit gezahlt wird (vgl. Arbeit in Deutschland ist teuer). Dazu gehört beispielsweise die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, betriebliche Altersvorsorge bis hin zum größten Posten, den Arbeitgeberbeiträgen zur Sozialversicherung.

Und um die geht es hier besonders. Wobei man anmerken muss, dass die Sozialversicherungsbeiträge formal differenziert werden in den Teil, den die Arbeitgeber zu finanzieren haben, und einen anderen, der von den Arbeitnehmern von deren Bruttolöhnen bzw- gehältern einbehalten wird. Das war mal „paritätisch“, auch so eine scheinbare Zauberformel der deutschen Finanzierungsarchitektur der sozialen Sicherung, also beide Seiten teilen sich die Gesamtsumme zu Hälfte. Aber damit ist schon seit längerem Schluss. Nicht nur in der Krankenversicherung, wo der Arbeitgeberbeitrag eingefroren wurde und die Arbeitnehmer den übersteigenden Finanzbedarf über Zusatzbeiträge alleine zu finanzieren haben. Man denke hier auch an die Rentenversicherung, wo wir seit dem rentenpolitischen Paradigmenwechsel 2001 mit der Riester-Rente (die alleine von den Arbeitnehmern zu stemmen ist) und der gleichzeitigen Absenkung der Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung mit entsprechenden Auswirkungen auf den Beitragssatz eine faktische Abkehr von der Parität im Sinne einer einseitigen Belastungsverschiebung haben. Bei der sozialen Pflegeversicherung wird gerne vergessen, dass dort zwar formal eine Arbeitgeberbeteiligung praktiziert wird – am Anfang stand aber die Streichung eines Feiertags als Kompensation für die Arbeitgeberseite. 

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