Was denn nun? Geht sie kontinuierlich zurück, die Kinder- und Jugendarmut – oder steigt sie? Ein Beispiel für den scheinbaren Zahlensalat in der Armutsberichterstattung

Der Paritätische Wohlfahrtsverband hat es wieder getan. Wie jedes Jahr. Seinen Armutsbericht vorgelegt und zugleich eine Schlagzeile produziert, die ein Teil der Medien gerne aufgreift, während andere erneut die Zugbrücke hochziehen und die Panikmache und Skandalisierung verurteilen, wo doch alles besser geworden sei in unserem Land.

»Mit 15,9 Prozent hat die Armutsquote in Deutschland einen historischen Wert erreicht. Es ist die größte gemessene Armut seit der Wiedervereinigung. Über 13 Millionen Menschen sind betroffen. Machte der letzte Paritätische Armutsbericht noch Hoffnung auf fallende Zahlen, so zeigt die aktuelle Auswertung wieder einen klaren Aufwärtstrend«, so beginnt die Pressemitteilung des Wohlfahrtsverbandes unter der Überschrift Der Paritätische Armutsbericht 2020. Während sich die einen nun erneut bestätigt fühlen, dass es immer schlimmer wird in diesem Land, werden andere auf solche Meldungen verweisen: Kinderarmut sinkt deutlich: »In Deutschland leben mehr als zwei Millionen Kinder in Armut – doch ihr Anteil geht laut Statistischem Bundesamt kontinuierlich zurück.« Das ist doch nun eine erfreuliche Nachricht. »Laut Angaben des Statistischen Bundesamts sank der Anteil der von Armut und sozialer Ausgrenzung bedrohten Kinder unter 18 Jahren in Deutschland im Jahr 2019 auf 15 Prozent … Im Jahr 2018 waren noch 17,3 Prozent der Kinder und Jugendlichen einem Risiko für Armut und soziale Ausgrenzung ausgesetzt, 2010 waren es sogar 21,7 Prozent.« Was für ein Rückgang. Der passt nun so gar nicht zu den weltuntergangshaften Botschaften des Paritätischen. Und außerdem kommen die positiven Zahlen doch vom Statistischen Bundesamt – auf das sich im übrigen auch der Armutsbericht des Paritätischen bezieht, denn die haben keine eigenen Zahlen zu Tage gefördert, sondern beziehen sich immer auf die offiziellen Zahlen der Sozialberichterstattung der amtlichen Statistik. Was genau ist hier los? Kann man den (scheinbaren) Widerspruch irgendwie auflösen?

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Vor Corona ist jeder (un)gleich. Der Verteilungsbericht 2020 des WSI und die Frage, was man hätte tun können/sollen, aber nicht getan hat

»Der Abstand zwischen hohen und niedrigen Einkommen in Deutschland wird durch die Corona-Pandemie weiter wachsen. Denn Erwerbspersonen mit schon vorher niedrigen Einkommen sind im bisherigen Verlauf der Corona-Krise fast doppelt so häufig von Einbußen betroffen wie Menschen mit hohen Einkommen – und sie haben zudem relativ am stärksten an Einkommen verloren.« Das berichtet die Hans-Böckler-Stiftung unter der Überschrift Corona-Krise verschärft Ungleichheit zwischen hohen und niedrigen Einkommen, auch Mitte droht zurückzufallen. Das muss auch im Kontext der Entwicklung vor Corona gesehen werden: »Damit verschärft sich ein Trend, der auch die wirtschaftlich starken 2010er-Jahre gekennzeichnet hat: Die 20 Prozent der Haushalte mit den geringsten Einkünften blieben von einer insgesamt recht positiven Einkommensentwicklung weitgehend abgekoppelt.«

„Menschen, die zuvor schon wenig hatten, sind besonders oft und besonders hart von wirtschaftlichen Verlusten betroffen. Denn sie arbeiten oft an den Rändern des Arbeitsmarktes. Dort werden sie nur unzureichend durch Schutzmechanismen in den Sozialversicherungen oder durch Tarifverträge erfasst, die viele Beschäftigte im mittleren Einkommensbereich bisher recht effektiv vor drastischen Einkommenseinbußen bewahrt haben“, so wird Bettina Kohlrausch, die wissenschaftliche Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) zitiert. Das WSI hat seinen diesjährigen Verteilungsbericht veröffentlicht:

➔ Bettina Kohlrausch, Aline Zucco und Andreas Hövermann (2020): Verteilungsbericht 2020. Die Einkommensungleichheit wird durch die Corona-Krise noch weiter verstärkt. WSI-Report Nr. 62, Düsseldorf: Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut (WSI), November 2020

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Eine „beschäftigungssichernde Brücke in das Jahr 2022“: Die Sonderregelungen zur Kurzarbeit werden verlängert, mindestens ein Grundproblem dieses Instruments bleibt

Bereits in der letzten schweren Rezession im Gefolge der Finanz- und Wirtschaftskrise wurde vor allem Jahr 2009 die Kurzarbeit als arbeitsmarktpolitisches Brückeninstrument intensiv eingesetzt – in der Spitze gab es im Frühjahr 2009 mehr als 1,4 Millionen Kurzarbeiter in Deutschland, im Jahresdurchschnitt 2009 waren es 1,1 Millionen. Damals wurde die Kurzarbeit vor allem in der Industrie genutzt, darunter vor allem in der Metallbranche, dem Maschinenbau und der Automobilbranche. Das ist aber kein Vergleich zum Einsatz dieses Instruments in der gegenwärtigen Corona-Krise. Für den April 2020, auf dem Höhepunkt der ersten Corona-Welle, werden von der Bundesagentur für Arbeit (BA) fast 6 Millionen Kurzarbeiter genannt, der durchschnittliche Arbeitszeitausfall lag bei 48 Prozent. Mittlerweile ist die Zahl der Kurzarbeiter nach Hochrechnungen der BA* wieder deutlich zurückgegangen.

*) Kurzarbeit gem. § 96 SGB III auf Basis der Betriebe-Abrechnungslisten. Kurzarbeiter (realisierte Kurzarbeit) für die letzten vier Monate vorläufige hochgerechnete Werte mit zwei Monaten Wartezeit.

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